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Grundrechte und Wiedervereinigung | APuZ 24/1968 | bpb.de

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APuZ 24/1968 Grundrechte und Wiedervereinigung

Grundrechte und Wiedervereinigung

Karl Josef Partsch

Im Anschluß an die Diskussion des Deutschland-Memorandums von W. W. Schütz hat der Verfasser am 10. Dezember 1967 bei einem „Gespräch über Menschenrechte" in der Berliner Kongreßhalle zu dem Zusammenhang zwischen der neuen Wiedervereinigungskonzeption mit dem Problem des Schutzes der Menschenrechte Stellung genommen (Fischer-Bücherei Nr. 903). Unlängst hat er seine Gedanken in einem Vortrag in Bonn näher ausgeführt und dabei auch die neue Verfassung der DDR einbezogen.

Das politische Problem

Die beiden Themen des Grundrechtsschutzes und der deutschen Wiedervereinigung sind erst dadurch miteinander in einen Zusammenhang gerückt worden, daß man sich über die Möglichkeiten und Aussichten neue Gedanken gemacht hat, die unselige Spaltung Deutschlands zu überwinden. Solange man von der These der bisherigen Bundesregierungen und auch des Bundestages ausging, daß eine Wiedervereinigung nur auf der Grundlage international kontrollierter allgemeindeutscher Wahlen zu einer verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung möglich und denkbar sei, kam dem Thema „Grundrechte und Wiedervereinigung" nur ganz theoretische Bedeutung zu. Denn dann wäre es allein darauf angekommen, wie diese gesamtdeutschen Wahlen ausfallen würden. Selbst wenn die Deutschen in Mitteldeutschland geschlossen für ihre gesellschaftspolitische Konzeption stimmen würden — was unwahrscheinlich ist —, könnten sie diese niemals gegen die mehr als dreimal so starke Bevölkerung in der Bundesrepublik durchsetzen. Schon dieses Zahlenverhältnis läßt es unwahrscheinlich erscheinen, daß die Minderheit sich jemals einer derartigen Volksabstimmung unterwirft, selbst wenn es ihr gelingen sollte, sich der Bewegung anzuschließen, die anderen Staaten im Einflußbereich der Sowjetunion eine so bemerkenswerte Eigenständigkeit gegenüber den Staatsdoktrinen des großen Verbündeten im Osten verlieh.

In der Bundesrepublik hat in der letzten Zeit der Gedanke Boden gewonnen, eine Wiedervereinigung könne sich auch auf einem Wege vollziehen, welcher die Existenz einer anderen politischen Ordnung auf deutschem Boden in Rechnung stellt und als Gegebenheit hinnimmt. Es soll ganz bewußt von einer anderen politischen Ordnung und nicht von einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt die Rede sein, da es durchaus nicht nötig ist, auch wenn man eine andere politische Ordnung als existent anerkennt, diese als einen fremden Staat, als ein anderes Völkerrechtssubjekt zu betrachten. Von dieser Konzeption geht die Deutschland-Denkschrift von Wilhelm Wolfgang Schütz aus, die viele Anhänger der traditionellen Deutschland-und Wiedervereinigungspolitik schockiert hat. Unter Aufgabe gewisser verhärteter und deswegen zweifelhaft gewordener Positionen versucht ihr Autor, der inzwischen stattgehabten Entwicklung Rechnung zu tragen und neue Wege für eine Wiedervereinigung zu suchen, ohne doch das grundsätzliche Postulat aufzugeben, daß es ein deutsches Volk gibt und daher ein Weg zu finden ist, wie dieses eine deutsche Volk — auch über alle Trennungen hinweg — eine gemeinsame Form für sein politisches Dasein finden kann.

Ich bin mir dessen bewußt, was ich dem Leser zumute, wenn ich ihn bitte, diese Prämisse zu akzeptieren, daß in unserem Land zwei politische Ordnungen existieren und ein Weg zu finden ist, sie miteinander auf dem Wege des Verständnisses und des gegenseitigen Nachgebens zu vereinigen.

Bisher wurde die Legitimation zur Machtausübung in dem anderen Teil Deutschlands aus drei Gründen abgestritten:

Erstens wegen der Abhängigkeit von der ehemaligen Besatzungsmacht: In dieser Beziehung besteht kein großer Unterschied zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Zwar mag die Einflußnahme der russischen Besatzungsmacht auf das östliche Deutschland intensiver gewesen sein als der in den drei westlichen Zonen von den Besatzungsmächten ausgeübte Einfluß, aber wir haben in den Jahren 1945 bis 1949 doch eine erhebliche Einwirkung dieser Besatzungsmächte auf unser inneres politisches Leben und auch auf unsere Rechtsordnung erfahren, die sich sogar noch auf die Ausgestaltung des Grundgesetzes auswirkte. Es sei nur an die Frage des deutschen Föderalismus erinnert.

Zweitens wurden Einwände erhoben wegen der mangelnden demokratischen Legitimation des Regimes in Mitteldeutschland. Sie waren und sind berechtigt. Man vergißt aber allzu leicht, daß es auch gewisse Einwendungen gegen die demokratische Legitimation des Grundgesetzes geben kann. Gewiß — diese Verfassungsordnung sollte einen provisorischen Charakter haben. Deswegen hat man gezögert, sie der Zustimmung des Volkes zu unterbreiten. Aber es bleibt doch das Faktum, daß über diese Verfassungsordnung keine Volksabstimmung stattgefunden hat, sondern daß sie lediglich von den Landtagen der deutschen Länder angenommen wurde und daß einer der deutschen Landtage diese Verfassungsordnung abgelehnt hat, ohne allerdings deswegen zum Ausdruck zu bringen, das Land solle nicht zu dieser Bundesrepublik gehören.

Der dritte Grund ist der mangelnde Gerechtigkeitsgehalt der Rechtsordnung auf der anderen Seite. Und das scheint mir das wesentliche Argument zu sein. Zwar beruft sich die DDR-Führung darauf, daß dieser Vorwurf lediglich darauf zurückzuführen sei, daß in der Bundesrepublik der Begriff der Gerechtigkeit anders und unter Vernachlässigung seiner ideologischen Bedingtheiten interpretiert werde. Die Deutsche Demokratische Republik sei der wirkliche deutsche Rechtsstaat. Aber darüber sind sich wohl alle klar, daß die Bundesrepublik nicht bereit sein wird, diese ideologischen Bedingtheiten, die damit gemeint sind, zu akzeptieren. Wenn man nun unterstellt, es werde in Zukunft irgendwann möglich sein, daß sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit den Vertretern der DDR an einen Tisch setzt, um über die Fragen der deutschen Wiedervereinigung zu verhandeln, so stellt sich die Frage, ob auch nur dieser erste Beginn überhaupt verantwortet werden kann, ohne eine grundsätzliche Frage der politischen Lebensform — nämlich die Grundrechtsfrage — anzuschneiden und vorher zu bereinigen. Diese Frage ist nicht dadurch aus der Welt geschafft, daß die Existenz einer politischen Ordnung auf der anderen Seite in irgendeiner Weise anerkannt wird. Wenn Machtausübung des Staates nur dadurch gerechtfertigt ist, daß diese der Gerechtigkeit dient, dann müssen zwei Ordnungen, die zueinander streben und deren Vertreter sich deswegen an einen Tisch setzen, vorab gewisse elementare Gerechtig-keitspostulate klären, um ihr Beginnen glaubwürdig zu machen. Diesseits und jenseits der Linie, welche die beiden deutschen Lebens-ordnungen scheidet, bestehen ganz verschiedene Auffassungen darüber, in welcher Weise die Menschen in diesen Bereichen von der Obrigkeit behandelt werden und wie sie diesen Obrigkeiten entgegentreten.

So stellt sich die Frage, ob es einen gemeinsamen Mindeststandard gibt, auf den man sich diesseits und jenseits der trennenden Linie einigen könnte, um zunächst auch nur ein gemeinsames Gespräch zu ermöglichen. Die Hoffnung, das sei zu bejahen, wird durch die Anschauung unterstützt, daß in vielen Ländern des östlichen Einflußbereiches jedenfalls eine Diskussionsbereitschaft über die Form der persönlichen Freiheit vorhanden ist. Warum sollten nicht unsere Landsleute aus dem östlich beherrschten Raum in ähnlicher Weise einer Diskussion zugänglich werden, wie wir sie heute bereits mit den Menschen in Jugoslawien, der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen zu finden vermögen, wobei die hier angeführte Reihenfolge durchaus keine Grad-abstufung bedeuten soll. In dieser Skala der Diskussionsbereitschaft müßte unser östlicher Nachbar Polen möglicherweise sogar vor der Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien rangieren, obwohl wir heute noch nicht wissen, in welchem Ausmaß die Ereignisse der letzten Wochen in der Tschechoslowakei eine wesentliche Änderung gebracht haben.

Das möge zur politischen Situation genügen, wobei wir uns bewußt sind, daß diese sich rasch ändern kann.

Die rechtliche Situation in der Bundesrepublik

Bis zum Jahre 1949 bestand in der Theorie auf dem Gebiete der Grundrechte noch eine Rechtseinheit zwischen dem westlichen und östlichen Deutschland, und zwar auf der Grundlage der Weimarer Verfassung. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bewußt von dieser gemeinsamen Rechtseinheit entfernt, um den Mängeln des Weimarer Systems abzuhelfen, das sich in der Stunde der Gefahr nicht bewährt hat. Es waren eine ganze Reihe von Elementen, die neu gewonnen werden mußten, um diesen Mängeln abzuhelfen. Bevor diese genannt werden, seien einige terminologische Klärungen vorausgeschickt: „Klassische Freiheitsrechte''dienen der Abgrenzung der Individualsphäre im Verhältnis zum Staat und zu jeder Obrigkeit: Freizügigkeit, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Recht auf den gesetzlichen Richter und so fort. „Soziale Grundrechte" hingegen sind gegen den Staat oder auch gegen die Gesellschaft gerichtete positive Leistungsansprüche auf die Gewährung materieller und auch geistiger Güter: Recht auf Arbeit, Wohnung, Fürsorge, Wohlfahrt, Urlaub, Gesundheit und schließlich auch Glück. „Sozialistische Grundrechte", von denen weiter unten noch die Rede sein wird, sind jedoch mit den „sozialen Grundrechten" nicht identisch. Es sind alle Grundrechte — sowohl die Freiheitsrechte wie die sozialen Grundrechte — in ihrer sozialistischen Ausprägung oder Umdeutung. Die Sprachverwirrung wird allerdings vollkommen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß „sozialistisches Eigentum" nur die Rechts-beziehung zu den sozialisierten Gütern bezeichnet, während das auch im Rahmen einer sozialistischen Rechtsordnung noch anzutreffende Privateigentum kein „sozialistisches Recht" ist.

Neu — gegenüber der Weimarer Verfassung — sind folgende Elemente des Grund-rechtsschutzes im Grundgesetz: 1. Die Beschwörung der vor-rechtlichen und vor-staatlichen Grundlagen der Grundrechte des Menschen, die dazu dient, diese dem Belieben jedes zukünftigen Machthabers zu entziehen (Art. 1 Abs. 1 und 2 GG). 2. Dann ist die strenge Positivierung der Grundrechtsgarantien in Art. 1 Abs. 3 zu erwähnen sowie die Beschränkung des Grundrechtsbestandes auf justiziable klassische Freiheitsrechte. Man war sich darüber klar, daß der Staat, der unter dem Bonner Grundgesetz eine Verfassungsform erhalten sollte, auch ein Sozialstaat sein sollte, und hat das auch in diese Verfassung hineingeschrieben. Aber man hat bewußt davon abgesehen, neben die klassischen Freiheitsrechte auch soziale Grundrechte zu setzen, um auch nicht nur den Verdacht zu begründen, die klassischen Freiheitsrechte sollten der Justiziabilität und damit dieser Form der unmittelbaren Verwirklichbarkeit entbehren. Man war sich im übrigen auch nicht sicher, wie dieser soziale Staat unter den wirtschaftlichen Bedingungen der Nachkriegszeit mit all den Nachwirkungen aus der Kriegszeit aussehen sollte. Deshalb hat man bewußt davon abgesehen, etwa ähnlich wie in der Weimarer Verfassung die Wirtschaftsund Sozialordnung schon im Grundgesetz zu regeln. 3. Weiterhin ist es ein wesentliches Element, daß die Grundrechte des Grundgesetzes nur unter ganz bestimmten Umständen und Voraussetzungen eingeschränkt werden können. Die Einschränkung muß evident gemacht werden, wobei der Vorschrift des Art. 79 Abs. 1, daß jede Verfassungsänderung nur durch eine Textänderung vorgenommen werden darf, eine sehr viel größere Bedeutung zukommt als der Vorschrift des Art. 19 Abs. 1 Satz 2, daß in jedem einschränkenden Gesetz das eingeschränkte Grundrecht ausdrücklich zu nennen sei. Diese Vorschrift ist in vielen Fällen nur schwerlich praktikabel und wird daher von vielen sogar als undurchführbar bezeichnet, was ich persönlich nicht für richtig halte. Dazu kommt häufig der Zwang zur Motivation der Grundrechtseinschränkung, wobei zum Teil nur gewisse Motivationen zugelassen sind, und schließli-ch die Wesensgehaltssperre des Art. 19 Abs. 2, die ursprünglich sicher nicht ganz unproblematisch war, da zu der Zeit, als die deutschen Grundrechte statuiert wurden, ein großer Teil der Grundrechte durch das Besatzungsrecht in seinem Wesensgehalt aufgehoben oder gelockert war und deswegen von diesem noch sehr schwachen deutschen Staat gar nicht wirksam garantiert werden konnte. 4. Ferner ist der wichtigste Grundsatz der Lückenlosigkeit des Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG zu erwähnen, den man die königliche Bestimmung der Grundrechte überhaupt genannt hat. 5. Schließlich hat eine wesentliche Verfeinerung der Grundrechtsgarantien unter Anlehnung an die 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stattgefunden.

Die Wirkung all dieser Maßnahmen, die neu in die Verfassungsordnung eingeführt wurden, ist unschwer abzulesen aus der geradezu revolutionären Einwirkung, die Verfassungsprinzipien auf Verwaltungsinstitutionen genommen haben. Es sei nur daran erinnert, wie etwa das Gewerberecht unter dem Einfluß des Art. 12 des Grundgesetzes umgestaltet wurde und wie diese Umgestaltung die Aussage Otto Mayers, „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht", schlechthin widerlegt hat.

Die Rechtsentwicklung in der DDR

Als die DDR 1949 gegründet wurde, hat man auf eine eigenständige Revision der überlieferten Grundrechtsnormen weitgehend verzichtet und sich eng an die Weimarer Grundrechte angelehnt. Die lockeren und wenig auf eine Bindung der Rechtsanwendungsorgane zugeschnittenen Formulierungen der Weimarer Verfassung erleichterten allerdings eine Auslegung, die dort formulierten Grundrechte seien der Voraussetzung unterworfen, daß sie nur im Rahmen des Staatszweckes ausgeübt werden dürften. Dieser Staatszweck wurde im Sinne der sozialistischen Doktrin formuliert. Es ist nicht erstaunlich, daß diese Unterstellung der überlieferten Grundrechtsgarantien unter den Staatszweck in der Praxis zu grotesken Vergewaltigungen und Verkehrungen des positiven Verfassungsrechts führte.

