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Die neue Verfassung der DDR | APuZ 23/1968 | bpb.de

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APuZ 23/1968 Die neue Verfassung der DDR

Die neue Verfassung der DDR

Dietrich Müller-Römer

I. Kommunistische Deutschlandpolitik und mitteldeutsches Verfassungsrecht

Inhalt I. Kommunistische Deutschlandpolitik und mitteldeutsches Verfassungsrecht II. Die bisherige Verfassungsentwicklung in Mitteldeutschland III. Der ideologische neuen Verfassung VII. Die Machtorgane IX. Die Grundrechte Hintergrund IV. Die Entstehung der Verfassung sozialistischen V. Politische Grundsatzbestimmungen VI. Die Wirtschaftsverfassung VIII. Sozialistische Rechtspflege der

Politische Umstände haben die inhaltliche Ausgestaltung und den Zeitpunkt, zu dem die neue DDR-Verfassung verabschiedet worden ist, beeinflußt. Dies ist am besten zu verstehen, wenn man einen Blick auf die zweigleisige Deutschlandpolitik der Sowjets seit dem Kriege wirft.

Die sowjetische Politik zielte in den ersten Nachkriegsjahren darauf ab, einerseits ein schwaches, neutralisiertes Gesamtdeutschland als einheitlichen Staat zu schaffen, andererseits die Basis kommunistischer Macht innerhalb Deutschlands durch die Schaffung vollendeter Tatsachen in der eigenen Besatzungszone möglichst auszubauen, so daß eine spätere kommunistische Machtergreifung nach volksdemokratischem Muster erfolgversprechend erschien. Es mag genügen, als Beispiele für diese Zweigleisigkeit einerseits die Einsetzung einer überwiegend aus deutschen Kommunisten bestehenden Regierung für die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands im Oktober 1949 und andererseits den sowjetischen Friedensvertragsentwurf für ganz Deutschland vom März 1952 zu nennen. So ist es auch erklärlich, daß sich die bisherige Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 in ihren Formulierungen vielfach an die Weimarer Reichsverfassung von 1919 anlehnte, weil sie ursprünglich für ganz Deutschland konzipiert war. Gültigkeit erlangte sie 1949 allerdings nur in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. In dem Maße, wie die Widerstände gegen das sowjetische Deutschland-konzept wuchsen, schwand auch die Hoffnung der Kommunisten, den Geltungsbereich dieser Verfassung auf die übrigen Teile Deutschlands auszudehnen. In der Folgezeit hatte die Verfassung aus dem Jahre 1949 deshalb nur noch die Funktion, den Bolschewisierungsprozeß, der in der Sowjetzone stattfand, zu verschleiern. Die demokratische Fassade dieser Verfassungsurkunde wurde der SED-Führung im Laufe der Zeit mehr und mehr zum Ärgernis, weil die Verfassungswirklichkeit immer wieder an den rechtsstaatlichen Formulierungen der formell noch gültigen Verfassung gemessen wurde.

Da die mitteldeutschen Machthaber bereits jahrelang offen die Verbindlichkeit des sowjetischen Modells für den von ihnen beherrschten Teil Deutschlands proklamieren, war schon seit einiger Zeit zu erwarten, daß dies auch in einer neuen Verfassung seinen Niederschlag finden würde. Seit Jahren waren in Mitteldeutschland immer wieder Stimmen laut geworden, die eine solche neue Verfassung verlangten. So schlug beispielsweise Ende 1962 die SED-Parteiorganisation an der Rechts-wissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena in einem Schreiben an die Abteilung Wissenschaft beim Zentralkomitee der SED vor, „konkrete Maßnahmen zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu beschließen", weil die neue gesellschaftliche Entwicklungsperiode auch eine neue Staatsverfassung erfordere.

Mancherlei Gründe haben dazu geführt, daß erst jetzt eine neue Verfassung in Mittel-deutschland verabschiedet worden ist. Als sich vor Jahren Chruschtschow mit dem Plan trug, bald eine neue Verfassung für die Sowjetunion zu erlassen, die die Stalinsche Verfassung aus dem Jahre 1936 ablösen sollte, schien es der Ostberliner Führung sinnvoll, eine sozialistische Verfassung für die DDR erst nach der Veröffentlichung der neuen Sowjet-verfassung zu verabschieden. Später waren die neuen sowjetischen Führer um so eher geneigt, Ulbrichts Wunsch nach einer neuen Verfassung zu entsprechen, weil sie durch dessen Erfüllung keine zusätzliche Unruhe in ihrem europäischen Einflußbereich befürchten mußten. Sie hofften im Gegenteil, dadurch der völkerrechtlichen Anerkennung des kommunistisch regierten Staatsgebildes auf deut-deutschem Boden und damit der Konsolidierung der für sie günstigen Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges ein erhebliches Stück näher zu kommen.

Den sowjetischen und deutschen Kommunisten geht es also im Augenblick vornehmlich darum, die Tatsache rechtlich zu fixieren, daß ein Teil Deutschlands kommunistisch regiert wird. Ulbricht hat das in seiner Rede zur Begründung des Verfassungsentwurfs vor der Volkskammer am 31. Januar 1968 so ausgedrückt: „Unsere neue Verfassung wird es jenen, die es heute noch nicht verstehen, klarmachen:

Die sozialistische Deutsche Demokratische Republik ist kein Provisorium."

Die verfassungsrechtliche Zementierung der Spaltung unseres Landes und die gewünschte rechtliche Anerkennung dieses Zustandes durch die Staatengemeinschaft sollen in den Augen der SED-Führer dazu dienen, die Basis abzusichern, von der aus ständig versucht wird, auch die Bundesrepublik im kommunistischen Sinne umzuformen. Der Modellcharakter der neuen Verfassung für die Bundesrepublik wird jedenfalls unüberhörbar betont. So ist bereits in ihrer Präambel davon die Rede, daß die sozialistische Verfassung der DDR „der ganzen deutschen Nation den Weg in eine Zukunft des Friedens und des Sozialismus weisen" will. In Art. 8 der neuen Verfassung wird „die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus" zum Verfassungsauftrag für Regierung und Bürger der DDR erhoben Die zitierten Wendungen deuten auf den politischen Kern der neuen Verfassung hin. Die sozialistische Verfassung der DDR soll einen Markstein auf dem Wege zu einem kommunistisch regierten Gesamtdeutschland bilden.

Den Weg bis zur Lösung der deutschen Frage im kommunistischen Sinne unterteilte Ulbricht in seiner Rede zur Begründung des Verfassungsentwurfs in verschiedene Etappen. Am Anfang müßte seiner Ansicht nach der Abschluß von Verträgen über Gewaltverzicht und gleichberechtigte staatliche Beziehungen sowie die Einigung beider deutscher Staaten über gleichzeitige Anträge auf Aufnahme in die Vereinten Nationen stehen. Weiterhin hätte die Bundesrepublik die Pariser Verträge über ihre Eingliederung in das westliche Bündnis-system zu kündigen und ihren Austritt aus der NATO zu erklären. Es werden also lauter einseitige Vorleistungen der Bundesrepublik gefordert, die im Ergebnis ein kommunistisch regierter Staat gleich der DDR werden soll.

Schon die Erwägung anderer Möglichkeiten zur Überwindung der deutschen Spaltung verstößt gegen die neue Verfassung. Danach werden Kompromißlösungen etwa im Sinne eines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus von der gegenwärtigen SED-Führung jetzt auch verfassungsrechtlich für unzulässig erklärt.

Zumindest für die gegenwärtige SED-Führung ist also die augenblickliche Phase der sowjetischen Deutschlandpolitik als einer Strategie der Spaltung Deutschlands nur ein Zwischenspiel, das der Konsolidierung und rechtlichen Absicherung der kommunistischen Herrschaft über einen Teil Deutschlands dienen soll. Von dieser Basis aus kann aber zu gegebener Zeit wieder zur Durchbruchsstrategie mit dem Ziel der Schaffung eines kommunistischen Gesamt-deutschlands übergegangen werden.

Diese Funktion der neuen Verfassung als Instrument der kommunistischen Deutschland-politik wird auch erkennbar, wenn man prüft, welche Auffassung zur Berlinfrage in der neuen Verfassung zu finden ist. Es heißt dazu in Art. 1 lediglich, daß Berlin die Hauptstadt der DDR sei. Mit Rücksicht auf die sowjetische Besatzungsmacht, der augenblicklich nichts an einer akuten Berlinkrise zu liegen scheint, hat sich die SED-Führung darauf beschränkt, im Verfassungstext ihre Behauptung, ganz Berlin liege auf dem Gebiet der DDR, nur durch diese Formulierung zu verankern. Nimmt man die Rede Ulbrichts zur Begründung des Entwurfs hinzu, liest man es deutlicher:

„Den Abmachungen der Siegermächte entsprechend, unterliegt West-Berlin einem Besatzungsregime der vier Mächte. Es ist ein besonderes politisches Gebiet."

Damit wird der Eindruck erweckt, als ob der Sowjetsektor Berlins nicht der Viermächte

Kontrolle untersteht. Andererseits will man den Sowjets für West-Berlin ein Mitspracherecht verschaffen, dessen diese sich selbst durch ihren Auszug aus der alliierten Kommandantur für Berlin 1948 begeben haben. Aus dem Viermächte-Status Berlins möchte Ulbricht also einen solchen allein für West-Berlin machen. Damit soll der gegenwärtige Zustand in Berlin weiter zugunsten der DDR verändert und ein Mitspracherecht in West-Berliner Angelegenheiten erreicht werden.

II. Die bisherige Verfassungsentwicklung in Mitteldeutschland

Die Machthaber im anderen Teil Deutschlands betrachten die dortige Verfassungsentwicklung als einen positiven Prozeß. Die neue sozialistische Verfassung bewerten sie deshalb als einen Fortschritt gegenüber der bisherigen Verfassung. So meinte Ulbricht am 1. Dezember 1957: „Die Verfassung des Jahres 1949 hat uns und unserem sozialistischen Staat gute Dienste beim Voranschreiten in eine glückliche Zukunft und bei der Errichtung der Fundamente des Sozialismus geleistet. Die neuen Bedingungen unserer gesellschaftlichen Entwicklung, die wir uns selbst geschaffen haben, die neuen Aufgaben und die weiteren Horizonte der sozialistischen Gesellschaft und des sozialistischen deutschen Staates erfordern die neue Verfassung."

Diese „guten Dienste" konnte die Verfassung vom 7. Oktober 1949 den mitteldeutschen Kommunisten nur leisten, weil diese von Anfang an die Verfassung nur teilweise verwirklichten, den Verfassungstext oft entgegen seinem Wortlaut und Sinn auslegten und ganze Teile der Verfassung bald durch neue Gesetze gegenstandslos machten, ohne allerdings den Verfassungstext selbst zu ändern.

Die Verfassung des Jahres 1949 ging zwar auf einen Entwurf der SED aus dem Jahre 1946 zurück trug aber in manchen Teilen den Stempel eines Kompromisses mit den anderen beiden Parteien, die damals noch in beschränktem Maße eigener politischer Willensbildung fähig waren, CDU und LDP Weil man außerdem mit Vorbedacht an Formulierungen der Weimarer Reichsverfassung angeknüpft hatte, wies der Verfassungstext kaum Anklänge an das sowjetische Modell auf und ließ — für sich betrachtet — nicht vermuten, daß er als Grundgesetz eines kommunistisch regierten Staatsgebildes auf deutschem Boden dienen könnte.

Zu den Teilen der Verfassung, die von Anfang an niemals voll verwirklicht worden sind, gehören die Bestimmungen über die Grundrechte und die Wahlen. Die Grundrechte der Verfassung von 1949 durften niemals dazu dienen, im Konfliktfall dem einzelnen Schutz gegenüber der Staatsgewalt zu bieten, obwohl in der dazugehörigen Abschnittsüberschrift von den „Grenzen der Staatsgewalt" die Rede war, die Verfassung also ersichtlich von einem staats-freien Raum zur persönlichen Entfaltung des Bürgers ausging. Wahlen im Sinne eines Auswählens zwischen mehreren Parteien, die miteinander um die Macht konkurrieren, hat es in der DDR seit 1949 nicht mehr gegeben. Die von Art. 51 Absatz 2 der bisherigen Verfassung vorgeschriebene Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts hat es nie gegeben. Seit 1949 ist nämlich stets nur ein einheitlicher Wahlvorschlag der „Nationalen Front des demokratischen Deutschlands" aufgestellt worden. Bei nur einem Wahlvorschlag können aber Zahlen abgegebener Stimmen nicht miteinander ins Verhältnis gesetzt werden, da alle Stimmen nur für oder gegen einen einzigen Vorschlag abgegeben werden.

Die Umfunktionierung des an rechtsstaatliche Vorbilder angelehnten Grundrechtskatalogs der bisherigen Verfassung im Sinne der marxistisch-leninistischen Verfassungen wurde seit 1949 durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis vorgenommen So konnte Ulbricht bereits 1958 erklären:

„Die sozialistischen Persönlichkeitsrechte, die von den engen Grundrechten der bürgerlichen Verfassung weit verschieden sind, bilden sich daher immer mehr und mehr heraus. Die in der Verfassung festgelegten Grundrechte haben im Leben eine Weiterentwicklung erfahren."

Entgegen seinem Wortlaut und Sinn wurde der Text der bisherigen Verfassung besonders bei den persönlichen Freiheitsrechten nach ideologischen und aktuell-politischen Gesichtspunkten einengend ausgelegt. So ist beispielsweise trotz der rechtsstaatlich formulierten Bestimmung des Art. der bisherigen Verfassung die Freiheit der Meinungsäußerung darauf beschränkt, daß sich jedermann öffentlich zustimmend über die Zustände in der DDR äußern kann. Kritik daran ist nur erlaubt und erwünscht, sofern dadurch die von Partei und Staatsführung proklamierte Entwicklung gefördert wird. Andere Meinungsäußerungen wurden und werden heute noch häufig bestraft 9). In der Betrachtungsweise der SED verengt sich somit das Recht auf Meinungsfreiheit zu dem zweckgebundenen „Recht, Mißstände aufzudecken", also zu dem „Recht auf Meinungsstreit gegen alles, was hindert und hemmt."

Auch andere Grundrechte wurden parteilich gehandhabt, wie das folgende, besonders krasse Beispiel zeigt. 1955 lehnte eine Dienststelle der Volkspolizei einen Antrag auf Über-siedlung nach Westdeutschland ab. Der Antragsteller hatte sich auf die Art. 8 und 10 der ersten DDR-Verfassung berufen, in denen das Recht niedergelegt war, sich an einem beliebigen Ort niederzulassen bzw. auszuwandern. Die Bezirkspolizeibehörde Dresden begründete ihren ablehnenden Bescheid damit, das

Grundrecht auf Auswanderung treffe in diesem Fall nicht zu, da das Bundesgebiet kein Ausland sei. Auch das Recht auf Freizügigkeit sei durch den ablehnenden Bescheid nicht verletzt, denn es gelte nur für das Gebiet der DDR

Die Ordnung der Regierung und Verwaltung, wie sie durch die erste Verfassung der DDR 1949 festgelegt worden war, wurde schon kurz nach Inkrafttreten der Verfassung geändert.

Nach der Verfassung von 1949 gliederte sich die DDR in fünf Länder, die ihre Angelegenheiten selbst ordneten und über die Länderkammer an der Gesetzgebung der Republik mitwirkten. Innerhalb der Länder gliederte sich die Verwaltung in Kreise und Gemeinden, denen ihrerseits verfassungsrechtlich die kommunale Selbstverwaltung garantiert war. Bereits 1952, nachdem die SED zuvor auf ihrer 2. Parteikonferenz den Beginn des Aufbaus des Sozialismus proklamiert hatte, wurde die territoriale Organisation, wie sie in der Verfassung niedergelegt worden war, grundlegend geändert. Die Kreisgebiete wurden neu gegliedert und jeweils mehrere Kreise in Bezirken zusammengefaßt Die bestehenden Landtage und Landesregierungen lösten sich daraufhin auf. Obwohl man vom Fortbestand der Länder ausging, waren diese durch den Wegfall aller Organe zumindest handlungsunfähig geworden. Die Länderkammer, durch welche die Länder an der Gesetzgebung der Republik beteiligt waren, wurde zunächst mit Mitgliedern der neu gebildeten Bezirkstage besetzt und erst Ende 1958 aufgelöst Mit der Aufhebung der Finanzhoheit der Kreise und Gemeinden im Dezember 1950 war bereits das Kernstück der kommunalen Selbstverwaltung beseitigt worden. Seit den Reformen des Sommers 1952 gelten Gemeinden und Kreise nur noch als örtliche Organe der einheitlichen Staatsmacht. Aus sich selbst verwaltenden Gebietskörperschaften sind territoriale Verwaltungseinheiten geworden, deren Organisation und Aufgaben sich jetzt nach den Ordnungen von 1961 regeln Trotz dieser völligen Beseitigung der Länder und der kommunalen Selbstverwaltung sind die einschlägigen Bestimmungen der Verfassung von 1949 formell niemals aufgehoben worden.

