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Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1966 | APuZ 24/1967 | bpb.de

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APuZ 24/1967 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1966

Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1966

Bundesministerium des Innern

Vorbemerkung

Abbildung 1

Der Bundesminister des Innern legt hiermit wie alljährlich der Öffentlichkeit seinen Bericht über den Stand der rechtsradikalen Bestrebungen vor. Die Schlußfolgerungen, die aus den früheren Berichten zu ziehen waren, konnten, obwohl sie niemals die nationalistischen und antisemitischen Erscheinungsformen verharmlosten, doch stets von der Tatsache ausgehen, daß der Rechtsradikalismus keine erhebliche Rolle im politischen Leben unserer Demokratie spielte. Im Bericht über das Jahr 1965 mußte jedoch schon auf Anwachsen ein verschiedener Erscheinungsformen und auf die Gründung einer neuen Partei hingewiesen werden, die ihr Ziel, Sammlungsbewegung des „Nationalen Lagers“ zu werden, nicht ohne Anfangserfolge anzusteuern begann. Der Bericht über das Jahr 1966 hat zu verzeichnen, daß es zum erstenmal seit sechs Jahren wieder einer rechtsextremen Partei gelungen ist, bei Landtagswahlen Mandate zu erringen und damit zu einem politischen Faktor zu werden. Gegen Ende des Jahres 1966 schien diese Partei noch gute Chancen zu haben, ihre Erfolge fortzusetzen. Der offene Ausbruch von Macht-und Richtungskämpfen in der Führungspitze der NPD zu Beginn des Jahres 1967 — der freilich für die Verfassungsschutzbehörden nicht allzu überraschend kam — und seine möglichen Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Partei konnten in diesem Bericht nicht mehr berücksichtigt und gewürdigt werden.

Skizze 3 NPD-SCHWERPUNKTE BEI DEN LANDTAGSWAHLEN AM 20. 11. 1966 IN BAYERN

Das Anwachsen der NPD und ihr Einzug in die Landtage von Wiesbaden und München haben die öffentliche Meinung des In-und Auslandes in einem Maße alarmiert, das zwar durch die nicht ganz 8 Prozent Wählerstimmen kaum gerechtfertigt, wegen der noch frischen Erinnerung an den Aufstieg des Nationalsozialismus aber nur allzu verständlich ist. Die Folge dieses Aufsehens war eine große Zahl von Analysen, Kommentaren und Würdigungen dieser und der nationalistischen in Deutschland allgemein. Strömungen So unterschiedlich der Informationswert dieser Publikationen auch ist, sie enthalten doch zum Teil gründliche wissenschaftliche Untersuchungen und aufschlußreiches Material. Der vorliegende Bericht muß sich auf die Auswertung der Erkenntnisse beschränken, die bei den Verfassungsschutzbehörden angefallen sind. Er kann deshalb nicht den Anspruch erheben, andere Studien der historischen und politischen Wissenschaften, der Soziologie, Psychologie und Demoskopie über die hier aufgeworfenen Fragen zu ersetzen. Er soll diese Arbeiten lediglich ergänzen. Eine Auswahl der Literatur über dieses Thema ist daher diesem Bericht beigefügt (siehe S. 38).

I. Die NPD als rechtsradikale Partei

Skizze 1 DATEN ZUR SOZIOLOGIE DER NPD-MITGLIEDER

1. Der Begriff des Rechtsradikalismus In den Erfahrungsberichten der Vorjahre war jeweils dargelegt worden, daß die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder solche nationalistischen Gruppen oder Bestrebungen als rechtsradikal bezeichnen, die ein glaubwürdiges Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung vermissen lassen und bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß ihre Ziele oder Tätigkeit Segen die verfassungsmäßige Ordnung gerich-tet sind oder daß sie verfassungsfeindliche in Bestrebungen fördern. Die den Erfahrungsberichten namentlich genannten Organisationen verwahrten sich in der Regel dagegen, als rechtsradikal bezeichnet zu werden. Insbesondere die NPD bezeichnete diese Kennzeichnung als unzutreffend. Um diesem Einwand zu begegnen, soll deshalb zunächst dargetan werden, von welchen Begriffsmerkmalen die Staatsschutzorgane bei dieser Kennzeichnung ausgehen. In der politischen Wissenschaft besteht freilich darüber Übereinstimmung, daß der Begriff „Rechtsradikalismus" nur bedingt geeignet ist, politische Erscheinungsformen zu bezeichnen, die nicht — wie der Marxismus — einer wissenschaftlich entwickelten und systematisch faßbaren Ideologie entstammen. Weder das Links-Rechtsschema noch das Wort Radikalismus sind ausreichend scharf, um Bestrebungen zu definieren, die aus einem Bündel (= fasces) verschiedener und nicht notwendig vereinter Ideologien und Weltanschauungen entspringen. Die politischen Wissenschaften versuchen deshalb, das Wesen rechtsradikaler Bestrebungen weniger durch — immer unscharfe — Definitionen zu beschreiben als durch die Aufzählung verschiedener Merkmale zu kennzeichnen, die typisch für diese Erscheinungsformen sind. Dabei ist zu beachten, daß nicht alle diese Merkmale gegeben sein müssen, um die Anwendung des Begriffes Rechtsradikalismus auf eine Gruppe zu rechtfertigen, und daß andererseits das Vorliegen des einen oder anderen dieser Merkmale allein noch nicht eine Charakterisierung als rechtsradikal erlaubt. Das entscheidende Kriterium liegt vielmehr in der Häufigkeit ihres Auftretens (vgl. statt vieler die Arbeiten von Fetscher, Knütter, Scheuch/Klingemann, Sontheimer).

Veränderungen innerhalb des organisierten Rechtsradikalismus im Jahre 1966

Für die folgende Darlegung seien einige besonders typische Merkmale rechtsradikalen Denkens in Deutschland herausgegriffen: a) Idealisierung von sozialen und kulturellen Leitbildern der Vergangenheit und pessimistische Auffassung von der zukünftigen Entwicklung. b) Ausgeprägter Nationalismus und damit verbundene Feindseligkeit gegen fremde Gruppen. c) Irrationales, völkisches Gedankengut und Vokabular, meist verbunden mit Antisemitismus. d) Ablehnung der repräsentativen Demokratie und ihrer Spielregeln. e) Kompromißlosigkeit in der politischen Auseinandersetzung. Intoleranz und Diffamierung gegenüber Andersdenkenden, Elitebewußtsein. f) Neigung zu Konspirationstheorien. Regierung, Wirtschaft, Kultur und Organe der öffentlichen Meinung werden als von kleinen, aber mächtigen Gruppen kontrolliert und korrumpiert dargestellt. Lediglich die Angehörigen der eigenen Gruppen sind willig und fähig, die Gesellschaft hiervon zu reinigen. 2. Die Manifestationen des Rechtsradikalismus in der NPD Untersucht man die offiziellen Verlautbarungen der NPD oder die Veröffentlichungen ihres Parteiorgans auf die oben genannten Merkmale, so findet man unzählige einschlägige Formulierungen, von denen hier einige herausgegriffen seien: a) Konservierung sozialer und kultureller Leitbilder der Vergangenheit. Pessimismus hinsichtlich zukünftiger Entwicklung „Die NPD fordert... 1 c) Einschränkung des maßlosen, unsozialen und ruinösen Wettbewerbes durch die schrankenlose Ausbreitung von Warenhäusern, Supermärkten, Filialfirmen, Versandhandelsfinnen, Discounthäusern usw. zu Lasten des selbständigen leistungsfähigen Einzelhandels". (Wirtschaftspolitische Entschließung 1965) „Die Bedeutung der Landwirtschaft ist mit keiner Sparte unserer Volkswirtschaft vergleichbar, denn für die Bedarfsdeckung eines Volkes gibt es eine natürliche Rangordnung: Nahrung, Kleidung, Wohnung usw."

Skizze 4 MITGLIEDERENTWICKLUNG IM ORGANISIERTEN RECHTSRADIKALISMUS VON 1960 BIS 1966

(Anmerkung zum Manifest IV) „Heimatfestes Menschentum, Bauerntum, Mittelstand, Dorf, Kleinstadt, Kulturlandschaft in Fluren, Wäldern und Siedlungen begründen das Recht auf Heimat und die Dauer der Kultur."

Skizze 5 DIE AUFLAGENENTWICKLUNG DER RECHTSRADIKALEN PRESSEORGANE

(Politisches Lexikon der Deutschen Nachrichten [DN], Band I, Stichwort „Konservativismus") „Es darf keine modernen Arbeitsnomaden geben, (Anmerkungen zum Manifest IV) „Der Rohrstock als Symbol notwendiger Autorität, der in Deutschland Generationen ehrliebender und pflichtbewußter Staatsbürger erziehen half, gib plötzlich als barbarisch."

Abbildung 12

(DN 35/66, S. 6) „Im Jahre 2000 werden wir auf einer Stufe mit den unterentwickelten Ländern stehen und im Fernsehen beobachten dürfen, wie andere Völker ihre Gegenwart und die Zukunft gemeistert haben.

ANTISEMITISCHE u. NAZISTISCHE VORKOMMNISSE 1960-1966 TATZEITEN - STATISTIK

(Wahlzeitung Rheinland-Pfalz 1967) b) Ausgeprägter Nationalismus „Nur konsequenter Nationalismus, der die nationale Gliederung der Menschen erhält und vervollkommnet, .. . kann die Menschheit noch von diesem Abgrund des Wahnsinns zurückreißen. Die traditionellen politischen Parteien sind durchweg Handlanger des Internationalismus und daher nicht imstande, diesen Wandel herbeizuführen.“

Abbildung 14

(DN 35/66, S. 3) „Darum zuerst Deutschland, dann Europa"

Skizze 7ERSCHEINUNGSFORMEN DER NAZISTISCHEN UND ANTISEMITISCHEN VORKOMMNISSE VON 19 61 BIS 19 66

(Manifest, Vorwort) „Schluß mit der Lüge von der deutschen Allein-schuld, mit der von unserem Volk fortgesetzt Milliardenbeträge erpreßt werden." „Schrittweiser Abbau der in der Produktion beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte auch auf Kosten weiterer Produktionssteigerungen."

Abbildung 16

(Anmerkung zum Manifest III) „Wir Deutsche haben nicht die mindeste Verpflichtung, Geld nach Afrika zu geben. Wir haben nicht jahrhundertelang — wie die Engländer und Franzosen — Neger und Inder ausgebeutet."

Skizze 8 DIE STRAFVERFOLGUNG NAZISTISCHER UND ANTISEMITISCHER AUSSCHREITUNGEN

(Musterrede 1966) „Das politische Formungsprinzip der neueren Geschichte — der Nationalismus — beweist im kommunistischen Europa seine nach wie vor ungebrochene Lebenskraft."

Demonstrationen gegen die NPD

(DN 51— 52/66, S. 14) „Der Nationalismus erfordert die leidenschaftliche und . totale'Hingabe des ganzen Menschen, des Menschen, der in der Nation die höchst mögliche und daher vollkommene Form menschlicher Gemeinschaftsbildung erblickt."

Reaktion der demokratischen Presse im Bundesgebiet auf die Aktivität der NPD

(DN 46/66, S. 6) c) Völkisches Gedankengut. Antisemitismus „Ein Volk ist nicht die Menge und auch nicht die Summe der jeweils augenblicklich lebenden Menschen gleicher Sprache, gleichen Stils, gleichen Raumes, auch nicht die Summe der Generationen — denn ohne die Artkraft des dem Volke innewohnenden Volkstums . .. wäre diese augenblicklich lebende Menge gleicher Sprache nicht.“ .. Der Staat, der in seinem Wesen ausschließlich die zum Handeln herausgetretene Ganzheitskraft von Volkstum und Volk ist, hat eine solche Befehls-gewalt“ (über den einzelnen Menschen). „Der Staat ist die Handlungsform der Ganzheit, die in Volkstum und Volk steckt.“ (Rede Dr. Anrichs auf dem Parteitag 1966) „Die verschiedenen Rassen gedeihen nun einmal am besten jede für sich und in einem ihrem Wesen entsprechenden Milieu, nicht untereinander verstreut und in fremdem Milieu. Eine Politik, die ihrem Staatsvolk dienen soll, hat dieser Tatsache im Rahmen der öffentlichen Wohlfahrt Rechnung zu tragen.“

(Politisches Lexikon der DN, Stichwort „Segregation") „Heine ist Jude, und da die Lyrik noch mehr als jede andere dichterische Gattung Ausdruck des Nationalcharakters und der Volksseele ist, so kann Heine unmöglich der größte deutsche Lyriker nach oder mit Goethe sein."