Die sozialistische Staatslehre in der DDR ist sich bald bewußt geworden, daß der aus einer anderen Gedankenwelt übernommene Fremdkörper des Grundrechtskataloges schlecht in die eigene Konzeption paßt und dort nur Verwirrung anrichtet. In den letzten sieben bis acht Jahren entwickelte sich in Mitteldeutsch-land eine lebhafte Diskussion über das Grundrechtsproblem im sozialistischen System, deren Ergebnisse unlängst von einem Autorenkollektiv (W. Büchner-Uhder/E. Poppe/R. Schüsseler) zusammengefaßt wurden. Die Autoren meinen, es sei geklärt, 1. daß alle Grundrechte aus den gesellschaftlich-historischen Grundlagen des Sozialismus abzuleiten sind und nicht nur als Erweiterungen oder Vervollkommnungen der bürgerlichen Grundrechte betrachtet werden dürfen (es wird also geleugnet, daß Grundrechte eine jeder Rechtsordnung vorgegebene Emanation eines allgemeinverbindlichen Gerechtigkeitsgedankens sind, vielmehr seien sie ein Erzeugnis einer bestimmten Gesellschaftsordnung, nämlich des Sozialismus); 2. daß die sozialistischen Grundrechte nötig sind, um die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung und damit zugleich die gesellschaftliche Kraftentfaltung zu organisieren und die Bürger zu einem aktiven Handeln in dieser Richtung anzuhalten (der Grundrechtsträger bestimmt also nicht selbst, wie er von seinen Rechten Gebrauch macht, sondern er wird dazu in einer bestimmten Richtung angesetzt); 3. daß die sozialistischen Grundrechte die organische Verbindung von Individuum und Gemeinschaft verbürgen, das Mit-und Füreinander zur Geltung bringen, keine Abkapselung, keine Gegnerschaft zur Gesellschaft (das erinnert bis in die Formulierungen fatal an die Gemeinschaftsideologie des Führerstaates); 4. daß die sozialistischen Grundrechte nicht nur die gleichen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ausdrücken, sondern unlösbar mit solchen staatlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten verknüpft sind, die in zunehmendem Maße für alle Bürger gleiche (oder annähernd gleiche), tatsächliche Möglichkeiten eröffnen, ihre Rechte wahrzunehmen (damit wird schließlich die bekannte Antinomie zwischen Freiheit und Gleichheit im Sinne eines materialistischen Gleichheitsgebotes aufgehoben).

Diese Autoren gaben aber zu, daß mit diesem neuen Grundrechtsverständnis gewisse Probleme noch nicht gelöst seien.

Das gegenseitige Verhältnis von Rechten und Pflichten sei noch nicht zufriedenstellend erfaßt.

Man könne sie nicht — wie H. Klenner dies verlange — in eine Einheit verschmelzen, allenfalls nur in einer partiellen Identität, die gewissen Elementen einer spontanen Freiwilligkeit Raum ließe. Das Verhältnis zwischen Grundrechten und anderen gesetzlich begründeten Rechten und Pflichten müsse noch herausgearbeitet werden, womit jedenfalls der Vorrang der Grundrechte vor dem schlichten Gesetzesrecht geleugnet wird. Sogar ihre Relevanz für die Rechtsanwendung sei noch ungeklärt.

Ganz undeutlich bleibt schließlich, in welchem Umfange der Grundrechtsinhaber über Gebrauch oder Nichtgebrauch seiner Rechte selbst zu entscheiden vermag. Immerhin wenden sich die Autoren gegen die Auffassung Klenners, die Grundrechte seien erforderlich, „um den einzelnen auf die Durchsetzung der gesellschaftlichen Erfordernisse als in seinem persönlichen Interesse liegend zu orientieren", also nur als Vehikel einer Verwirklichung objektiver (d. h. von anderen festgelegter) Notwendigkeiten. Der Bürger wirke auch bei der Herausbildung und Fixierung, nicht nur bei der Verwirklichung des gesellschaftlich Notwendigen mit. Die Grundrechte eröffneten es dem Bürger, „nach eigener Entscheidung in einer bestimmten Weise tätig zu werden und so gleichsam den für ihn und die Gesellschaft günstigsten Weg der Entfaltung und gesellschaftlichen Nutzbarmachung seiner Kräfte einzuschlagen". Sie seien „juristische Organisationsformen der gewissen Selbstregulierung und der Optimierung des gesellschaftlichen Handelns der einzelnen Gesellschaftsmitglieder". Aber warum nur „gleichsam" und „gewiß"? Und wie sieht es aus, wenn diese gewisse Selbstregulierung den entscheidenden Bürger auf einen Weg führt, den die Gesellschaft nicht billigt? Darauf bleiben sie die Antwort zunächst schuldig. Sie folgt erst etwas später: Grundrechte seien Anleitungen zum gesellschaftlichen richtigen Handeln. Ihr Inhalt werde von den sozialen Verhältnissen der sozialistischen Gesellschaft selbst determiniert, müsse dynamisch erfaßt werden und stütze sich auf die grundlegende Übereinstimmung der Interessen und Ziele von Gesellschaft, Staat und Bürger. „Die sozialistische Staatsmacht (kann) Rechte nur gewährleisten und sichern, wenn jeder einzelne durch Erfüllung seiner Bürgerpflichten die sozialistische Gesellschaft stützt, ihren materiellen Reichtum mehrt" usw. Die Verwirklichung der Grundrechte sei keine Privatsache, nicht in das Belieben der Bürger gestellt.

Die zaghaft aufgestoßene Luke zu einem rechten Verständnis wird also flugs wieder zugeschlagen. Das soll als Kostprobe für das neue Grundrechtsverständnis genügen, obwohl es noch viel radikalere Beispiele (wie z. B. die Schrift von G. Haney) gibt.

Diese Diskussionen gehören nun aber durchaus nicht nur in den Bereich der Theorie. Vielmehr hat der Gesetzgeber seit 1961 — und zwar seit dem Gesetzbuch der Arbeit, in verschiedenen Einzelgesetzen über Wahlen, das Bildungssystem, die Jugend und die Rechtspflege (die Texte sind bei H. Klenner zusammengestellt) — den Versuch gemacht, im Sinne dieser Theorie-neue Formulierungen für die sozialistischen Grundrechte zu entwik-keln. Das sind wichtige Vorläufer für die neue Verfassung, die Ende Januar dieses Jahres der Volkskammer und damit gleichzeitig der öffentlichen Diskussion unterbreitet, am 26. März mit geringfügigen Änderungen von der Volkskammer bestätigt und am 6. April zur Volksabstimmung gestellt wurde.

Es ist hier nicht der Ort, den Gründen nachzugehen, warum dieser Entwurf jetzt — und in solcher Eile — vorgelegt wurde und was damit allgemein politisch verfolgt wird. Für das hier behandelte Thema ist jedoch wichtig, daß auf dem Gebiet der Grundrechte die bisher bestehende Diskrepanz zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit durch diese neue Verfassung beseitigt werden sollte. Während in der Verfassung von 1949 dem Grundrechtsteil nur ein recht wortkarger Abschnitt von fünf Artikeln über die Grundlagen der Staatsgewalt vorausging und der Grundrechtsteil dann überschrieben war „Inhalt und Grenzen der Staatsgewalt", ist nun in der neuen Verfassung dem Grundrechtsteil ein sehr ausführlicher Abschnitt 1 mit dem Titel „Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsund Staatsordnung" vorangestellt, der nicht nur die Festlegung auf ein Einparteiensystem enthält, sondern auch die internationale Einordnung der Deutschen Demokratischen Republik in das Bündnis mit der Sowjetunion und mit anderen sozialistischen Staaten verfassungskräftig festlegt.

In diesem ersten Abschnitt ist freilich auch schon von den sozialistischen Grundrechten die Rede: „Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates" heißt es in Art. 2 Abs. 1 verheißungsvoll. Wenig später wird das aber wieder wesentlich abgeschwächt, wenn gesagt wird, daß die freie Entwicklung des Menschen, die Wahrung seiner Würde und die Garantie seiner in der Verfassung gewährten Rechte Aufgaben der Staatsmacht seien (Art. 4 Satz 2), also doch wohl nicht jeder Verfassungsordnung vorgegebene Ziele. Die Staatsmacht soll diese Ziele sichern, aber nicht in erster Linie, sondern erst nachdem sie der Aufgabe gerecht geworden ist, die sozialistische Gesellschaft und die planmäßige Steigerung des Lebensstandards zu schützen. Das steht voran, und diese Ziele sind zunächst zu erreichen. Hier ist in der Tat offen ausgesprochen worden, was die Doktrin in der DDR bisher praeter oder contra legem gefordert hatte: die Unterstellung aller Grundrechtssicherungen unter die Staatsräson.

Der internationale Schutz der Menschenrechte

Bisher war nur von den Entwicklungen in den beiden Teilen Deutschlands die Rede, ohne einen Blick über die Grenzen hinaus zu tun. Eine derart isolierte Betrachtungsweise ist schon angesichts der historischen Entwicklung wenig sinnvoll. Denn der Gedanke, daß der Staat nur dann berechtigt sei, Macht und Ge-walt über seine Bürger auszuüben, wenn er dabei an gewisse Gerechtigkeitsprinzipien gebunden ist und diese Bindung vorwiegend durch die Einräumung individueller Freiheitssphären verwirklicht wird, stammt nicht aus Deutschland. Er kommt aus England, ist nach Amerika gewandert und dort weiter ausgebaut und entwickelt worden, kam dann nach Europa zurück und entfaltete eine starke Wirkung in der Französischen Revolution. Seitdem prägt diese Idee das Verfassungsdenken in der alten und der neuen Welt. Es gibt heute kaum eine Verfassung, die nicht einen Katalog der Grundrechte enthält, wenn sich diese Kataloge auch inhaltlich erheblich unterscheiden und sehr unterschiedliche Maßnahmen vorsehen, um die in ihnen ausgesprochenen Verheißungen in die Wirklichkeit umzusetzen.

Seit dem Ersten Weltkrieg — also seit einem halben Jahrhundert — bahnt sich eine neue Entwicklung auf dem Gebiet des Schutzes der Rechte des einzelnen an: Während es bis dahin — im Sinne der Lehre von der Staaten-souveränität — als eine innere Angelegenheit der einzelnen Staaten angesehen wurde, wie sie ihre eigenen Staatsangehörigen behandeln, tritt nun der Gedanke auf, die Staaten müßten durch die Völkerrechtsordnung auf die Wahrung eines Mindeststandards von Rechten ihrer Bürger verpflichtet werden, ja dem einzelnen Bürger müsse es freistehen, sich auch dem eigenen Staat gegenüber auf völkerrechtliche Normen des Grundrechtsschutzes zu berufen. Es wird also der Weg vom Grundrechtsschutz zum Menschenrechtsschutz beschritten. Diese Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit der Verdichtung des völkerrechtlichen Normengefüges, mit der Entstehung einer organisierten Völkerrechtsgemeinschaft, einem Umdenken der Lehren von der Souveränität der Einzelstaaten und damit auch von den Subjekten der Völkerrechtsordnung. Neben den Staaten tritt der Mensch ins Blickfeld der internationalen Rechtsgemeinschaft.

Wesentliche Stationen dieser Entwicklung sind die Jahre 1945, 1948, 1950 und 1966. 1945 proklamierte die Präambel der Satzung der Vereinten Nationen als Idee der Welt-organisation den Glauben an grundlegende Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Persönlichkeit und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Die Satzung selbst setzte noch keinen eigenen Standard, trug es aber den Organen der Vereinten Nationen auf, ihn zu formulieren. 1948 nahm die Vollversammlung in Paris die allgemeine Erklärung der Menschenrechte an, die den Inhalt der weltweit geltenden Menschenrechte umreißt, ohne schon den weiteren Schritt zu tun, dem einzelnen Menschen positive Rechte einzuräumen und Vorkehrungen zu ihrem Schutz zu schaffen. Dazu bestimmte Paktentwürfe scheiterten vor allem an dem Widerstand der östlichen Welt. 1950 wurde in Rom von den Mitgliedstaaten des Europarates die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, die eine regionale Verwirklichung der in der Weltorganisation verfolgten Ziele darstellt. Sie trat 1953 in Kraft; die von ihr geschaffenen Organe (Menschenrechtskommission und Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg) nahmen schrittweise die Arbeit auf und haben inzwischen eine große Zahl von Entscheidungen gefällt, die für die Ausbildung und Erkenntnis eines internationalen Menschenrechtsstandards von großer Bedeutung sind. 1966 gelang es überraschend, nach langwierigen und schwierigen Diskussionen und Auseinandersetzungen in den Organen der Vereinten Nationen die Entwürfe für zwei Menschenrechtspakte fertigzustellen und der Vollversammlung vorzulegen, die sie am 16. Dezember einstimmig — auch unter aktiver Beteilung der Sowjetunion und fast aller ihrer Verbündeten — annahm und zur Ratifikation auflegte. Sie sind bisher nur von knapp einem Fünftel der Staaten der Welt unterzeichnet und bedürfen dann auch noch der Ratifikation, nachdem die Parlamente der einzelnen Staaten ihnen zugestimmt haben. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen wirbt aber tatkräftig dafür, daß die Voraussetzung für das Inkrafttreten der beiden Pakte — nämlich die Ratifikation durch 35 Staaten — geschaffen wird. Die Vereinten Nationen haben heute 124 Mitglieder. Darüber hinaus steht aber auch den Mitgliedern ihrer Sonderorganisationen (zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehört), den Vertragsstaaten der Satzung des Internationalen Gerichtshofes sowie anderen Staaten, welche von der Vollversammlung dazu eingeladen werden, der Beitritt offen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat jedenfalls die Hoffnung ausgesprochen, daß die beiden Pakte noch im Laufe des Menschenrechtsjahres 1968 — aus Anlaß der zwanzigjährigen Wiederkehr der Annahme der Menschenrechtserklärung — in Kraft treten. In ganz großen Umrissen ist also der Stand des internationalen Menschenrechtsschutzes folgendermaßen: Es ist ein wesentlicher Fortschritt über die Allgemeine Erklärung hinaus erzielt. Denn es liegen jetzt nicht nur Postulate vor, sondern zur unmittelbaren Anwendung geeignete Formulierungen des erstrebten Menschenrechts-standards, und zwar sowohl auf dem Gebiete der staatsbürgerlichen Freiheitsrechte als auch auf dem der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Von der unterschiedlichen Technik, die bei diesen beiden Gruppen von Rechten angewendet wurde, wird später noch die Rede sein. Dieser gemeinsame Standard ist in Zusammenarbeit von Vertretern aus Staaten von unterschiedlicher Rechtstradition, mannigfacher Sozialstruktur und politischer Ideologie erarbeitet worden. Dabei mußten verständlicherweise häufig der Rücksicht auf Staatsgebilde eines weniger fortgeschrittenen Lebens-und Rechtsniveaus Zugeständnisse gemacht werden.

Der internationale Menschenrechtsstandard und die deutsche Frage

Nach dem Überblick über die politische und rechtliche Situation auf dem Gebiet des Grund-rechtsschutzes sei die Frage wieder ausgenommen, von der bei diesen Erwägungen ausgegangen wurde: Vermag der internationale Standard auf dem Gebiet des Schutzes der Menschenrechte die Aufnahme gesamtdeutscher Gespräche dadurch zu erleichtern, daß sich die Gesprächspartner untereinander vorab darauf einigen, daß von der Aufnahme dieser Gespräche an in den beiden Teilordnungen das Grundrechtsminimum, das in den Pakten niedergelegt ist, für alle Ausübung öffentlicher Gewalt verbindlich sein soll?