Das 1949 in der Verfassung festgelegte Regierungssystem wurde gleichfalls umgestaltet. Durch mehrere Gesetze wurde seit 1952 die Regierung der Republik, die laut Art. 91 der Verfassung aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern besteht, in ein Kollegium der obersten Behördenchefs verwandelt, das sich Ministerrat nennt Wichtige militärpolitische Entscheidungsbefugnisse wurden Anfang 1960 einem besonderen Gremium übertragen, dem Nationalen Verteidigungsrat Wesentliche Regierungsfunktionen gingen Ende 1960 vom Ministerrat auf den Staatsrat über, der zugleich kollektives Staatsoberhaupt ist und gewisse Aufgaben eines Parlamentspräsidiums wahrnimmt Ihm unterstehen nicht nur Ministerrat und Nationaler Verteidigungsrat, sondern auch die Staatsanwaltschaften und Gerichte. Damit konzentriert sich im Staatsrat und innerhalb dieses Gremiums bei dessen Vorsitzenden die politische Macht im „Staatsapparat". Dies entspricht den Vorstellungen der kommunistischen Verfassungslehre von der Gewaltenvereinigung. In der Personal-union zwischen Parteichef und Vorsitzendem des Staatsrates, wie sie gegenwärtig in der Person Ulbrichts gegeben ist, liegt eine zusätz-liche Garantie für die reibungslose Übertragung des Willens der Parteiführung auf dn gesamten „Staatsapparat".

Kein Abschnitt und fast kein Artikel der bisherigen Verfassung der DDR blieb von dieser Entwicklung verschont. Trotzdem wurde der Verfassungstext nur zweimal geändert und einmal ergänzt. Die angeführten Beispiele zeigen, daß die Verfassungsentwicklung weitgehend ohne Veränderung der Verfassungsurkunde im Wege des Erlasses sogenannter verfassungsgleicher Gesetze und parteilicher Auslegung der Verfassungsnormen im Sinne der SED gelenkt wurde

Das Ergebnis der Verfassungsentwicklung neben und entgegen der Verfassungsurkunde war schließlich, daß in den letzten Jahren die entscheidenden und charakteristi-tischsten Bestimmungen des Verfassungsrechts der DDR in einer Vielzahl von Gesetzen außerhalb der Verfassung vom 7. Oktober 1949 zu finden waren. Die neue Verfassung übernimmt jetzt einen Großteil dieser schon bestehenden Rechtssätze und macht sie damit auch formell zu Verfassungsrecht. Insofern bietet die zweite Verfassung der DDR wenig Neues. Anders steht es allerdings mit dem weltanschaulichen Hintergrund, der in der bisherigen Verfassung praktisch keinen Niederschlag gefunden hatte. Wichtige Kernsätze der marxistisch-leninistischen Weltanschauung werden durch die neue Verfassung in den Rang von Verfassungssätzen erhoben.

III. Der ideologische Hintergrund der neuen Verfassung

In der Präambel bereits wird das neue Grundgesetz für Mitteldeutschland als sozialistische Verfassung bezeichnet. Daran wird die weltanschauliche Bindung und die marxistisch-leninistische Auffassung von Wesen und Funktion des Staates und seiner Verfassung erkennbar. Der Marxismus-Leninismus versteht nämlich, was Nichtkommunisten leicht übersehen, unter Sozialismus lediglich eine zeitlich begrenzte, geschichtlich notwendige Durchgangsperiode.

Der historische Materialismus als kommunistische Geschichtslehre begreift die ganze menschliche Geschichte als einen wirtschaftlich verursachten, zwangsläufigen Prozeß, der durch menschliches Handeln lediglich gehemmt oder beschleunigt, keinesfalls aber aufgehalten oder in seiner Richtung verändert werden kann. Im Verlauf der Geschichte werde der Kapitalismus, der durch Ausbeutung der Arbeitnehmer mittels des Privateigentums an den Produktionsmitteln und zunehmende Monopolisierung der wirtschaftlichen und politischen Macht gekennzeichnet sei, durch die proletarische Revolution beseitigt. Dies sei erstmals 1917 in Rußland, durch die Oktoberrevolution geschehen. Der revolutionäre Umsturz wurde durch die straff organisierte „Avantgarde des Proletariats", die kommunistische Partei, bewerkstelligt. Auch die mit Hilfe der Roten Armee seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa errichteten kommunistischen Regime werden von den Kommunisten als Ergebnisse proletarischer Revolutionen einheimischer kommunistischer Parteien betrachtet.

Hat eine kommunistische Partei — auf welche Weise auch immer — die Macht im Staat ergriffen, wird dieser zum wichtigsten Instrument, mit dem die Parteiführung im Prozeß der „Revolution von oben" ihre Zukunftsvorstellungen zu verwirklichen sucht. Die kommunistischen Theoretiker aller Schattierungen sind sich seit Lenin darin einig, daß die nach-revolutionäre Epoche in mehrere Perioden zerfällt. Zunächst gelte es, die besiegten, aber noch nicht endgültig geschlagenen Kapitalisten vollends zu entmachten. Durch Enteignungen und politische Beschränkungen werde dies erreicht. Durch Ausschaltung aller anderen Einflüsse hat die Führung der kommunistischen Partei während dieser nachrevolutionären Übergangsperiode ein Machtmonopol errungen, das sie künftig beizubehalten gedenkt. Am Ende der Übergangsperiode sei der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus abgeschlossen. Damit beginne eine neue, nämlich die sozialistische Periode, in der es gelte, die Grundlagen des Kommunismus, der endgültigen nachrevolutionären Gesellschaftsformation, zu schaffen. Die sozialistische Periode ist nach marxistisch-leninistischer Auffassung in erster Linie dadurch gekennzeichnet, daß die Ausbeutung des arbeitenden Menschen beseitigt sei durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und das Prinzip verwirklicht werde: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung." Diese ideologischen Formeln tauchen deshalb in Art. 2 Absatz 3 der sozialistischen Verfassung der DDR als Rechtssätze auf.

Nach kommunistischem Selbstverständnis soll die zweite Verfassung der DDR die Vollendung des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in Mitteldeutschland markieren. Sie stellt also aus ideologischer Sicht den Schlußpunkt der Verfassungsentwicklung in der Übergangsperiode zum Sozialismus dar. Gleichzeitig soll sie aber das grundlegende Gesetz für die nächsten Jahrzehnte, also die sozialistische Periode bilden. Die neue Verfassung ist somit gegenwärtige Ordnung und Programm für die Zukunft zugleich. Deshalb werden darin die Linien der Entwicklung, wie sie sich die gegenwärtige SED-Führung vorstellt und wünscht, bis in die Zukunft ausgezogen. Ulbricht betonte schon bei der Begründung des Entwurfs: „Nunmehr gibt sich unser Volk durch diese sozialistische Verfassung zugleich das Programm der staatlichen und gesellschaftlichen, ökonomischen und geistig-kulturellen Entwicklung. Die Verfassung enthält die grundlegenden Bestimmungen für die Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus und gibt die strategische Orientierung auf den Sieg des Sozialismus."

Als sozialistischer Verfassung kommt Ulbrichts Grundgesetz unter ideologischem Blickwinkel also die gleiche Bedeutung zu wie in der Sowjetunion der Stalinschen Verfassung von 1936 oder neuerdings den Verfassungen der Tschechoslowakei (1960) und Rumäniens (1965). Unter den sozialistischen Staaten Europas besitzt auch Jugoslawien in seiner Bundesverfassung von 1963 eine sozialistische Verfassung, doch wird diese von den Moskauer Führern in manchen Punkten als ketzerisch angesehen. Deshalb haben nur die drei zuerst genannten Verfassungen sowie die Überlegungen, die man in der Sowjetunion über eine neue Verfassung anstellt, die Formulierung der zweiten Verfassung der DDR maßgeblich beeinflußt.

In diesem Zusammenhang fällt auf, daß heute in der DDR ohne weitere Zusätze lediglich vom sozialistischen Staat gesprochen wird, obwohl die marxistisch-leninistische Staatslehre verschiedene Entwicklungsstufen und historische Erscheinungsformen des sozialistischen Staates kennt Ausdrücke wie Diktatur des Proletariats, Volksdemokratie oder Volksstaat, die zeitweilig auch in Mitteldeutschalnd geläufig waren, werden dort augenblicklich nicht mehr verwendet Unter Volksdemokratie verstehen die Kommunisten die neben der Sowjetdemokratie mögliche zweite sozialistische Staatsform in der Periode der Diktatur des Proletariats. Kennzeichnend für den volksdemokratischen Staat soll die noch nicht abgeschlossene Vergesellschaftung der Produktionsmittel und das Bestehen weiterer Parteien neben der führenden kommunistischen Partei sein. Da beide Staatsformen grundsätzlich gleicher Natur seien und die Unterscheidung vor allem historisch bedingt sei, wird sie heute offensichtlich auch von den Kommunisten selbst nicht mehr als besonders wichtig empfunden Schon bisher hat man Länder mit Einparteiensystemen — wie Rumänien und Albanien — stets zu den Volksdemokratien gezählt. Auch ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel in den meisten Volksdemokratien inzwischen nahezu abgeschlossen. Ursprünglich teilten alle Vertreter der marxistisch-leninistischen Staatslehre die Auffassung, daß der nachrevolutionäre Staat während der ganzen Periode des Sozialismus ein Staat der Diktatur des Proletariats sei. Seit allerdings Chruschtschow 1961 im Entwurf für das neue Parteiprogramm der KPdSU davon gesprochen hatte, daß nach dem Sieg des Sozialismus der Staat der proletarischen Diktatur zum Staat des gesamten Volkes geworden sei, war man auch in Mitteldeutschland der Meinung, der volksdemokratische Staat werde sich mehr und mehr zum Volksstaat entwickeln Entsprechende Formulierungen fanden auch Eingang in Pro-gramm und Statut der SED von 1963. In letzter Zeit ist es um den Begriff selbst still geworden, nicht zuletzt wohl deshalb, weil er der chinesischen Fraktion im Weltkommunismus Gelegenheit bot, unter Berufung auf Marx gegen die Sowjetunion zu polemisieren. Marx schnitt bekanntlich jede Diskussion über den Volksstaatsgedanken mit dem Bemerken ab, man käme „dem Problem durch tausendfache Zusammensetzung des Wortes Volk mit dem Wort Staat auch nicht um einen Flohsprung näher" Der Sache nach freilich wird der Volksstaatsgedanke in der DDR weiterhin vertreten, wenn man dort heute alle Kreise der Bevölkerung als staatstragend ansieht.

Wird der Staat lediglich als das wichtigste Instrument der kommunistischen Parteiführung zur Umformung der Gesellschaft verstanden, so liegt das Zentrum grundsätzlicher Initiativen außerhalb dieses „Staatsapparates". Im Politbüro und Sekretariat des Zentralkomitees der SED werden in Mitteldeutschland alle wichtigen Entscheidungen getroffen. Ein differenziertes System von Anweisungen, Personalunionen und Kontrollen sorgt dafür, daß die Entscheidungen der Parteiführung im staatlichen Bereich ausgeführt werden. Dementsprechend beinhaltet auch die Verfassungsurkunde nur einen Teil, noch dazu den weniger wichtigen der gesamten Rechtsverfassung. Teile des Programms, des Statuts und des Gewohnheitsrechts der SED gehen der Verfassung der DDR und dem Verfassungsrecht außerhalb der Verfassungsurkunde vor.

IV. Die Entstehung der sozialistischen Verfassung

Verfassungen sind stets Ergebnisse politischer Willensbildung. Das ist in Ost und West so. Der Unterschied zwischen der Verfassung eines demokratischen Landes und der eines kommunistisch regierten Staates oder Gebietes besteht darin, daß im einen Fall die Vorstellungen politischer Kräfte und Parteien aller Richtungen in Gestalt eines tragbaren Kompromisses Eingang in die Verfassungsurkunde gefunden haben, im anderen aber allein die Anschauungen einer Gruppe oder Partei Verfassungsrecht geworden sind.

Die neue Verfassung der DDR trägt im Gegensatz zu der aus dem Jahre 1949 praktisch keine Zeichen eines Kompromisses mit nichtkommunistischen Kräften im politischen Raum. Sie ist von den Vorstellungen der gegenwärtigen SED-Führungsspitze geprägt worden. So stark der Einfluß marxistisch-leninistischen Gedankenguts bei ihrer textlichen Gestaltung ist, hat man sich doch bemüht, die dominierende Rolle des SED-Apparates bei der Entstehung dieser sozialistischen Verfassung möglichst wenig erkennbar werden zu lassen.

Das Verfahren der Verfassunggebung zerfiel in mehrere Teile, unter denen der erste im Schoß der Parteiführung am wichtigsten war, obwohl über ihn am wenigsten bekanntgeworden ist.

Die Vorarbeiten des SED-Apparates Nachdem in Übereinstimmung mit der Moskauer Führung die grundsätzliche Entscheidung für eine neue Verfassung der DDR im Politbüro der SED gefallen war und man sich zugleich über die ersten Umrisse des Projektes geeinigt hatte, konnte Ulbricht im April 1967 auf dem VII. Parteitag der SED als Erster Sekretär des Zentralkomitees öffentlich von der Notwendigkeit einer neuen Verfassung sprechen: „Seit einiger Zeit ist sichtbar, daß die gegenwärtige Verfassung der DDR offenbar nicht mehr den Verhältnissen der sozialistischen Ordnung und dem gegenwärtigen Stand der historischen Entwicklung entspricht. In der Tat ist unsere gegenwärtige Verfassung in der Zeit der antifaschistisch-demokratischen Ordnung entstanden, über die wir bekanntlich weit hinausgewachsen sind. In der Zwischenzeit ergaben sich durch einstimmig von der Volkskammer verabschiedete Gesetze Ergänzungen und Durchführungsbestimmungen. Die Ausarbeitung einer neuen, zeitgemäßen Verfassung setzt jedoch voraus, daß die grundlegenden Probleme der neuen Periode weitgehend ausgereift sind. Ich meine: Das dürfte in naher Zukunft der Fall sein." 25a)

Anschließend trug Ulbricht die wichtigsten Überlegungen zum Inhalt der neuen DDR-Verfassung vor und versicherte sich der Zustimmung der Parteitags-Delegierten. Zwei Wochen später meinte er vor der Volkskammer: „Jetzt ist wohl die Zeit für die Ausarbeitung einer neuen, zeitgemäßen Verfassung unserer Republik gekommen." 25b)

In den folgenden Monaten drangen keine Nachrichten über das Projekt mehr in die Öffentlichkeit. Die zuständigen Mitarbeiter des zentralen Parteiapparates waren unter der Lei25a) tung von Klaus Sorgenicht, dem Leiter der Abteilung Staats-und Rechtsfragen des Zentral-komitees der SED, damit beschäftigt, anhand der vom Politbüro erteilten Richtlinien einen detaillierten Vorentwurf auszuarbeiten und die Voraussetzungen für das weitere Verfahren zu schaffen. Dieser SED-Vorentwurf zur neuen Verfassung ist anders als der Entwurf aus dem Jahre 1946 für die erste Verfassung niemals veröffentlicht worden, weil der Eindruck erweckt werden sollte, als habe erst die später eingesetzte staatliche Verfassungskommission diese Vorarbeit geleistet. Erst im November 1967 informierte Ulbricht das Plenum des Zentralkomitees seiner Partei über diese Vorarbeiten Eine Woche später erklärte er am 1. Dezember 1967 feierlich als Vorsitzender des Staatsrates vor der Volkskammer, man werde jetzt beginnen, eine neue sozialistische Verfassung auszuarbeiten Tatsächlich gab es zu diesem Zeitpunkt bereits einen Vorentwurf, den die damit beauftragten Parteidienststellen angefertigt hatten.