(DN 7/65, S. 5) „Ist also die behauptete Bedeutung des Ausdrucks . Endlösung’ nicht beweisbar, so kann andererseits nicht widerlegt werden, daß im 2. Weltkrieg und im Rahmen kriegsbedingter Aktionen Juden zu Hunderttausenden (verhältnismäßig glaubwürdige Angaben schwanken zwischen 350 000 und 1 Million) von deutschen oder in deutschen Diensten stehenden Spezialeinheiten ohne Wissen der deutschen Öffentlichkeit getötet worden sind."

(Politisches Lexikon, Stichwort „Endlösung") d) Ablehnung der repräsentativen Demokratie 11 Die Einführung des Volksentscheides für wichtige Einzelfragen sowohl als Pflicht für das Parlament wie darüber hinaus als Forderungsmöglichkeit für das Volk .. .

II 8 Eine Rechtsstellung des Bundespräsidenten, die ihm die Möglichkeit gibt, aus dieser Legitimierung durch das Volk (d. h.seiner direkten Wahl) dann der Ganzheit Handlungsfähigkeit zu geben, wenn unklare Mehrheitsverhältnisse oder sonstige bestimmte Situationen dem Parlament ein Handeln nicht ermöglichen ...

III b ... daß für die Formulierung und Fortbildung des normalen Rechts eine Vertretungskörperschaft von dazu nach Fachwissen, Ernst, Tiefe und Achtung besonders erwählten Menschen eingesetzt wird, bei der die Vorbereitung liegt und deren Entscheidung mit der des Bundestags zusammenfallen muß.“

(Aus der Rede Dr. Anrichs auf dem Parteitag 1966) „Entscheidungen über Lebensfragen des ganzen Volkes kamen ohne seine Mitwirkung zustande: die Wiederbewaffnung, die Aufgabe von Souveränitätsrechten, die Eingliederung in übernationale Bündnisse und die Einschmelzung (Integration) in Wirtschaftssysteme, die der Volkskontrolle entzogen sind, wurden ohne Befragung des Volkswillens vollzogen."

(Anmerkung zum Manifest I.) e) Kompromißlosigkeit, Intoleranz, Diffamierung, Elitebewußtsein „Dieses Herumgesiehle im nationalen Unglück ist einfach widerlich, würdelos und schandbar."

(DN 23/66, S. 4) „Das haben die Väter des Grundgesetzes nicht geahnt, daß sich dieser Staat in anderthalb Jahrzehnten zu einer Fernsehdemokratie entwickeln würde, in der eine Handvoll kommunistisch infizierter Intellektueller die öffentliche Meinung macht."

(Musterrede A, 1966] (NPD als die) „letzte Hoffnung aller wahren Patrioten“ (DN Sonderdruck 1/65, S. 2) „Die NPD ist der Aufstand der Mündigen."

(Wahlzeitung Schleswig-Holstein 1967) „Das verlogene Gerede unserer Linksintellektuellen hat Deutschland in den Ruf der Kriegslüsternheit gebracht." (Musterrede H, 1966)

Bezeichnung derpolitischen Gegner als: „Bonner Lizenzparteien" (DN 51— 52/66, S. 1) „Verzichtsapostel" (Wahlzeitung Schleswig-Holstein 1967, S. 4; DN 21/66) „Pseudostaatsparteien“ (DN 34/66, S. 1) „Bonner Schläfer“ (DN 25/66, S. 2) „Musterdemokraten“

(Wahlzeitung Schleswig-Holstein, S. 2) „Monopolparteien" (dto., S. 7) „Politische Patenkinder des polnischen Ministerpräsidenten" (DN 21/66, S. 3) f) Neigung zu Konspirationstheorien „Dabei ist offensichtlich Deutschland nur ein erstes Experimentierfeld der , Umerzieher’, ihr eigentliches Ziel aber die Manipulierung der gesamten Menschheit." (Politisches Lexikon, Stichwort „Reeducation") „Bedingungsloser Haß hat die jüdischen Funktionäre an den Schalthebeln der Macht 1933, 1939 und 1941 zu ihren tölpelhaften und als Handlanger-dienst für Hitler sogar verbrecherischen Kriegserklärungen an Deutschland geführt." (DN 52/65) „Deshalb fordern wir die Aufhebung der zersetzenden Meinungsmonopole in Fernsehen, Funk und Film. Es kann nicht länger geduldet werden, daß eine gewissenlose Clique unsere nationalen, moralischen und sittlichen Werte systematisch unterhöhlt und verächtlich macht." (Manifest IX) „Unter dem Diktat der Massenmedien feiern die Abfallprodukte der früheren amerikanischen Zivilisation in Westdeutschland Urständ. Die NPD meldet Widerstand an gegen die Diktatur der Scharlatane und Abartigen, weil sie jeden Maßstab zerstören und unserem Volk den Boden entziehen, auf dem es gewachsen ist."

(Kulturpolitische Entschließung 1965) 3. Schlußfolgerung Diese Auswahl aus einer Unzahl ähnliche 1, Äußerungen von Parteipublikationen oder -rednern zeigt, daß die von den politischen Wissenschaften verwandten Kriterien des Rechtsradikalismus alle — wenn auch mehr oder weniger stark ausgeprägt — bei der NPD auftreten. Die Charakterisierung dieser Partei als „rechtsradikal" ist daher gerechtfertigt. Nicht berücksichtigt wurden dabei zwei weitere Merkmale, die die Richtigkeit dieser Charakterisierung bestätigen: a) Die innere Verfassung der Partei.

So haben z. B.der Bundesvorsitzende und das Parteipräsidium das Recht, Mitglieder „bei Gefahr im Verzug" ohne vorherige Anhörung auszuschließen (§ 5 Abs. 4 der Satzung). Das Parteipräsidium, in bestimmten Fällen sogar der Vorsitzende allein, können den „organisatorischen Notstand" feststellen, wodurch der Führungsspitze faktisch uneingeschränkte Machtbefugnisse eingeräumt werden (§ 11 Nr. 1). b) Die Einstellung zum Nationalsozialismus, der zwar nicht offen verherrlicht wird, dessen Ideen, Ziele und Handlungen aber immer wieder verteidigt oder verharmlost werden (vgl. unten II 7).

II. Die NPD in der Analyse

Skizze 1 DATEN ZUR SOZIOLOGIE DER NPD-MITGLIEDER

1. Organisation Die NPD verfügt über einen funktionsfähigen Parteiapparat. Sie hat die Bundesgeschäftsstelle vergrößert, um straffer führen zu können. Zu den bereits bestehenden Abteilungen des geschäftsführenden Vorstandes tritt eine „Geschäftsstelle für Fraktionen", welche die parlamentarische Arbeit der NPD in den Land-tagen koordinieren und lenken soll. Außerdem hat der Parteivorstand zahlreiche Ausschüsse für Fachfragen gebildet. Die größeren Landesverbände haben begonnen, hauptamtliche Kräfte einzustellen und die unteren Parteigliederungen zu Bezirksverbänden zusammenzufassen. Im Jahre 1966 gab die Partei ihre bisherige Gliederung nach Wahlkreisen zugunsten der politischen Kreiseinteilung auf. Durch örtliche Zusammenschlüsse will sie ihre Entwicklung erleichtern.

Die NPD gliedert sich zur Zeit in elf Landes-, 69 Bezirks-, 429 Kreis-und annähernd 600 Ortsverbände. Damit ist sie in 76 Prozent aller Stadt-und Landkreise vertreten. Die Zusammenfassung junger NPD-Mitglieder und der Aufbau selbständiger Hochschulgruppen hat begonnen.

Das Parteiorgan „Deutsche Nachrichten" erscheint wöchentlich. Trotz intensiver Werbung wurde das Jahresziel, die Bezieherzahl zu vervierfachen, nicht erreicht. Die Auflage des Blattes beträgt zur Zeit ca. 44 000 Exemplare gegenüber 30 500 im Jahre 1965, davon gingen 22 000 Stück an feste Bezieher. Der Rest der Auflage wird im Kioskhandel, bei Wahlversammlungen der Partei oder zu Werbezwecken vertrieben. Mehr als ein Drittel der NPD-Mitglieder bezieht das Parteiorgan nicht.

Die Einkünfte der Partei bestehen aus Beiträgen, Spenden und den Erlösen aus dem Verkauf der parteieigenen Publikations-und Werbemittel. Wesentliche Zuwendungen aus NPDfremden Kreisen, insbesondere von der inländischen Industrie oder aus dem Ausland hat sie bisher nicht erhalten. Die Spendefreudigkeit ihrer Mitglieder und Anhänger ist relativ groß. Allein die Einkünfte der Parteizentrale beliefen sich 1965 auf rund 332 000 DM. Sie sind in diesem Jahre auf annähernd 400 000 DM gestiegen. Der Finanzbedarf der Landes-und Regionalverbände wird durch Beitragsanteile, Eintrittsgelder und Sammlungen gedeckt. 2. Mitgliederentwicklung, Werbungsmethoden Ende 1965 hatte die NPD ca. 14 000 Mitglieder. Im Laufe des Jahres 1966 ist ihre Zahl auf rund 25 000 angewachsen. Soweit höhere Ziffern genannt werden, bleibt unerwähnt, daß die Partei seit ihrer Entstehung mindestens 1800 Mitglieder durch Austritt, Streichung oder Tod verloren hat.

Der Zuwachs von 11 000 innerhalb eines Jahres ist die Folge intensiver Mitgliederwerbung. Der NPD kam dabei zugute, daß sie sich durch Teilnahme an mehreren aufeinanderfolgenden Wahlen verstärkt ins Gespräch bringen konnte. Relativ häufig waren Beitritte anläßlich von NPD-Wahlversammlungen. Während der Monate zwischen den Wahlen ging die Zahl der Beitritte teilweise erheblich zurück. Erst gegen Jahresende lösten die Stimmengewinne der NPD in Hessen und Bayern zahlreiche Neuanmeldungen aus. Die Statistiken der NPD lassen diese Tendenzen nicht klar erkennen, weil sie nicht den Zeitpunkt der Anmeldung, sondern die oft verzögerte Erfassung in der Parteizentrale zugrunde legen (Organisationsbericht anläßlich des Bundespartei-tages am 17. /19. 6. 1966, DN vom 6. 1. 1967, S. 2).

Bei der Werbung wird nach folgenden Grundsätzen verfahren:

Die Aktivisten und Funktionäre sind angewiesen, sich vordringlich um junge Interessenten sowie um Persönlichkeiten zu bemühen, deren Beitritt das Ansehen der NPD fördern und weitere Mitgliedergewinne nach sich ziehen könnte. Jungen Menschen wurden für den Fall ihres Beitritts Parteiämter angeboten, die auf örtlicher Ebene noch reichlich zur Verfügung stehen. Diese Taktik stellt geschickt das Einsatz-und Gestaltungsbedürfnis der Jugend in Rechnung.

Der Parteivorstand forderte zur planmäßigen Infiltration von Vereinigungen des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens, von Vertriebenen-, Traditions-und karitativen Verbänden sowie von mittelständischen Interessengruppen auf. Die Parteiaktivisten sollen in ihren Vereinen unauffällig für die NPD werben und sich dort möglichst in die Vorstände wählen lassen (Rundschreiben der NPD-Org. 15/65 vom 2. 12. 1965).

Die Parteigliederungen sind zu reger Versammlungstätigkeit verpflichtet. Jeder Orts-und Kreisverband führt in relativ kurzen Zeitabständen Veranstaltungen durch, die besonders auf Mitgliederwerbung zielen.

Die publizistischen Mittel der Partei werden zu zentralen Werbeaktionen innerhalb bestimmter Bevölkerungsschichten eingesetzt. Flugschriften und Sonderdrucke des Partei-organs waren vor allem an akademische Kreise, landwirtschaftliche Berufsgruppen, Heimatvertriebene und Angehörige der Bundeswehr gerichtet.

Weisungen aus jüngster Zeit befassen sich mit der Frage, wie das Eindringen von Kräften verhindert oder erschwert werden kann, die mit der Parteilinie nicht übereinstimmen und dadurch die NPD belasten würden (Rundschreiben der NPD-Org. 14/66 vom 29. 11. 1966). Ein Landesverband wies seine Gliederungen an, vor Neuaufnahmen zunächst Erkundigungen in der Nachbarschaft durchzuführen und die Bewerber bis zur Aushändigung der Mitgliedskarten zu beobachten.