Dabei kann die Frage, ob, wann und wie diese beiden Pakte auf der Weltebene in Kraft treten, völlig außer Betracht bleiben. Denn es ist technisch durchaus möglich, daß auch ein noch im Entwurfsstadium stehendes Dokument — wie diese Pakte — ohne Rücksicht auf die internationale Verbindlichkeit in einem beschränkten Gebiet vorab in Kraft gesetzt wird. Es braucht in diesem Zusammenhang auch nicht darauf eingegangen zu werden, ob und unter welchen Bedingungen die beiden deutschen Teilordnungen in der Lage sind, diese Pakte formell auf völkerrechtlicher Ebene zu ratifizieren. Denn nichts hindert sie, diese Pakte — ohne Rücksicht auf ihr Inkrafttreten als völkerrechtliche Verträge — als innerstaatlich geltende Normen auf Grund einer Übereinkunft in Kraft zu setzen. Ich bin mir dabei durchaus bewußt, daß dieser Vorschlag von der anderen Seite als Argument dafür benützt werden könnte, um darzutun, daß sie Zugang zu der Organisation der Vereinten Nationen und zum zwischenstaatlichen Rechtsverkehr erhalten müsse. All das ist aber keine notwendige Voraussetzung für den hier verfolgten Gedanken, die Grundrechtsordnungen der beiden Teilordnungen, welche in Deutschland bestehen, auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen. So können also alle formellen völkerrechtlichen Fragen durchaus außerhalb der Diskussion bleiben; es kommt vielmehr nur darauf an, ob denn dieser international anerkannte Menschenrechtsstandard so entschieden über dem in der DDR fixierten Standard liegt, daß sich ein derartiger Versuch wirklich lohnt. Das kann eigentlich nur auf der Grundlage einer umfassenden Analyse des aktuellen Menschenrechtsstandards in der DDR einerseits und in den internationalen Pakten andererseits beantwortet werden. Aber vielleicht können doch schon herausgegriffene Beispiele helfen. Sie dürfen natürlich nicht willkürlich gewählt werden. Sowohl die östliche wie die westliche Seite sehen zwei Rechte als entscheidend wichtig an: Einerseits die Freiheit der Arbeit oder — wie man das im Osten nennt — das Recht auf Arbeit und andererseits die Meinungsfreiheit in allen ihren Formen: nicht nur in der passiven Entgegennahme von Meinungen und in der Form der verschiedenen Arten, diese Meinungen zu vertreten, sondern auch in der Form der aktiven Meinungsfreiheit, das heißt des Rechtes, sich frei über alle Meinungen zu orientieren. Diese beiden Beispiele sollen hier vergleichend behandelt werden.

Freiheit der Arbeit und Recht auf Arbeit in den beiden Teilen Deutschlands

Die Garantie der Berufsfreiheit besitzt im Grundgesetz wohl die größte praktische Bedeutung für das Recht in der Bundesrepublik. Die Niederlegung überkommener Zunftschranken, die sich über alle Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts erhalten hatten, ist dieser Garantie zu verdanken. Sie ist kein altes deutsches Verfassungsgut, sondern wurde in enger Anlehnung an eine Bestimmung der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 formuliert, die sich stark an den Errungenschaften der Tätigkeit des internationalen Arbeitsamtes bei der Bekämpfung der überkommenen wie auch der modernen Formen der Arbeitssklaverei orientierte. Ohne die Arbeitsfreiheit ist die wirtschaftliche Eingliederung der Flüchtlinge in das deutsche Wirtschaftsleben ebenso wenig denkbar wie der häufig zu Unrecht einem Wunder zugeschriebene Wirtschaftsaufschwung der goldenen fünfziger Jahre. Wie stark die Garantien, Beruf und Arbeitsstätte frei zu wählen, in das Rechtsbewußtsein des Menschen unserer Zeit eingegangen sind, beweist wohl nichts stärker als der erbitterte Widerstand gegen die Einschränkungen gerade dieser Freiheit durch eine geplante Notstandsgesetzgebung. Sie sind in den neuesten Entwürfen dann auch kräftig beschnitten worden, was den Gegnern jeder Notstands-regelung viel Wind aus den Segeln genommen hat. Diese Garantie kann in viel stärkerem Maße als etwa unsere unter dem Sozialisierungsvorbehalt stehende Eigentumsgarantie angeführt werden, wenn man den Nachweis dafür antreten will, daß die Grundgesetzordnung nur einen engen Spielraum für die verschiedenen Typen von Wirtschaftsordnungen (im ökonomischen Sinne) zuläßt; alle dirigistischen Formen, die über die Lenkung des Güterstromes hinaus auch den Arbeitsmarkt einzubeziehen suchen, sind verbannt: Arbeitsdienst, Pflichtjahr, Dienstverpflichtung sind unter dieser Verfassungsordnung unzulässig.

Die DDR-Verfassung von 1949 hat sich bei diesem Thema zum Teil an Formulierungen der Weimarer Verfassung angelehnt. Die Garantie der Gewerbefreiheit fiel. Art. 15 der DDR-Verfassung übernahm aber eine Formulierung der Weimarer Verfassung (Art. 163): „Die Arbeitskraft wird vom Staate geschützt". Darin lag das Versprechen einer Arbeitschutzgesetzgebung, das schon von Bismarck eingelöst worden war, das dann aber im Zeichen der Erfüllung von Produktionssollzahlen nicht immer ganz ernst genommen wurde. Der nächste Satz: „Das Recht auf Arbeit wird garantiert", war neu und trat an die Stelle der wenig präzisen Verheißung, es solle jedem Deutschen die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Tätigkeit seinen Unterhalt zu erwerben (Art. 163 Abs. 2 Satz 1 Weimarer Verfassung). Wie das geschehen sollte, blieb damals völlig offen. Die DDR-Verfassung füllte die Lücke: „Der Staat sichert durch Wirtschaftslenkung jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt." Das klingt nach Vollbeschäftigung im Sinne von Keynes und spricht jeden modern denkenden Ökonomen an, meint aber auch die zwangsweise Heranziehung zur Arbeit in der Form der Dienstverpflichtung, die jedenfalls bis 1954 allgemein geübt wurde. Der Schlußsatz: „Soweit dem Bürger angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen

Unterhalt gesorgt", ist dann wieder aus der Weimarer Verfassung (Art. 163 Abs. 2 Satz 2) übernommen.

Wenn man bedenkt, daß das Recht auf Arbeit im Mittelpunkt der Lehre von den sozialistischen Grundrechten steht, war das, was darüber damals in die Verfassung hineingeschrieben wurde, sehr mager. Das haben auch die Verfassungstheoretiker des Sozialismus gemerkt und viel Mühe aufgewandt, die Lücke zu füllen. Das endgültige Ergebnis ist Art. 24 der neuen Verfassung, der dem Recht auf Arbeit gewidmet ist. Er beginnt verheißungsvoll: Nicht nur das Recht auf Arbeit hat der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, sondern auch das Recht auf einen Arbeitsplatz, und zwar auf einen frei gewählten Arbeitsplatz, wenn auch nur „entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation". Das ist eine erhebliche Einschränkung. Wenn gesellschaftliche Erfordernisse (die objektiv zu bestimmen sind) der freien Wahl im Wege stehen, findet diese praktisch nicht statt. Auch wenn jemand seine persönliche Qualifikation verkennt, büßt er die freie Wahl des Arbeitsplatzes ein. Diese steht also unter einer Reihe massiver Vorbehalte. Wenn diese Garantie auch recht schwach ausgestaltet ist, so bleibt es doch bemerkenswert, daß eine freie Arbeitsplatz-wahl in dem neuen, auf der Grundlage der sozialistischen Doktrin formulierten Artikel überhaupt vorkommt, während in der Verfassung von 1949 im Zusammenhang mit dem Recht auf Bildung nur von einer freien Berufswahl (Art. 35) die Rede war.

Freilich ist Art. 24 Abs. 1 nicht isoliert zu betrachten. Denn es folgen ihm zwei weitere Bestimmungen, die für die Auslegung des ersten Absatzes sicher von Bedeutung sind. Wenn es da zunächst heißt, „das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit", so ist das zwar wenig klar, soll jedoch sicher deutlich machen, daß ein „Recht" in dieser Verfassungsordnung einen anderen Sinn hat, als wir ihn diesem Begriff beizulegen pflegen.

Wichtiger — weil konkreter — ist aber der Schlußabsatz, in dem dargelegt wird, durch welche Mittel ein Recht auf Arbeit gewährleistet wird. An zweiter Stelle gleich nach dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln folgt „die sozialistische Planung und Leitung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses".

Sicher bedarf es auch in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung einer gewissen Planung auf der Güterseite, um den Zustand der Vollbeschäftigung zu erreichen. Jeder Arbeitsplatz bedarf gewisser Kapitalinvestitionen. Aber es darf wohl kaum erwartet werden, daß „Planung" in diesem Sinne zu verstehen sein soll, zumal hier nicht nur von Planung, sondern auch von einer „Leitung" des Reproduktionsprozesses die Rede ist.

Auch wenn die Wirtschaftsverfassung der DDR in den letzten Jahren ohne das schärfste Mittel der Arbeitsplatzlenkung auskam, hält der neue Verfassungsentwurf dieses Mittel doch in Reserve. Die Regierung braucht dazu auf keine Notstandsklausel zurückzugreifen, sondern kann sich auf die Verfassung selbst berufen, wenn sie dieses Mittel einmal wieder bedarf.

Freiheit der Arbeit und Recht auf Arbeit: Internationaler Standard

Wie sieht im Vergleich zum Recht der DDR der Rechtsstandard aus, den die beiden neuen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen schufen?

Das Vertragswerk der Vereinten Nationen ist in zwei Pakte aufgeteilt. Das hat folgende Gründet In Erkenntnis des unterschiedlichen Charakters der verschiedenen Kategorien von Menschenrechten hat man sich im Laufe der Arbeiten in den Organen der Vereinten Nationen entschlossen, nicht nur einen einzigen, sondern zwei Pakte zu schaffen, die miteinander in vielfacher Weise verzahnt sind, aber doch unterschiedliche Rechtstechniken anwenden. Für die staatsbürgerlichen und politischen Rechte, die man auch „klassische Freiheitsrechte" nennt, ist das System befolgt, dem Individuum unmittelbare Rechtsansprüche einzuräumen, während für die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte, die einen Rechtsanspruch des einzelnen gegen den Staat auf Erfüllung positiver Verpflichtungen einräumen, eine andere Rechtstechnik gewählt ist. Hier werden keine Individualansprüche begründet, die vom einzelnen geltend gemacht werden können, sondern lediglich Staatenverpflichtungen zur Verwirklichung dieser Rechte im Wege der nationalen Gesetzgebung.

Das geht deutlich aus den Formulierungen hervor, die in diesen beiden Pakten gewählt sind: „Jeder Mensch hat das Recht .. „Niemand darf .. so beginnen die Garantien der ersten Gruppe, das heißt der staatsbürgerlichen und politischen Rechte, wo Individualansprüche begründet werden. Hingegen heißt es in bezug auf die sozialen Grundrechte, durch die Leistungsansprüche gegen den Staat begründet werden sollen, durchgehend: „Die Vertrags-staaten verpflichten sich ..." oder „Die Vertragsstaaten erkennen an . .." Dennoch ist beiden Pakten eine wichtige Auslegungsregel gemeinsam: Die in ihnen vorgesehenen oder zugelassenen Einschränkungsmöglichkeiten sind limitativ zu verstehen, das bedeutet, daß die verbrieften Garantien — und zwar sowohl die Individualrechte wie auch die Staatenverpflich-tungen — keinen anderen als den in den beiden Pakten genannten Voraussetzungen und Beschränkungen unterworfen werden dürfen. Diese Klausel findet sich in beiden Pakten im Art. 5. Sie läßt es nicht zu, daß der Gebrauch oder der Genuß der Rechte vom allgemeinen Wohlverhalten der Bürger abhängig gemacht werden kann oder aber auch davon, daß die Berufung auf sie mit gewissen Staatszwecken oder Staatszielen in Übereinstimmung stehen muß. Es wurde bei dem Recht auf Arbeit schon gezeigt, daß diese Abschirmung der Gründend Freiheitsrechte gegenüber allgemeinen Staatszielen — altmodisch nannte man das die Staatsräson — von großer praktischer Bedeutung ist. Bei der Behandlung der Meinungsfreiheit weiter unten wird das noch deutlicher, denn es ist eine besondere Eigenart der sozialistischen Verfassungen, den vollen Genuß der Grund-und Freiheitsrechte nur im Rahmen der Staatsziele zu gewährleisten.

Der Schutz der menschlichen Arbeit kommt in beiden Pakten vor. Einmal in dem Pakt über die staatsbürgerlichen und politischen Rechte im Zusammenhang mit dem Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit. Im Pakt über die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte hingegen steht nicht nur ausdrücklich das Recht auf Arbeit, wobei besonders betont ist, daß es sich dabei um eine frei gewählte und frei übernommene Arbeit handelt, sondern es ist auch das Recht auf gleichen Lohn für Männer und Frauen garantiert, das Recht auf freie Gewerkschaftsbildung, das Streikrecht und andere Rechte des sozialen Bereiches, welche die Arbeitsfreiheit näher ausgestalten und erst in vollem Umfange effektiv machen.

Zunächst zum individuellen Schutz gegen Sklaverei und Zwangsarbeit: Voranstehen drei Verbote: der Sklaverei, des Sklavenhandels — ganz allgemein das Verbot, jemanden in Unfreiheit zu halten — und der Zwangs-oder Pflichtarbeit. Die beiden ersten Verbote sind nicht näher erläutert. Das mag angesichts der schon alten internationalen Abkommen über das Verbot der Sklaverei und des Menschenhandels auch nicht notwendig erschienen sein. Es kommt dazu, daß das erste Verbot schon lange zu den allgemeinen Regeln des universellen Völkerrechts gehört.

Um so eingehender ist die Tragweite des ungleich wichtigeren Verbotes der Zwangs-und Pflichtarbeit abgegrenzt, indem festgelegt ist, was nicht als Zwangs-oder Pflichtarbeit zu gelten hat. Zwar liegen auch hier internationale Konventionen vor, die aber nicht so allgemein ratifiziert wurden, daß eine erneute Festlegung als entbehrlich angesehen werden konnte. Der Unterschied zwischen Zwangsarbeit und Pflichtarbeit besteht darin, daß die „Zwangsarbeit" eine Arbeit unter Zwang und Aufsicht ist, während unter Pflichtarbeit jede nicht freiwillig übernommene Tätigkeit anzusehen ist, ohne daß es auf die Art der Ableistung dieser Arbeit ankäme. In unsere Rechtssprache übersetzt sind zugelassen, das heißt diesem Verbot nicht unterworfen: der Arbeitszwang für Strafgefangene und Sicherungsverwahrte, für bedingt freigelassene Strafgefangene, der Dienst in den Streitkräften (der also eigenartigerweise als Arbeit gilt), der Ersatzdienst von Wehrdienstverweigerern, Dienst in Not-oder Katastrophenfällen und schließlich die Erfüllung üblicher staatsbürgerlicher Pflichten, also etwa die Pflicht zur Straßenreinigung, Schneeräumung, die Erstattung von Steuererklärungen und andere lästige, aber notwendige Anstrengungen, die der Staat üblicherweise von jedem Bürger verlangt.