Die Tätigkeit der Verfassungskommission Mit der ausdrücklichen Billigung der Ulbricht-Rede durch einen Beschluß der Volkskammer und der Einsetzung einer Kommission der Volkskammer zur Ausarbeitung der sozialistischen Verfassung wurde am 1. Dezember 1967 auf Initiative der Parteiführung der staatliche Teil der Verfassunggebung eingeleitet. Als Parteichef und Vorsitzender der Verfassungskommission drückte Ulbricht der zweiten Verfassung der DDR seinen Stempel auf. Sie soll offenbar die verfassungsrechtliche Krönung seiner Laufbahn als „deutscher Staatsmann" bilden. Schon durch die Zusammensetzung der Kommission war für eine reibungslose Übertragung des verfassungsgeberischen Willens der Parteiführung auf den „Staatsapparat" gesorgt. Unter den 40 Mitglie-dem und 22 Sachverständigen der Verfassungskommission befanden sich außer Ulbricht noch vier weitere Mitglieder des Politbüros der SED (Willi Stoph, Friedrich Ebert, Erich Honecker und Herbert Warnke). Ein hauptamtlicher Mitarbeiter des Zentralkomitee-Apparates (Klaus Sorgenicht) war als Sekretär der Kommission tätig.

Ende Januar 1968 berichtete Ulbricht dem Plenum des SED-Zentralkomitees „über die Vorbereitung der sozialistischen Verfassung" Nur knapp zwei Monate nach Einsetzung der Verfassungskommission durch die Volkskammer legte Ulbricht als Vorsitzender dieser Kommission am Januar 1968 der Volkskammer bereits einen fertigen Verfassungsentwurf vor 31). Es liegt auf der Hand, daß innerhalb so kurzer Zeit ein aus 40 Mitgliedern und 22 Sachverständigen bestehendes Gremium, selbst wenn es ständig getagt hätte, ohne umfassende Vorbereitung keine verabschiedungsreife Vorlage erarbeiten konnte. Dieser Umstand allein zeigt schon, wie die Gewichte im Prozeß der neuen mitteldeutschen Verfassunggebung verteilt gewesen sind. Entscheidend waren dabei die mindestens sieben Monate dauernden Arbeiten der hauptamtlichen SED-Funktionäre, die vor dem ersten Zusammentreten der Kommission geleistet worden sind. Mit einer Entschließung vom 31. Januar 1968 nahm die Volkskammer den Verfassungsentwurf der Kommission zur Kenntnis und unterbreitete ihn „dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik zur umfassenden Aussprache"

Die „Volksaussprache"

Damit begann der dritte Teil der Verfassunggebung. Erst jetzt erfuhr die Bevölkerung Mitteldeutschlands Einzelheiten und Text des fertigen Entwurfs. Bis dahin hatten auf dessen Gestaltung nur die damit befaßten Mitarbeiter des zentralen SED-Parteiapparates und die Mitglieder und Sachverständigen der Volkskammerkommission Einfluß nehmen können. Die sogenannte Volksaussprache über den Entwurf dauerte wie die vorangegangene Behandlung durch die Kommission wiederum knapp zwei Monate. Im Februar und März 1968 fand eine Vielzahl von Versammlungen statt. Nach offiziellen Angaben sollen es mehr als 750 000 Veranstaltungen mit insgesamt rd. 11 Millionen Teilnehmern gewesen sein Jeder Haushalt hatte Anfang Februar durch Postwurfsendung den Verfassungsentwurf zugesandt erhalten mit der Aufforderung, sich an der „Volksaussprache" darüber zu beteiligen. Die daraufhin abgehaltenen „Bürgervertreterkonferenzen" waren wohlvorbereitete Veranstaltungen einer rührigen Verfassungspropaganda der SED. Möglichkeiten echter Diskussion, in der Gegenmeinungen vertreten und substantielle Änderungen des Entwurfs erreicht werden konnten, boten sie nicht.

Daraus erklärt sich die sonst unverständliche Tatsache, daß die 12 454 formulierten Änderungsvorschläge, die der Verfassungskommission aus der Bevölkerung zugegangen sind zwar zu 118 Änderungen an der Präambel und 55 der insgesamt 108 Artikel des Entwurfs geführt haben diese Änderungen aber trotz ihres Umfangs — von wenigen Ausnahmen abgesehen — nur geringfügiger Art oder redaktioneller Natur sind. Echte substantielle Verbesserungen gegenüber dem Entwurf enthält der endgültige Text der neuen Verfassung nur an zwei Stellen. Abweichend vom Entwurf ist in Art. 33 Absatz 2 festgelegt, was schon in der bisherigen Verfassung stand, daß kein Bürger einer auswärtigen Macht ausgeliefert werden darf. In Art. 20 Absatz 1 ist die Gleichheit vor dem Gesetz auch hinsichtlich des religiösen Bekenntnisses ausdrücklich festgelegt worden. Der gleiche Artikel gewährleistet in der ergänzten Fassung auch die Gewissens-und Glaubensfreiheit, von der im Entwurf nichts stand.

Bereits am 14. März 1968, also nur sechs Wochen nachdem durch die Veröffentlichung des Entwurfs die sogenannte Volksaussprache begonnen hatte, entschied die Volkskammerkommission auf der Grundlage der Anregungen und Vorschläge aus der Bevölkerung über eine Reihe von Änderungen am Text des Entwurfs und „traf Festlegungen über die Fortsetzung ihrer Arbeit" Auf dieser Sitzung hat die Kommission offenbar bereits den endgültigen Verfassungstext weitgehend fertiggestellt, denn bereits sieben Tage später berichtete ihr Sekretär am 21. März 1968 dem Plenum des Zentralkomitees der SED abschließend „über die Volksaussprache zum Entwurf der sozialistischen Verfassung der DDR und über die Tätigkeit der Vertreter der SED in der Verfassungskommission"

Der plötzlich anberaumte Volksentscheid Am 26. März 1968 erklärte die Volkskammer die „Volksaussprache" für abgeschlossen, bestätigte die überarbeitete Fassung des Entwurfs und beschloß, diesen endgültigen Text der Bevölkerung zur Entscheidung zu unterbreiten Auf der gleichen Sitzung verabschiedete die Volkskammer deshalb ein Gesetz über einen Volksentscheid, der bereits zehn Tage später, am 6. April 1968, stattfand Mit 94, 49 0/0 Ja-Stimmen brachte er der SED das gewünschte Ergebnis Schon am ersten, dem Volksentscheid folgenden Werktag verkündete Ulbricht die neue Verfassung die gemäß § 10 des Gesetzes über den Volksentscheid nach Ablauf des Tages ihrer Verkündung in Kraft trat. Seit dem 9. April 1968 besitzt Mitteldeutschland also eine sozialistische Verfassung, die nach Ulbrichts Willen das staatliche Grundgesetz für die nächsten Jahrzehnte sein soll.

Durch die Abhaltung des Volksentscheides weicht das Verfahren der Verfassunggebung von der Prozedur ab, die bisher in der DDR bei wichtigen Gesetzen — beispielsweise 1961 bei dem Gesetzbuch der Arbeit und 1965 bei dem Familiengesetzbuch — geübt worden ist. In solchen Fällen wurde eine „Volksaussprache" über den fertigen Entwurf veranstaltet, die hauptsächlich der Propagierung der neuen gesetzlichen Bestimmungen unter der Bevölkerung diente. Anschließend verabschiedete die Volkskammer die betreffende Gesetzesvorlage. Vor der Verabschiedung der neuen Strafgesetze im Januar 1968 unterblieb sogar eine derartige „Volksaussprache".

Das jetzt geübte Verfahren, nach der soge-nannten Volksaussprache noch einen Volksentscheid über die von der Volkskammer lediglich „bestätigte" Verfassungsvorlage zu veranstalten, ist um so bemerkenswerter, als die mitteldeutschen Machthaber von dieser bisher verfassungsrechtlich gegebenen Möglichkeit niemals Gebrauch gemacht haben. Seit 1949 sah die bisherige Verfassung der DDR in ihrem Art. 87 die Möglichkeit von Volksentscheiden und Volksbegehren über Gesetzes-entwürfe und in Verbindung mit Art. 83 auch für Verfassungsänderungen vor, ohne daß allerdings das dazu notwendige Verfahrensgesetz erlassen worden wäre. 1951 und 1954 fanden lediglich Volksbefragungen ohne echte Alternativvorschläge über tagespolitische Fragen statt. Das am 26. März 1968 von der Volkskammer einstimmig angenommene Gesetz regelt, wie sein § 1 ausdrücklich besagt, nur das Verfahren des Volksentscheides über die neue Verfassung. Nach Art. 53 der neuen Verfassung kann die Volkskammer künftig lediglich die Durchführung von Volksabstimmungen beschließen. Der Volksentscheid vom 6. April 1968 mit der sehr kurzen Vorbereitungszeit von nur zehn Tagen ist also eine einmalige Angelegenheit gewesen.

Der Entschluß, diesen Volksentscheid abzuhalten, muß im Politbüro der SED jedenfalls sehr kurzfristig gefaßt worden sein. Vermutlich ist das sogar erst nach Fertigstellung des endgültigen Verfassungstextes um den 20. März herum geschehen. Im Art. 21 ist nämlich davon die Rede, daß die Bürger in Volksabstimmungen ihren Willen bekunden können, während es im Entwurf an dieser Stelle noch Volksentscheid hieß. Hätte man zu diesem Zeitpunkt schon an die Abhaltung eines Volksentscheides über die neue Verfassung gedacht, wäre es ein Leichtes gewesen, dem Volksentscheid vom 6. April 1968 den Charakter der Improvisation und Einmaligkeit zu nehmen. Man hätte es dann nämlich nur in Art. 21 bei der Entwurfsfassung belassen und in Art. 53 das Wort Volksabstimmungen durch Volksentscheide ersetzen müssen.

Die Abweichung vom bisher üblichen Gesetzgebungsverfahren und die Eile, mit der die SED die neue Verfassung verabschieden ließ, weisen, darauf hin, daß dafür besondere, aktuelle Gründe Anlaß gewesen sein müssen. Sie lassen sich unschwer erkennen, wenn man bedenkt, daß das Ulbricht-Regime — von Albanien abgesehen — das letzte Herrschaftssystem stalinistischer Prägung in Europa ist. Durch die Liberalisierung des politischen Lebens in der Tschechoslowakei ist der SED-Führung die Unaufhaltsamkeit eines Entwicklungsprozesses voll bewußt geworden, der in den sozialistischen Staaten Ost-Mitteleuropas mehr und mehr um sich greift. Diesem Trend, der bei aller Differenzierung in den einzelnen Ländern jedenfalls von der stalinistischen Deformierung der sozialistischen Demokratie — wie es in Prag heute heißt — wegführt, sucht sich Ulbricht äußerlich anzupassen. Der Volksentscheid sollte also in erster Linie gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem benachbarten sozialistischen Ausland den Anschein demokratischer Legitimation der neuen Verfassungsordnung erwecken. Als angenehme Nebenerscheinung wird sicherlich in Ost-Berlin erwartet, daß auch im westlichen und neutralen Ausland sowie in der Bundesrepublik mancher ungenügend Informierte dieses Verfahren als echte Demokratisierungserscheinung registriert.

Das Bedürfnis der SED, ihre Diktatur stärker als bisher demokratisch zu bemänteln, ist jedenfalls ein erneuter Beweis für die Wirkungskraft freiheitlicher politischer Vorstellungen. Die genaue Untersuchung der Entstehungsgeschichte der sozialistischen Verfassung der DDR läßt also erkennen, daß der gesamte Prozeß der Verfassunggebung von den Führungsgremien der SED sorgsam gesteuert worden ist. Das zeigen schon die wenigen bekannt-gewordenen Anhaltspunkte, wie Ulbrichts Ankündigung auf dem VII. Parteitag und die knappen Mitteilungen über die einschlägigen Beratungspunkte auf den Plenartagungen des Zentralkomitees der SED. Nicht die Bevölkerung oder auch nur die Gesamtheit der SED-Mitglieder, sondern allein die Parteiführung und die von ihr hinzugezogenen Experten hatten die Möglichkeit echter Beratung. Von keiner dieser, der sogenannten Volksaussprache vorangegangenen Sitzungen ist ein Protokoll veröffentlicht worden, ja es ist noch nicht einmal bekannt, wie oft die Verfassungskommission der Volkskammer getagt hat. „Volksaussprache“ und „Volksentscheid" bilden also nur die demokratische Fassade dieser kommunistischen Verfassunggebung im anderen Teil Deutschlands.

V. Politische Grundsatzbestimmungen

Die charakteristischsten Veränderungen im Vergleich zur bisherigen Verfassung weist der erste Abschnitt der neuen Verfassung auf. Unter der Überschrift „Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts-und Staatsordnung" werden wichtige Wertentscheidungen der marxistisch-leninistischen Weltanschauung verfassungsrechtlich normiert. Der sozialistische Charakter des kommunistischen Staatsgebildes auf deutschem Boden wird in den ersten drei Artikeln mit folgenden Sätzen gekennzeichnet: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation.

Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen.

Alle politische Macht in der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen ausgeübt.

Das feste Bündnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, den Angehörigen der Intelligenz und den anderen Schichten des Volkes, das sozialistische Eigentum an Produktionsmitteln, die Planung und Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung nach den fortgeschrittensten Erkenntnissen der Wissenschaft bilden unantastbare Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung.

Das Bündnis aller Kräfte des Volkes findet in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland seinen organisierten Ausdruck. " 1

Die führende Rolle der SED Jede Verfassungurkunde dient dazu, Regeln festzulegen, nach denen die politische Macht ausgeübt wird. Im freiheitlich-demokratischen Staat, wo sich verschiedene Partei in regelmäßigen Abständen durch Wahlen darum bewerben, auf Zeit die politische Macht auszuüben, trifft die Verfassung Bestimmungen über einen geordneten Machtwechsel. Anders im kommunistisch regierten Staat. Dort gibt es keine Konkurrenz um die Macht. Diese liegt vielmehr stets bei der kommunistischen Partei, weil angeblich allein sie die geschichtlichen Notwendigkeiten erkennen und verwirklichen kann. In der Verfassung wird daher dieses Machtmonopol nur noch staatsrechtlich fixiert. Das ist jetzt in der sozialistischen Verfassung der DDR auch für Mitteldeutschland geschehen.

Bisher war die lührende Rolle der SED in verschiedenen Gesetzen, aber nicht in der Verfassung selbst normiert. Jetzt ist die Herrschaft der „marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse" als wichtigstes Strukturmerkmal sozialistischer Staatlichkeit in Art. 1 der sozialistischen Verfassung der DDR verankert worden. Juristisch bezeichnet man diese Schlüsselstellung der SED als Suprematie weil die totalitäre Staatspartei sich durch ihre „wissenschaftliche Weltanschauung" als einzigartige Vereinigung begreift, die auf Grund ihrer marxistisch-leninistischen „Erkenntnisse" alle anderen Parteien und Organisationen sowie den „Staatsapparat" lenkt. Von diesem ideologisch motivierten Machtmonopol stand in der bisherigen Verfassung der DDR kein Wort, obwohl die Alleinherrschaft der SED spätestens seit 1950 unangefochten ist. Wenn jetzt an so hervorragender Stelle der neuen Verfassung davon zu lesen ist, wird die Kluft beseitigt, die bisher in diesem Punkt zwischen dem formellen Verfassungsrecht und der Verfassungswirklichkeit bestand.

Unklar bliebt, wenn man allein den Text der neuen Verfassung betrachtet, das Verhältnis der SED zur Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse und „ihre marxistisch-leninistische Partei" werden nämlich in Art. 1 nebeneinander als führende Kräfte erwähnt. Da waren früher in der DDR erlassene Gesetze genauer. Auch in den sozialistischen Verfassungen der Tschechoslowakei und Rumäniens finden sich präzisere Formulierungen. So heißt es beispielsweise in Art. 4 der tschechoslowakischen Verfassung von 1960: „Die führende Kraft in der Gesellschaft und im Staat ist der Vortrupp der Arbeiterklasse, die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei."