Der bayerische Landesverband war am Jahresende mit rund 6000 Mitglieder der stärkste. Besonders schwach haben sich dagegen die Parteigliederungen in den Industriegebieten Nordrhein-Westfalens sowie in Hamburg, Bremen und Berlin entwickelt. In Skizze 1 a) wird die Stärke der einzelnen Landesverbände mit der jeweiligen Bevölkerungszahl verglichen. 3. Soziologie der NPD-Mitglieder Die Mitglieder stammen zu etwa 64 Prozent aus mittelständischen Schichten (vgl. Skizze 1 b). Am stärksten sind selbständige Berufe aus Handel, Handwerk und Landwirtschaft vertreten. Die Beitritte aus diesen Kreisen mehren sich. Die Neigung der industriellen Arbeiterschaft, sich der NPD anzuschließen, ist gering. Sie nimmt überdies ab. Zur Zeit entfallen auf diesen Personenkreis nur 13 Prozent der Gesamtmitgliedschaft. Unter den 6 Prozent Mitgliedern aus akademischen Berufen überwiegen eindeutig die älteren Jahrgänge. Nur ca. 350 von insgesamt 244 000 Studenten sind Mitglieder der NPD. Bei den restlichen 17 Prozent handelt es sich um Hausfrauen, Rentner und Pensionäre. Die Untersuchungen der landsmannschaftlichen Herkunft sind noch nicht abgeschlossen. Folgendes Teil-ergebnis ist erwähnenswert:

12 Prozent der Mitglieder des bayerischen NPD-Landesverbandes stammen aus dem Sudetenland, während der Anteil dieser Heimat-vertriebenen an der bayerischen Bevölkerung nur 9, 4 Prozent ausmacht.

10, 8 Prozent der NPD-Mitglieder sind Frauen.

Der Altersdurchschnitt der Mitglieder der NPD lag 1965 bei fast 50 Jahren. Er beträgt jetzt 43 Jahre. Durch diese Verjüngung hat sich das Durchschnittsalter der Parteimitglieder dem der Gesamtbevölkerung angenähert (vgl. Skizze 1 c). Auffällig bleibt allerdings ein deutliches Übergewicht der um 45jährigen. Außerdem zeigt die Statistik einen relativ hohen Anteil von 25-und 50jährigen.

Die Motive für den Beitritt in die Partei ließen sich nur mit Mitteln der Meinungsforschung klären. Auf die Ergebnisse der bisher veröffentlichten Untersuchungen (vgl. z. B. E. Scheuch/H. Klingemann, Materialien zum Phänomen des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik 1966, in: Beiträge zur politischen Soziologie, Köln 1967) sei hier verwiesen. 4. Die politische Herkunft der Mitglieder und Funktionäre Die Ämter für Verfassungsschutz registrieren bei den ihnen bekannten Mitgliedern der NPD deren frühere Zugehörigkeit zu anderen rechtsradikalen Gruppen oder zur NSDAP nur deshalb, um festzustellen, ob eine besondere Häufung Rückschlüsse auf ideologische Traditionen oder sonstige Gemeinsamkeiten zuläßt. Die heutige Zugehörigkeit von ehemaligen Angehörigen der NSDAP zu den demokratischen Parteien, die sich eindeutig und glaubhaft vom Nationalsozialismus distanzieren, ist dagegen für die Verfassungsschutzbehörden irrelevant und nicht Gegenstand ihres gesetzlich begrenzten Beobachtungsauftrags.

Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich folgendes Bild: a) Annähernd 2000 Mitglieder haben der NSDAP vor der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 angehört. Damit ist der Anteil der „Alt-Parteigenossen" in der NPD mindestens achtmal größer als in der Gesamtbevölkerung. Hinzukommen mehrere hundert nationalsozialistische Funktionsträger, die sich der Partei Hitlers erst nach 1933 angeschlossen hatten. b) Rund 500 NPD-Mitglieder gehörten verbotenen rechtsradikalen Organisationen an, darunter ca. 300 der durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 23. Oktober 1952 aufgelösten „Sozialistischen Reichspartei".

c) Etwa 3500 NPD-Mitglieder waren Mitglieder der rechtsradikalen „Deutschen Reichspartei" (DRP). Diese Gruppe beherrscht nach wie vor die Führung der NPD. d) Annähernd 4000 bis 5000 Mitglieder der Partei stammen aus anderen, zum Teil inzwischen erloschenen rechtsradikalen Gruppen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in vielen Fällen mehrfache Mitgliedschaften bestehen und dadurch Abzüge erforderlich sind, beträgt der Anteil der NPD-Mitglieder aus dem Bereich des organisierten Rechtsradikalismus einschließlich der oben genannten Gruppe alter oder führender Nationalsozialisten (Gruppe a) mindestens 35 Prozent.

In welchem Umfang die Partei darüber hinaus Zulauf aus Kreisen des nicht organisierten Rechtsradikalismus erhielt, läßt sich naturgemäß nicht feststellen. Nach den Erfahrungen der Staatsschutzbehörden stammen viele ihrer Mitglieder aus den Leserkreisen rechtsradikaler Blätter, aus radikalen Gruppen von Vertriebenen oder sind Anhänger gescheiterter Rechtsparteien gewesen. Viele der Jüngeren sind unter dem Einfluß des Elternhauses zu rechtsradikalen Vorstellungen und zur NPD gelangt.

Die ständigen Behauptungen der Parteiführung, der Einfluß der radikalen Kräfte werde zurückgedrängt, werden etwa dadurch widerlegt, daß eine Reihe namhafter Vertreter der gemäßigten Gruppe wegen des steigenden Einflusses der Radikalen aus der Partei austrat. Soweit hierfür Richtlinien über die Auswahl der Parteiführer ergingen, sollte in erster Linie der Anschein erweckt werden, daß die Parteiführung rechtsradikale Einflüsse unterdrücke. Sie führten jedoch nicht zu Konsequenzen in der Parteispitze. Nach wie vor ist der Anteil der politisch belasteten Funktionäre in der Parteihierarchie um so größer, je höher das Parteiamt ist.

Bei den Orts-und Kreisfunktionären stammen etwa 46 Prozent aus rechtsradikalen Gruppierungen oder waren „Alt-Pg" und höhere NS-Funktionäre. In den Bezirksverbänden steigert sich dieser Anteil bereits auf 61 Prozent. Entsprechende Untersuchungen bei 257 Funktionären der Bundes-und Landesebene haben 67 Prozent ergeben. Ihren Höhepunkt erreicht der Anteil von Angehörigen der oben genannten vier Gruppen mit 76 Prozent bei Funktionären des Parteivorstandes und den Bundesrednern.

Ein Vergleich der politischen Herkunft von 257 Spitzenfunktionären mit den entsprechenden Feststellungen in der Gesamtpartei hat folgendes Ergebnis:

Während der Anteil der Gruppe a) insgesamt etwa 10 Prozent der NPD-Mitglieder ausmacht, steigt er bei den Spitzenfunktionären auf Prozent. auffälliger ist 29 Noch die Konzentration ehemaliger SRP-und DRP-Angehöriger mit über 50 Prozent bei diesen Funktionären (gegenüber 15 Prozent bei den Mitglie dem).

Unverändert liegen Organisation, Schulung, Propaganda und Presse der NPD in den Händen der radikalen Gruppe. Sie besetzen damit die Schlüsselpositionen. Die Gesellschafter der . Deutsche Nachrichten-Verlags-GmbH" kommen fast alle aus der früheren DRP-Bundesleitung. Es sind keine Anzeichen vorhanden, daß es den gemäßigteren Kräften innerhalb der NPD in absehbarer Zeit gelingen könnte, die gesicherten Positionen der Extremisten abzubauen. 5. Schwächen Rechtsextreme Gruppen auf deutschem Boden zeichnen sich seit jeher durch organisatorischen Eifer, Neigung zu gefühlsbetonter Agitation, Sinn für gewisse massenpsychologisch wirksame Effekte sowie durch das Bestreben aus, ihre Gefolgschaft in einem „Zustand permanenter Aktion" zu halten. Diese Führungs-mittel waren ein Kennzeichen der NSDAP. In neuerer Zeit haben sie der „Deutschen Reichspartei" geholfen, ihren Anhang verhältnismäßig lange über den wirklichen Zustand der Partei hinwegzutäuschen. Die NPD bedient sich heute ebenfalls dieser Methoden. Die organisatorischen Anstrengungen der Partei sind besonders bemerkenswert. Dagegen zeigt sie sowohl im Inneren als auch in ihrer Wirkung nach außen erhebliche Schwächen.

Richtungskämpfe Die Rivalität zwischen den politisch-extremen und gemäßigt-nationalen oder solchen Gruppen, die in erster Linie ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgen, hat mit dem Anwachsen der Partei ständig zugenommen und nach eigenen Feststellungen der Partei „stellenweise zur Gruppenbildung geführt". Die Autorität der Parteileitung reicht nicht aus, diese Gegensätze auszugleichen.

Personelle Machtansprüche in den Parteigremien Die persönlichen Spannungen zwischen dem Parteivorsitzenden Thielen und seinem Stellvertreter v. Thadden beeinträchtigten schon während des Jahres 1966 die Autorität und Leistung der Parteispitze. Auch in den anderen Parteigremien nahmen persönliche Macht-ansprüche, Schlichtungsbemühungen, Schiedsund Ausschlußverfahren einen großen Raum ein. Die Ausstrahlung solcher Vorgänge auf die Gesamtpartei hat zu zahlreichen Austritten geführt.

Geringe Qualifikation der Führer Der NPD fehlen besonders auf den unteren Ebenen geeignete und fähige Kräfte. Ihre Versammlungsredner sind Diskussionen in Sachfragen in aller Regel nicht gewachsen. Die Partei fürchtet aus diesem Grunde Schwierigkeiten bei der Parlamentsarbeit.

Beschränkte finanzielle und publizistische Mittel Die Finanzen und die publizistischen Möglichkeiten der Partei sind begrenzt, über das eigene Parteiorgan „Deutsche Nachrichten" und ihr Schwesterblatt „Deutsche Wochen-zeitung" hinaus hat die NPD publizistische Unterstützung nur von wenigen regionalen und Heimatblättern erhalten. Versuche, die große demokratische Presse zu gewinnen, hält sie für aussichtslos. Ebensowenig hat sie in Kreisen der kapitalkräftigen Industrie Geldquellen erschließen können, hat aber bisher alles Nötige aus eigener Kraft aufgebracht. 6. Partei ohne Programm Die NPD betrachtet sich als „Kampfbund" und „Gesinnungsgemeinschaft, die heute noch Zufluchtsstätte, morgen aber Ausgangsstellung für ein Deutschland ist, das sich wieder einmal erneuert" (DN-Sonderdruck Hannover S. 2). Sie will den „anständigen Deutschen" eine politische Heimat bieten. In einer Zeit „der Mißachtung aller nationalen Werte, des politischen und wirtschaftlichen Staatsbankrotts und der mit Aufklärungsartikeln über die NS-Zeit angefüllten Presse“ sei sie zur „letzten Hoffnung aller wahren deutschen Patrioten" geworden (DN-Sonderdruck 1/65 S. 2). Diese Selbsteinschätzung offenbart Optimismus, zugleich aber auch Intoleranz, Überheblichkeit und primitives Freund-Feind-Denken. Ähnliche Tendenzen zeigt die Agitation der Partei auf fast allen Gebieten. Sie neigt zu intellektfeindlichen, vorwiegend emotionalen Denkschablonen sowie dazu, sich politischen Auseinandersetzungen durch Flucht in Dogmen und irrationale Glaubens-sätze zu entziehen.

Die Partei versuchte, politische Leidenschaften zu entfesseln. Mehr als in den Jahren zuvor hat sie Unzufriedenheit, Krisenangst und Staatsverdrossenheit agitatorisch ausgenutzt. Dies npiegeln Musterreden wider, die sie bei ihrer Rednerschulung verbreitet hat. Die Sprecher der NPD versetzen ihre Zuhörer durch nationalistische Schlagworte und übersteigerte Kritik an der gesamten Nachkriegs-entwicklung in Proteststimmung. Ähnliche Ziele verfolgte die Parteipresse (s. Bildtafel). Der kritisch eingestellten jungen Generation wurden nationalistische Klischees auf Umwegen nahegebracht. Die NPD appellierte an Werte wie Treue, Vaterlandsliebe, Sauberkeit, Ordnung und Einsatzbereitschaft. Sie wies auf das angeblich endgültige Scheitern der europäischen Einigung hin und empfahl der Jugend, sich ihr „Lebensrecht auf eine durch die NS-Zeit unbelastete Zukunft" von niemand stehlen zu lassen.

Zugleich unternahm die Partei starke Anstrengungen, um aus der „braunen Ecke der Isolierung" herauszukommen. Ihr Ziel war, der öffentlichen Kritik möglichst geringe Angriffsflächen zu bieten. In den Rahmen dieser Rehabilitierungsversuche gehören die wiederholten Bekenntnisse der Parteiprominenz zur Verfassung und Demokratie. Die NPD wies ihre Verbände an, „Themen der NS-Vergangenheit" nicht in den Mittelpunkt der Versammlungen zu stellen. Der Propagandareferent der NPD Otto Hess (Alt-Pg. und ehemaliger Gauredner der NSDAP) warnte die Funktionäre eindringlich vor jedem falschen Zungenschlag. Er erklärte am 15. Mai 1966 in Friedberg wörtlich: „Hütet Euch vor dem Ton, den Ihr einst gelernt habt; das Publikum merkt es eher als Ihr."