Es ist immerhin beachtlich, daß das Verbot der Zwangs-oder Pflichtarbeit in derselben Weise fast wörtlich auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Übereinstimmung ist darauf zurückzuführen, daß beide internationale Abkommen — sowohl das europäische wie das neue weltweite Abkommen — auf der langjährigen Praxis der

Internationalen Arbeitsorganisation beruhen und daß außerdem die Formulierung der Europäischen Konvention von 1950 damals aus den schon vorliegenden UN-Paktentwürfen übernommen wurde, die in dieser Hinsicht während der ganzen 16 Jahre der Weiterarbeit auch nicht wesentlich verändert wurden. Das ist beachtlich, wenn man berücksichtigt, daß die auch an der Ausarbeitung beteiligten Staaten des Ostblocks sicher daran denken mußten, daß andere Staaten so möglicherweise eine Rechtsgrundlage für den Vorwurf erhalten könnten, die östlichen Staaten unterhielten Zwangsarbeitslager, in denen nicht nur regelrecht verurteilte Strafgefangene untergebracht, sondern auch politische Häftlinge, die auf administrativem Wege eingewiesen worden seien.

Uber die Garantie des Rechts auf Arbeit im Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (Art. 6) ist nicht viel zu sagen. Sie unterscheidet sich deutlich von dem sozialistischen Recht auf Arbeit; denn es ist eindrucksvoll betont, daß dieses Recht keinen vorbehaltslosen Anspruch auf Zuteilung eines Arbeitsplatzes unter Einsatz der Arbeitsplatzplanung und -Steuerung begründet, sondern daß das Recht zur freien Wahl und zur freien Übernahme der Arbeit im Vordergrund steht. Dem entsprechen die Mittel, welche zur Verwirklichung dieses Rechtes in Aussicht genommen werden: fachliche und berufliche Ausbildungsberatung (keine Steuerung!), Maßnahmen und Verfahren, um eine ständige und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu erreichen, sowie eine produktive Vollbeschäftigung unter Bedingungen, welche sowohl die politischen wie die wirtschaftlichen Freiheiten des Individuums gewährleisten. Dieses Recht auf Arbeit beschwört nicht das Schreckbild des auf Versorgung bedachten Arbeitssklaven.

Das Recht auf Meinungsfreiheit in den beiden Teilen Deutschlands

Das zweite Recht, das hier vergleichend dargestellt werden soll, ist das auf Meinungsfreiheit. Mit Absicht wurde der weiter gefaßte Begriff der Meinungsfreiheit und nicht nur der der freien Meinungsäußerung gewählt, weil in unserer Verfassungsordnung nicht nur garantiert ist, eine Meinung zu äußern und zu verbreiten — beides der Intensität nach unterschiedliche Formen der Weitergabe von Meinungen —, sondern auch das nicht weniger wichtige Recht, sich ungehindert zu unterrichten, um überhaupt erst einmal auf der Grundlage von Informationen eine Meinung bilden zu können.

Welche Bedeutung diesem Recht in unserer Verfassungsordnung zukommt, ist bekannt. Es ist nicht nur praktisch, sondern auch rechts-systematisch eines der wichtigsten Rechte des ganzen Kataloges. An ihm wurde die Lehre von der Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht vom Bundesverfassungsgericht am eindrucksvollsten ausgearbeitet — es sei an die Entscheidung über die Beschwerde von Erich Lüth erinnert — und es gab auch Anlaß, die Lehre vom Verhältnis von Individualrechten zu institutionellen Garantien erneut zu überdenken. Erinnert sei nur an die Diskussion über das Problem des öffentlichen Auftrags der Presse und an das Verfahren gegen den „Spiegel".

Die DDR-Verfassung von 1949 (Art. 9) lehnt sich im Wortlaut zwar wieder an die entsprechende Bestimmung der Weimarer Verfassung (Art. 118) an, hat sie aber erheblich verdünnt. Wie die Weimarer Verfassung kennt sie zunächst nur das Recht des Bürgers, seine Meinung zu äußern, hingegen kein Recht, sie auch weiter zu verbreiten und sich aktiv zu unterrichten. Das Zensurverbot ist auf die Presse beschränkt, findet aber auf Bücher und sonstige Veröffentlichungen keine Anwendung.

Die wesentliche Einschränkung des der Meinungsfreiheit gewidmeten Art. 9 steht aber in einem anderen Grundrechtsartikel, nämlich in der Gleichheitsgarantie des Art. 6, der in einem Absatz 2 das Verbot der Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen beigefügt ist, das Verbot der Mordhetze gegen demokratische Politiker, der Bekundung von Glaubens-, Rassen-und Völkerhaß, der militärischen Propaganda sowie der Kriegshetze und anderer sonstiger Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten. Alle diese Handlungen sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches und wurden zunächst von den Gerichten aufgrund dieses Art. 6 Abs. 2 der Verfassung als Verbrechen bestraft, ohne daß im Strafgesetzbuch ein entsprechender Tatbestand mit einer spezifischen Strafandrohung vorhanden gewesen wäre. Die Verfassungsbestimmung wurde als Grundlage für die Bestrafung des Abhörens westlicher Rundfunkstationen und aller Arten von kritischen Äußerungen über die demokratische Legitimation des Regimes und die Zustände in der DDR benützt, wobei das Strafmaß aus § 1 des Strafgesetzbuches entnommen wurde. Ein ganz besonders groteskes Beispiel dafür ist ein Urteil des Obersten Gerichtshofes, durch das ein Schrebergärtner wegen Hetze mit Gefängnis bestraft wurde, weil er seinen Radioapparat auf den NWDR eingestellt hatte, dessen Sendungen aber nur als Geräuschkulisse beim Skatspielen in der Laube dienten. Er habe damit in Kauf genommen, daß auch Nachrichten und Kommentare mit hetzerischem Inhalt von Dritten gehört werden könnten (Urteil v. 20. 10. 1958, Rspr. Beilage zur Zeitschrift „Der Schöffe", 1. Quartal 1959, Nr. 1).

In der Neufassung des Strafgesetzbuches vom 12. Januar 1968 (Gesetzblatt S. 1) sind allerdings besondere Straftatbestände wie „Staatsfeindliche Hetze" (§ 106) vorgesehen, so daß es nun des Rückgriffs auf Art. 6 der Verfassung nicht mehr bedarf. Sie kennen allerdings bedenklich weite und unklare Tatbestands-umschreibungen, wie z. B.: „Wer Repräsentanten oder andere Bürger der DDR oder die Tätigkeit staatlicher oder gesellschaftlicher Organe und Einrichtungen diskriminiert, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft" (Art. 106 Abs. 1 StGB).

Um nun jeden Zweifel daran auszuschließen, daß die Verfassungsgarantie der Meinungsfreiheit diese Strafnormen einschränken könne, ist in der neuen Verfassung eine weitere Einschränkung dieser Garantie erfolgt. Keine beliebige Meinung soll geschützt sein, sondern nur eine Meinung, welche — ich zitiere wörtlich — „dem Geiste und den Zielen dieser Verfassung gemäß" ist. Darin liegt ein deutlicher Verweis auf den I. Abschnitt der Verfassung über die Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts-und Staatsordnung, in dem nicht nur ein Bekenntnis zum Sozialismus als maßgebender Wertordnung, sondern vor allem eine Festlegung auf ein Einparteiensystem enthalten ist (Art. 3). Es gehört insbesondere nicht zu den Zielen dieser Verfassung, daß die Entscheidung über die Macht im Staate offen ist und in periodischen Abständen durch die Wähler neu getroffen werden kann, was als Wesenszug der Demokratie anzusehen ist. Durch diesen Brückenschlag zwischen der Garantie der Meinungsfreiheit und den sehr eingehenden Staatszielbestimmungen ist der Grundsatz der Meinungsneutralität verkehrt in das Prinzip der Determiniertheit nicht nur auf eine bestimmte Wertordnung, sondern auch auf ein politisches Programm, auf die Herrschaft einer bestimmten politischen Gruppe. Es ist bezeichnend, daß die in der bisherigen Verfassung (Art. 49) enthaltene Vorschrift, die gewährten Grundrechte müßten auch dann als solche unangetastet bleiben, wenn sie mit einem Gesetzes-vorbehalt versehen seien, sich in der neuen Verfassung nicht mehr findet. Diese der Wesensgehaltssperre des Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes verwandte Bestimmung war freilich ohnehin nicht von großer praktischer Bedeutung, da es auch nach der Verfassung von 1949 keine Verfassungsgerichtsbarkeit und kein richterliches Prüfungsrecht gab, die Aufgabe der allgemein verbindlichen Auslegung der Gesetze vielmehr seit 1960 dem kollegialen Staatsoberhaupt — dem Staatsrat — oblag (Art. 106). Auch das hat die neue Verfassung übernommen und dadurch die Absage an das Gewaltenteilungsprinzip bekräftigt und weiter ausgebaut.

Die Meinungsfreiheit: Internationaler Standard

Art. 19 des Internationalen Paktes über die staatsbürgerlichen und politischen Rechte (s. Anhang S. 26) ist der Meinungsfreiheit gewidmet. Wie das Grundgesetz kennt diese Bestimmung die drei Formen der Betätigung der Meinungsfreiheit: Die Informationsfreiheit (ohne Beschränkung auf allgemein zugängliche Quellen), das Recht zur Entgegennahme und zur Weitergabe von Informationen und Gedanken in jeder denkbaren Form — allerdings ohne besondere Erwähnung der Pressefreiheit und der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film. Auch ein besonderes Zensurverbot fehlt. Andererseits ist. ausdrücklich betont, daß die Meinungsfreiheit in all ihren Formen ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen betätigt werden kann.

Angesichts dieser breit angelegten Garantie kommt den unter ihr zugelassenen Einschränkungen größte Bedeutung zu. Es ist zunächst allgemein anerkannt, daß die Ausübung der Meinungsfreiheit in ihren drei Formen besonderen Verantwortlichkeiten unterliegt und auch besondere Pflichten auslöst. Aber diese Verantwortlichkeiten müssen gesetzlich vorgesehen sein — determined by law. Diese erste Einschränkung ist in einem nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung aufgebauten Staatswesen von größter Bedeutung. Wo hingegen ein Gewaltenmonismus besteht und die gesetzgebende von der ausführenden Gewalt nicht deutlich geschieden ist — wie in der DDR bisher und auch nach der neuen Verfassung —, tritt ihre Bedeutung zurück und die für jede Beschränkung erforderliche Motivation gewinnt an Gewicht. Nach Art. 19 sind Einschränkungen erforderlich, ,, a) um die Rechte und den Ruf anderer zu achten" (Das ist die allgemein übliche Ehren-schutzklausel, die wir auch im Grundgesetz haben. Da bleibt allerdings zu fragen, wie empfindlich die Staaten hinsichtlich ihrer eigenen Ehre, ihres Rufs und ihrer Würde sind. Hegel sprach schon von ihrer unendlichen Reizbarkeit. Ein angemessener Grad der Empfindlichkeit ist nicht gefordert); ,, b) um die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung (ordre public), die Volks-gesundheit oder die Sittlichkeit zu schützen."

Flier ist ein ebenso breiter Pinsel am Werk gewesen wie bei der Formulierung des Grundsatzes in Absatz 1. „Nationale Sicherheit" ist noch am greifbarsten. Bei der öffentlichen Ordnung hat man versucht, einer uferlosen Ausdehnung zu entgehen, indem auch im englischen Text die französische Fassung „ordre public" erläuternd hinzugesetzt wurde. Das ist ein Rechtsbegriff aus dem internationalen Privatrecht, der auch dort große Auslegungsschwierigkeiten verursacht. Vor allem nehmen es die Staaten selbst für sich in Anspruch zu bestimmen, was zu ihrem „ordre public" gehört, und alle Versuche, den Begrif!

allgemeinverbindlich zu definieren, sind bisher gescheitert. Aber selbst nach der Definition des Deutschen Reichsgerichts (RGZ 60, 296) wird erkennbar, welcher Entscheidungsspielraum den nationalen Rechtsanwendungsorganen offensteht, um ausländischem oder internationalem Recht Schranken zu setzen: Dieses habe außer acht zu bleiben, „wenn der Unterschied zwischen den staatspolitischen und sozialen Anschauungen ... so erheblich ist, daß die Anwendung des ausländischen Rechts direkt die Grundlagen des deutschen staatlichen oder wirtschaftschaftlichen Lebens angreifen würde."

Zu diesen Grundlagen des staatlichen Lebens gehört für die DDR die Doktrin des Sozialismus und die Festlegung auf die Einparteienherrschaft. Deswegen konnten auch die östlichen Staaten in der Organisation der Vereinten Nationen diese Garantie der Meinungsfreiheit hinnehmen, nachdem ihre Versuche, sie noch weiter einzuschränken, gescheitert waren. Der französische Jurist Lyon-Caen sagte schon 1955 über eine ähnliche Formulierung in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, die Mißbräuche, welche sie zulasse, seien so wohl bekannt, daß man nur das Schlimmste erwarten könne. Dabei war dort noch der Versuch gemacht, die Einschränkungen weiter zu begrenzen, indem nur „in einer demokratischen Gesellschaft gerechte Erfordernisse" für legitim erklärt wurden.

Der Schutz, den diese Garantie gewährt, ist also wegen der darin liegenden Verweisung auf die staatspolitischen Anschauungen der Mitgliedstaaten und die Grundlagen ihrer politischen Ordnung nur relativ.

Ergebnis

Die beiden ausgewählten und hier besprochenen Beispiele lassen jedenfalls eine allgemeine Feststellung zu: Es gibt einzelne Garantien, bei denen der in den Organen der Vereinten Nationen ausgearbeitete Menschenrechts-standard sehr viel höher liegt, als er in der DDR bisher lag und zukünftig vermutlich liegen wird. Das hat der Vergleich der Arbeitsfreiheit gezeigt. Bei anderen Rechten ist es nicht in demselben Maße gelungen, einen eigenen internationalen Menschenrechtsstandard zu statuieren, durch den der nationale Standard fühlbar angehoben wurde. Die internationale Garantie wird durch einen Verweis auf nationale Beurteilungsmaßstäbe, wie bei der Meinungsfreiheit, abgewertet. Deshalb muß zu Recht gefragt werden, wie viele Garantien diesen bedenklichen Vorbehalten unterliegen und wie viele davon unberührt bleiben. Außer der Meinungsfreiheit stehen auch die Gedankenfreiheit (Art. 18), die Freizügigkeit (Art. 12), die Versammlungs(Art. 21) und Vereinigungsfreiheit (Art. 22) unter ähnlichen Vorbehalten. Das sind insgesamt fünf Freiheitsrechte. Ihnen stehen aber nicht weniger als 15 Freiheitsrechte gegenüber, bei denen das nicht der Fall ist. Zu ihnen gehören die persönliche Freiheit (Art. 3), das Torturverbot (Art. 7), der Schutz vor willkürlicher Verhaftung (Artikel 9), die Humanisierung des Strafvollzuges (Art. 10), der Schutz vor willkürlicher Auslieferung (Art. 13), das Recht auf ein gerechtes Gerichtsverfahren (Art. 14), das Rückwirkungsverbot für Strafgesetze (Art. 15), das Recht auf die Intimsphäre, auf ein freies Familienleben (Art. 23), auf Schutz der Kinder (Artikel 24), auf die Teilnahme am öffentlichen Leben (Art. 25), das Gleichheitsrecht und Diskriminationsverbot (Art. 3 und 26) und schließlich der Minderheitenschutz (Art. 27).