Daß die SED sich ebenfalls als Führungsgruppe der Arbeiterklasse betrachtet, zeigt ihr Parteistatut aus dem Jahre 1963, dessen erster Satz lautet:

„Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist der bewußte und organisierte Vortrupp der deutschen Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes."

Wenig später liest man im SED-Statut:

„Die Partei ist die führende Kraft aller Organisationen der Arbeiterklasse und der Werktätigen, der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen."

Erst wenn man das Parteistatut der SED heranzieht, werden also die augenblickliche Herrschaftsordnung in Mitteldeutschland und der verfassungsrechtlich dafür grundlegende Artikel 1 der neuen Verfassung voll verständlich.

Ebenfalls in Art. 1 wird die DDR als politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land bezeichnet. Da die SED ihr Staatsgebilde heute als Organisation der gesamten, von ihr geführten Bevölkerung ansieht, betrachtet sie, was Ulbricht ausdrücklich unterstrichen hat, praktisch jeden Bürger als Werktätigen Deshalb läuft der erste Satz des Art. 2 der neuen Verfassung („Alle politische Macht in der DDR wird von den Werktätigen ausgeübt") auf die Formel des Art. 3 der bisherigen Verfassung („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus") hinaus. Dieser Satz von der Volkssouveränität bedeutet jedoch so lange keine Gefährdung des Machtmonopols der SED, als diese alleinige Vollstreckerin des von der Parteiführung „erkannten" Volkswillens bleibt.

Die Existenz anderer Parteien neben der SED gefährdet das kommunistische Machtmonopol nicht. Abgesehen davon, daß die nichtkommunistischen Parteien und die sogenannten Massenorganisationen die führende Rolle der SED in ihren jetzigen Statuten und Satzungen ausdrücklich anerkennen, bedient sich die SED zur Steuerung des sogenannten sozialistischen Mehrparteiensystems heute der „Nationalen Front des demokratischen Deutschland", in der nach Art. 3 der neuen Verfassung „das Bündnis aller Kräfte des Volkes seinen organisierten Ausdruck findet". In Art. 1 ist schließlich auch davon die Rede, daß die Werktätigen den Sozialismus verwirklichen. Damit sind Dynamik und Zielsetzung der kommunistischen Bewegung angesprochen, wenn auch das Endziel des Kommunismus als klassenloser Wohlstandsgesellschaft unter Beibehaltung des Machtmonopols der Parteiführung nicht ausdrücklich erwähnt wird. Auch an anderen Stellen der neuen Verfassung finden sich solche programmatischen Hinweise. Schon bei der Begründung des Entwurfs vor der Volkskammer hatte Ulbricht dazu erklärt: „Die neue Verfassung wird sich von der bisher gültigen dadurch unterscheiden, daß sie all jene Normen enthält, die darauf hinwirken, die schöpferischen Impulse der Bürger zu fördern, um das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus in der DDR zu schaffen."

Mit der Aufnahme von ideologisch bestimmten Programmsätzen in die neue Verfassung wird die bisherige Trennung zwischen dem SED-Programm als Wegweiser für die Zukunft und der Verfassungsurkunde als Teil der gegenwärtigen Rechtsverfassung zugunsten einer stärkeren gegenseitigen Bezogenheit aufgegeben. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist das zu begrüßen, denn auf diese Weise wird die weltanschauliche Bindung aller öffentlichen Gewalt in Mitteldeutschland verfassungsrechtlich eindeutig verankert.

Der totalitäre Charakter des SED-Regimes kommt in der neuen Verfassung deutlich zum Ausdruck. Damit soll nicht nur das staatliche Leben geordnet, sondern zugleich die Gesellschaft in Mitteldeutschland staatsrechtlich „verfaßt" werden. Diese, dem Grundgesetz eines Staates mit pluralistischer Gesellschaftsordnung konträre Konzeption zeigt sich an verschiedenen Stellen der sozialistischen Verfassung der DDR. Schon die Überschrift des ersten Abschnitts spricht von den „Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsund Staatsordnung". In Art. 2 Absatz 2 ist von der „Planung und Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung" die Rede. Die neue Verfassung zielt also auf Planung und Leitung möglichst aller gesellschaftlichen Regungen durch den „Staatsapparat", weil dieser das wichtigste Instrument in den Händen der SED-Führung ist, mit dem diese ihre Zukunftsvorstellungen verwirklichen will. Im zweiten Abschnitt, überschrieben mit „Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft" (!), sind zwei Artikel den Gewerkschaften gewidmet. Darin werden nicht nur deren politische Funktionen verfassungsrechtlich geregelt, wie dies bei uns etwa Art. 21 GG für die politischen Parteien tut, sondern alle Aufgaben des FDGB, die ihm die SED in ihrem. Herrschaftssystem zuweist. „Sozialistischer Staat deutscher Nation"

Im ersten Satz des ersten Artikels der neuen Verfassung heißt es, die DDR sei „ein sozialistischer Staat deutscher Nation". Dies ist bemerkenswert, weil damit auch die SED-Führung den Fortbestand der deutschen Nation, den sie zeitweise in Zweifel gezogen hatte anerkennt. Sie nimmt allerdings, wie die Präambel der neuen Verfassung zeigt, die Bevölkerung Mitteldeutschlands als „Volk der DDR" in Anspruch und spricht andererseits vom „Volk der westdeutschen Bundesrepublik". Um ihrer Zweistaatentheorie die erforderliche Basis zu verschaffen, sprechen die SED-Machthaber also von den zwei Staatsvölkern, in welche die deutsche Nation gegenwärtig zerfalle Wie konstruiert und künstlich diese Lösung wirkt, wird besonders deutlich, wenn man an ein Staatsvolk von West-Berlin denkt, dessen Zugehörigkeit zum Bundesgebiet die mitteldeutschen Kommunisten ja bekanntlich bestreiten. Diese Unterscheidung zwischen Volk und Nation ermöglicht es den SED-Führern, einerseits die Staatlichkeit der DDR zu betonen und andererseits sich jederzeit in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik einzumischen.

Die Staatlichkeit der DDR ist also fraglich, weil zwar das SED-Regime sein Staatsgebilde heute im Verhältnis zum Deutschen Reich als Neustaat auffaßt, die mitteldeutsche Bevölkerung aber bisher keine Gelegenheit hatte, sich frei zu äußern, ob sie überhaupt ein selbständiges Staatsvolk sein will. Sofern man von der Staatlichkeit der DDR ausgeht, taucht eine weitere Frage auf, die aber von der Frage nach der Staatsqualität der DDR deutlich zu unterscheiden ist, ob nämlich die DDR als ausländischer Staat, das heißt juristisch gesprochen als selbständiges Völkerrechtssubjekt anzuerkennen ist. Die Problematik sei mit einem Beispiel aus dem Recht der Bundesrepublik erläutert. Als Bundesstaat besteht die Bundesrepublik Deutschland aus dem Bund als Gesamtstaat und den Ländern als Einzelstaaten. Die Länder nehmen jedoch nur in geringem Umfang und kraft bundesstaatlicher Kompetenzzuweisung am Verkehr mit ausländischen Staaten teil. Ihr Verhältnis untereinander und zum Bund ist staatsrechtlicher, nicht wie im Verhältnis zu internationalen Organisationen und ausländischen Staaten völkerrechtlicher Natur. Selbst die SED-Führung betrachtet das Bundesgebiet nicht als Ausland wie kürzlich noch die Korrektur einer Äußerung des SED-Politbüromitglieds Norden, die auf das Gegenteil schließen ließ, gezeigt hat Solange man aber das Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zueinander nicht als das zwischen ausländischen Staaten ansieht, kann man logischerweise nicht, wie es die mitteldeutschen Machthaber tun, von der Bundesrepublik die Anerkennung der DDR als selbständiges Völkerrechtssubjekt, das heißt als ausländischer Staat verlangen. Die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen in Deutschland müssen deshalb anderen als völkerrechtlichen Charakter haben. Bei beiderseitigem gutem Willen wären dafür auch geeignete rechtliche Formen zu finden. Doch dagegen sträubt sich die SED-Führung im Augenblick noch.

Außenpolitische Maximen Für sein Verhältnis zum Ausland hat das SED-Regime vor allem in den Art. 6 bis 8 der neuen Verfassung außenpolitische Leitsätze niedergelegt. Darunter befinden sich deklamatorische Willensbekundungen wie diese:

„Die Deutsche Demokratische Republik erstrebt ein System der kollektiven Sicherheit in Europa und eine stabile Friedensordnung in der Welt."

„Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen."

Diese Sätze sind für sich genommen ebenso wohlklingend wie sie angesichts der Erfahrungen, welche die Welt in den vergangenen Jahrzehnten nicht zuletzt in Europa und Deutschland mit kommunistischer Politik hat machen müssen, nichtssagend sind. Die eigentliche Bestimmung des außenpolitischen Standorts, den Ulbricht durch seine Verfassung für die nächsten Jahrzehnte fixiert sehen will, findet sich in Art. 6 Absatz 2:

„Die Deutsche Demokratische Republik pflegt und entwickelt entsprechend den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus die allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten."

Eine ähnliche Formulierung enthält nur noch die tschechoslowakische Verfassung von 1960 In keiner der anderen neuen Verfassungen, die sich sozialistische Staaten Europas in jüngster Zeit gegeben haben, findet sich aber ein Satz wie dieser in Art. 7 Absatz 2:

„Die Nationale Volksarmee pflegt im Interesse der Wahrung des Friedens und der Sicherung des sozialistischen Staates enge Waffenbrüderschaft mit den Armeen der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten."

Wenn dabei von der „Sicherung des sozialistischen Staates" durch das militärische Bündnis mit der Sowjetunion gesprochen wird, klingt an, daß die Macht der sich heute so selbstsicher gebenden SED nach wie vor auf der Anwesenheit sowjetischer Truppen in Deutschland beruht. Die aus den Art. 6 und 7 der neuen Verfassung zitierten Sätze bedeuten, daß die politische, wirtschaftliche und militärische Bindung Mitteldeutschlands an die Sowjetunion nach den Vorstellungen der gegenwärtigen Machthaber für die Zukunft auch verfassungsrechtlich verankert werden soll. Juristisch gesehen liegt in einer derart massi-ven Einengung des außenpolitischen Spielraums eine Souveränitätsbeschränkung zugunsten der Hegemonialmacht Sowjetunion.

Entgegen der geschichlichen Wahrheit wird in der Präambel der neuen Verfassung dem „Imperialismus unter Führung der USA" die Schuld an der Spaltung Deutschlands zugeschoben. Diese Polemik gegen einen anderen Staat durfte im modernen Konstitutionalismus einmalig sein. Zusammen mit den Bindungsklauseln an die Sowjetunion ergibt sich daraus, daß die Schöpfer dieser Verfassung den gegenwärtigen Ost-West-Gegensatz staatsrechtlich und damit dauerhaft verankern wollen.

Politische Situationen und besonders außen-politische Konstellationen ändern sich rasch. Die dem modernen Staatensystem innewohnende Dynamik wird zu einem nicht geringen Teil vom Gegensatz zwischen den reichen Industrienationen und den Entwicklungsländern gespeist. Schon heute zeichnet sich neben dem Ost-West-Konflikt der Gegensatz zwischen Nord und Süd rund um den Erdball ab. Mit Formeln wie der vom sozialistischen Internationalismus und der friedlichen Koexistenz allein läßt sich dabei kaum etwas ausrichten.

Der Grundsatz des sozialistischen Internationalismus wird überdies heute in den verschiedenen kommunistisch regierten Staaten durchaus unterschiedlich interpretiert. Wie einseitig im Sinne einer Bindung an die Sowjetunion ihn die SED auffaßt, wird erst bei einem Vergleich mit den entsprechenden Bestimmungen anderer sozialistischer Verfassungen, die in den letzten Jahren in Europa erlassen worden sind, deutlich. Weder in der jugoslawischen Verfassung von 1963 noch in der Rumäniens aus dem Jahre 1965 wird die Sowjetunion überhaupt erwähnt. Art. 14 der rumänischen Verfassung beispielsweise lautet: „Die Sozialistische Republik Rumänien unterhält und entwickelt Beziehungen der Freundschaft und brüderlichen Zusammenarbeit zu den sozialistischen Ländern im Geiste des sozialistischen Internationalismus, sie fördert Beziehungen der Zusammenarbeit mit den Ländern anderer sozialpolitischer Ordnung und nimmt an der Tätigkeit internationaler Organisationen teil, zur Sicherung des Friedens und der Völkerverständigung.

Die Auslandsbeziehungen der Sozialistischen Republik Rumänien gründen sich auf die Prinzipien der Achtung der Souveränität und der nationalen Unabhängigkeit, der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils sowie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten."

Obwohl hier fast die gleichen Vokabeln benutzt werden, wirkt die Diktion wesentlich zurückhaltender als in der neuen Verfassung für Mitteldeutschland. Insbesondere beinhaltet Art. 14 der rumänischen Verfassung keine außenpolitische Bindungsklausel. Zwischen diesem Verfassungsartikel und der aus Moskauer Sicht eigenwilligen Politik Rumäniens besteht also kein eklatanter Widerspruch. Die SED-Machthaber dagegen haben ihre enge Bindung an die sowjetische Politik jetzt auch verfassungsrechtlich bestätigt.

VI. Die Wirtschaftsverfassung

Die Grundsatzbestimmungen der neuen DDR-Verfassung über die Wirtschaftsordnung sind großenteils eng an das sowjetische Vorbild angelehnt, obwohl die 1936 verabschiedete Verfassung der UdSSR heute bereits über 30 Jahre alt ist.

In der bisherigen Verfassung der DDR aus dem Jahre 1949 fand sich ein eigener Abschnitt zur Wirtschaftsordnung, der stark gemeinwirtschaftliche Züge trug, auch den staatlichen Wirtschaftsplan und das Volkseigentum — allerdings nur als eine Eigentumsart unter anderen — erwähnte, aber die Funktionen beider als konstituierende Elemente einer kommunistischen Wirtschaftsordnung auf deutschem Boden noch nicht ohne weiteres erkennen ließ

Die bisherige Verfassung enthielt also lediglich Einbruchsstellen kommunistischen Rechtsdenkens zur Wirtschaftsordnung, ohne die Gesamtkonzeption zu übernehmen. Die wesentlichen Teile des heute in Mitteldeutsch-land geltenden Wirtschaftsverfassungsrechts sind erst nach 1949 durch eine Vielzahl einfacher Gesetze und Verordnungen hinzugetreten, die klar am marxistisch-leninistischen Dogma Moskauer Prägung orientiert sind. Die bedeutsamsten Grundsatznormen daraus sind jetzt auch formell Verfassungsrecht geworden. Die Ausführlichkeit der Bestimmungen über die Wirtschaftsund Eigentumsordnung in der neuen Verfassung wird verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das marxi17 stisch-leninistische Geschichtsverständnis wesentlich ökonomisch bestimmt ist. Im Gegensatz zu freiheitlich-demokratischen Verfassungen, die in ihren wirtschaftsverfassungsrecht-liehen Regelungen häufig zurückhaltend sind man denke nur an das Grundgesetz —, findet man in den Verfassungen kommunistisch regierter Staaten die grundlegenden Normen zur Wirtschaftsordnung an hervorragender Stelle.

Die neue Verfassung kennzeichnet in Art. 9 das sozialistische Wirtschaftssystem der DDR dahin, daß es auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln beruhe und sich gemäß den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus auf der Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse entwickele. Die Volkswirtschaft in der DDR diene in erster Linie der Stärkung der sozialistischen Ordnung. Der Staat organisiere Planung und Leitung des gesamten Wirtschaftslebens; es handele sich daher um sozialistische Planwirtschaft. Auffällig ist das konservative wirtschaftspolitische Grundverständnis, das aus diesen Formulierungen spricht. Längst hat die moderne Erfahrung und Theorie beispielsweise gezeigt, daß nicht erst die Eigentümerstellung, sondern schon die Möglichkeit, über fremdes Eigentum zu verfügen, wirtschaftliche Macht verleiht und deshalb sozial verpflichtet. Das Bemühen um eine wirksame Kontrolle der Manager ist neben der Sorge um ein gleichgewichtiges Wachstum der Volkswirtschaft und eine optimale Einkommensverteilung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten Kriterium vorausschauender moderner Wirtschaftsund Sozialpolitik. Von alledem liest man aber in der neuen Verfassung nichts. Statt dessen wird eine Autonomie des wirtschaftlichen Geschehens verfassungsrechtlich abgelehnt. Die Wirtschaft der DDR ist staatliche Angelegenheit und wird entsprechend der politischen Generallinie der SED betrieben. Waren und Dienstleistungen werden überwiegend in Staatsbetrieben produziert. Diese Einstellung und Verhaltensweise läßt sich am ehesten als merkantilistisch kennzeichnen.