Nicht annähernd so intensiv bemühte sich die Partei, eigene Vorstellungen zu wesentlichen Fragen der Tagespolitik zu entwickeln. Das „Manifest der NPD" und die Erläuterungen dazu enthalten nur Ansatzpunkte einer eigenen politischen Konzeption. Sie wurden vorwiegend für Zwecke der Wahlagitation herausgegeben. Auch gelegentliche Grundsatz-reden und Veröffentlichungen in den „Deutschen Nachrichten" konnten das Fehlen eigenständiger politischer Grundgedanken nicht ausgleichen. Soweit sie konkrete und realisiebare Forderungen enthalten, sind es meist Forderungen, die andere politische Parteien bereits vorher erhoben hatten.

Die NPD hat noch kein Parteiprogramm. Erst nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern hat sie sich entschlossen, ihre politischen Vorstellungen mit mehr Nachdruck als zuvor „auf einen einheitlichen Nenner zu bringen". 7. Ideologie In breiten Bevölkerungsschichten gilt die NPD wegen ihres ressentimentgeladenen Nationalismus und ihres Agitations-und Versammlungsstils, der vielfach bestürzende Erinnerungen an die nationalsozialistische Agitation gegen die Republik von Weimar wecken muß, als neonazistisch. Das um so mehr, als ehemalige Mitglieder und Funktionäre die Führungsgruppe der NPD öffentlich bezichtigt haben, sie sei von Männern beherrscht, die einen „radikalen Gefühlsnationalismus" verkörperten und „nichts vergessen und nichts hinzugelernt hätten".

Im Jahre 1966 waren vermehrt Anhaltspunkte dafür festzustellen, daß zwischen der weltanschaulichen Basis der NPD und der NS-Ideologie Parallelen bestehen. Hinweise dieser Art bot das bereits zitierte Grundsatzreferat des Ideologen der NPD, Dr. Anrich („Alt-Pg" und ehemaliger Reichsschulungsleiter des NS-Studentenbundes), auf dem Parteitag vom 17. — 19. Juni 1966 in Karlsruhe, das teilweise wörtliche Übereinstimmungen mit seiner Rede anläßlich einer Reichsgründungsfeier im Jahre 1934 enthielt. Die „Deutschen Nachrichten" feierten diese Rede, die inzwischen von der NPD als Broschüre verbreitet wird, als „geistige Basis der jungen Partei, auf der die nationaldemokratische Politik beruht" (Deutsche Nachrichten 25/66, S. 1). Das Referat ist also zur offiziellen Aussage der NPD geworden. Es propagiert rassenbiologischen Kollektivismus und läßt sich wie die vergleichbaren Kernstücke der NS-Ideologie von staatsautoritären Vorstellungen leiten. Die NPD bekennt sich mit Dr. Anrich unter anderem zu den folgenden Werten:

Volk: = „Biologischer Organismus besonderer Artung und Keimkraft, der den Staat bemannt"

Volkstum: = „Artkraft des als biologischer Organismus verstandenen Volks“

Staat: = „die zum Handeln herausgetretene Ganzheitskraft von Volk und Volkstum"

Souveränität: = „Befehlsgewalt des Staates über die einzelnen Menschen und die Volks-gesamtheit".

Auch der Begriff des Rechts wird aus einer angeblichen „Bezogenheit auf das Volkstum und seine Gemeinschaft" abgeleitet. Dabei wird eine „Neuformulierung des Rechts des Ganzen über den einzelnen" gefordert.

Diese Begriffe erscheinen in Reden und Veröffentlichungen der NPD immer wieder. Anzeichen einer staatsautoritären Grundhaltung lassen sich häufig feststellen. So begrüßt das offizielle Parteiorgan, daß sich der argentinische General Ongania nach dem Umsturz im Juni 1966 nicht „hinter dem parlamentarischen Feigenblatt zu verstecken" trachte und sich auch die gesetzgeberische Gewalt habe übertragen lassen (DN 30/66 S. 7). Anrich hält „unter gewissen Voraussetzungen eine Diktatur für eine gute Verfassungsgebung" (DN 25/66 S. 10). Bezeichnend ist auch seine Forderung nach einer plebiszitären „Volksdemokratie", in der das Parlament durch Volksentscheide in grundsätzlichen Fragen und im übrigen bei der Rechtsetzung durch eine offenbar nicht demokratisch gewählte, an stände-staatliche Vorstellungen gemahnende Fachvertretungskörperschaft beschränkt und seiner wesentlichen Funktionen entkleidet werden soll. Die Stellung der vom Parlament abhängigen Regierung soll durch Abschaffung des konstruktiven Mißtrauensvotums geschwächt und dafür dem vom Volk zu wählenden Bundespräsidenten für den Krisenfall weitgehende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden. Auch die rassenbiologischen Vorstellungen treten öfters in der Publizistik der Partei hervor. Sie sympathisiert mit der Rassentrennung und befürwortet die südafrikanische und rhodesische Apartheidspolitik (DN 28/66 S. 3 und 35/66 S. 3).

Das deutsche Volkstum betrachtet sie als gefährdet, weil „so viele — meist jüngere — Männer fremder Nationalität in Deutschland leben" (DN 33/66 S. 6). In krasser Weise enthält das folgende Zitat die Vorstellung von der Einheit von Rasse und Volk: „Heine ist Jude, und da die Lyrik noch mehr als jede andere dichterische Gattung Ausdruck des Nationalcharakters und der Volksseele ist, so kann Heine unmöglich der größte deutsche Lyriker nach oder mit Goethe sein" (DN 7/65 S. 5).

Bezeichnend ist auch die Selbstverständlichkeit, mit der die NPD den Nationalsozialismus, Von dem sie sich öffentlich distanziert, intern in die Tradition des „Nationalen Lagers" einbezieht, wenn etwa Bundesvorstandsmitglied und Propagandareferent Otto Hess den Kreiswahlleitern in Rheinland-Pfalz rät, in Lebensläufen hinsichtlich der Mitgliedschaft in der ehemaligen NSDAP einfach anzugeben: „immer im nationalen Lager gestanden" (NPD. Landesversammlung in Kirn vom 8. 1. 1967), In dem vom DN-Verlag herausgegebenen parteiamtlichen „Politischen Lexikon", für das die NPD laut Rundschreiben vom 20. Dezember 1966 die Verantwortung übernimmt, finden sich Formulierungen, die erkennen lassen, wie wenig die NPD gewillt ist, Lehren aus der jüngsten deutschen Vergangenheit zu ziehen.

So wird zu dem Stichwort „Nationalsozialismus" unter anderem ausgeführt: „Der deutsche N. S. — 1920 bis 1945 — stellte den Versuch dar, die vier Grundelemente menschlichen Lebens, nämlich das biologische Element der Arterhaltung, das ökonomische der Artversorgung, das politische zur Regelung des Zusammenlebens und das religiöse zur letzten Sinndeutung des Lebens, miteinander in Einklang zu bringen.

Aus der Überzeugung, daß jedes Volk seinen eigenen Weg der Selbstvollendung zu gehen und seine eigene Form des Sozialismus zu finden hat, wurde der marxistische Klassenkampf tatsächlich überwunden und — vorübergehend — durch einen Wohlstand und Berufs-stolz schaffenden Arbeitsfrieden abgelöst.

Andererseits führte — vor allem nach Hitlers Regierungsübernahme am 30. Januar 1933 — vielfache menschliche Unzulänglichkeit in der Parteiführung und ein Mangel an Maß zu verhängnisvollen Überspitzungen sowohl in der Vorstellung als auch bei der Verwirklichung vom Führerstaat, vom Führungsanspruch der .deutschen Rasse’ und vom Vorrecht der Gemeinschaft gegenüber dem berechtigten und notwendigen Freiheitsbedürfnis des einzelnen."

Unter dem Stichwort „Endlösung der Judenfrage" finden sich unter anderem folgende Erklärungen:

„Die Formulierung wird in einer Weisung Görings an Heydrich vom 31. Juli 1941 gebraucht, die beim Nürnberger Prozeß als Dokument 710/PS vorgelegt wurde, um daraus die planmäßige Vorbereitung einer Ausrottun des europäischen Judentums durch die deutsche Reichsführung zu konstruieren. Daß sich im Verlauf der Geschichte bei allen Völkern wiederholt eine . Judenfrage'ergab und auch zu Versuchen einer . Lösung'führte, liegt an der religiösen und soziologischen Sonderstellung, an dem betonten Anderssein der Juden vor und nach ihre Emanzipation. Dieses Anderssein ist durch die außereuropäische Wesensart wie auch durch den religiösen Auserwähltheitsanspruch der Juden bedingt.

Eine weitere Verschärfung brachte die unbegründete Kriegstreiberei der Vereinigten Staaten, die man weitgehend auf den Einfluß jüdischer Berater Roosevelts zurückführte.

Ein Befehl zur planmäßigen Ausrottung der jüdischen Bevölkerung ist bisher anhand von Dokumenten nicht nachgewiesen.

Ist also die behauptete Bedeutung des Ausdruckes . Endlösung'nicht beweisbar, so kann andererseits nicht widerlegt werden, daß im 2. Weltkrieg und im Rahmen kriegsbedingter Aktionen Juden zu Hunderttausenden (verhältnismäßig glaubwürdige Angaben schwanken zwischen 350 000 und einer Million) von deutschen oder in deutschen Diensten stehenden Spezialeinheiten ohne Wissen der deutschen Öffentlichkeit getötet worden sind. Diese Untaten sind von der allgemeinen Barbarisierung der Kriegsmethoden seit 1939 nicht zu trennen." Die Hervorhebungen in den Zitaten sind im Original nicht enthalten und zur Verdeutlichung vorgenommen. 8. Politische Forderungen Die NPD möchte wesentliche Normen des Grundgesetzes ändern. Sie stellt dem gegenwärtigen „System" die „Volksdemokratie" gegenüber. Die Partei verlangt die Einführung des Volksentscheides in allen wichtigen Fragen, Aufhebung des konstruktiven Mißtrauensvotums, Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk und eine an den Artikel 48 der Weimarer Verfassung erinnernde Ermächtigung des Bundespräsidenten, in Krisenzeiten „der Ganzheit Handlungsfähigkeit zu geben“ (vgl. Anmerkung I zum Manifest der NPD; DN 25/66 S. 12). Forderungen dieser Art laufen auf eine erhebliche Schwächung der parlamentarischen Demokratie hinaus. Die NPD möchte gerade diejenigen Sicherungen beseitigt wissen, die das Grundgesetz gegenüber der Verfassung von Weimar auszeichnen. Die staatspolitischen Ansprüche der Partei erwekken im Hinblick auf die weltanschaulich-ideologische Ausrichtung der NPD Mißtrauen.

Das Schwergewicht ihrer Agitation liegt in abwertenden Schlagworten, die das Bewußtsein der Bevölkerung für den Wert der demokratischen Verfassung beeinträchtigen sollen. Die NPD bezeichnet die verfassungsmäßige Ordnung im Bundesgebiet als „entartete Parteiendemokratie", in der die „Monopol-, Lizenz-und Spalterparteien, kohlrabenschwarze Meinungsfabrikanten, superdemokratische Gralshüter, Erfüllungspolitiker und Umerzieher" angeblich ihr Unwesen treiben (Rundschreiben des Kreisverbandes Karlsruhe vom 22. 3. 1966). „Unter den Händen einer bestimmten Spezies von . Demokraten'entwickelt sich die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nur schwer" (DN 3/66 S. 4). „Leute, die keine andere Nation in entsprechenden Stellungen dulden würde", säßen in hohen Positionen (DN 2/66 S. 7). Sie hätten sich ihrer Ämter durch Korruption bemächtigt (DN-Sonderdruck Hannover, S. 1). Das Einhämmem dieser abwertenden Schlagworte erinnert an Agitationsmethoden, wie sie in den dreißiger Jahren gegen die Weimarer Republik verwendet wurden.