Es mögen Zweifel geäußert werden, ob diese Gegenüberstellung von 5 zu 15 richtig sei. Dem möchte ich die These entgegensetzen, daß es schon günstig wäre, wenn sich das Verhältnis 10: 10 ergäbe.

Was folgt aus all dem für den hier verfolgten Gedanken, die Regierung der DDR vor der Aufnahme gesamtdeutscher Gespräche auf den internationalen Menschenrechtsstandard zu verpflichten?

Zunächst sollen die Schwächen dieses Gedankens erwähnt werden: — Der internationale Menschenrechtsstandard garantiert nur ein Minimum von Rechten.

Dieses Minimum ist zum Teil an den Rechtstraditionen und sozialen Verhältnissen von Staaten einer ganz anderen Entwicklungsstufe orientiert, als sie die beiden Ordnungen in Deutschland aufweisen. — Die sozialistische Grundrechtslehre stellt Auslegungsregeln zur Verfügung, mit deren Hilfe die Tragweite und unmittelbare Geltung der aufgestellten Rechtsregeln erheblich reduziert werden können. — Der Vorschlag sagt noch nichts darüber aus, wie die Einhaltung des internationalen Standards überwacht und gesichert werden soll.

Alle drei Einwände sind richtig. Ihnen stehen aber folgende Vorteile gegenüber: — Die Pakte sind ideologisch neutral und gegen eine ideologische Auslegung weitgehend abgesichert. — Trotz aller zugegebenen Schwächen würde eine Vereinbarung dieser Pakte aber doch eine nicht unbeträchtliche Anhebung des Menschenrechtsstandards bewirken, vor allem dort, wo der internationale Standard eigenständig formuliert ist und nicht auf nationale Beurteilungsmaßstäbe verweist. — Die moralische Autorität der Weltvölkergemeinschaft steht hinter den von ihr geschaffenen Pakten. Einen offenen Verstoß gegen die Normen der Pakte wird eine auf internationales Prestige bedachte Regierung kaum wagen.

Bei der Gegenüberstellung von Vorteilen und Schwächen der ins Auge gefaßten Lösung wiegt am schwersten, daß sie keinen Vorschlag für eine Überwachung und Kontrolle des zu vereinbarenden Rechtsstandards enthält. Dafür mag ein Gedanke, der im Rahmen der Vereinten Nationen aufgetaucht ist, eine Anregung geben. In der Entschließung vom 16. Dezember 1966, mit der die Vollversammlung die beiden Pakte annahm, forderte sie die zuständigen Organe auf, den Vorschlag zur Errichtung nationaler Menschenrechtskommissionen zu prüfen. Sie bezeichnete diesen Vorschlag sogar als ratsam (advisable), also wertvoll und beachtlich. Die Verfassung der DDR baut hier eine Brücke. Sie bekennt sich nämlich in ihrem ersten Satz dazu, daß die Republik ein sozialistischer Staat deutscher Nation sei. Damit ist der Weg zu einer nationalen Menschenrechtskommission offengehalten. Man sollte über diese Möglichkeit nachdenken.

Nachweise

I. Texte: 1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948, deutsche Übersetzung in: Sartorius, Band II, Nr. 41. 2. Konvention (des Europarates) zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 (BGBl. 1952 II S. 685). 3. Internationale Pakte (der Vereinten Nationen)

über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie über staatsbürgerliche und politische Rechte, beschlossen von der Generalversammlung am 16. 12.

1966, deutsche Übersetzung in der Zeitschrift „Vereinte Nationen" Band 15 (1967)

Nr. 6, S. 193 ff.

4. Entwurf einer neuen Verfassung der DDR von der Verfassungskommission am 31. 1.

1968 der öffentlichen Diskussion unterbreitet, SBZ Archiv Band 19 (1968) Nr. 4 S. 57.

5. Entwurf der Verfassung der DDR — Aufgrund der Volksaussprache überarbeitete und von der Volkskammer am 26. 3. 1968 bestätigte Fassung, Neues Deutschland vom 27. 3. 1968.

II. Literatur: (Auswahl) 1. W. Büchner-Uhder/E. Poppe/R. Schüsseler:

Grundrechte und Grundpflichten der Bürger in der DDR, in: Staat und Recht, 15. Jahrg. (1966), S. 563 ff. 2. G. Haney: Sozialistisches Recht und Persönlichkeit, Berlin (Ost) 1967. 3. H. Klenner: Studien über die Grundrechte (mit Dokumentenanhang), Staatsverlag Berlin (Ost) 1964. 4. S. Mampel: Die Verfassung der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Text und Kommentar, 2. Auflage, Frankfurt/Berlin 1966.

5.derselbe: Die volksdemokratische Ordnung in Mitteldeutschland, Texte mit Einleitung, Frankfurt/Berlin 1967.

6.derselbe: Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur in Mitteldeutschland, Abhandlungen zum Ostrecht, Köln 1968.

7. E. Müller-Römer: Die Grundrechte in Mitteldeutschland, Köln 1965.

8. K. J. Partsch: Rechte und Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin/München 1966.

9. N. Robinson: The Universal Declaration of Human Rights, 2. Ausl., New York 1958. 10. E. Schwelb: Human Rights and the International Community, Chicago 1964.

11. A. Verdoodt: Naissance et signification de la Declaration Universelle des Droits de l'Homme, Louvain/Paris 1964.

Die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen

Generalversammlung — Gegenstand: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Internationaler Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte. — Entschließung 2200 (XXI) vom 16. Dezember 1966

I. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Präambel Die Vertragsstaaten dieses Paktes, — in der Erwägung, daß nach den in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der menschlichen Gesellschaft die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt ist. — in der Erkenntnis, daß diese Rechte der angeborenen Würde des Menschen entspringen, — in der Erkenntnis, daß nach der Universellen Erklärung der Menschenrechte das Ideal des freien Menschen, der von Furcht und Not befreit ist, nur dann zu verwirklichen ist, wenn Bedingungen geschaffen werden, unter denen jedermann seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie seine staatsbürgerlichen und politischen Rechte ausüben kann, — im Hinblick auf die den Staaten durch die Charta der Vereinten Nationen auferlegte Verpflichtung, die allgemeine Achtung vor den Rechten und Freiheiten des Menschen zu fördern und zu festigen, — in der Erkenntnis, daß der einzelne gegenüber seinem Nächsten und der Gemeinschaft, der er angehört, Pflichten hat und gehalten ist, sich um die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu bemühen, > vereinbaren folgende Artikel:

Teil I Artikel 1 1. Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und verfolgen in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. 2. Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre Naturschätze und Wirtschaftskräfte verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der auf dem Grundsatz des gegenseitigen Interesses und dem Völkerrecht beruhenden internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit erwachsen. In keinem Falle darf ein Volk seiner Existenzmöglichkeiten beraubt werden. 3. Die Vertragsstaaten dieses Paktes einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Hoheitsgebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.

Teil II Artikel 2 i. Jeder Vertragsstaat dieses Paktes verpflichtet sich, einzeln und im Wege internationaler Hilfe und Zusammenarbeit entsprechend allen seinen Möglichkeiten Maßnahmen — insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art — zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die unbeschränkte Ausübung der in diesem Pakt anerkannten Rechte sicherzustellen. 2. Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, zu gewährleisten, daß die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminieirung, insbesondere aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Besitz-standes, der Geburt oder sonstigen Stellung ausgeübt werden. 3. Entwicklungsländer können unter gebührender Berücksichtigung der Menschenrechte und der Erfordernisse ihrer Volkswirtschaft entscheiden, inwieweit sie Ausländern die in diesem Pakt anerkannten wirtschaftlichen Rechte gewährleisten wollen.

Artikel 3 Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, zu gewährleisten, daß Männer und Frauen gleichberechtigt in den Genuß aller in diesem Pakt aufgeführten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gelangen.

Artikel 4 Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen an, daß ein Staat die Ausübung der von ihm nach diesem Pakt gewährleisteten Rechte nur solchen Einschränkungen unterwerfen darf, die im Gesetz vorgesehen und mit der Natur dieser Rechte vereinbar sind und deren ausschließlicher Zweck es ist, das allgemeine Wohl in einer demokratischen Gesellschaft zu fördern.

Artikel 5 1. Dieser Pakt ist nicht so auszulegen, als berechtige er einen Staat, eine Gruppe oder eine Person, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, deren Ziel es ist, die in diesem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten zu zerstören oder weitergehenden Einschränkun-gen als den in dem Pakt vorgesehenen zu unterwerfen. 2. Einschränkungen oder Abweichungen von den in einem Land durch Gesetze, Übereinkünfte, Verordnungen oder das Gewohnheitsrecht anerkannten oder bestehenden Grundrechten des Menschen unter dem Vorwand, der Pakt erkenne derartige Rechte nicht oder in geringerem Maße an, sind unzulässig.

Teil III Artikel 6 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen das Recht auf Arbeit an und treffen geeignete Maßnahmen zum Schutz dieses Rechts; hierzu gehört das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen. 2. Die von einem Vertragsstaat dieses Paktes zur uneingeschränkten Ausübung dieses Rechts zu treffenden Maßnahmen umfassen fachliche und berufliche Beratung und Ausbildung sowie Programme, Maßnahmen und Verfahren zur Erzielung einer stetigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung und einer produktiven Vollbeschäftigung unter Bedingungen, welche die politischen und wirtschaftlichen Grundfreiheiten des einzelnen sicherstellen.

Artikel 7

Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen das Recht jedes einzelnen auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen an, durch die insbesondere folgendes gewährleistet wird: a) eine Entlohnung, die allen Arbeitnehmern mindestens zusichert: (1) gerechte Löhne und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit ohne irgendeinen Unterschied; insbesondere wird gewährleistet, daß Frauen keine weniger günstigen Arbeitsbedingungen als Männer haben und daß sie für gleiche Arbeit gleiches Entgelt erhalten; (2) einen ausreichenden Lebensunterhalt für sie selbst und ihre Familien nach Maßgabe dieses Paktes; b) sichere und gesunde Arbeitsbedingungen; c) gleiche Möglichkeiten für alle, in ihrem Beruf in angemessener Weise gefördert zu werden, wobei keine anderen Erwägungen als die der zurückgelegten Dienstzeiten und der Befähigung ausschlaggebend sein dürfen; d) Erholung, Freizeit, eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßiger bezahlter Urlaub sowie Vergütung öffentlicher Feiertage.

Artikel 8 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, folgende Rechte zu gewährleisten: a) Das Recht jedes einzelnen, Gewerkschaften zu bilden und der Gewerkschaft seiner Wahl allein nach Maßgabe der Satzung der betreffenden Organisation beizutreten, um seine wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu fördern und zu schützen. Die Ausübung dieses Rechts darf nur durch Gesetz eingeschränkt werden, soweit dies in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich ist; b) das Recht der Gewerkschaften, nationale Vereinigungen und Verbände zu gründen sowie deren Recht, internationale Gewerkschaftsorganisationen zu bilden und ihnen beizutreten; c) das Recht der Gewerkschaften, sich frei und ohne Einschränkungen zu betätigen, es sei denn, diese seien im Gesetz vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich; d) das Streikrecht, sofern es nach Maßgabe der innerstaatlichen Gesetze ausgeübt wird. 2. Dieser Artikel steht nicht der Einführung gesetzlicher Einschränkungen in bezug auf die Ausübung dieser Rechte durch Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der staatlichen Verwaltung entgegen. 3. Dieser Artikel berechtigt Vetrragsstaaten des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation von 1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts nicht, solche gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen oder Gesetze so anzuwenden, daß dadurch die in jenem Übereinkommen vorgesehenen Garantien beeinträchtigt werden.

Artikel 9

Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen das Recht jedes einzelnen auf soziale Sicherheit, einschließlich der Sozialversicherung, an.

Artikel 10

Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen an, 1. daß die Familie als natürliche Kernzelle der Gesellschaft vor allem bei ihrer Gründung und während der Zeit, in der sie für die Pflege und Erziehung unterhaltsberechtigter Kinder verantB wörtlich ist, größtmöglichen Schutz und Beistand genießen soll. Die Ehe muß von den zukünftigen Ehegatten in freiem Einverständnis geschlossen werden; 2. daß Mütter während einer angemessenen Zeit vor und nach der Geburt eines Kindes besonderen Schutz genießen sollen. Während dieser Zeit sollen berufstätige Mütter bezahlten Urlaub oder Urlaub mit angemessenen Sozialleistungen erhalten; 3. daß Sondermaßnahmen zum Schutz und Beistand für alle Kinder und Jugendlichen ohne Diskriminierung aufgrund der Abstammung oder aus sonstigen Gründen getroffen werden sollen. Kinder und Jugendliche sollen vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung geschützt werden. Ihre Beschäftigung mit Arbeiten, die ihrer Moral oder Gesundheit abträglich sind, ihr Leben gefährden oder dazu angetan sind, ihre normale Entwicklung zu behindern, sollen strafbar sein. Der Staat soll ferner Altersgrenzen festsetzen, unterhalb derer bezahlte Kinderarbeit gesetzlich verboten und strafbar ist.

Artikel 11 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen das Recht jedes einzelnen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und seine Familie an, der ausreichende Nahrung, Kleidung und Wohnung und das Recht auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen einschließt. Die Vertragsstaaten unternehmen entsprechende Schritte, um die Ausübung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an. 2. In Anerkennung des Grundrechts jedes einzelnen, vor Hunger geschützt zu sein, treffen die Vertragsstaaten dieses Paktes einzeln und im Wege internationaler Zusammenarbeit Maßnahmen einschließlich von Sonderprogrammen, die erforderlich sind a) für eine Verbesserung der bei der Erzeugung, Haltbarmachung und Verteilung von Nahrungsmitteln angewendeten Methoden durch volle Ausnutzung der technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse, durch Weitergabe von Kenntnissen der Ernährungsgrundsätze sowie durch die Weiterentwicklung oder Reform landwirtschaftlicher Systeme mit dem Ziel, eine möglichst wirksame Entwicklung und Nutzung der natürlichen Hilfsguellen herbeizuführen; b) für eine dem Bedarf angepaßte gerechte Verteilung der Weltnahrungsmittelvorräte unter Berücksichtigung der Probleme, vor welche die Nahrungsmittel einführenden oder ausführenden Länder gestellt sind.

Artikel 12 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen das Recht jedes einzelnen auf ein Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. 2. Die von den Vertragsstaaten dieses Paktes zu unternehmenden Schritte zur uneingeschränkten Ausübung dieses Rechts umfassen die erforderlichen Maßnahmen a) zur Senkung der Zahl der Totgeburten und der Kindersterblichkeit sowie zur gesunden Entwicklung des Kindes; b) zur Verbesserung aller Aspekte der Um-weissund Betriebshygiene; c) zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer, endemischer, Berufs-und sonstiger Krankheiten; d) zur Schaffung der Voraussetzungen, unter denen jedermann im Krankheitsfall in den Genuß ärztlicher Leistungen und Behandlung gelangt.