Die Eigentumsordnung Besonders ausführlich ist in den Art. 10 bis 16 der neuen Verfassung die Eigentumsordnung geregelt worden Man unterscheidet dabei in Mitteldeutschland drei Formen sozialistischen Eigentums. Die wichtigste bildet das Staatseigentum, das als „gesamtgesellschaftliches Volkseigentum" bezeichnet wird. Dieser „Etikettenschwindel" wäre nur gerechtfertigt, wenn die mitteldeutschen Kommunisten konsequent Gesellschaft und Staat in eins setzen würden, was sie aber nicht tun. Erklärlich ist dieses Ausweichen vor einer exakten Bezeichnung nur deshalb, weil sich ein qualitativer Unterschied zwischen Staatseigentum in demokratischen und kommunistisch regierten Staaten schwer konstruieren läßt. Art. 12 zählt auf, welche Gegenstände Volkseigentum sind, so daß privates Eigentum an ihnen unzulässig ist. Diese Verfassungsnorm stellt das Volkseigentum außerhalb des Rechtsverkehrs. Volks-eigentum kann lediglich Genossenschaften oder gesellschaftlichen Organisationen zur Nutzung und Bewirtschaftung übertragen werden. In Konsequenz der Auffassung, daß das sozialistische Eigentum die wirtschaftliche Basis des SED-Regimes bildet, ist damit die bisher noch verfassungsrechtlich bestehende Möglichkeit, daß die zuständige Volksvertretung mit qualifizierter Mehrheit der Veräußerung von Volkseigentum zustimmen kann weggefallen. Die beiden anderen Formen sozialistischen Eigentums sind das genossenschaftliche Eigentum — hauptsächlich der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften — und das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen — vor allem der SED, der übrigen Parteien und der sogenannten Massenorganisationen. Enteignungen sind nach Art. 16 künftig nur noch gegen angemessene Entschädigung dann zulässig, wenn auf andere Weise der angestrebte gemeinnützige Zweck nicht erreicht werden kann. Die damit eingeführte generelle Entschädigungspflicht für künftige Enteignungen verbessert den bisherigen Rechtszustand, wonach angemessene Entschädigung nur zu leisten war, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmte. Nachdem der gewaltsame Umschichtungsprozeß wirtschaftlich bedeutsamen Eigentums mit der Zwangskollektivierung der mitteldeutschen Landwirtschaft 1960 im wesentlichen abgeschlossen ist, kann sich das SED-Regime heute in diesem Punkt großzügig zeigen.

Den verschiedenen Formen kollektiven sozialistischen Eigentums stellt die Verfassung zwei Formen individuellen Eigentums gegen-über: das private und das persönliche Eigentum. Beide dürfen niemals den Interessen der Gesellschaft, das heißt der SED-Führung hinderlich sein Unter Privateigentum werden Gie noch in privater Hand befindlichen geringen Reste wirtschaftlich nutzbaren Eigentums verstanden, die in Zukunft auf dem Wege staatlicher Beteiligung noch in Gemeineigentum zu überführen sind. Art. 14 Absatz 2 laßt diesen aus kommunistischer Sicht vorübergehenden Charakter privater Wirtschaftsunternehmen und -einrichtungen erkennen. Das persönliche Eigentum, die einzige, ideologisch gesehen dauerhafte Form individuellen Eigentums, dient, wie es in Art. 11 heißt, „der Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger". Es umfaßt nur bestimmte Gegenstände des persönlichen Bedarfs bis hin zu einem Wohnhaus. Diese Grenzlinie ist in der Verfassung nicht ausdrücklich gezogen, doch läßt sie sich aus der Gesetzgebung und Praxis erkennen.

Es fällt auf, daß der Eigentumsordnung als dem statischen Bestandteil der kommunistischen Wirtschaftsverfassung ein sehr breiter Raum gegeben wird, dagegen wird das wirtschaftspolitische Lenkungsinstrumentarium nur kurz und nicht gerade präzise angesprochen. Die Aussage in Art. 9 Absatz 3, daß die zentrale staatliche Planung und Leitung der Grundfragen mit der Eigenverantwortung der Produktionsbetriebe verbunden sei, ist so allgemein, daß sie jede künftige Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung selbst durch Hinzunahme weiterer marktwirtschaftlicher Elemente und deren Vervollständigung bis zum jugoslawischen Modell einer sozialistischen Marktwirtschaft deckt. Auch läßt sich noch nicht übersehen, ob und wie der Satz in Art. 41, daß Eingriffe in betriebliche Rechte nur auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen können, das augenblickliche Leitungssystem der mitteldeutschen Wirtschaft beeinflussen wird. Eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen zentralen Stellen und Betrieben steht jedenfalls noch aus. In der Unbestimmtheit und Elastizität dieser Formulierungen dürfte gerade deren Stärke liegen. Eine genauere Festlegung war schon deshalb nicht angebracht, weil weder in der Sowjetunion noch in den anderen kommunistisch regierten Staaten diese Fragen eine Klärung gefunden haben, sondern überall experimentiert wird.

Die Rolle der Gewerkschaften In den Art. 44 und 45 geht die Verfassung auf die Gewerkschaften und ihre Rechte ein Die Situation zwischen den Sozialpartnern ist in Mitteldeutschland bekanntlich nicht durch das Bemühen um einen Interessenausgleich zwischen einer Vielzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern — beide in Verbänden zusammengeschlossen — gekennzeichnet. Da der größte Teil der Unternehmen verstaatlicht ist, gibt es im wesentlichen nur den Staat als Arbeitgeber. Andererseits bildet seit 1945 der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) die einzige Gewerkschaftsorganisation in Mittel-deutschland. Da der FDGB die „Klassenorganisation der Arbeiterklasse" ist und der Staat von der „Partei der Arbeiterklasse" geführt wird, können die Gewerkschaften keine Ziele verfolgen, die sich von denen des Staats unterscheiden. Sie sind somit keine Organisationen zur wirksamen Vertretung der Arbeitnehmer-interessen, sondern Hilfsorgane des staatlichen Arbeitgebers und unterstützen dessen auf Steigerung der Arbeitsproduktivität gerichtetes'Bemühen. Trotzdem bleibt nach kommunistischer Auffassung der FDGB weiterhin eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Die Interessen des staatlichen Arbeitgebers seien nämlich mit denen der Arbeitnehmer identisch, da sich die Produktionsmittel im Eigentum des Volkes befanden. Durch diese Fiktion von der Interessenidentität, die jetzt sogar in Art. 2 Absatz 4 der neuen Verfassung zu finden ist, wird das in jeder Sozialordnung unabhängig von der Gestaltung der Eigentumsordnung bestehende Spannungsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als spezifische Erscheinung der sogenannten kapitalistischen Gesellschaft hingestellt und negiert. Individuelle Interessen seiner Mitglieder kann der FDGB also nur wahrnehmen, sofern diese nicht den Interessen des SED-Regime 0 iderlaufen.

Die Ablehnung des Streiks als für die sozialistische Ordnung unzeitgemäßes Mittel zur Durchsetzung von Arbeitnehmerforderungen wird von den mitteldeutschen Kommunisten meist mit einem Hinweis auf die angeblich umfassenden betrieblichen Mitbestimmungsbefugnisse der Arbeitnehmer in der DDR gerechtfertigt. Nach Art. 42 der Verfassung „wir-ken die Werktätigen unmittelbar und mit Hilfe ihrer gewählten Organe an der Leitung mit". In Art. 44 heißt es:

„Die Gewerkschaften arbeiten in den Betrieben und Institutionen an der Ausarbeitung der Pläne mit und sind in den Gesellschaftlichen Räten der Vereinigungen Volks-eigener Betriebe und in den Produktionskomitees der Betriebe und Kombinate vertreten. Sie organisieren die Ständigen Produktionsberatungen."

Diese aus Arbeitnehmern gebildeten Gremien verschiedener Art stellen keine Formen echter betrieblicher Mitbestimmung dar, sondern haben nur die Aufgabe, den Betriebsplan erfüllen zu helfen. Insbesondere verfügen die seit 1963 gebildeten Produktionskomitees über keine Entscheidungs-und Weisungsbefugnisse, sondern sind lediglich „ein beratendes Organ für den Werkdirektor" Ihre Vorschläge sind deshalb „rechtlich als kollektive rechenschaftspflichtige Empfehlungen zu definieren" Auch die betrieblichen Gewerkschaftsleitungen des FDGB haben nach § 12 des Gesetzbuches der Arbeit die Aufgabe, die Mitwirkung aller Betriebsangehörigen bei der Ausarbeitung und Erfüllung der Pläne zu organisieren. Die Arbeitnehmer haben also in wirtschaftlichen Angelegenheiten ein bloßes Anhörungsrecht, nicht aber ein Recht auf Mitbestimmung.

VII. Die Machtorgane

In ihren organisationsrechtlichen Bestimmungen bringt die sozialistische Verfassung der DDR wenig Neues. Die geschilderte, seit 1949 außerhalb der Verfassungsurkunde geschaffene Organisation der öffentlichen Gewalt in Mitteldeutschland ist jetzt in die formelle Verfassung übernommen worden. Bedeutsam ist, daß damit die beiden Organisationsprinzipien eines kommunistisch regierten Staates in der Verfassung der DDR enthalten sind.

Organisationsprinzipien sozialistischer Staatlichkeit In der Verfassung von 1949 hatte lediglich das Prinzip der Gewaltenvereinigung Ausdruck gefunden. Art. 50 der bisherigen Verfassung erklärte die Volkskammer zum „höchsten Organ der Republik", von dem alle anderen zentralen Staatsorgane abhängig seien. In ähnlicher Weise wird jetzt die Volkskammer wiederum als „das oberste staatliche Macht-organ" bezeichnet (Art. 48). Außerdem wird das Prinzip der Gewaltenkonzentration für die Tätigkeit der Volkskammer als „Grundsatz der Einheit von Beschlußfassung und Durchführung" in Art. 48 Absatz 2 angesprochen. Der Gewaltenvereinigungsgrundsatz verhindert eine Aufteilung der Macht im Staat auf verschiedene, prinzipiell getrennte Gewalten, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und sich so gegenseitig ausbalancieren und kontrollieren sollen. Dies wird in unserer Verfassungsordnung beispielsweise durch das Nebeneinander des Parlaments als Gesetzgeber, der mit der vollziehenden Gewalt betreuten Regierung und Verwaltung sowie der Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte angestrebt. Im System der einheitlichen Staatsgewalt der DDR findet dagegen lediglich eine Verteilung der unterschiedlichen öffentlichen Aufgaben auf verschiedene Staatsorgane nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten statt. Das führt etwa dazu, daß der Staatsrat gesetzgeberische, vollziehende und sogar gewisse recht-sprechende Befugnisse in sich vereinigt. Rechtsprechung wird zum Teil auch durch Verwaltungsbehörden ausgeübt, wie die sogenannte Vertragsgerichtsbarkeit in Wirtschaftssachen innerhalb des Vertragssystems zeigt. Umgekehrt hat das Oberste Gericht der DDR die Befugnis, auf Grund genereller Ermächtigung Ausführungsvorschriften zu gesetzlichen Bestimmungen in Form von Richtlinien zu erlassen. Neu in die Verfassung ausgenommen ist der zweite Organisationsgrundsatz sozialistischer Staatlichkeit. In Art. 47 wird der sogenannte demokratische Zentralismus ausdrücklich als „das tragende Prinzip des Staatsaufbaus" erwähnt. Er bewirkt die strikte Unterordnung aller anderen Staatsorgane unter die Volkskammer bzw.den Staatsrat, weil die unteren Organe stets und unbedingt die Anordnungen der höheren Organe zu befolgen haben. Verhindert der Gewaltenvereinigungsgrundsatz eine prinzipielle Trennung verschiedener Gewalten auf horizontaler Ebene, so wird der Möglichkeit vertikaler Gewaltenteilung, wie wir sie etwa in Gestalt der ausschließlichen Zuständigkeit der Bundesländer für bestimmte Aufgabenbereiche und der kommunalen Selbstverwaltung kennen, in der DDR durch das Prinzip des sogenannten demokratischen Zentralismus ein Riegel vorgeschoben. Beide Grundsätze zusammen bewirken also, daß die staatliche Gewalt lückenlos in der Spitze konzentriert ist.

Volkskammer und Staatsrat Die Volkskammer ist nach Art. 48 das einzige verfassungsund gesetzgebende Organ. Sie bestimme, so besagt Art. 49, „endgültig und für jedermann verbindlich die Ziele der Entwicklung". Formell ist also auch nach der neuen Verfassung die Volkskammer „das oberste staatliche Machtorgan", aber „der Staatsrat erfüllt als Organ der Volkskammer zwischen den Tagungen der Volkskammer alle grundsätzlichen Aufgaben, die sich aus den Gesetzen und Beschlüssen der Volkskammer ergeben" (Art. 66). Da die Volkskammer während ihrer Wahlperiode nicht ständig tagt, sondern von Fall zu Fall einberufen wird, nahmen bis 1960 ihr Präsidium und einige ständige Ausschüsse zwischen den Tagungen die Aufgaben des Plenums wahr. Das Präsidium der Volkskammer ist heute ein reines Tagungspräsidium (Artikel 55). Ständige Ausschüsse sieht die Geschäftsordnung der Volkskammer auch nicht mehr vor. Nicht das Präsidium der Volkskammer, sondern der Staatsrat beruft die Tagungen der Volkskammer ein, behandelt Vorlagen an die Volkskammer und veranlaßt ihre Beratung in den Ausschüssen der Volkskammer (Art. 70). Materiell betrachtet ist also der Staatsrat wichtigstes und machtvollstes Organ. Er und nicht die Volkskammer, wie es in Art. 48 heißt, „entscheidet über die Grundfragen der Staatspolitik", soweit nicht die sowjetische Besatzungsmacht oder das Politbüro der SED Regierungsfunktionen wahrnehmen. In diesem doppelt eingeschränkten Sinne liegt beim Staatsrat die höchste politische Gewalt. Diese beschränkt sich allerdings nicht auf Regierungsfunktionen, sondern umfaßt ganz im Sinne des Prinzips der Gewaltenvereinigung nach Art. 70 auch Befugnisse der Gesetzgebung (Erlasse und Beschlüsse) und der Rechtsprechung (verbindliche Auslegung der Verfassung und der Gesetze).

Der Ministerrat hat zwar gleichfalls gesetzgeberische Befugnisse, denn er kann Verordaungen erlassen und Beschlüsse fassen (Art. 79 Absatz 1), die eigentlichen Regierungsbefugnisse sind ihm aber genommen. Statt dessen ist er unter dem Staatsrat die oberste Verwaltungsspitze mit vorwiegend wirtschaftsleitenden Aufgaben. Insoweit ähnelt seine Stellung schon seit einigen Jahren stark der Deutschen Wirtschaftskommission, die von 1947 bis 1949 unter der sowjetischen Besatzungsmacht die deutsche Verwaltungsspitze für die SBZ bildete. Nach Art. 78 Absatz 2 der neuen Verfassung gehört es zu den Aufgaben des Ministerrats, wissenschaftlich begründete Prognosen auszuarbeiten, die Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus zu organisieren und die planmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft zu leiten. Der Staatsrat faßt auch grundsätzliche Beschlüsse zu Fragen der Verteidigung und Sicherheit. Mit Hilfe des Nationalen Verteidigungsrates organisiert er die Landesverteidigung (Art. 73 Absatz 1).