Folgende Themen dienen der Partei zur Zeit bevorzugt als Anknüpfungspunkt:

Kriegsschuld, NS-Verbrecherprozesse — „Schlußstrich unter die Vergangenheit“

In jedem Eingeständnis einer deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg und in den Wiedergutmachungsleistungen sieht die Partei eine „Selbstverstümmlung im eigenen Hause, politisches Flagellantentum und nationalen Masochismus als Ergebnis einer Umerziehung“ (DN-Sonderdruck 1/65 S. 3, DN 8/66 S. 4). Eine Regierung, die „mit Wollust“ die Schuld des eigenen Volkes am Kriege bezeuge, sei Anwalt der Gegenseite (NPD-Referat am 4. 2. 1966 in Veitsbronn). Die Verfolgung von NS-Verbrechern ginge zu Lasten des Rechtsstaates und auf Kosten der deutschen Nation (DNSonderdruck III/65, S. 2). Überfremdung der deutschen Wirtschaft, Entwicklungshilfe, Appelle zum „Maßhalten“ und gegen die „Verschwendung öffentlicher Mittel“ Die NPD behauptet, die Ansiedlung ausländischer Unternehmen im Bundesgebiet, der Aufkauf deutscher Firmen durch ausländische Interessengruppen sowie die Kapitalbeteiligung dieser Kreise an inländischen Unternehmen kämen „einem Ausverkauf der deutschen Wirtschaft" gleich. Subventionen seien „der Preis für den Sand, den Bonn in die Augen der Deutschen streue, damit diese nicht sehen, wie die Lebensfähigkeit der deutschen Wirtschaft den Interessen der amerikanischenWeltwirtschaft geopfert werden soll" (DN 11/66, S. 8). Die „auf fremdes Geheiß an ferne Länder gezahlten Milliarden dienten weder deutschen noch europäischen Interessen" (DN-Sonderdruck Hannover, S. 1).

Nationalstolz, vaterländische Erziehung der Jugend, Volkstumpflege Die NPD behauptet von sich, die einzige politische Kraft im Bundesgebiet zu sein, die sich der Pflege dieser nationalen Belange verschrieben habe. Sie beklagt die schwindende Bereitschaft der Bevölkerung, sich von nationalistischen Parolen beeindrucken zu lassen, als „erfolgreich verlaufene Charakterwäsche", die tagtäglich „durch nationale Selbstentäußerung" unter Beweis gestellt würde (DN 10/66

S. 4).

In ihrer Deutschland-Politik fordert die NPD ein Reich „in den Grenzen von 1937 unter Einschluß des Sudetenlandes, Westpreußens und Danzigs" (DN-Sonderdruck 1/66, S. 4). Sie erblickt im Verzicht auf ehemalige deutsche Siedlungsgebiete „einen theoretischen oder versuchten Landesverrat" (DN-Sonderdruck 1/66, S. 5). Politiker, die sich für eine sachliche Diskussion über die deutschen Ostgrenzen einsetzen, sind im Sprachgebrauch der NPD „Verzichtsapostel, Wortbrecher und politische Patenkinder des polnischen Ministerpräsidenten" (DN 21/66, S, 3). Im übrigen befaßt sich die Agitation der Partei besonders mit Fragen der Agrar-, Mittelstands-, Wohnungs-, Steuer-und Wirtschaftspolitik. Statt realisierbarer Möglichkeiten bietet sie Gemeinplätze, Ungereimtheiten, Widersprüche und Wunschbilder an, die hauptsächlich wahlagitatorischen Zielen dienen. 9. Wahlkampf Bei den Kommunalwahlen, die Anfang März 1966 in Schleswig-Holstein und Bayern stattfanden, hat die NPD nur bescheidene Ergebnisse erzielt. Dagegen brachte ihr die Hamburger Bürgerschaftswahl am 27. März 1966 schon einen Stimmanteil von 3, 9 Prozent und damit eine Verdoppelung der Wähler im Vergleich zur Bundestagswahl 1965. Bei Nachwahlen, die am 16. Oktober 1966 in der niedersächsischen Stadt Hameln stattfanden, errang sie 8, 4 Prozent, wenige Wochen später in den Landtagswahlen in Hessen und Bayern 7, 9 bzw. 7, 4 Prozent der Stimmen. Damit kam sie in die Parlamente der genannten Länder.

Kurz nach den Bundestagswahlen 1965 hatte die NPD beschlossen, das Schwergewicht ihrer Arbeit im folgenden Jahr auf die hessischen und bayerischen Landtagswahlen zu legen. Dem hat die Intensität ihres dortigen Wahlkampfes entsprochen. Die organisatorischen und finanziellen Aufwendungen der Partei waren beachtlich. Die Mittel wurden im wesentlichen durch Spenden, Eintrittsgelder, Teller-sammlungen, Beiträge, Erlöse aus dem Verkauf von Silbermünzen, Zuschüsse aus satzungsmäßigen Einkünften der Parteizentrale und Überschüsse aus dem Verlag der „Deutschen Nachrichten" aufgebracht. Am Jahresende hatte die Partei aus dem Wahlkampf in Bayern noch Schulden von ca. 30 000 DM. Die NPD hat sich in ihren Wahlkämpfen der folgenden Taktik bedient:

Frühzeitiger Wahlkampfbeginn Den Wahlkämpfen gehen mehrere Versammlungswellen voraus. Der Wahlkampf selbst wird mehrere Wochen vor den übrigen Parteien eröffnet.

Zentrale Planung der Vortrags-und Versammlungstätigkeit Die Redner werden zentral geschult und eingesetzt (Rundschreiben der NPD vom 15. 7. und 7. 12. 1966). Sie sind auf Musterreden verpflichtet. Die Versammlungen werden einheitlich geplant und selbst kleinste Orte berücksichtigt. Wahlkampipatenschaften Die benachbarten Parteigliederungen leisten organisatorische, finanzielle und personelle Unterstützung. Sie stellen Werbe-und Verteiler-gruppen, Redner, Propagandaschriften und Kraftfahrzeuge (Rundschreiben des NPD-Parteivorstandes vom 15. 7. — Org. 9/66).

Massierte Versammlungstätigkeit Die NPD rechnet mit der Wirkung des gesprochenen Wortes (Rundschreiben des Parteivorstandes vom 5. 9. 1966). Sie steigert im Wahlkampf deshalb zunehmend ihre Versammlungstätigkeit.

Massierte Werbung in letzter Stunde Am Vortage der Wahl wirbt sie durch halb-oder ganzseitige Anzeigen in der Regional-presse sowie durch Flugblattaktionen unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte der Gesamtpartei mit dem Ziel, die Propaganda der übrigen Parteien zumindest in diesem Zeitpunkt „auszulöschen" (Rundschreiben der NPD vom 19. 10. 1966). 10. Die Wähler der NPD Nach den Erfahrungen der Verfassungsschutzämter und der Meinungsforschungsinstitute ist nur ein sehr geringer Prozentsatz der Bevölkerung für eine offen rechtsradikale Agitation empfänglich. Das hat auch die NPD erkannt. Sie stellt deshalb ihre Wahlwerbung besonders darauf ab, neue Wählerschichten zu erschließen. Wie die Landtagswahlen in Hessen und Bayern zeigen, hat sie ihre Stimmgewinne vorwiegend dieser Taktik zu verdanken. Mehr als drei Fünftel der NPD-Wähler zählten bisher nicht zu den Parteigängern der extremen Rechten. Für die Beurteilung künftiger Entwicklungen ist entscheidend, aus welchen Schichten die NPD diesen Zuwachs an Stimmen erhielt und welches die Motive der Wähler waren.

Die wenigsten Stimmen gewann die NPD in Gebieten mit überwiegend katholischer Bevölkerung, in den industriellen Zentren und in Großstädten. In ländlichen Gemeinden sowie in Klein-und Mittelstädten erhöhte sich ihr Wahlergebnis besonders dann, wenn ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse, Störungen der Wirtschaftsstruktur und Schwierigkeiten in der Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen bestanden. Stimmanteile über 20 Prozent erhielt die NPD zum Beispiel in 130 kleinen Landgemeinden Hessens, die fast ausschließlich in Landkreisen mit stark unterdurchschnittlichem Bruttowirtschaftsprodukt liegen (vgl. Skizze 2). In Mittelfranken (vgl. Skizze 3) und einigen Orten Hessens spielten auch alte nationalistische Traditionen eine gewisse Rolle. In Teststimmkreisen Hessens und Bayerns zeigte sich eine erhöhte Anziehungskraft der NPD auf die 45-bis 60jährigen sowie hohe Anteile an männlichen Wählern. Nach den Ergebnissen demoskopischer Untersuchungen überwiegt bei den Berufen der unselbständige, kleingewerbliche, handwerkliche und kaufmännische Mittelstand. Das entspricht der Soziologie der NPD-Mitglieder (vgl. Skizze lb).

Die Struktur der Wähler gibt gewisse Hinweise auf die Motive. Zweifellos hat die NPD aus Unzufriedenheit, Existenzangst und sozialer Benachteiligung der genannten Berufs-und Bevölkerungsschichten Nutzen gezogen. Andere Teile der Wählerschaft haben jedoch in erster Linie gegen die Regierungskrise in Bonn protestieren und „die großen Parteien wachrütteln" wollen. Relativ viele NPD-Wähler dürfte ihr emotionaler Nationalismus angezogen haben. Die Partei ist sich klar darüber, daß ihre Wähler insgesamt eine unsichere Gefolgschaft darstellen.

Meinungsfragen demoskopischer Institute ergaben am Jahresende 1966 das folgende Bild: Etwa 75 Prozent der NPD-Anhängerschaft leben in dörflichen Verhältnissen oder in Klein-bzw. Mittelstädten (gegenüber 67 Prozent der Gesamtbevölkerung). Das Interesse der Groß-städter an der NPD ging im Laufe des Jahres stark zurück.

Auch nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern blieben die 40-bis 50jährigen die stärkste Gruppe des NPD-Anhanges. Die Sympathien der Jugendlichen für die NPD nahmen gegen Ende des Jahres weiter ab.

Der Anteil der Frauen sank im Jahre 19® von 35 auf 24 Prozent. Katholiken sind wesentlich geringer an der Partei interessiert als Protestanten. Relativ stark ist der Anteil der An-B hänger, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Kleinbürgerlich-bürgerliche Schichten sind nach wie vor das Rückgrat der NPD. Sie stel-len etwa zwei Drittel ihres Gefolges. Vertriebene und Flüchtlinge sind unter ihren Anhängern nur etwas häufiger anzutreffen als in der Gesamtbevölkerung.

III. Sonstige rechtsextreme Bestrebungen

Die NPD nutzt Gefühle der Unzufriedenheit in bestimmten Bevölkerungsschichten aus

1. Zahl und Stärke der rechtsradikalen Gruppen Das Wachstum der NPD hat den Gärungsund Umwandlungsprozeß im „nationalen Lager" beschleunigt. Im Verlaufe des Jahres 1966 erloschen 21 rechtsextreme Vereinigungen und Verlage, während nur sechs neu auf-Der organisierte Rechtsradikalismus hat also seine personelle Basis im abgelaufenen Jahr — vorwiegend durch Mitgliedergewinne der NPD — um 35 Prozent erhöht. Er erreichte damit fast die gleiche Stärke wie im Jahre 1960 (vgl. Skizze 4). 2. Der organisierte Rechtsradikalismus und die NPD Die zentrale Stellung der Nationaldemokraten zwingt die anderen rechtsradikalen Gruppen, sich mit dieser Partei auseinanderzusetzen. Dabei gehen die Tendenzen von offener oder verdeckter Feindschaft bis zur Bereitschaft, mit der NPD zusammenzuarbeiten oder als ihr Sprachrohr zu wirken. traten. Ihre Gesamtzahl ging damit von 113 auf 98 zurück. Einige wenige Vereinigungen konnten ihren Personalbestand steigern, die meisten verloren Mitglieder. Nutznießer dieser Entwicklung war in der Regel die NPD. Der organisierte Rechtsradikalismus hatte Ende 1966 etwa 36 200 Mitglieder. Einzelheiten enthält die folgende Übersicht:

Besonders ausgeprägt ist die Rivalität zwischen den national-neutralistischen Gruppierungen und der NPD. So hat sich die im Mai 1965 entstandene „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD) seit jeher als Sammlungspartei NPD-feindlicher Nationalisten verstanden. Ihre Führung wirft der NPD vor, sie „firmiere zwar national, verhindere aber in Wirklichkeit die nationale Einheit des deutschen Volkes " (Rundschreiben der AUD vom 20. 12. 1966, S. 4). Außerdem sei sie „in ihrem politischen Konzept so antiquiert, daß sie das Jahr 1933 in ihrer geschichtlichen Entwicklung noch nicht einmal erreicht" habe (Rundschreiben der AUD Berlin vom 10. 10. 1966). Umgekehrt wird die AUD von den Nationaldemokraten als rechtsradikale Sektie21 rergruppe beurteilt, deren neutralistisches Programm sich von der kommunistischen Deutschlandpolitik nur wenig unterscheide. Im Verlauf ihres knapp zweijährigen Bestehens zog die AUD nur wenige Mitglieder und Wähler an. Bei den Bundestagswahlen 1965 errang sie 0, 2 Prozent der Stimmen. Im abgelaufenen Jahr beteiligte sie sich nur in einigen Gemeinden und Kreisen an den bayerischen Kommunalwahlen. Auch hier waren ihre Stimmen äußerst gering. Diese Erfolglosigkeit hat bei einem Teil ihrer Mitglieder zur Resignation geführt. Andere sind zur NPD übergetreten. Dennoch versucht die Führung der AUD den Eindruck einer politisch wirksamen Gruppe zu erwecken. In Wahrheit ist die Partei heute ohne jede Resonanz. Diese Entwicklung hat weder die der AUD nahestehende „Vereinigung Deutsche Nationalversammlung" (VDNV) noch die zeitweilige Unterstützung durch das in Hamburg erscheinende nationalneutralistische Wochenblatt „Neue Politik" aufhalten können

Die Masse der übrigen rechtsradikalen Gruppen geriet mehr oder weniger stark in den Sog der NPD. Teile ihrer Gefolgschaft traten zu dieser Partei über oder begründeten Doppelmitgliedschaften. Am stärksten war der Zug zur NPD im „Reichsverband der Soldaten" (RdS), von dem jedes vierte Mitglied zur NPD übertrat. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der „Aktion Oder-Neiße" (AKON), der „Deutschen Sozialen Bewegung" (DSB), dem „Deutschen Block" (DB), dem „Bund Heimattreuer Jugend" (BHJ) und der „Wiking-Jugend" (WJ).