Artikel 13 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen das Recht jedes einzelnen auf Bildung an. Sie stimmen darin überein, daß Ziel der Erziehung die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Gefühls ihrer Würde sowie die gesteigerte Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten sein muß. Sie stimmen ferner darin überein, daß die Erziehung es jedermann ermöglichen muß, eine nützliche Rolle in einer freiheitlichen Gesellschaft zu spielen, Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen muß. 2. Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen an, daß im Hinblick auf die uneingeschränkte Ausübung dieses Rechts a) der Grundschulunterricht für jedermann Pflicht sowie unentgeltlich sein muß; b) die verschiedenen Formen des höheren Schulwesens einschließlich des höheren Fach-und Berufsschulwesens verallgemeinert und jedermann auf jede geeignete Weise zugänglich gemacht werden müssen, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit; c) der Hochschulunterricht jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten auf jede geeignete Weise zugänglich gemacht werden muß, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit; d) eine Grundausbildung für Personen, die keine Grundschulausbildung genossen oder sie nicht beendet haben, soweit wie möglich zu fördern oder zu verstärken ist; e) die Entwicklung eines alle Stufen umfassenden Schulsystems aktiv zu fördern, ein angemessenes Stipendiensystem zu schaffen und die wirtschaftliche Lage der Lehrerschaft fortlaufend zu verbessern ist. 3. Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, das Recht der Eltern und gegebenenfalls des gesetzlichen Vormundes zu achten, für ihre Kinder andere als öffentliche Schulen zu wählen, die den vom Staat festgesetzten oder gebilligten erzieherischen Mindestnormen entsprechen, sowie für die religiöse und sittliche Erzie-hung ihrer Kinder gemäß ihren eigenen Anschauungen Sorge zu tragen. 4. Dieser Artikel ist nicht so auszulegen, als beeinträchtige er das Recht natürlicher oder juristischer Personen, Lehranstalten zu errichten und zu leiten, sofern die in Absatz 1 niedergelegten Grundsätze beachtet werden und die in solchen Anstalten vermittelte Erziehung den vom Staat festgesetzten Mindestnormen entspricht.

Artikel 14

Jeder Vertragsstaat dieses Paktes, der im Zeitpunkt seines Beitritts im Mutterland oder in sonstigen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten noch nicht die unentgeltliche Volksschulpflicht einführen konnte, verpflichtet sich, binnen zwei Jahren einen ausführlichen Aktionsplan auszuarbeiten und anzunehmen, der die schrittweise Verwirklichung des Grundsatzes der unentgeltlichen allgemeinen Schulpflicht innerhalb einer angemessenen, in dem Plan festzulegenden Zahl von Jahren vorsieht.

Artikel 15 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen das Recht jedes einzelnen an, a) am kulturellen Leben teilzunehmen, -b) sich den wissenschaftlichen Fortschritt und seine Anwendungen zunutze zu machen; c) den Schutz der geistigen und materiellen Interessen zu genießen, die aus wissenschaftlicher, literarischer oder künstlerischer Produktion herrühren, deren Urheber er ist. 2. Die von den Vertragsstaaten dieses Paktes zu treffenden Maßnahmen zur uneingeschränkten Ausübung dieses Rechts umfassen diejenigen Maßnahmen, die zur Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung von Wissenschaft und Kultur erforderlich sind. 3. Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, die zu wissenschaftlicher Forschung und schöpferischer Arbeit unerläßliche Freiheit zu achten. 4. Die Vertragsstaaten dieses Paktes erkennen die Vorteile an, die in der Förderung und Entwicklung internationaler Kontakte und Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und kulurellem Gebiet liegen.

Teil IV Artikel 16 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, nach Maßgabe dieses Teiles Berichte über die von ihnen getroffenen Maßnahmen und über die Fortschritte vorzulegen, die hinsichtlich der Achtung der in dem Pakt anerkannten Rechte erzielt wurden. 2. a) Alle Berichte werden dem Generalsekretär der Vereinten Nationen vorgelegt, der sie abschriftlich dem Wirtschaftsund Sozialrat übermittelt, damit dieser sie nach Maßgabe dieses Paktes prüft. b) Der Generalsekretär der Vereinten Nationen leitet ferner Berichte von Vertragsstaaten dieses Paktes, die gleichzeitig Mitglieder von Sonderorganisationen sind, oder einschlägige Teile solcher Berichte abschriftlich den Sonderorganisationen zu, soweit diese Berichte oder Teile davon sich auf Angelegenheiten beziehen, die nach den Satzungen dieser Organisationen in deren Aufgabengebiet fallen.

Artikel 17 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes legen ihre Berichte abschnittsweise nach Maßgabe eines Programms vor, das vom Wirtschaftsund Sozialrat binnen eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Paktes nach Konsultierung der Vertrags-staaten und der betreffenden Sonderoganisationen aufzustellen ist. 2. Die Berichte können Hinweise auf die Umstände und Schwierigkeiten enthalten, welche diese Staaten daran hindern, die Verpflichtungen aus diesem Pakt in vollem Umfange zu erfüllen. 3. Hat ein Vertragsstaat dieses Paktes den Vereinten Nationen oder einer Sonderorganisation bereits früher sachdienliche Angaben gemacht, so brauchen diese Angaben nicht wiederholt zu werden und eine genaue Bezugnahme auf sie genügt.

Artikel 18

Der Wirtschafts-und Sozialrat kann in Erfüllung der ihm nach der Charta der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten zugewiesenen Aufgaben mit den Sonderorganisationen Vereinbarungen bezüglich ihrer Berichterstattung über die Fortschritte treffen, die bei der Einhaltung der in ihren Tätigkeitsbereich fallenden Bestimmungen dieses Paktes erzielt wurden. Diese Berichte können Einzelheiten über die von ihren zuständigen Organen angenommenen Beschlüsse und Empfehlungen über diese Durchführung enthalten.

Artikel 19

Der Wirtschaftsund Sozialrat kann die von Staaten nach den Artikeln 16 und 17 und die von Sonderorganisationen nach Artikel 18 vorgelegten Berichte über Menschenrechte der Menschenrechtskommission zur Prüfung und allgemeinen Empfehlung oder gegebenenfalls zur Unterrichtung zuleiten.

Artikel 20

Die Vertragsstaaten dieses Paktes und die betreffenden Sonderorganisationen können dem Wirtschafts-und Sozialrat Stellungnahmen betreffend jede allgemeine Empfehlung nach Artikel 19 oder betreffend jede Bezugnahme auf eine solche Empfehlung übermitteln, die in einem Bericht der Menschenrechtskommission oder einer darin erwähnten Unterlage enthalten ist.

Artikel 21

Der Wirtschafts-und Sozialrat kann der General-versammlung von Zeit zu Zeit Berichte mit Empfehlungen allgemeiner Art und einer Zusammenfassung der Angaben vorlegen, die ihm von Vertragsstaaten dieses Paktes und von Sonder-organisationen über die im Hinblick auf die allgemeine Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte getroffenen Maßnahmen und die erzielten Fortschritte zugehen.

Artikel 22

Der Wirtschaftsund Sozialrat kann anderen Organen der Vereinten Nationen, ihren Nebenorganen und denjenigen Sonderorganisationen, die technische Hilfe gewähren, jede sich aus den in diesem Teil erwähnten Berichten ergebende Frage mitteilen, die diesen Stellen helfen kann, auf ihrem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet über die Zweckmäßigkeit internationaler Maßnahmen zur wirksamen, schrittweisen Durchführung dieses Paktes zu entscheiden.

Artikel 23

Die Vertragsstaaten dieses Paktes vereinbaren, daß internationale Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte u. a.den Abschluß von Übereinkommen, die Annahme von Empfehlungen, die Gewährung technischer Hilfe und — in Verbindung mit den betreffenden Regierungen — die Einberufung von regionalen und Fachtagungen zu Konsultationsund Studienzwecken einschließen.

Artikel 24

Dieser Pakt ist nicht so auszulegen, als beeinträchtige er die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen und der Satzungen der Sonder-organisationen, welche die jeweiligen Aufgaben der einzelnen Organe der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen bezüglich der in diesem Pakt behandelten Fragen regeln.

Artikel 25

Dieser Pakt ist nicht so auszulegen, als beeinträchtige er das natürliche Recht aller Völker auf den Genuß und die volle und freie Nutzung ihrer Naturschätze und Wirtschaftskräfte.

Teil V Artikel 26 1. Dieser Pakt liegt für jeden Mitgliedstaat der Vereinten Nationen, für jedes Mitglied einer ihrer Sonderorganisationen, für jeden Vertragsstaat der Satzung des Internationalen Gerichtshofs und für jeden anderen Staat zur Unterzeichnung auf, den die Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeladen hat, Vertragspartei des Paktes zu werden. 2. Dieser Pakt bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt. 3. Dieser Pakt liegt für jeden in Absatz 1 bezeichneten Staat zum Beitritt auf. 4. Der Beitritt erfolgt durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen. 5. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen unterrichtet alle Staaten, die diesen Pakt unterzeichnet haben oder ihm beigetreten sind, von der Hinterlegung jeder Ratifikations-oder Beitrittsurkunde. Artikel 27 1. Dieser Pakt tritt drei Monate nach Hinterlegung der fünfunddreißigsten Ratifikations-oder Beitrittsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen in Kraft. 2. Für jeden Staat, der diesen Pakt nach Hinterlegung der fünfunddreißigsten Ratifikations-oder Beitrittsurkunde ratifiziert oder ihm beitritt, tritt er drei Monate nach Hinterlegung der Ratifikations-oder Beitrittsurkunde durch den Staat in Kraft.

Artikel 28

Dieser Pakt erstreckt sich ohne Einschränkungen oder Ausnahmen auf alle Teile eines Bundes-staates.

Artikel 29 1. Jeder Vertragsstaat dieses Paktes kann eine Änderung vorschlagen und ihren Wortlaut beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegen. Der Generalsekretär übermittelt sodann alle Änderungsvorschläge den Vertragsstaaten dieses Paktes und fordert sie auf, ihm mitzuteilen, ob sie eine Konferenz der Vertragsstaaten zur Beratung und Abstimmung über die Vorschläge befürworten. Befürwortet wenigstens ein Drittel der Vertragsstaaten eine solche Konferenz, so beruft der Generalsekretär sie unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen ein. Jede Änderung, die von der Mehrheit der auf der Konferenz anwesenden und abstimmenden Vertragsstaaten angenommen worden ist, wird der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Genehmigung vorgelegt. 2. Die Änderungen treten in Kraft, sobald sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen genehmigt und von einer Zweidrittelmehrheit der Vertragsstaaten dieses Paktes nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Verfahren angenommen worden sind. 3. Treten die Änderungen in Kraft, so sind sie für diejenigen Vertragsstaaten, die sie angenommen haben, verbindlich, während für die anderen Vertragsstaaten noch die Bestimmungen dieses Paktes und die zu einem früheren Zeitpunkt von ihnen angenommenen Änderungen gelten.

Artikel 30

Unbeschadet der nach Artikel 26 Absatz 5 erfolgten Notifikationen unterrichtet der Generalsekretär der Vereinten Nationen alle in Absatz 1 jenes Artikels bezeichneten Staaten a) von den Unterzeichnungen, Ratifikationen und Beitritten nach Artikel 26; b) von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Paktes nach Artikel 27 und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens von Änderungen nach Artikel 29.

Artikel 31 1. Dieser Pakt, dessen chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, wird im Archiv der Vereinten Nationen hinterlegt. 2. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen übermittelt allen in Artikel 26 bezeichneten Staaten beglaubigte Abschriften dieses Paktes.

II, Internationaler Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte

Präambel Die Vertragsstaaten dieses Paktes, — in der Erwägung, daß nach den in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der menschlichen Gesellschaft die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt ist, — in der Erkenntnis, daß diese Rechte der angeborenen Würde des Menschen entspringen, — in der Erkenntnis, daß nach der Universellen Erklärung der Menschenrechte das Ideal des freien Menschen, der staatsbürgerliche und politische Freiheit genießt und von Furcht und Not befreit ist, nur dann zu verwirklichen ist, wenn Bedingungen geschaffen werden, unter denen jedermann seine staatsbürgerlichen und politischen Rechte sowie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ausüben kann, — im Hinblick auf die den Staaten durch die Charta der Vereinten Nationen auferlegte Verpflichtung, die allgemeine Achtung vor den Rechten und Freiheiten des Menschen zu fördern und zu festigen, — in der Erkenntnis, daß der einzelne gegenüber seinem Nächsten und der Gemeinschaft, der er Pflichten hat und ist, sich um gehalten angehört, Pakt die Förderung und Achtung der in diesem anerkannten Rechte zu bemühen, > vereinbaren folgende Artikel:

Te i 1 I Artikel 1 1. Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und verfolgen in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. 2. Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre Naturschätze und Wirtschaftskräfte verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der auf dem Grundsatz des gegenseitigen Interesses und dem Völkerrecht beruhenden internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit erwachsen. In keinem Falle darf ein Volk seiner Existenzmöglichkeiten beraubt werden. 3. Die Vertragsstaaten dieses Paktes einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Hoheitsgebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.

Teil II Artikel 2 1. Jeder Vertragsstaat dieses Paktes verpflichtet sich, die in dem Pakt anerkannten Rechte zu achten und allen seiner Zuständigkeit unterstehenden Personen in seinem Hoheitsgebiet ohne Unterschied, insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, der der des Geschlechts, -Sprache, Reli gion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Besitzstandes, der Geburt oder sonstigen Stellung, zu gewährleisten. 2. Jeder Vertragsstaat dieses Paktes verpflichtet sich, im Einklang mit seinem verfassungsrechtlichen Verfahren und mit diesem Pakt die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen einzuleiten, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Maßnahmen nicht bereits getroffen worden sind. 3. Jeder Vertragsstaat dieses Paktes verpflichtet sich, a) dafür zu sorgen, daß jeder, dessen in diesem Pakt anerkannten Rechte oder Freiheiten verletzt werden, über ein wirksames Rechtsmittel verfügt, auch wenn die Verletzung von einer in amtlicher Eigenschaft handelnden Person begangen wurde; b) dafür zu sorgen, daß die zuständigen Gerichts-, Verwaltungs-oder ‘ Gesetzgebungsorgane oder andere nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates zuständige Behörden das Recht jeder Person, ein solches Rechtsmittel einzulegen, feststellen, sowie die Möglichkeiten gerichtlicher Beschwerde auszubauen; c) dafür zu sorgen, daß die zuständigen Behörden derartigen Rechtsmitteln Geltung verschaffen, wenn ihnen stattgegeben worden ist.

Artikel 3

Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, zu gewährleisten, daß Männer und Frauen gleichberechtigt in den Genuß aller in diesem Pakt aufgeführten staatsbürgerlichen und politischen Rechte gelangen.

Artikel 4 1. In Zeiten öffentlichen Notstands, der die Existenz der Nation bedroht und amtlich verkündet ist, können die Vertragsstaaten dieses Paktes, soweit dies nach Lage der Dinge unerläßlich ist, Maßnahmen treffen, die von ihren aus dem Pakt erwachsenden Verpflichtungen abweichen, sofern diese Maßnahmen mit ihren sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen vereinbar sind und keine Diskriminierung einschließen, die allein aus Gründen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion oder der sozialen Herkunft erfolgt. 2. Abweichungen von den Artikeln 6, 7, 8 (Absätze 1 und 2), 11, 15, 16 und 18 aufgrund von Absatz 1 des vorliegenden Artikels sind unzulässig. 3. Jeder Vertragsstaat dieses Paktes, der von dem Recht auf Abweichung Gebrauch macht, unterrichtet alsbald die anderen Vertragsstaaten durch Vermittlung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen über die Bestimmungen, von denen er abgewichen ist, sowie über die Gründe, die ihn dazu veranlaßt haben. Eine weitere Mitteilung erfolgt auf dem gleichen Wege, sobald die Abweichung beendet worden ist.

Artikel 5

Dieser Pakt ist nicht so auszulegen, als berechtige er einen Staat, eine Gruppe oder eine Person, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, deren Ziel es ist, die in diesem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten zu zerstören oder weitergehenden Einschränkungen als den in dem Pakt vorgesehenen zu unterwerfen.