Ähnlich wie der Ministerrat auf wirtschaftlichem Gebiet ist der Nationale Verteidigungsrat unter dem Staatsrat ein spezielles Organ für Verteidigungsund Sicherheitsfragen, dessen Bedeutung allerdings dadurch unterstrichen wird, daß Ulbricht selbst den Vorsitz innehat.

Die Abhängigkeit aller anderen Staatsorgane von der Volkskammer bzw. zwischen deren Tagungen vom Staatsrat wird im neuen Verfassungsrecht konsequent verwirklicht, weil sie den kommunistischen Vorstellungen von der Gewaltenvereinigung entspricht. Die Volkskammer wählt deshalb nicht nur den Vorsitzenden und die Mitglieder des Staats-rates, den Vorsitzenden und die Mitglieder des Ministerrates und den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates, sondern auch den Präsidenten und die Richter des Obersten Gerichts und den Generalstaatsanwalt. Alle diese Personen kann sie auch jederzeit wieder abberufen (Art. 50). Die Leiter der anderen zentralen Organe werden durch den Staatsrat oder dessen Vorsitzenden ernannt. Die örtlichen Organe unterstehen entsprechend dem Prinzip des sogenannten demokratischen Zentralismus wie schon bisher jeweils zentralen Organen. Die örtlichen Volksvertretungen unterstehen bereits seit 1961 der Anleitung und Aufsicht durch den Staatsrat Die Ministerien besitzen teilweise — wie z. B. Militär, Polizei, Staatssicherheitsdienst, Bahn und Post — eigene nachgeordnete Fachbehörden. Soweit die Zentralverwaltungen keinen eigenen Behördenunterbau haben, bestehen Fachabteilungen der örtlichen Räte. Für die Anleitung und Kontrolle der Bezirks-und Kreisräte ist seit 1964 ein eigenes Ministerium zuständig. Das Oberste Gericht, das seinerseits gemäß Art. 74 der ständigen Aufsicht des Staatsrates unterliegt, „leitet die Rechtsprechung der Gerichte und sichert die einheitliche und richtige Gesetzesanwendung durch die Gerichte"

Da die politische Macht im sozialistischen Staat ein für allemal bei der kommunistischen Partei liegt, kennt die sozialistische Verfassung der DDR keine Bestimmungen über das parlamentarische System. Wahlen entscheiden nicht über Verbleib oder Wechsel der Macht zwischen verschiedenen Parteien. Sie sind vielmehr nur „auf die Erhaltung und Sicherung der bestehenden Machtverhältnisse gerichtet" Eine Oppositionspartei, die sich als Alternative zu einer SED-geführten Regierungskoalition anböte, gibt es in der Volkskammer nicht. Alle Parteien sind im sogenannten Block der demokratischen Parteien und Massenorganisationen unter Führung der SED zusammengeschlossen und damit an der Regierungsverantwortung beteiligt. Niemand hat die Freiheit, eine parlamentarische oder außer-parlamentarische Opposition zu organisieren. Jede Diskussion auch nur über die Möglichkeit einer sozialistischen Oppositionspartei, wie sie gelegentlich in Jugoslawien oder der Tschechoslowakei geführt wird, hat kürzlich noch der mitteldeutsche Fernsehkommentator Karl-Eduard von Schnitzler mit der Bemerkung abzutun versucht, mit der Opposition setze man sich in der DDR nicht im Parlament, sondern vor den Gerichten auseinander. Angesichts dieser Umstände ist es nicht mehr verwunderlich, daß die Verfassung es zu den Aufgaben der Abgeordneten zählt, den Bürgern die Politik des sozialistischen Staates zu erläutern (Art. 56 Absatz 4). Kaum eine andere Bestimmung zeigt deutlicher, wie machtlos die Volkskammer ist.

Notstand — Stunde des Staatsrates In der mitteldeutschen Presse ist in polemischer Weise behauptet worden, beide deutsche Staaten erhielten 18 Jahre nach der ersten Verfassunggebung neue Grundgesetze, die DDR eine sozialistische Verfassung und die Bundesrepublik Deutschland eine Notstands-verfassung Untersucht man die neue Verfassung der DDR darauf, wie darin Vorsorge für Krisenzeiten getroffen wird, ist das Ergebnis mager. Allgemeine Notstandsregeln finden sich überhaupt nicht. Lediglich für den Verteidigungsfall sieht Art. 52 vor, daß die Volkskammer über den Verteidigungszustand beschließt. Im Dringlichkeitsfall ist allerdings der Staatsrat berechtigt, den Verteidigungszustand zu beschließen. Kriterien dafür, wann eine Situation dringlich ist, so daß der Staatsrat berechtigt wäre, an Stelle der Volkskammer zu handeln, sind nicht genannt. Im Verteidigungszustand kann der Staatsrat „die Rechte der Bürger und die Rechtspflege in Überein-stimmung mit den Erfordernissen der Verteidigung der Republik abweichend von der Verfassung regeln" An dieser Regelung ist zweierlei bemerkenswert. Der Staatsrat als Organ, das im Dringlichkeitsfall das Vorliegen der Voraussetzungen des Verteidigungszustandes beschließt, ist zugleich das Organ, welches im Verteidigungszustand umfassende Befugnisse erhält. Diese sind derart weitgehend, daß alle Grundrechte der Bürger ohne Kontrolle durch ein anderes Staatsorgan für beliebig lange Zeit aufgehoben werden können. Der Staatsrat kann also unter Benutzung dehnbarer Generalklauseln die ganze Staatsgewalt an sich ziehen. Die Volkskammer ist dabei praktisch ausgeschaltet. Auch besteht keinerlei gerichtliche Kontrolle oder zeitliche Beschränkung des Verteidigungszustandes. Es braucht nicht betont zu werden, daß diese Regelung aus rechtsstaatlicher Sicht völlig unzureichend ist.

VIII. Sozialistische Rechtspflege

Die Rechtsprechung ist, wie es den beiden genannten Organisationsgrundsätzen des sozialistischen Staates entspricht, in der DDR nicht einer unabhängigen dritten Gewalt anvertraut, sondern an ihrer Spitze dem Staatsrat als dem effektiv höchsten Macht-organ unterstellt und nach unten hierarchisch geordnet.

Rechtsprechungsorgane Rechtsprechung üben in Mitteldeutschland staatliche und gesellschaftliche Gerichte aus (Art. 92). Oberstes Gericht, Bezirksgerichte und Kreisgerichte bilden die ordentliche Gerichtsbarkeit, der die Rechtsprechung in Straf-, Zivil-, Familien-und Arbeitsrechtssachen obliegt Fast gleichzeitig wurde Anfang der sechziger Jahre die bis dahin organisatorisch selbständige Arbeitsgerichtsbarkeit in die ordentliche Gerichtsbarkeit eingegliedert und eine besondere Militärgerichtsbarkeit neu geschaffen, die nur in der Spitze beim Obersten Gericht mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zusammenläuft. Das Kollegium für Militärstrafsachen beim Obersten Gericht, die Militärobergerichte und die Militärgerichte sind nicht nur für Straftaten von Soldaten zuständig, sondern auch für Straftaten, die sich gegen die militärische Sicherheit richten Gesellschaftliche Gerichte sind die Konflikt-und Schiedskommissionen. Konfliktkommissionen bestehen in volkseigenen und halbstaatlichen Betrieben sowie in den Verwaltungen Schieds-kommissionen in Gemeinden, Städten, Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, Produktionsgenossenschaften des Handwerks und privaten Betrieben Heute werden kleinere Strafsachen und zivilrechtliche Streitigkeiten, „deren Behandlung durch gesellschaftliche Organe geeignet ist, die Bürger zur Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und zur Wahrung der Grundsätze des sozialistischen Gemeinschaftslebens zu erziehen", von den Konflikt-und Schiedskommissionen beraten und entschieden Die Konfliktkommissionen behandeln außerdem kleinere arbeitsund sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten.

Höchstes Organ der Rechtsprechung ist das Oberste Gericht. Es ist der Volkskammer und zwischen ihren Tagungen dem Staatsrat verantwortlich (Art. 93). Die Volkskammer bestimmt zwar nach Art. 49 Absatz 3 die Grundsätze der Tätigkeit des Obersten Gerichts, aber in ihrem Auftrag nimmt der Staatsrat „die ständige Aufsicht über die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzlichkeit der Tätigkeit des Obersten Gerichts wahr" (Art. 74). Dementsprechend hat das Oberste Gericht dem Staatsrat regelmäßig über die Entwicklung der Rechtsprechung zu berichten Der Staatsrat kann dem Obersten Gericht den Erlaß von Richtlinien und Beschlüssen mit verbindlicher Wirkung für alle Gerichte empfehlen Diese Befugnisse berechtigen dazu, im Staatsrat den obersten Gerichtsherrn der DDR zu sehen.

Das Oberste Gericht leitet die Rechtsprechung der Gerichte und sichert die einheitliche Rechtsanwendung durch alle Gerichte (Art. 93 Absatz 2). Für die Gerichte untereinander gilt also wie für alle anderen Staatsorgane das Prinzip des sogenannten demokratischen Zentralismus Das bedeutet nicht nur einen Instanzenzug vom Kreisgericht über das Bezirksgericht zum Obersten Gericht und damit die Aufhebung einer Entscheidung des niederen durch das höhere Gericht, sondern ein lückenloses Leitungs-und Kontrollsystem, an dessen Spitze das Oberste Gericht steht Dafür verfügt es über ein vielfältiges Instrumentarium, dessen einzelne Bestandteile sich gegenseitig ergänzen. Neben Mitteln, die auch in rechtsstaatlichen Ordnungen eine einheitliche und möglichst fehlerfreie Rechtsprechung ermöglichen sollen, wie die ordentlichen Rechtsmittel und die Kassation, finden sich — besonders bei den Zuständigkeitsregeln — Bestimmungen, die aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich erscheinen. Hierher gehören etwa die ungenauen Regeln für die Geschäftsverteilung auf die einzelnen Spruchkörper eines Gerichts und die Möglichkeit der sogenannten Heranziehung einer Sache an ein anderes Gericht. Schließlich existieren noch Einrichtungen, die einer unparteiischen, die Interessen aller Beteiligten abwägenden Rechtsprechung fremd sind. Hier sind vor allem die Richtlinien und Leitungsbeschlüsse des Obersten Gerichts bzw. die Leitungsbeschlüsse einzelner Bezirks-gerichte, die Inspektionsgruppen dieser Gerichte und die sogenannte Gerichtskritik zu nennen.

Bildet diese strenge Hierarchie mit umfassenden Weisungs-und Kontrollbefugnissen des jeweils höheren Gerichts bzw.des Staatsrates den zentralistischen Bestandteil des sogenannten demokratischen Zentralismus, so zeigt sich dessen demokratischer Bestandteil nach kommunistischer Auffassung darin, daß alle Berufsrichter und Schöffen der staatlichen Gerichte und die Mitglieder der gesellschaftlichen Gerichte „durch die Volksvertretungen oder unmittelbar durch die Bürger" auf Zeit gewählt werden. Sie sind ihren Wählern rechenschaftspflichtig und können von diesen jederzeit abberufen werden (Art. 95).

Die Unabhängigkeit der Richter ist also nicht wie in unserer Rechtsordnung durch Weisungsfreiheit, Ernennung auf Lebenszeit und Unabsetzbarkeit gesichert. Wenn Art. 96 der Verfassung trotzdem davon spricht, daß die Richter in der DDR in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur an die Verfassung, die Gesetze und andere Rechtsvorschriften gebunden seien, so ist damit etwas anderes gemeint, als der Sprachgebrauch annehmen läßt. Dies zeigt ein Satz aus § 1 Abs. 3 des gültigen Gerichtsverfassungsgesetzes, wo es über die Richter heißt: „Ihre Unabhängigkeit beruht auf ihrer festen Verbindung mit dem Volk und wird durch ein demokratisches System der Leitung und Kontrolle der Rechtsprechung gesichert."

Staatsanwaltschaft In der DDR hat die Staatsanwaltschaft als Teil der Rechtspflege nicht nur bei Straftaten zu ermitteln, im Hauptverfahren die Anklage zu vertreten und die Strafvollstreckung und den Strafvollzug zu beaufsichtigen, sondern allgemein „über die strikte Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit" zu wachen (Artikel 97). Diese sogenannte allgemeine Aufsicht ist eine Rechtskontrolle über Maßnahmen der Behörden und staatlichen Wirtschaftsbetriebe Ihr Vorbild sind entsprechende Befugnisse der Prokuratur in der Sowjetunion. Die Staatsanwaltschaft der DDR wird vom Generalstaatsanwalt geleitet, dem die Staatsanwälte der Bezirke und Kreise sowie die Militärstaatsanwälte unterstehen (Art. 98). Der Generalstaatsanwalt selbst ist wie das Oberste Gericht unmittelbar der Volkskammer bzw.dem Staatsrat verantwortlich

Die Rechtsanwaltschaft und ihre Aufgaben innerhalb der Rechtspflege erwähnt die Verfassung nicht. In Art. 102 wird lediglich das Recht auf Verteidigung während des gesamten Strafverfahrens verfassungsrechtlich gewährleistet, das bisher nur in § 6 des Gerichtsverfassungsgesetzes niedergelegt war. Uber die Aufgaben des Verteidigers als Organ der Rechtspflege wird aber nichts gesagt. Überprüfung von Verwaltungsmaßnahmen In Mitteldeutschland gibt es schon seit 1952 keine Verwaltungsgerichtsbarkeit mehr. Die seinerzeit in Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg auf landesrechtlicher Grundlage bestehenden Verwaltungsgerichte sind damals zusammen mit den anderen Landesbehörden aufgelöst worden. Trotzdem ist der Art. 138 der ersten DDR-Verfassung, der eine Verwaltungsgerichtsbarkeit „zum Schutz der Bürger gegen rechtswidrige Maßnahmen der Verwaltung" vorsah, niemals aufgehoben worden.

Die ordentlichen Gerichte sind in der DDR für die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen der öffentlichen Gewalt und dem einzelnen Bürger in der Regel nicht zuständig. Gegen rechtswidrige Verwaltungsmaßnahmen gab es bisher gewöhnlich nur das Recht der Beschwerde an die vorgesetzte Behörde, die ent-

gültig entschied. Bisher gab es in Mittel-deutschland keine Staatshaftung w). In diesen beiden Punkten kündigt die neue Verfassung bedeutsame Verbesserungen an, wenn natürlich auch abzuwarten bleibt, wie die in den Artikeln 105 und 106 angekündigten Verfahrensgesetze dazu ausgestaltet sein werden.

Die Neuregelung des Beschwerderechts kennt je nach der Behördenebene unterschiedliche Verfahren. Für die Behandlung von Beschwerden gegen Leitungsentscheidungen des Ministerrats, des Obersten Gerichts oder des Generalstaatsanwaltes ist der Staatsrat zuständig. Uber Beschwerden gegen Entscheidungen zentraler Organe des Ministerrats befindet nicht die Stelle, die Anlaß zur Beschwerde gegeben hat, sondern die vorgesetzte Behörde, also der Ministerrat (Art. 104). Beschwerden gegen Entscheidungen örtlicher Organe sind dagegen bei dem Leiter der entscheidenden Behörde einzulegen. Erst wenn dieser seine Entscheidung nicht abändert, ist der Beschwerdeführer berechtigt, sich an eine andere Stelle zu wenden. Dies ist aber bei derartigen Entscheidungen örtlicher Organe nicht die nächsthöhere Behörde, sondern die zuständige Volksvertretung (Bezirkstag, Kreistag, Stadtverordnetenversammlung usw.). Bei den örtlichen Volksvertretungen sollen zu diesem Zweck besondere Beschwerdeausschüsse gebildet werden, deren Aufgaben und Rechte durch Erlaß des Staatsrates geregelt werden sollen (Art. 105).