Dei meisten dieser Gruppen begrüßen die NPD als „notwendige Wahlpartei" des nationalen Lagers. Andererseits legen sie Wert auf ihre organisatorische Eigenständigkeit. Bei mehreren Gruppen wird die zunehmende Anziehungskraft der NPD mit großer Sorge verfolgt. Der NPD wird dabei teilweise offen „Abwerbung" vorgeworfen. Einzelne Vereinigungen unterstützen die NPD ohne jeden Vorbehalt. Zu ihnen gehört die „Aktion Oder-Neiße" (AKON). Ihr Vorsitzender ist zugleich Mitglied und Landesredner der NPD. Die Vorstellungen beider Organisationen über die Ostgrenzen eines wiedervereinigten Deutschlands stimmen weitgehend überein. NPD und AKON bedienen sich der gleichen radikalen und ressentimentbeladenen Sprache. Politische Gegner werden diffamiert und verächtlich gemacht, wobei man vor Ausdrücken wie „Landesverräter" nicht zurückschreckt (AKON-Informationsdienst 11/66 S. 2). Vorbehaltlose Unterstützung findet die NPD ferner bei dem „Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG). Sein Präsident, Herbert Böhme (früherer Mitarbeiter der obersten SA-Führung und Lektor im Zentralvertrag der NSDAP), bekennt sich zu den völkisch-nationalistischen Vorstellungen der NPD. Er versucht, das kulturpolitische Programm der Nationaldemokraten zu beeinflussen. Mindestens 250 Mitglieder des DKEG sind bereits zur NPD gestoßen. Von den Pflegstättenleitern des Kulturwerks gehören zur Zeit etwa 40 Prozent der NPD an. 3. Rechtsextreme Publizistik Die Auflagen der rechtsextremen Zeitungen, Zeitschriften und Informationsdienste haben sich 1966 beachtlich erhöht. Während zum Jahresbeginn 40 rechtsradikale Periodika mit einer Gesamtauflage von 227 000 Exemplaren erschienen, betrug die Gesamtauflage Ende 1966 272 900 Stück. Die Zunahme um etwa 20 Prozent ist im wesentlichen auf die Auflagensteigerung der NPD-Wochenzeitung „Deutsche Nachrichten" und der „Deutsche NationalZeitung und Soldaten-Zeitung“ (DNZSZ) zurückzuführen. Auch der vierteljährlich erscheiende „Deutsche Studenten-Anzeiger" hat seine Auflage bemerkenswert von 18 000 auf 25 000 gesteigert. Allerdings sind die Verkaufsauflagen der Blätter wesentlich niedriger. Von den „Deutschen Nachrichten" werden (bei einer Gesamtauflage von 44 000) 22 000 Exemplare fest bezogen. Die Zahl der Abonnenten der DNZSZ, bei der die Druckauflage eine Höhe von etwa 125 000 Exemplaren erreicht, beträgt rund 26 300, im Zeitungshandel werden rund 55 800 Exemplare verkauft. Der größte Teil der Auflage des „Deutschen Studenten-Anzeiger" wird kostenlos verteilt. Die Auflagen des Parteiorgans der „Aktionsgemeinschaft Unabhän23 giger Deutscher", Deutsche Gemeinschaft", und der den „Deutschen Nachrichten" nahe-stehenden,, Deutschen Wochenzeitung" sind da-gegen gesunken, Im einzelnen stellt sich die Entwicklung der nationalistischen Presse im Jahre 1966 wie folgt dar (vgl. auch Skizze 5):

Nach wie vor verfügt die extreme Rechte im Bundesgebiet über keine eigene Tageszeitung. Ihr stärkstes Wochenblatt ist die DNZSZ. Sie hatte im 4. Quartal 1966 eine Auflage von 124 900 Stück gegenüber 103 000 Ende 1965. 4. Die „Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung"

Das Blatt bevorzugt reißerische Schlagzeilen; denen der Inhalt der Artikel häufig nicht entspricht. Von dieser Methode erhofft sich der Herausgeber eine erhöhte Werbewirkung. Überschriften wie „Sind die Deutschen Antisemiten? Warum werden Juden gehaßt?" (DNZSZ Nr. 41/66), „Die Macht der Juden in Deutschland. Die jüdischen Einflüsse und ihre Ausschaltung" (DNZSZ Nr. 42/66) sind geeignet, antisemitische Tendenzen zu fördern oder hervorzurufen. Der Herausgeber fordert die Wiederherstellung eines Großdeutschen Reichs unter Einschluß des „Memelgebiets, Danzigs und des Sudetenlandes" (Nr. 12/66; Nr. 20/66; Nr. 29/66; Nr. 34/66; Nr. 46/66). Für die DNZSZ ist vor allem eine Verständigung mit dem polnischen und dem tschechischen Volk unerwünscht. Beide Staaten werden mit Ausdrücken wie „Verbrecherstaat", „Mörderregime", „verbrecherische Interessen" herabgesetzt (DNZSZ Nr. 13/66; Nr. 36/66; Nr. 38/66; Nr. 51/66). Die Regierungserklärung Bundeskanzler Kiesingers über das Verhältnis zu Polen und der Tschechoslowakei mit dem Wunsch nach Aussöhnung mit beiden Völkern bezeichnet die DNZSZ als „geistigen, politischen und nicht zuletzt moralischen Irrwitz" (DNZSZ Nr. 51/66). In diesem Zusammenhang behauptet das Blatt, die polnische Schuld sei „die ungleich schwerere und ungleich ältere, sie habe erst die deutsche Schuld ausgelöst". In nicht minder polemischem Ton behandelt die DNZSZ innenpolitische Themen. Die Bundesrepublik Deutschland sei ein Staat „minderen Rechts", der sich von Verbündeten, Neutralen und Gegnern „um die Wette erpressen" lasse (DNZSZ Nr. 50/66; Nr. 24/66).

Den Devisenausgleich gibt sie als „Tributleistung eines Vasallenstaats" (Nr. 50/66), die Entwicklungshilfe als „Krebsübel" aus (Nr. 38/66). Die Deutschen ließen sich ohnehin seit 20 Jahren „ohrfeigen" (Nr. 26/66). Ausweg aus dieser Situation bietet nach Meinung des Herausgebers nur eine mit Atomwaffen ausgestattete, allein deutschem Befehl unterstellte Bundeswehr (Nr. 12/66). Solange diese sich „nicht in verteidigungsfähigem Zustande befindet, ist die Bundesrepublik jeder Erpressung ausgeliefert" (Nr. 12 und 22/66). Völkerrechtliche Verträge hinderten im übrigen eine nationale Atombewaffnung nicht. Durch derartige Verträge wäre die Bundesrepublik lediglich verpflichtet, keine Atombomben auf „eigenem" Territorium zu produzieren (DNZSZ Nr. 32/66).

Die Polemik der DNZSZ hat wiederholt zu scharfen Protesten in der deutschen Öffentlichkeit geführt. So hat sich der Deutsche Presserat in einer Resolution gegen die Methoden der Zeitung gewandt und dem Blatt Mißbrauch der Pressefreiheit vorgeworfen. Gegen die Herausgeber wurden mehrere Strafanzeigen erstattet. Für die politische Beurteilung des Herausgebers ist sein Verhältnis zur NPD von Interesse. Dr. Frey hat die Entwicklung der NPD im Jahre 1966 zurückhaltend, wenn auch meist wohlwollend kommentiert. Er veröffentlichte jedoch gelegentliche Attacken gegen die Führungsspitze, insbesondere gegen die ehemaligen DRP-Funktionäre. Wegen der vorwiegend persönlichen Differenzen ist vorerst ein Zusammengehen der beiden Gruppierungen nicht zu erwarten (vgl. DNZSZ Nr. 35/66, Rundschreiben der NPD vom 5. 8. 66). 5. Internationaler Faschismus Die Aktivität internationaler Faschisten in der Bundesrepublik Deutschland hat sich verstärkt. Im April 1966 wurde der amerikanische Staatsangehörige Reinhold Ruppe verhaftet, als er die Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg zwecks Vorbereitung eines Sprengstoffanschlages fotografierte. Dem Zugriff gingen Ermittlungen und Observationen der Staatsschutzorgane voraus, die sich über mehrere Wochen erstreckten. Dem Attentat in Ludwigsburg sollten weitere politische Terrorakte, die der Amerikaner zusammen mit dem deutschen Staatsangehörigen Erich Lindner vorbereitete, folgen. Unter anderen sollten der Frankfurter Generalstaatsanwalt Dr. Bauer getötet und eine Gedenkstätte für die Opfer des Nazismus in Neuengamme gesprengt werden. In der Wohnung Lindners wurden drei Maschinen-pistolen, sieben Pistolen, ein Revolver, zwei Gewehre — alle mit entsprechender Munition —, mehrere Schalldämpfer und ein Totschläger sichergestellt. Ruppe besaß fünf Pistolen, einen Revolver und fünf Gewehre. Er und sein amerikanischer Freund Kurt Rheinheimer unterhielten Verbindungen zur „World Union of National Socialists" (WUNS) in Arlington, die sie mit faschistischen Propagan -daschriften versorgte. Rheinheimer hatte seine Gesinnungsgenossen in feierlicher Form vor einer Hakenkreuzfahne dazu verpflichtet, ohne Rücksicht auf die eigene Person für die Idee des Nationalsozialismus zu kämpfen. Er kehrte dann nach den USA zurück. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes verurteilte Ruppe und Lindner am 9. November 1966 wegen Beteiligung an einer geheimen und verbrecherischen Vereinigung in verfassungs. feindlicher Absicht sowie wegen versuchten schweren Diebstahls zu Zuchthausstrafen von je zwei Jahren. In beiden Fällen wurde auf die Zulässigkeit der Polizeiaufsicht erkannt.

Die WUNS setzte ihre Hetzkampagne gegen das demokratische Deutschland fort. In der Bundesrepublik Deutschland wurden von ihr Handzettel mit Hetzparolen verteilt.

Insgesamt wurden im Laufe des Jahres 1966 88 Flugschriften und Broschüren sowie 66 verschiedene Zeitschriften von Vertretern des internationalen Faschismus in das Bundesgebiet geschleust. Die Auflagen dieser Hetzschriften sind nicht bekannt. Der Umfang der in deutscher Sprache verfaßten Flugblätter und Broschüren nimmt zu.

Die „Deutsche Soziale Bewegung" (DSB) ist nach wie vor die einzige deutsche Sektion des internationalen Faschismus. Sie ist ohne Resonanz und von der Gefahr der Abwanderung ihrer Mitglieder zur NPD bedroht. 6. Ausschreitungen kroatischer Nationalisten Haß zwischen den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden etwa 23 000 Emigranten serbischer und kroatischer Nationalität, aber auch politische Differenzen innerhalb dieser Emigrantengruppen führten in den vergangenen Jahren mehrfach zu tätlichen Auseinandersetzungen und ähnlichen Rechtsverstößen. Zu schweren Ausschreitungen neigen Fanatiker der kroatischen Emigration, die sich für einen selbständigen kroatischen Staat einsetzen. Sie führen unerlaubt Waffen, schüchtern politische Gegner durch Terror ein und erregen die Öffentlichkeit durch politische Mord-und Sprengstoffanschläge. Seit 1964 sind von deutschen Gerichten allein 32 Exil-kroaten wegen geheimbündlerischer und terroristischer Tätigkeit zu Zuchthaus-und Gefängnisstrafen verurteilt worden. 1966 kam es wiederum zu einer Reihe solcher Delikte.