Einschränkungen oder Abweichungen von den in einem Vertragsstaat dieses Paktes durch Gesetze, Übereinkünfte, Verordnungen oder das Gewohnheitsrecht anerkannten oder bestehenden Grundrechten des Menschen unter dem Vorwand, der Pakt erkenne derartige Rechte nicht oder in geringerem Maße an, sind unzulässig.

Teil III Artikel 6 1. Jeder Mensch hat das angeborene Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden. 2. In Ländern, in denen die Todesstrafe nicht abgeschafft ist, darf ein Todesurteil nur für schwerste Verbrechen verhängt werden, und zwar nach Maßgabe der zur Zeit der Begehung des Verbrechens in Kraft befindlichen Rechtsvorschriften, die diesem Pakt und der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nicht entgegenstehen dürfen. Diese Strafe darf nur aufgrund eines rechtskräftigen Urteils eines zuständigen Gerichts vollstreckt werden. 3. Erfüllt die Tötung den Tatbestand des Völkermordes, so wird davon ausgegangen, daß dieser Artikel einen Vertragsstaat dieses Paktes nicht ermächtigt, gegen eine nach der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes übernommene Verpflichtung zu verstoßen. 4. Jeder zum Tode Verurteilte hat das Recht, um Begnadigung oder Strafmilderung zu bitten. Straferlaß, Begnadigung oder Umwandlung der Todesstrafe kann in allen Fällen gewährt werden. 5. Die Todesstrafe darf nicht für Straftaten verhängt werden, die von Jugendlichen unter achtzehn Jahren begangen wurden, und darf nicht an schwangeren Frauen vollstreckt werden. 6. Dieser Artikel darf nicht zum Vorwand genommen werden, um die Abschaffung der Todesstrafe durch einen Vertragsstaat dieses Paktes zu verzögern oder zu verhindern.

Artikel 7

Niemand darf gefoltert oder grausam, unmenschlich oder entwürdigend behandelt oder bestraft werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden.

Artikel 8 1. Niemand darf in Sklaverei gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten. 2. Niemand darf in Unfreiheit gehalten werden. 3. a) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs-oder Pflichtarbeit zu verrichten; b) Absatz 3 a ist nicht so auszulegen, als schließe er in Ländern, in denen ein Verbrechen mit Freiheitsentzug und Zwangsarbeit bestraft werden kann, die Leistung von Zwangsarbeit aufgrund einer entsprechenden Verurteilung durch ein zuständiges Gericht aus; c) für die Zwecke dieses Absatzes schließt der Ausdruck „Zwangs-oder Pflichtarbeit" fol-gende Arbeiten und Dienstleistungen nicht ein: (1) alle Arbeiten oder Dienstleistungen, die unter Buchstabe b nicht genannt sind und üblicherweise von einer aufgrund eines rechtskräftigen Gerichtsurteils in Haft befindlichen oder bedingt freigelassenen Person gefordert werden; (2) alle Dienstleistungen militärischer Art sowie in Ländern, in denen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung besteht, alle für Kriegsdienstverweigerer gesetzlich vorgesehenen nationalen Dienstleistungen; (3) alle erforderlichen Dienstleistungen in Not-oder Katastrophenfällen, die Leben oder Wohl der Gemeinschaft bedrohen; (4) alle Arbeiten oder Dienstleistungen, die Teil der üblichen staatsbürgerlichen Pflichten sind.

Artikel 9 1. Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seiner Freiheit beraubt werden, es sei denn aufgrund eines Gesetzes und unter Beachtung des darin vorgesehenen Verfahrens. 2. Jeder Festgenommene ist bei seiner Festnahme über deren Gründe sowie unverzüglich über alle gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu unterrichten. 3. Jeder wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung Festgenommene oder Festgehaltene ist unverzüglich einem Richter oder einem gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Beamten vorzuführen und hat Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb eines angemessenen Zeitabschnittes oder auf Freilassung. Es darf nicht die Regel sein, daß Personen, die auf ein Gerichtsverfahren warten, in Haft gehalten werden; doch kann die Freilassung unter der Bedingung erfolgen, daß Sicherheiten geleistet werden, zu der Hauptverhandlung und zu allen anderen Stadien der Gerichtsverhandlung und gegebenenfalls zur Vollstreckung des Urteils zu erscheinen. 4. Jeder, der durch Festnahme oder Haft seiner Freiheit beraubt ist, hat das Recht, die Gerichte anzurufen, damit diese unverzüglich über die Rechtmäßigkeit seiner Haft entscheiden und seine Freilassung anordnen, falls die Haft unrechtmäßig ist. 5. Jeder, der unrechtmäßig festgenommen oder festgehalten worden ist, hat ein klagbares Recht auf Entschädigung.

Artikel 10 1. Jeder, der seiner Freiheit beraubt worden ist, ist human und unter Achtung der angeborenen Würde des Menschen zu behandeln. 2. a) Von Ausnahmefällen abgesehen, sind Beschuldigte von Verurteilten zu trennen und ihrem Status als Nichtverurteilte entsprechend gesondert zu behandeln; b) beschuldigte Jugendliche sind von Erwachsenen zu trennen und so rasch wie möglich abzuurteilen. 3. Der Strafvollzug umfaßt die Behandlung der Gefangenen; wichtigstes Ziel dieser Behandlung ist es, die Gefangenen zu bessern und wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Jugendliche Täter sind von Erwachsenen zu trennen und ihrem Alter und ihrer Rechtsstellung entsprechend zu behandeln.

Artikel 11

Niemand darf allein deswegen in Haft genommen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.

Artikel 12 1. Jeder sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates Aufhaltende hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. 2. Es steht jedermann frei, jedes Land einschließlich des eigenen zu verlassen. 3. Die obenerwähnten Rechte dürfen keinen Einschränkungen unterworfen werden, es sei denn, diese sind gesetzlich vorgesehen, zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich und mit den sonstigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar. 4. Niemand darf willkürlich des Rechts beraubt werden, in sein eigenes Land einzureisen.

Artikel 13

Ein sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats dieses Paktes aufhaltender Ausländer kann aus demselben nur aufgrund einer rechtmäßig getroffenen Entscheidung ausgewiesen werden und muß die Möglichkeit erhalten — sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit dem entgegenstehen —, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe geltend zu machen und seinen Fall durch die zuständige Behörde oder eine oder mehrere von dieser Behörde besonders bezeichnete Personen überprüfen zu lassen, wobei er sich vertreten lassen kann.

Artikel 14 1. Alle Personen sind vor Gericht gleich. Bei der Entscheidung über ihm zur Last gelegte Straftaten oder über seine Rechte und Pflichten in einem Zivilprozeß hat jedermann Anspruch auf eine gerechte und öffentlich geführte Verhandlung durch ein zuständiges, unabhängiges und unparteiisches, durch Gesetz errichtetes Gericht. Presse und Öffentlichkeit können für die Dauer oder einen Teil des Verfahrens von den Verhandlungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus Gründen der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung (ordre public) oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft oder aber im Interesse des Privatlebens der Parteien erforderlich ist, oder soweit dies nach Auffassung des Gerichts unter besonderen Umständen, unter denen die Öffentlichkeit der Verhandlung nicht im Interesse der Gerechtigkeit wäre, unbedingt notwendig ist; jedes in einem Strafoder Zivilprozeß ergangene Urteil ist jedoch öffentlich bekanntzumachen, sofern das Interesse Jugendlicher nichts anderes erfordert oder das Verfahren nicht Ehestreitigkeiten oder die Vormundschaft über Kinder betrifft. 2. Jeder, dem eine Straftat zur Last gelegt wird, hat das Recht, bis zum Beweis seiner Schuld nach Maßgabe des Gesetzes für unschuldig zu gelten. 3. Bei der Entscheidung über ihm zur Last gelegte Straftaten hat jedermann voll gleichberechtigt Anspruch auf folgende Mindestgarantien: a) er ist unverzüglich und ausführlich in einer ihm verständlichen Sprache über Art und Gründe der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu unterrichten; b) er muß ausreichende Zeit und Möglichkeit haben, um seine Verteidigung vorzubereiten und sich mit einem selbstgewählten Anwalt in Verbindung zu setzen; c) er muß ohne unangemessene Verzögerung vor Gericht gestellt werden; d) er darf bei seinem Prozeß anwesend sein und sich persönlich verteidigen oder durch einen selbstgewählten Rechtsbeistand verteidigen lassen; falls er keinen Rechtsbeistand hat, ist er über den Anspruch darauf zu unterrichten; in allen Fällen, in denen dies im Interesse der Gerechtigkeit erforderlich ist, muß er kostenfrei einen Rechtsbeistand erhalten, falls ihm die Mittel fehlen, diesen zu bezahlen; e) er darf Belastungszeugen selbst befragen oder vernehmen lassen und das Erscheinen und die Vernehmung von Entlastungszeugen unter den gleichen Bedingungen wie von Belastungszeugen erwirken; f) er erhält den kostenfreien Beistand eines Dolmetschers, falls er die vor Gericht verwendete Sprache nicht versteht oder spricht; g) er darf nicht gezwungen werden, gegen sich selbst auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. 1. Bei Jugendlichen ist das Verfahren in einer Weise zu fuhren, die ihrem Alter Rechnung trägt und ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft dienlich ist. 5. Wer wegen einer Straftat schuldig gesprochen ist, hat einen Anspruch darauf, daß Schuldspruch und Verurteilung entsprechend den Gesetzen von einem Gericht höherer Instanz nachgeprüft werden. i. Ist eine Person aufgrund eines rechtskräftigen Urteils wegen einer Straftat verurteilt und wird das Urteil später aufgehoben oder der Verurteilte begnadigt, weil eine neue oder neu aufgedeckte Tatsache schlüssig beweist, daß ein Justizirrtum vorliegt, so ist die Person, die aufgrund eines derartigen Urteils eine Strafe verbüßt hat, entsprechend den Gesetzen zu entschädigen, sofern nicht bewiesen wird, daß die Nichtaufdeckung der unbekannten Tatsache im rechten Zeitpunkt ihr ganz oder teilweise zuzuschreiben ist. 7. Niemand darf erneut wegen einer Straftat verurteilt oder bestraft werden, deretwegen er bereits nach den Gesetzen und dem Strafverfahren eines jeden Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden war.

Artikel 15 1. Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die in dem Zeitpunkt, zu dem sie begangen wurde, keine Straftat im Sinne des nationalen oder internationalen Rechts darstellte. Ebensowenig darf eine schwerere Strafe als die verhängt werden, mit der die Straftat zur Zeit ihrer Begehung bedroht wurde. Wird nach Begehung der Straftat durch Gesetz eine leichtere Strafe vorgesehen, so kommt dies dem Täter zugute. 2. Dieser Artikel steht nicht der Verurteilung und Bestrafung einer Person wegen einer Handlung oder Unterlassung entgegen, die in dem Zeitpunkt, zu dem sie begangen wurde, aufgrund der von der Völkergemeinschaft anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze als verbrecherisch galt.

Artikel 16

Jeder hat das Recht, überall als Person im Rechts-sinn anerkannt zu werden.

Artikel 17 1. In das Privatleben, die Familie, das Heim und den Briefwechsel darf nicht willkürlich oder unrechtmäßig eingegriffen, noch dürfen Ehre und Ruf unrechtmäßig verletzt werden. 2. Jeder hat das Recht auf gesetzlichen Schutz gegen derartige Eingriffe oder Verletzungen.

Artikel 18 1. Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens-und Religionsfreiheit. Hierzu gehört die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, sowie die Freiheit, die eigene Religion oder Weltanschauung durch Gottesdienst, Observanz, Ausübung und Lehre allein oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat zu bekunden. 2. Auf niemanden darf ein Zwang ausgeübt werden, der seine Freiheit beeinträchtigen würde, eine selbstgewählte Religion oder Weltanschauung zu haben oder anzunehmen. 3. Die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung auszuüben, darf nur solchen Einschränkungen unterliegen, die gesetzlich vorgeschrieben und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Volksgesundheit oder Sittlichkeit oder der Grundrechte und Freiheiten anderer erforderlich sind. 4. Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des gesetzlichen Vormunds zu achten, für die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen Anschauungen Sorge zu tragen.

Artikel 19 1. Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit. 2. Jeder hat das Recht der freien Meinungsäußerung; hierzu gehört die Freiheit, sich ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift und Druck, in künstlerischer Form oder durch jedes sonstige Mittel eigener Wahl zu beschaffen, entgegenzunehmen und weiterzugeben. 3. Die Ausübung der in Absatz 2 genannten Rechte umfaßt besondere Pflichten und Verantwortlichkeit. Sie kann daher bestimmten Einschränkungen unterliegen, die jedoch gesetzlich vorgesehen und erforderlich sein müssen, a) um die Rechte und den Ruf anderer zu achten; b) um die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung (ordre public), die Volksgesundheit oder die Sittlichkeit zu schützen.

Artikel 20 1. Jede Kriegspropaganda ist gesetzlich verboten. 2. Jede Befürwortung nationalen, rassischen oder religiösen Hasses, die eine Aufhetzung zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt darstellt, ist gesetzlich verboten.

Artikel 21

Das Recht, sich friedlich zu versammeln, wird anerkannt. Die Ausübung dieses Rechts unterliegt nur'den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), zum Schutz der Volksgesundheit oder Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich sind.

Artikel 22 1. Jeder hat das Recht, mit anderen Vereinigungen zu bilden; hierzu gehört auch das Recht, zum Schutz der eigenen Interessen Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten. 2. Die Ausübung dieses Rechts unterliegt nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), zum Schutz der Volksgesundheit oder Sittlichkeit odär der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich sind. Dieser Artikel steht rechtmäßigen Einschränkungen der Ausübung dieses Rechts durch Angehörige der Streitkräfte oder der Polizei nicht entgegen. 3. Dieser Artikel berechtigt Vertragsstaaten des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation von 1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts nicht, solche Rechtsvorschriften zu erlassen oder Gesetze so anzuwenden, daß dadurch die in jenem Übereinkommen vorgesehenen Garantien beeinträchtigt werden.

Artikel 23 1. Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf den Schutz von Gesellschaft und Staat. 2. Das Recht von Männern und Frauen im heiratsfähigen Alter, zu heiraten und eine Familie zu gründen, wird anerkannt. 3. Eine Ehe darf nur mit dem freien und uneingeschränkten Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden. 4. Die Vertragsstaaten dieses Paktes treffen geeignete Maßnahmen, um gleiche Rechte und Pflichten der Ehegatten im Hinblick auf die Ehe, während derselben und bei ihrer Auflösung zu gewährleisten. Bei Auflösung der Ehe ist für den erforderlichen Schutz der Kinder Sorge zu tragen.

Artikel 24 1. Jedes Kind hat ohne Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Besitzstandes oder der Geburt das Recht, in dem seiner Stellung als Minderjähriger entsprechenden Umfang durch Familie, Gesellschaft und Staat geschützt zu werden. 2. Jedes Kind wird unverzüglich nach seiner Geburt standesamtlich eingetragen und erhält einen Namen. 3. Jedes Kind hat das Recht auf Erwerb einer Staatsangehörigkeit.