Für Schäden, die einem Bürger oder seinem persönlichen Eigentum durch ungesetzliche Maßnahmen von Mitarbeitern der Staatsorgane zugefügt werden, haftet künftig das Organ, dessen Mitarbeiter den Schaden verursacht hat. Voraussetzungen und Verfahren dieser Staatshaftung sollen durch ein Gesetz der Volkskammer geregelt werden (Art. 106). Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung von Staatshaftungsansprüchen den Beschwerdeausschüssen der Volksvertretungen, Verwaltungsbehörden oder den Gerichten übertragen wird. In der rumänischen Verfassung von 1965 beispielsweise ist dafür eine fortschrittliche Lösung gefunden worden. Dort hat man für Bürger, die durch ungesetzliche Akte der öffentlichen Gewalt in ihren Rechten beeinträchtigt worden sind, den Weg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet Diese Regelung kommt Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ziemlich nahe, wenn natürlich auch abzuwarten bleibt, wie sie gehandhabt wird. überblickt man die Entwicklung des Rechtsschutzes gegen Verwaltungsmaßnahmen in Mitteldeutschland seit 1945, so kann man feststellen, daß seit dem Tiefpunkt, der 1952 mit der Auflösung der Verwaltungsgerichte der Länder eingetreten war, eine Aufwärtsentwicklung zu modernen und sachgerechten Lösungen in Gang gekommen ist, die in der geschilderten Weise auch in der neuen Verfassung ihren Niederschlag gefunden hat. Der in Art. 106 unternommene Versuch einer wirksamen Rechtsbindung der Verwaltung erinnert freilich in der Unterscheidung zwischen Staat und schädigendem Staatsorgan an die Anfänge des deutschen Staatshattungsrechts im vorigen Jahrhundert, als wegen des Got-tesgnadentums nicht der Souverän, sondern nur der „Fiskus" als Vermögensmasse des Herrschers verklagt werden konnte. Eine nüchterne Betrachtungsweise wird indessen anerkennen müssen, daß die Entscheidung von Streitigkeiten über Verwaltungsmaßnahmen am besten Stellen übertragen wird, die außerhalb der Verwaltung stehen und in der Streitschlichtung erfahren sind. Ob man die ordentliche Gerichtsbarkeit damit betraut oder besondere Verwaltungsgerichte errichtet, ist eine zweitrangige Frage, weil die Lösungsform vielfach historisch zufällig ist.

Die neue Verfassung der DDR kennt ebensowenig wie die alte eine Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie etwa in der jugoslawischen Bundesverfassung von 1963 vorgesehen ist und im Zusammenhang mit der Erneuerung der tschechoslowakischen Verfassung aus dem Jahre 1960 augenblicklich in der CSSR diskutiert wird. In der sozialistischen Verfassung der DDR ist wie schon bei ihrer Vorgängerin vorgesehen, daß die höchsten Machtorgane über die Verfassungsmäßigkeit der von ihnen erlassenen Rechtsvorschriften selbst entscheiden. Sie sind also Ausleger in eigener Sache, so daß von einer echten Überprüfung etwaiger Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsvorschrift nicht die Rede sein kann. Der Staatsrat legt die Verfassung und die Gesetze verbindlich aus, soweit dies nicht durch die Volkskammer selbst erfolgt (Art. 71 Abs. 3). Da eine Zuständigkeitsabgrenzung zwischen beiden Organen fehlt und der Staatsrat die Tagungen der Volkskammer vorbereitet und einberuft, interpretiert hauptsächlich er die Verfassung und prüft die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Gemäß Art. 89 Abs. 3 entscheidet er außerdem über Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften des Ministerrates und anderer staatlicher Organe. Betrachtet man diesen Verfassungsabschnitt, der mit „Sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtspflege" überschrieben ist, abschließend unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit des Bürgers, so findet sich im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf eine kleine, aber doch schwerwiegende Verschlechterung. Dort hieß es nämlich in Art. 90: „Rechtsvorschriften haben keine rückwirkende Kraft." Dieser Satz fehlt im endgültigen Text der neuen Verfassung. Der Erlaß rückwirkender Rechtsvorschriften ist jetzt nur noch im Strafrecht untersagt (Art. 99). Damit wird die Berechenbarkeit der Rechtsordnung für den einzelnen Bürger verringert, denn er weiß ja nicht, ob ein späteres Gesetz sein früheres Verhalten anderen Regeln unterwirft. Man denke etwa nur an rückwirkende Steuergesetze und die darin liegenden Möglichkeiten.

IX. Die Grundrechte

In freiheitlich-demokratischen Staaten dienen Grundrechte als Versassungsbestimmungen dazu, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der staatlichen Macht und der Handlungsreiheit des Bürgers zu sichern. Die Grund-•echte sollen den einzelnen vor allem gegen . mrechtmäßige Eingriffe abschirmen und ihm dadurch eine Sphäre autonomer Entfaltung seiner Persönlichkeit rechtlich sichern. Neuerdings wird zunehmend anerkannt, daß die Grundrechte darüber hinaus dem einzelnen iuch gegenüber mächtigen Gruppen der Ge-

iellschaft (z. B. Gewerkschaften und Arbeitjebern) und bei Übergriffen einzelner andeer Bürger Schutz gewähren.

Zweckgebundene sozialistische Persönlichkeitsrechte" \us der Sicht der SED-Machthaber sollen Grundrechte nicht die autonome Entfaltung les einzelnen gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt schützen. Die behauptete Übereinstimaung gesellschaftlicher und individueller Ineressen im Sozialismus läßt die Ausgestal-ung der Grundrechte als einklagbare Freiieitsrechte überflüssig erscheinen. Alle Grund-echte sind relative, von der politischen Situaion abhängige Rechtsgewährungen der recht-ch unbeschränkten Staatsgewalt, die wieder-

m von der Parteiführung auf die Errichtung er kommunistischen Gesellschaft orientiert ; t. Die Entwicklung auf diesen Endzustand in ist angeblich objektiv notwendig und un-ufhaltsam, daher der Bewertung mit Rechtslaßstäben entzogen. Auch darf dieser Ge-

chichtsablauf nicht etwa durch die Geltendlachung individueller Schutzrechte im subjek-

ven Interesse gehemmt werden. Die Grund-

echte in der DDR sind als sogenannte soziali-

ische Persönlichkeitsrechte somit nur Instruente der Politik der SED-Führung mit dem iel, die Persönlichkeit jedes Bürgers so um-

iformen, daß er stets und unbedingt den ührungsanspruch der Partei anerkennt. Erst wenn der Bürger das Wertungssystem der Parteiführung, die marxistisch-leninistische Weltanschauung, akzeptiert hat und sich aktiv für deren Ziele einsetzt, tritt eine gewisse Rechtsschutzwirkung der Grundrechte zu seinen Gunsten ein. Die Grundrechte in der DDR schützen also nur parteikonforme Verhaltensweisen des einzelnen. Letztlich geben daher erst die aktuellen politischen Zielsetzungen der SED-Führer jedem Grundrecht seinen konkreten Inhalt Diesen zweckgebundenen Charakter der Grundrechte in der neuen Verfassung kennzeichnete Ulbricht so: „Wir sind bei ihrer Formulierung davon ausgegangen, daß sie die Bürger unserer DDR befähigen mögen, aktiv und bewußt ihr Leben und damit ihren sozialistischen Staat zu gestalten."

Grundrechte sind ohnehin von der marxistisch-leninistischen Lehre her gesehen kein notwendiger Bestandteil der Rechts-und Verfassungsordnung. Für unser Rechtsdenken ist ein Kern von Rechtspositionen, den das Grundgesetz in Art. 1 Absatz 2 etwa als „unveräußerliche Menschenrechte" umschreibt, willkürlicher staatlicher Regulierung entzogen. Im kommunistisch regierten Staat kann der einzelne Mensch dagegen lediglich Träger von der Staatsmacht widerruflich gewährter Berechtigungen und auferlegter Pflichten sein, die nach Nützlichkeitsgesichtspunkten festgelegt werden. Als Inhaber unveräußerlicher, überstaatlicher Menschenrechte wird er in dieser Ordnung nicht anerkannt. Deshalb überrascht es, daß die Verfassungen sozialistischer Staaten zumeist umfangreiche Abschnitte über die Audi Grundrechte enthalten. wenn dabei nur weltanschaulich zweckgebundene Bürgerrechte gewährt werden, kann darin sicher eine Fern-wirkung der Grundrechtskataloge in den Ver-fassungen moderner Rechtsstaaten gesehen werden.

Dadurch, daß sich die Grundrechte während der Übergangsperiode in ihrem Wesensgehalt verändert und zu sozialistischen Persönlichkeitsrechten entwickelt hätten, sei das Recht auf „aktive Mitgestaltung an der Leitung des Staates" zum fundamentalsten Grundrecht geworden Diesem wichtigsten Grundrecht seien alle übrigen als spezielle „Gestaltungsrechte" untergeordnet. Diese unterteilt die mitteldeutsche Staatsrechtslehre nach Sachbereichen in „die ökonomischen, kulturellen und politischen Rechte, nämlich das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung und das Recht auf Politik, wobei diese Rechte wiederum ganze Gruppen von Einzelrechten umfassen" Der unbefangene Beobachter kann allerdings rasch feststellen, daß die sozialistischen Grundrechte eine gestaltende Mitwirkung im Rechtssinne nicht eröffnen Die unter diesem Gesichtspunkt entwickelte Grundrechtssystematik führt deshalb nur dazu, daß die Freiheitsrechte des einzelnen auch rechtstheoretisch in eine Randlage verwiesen werden und statt dessen die berufliche Arbeit gemäß den Direktiven der Parteiführung in den Mittelpunkt der Grundrechtsordnung rückt.

In Anlehnung an diese Systematik enthält die sozialistische Verfassung der DDR in einem „Grundrechte und Grundpflichten der Bürger" überschriebenen Kapitel 22 Grundrechtsartikel (Art. 19— 40). Entsprechend den geschilderten Grundsätzen der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie, wie sie heute in Mitteldeutsch-land vertreten wird, stellen diese Grundrechte keine allgemeingültigen Menschenrechte dar, sondern sind Rechtsgewährungen nur an die Bürger der DDR. Die weltanschauliche Zweck-gebundenheitaller Grundrechte wird erkennbar, wenn es in Art. 19 Abs. 3 heißt, der einzelne Bürger verwirkliche Freiheit und Würde seiner Persönlichkeit dadurch, daß er frei von Ausbeutung, Unterdrückung und wirtschaftlicher Abhängigkeit „seine Kräfte aus freiem Entschluß zum Wohle der Gesellschaft und zu seinem eigenen Nutzen in der sozialistischen Gemeinschaft ungehindert" entfalte.

Art. 20 gewährleistet die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Im Gegensatz zum Entwurf wird dabei jetzt ausdrücklich gesagt, daß dies auch unabhängig vom weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnis gelte. Der Satz dieses Artikels, daß Gewissens-und Glaubensfreiheit gewährleistet seien, stand ebenfalls noch nicht im Entwurf.

Die folgenden Artikel legen gemäß der geschilderten theoretischen Systematik zunächst die Hauptgrundrechte fest. An der Spitze steht „das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates umfassend mitzugestalten" (Art. 21). Im nächsten Artikel ist das Wahlrecht niedergelegt.

„Die Leitung der Wahlen durch demokratisch gebildete Wahlkommissionen, die Volksaussprache über die Grundfragen der Politik und die Aufstellung und Prüfung der Kandidaten durch die Wähler" werden darin als unverzichtbare sozialistische Wahlprinzipien bezeichnet (Art. 22). Damit wird sich am Wahl-verfahren mit Einheitslisten, auf denen die Kandidaten aller Parteien gemeinsam aufgeführt sind, so daß die Wähler allenfalls eine gewisse Auswahl unter diesen der SED genehmen Kandidaten haben, nichts ändern. Da die politische Macht in der DDR aus der „historischen Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei" hergeleitet wird, beruht sie ohnehin nicht auf Wahlen. Nachdem in Art. 23 noch eine Verteidigungspflicht für alle Bürger normiert worden ist, verankern die nächsten Artikel das Recht auf Arbeit (Art. 24) und das Recht auf Bildung (Art. 25 u. 26), die ja von der mitteldeutschen Theorie ebenfalls mit zu den wichtigsten Grundrechten gezählt werden. Eingeschränkter Grundrechtsschutz Vergleicht man die einzelnen Grundrechtsbestimmungen des Entwurfs mit denen der bisherigen Verfassung, ist ein erheblicher Rückschritt festzustellen. Wichtige Grundrechte fehlen ganz. Dazu zählen das Streikrecht, die Auswanderungsfreiheit, das Recht auf freie Berufswahl, das Verbot der Pressezensur und das Widerstandsrecht. Auch die Zusicherung, daß Kunst, Wissenschaft und Lehre frei seien, ist fortgefallen. Die ausführliche Regelung der Grundrechte im religiösen Bereich, die sich in Anlehnung an den Text der Weimarer Reichsverfassung in den Art. 41— 48 der bisherigen Verfassung fand, kehrt ebenfalls nicht wieder.

Besonders die persönlichen Freiheitsrechte, die sich in den Artikeln 27— 32 finden, erfahren im Vergleich zu ihrer Formulierung in der bisherigen Verfassung erhebliche Einengungen. Sie sind jetzt deutlich als zweckgebundene sozialistische Persönlichkeitsrechte erkennbar, weil sie ausdrücklich nur für verfassungskonforme Zwecke gewährt werden. So besteht beispielsweise das Versammlungsrecht nur „im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung" (Art. 28). Dagegen besteht in der Bundesrepublik gemäß Art. 8 des Grundgesetzes Versammlungsfreiheit auch für Demonstrationen, die der Regierung oder der Mehrheit der Bevölkerung mißfallen. Dieses Demonstrationsrecht wird gerade augenblicklich durch eine Minderheit exzessiv strapaziert. Dessen ungeachtet wird es aber von den Gerichten notfalls gegen den Willen der Verwaltung durchgesetzt.

In ähnlicher Weise wie die Versammlungsfreiheit werden in der neuen DDR-Verfassung die Grundrechte der Meinungs-und Vereinigungsfreiheit nur für verfassungskonforme Zwecke gewährt. Was freilich verfassungsgemäß ist, stellt nicht ein Gericht fest, sondern der Staatsrat, also das höchste Machtorgan.

Mitteldeutsche Juristen betonen stets zwei Aspekte ihres Grundrechtsdenkens als besonders fortschrittlich, nämlich die verfassungsrechtliche Festlegung sogenannter materieller Garantien für jedes Grundrecht und die soge-nannte dialektische Einheit von Grundrechten und Grundpflichten. In Art. 28 liest sich diese Garantie eines Grundrechts so: „Alle Bürger haben das Recht, sich im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung friedlich zu versammeln.

Die Nutzung der materiellen Voraussetzungen zur unbehinderten Ausübung dieses Rechts, der Versammlungsgebäude, Straßen und Kundgebungsplätze, Druckereien und Nachrichtenmittel wird gewährleistet."

Auch die von den Kommunisten vielgepriesene Einheit von Grundrechten und Grund-pflichten spricht für sich selbst. So heißt es beispielsweise in Art. 24: „Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie W’ahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation. . . .

Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit."

Ein Verfassungsartikel, der eine Pflicht zur Arbeit normiert und die freie Wahl des Arbeitsplatzes nur „entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen", die natürlich die politische Führung festlegt, zuläßt, wird von den Bürgern demokratischer Staaten als unzumutbar abgelehnt. Die SED feiert ihn als Errungenschaft sozialistischer Staatlichkeit.

Die sozialen Grundrechte nehmen in der neuen Verfassung verhältnismäßig breiten Raum ein (Art. 34— 38). Auch hier werden statt rechtlicher stets sogenannte materielle Garantien erwähnt, die gewährleisten sollen, daß diese Grundrechte verwirklicht werden. Die Realisierung von Rechtssätzen ist aber damit noch nicht erreicht. Dies zeigt sich, wenn man bedenkt, daß in der DDR beispielsweise die Gleichberechtigung von Mann und Frau schon seit 1949 unmittelbar geltendes Recht ist, aber Ulbricht noch bei der Begründung des Ent29 wurfs der neuen Verfassung davon sprach, daß der volfen Gleichberechtigung von Mann und Frau immer noch objektive und subjektive Hindernisse entgegenstünden. Programmsätze, denn nichts anderes sind die „materiellen Garantien", bedürfen also zu ihrer Verwirklichung stets noch exakter Ausführungsbestimmungen und einer auf ihre Verwirklichung zielgerichteten ständigen Bemühung im Rechtsalltag.