Am 7. März 1966 wurden führende Funktionäre des „Kroatischen Demokratischen Ausschusses" (HDO) festgenommen, als sie bei ihrer Einreise aus Belgien versuchten, 40 kg Sprengstoff illegal in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen. Sie planten Terror-aktionen in Jugoslawien. Im August 1966 stellte die Polizei auf der Autobahn bei Ettlingen/Baden in dem Kraftwagen des Exilkroaten Alois Klasnic eine selbstgefertigte Bombe sicher. Der Kroate gab an, er habe das jugoslawische Konsulat in München sprengen wollen. Im August und September begingen Exil-kroaten zwei Morde und einen Mordversuch an politischen Gegnern. Die Ermittlungen über die Hintergründe dieser Straftaten sind noch nicht abgeschlossen. Die Taten werfen aber ein bezeichnendes Licht auf den politischen Fanatismus, der gewisse Kreise der kroatischen Emigration im Bundesgebiet beherrscht. 1. Südtirolterror Auch im Jahre 1966 hörten die Mord-und Sprengstoffanschläge in Südtirol nicht auf. Die Sicherheitsorgane der Bundesrepublik Deutschland gingen allein Hinweisen auf eine Beteiligung deutscher Staatsbürger nach. Dabei wurde folgendes ermittelt:

Weder der „Befreiungsausschuß für Süd-tirol" (BAS) noch die bisher erkannten sonstigen Terrorgruppen haben ihren Sitz in der Bundesrepublik. Ihre Führer besitzen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.

Das „Kulturwerk für Südtirol" und einige kleinere im Bundesgebiet bestehende Südtirolvereinigungen verfolgen ausschließlich kulturelle und soziale Zwecke im Einvernehmen mit den italienischen Behörden.

Vorwürfe ausländischer Presseorgane, nach denen deutsche Politiker und Organisationen die Terrorakte in Südtirol unterstützen, haben sich als falsch erwiesen. Die in diesem Zusammenhang genannte „Deutsche Stiftung für europäische Friedensfragen" hat sich bisher nur mit Problemen des deutschen und europäischen Ostens befaßt.

Der im Bundesgebiet organisierte Rechtsradikalismus erklärt zwar die Terroranschläge in Südtirol als Teil des „Befreiungskampfes" der deutschen Bevölkerung. Uber diese publizistische „Schützenhilfe“ hinaus ist aber bisher keiner rechtsextremen Vereinigung ein aktives Eingreifen nachgewiesen worden.

Lediglich einige Einzelgänger und Abenteurer deutscher Staatsangehörigkeit haben an Gewaltaktionen in Südtirol teilgenommen. Mehrere von ihnen hatten persönliche Verbindungen zu Südtirolterroristen.

Mehrere Strafverfahren laufen. Ihr Abschluß wird zum Teil durch die Flucht der Beschuldigten ins Ausland erschwert. 8. Rechtsverstöße mit nazistischem und antisemitischem Hintergrund Nach einem sprunghaften Anstieg im Jahre 1965 ist die Zahl der nazistischen und antisemistischen Ausschreitungen wieder zurückgegangen. Im abgelaufenen Jahr sind insgesamt 449 Vorfälle bekanntgeworden (gegenüber 521 Fällen im Jahre 1965). Dabei ist jeder Fall berücksichtigt, der rechtsextreme oder antisemitische Kennzeichen aufwies, auch wenn er aus unpolitischen Motiven oder von Kindern begangen wurde. Die Vorkommnisse verteilen sich gleichmäßig auf das ganze Jahr (vgl. Skizze 6).

Tagespolitische Ereignisse, die in der Öffentlichkeit ein außergewöhnliches Echo fanden und deshalb zu Protesthandlungen hätten anregen können, hatten im Gegensatz zum Vorjahre keinen Einfluß. Um so bemerkenswerter ist es, daß sich immer noch mehr als doppelt so viele Ausschreitungen wie im Durchschnitt der Jahre 1962— 1964 ereigneten. Dieselben Gründe, die zu den Erfolgen der NPD beitrugen, wie allgemeine Unmuts-und Unsicherheitsgefühle und eine verstärkte Aufnahmebereitschaft für nationalistische Ideen, haben offenbar rechtsextreme Einzelgänger zur Betätigung gereizt.

Mehr als die Hälfte der Ausschreitungen ereignete sich in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Es folgen Bayern und Hessen. Auf die übrigen Bundesländer entfallen zusammen nur 20 Prozent der Fälle. 9. Das äußere Tatbild a) Politisch motivierte Brandstiftungen In Kassel brach ein 20jähriger technischer Zeichner in der Nacht zum 4. März in die Synagoge ein und schmierte auf Fußboden, Wände, Türen und Bänke etwa 30 Haken-27 1966

Skizze 6 kreuze. Auf eine im Unterrichtsraum stehende Tafel schrieb er „Wir wollen Hitler". Im Kult-raum riß er den Vorhang vom Thoraschrein und brach Kerzen aus den Leuchtern. In der Nacht zum 6. März verübte er einen zweiten Anschlag auf dieselbe Synagoge. Er schlug die Fensterscheiben von vier Räumen des Erdgeschosses ein und legte Feuer, das die Inneneinrichtung dieser Räume zum großen Teil zerstörte. Der Täter hatte bereits im September 1965 während des Bundestagswahlkampfes durch mehrere Brandstiftungen, telefonische Drohungen und Hakenkreuzschmierereien in Kassel Unruhe gestiftet.

Eine ähnliche Untat richtete sich am 9. Juli gegen das jüdische Gemeindehaus in Berlin. Kurz nach dem Ende des Gottesdienstes in der nahegelegenen Synagoge warf ein noch unbekannter Täter Sprengkörper gegen die Eingangstür des Hauses und setzte sie in Brand. Es entstand beträchtlicher Sachschaden. b) Schändungen jüdischer Friedhöfe Im Berichtszeitraum wurden 29 Friedhofs-schändungen bekannt. Diese Fälle erwecken auf den ersten Blick durchweg den Eindruck bösartiger antisemitischer Gewalttaten. 15 von ihnen wurden aber als Taten von Kindern und Jugendlichen aufgeklärt, die aus anderen als politischen oder antisemitischen Beweggründen gehandelt hatten. Die restlichen 14 Fälle wiegen indes schwerer. So haben unbekannte Täter in der Nacht zum 12. Mai 1966 auf dem jüdischen Friedhof in Dortmund 32 Grabsteine und eine Ehrentafel umgestürzt und mit weißem Pulver ein metergroßes Hakenkreuz auf den Hauptweg gestreut. Im August wurden in Leverkusen die Gedenksteine von neun jüdischen Gräbern umgeworfen und zum Teil mit Hakenkreuzen beschmiert. Beträchtliches Aufsehen erregten auch die Ende Februar entdeckten Zerstörungen auf dem Israelitischen Friedhof in Haigerloch sowie die Schändung des jüdischen Friedhofs in Mannheim, wo etwa 100 schwere Grabsteine aus ihren Verankerungen gerissen und umgeworfen wurden. In diesen und einigen ähnlich gelagerten Fällen läßt das Ausmaß der Zerstörungen auf gezielte antisemitische Aktionen schließen.

Relativ häufig wurden Verwüstungen auch auf christlichen Friedhöfen festgestellt. Genaue Zahlen für das Jahr 1966 liegen noch nicht vor. Im Durchschnitt der Jahre 1948— 1965 richteten sich 38 Prozent aller Friedhofsschändungen gegen jüdische Friedhöfe. c) Bedrohung und Beleidigung jüdischer Mitbürger und politischer Gegner Erfaßt wurden 99 Vorfälle.

Anonyme Droh-und Schmähbriefe und telefonische Belästigungen richteten sich mehrfach gegen die Israelische Botschaft in Köln, den Zentralrat der Juden in Deutschland, die Deutsch-Israelische Gesellschaft in Berlin, mehrere jüdische Gemeinden sowie gegen einzelne Bürger. Eine jüdische Familie in Ahlen/Westfalen wurde im September wiederholt durch telefonische Anrufe beleidigt und bedroht. Als Täter wurde ein Polizeihauptwachtmeister ermittelt, der jetzt einem gerichtlichen Verfahren entgegensieht. Eine Witwe aus dem Kreis Arnsberg, die in einem Konzentrationslager inhaftiert war, fand im Juli in ihrem Geschäftslokal ein Pappschild mit groben rassistischen Schmähungen. Vielfach werden die Empfänger von Drohbriefen aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und nach Israel auszuwandern. In anderen Fällen nahmen die Schmähungen auf die Gaskammern und Vernichtungslager Bezug. Richter und Staatsanwälte, die an Prozessen gegen NS-Verbrecher beteiligt waren, sowie Polizeidienststellen und Zeitungsredaktionen erhielten anonyme Schreiben mit Drohungen im Stil des Nationalsozialismus. Relativ häufig sind nach wie vor antisemitische Beleidigungen jüdischer Mitbürger aus Anlaß persönlicher Streitigkeiten oder unter Alkoholeinfluß (53 Fälle). Derartige Delikte werden von den Gerichten empfindlich geahndet. So hat das Amtsgericht Hannover einen mehrfach vorbestraften Angeklagten wegen antisemitischer Beleidigung und Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten verurteilt. d) Flugschriften und Plakataktionen In 30 Fällen haben unbelehrbare Antisemiten und Nationalsozialisten Hetzschriften verbreitet. Diese meist sehr primitiven Pamphlete wurden mit der Post an Ministerien und Behörden gesandt oder in Hausbriefkästen eingeworfen. In Köln und Düsseldorf verstreuten unbekannte Täter auf Straßen und Plätzen Flugzettel einer angeblichen US-Untergrund-organisation. Darin wurden die Juden aufgefordert, Europa zu verlassen. In Frankfurt tauchten Flugblätter einer fingierten „Deutschen Widerstandsbewegung gegen nationale Unterdrückung und antideutsche Umtriebe" mit antisemitischer Hetze auf. Sie enthielten beleidigende Äußerungen gegen mehrere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Einem evangelischen Pfarrer ging eine Hetzschrift zu, in der das Christentum als „jüdische Propagandalehre“ bezeichnet wurde.

Da die Flugschriften in der Regel anonym verbreitet werden, sind die Ermittlungen langwierig. Drei der bisher identifizierten Pamphletisten sind wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit unzurechnungsfähig. e) Schmieraktionen Diese Delikte bilden mit 228 Fällen die stärkste Gruppe (vgl. Skizze 7). Unpolitischer Unfug von Kindern und Jugendlichen überwiegt. Unter den restlichen Fällen sind die Sudeleien an Gotteshäusern und Friedhöfen hervorzuheben. In der Nacht zum 31. Januar malten unbekannte Täter mit Teerfarbe ein großes Hakenkreuz an den Eingang der Synagoge in Augsburg. Im Juli wurden an eine Kapelle in Nenkersdorf, Krs. Siegen, ein Hakenkreuz und die Worte „Es lebe Adolf Hitler", im Januar an das Portal der evangelischen Kirche in Meinsheim die Parole „Juden raus" geschmiert. Auch in Rinteln, Bürstadt und Neresheim wurden Kirchen mit Hakenkreuzen besudelt. Ähnliche Taten ereigneten sich auf christlichen Friedhöfen in Mainz, Kassel und Aachen.

Im Oktober verurteilte das Jugendschöffengericht in Bad Hersfeld vier Täter im Alter von 19 und 20 Jahren, die durch das Schmieren von Hakenkreuzen und gewerkschaftsfeindlichen Parolen „das Volk aufrütteln" wollten, zu Jugendstrafen von je sieben Monaten. i) Sonstige Störaktionen Unter den 57 einschlägigen Vorfällen gab es neben reinen Unfugtaten wie dem Absingen von NS-Liedern auch zahlreiche politisch motivierte Fälle. Relativ häufig wurden antisemitische Ansichten in Gaststätten unter Alkoholeinfluß vertreten. 10. Täter-und Motivanalyse Die Strafverfolgungsbehörden haben bisher 163 der 449 Straftaten aufgeklärt und 224 Täter ermittelt. Von ihnen sind 129 jünger als 30 Jahre. Die Altersgliederung weicht nur durch einen bemerkenswert hohen Anteil an Kindern vom Durchschnitt der Vorjahre ab:

Die Täter sind zum überwiegenden Teil Arbeiter, unselbständige Handwerker und Büroangestellte. Im Gegensatz zu den Vorjahren befinden sich unter ihnen jedoch auch mehrere Angehörige selbständiger und akademischer Berufe sowie vier Studenten. 14 Täter sind Ausländer.