Die Grundrechte im religiösen Bereich sind bisher in enger Anlehnung an das Vorbild der Weimarer Reichsverfassung ausführlich in acht Artikeln geregelt gewesen. Sie erfahren jetzt entsprechend dem weltanschaulich gebundenen Charakter der öffentlichen Gewalt in Mitteldeutschland, die dem atheistischen Marxismus-Leninismus verpflichtet ist, eine radikale Verkürzung. Die neue Verfassung geht nur noch in Art. 39 darauf ein. Dabei hat sich das SED-Regime nicht bereit gefunden, die Autonomie der Religionsgemeinschaften weiterhin verfassungsrechtlich zu sichern, obwohl die beiden großen Kirchen während der sogenannten Volksaussprache zum Entwurf gerade darum mit Nachdruck gebeten hatten. Die Trennung von Kirche und Staat ist somit nicht mehr Verfassungssatz. Art. 39 der neuen Verfassung dürfte gerade durch seine Formulierung, daß die Kirchen „ihre Angelegenheiten und ihre Tätigkeit in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik ordnen und ausüben", als Instrument staatlicher Einmischung mit dem Ziel der Aufspaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland gedacht sein.

Schon diese Beispiele lassen die allgemeine Tendenz erkennen, den Grundrechtsschutz durch Wegfall wichtiger Rechte und bei den übrigen Bestimmungen durch Einengungen und weniger genaue Formulierungen erheblich einzuschränken. Praktisch bringt die neue Verfassung allerdings keine großen Veränderungen, denn schon bisher wurden die Grundrechtsbestimmungen der Verfassung von 1949 entgegen ihrem freiheitlichen Wortlaut und Sinn von den Kommunisten parteilich gehandhabt. Künftig werden also Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in Mitteldeutsch-land nicht mehr so weit auseinanderfallen wie bisher. Die weltanschauliche Gebundenheit der Verfassung als Ganzes wie auch die Unberechenbarkeit ihrer einzelnen Bestimmungen für den Bürger wird man schon aus dem Text besser ablesen können. Wenn aber Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden ist, wie es Rosa Luxemburg einmal gesagt hat, dann ist der Grundrechtskatalog der neuen DDR-Verfassung nicht fortschrittlich.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Neues Deutschland 1. Februar 1968, S. 6.

  2. So Ulbricht in seiner Rede zur Begründung des Entwurfs, Neues Deutschland 1. Februar 1968, S. 2.

  3. Neues Deutschland 1. Februar 1968, S. 6.

  4. Neues Deutschland 2. Dezember 1967, S. 5.

  5. Abgedruckt in Dokumente der SED, Bd. I, Berlin (Ost) 1952, S. 114— 137.

  6. Zur Entstehungsgeschichte der ersten DDR-Verfassung vgl. Detlev Travers, Entwicklung und ideologische Hintergründe der Verfassungsarbeiten in der SBZ bis zur Gründung der „DDR", Juristische Dissertation, Freiburg i. Br. 1962.

  7. Nachweise dafür bei Müller-Römer, Die Grundrechte in Mitteldeutschland, Köln 1965, S. 107— 210.

  8. Protokoll der Verhandlungen des V. Partei-tages der SED, Bd. I, Berlin (Ost) 1959, S. 51.

  9. Nachweise bei Müller-Römer, a. a. O., S. 132 ff.

  10. Haney, Das Recht der Bürger und die Entfaltung der sozialistischen Persönlichkeit, in: Staat und Recht, 1962, S. 1063— 1080 (1074).

  11. Bescheid der Bezirksbehörde Dresden der Deutschen Volkspolizei, abgedruckt in: Die Flucht aus der Sowjetzone und die Sperrmaßnahmen des kommunistischen Regimes vom 13. August 1961 in Berlin, Bonn und Berlin 1961, S. 106 (Dokument Nr. 116).

  12. Gesetz über die weitere Demokratisierung des Ausbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. Juli 1952 (GBl, S. 613).

  13. Gesetz über die Auflösung der Länderkammer der DDR vom 8. Dezember 1958 (GBl I, S. 867).

  14. Gesetz über die Reform des öffentlichen Haushaltswesens vom 15. Dezember 1950 (GBl, S. 1201).

  15. Erlaß des Staatsrates der DDR zu den Ordnungen über die Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe vom 28. Juni 1961 (GBl I, S. 51) in Verbindung mit dem Erlaß des Staatsrates der DDR über Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe unter den Bedingungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft vom 2. Juli 1965 (GBl I, S. 159).

  16. Heute gilt das Gesetz über den Ministerrat der DDR vom 17. 4. 1963 (GBl I, S. 89).

  17. Gesetz über die Bildung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 27. 2. 1960 (GBl I, S. 89).

  18. Gesetz über die Bildung des Staatsrates der DDR vom 12. 9. 1960 (GBl I, S. 505).

  19. Für die Einzelheiten vgl. Mampel, Die Verfassung der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Text und Kommentar, Frankfurt a. M. 1966 2.

  20. Neues Deutschland 1. Februar 1968, S. 2.

  21. Zur DDR-Version der marxistisch-leninistischen Staatslehre vgl. Mampel, Die Entwicklung der Verfassungsordnung in der Sowjetzone Deutschlands von 1945 bis 1963, in: Jahrbuch des öffenlichen Rechts, Bd 13, S. 455— 579 (456— 494), und Müller-Römer, Die Grundrechte in Mitteldeutschland, Köln 1965, S. 29— 43.

  22. Einzelheiten bei Schultz, Die Diktatur des Proletariats und das Verfassungsrecht der europäischen Volksdemokratien, in: Recht in Ost und West, 1965, S. 229— 237.

  23. Vgl. dazu Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Lehrbuch, Übersetzung aus dem Russischen, Berlin (Ost) 1960, S. 619— 621.

  24. So beispielsweise Siegfried Petzold, Das Recht in der Periode des umfassenden Aufbaus des Sozialismus in der DDR, in: Staat und Recht, 1963, S. 17— 32.

  25. So in der Kritik des Gothaer Programms, zitiert nach Marx/Engels, Ausgewählte Schriften in 2 Bänden, 10. Ausl., Berlin (Ost) 1960, Bd. II, S. 24.

  26. Vgl. das Kommunique über die 3. Tagung des Zentralkomitees der SED vom 23. bis 24. November 1967 (Neues Deutschland 25. November 1967, S. 1), worin allerdings nur von einer Information „über Fragen des Staatsrechts" die Rede ist.

  27. Erklärung des Vorsitzenden des Staatsrates vor der Volkskammer am 1. Dezember 1967, abgedruckt in: Neues Deutschland 2. Dezember 1967, S. 3— 5.

  28. Beschluß der Volkskammer der DDR über die Zustimmung der Volkskammer der DDR zur Erklärung des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR vom 1. 12. 1967 (GBl I, S. 129).

  29. Beschluß der Volkskammer der DDR über die Bildung einer Kommission der Volkskammer der DDR zur Ausarbeitung einer sozialistischen Verfassung der DDR vom 1. 12. 1967 (GBl I, S. 130).

  30. Kommunique der 4. Tagung des Zentralkomitees der SED vom 29. bis 30. Januar 1968, abgedruckt in: Neues Deutschland 31. Januar 1968, S. 1.

  31. Erstmals veröffentlicht in: Neues Deutschland 2. Februar 1968.

  32. Entschließung der Volkskammer der DDR zum Bericht der Kommission zur Ausarbeitung einer sozialistischen Verfassung der DDR vom 31. 1. 1968 (GBl I, S. . 121).

  33. So Professor Correns in seinem Bericht vor der Volkskammer am 26. März 1968, abgedruckt in: Neues Deutschland 27. März 1968.

  34. Einige Beispiele derartiger Änderungsvorschläge und ihrer Berücksichtigung bei der Abfassung des endgültigen Textes bringt Neues Deutschland 3. April 1968, S. 3.

  35. Die Zahlenangaben stammen aus dem Bericht der Verfassungskommission über die Ergebnisse der „Volksaussprache zum Entwurf", der teilweise veröffentlicht worden ist (Neues Deutschland 28. März 1968, S. 2 und 4).

  36. Vgl. Neues Deutschland 15. März 1968, S. 1.

  37. Kommunique der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED am 21. März 1968, abgedruckt in: Neues Deutschland 22. März 1968, S. 1.

  38. Entschließung der Volkskammer der DDR vom 26. März 1968 (GBl I, S 191).

  39. Gesetz zur Durchführung eines Volksentscheides über die Verfassung der DDR vom 26. 3. 1968 (GBl I, S. 192).

  40. Vgl. die Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses in: Neues Deutschland 9. April 1968, S.'l.

  41. Amtlich veröffentlicht in GBl I, S. 199.

  42. So zuerst Mampel, Die SED im materiellen Verfassungsrecht der SBZ, in: Recht in Ost und West, 1963, S. 49— 60 (51).

  43. Rede zur Begründung des Verfassungsentwurfs, Neues Deutschland 1. Februar 1968, S. 3. Verfassungsrechtlich ergibt sich das auch aus Art. 2 Absatz 2, wo vom „festen Bündnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, den Angehörigen der Intelligenz und den anderen Schichten des Volkes“ die Rede ist.

  44. Neues Deutschland 1. Februar 1968, S. 5.

  45. Nachweise dafür bei Hacker, Das Selbstbestimmungsrecht aus der Sicht der „DDR", in: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Osteuropa und China, hrsg. von Boris Meissner, Köln 1968, S. 164— 186 (180, 186).

  46. So in letzter Zeit z. B. Neubert, Die deutsche Wirklichkeit von heute, Neues Deutschland 28. Dezember 1967, S. 4.

  47. So ausdrücklich: Neues Deutschland 20. Dezember 1967, S. 1: „Die DDR als die wahre Interessen-vertreterin des deutschen Volkes betrachtet. .. Westdeutschland . .. nicht als Ausland." Auch die neue Verfassung bietet dafür einen — allerdings geringfügigen — Hinweis. Art. 33 Absatz 1 gibt dem Bürger Anspruch auf Rechtsschutz durch DDR-Organe „bei Aufenthalt außerhalb der DDR". Im Entwurf hieß es an dieser Stelle noch? „bei Aufenthalt im Ausland".

  48. Norden sagte laut Neues Deutschland 19. Dezember 1967, S. 1: „Die These: , DDR kein Ausland für die Bundesrepublik'— ist also ein neues Kostüm für die verschärfte Annexionspolitik Bonns gegenüber dem sozialistischen deutschen Friedens-staat. . . . Warum die diskrete negative Umschreibung? Weil die Alternative sofort zeigen würde, was wirklich gemeint ist: . sondern Inland'." Dagegen hieß es in: Neues Deutschland 20. Dezember 1967, S. 1: „Versuche in Bonn, uns zu unterstellen, wir behandelten Westdeutschland als Ausland, sind grob demagogisch."

  49. Art. 1 Absatz 3 in Verbindung mit Art. 14 Absatz 2.

  50. Näheres zur kommunistischen Eigentumslehre bei Wiedemann, Das sozialistische Eigentum in Mitteldeutschland, Köln 1964, und Pfaff, Das sozialistische Eigentum in der Sowjetunion, Köln 1965.

  51. Art. 22 Absatz 4 der bisherigen Verfassung.

  52. Vgl. die entsprechenden Klauseln in Art. 11 Absatz 3 und Art. 14 Absatz 1, die über eine bloße Sozialbindung des Eigentums hinausgehen.

  53. Für weitere Einzelheiten dieses Fragenkreises vgl. Müller-Römer, Ulbrichts gesamtdeutsches Modell. Sozial-und wirtschaftspolitische Aspekte des DDR-Verfassungsentwurf, in: der arbeitgeber 1968, S. 114— 118.

  54. Tippmann, Die Bildung der Produktionskomitees in Großbetrieben — ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung der sozialistischen Demokratie, in: Staat und Recht, 1964, S. 474— 488 (485).

  55. Ebenda, S. 484.

  56. Vgl. das Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen vom 17. 1. 1957 (GBl I, S. 72) in Verbindung mit dem Änderungsgesetz vom 20. 9. 1961 (GBl I, S. 173).

  57. § 11 Absatz 2 des Gesetzes über die Verfassung der Gerichte der DDR vom 17. 4. 1963 (GBl I, S. 45).

  58. Unger, Die Rolle der Wahlen in der DDR für die weitere Festigung und Entwicklung der sozialistischen Staatsorgane und für die sozialistische Bewußtseinsbildung der Werktätigen, in: Staat und Recht, 1958, S. 953— 962 (955).

  59. So Heinz Stern, Die Zeit ist reif, Neues Deutschland 3. Dezember 1967, S. 1.

  60. § 4 Absatz 2 des Gesetzes zur Verteidigung der DDR vom 20. 9. 1961 (GBl I, S. 175).

  61. Die Einzelheiten regelt heute das Gesetz über die Verfassung der Gerichte der DDR (Gerichtsverfassungsgesetz) vom 17. 4. 1967 (GBl I, S. 45).

  62. § 4 des Erlasses des Staatsrates der DDR über die Stellung und die Aufgaben der Gerichte für Militärstrafsachen (Militärgerichtsordnung) vom 4. 4. 1963 (GBl I, S. 71).

  63. Gesetzliche Grundlage für ihre Tätigkeit ist heute die Verordnung über die Konfliktkommissionen vom 17. 4. 1963 (GBl II, S. 237), mit der die Richtlinie über die Wahl und die Arbeitsweise der Konfliktkommissionen bestätigt wurde, die der FDGB-Bundesvorstand am 30. 3. 1963 erlassen hatte.

  64. Gesetzliche Grundlage über ihre Tätigkeit ist die Richtlinie des Staatsrates der DDR über die Bildung und Tätigkeit von Schiedskommissionen vom 21. 8. 1964 (GBl I, S. 115).

  65. § 10 des Gerichtsverfassungsgesetzes.

  66. § 12 des Gerichtsverfassungsgesetzes.

  67. § 17 des Gerichtsverfassungsgesetzes.

  68. So ausführlich das Oberste Gericht in einem Urteil, das in der Neuen Justiz 1961, S. 104, abgedruckt ist.

  69. Neuerdings dazu ausführlich: Beschluß des Plenums des Obersten Gerichts zur weiteren Vervollkommnung der Leitungstätigkeit der Gerichte v. 18. 10. 1967 (Neue Justiz 1967, S. 689).

  70. Für weitere Einzelheiten der gegenwärtig in Mitteldeutschland herrschenden Meinung zur richterlichen Unabhängigkeit vgl. Herrmann und Schüs-seler, Inhalt und Bedeutung der Unabhängigkeit des Richters in der DDR, in: Neue Justiz, 1963, S. 129 bis 135.

  71. Für die Einzelheiten vgl. jetzt die §§ 36 und 37 des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der DDR v. 17. 4. 1963 (GBl I, S. 57).

  72. Vgl. Art. 98 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 3 und Art. 74 der Verfassung.

  73. Vgl. dazu Brintzinger, Staatshaftung für Amtspflichtverletzungen in der SBZ?, in: Recht in Ost und West, 1965, S. 145— 155 und 193— 202.

  74. Art. 35 in Verbindung mit Art. 96 Abs. 3 der rumänischen Verfassung.

  75. Für die Einzelheiten der mitteldeutschen Grundrechtstheorie vgl. Müller-Römer, Die Grundrechte in Mitteldeutschland, Köln 1965, S. 59— 99.

  76. Neues Deutschland 1. Februar 1968, S. 4.

  77. So 1958 erstmals Polak, Zur Dialektik in der Staatslehre, 3. Ausl., Berlin (Ost) 1963, S. 167.

  78. Ulrich Krüger und Eberhard Poppe, Bürgerliche Grundrechte und sozialistische Persönlichkeitsrechte, in: Staat und Recht, 1961, S. 1921— 1932 (1932). Darüber neuerdings ausführlich Klenner, Studien über die Grundrechte, Berlin (Ost) 1964, S. 101— 128.

  79. Nachweis bei Müller-Römer, a. a. O., S. 85 f.

Weitere Inhalte

Dietrich Müller-Römer, Dr. jur., Dipl. -Kaufmann, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Ostrecht der Universität zu Köln, geb. 1. Mai 1934 in Hainsberg. Veröffentlichungen u. a.: Die Grundrechte in Mitteldeutschland, Köln 1965; Ulbrichts Grundgesetz, Köln 1968; verschiedene Aufsätze in Fachzeitschriften.