Die Anlayse der Tatmotive führt zu folgenden Ergebnissen: 30 Personen handelten aus nazistischer Gesinnung oder als unbelehrbare Antisemiten. Sieben von ihnen waren Mitglieder rechtsextremer Parteien und Vereinigungen. 57 Personen begingen die Taten im Affekt oder unter Alkoholeinfluß. Dabei haben tief-verwurzelte politische Ressentiments mitgewirkt. Mehrere dieser Täter sind wegen krimineller Verfehlungen vorbestraft. 71 Täter begingen vorwiegend unpolitisch motivierte Unfughandlungen. Die Übergänge zur Gruppe der politischen Affekt-und Rauschtäter sind indes fließend. Es ist daher nicht auszuschließen, daß auch bei dieser Gruppe rechtsextreme Vorstellungen mit im Spiel sind. 53 Täter waren Kinder. Sie verübten Friedhofsschändungen oder Hakenkreuzschmierereien, nicht selten zu mehreren gemeinsam.

13 Täter waren infolge krankhafter Störung der Geistestätigkeit unzurechnungsfähig. Aufschluß über die Zahl der in früheren Jahren ermittelten Täter und ihre Motive gibt die folgende Statistik:

IV. Strafverfolgung und behördliche Maßnahmen

Presse im Ausland

Im vergangenen Jahre wurden 72 Personen •— darunter vier Frauen — wegen Straftaten mit rechtsextremem oder antisemitischem Hintergrund verurteilt. 60 dieser Urteile sind rechtskräftig. In 21 weiteren Fällen wurde Anklage erhoben. Seit 1960 ergingen insgesamt 806 einschlägige Urteile. Die jährlichen Ergebnisse der Strafverfolgung sind in Skizze 8 dargestellt. Die Graphik gibt zugleich Aufschluß über die Straftatbestände. In dem genannten Zeitraum wurden verhängt: 18 Zuchthausstrafen, davon 16 gegen Ausländer, 29 Gefängnis-und Jugendstrafen von einem bis zu fünf Jahren, davon 11 gegen Ausländer, 62 Gefängnis-und Jugendstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr, davon fünf gegen Ausländer, 295 Gefängnisstrafen unter sechs Monaten, davon sieben gegen Ausländer, 283 Geld-bzw. Haftstrafen (die neben Gefängnis verhängten Geldstrafen sind in dieser Statistik nicht erfaßt), 117 Maßregeln und Zuditmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz, 2 Unterbringungen in Heil-oder Pflegeanstalten. (Als Nebenfolge ihrer Verurteilung wurden drei Täter in Trinkerheilanstalten eingewiesen.) Sechs der im letzten Jahre Verurteilten waren Mitglieder rechtsextremer Parteien oder Vereinigungen. Damit erhöht sich die Zahl der seit 1960 abgeurteilten Täter aus rechtsradikalen Organisationen auf insgesamt 104. Das sind 13 Prozent der in diesem Zeitraum wegen der genannten Delikte bestraften Personen. Durch Urteile des 3. Strafsenats des Bundes-gerichtshofes vom 24. März bzw. 22 Juni 1966 wurden die nazistischen Bücher „Irrlichter" von Gerhard Fischer und „Standartenoberjunker Normann" von Werner Nixdorf eingezogen. Die Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmten außerdem zahlreiche Druckschriften des internationalen Faschismus, die „Adolf Hitler" -Erinnerungen des NS-Kulturfunktionärs Dr. Hans Ziegler, ein Buch des Südtirolterroristen Dr. Norbert Burger („Südtirol -— wohin?", Druffel-Verlag) sowie Schallplatten mit nationalsozialistischen Liedern, Reden und Verlautbarungen.

Im Frühjahr 1966 ergingen zwei Verbote rechtsextremer Vereinigungen. Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz löste die Ortsgruppe des soldatischen Traditionsverbandes „Stahlhelm e. V. — Bund der Front-soldaten“ in Bad Bergzabern wegen verfassungsfeindlicher Tendenzen auf. Kurz darauf verfügte der Niedersächsische Minister des

Innern die Auflösung einer im Kreis Uelzen entstandenen „Vereinigung der ehemaligen SS-Division Nordland", weil sie sich durch Pflege der SS-Tradition gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete. Beide Entscheidungen sind rechtskräftig. Das Bundesverwaltungsgericht wies am 15. Juli 1966 die Beschwerde des „Bundes Vaterländischer Jugend" (BVJ) gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichts vom 25. August 1965 zurück. Damit ist auch die Auflösung dieser verfassungsfeindlichen Jugendgruppe rechtskräftig geworden.

Die Grenzüberwachungslisten der Bundesrepublik Deutschland enthalten 39 Namen ausländischer Faschisten, gegen die Einreiseverbote verfügt oder sonstige Überwachungsmaßnahmen angeordnet wurden. Grenz-und Aufenthaltssperren bestehen u. a. gegen mehrere ausländische Südtirol-Terroristen und ihre Hintermänner.

V. Geistige Auseinandersetzung und politische Bildung

Skizze 2 NPD-Schwerpunkte

Das Auftreten der NPD hat in der demokratischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland scharfe Proteste ausgelöst. Aufrufe von Einzelpersönlichkeiten, Entschließungen demokratischer Verbände und der Gewerkschaften gegen den Rechtsradikalismus und für eine aktive Verteidigung der Demokratie fanden ein breites Echo in der Bevölkerung. Bereits im Juni demonstrierten rund 20 000 Menschen in Karlsruhe gegen den Parteitag der NPD. Es wurden 100 000 Exemplare eines Flugblattes „Warnung vor der NPD" verteilt, das von 25 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterzeichnet war. In den Versammlungen der Partei traten in zunehmendem Maße politische Gegner als Diskussionsredner auf.

Öffentliche Kundgebungen in Hamburg, Tübingen und München, Schweige-und Protest-märsche in Köln, Erlangen Weingarten, Darmstadt und Nürnberg mit jeweils Tausenden von Teilnehmern — insbesondere aus Kreisen der akademischen Jugend — demonstrierten den gemeinsamen Willen, allen chauvinistischen und neofaschistischen Entwicklungen von Anfang an entgegenzutreten.

Das Anwachen der NPD hat der bisherigen Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik neue Akzente verliehen. Regierungen und Parlamente des Bundes und der Länder bekundeten wiederholt ihre Entschlossenheit, jede Möglichkeit des geltenden Rechts zur Abwehr rechtsradikaler Tendenzen zu nutzen. Die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung, Universitäten, Volkshochschulen, politische Arbeitskreise, Kirchen und Jugendorganisationen haben durch Seminare, Vorträge und Schriften aufgeklärt. Presse, Funk und Fernsehen sowie Parteien und Gewerkschaften haben die öffentliche politische Bildungsarbeit wirksam unterstützt. Beschlüsse mehrerer Gewerkschaften richteten sich gegen Gefahren von rechts. Das Deutsche Industrieinstitut warnte die deutsche Wirtschaft vor einer Unterstützung der Rechtsextremisten, In einzelnen Bundesländern einigten sich Vertreter verschiedeB ner politischer Richtungen im Kampf gegen jede Form des Totalitarismus, der Volksverhetzung und des Rassenwahns. Private Verlage veröffentlichten eine Reihe kritischer Darstellungen über den Nährboden und die Argumen-tation des Rechtsradikalismus. Die geistige Auseinandersetzung mit dem Gefühlsnationalismus und der oberflächlichen Agitation der extremen Rechten tritt neben die Maßnahmen der staatlichen Exekutive.

VI. Schlußbemerkung

Skizze 2 NPD-Schwerpunkte bei den Landtagswahlen am 6.11.1965 in Hessen

I. Die NPD ist zum Zentrum des gesamten Rechtsradikalismus geworden. Mehr als zwei Drittel aller rechtsextremen organisierten Bundesbürger gehören ihr heute als Mitglied an. Ihr Auftreten nach außen wird wesentlich von taktischen Erwägungen bestimmt. Um Wähler und neue Mitglieder zu gewinnen, ist sie in der Öffentlichkeit zurückhaltend. In Wahrheit hält die Partei jedoch an ihren rechtsextremen Zielen fest. Die Staatsschutzorgane werden die NPD auch künftig mit Vorrang beobachten. Hierzu besteht mit Rücksicht auf ihre ideologischen Verlautbarungen und wegen der Konzentration überzeugter Rechtsextremisten in den Führungsgremien besondere Veranlassung. Auch die zu Randerscheinungen abgesunkenen übrigen Gruppen und Grüppchen des nationalen Lagers bedürfen der weiteren Überwachung, da sie noch immer Nährboden des Rassenhasses und antidemokratischer Tendenzen sind. 2. Eine weitere Quelle extrem-nationalistischer Vorstellungen fließt aus rechtsradikaler Publizistik und Presse, die steigende Auflagen haben. Wenn auch ihre Resonanz im Vergleich mit den Millionenauflagen der demokratischen Publikationsorgane relativ gering ist, so bildet sie doch eine ernst zu nehmende Gefahr für die politische Willensbildung eines Teiles der Bevölkerung. Zahlreiche antisemitisch und nazistisch motivierte Straftaten gehen auf den unheilvollen Einfluß rechtsradikaler Druckerzeugnisse zurück. Die Möglichkeiten staatlicher Gegenmaßnahmen sind auf diesem Gebiet begrenzt. Um so mehr gilt es, der rechtsextremen Pressepolemik sachlich fundierte Informationen entgegenzusetzen. Darüber hinaus muß es Aufgabe einer breiten politischen Bildungsarbeit sein, die demokratischen Abwehrkräfte zu stärken. Die notwendige politische Aufklärungsarbeit muß sich mehr als bisher auch an die junge Generation wenden. Es wird darauf ankommen, die Nationalisten der äußersten Rechten als ideologische Restbestände einer verhängsnisvollen Vergangenheit und ihre Agitation als Demagogie zu entlarven. Anhang Auswahl neuerer Literatur über den Rechtsradikalismus Auf dem Prüfstand der Demokratie. Zur Analyse und geistigen Auseinandersetzung mit der NPD, Mainz 1966.

Bessel-Lorck/Sippel/Götz, National oder radikal? Der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland, Mainz 1966.

Fetscher, Iring, Rechte und rechtsradikale Tendenzen in der Bundesrepublik, in: Internationale Gruppenbeziehungen, Studienbüro für politische Bildung e. V., Frankfurt/Main 1966.

Fetscher, Iring, Helga Grebing u. a., Rechtsradikalismus, Frankfurt/Main 1967.

Frederik, Hans, NPD — Gefahr von rechts?, München—Inning 1966.

Götz, Wolfgang und Joachim Sieden, . . . bis alles in Scherben lallt? Zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus, Mainz 1967.

Haungs, Peter, Gefahr von rechts? Nr. 52 der Schriftenreihe „Freiheit und Ordnung", Mannheim 1967.

Maier, Hans, NPD — Struktur und Ideologie einer „nationalen Rechtspartei", München 1967.

Richert, Fritz, Die nationale Welle. Masche, Mythos und Misere einer neuen Rebellion von rechts, Stuttgart 1966.

Ritter, Waldemar und Ernst Eichengrün, Informationen für Demokraten — NPD, Schriftenreihe der Jungsozialisten, Bonn 1967.

Scheuch, Erwin K. und Hans D. Klingemann, Materialien zum Phänomen des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik 1966, in: Beiträge zur politischen Soziologie, Köln 1967.

Smoydzin, Werner, Hitler lebt. Vom internationalen Faschismus zur Internationale des Hakenkreuzes, Pfaffenhofen 1966.

Smoydzin, Werner, NPD — Geschichte und Umwelt einer Partei. Analyse und Kritik, Pfaffenhofen 1967.

Sontheimer, Kurt, Zur Nationalismus-Diskussion in der Bundesrepublik. Sonderdruck eines Beitrages in Heft 18 der Zeitschrift TRIBÜNE mit dem Titel „Die Wiederkehr des Nationalismus in der Bundesrepublik".

Sontheimer, Kurt, Eberhard Stammler, Hans Heigert, Sehnsucht nach der Nation? Drei Plädoyers, München 1966.

Stammler, E., Verschwörung für die Demokratie, München 1966.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 12. März 1967, an denen sich die NPD nicht beteiligte, erhielt die AUD insgesamt 15 540 Stimmen = 1, 1 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Weitere Inhalte

In dieser Ausgabe wird der Bericht des Bundesministerium des Innern über die im Jahre 1966 beobachteten rechtsradikalen Bestrebungen in der Bundesrepublik veröffentlicht.