Artikel 25

Jedem Staatsbürger wird ohne einen Unterschied der in Artikel 2 genannten Art und ohne unangemessene Einschränkungen das Recht und die Gelegenheit gegeben, a) an der Führung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen; b) bei echten, regelmäßig stattfindenden Wahlen, die allgemein, gleich und geheim sein und die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleisten müssen, zu wählen und gewählt zu werden; c) unter allgemein gleichen Voraussetzungen zu öffentlichen Ämtern seines Landes zugelassen zu werden. Artikel 26

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf den gleichen gesetzlichen Schutz. In dieser Hinsicht ist jede Diskriminierung gesetzlich zu verbieten, und allen Menschen wird gleicher und wirksamer Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Besitzstandes, der Geburt oder sonstigen Stellung gewährleistet.

Artikel 27

In Staaten, in denen ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten bestehen, darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht entzogen werden, in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihre eigene Kultur zu pflegen, sich zu ihrer eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben, oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.

Teil IV Artikel 28 1. Es wird ein (im folgenden als „Ausschuß" bezeichneter) Menschenrechtsausschuß errichtet. Er besteht aus achtzehn Mitgliedern und hat die nachstehend festgelegten Aufgaben. 2. Der Ausschuß setzt sich aus Ahgehörigen der Vertragsstaaten dieses Paktes von hohem sittlichem Rang und anerkannter Sachkenntnis auf dem Gebiet der Menschenrechte zusammen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Beteiligung einiger Personen mit juristischer Erfahrung von Nutzen ist. 3. Die Mitglieder des Ausschusses werden gewählt und sind in persönlicher Eigenschaft tätig.

Artikel 29 1. Die Mitglieder des Ausschusses . werden in geheimer Wahl aus einer Liste von Personen gewählt, welche die in Artikel 28 vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen und zu diesem Zweck von den Vertragsstaaten dieses Paktes benannt worden sind. 2. Ein Vertragsstaat dieses Paktes darf höchstens zwei Personen benennen. Sie müssen Angehörige des sie benennenden Staates sein. 3. Eine Wiederbenennung dieser Personen ist zulässig. Artikel 30 1. Die erste Wahl findet spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten dieses Paktes statt. 2. Spätestens vier Monate vor jeder Ausschußwahl lädt der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Vertragsstaaten dieses Paktes schriftlich ein, binnen drei Monaten ihre Benennungen für eine Mitgliedschaft im Ausschuß einzureichen, sofern es sich nicht um eine Wahl zur Besetzung eines nach Maßgabe des Artikels 34 frei gewordenen Sitzes handelt. 3. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen stellt eine alphabetische Liste aller demgemäß benannten Personen unter Angabe der sie benennenden Vertragsstaaten auf und legt sie den Vertragsstaaten dieses Paktes spätestens einen Monat vor jeder Wahl vor. 4. Die Wahl der Ausschußmitglieder findet auf einer vom Generalsekretär der Vereinten Nationen an deren Sitz anberaumten Sitzung der Vertragsstaaten dieses Paktes statt. Auf dieser Sitzung, die beschlußfähig ist, wenn zwei Drittel der Vertragsstaaten des Paktes vertreten sind, gelten diejenigen Bewerber als in den Ausschuß gewählt, welche die höchste Stimmenzahl und die absolute Stimmenmehrheit der anwesenden und abstimmenden Vertreter der Vertragsstaaten auf sich vereinigen.

Artikel 31 1. Dem Ausschuß darf jeweds nur ein Angehöriger eines Staates angehören. 2. Bei den Wahlen zum Ausschuß ist auf eine gerechte geographische Verteilung und auf die Vertretung der verschiedenen Zivilisationsformen sowie der hauptsächlichen Rechtssysteme zu achten.

Artikel 32 1. Die Ausschußmitglieder werden für vier Jahre gewählt. Sie können bei erneuter Benennung wiedergewählt werden. Jedoch läuft die Amtszeit von neun der bei der ersten Wahl gewählten Mitglieder nach zwei Jahren ab; unmittelbar nach der ersten Wahl werden die Namen dieser neun Mitglieder vom Vorsitzenden der in Artikel 30 Abs. 4 genannten Sitzung durch das Los bestimmt. 2. Wahlen nach Ablauf einer Amtszeit finden nach Maßgabe der vorstehenden Artikel statt.

Artikel 33 1. Nimmt ein Ausschußmitglied nach einmütiger Auffassung der anderen Mitglieder seine Aufgaben aus anderen Gründen als dem zeitweiliger Abwesenheit nicht mehr wahr, so notifiziert der Vorsitzende des Ausschusses dies dem Generalsekretär der Vereinten Nationen; dieser erklärt sodann den Sitz des betreffenden Mit-lieds für verwaist. 2. Stirbt ein Ausschußmitglied oder tritt es zurück, so bringt der Vorsitzende dies unverzüglich dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Kenntnis; dieser erklärt den Sitz vom Zeitpunkt des Todes oder vom Wirksamwerden des Rücktritts an für verwaist.

Artikel 34 1. Wird ein Sitz nach Maßgabe des Artikels 33 für verwaist erklärt, und läuft die Amtszeit des zu ersetzenden Mitglieds nicht binnen sechs Mona-ten nach dieser Erklärung ab, so notifiziert der Generalsekretär der Vereinten Nationen dies allen Vertragsstaaten dieses Paktes; diese können binnen zwei Monaten nach Maßgabe des Artikels 29 Benennungen vornehmen,, um den freigewordenen Sitz zu besetzen. 2. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen stellt eine alphabetische Liste aller demgemäß benannten Personen auf und legt sie den Vertragsstaaten dieses Paktes vor. Die Wahl zur Besetzung des verwaisten Sitzes findet sodann nach Maßgabe der entsprechenden Bestimmungen dieses Teils statt. 3. Ein Ausschußmitglied, das zur Besetzung eines nach Artikel 33 freigewordenen Sitzes gewählt worden ist, amtiert für die restliche Amtszeit des Mitglieds, dessen Sitz im Ausschuß nach Maßgabe des genannten Artikels freigeworden ist.

Artikel 35

Die Ausschußmitglieder erhalten mit Billigung der Generalversammlung Bezüge aus Mitteln der Vereinten Nationen; die näheren Einzelheiten werden von der Generalversammlung unter Berücksichtigung der Bedeutung festgesetzt, die den Aufgaben des Ausschusses zukommt.

Artikel 36

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen stellt dem Ausschuß das Personal und die Einrichtungen zur Verfügung, deren er zur wirksamen Wahrnehmung seiner Aufgaben nach diesem Pakt bedarf.

Artikel 37 1. Die erste Sitzung des Ausschusses wird vom Generalsekretär der Vereinten Nationen an deren Sitz einberufen. 2. Nach seiner ersten Sitzung tritt der Ausschuß zu den in seiner Geschäftsordnung festgelegten Zeitpunkten zusammen. 3. Die Sitzungen des Ausschusses finden in der Regel am Sitz der Vereinten Nationen oder im Büro der Vereinten Nationen in Genf statt.

Artikel 38

Jedes Ausschußmitglied erklärt vor Übernahme seines Amtes in öffentlicher Sitzung des Ausschusses feierlich, daß es seine Aufgaben unparteiisch und gewissenhaft erfüllen wird.

Artikel 39 1. Der Ausschuß wählt seinen Vorstand für zwei Jahre. Eine Wiederwahl ist zulässig. 2. Der Ausschuß gibt sich eine Geschäftsordnung; diese muß unter anderem folgende Bestimmungen enthalten: a) Bei Anwesenheit von zwölf Mitgliedern ist der Ausschuß beschlußfähig; b) die Beschlüsse des Ausschusses bedürfen der Mehrheit der anwesenden Mitglieder.

Artikel 40 1. Die Vertragsstaaten dieses Paktes verpflichten sich, Berichte über die Maßnahmen, die von ihnen zur Verwirklichung der in dem Pakt anerkannten Rechte getroffen wurden, sowie über die Fortschritte vorzulegen, die bei der Ausübung dieser Rechte erzielt wurden, und zwar a) binnen einem Jahr, nachdem dieser Pakt für die betreffenden Vertragsstaaten in Kraft getreten ist; b) danach, so oft es der Ausschuß verlangt. 2. Alle Berichte sind dem Generalsekretär der Vereinten Nationen vorzulegen, der sie dem Ausschuß zur Prüfung zuleitet. In den Berichten ist auf etwaige Faktoren und Schwierigkeiten hinzuweisen, welche die Durchführung dieses Paktes berühren. 3. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen kann nach Konsultierung des Ausschusses den betreffenden Sonderorganisationen Abschriften derjenigen Teile der Berichte zuleiten, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. 4. Der Ausschuß prüft die von den Vertragsstaaten dieses Paktes eingereichten Berichte. Er leitet • seine eigenen Berichte sowie die ihm geeignet erscheinenden allgemeinen Stellungnahmen den Vertragsstaaten zu. Der Ausschuß kann diese Stellungnahmen sowie Abschriften der ihm von den Vertragsstaaten dieses Paktes zugegangenen Berichte auch dem Wirtschafts-und Sozial-rat zuleiten. 5. Die Vertragsstaaten dieses Paktes können dem Ausschuß Bemerkungen zu allen Stellungnahmen zuleiten, die nach Absatz 4 abgegeben werden. Artikel 41 1. Ein Vertragsstaat dieses Paktes kann jederzeit aufgrund dieses Artikels erklären, daß er die Zuständigkeit des Ausschusses für die Entgegennahme und Prüfung von Mitteilungen eines Vertragsstaates anerkennt, der vorgibt, ein anderer Vertragsstaat komme seinen Verpflichtungen nach diesem Pakt nicht nach. Mitteilungen aufgrund dieses Artikels können nur dann entgegengenommen und geprüft werden, wenn sie von einem Vertragsstaat eingereicht werden, der erklärt hat, die Zuständigkeit des Ausschusses für sich selbst anzuerkennen. Der Ausschuß nimmt nur Mitteilungen eines Vertragsstaates entgegen, der eine solche Erklärung abgegeben hat. Nach Maßgabe dieses Artikels entgegengenommene Erklärungen werden wie folgt behandelt: a) Ist ein Vertragsstaat dieses Paktes der Auffassung, daß ein anderer Vertragsstaat die Bestimmungen des Paktes nicht anwendet, so kann er dies dem letztgenannten Vertragsstaat schriftlich mitteilen. Binnen drei Monaten nach Eingang der Mitteilung hat der Empfangsstaat dem Staat, der die Mitteilung gemacht hat, eine schriftliche Erklärung oder sonstige Erläuterung zu der Angelegenheit zu geben, die, soweit dies möglich und zweckdienlich ist, auf die innerstaatlichen Verfahren und Rechtsmittel Bezug nehmen soll, die in der Sache eingelegt, anhängig oder verfügbar sind. b) Wird die Angelegenheit nicht binnen sechs Monaten nach Eingang der ersten Mitteilung bei dem Empfangsstaat zur Zufriedenheit der beiden beteiligten Vertragsstaaten beigelegt, so hat jeder der beiden Staaten das Recht, die Angelegenheit an den Ausschuß zu verweisen, indem er diesem und dem anderen Staat eine entsprechende Mitteilung macht. c) Der Ausschuß befaßt sich mit einer an ihn verwiesenen Angelegenheit erst dann, wenn er sich Gewißheit verschafft hat, daß in der Angelegenheit alle verfügbaren innerstaatlichen Rechtsmittel, und zwar im Einklang mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts eingelegt und erschöpft worden sind. Dies gilt nicht, wenn das Rechtsmittel-verfahren über Gebühr in die Länge gezogen wird. d) Mitteilungen aufgrund dieses Artikels werden vom Ausschuß in nichtöffentlicher Sitzung geprüft. e) Vorbehaltlich des Buchstaben c stellt der Ausschuß seine guten Dienste den beteiligten Vertragsstaaten zur Verfügung, um unter Beachtung der in diesem Pakt anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten eine gütliche Beilegung herbeizuführen. f) Der Ausschuß kann in jeder an ihn verwiesenen Angelegenheit von den unter Buchstabe b genannten beteiligten Vertragsstaaten alle sachdienlichen Angaben verlangen. g) Die unter Buchstabe b genannten beteiligte: Vertragsstaaten haben das Recht, sich vertreten zu lassen und mündlich und/oder schriftlich Einwendungen zu erheben, wenn der Ausschuß die Angelegenheit prüft. h) Der Ausschuß legt binnen zwölf Monaten nach Eingang der aufgrund des Buchstaben b erfolgten Notifikation einen Bericht wie folgt vor: (1) Ist eine Einigung nach Buchstabe e zustande gekommen, so beschränkt sich der Ausschuß in seinem Bericht auf eine kurze Darstellung der Tatsachen und der erzielten Einigung; (2) Ist eine Einigung nach Buchstabe e nicht zustande gekommen, so beschränkt sich der Ausschuß in seinem Bericht auf eine kurze Darstellung der Tatsachen; die schriftlichen Einwendungen sowie das Protokoll der mündlichen Einwendungen der beteiligten Vertragsstaaten sind dem Bericht beizufügen.

Der Bericht wird in allen Fällen den beteiligten Vertragsstaaten zur Kenntnis gebracht. 2. Dieser Artikel tritt in Kraft, wenn zehn Vertragsstaaten dieses Paktes Erklärungen nach Absatz 1 abgegeben haben. Diese Erklärungen werden von den Vertragsstaaten beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt, der den anderen Vertragsstaaten Abschriften davon übermittelt. Eine Erklärung kann jederzeit durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Eine solche Zurücknahme berührt nicht die Prüfung einer Angelegenheit, die Gegenstand einer bereits nach diesem Artikel gemachten Mitteilung ist; hat der Generalsekretär die Notifikation betreffend die Zurücknahme einer Erklärung erhalten, so wird keine weitere Mitteilung eines Vertragsstaates entgegengenommen, sofern nicht der betreffende Vertragsstaat eine neue Erklärung abgegeben hat.

Artikel 42 1. a) Wird eine nach Artikel 41 an den Ausschuß verwiesene Angelegenheit nicht zur Zufriedenheit der beteiligten Vertragsstaaten bei-gelegt, so kann der Ausschuß mit vorheriger Zustimmung der beteiligten Vertragsstaaten eine (im folgenden als „Kommission“ bezeichnete) Ad-hoc-Vergleichskommission ernennen. Die guten Dienste der Kommission werden den beteiligten Vertragsstaaten verfügbar gemacht, um auf der Grundlage der Achtung dieses Paktes eine gütliche Beilegung der Angelegenheit herbeizuführen. b) Die Kommission besteht aus fünf mit Zustimmung der beteiligten Vertragsstaaten benannten Personen. Können sich die beteiligten Vertragsstaaten nicht binnen drei Monaten über die vollständige oder teilweise Zusammensetzung der Kommission einigen, so wählt der Ausschuß die Kommissionsmitglieder, über die keine Einigung erzielt worden ist, aus seinen eigenen Reihen in geheimer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder. 2. Die Kommissionsmitglieder sind in persönlicher Eigenschaft tätig. Sie dürfen nicht Angehörige der beteiligten Vertragsstaaten, eines Nichtvertragsstaates dieses Paktes oder eines Vertragsstaates sein, der keine Erklärung nach Artikel 41 abgegeben hat. 3. Die Kommission wählt ihren Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. 4. Die Sitzungen der Kommission finden in der Regel am Sitz der Vereinten Nationen oder im Büro der Vereinten Nationen in Genf statt. Sie können jedoch an einem anderen von der Kommission nach Konsultierung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und der beteiligten Vertragsstaaten bestimmten geeigneten Ort abgehalten werden. 5. Das nach Artikel 36 gestellte Sekretariat arbeitet auch für die aufgrund dieses Artikels eingesetzten Kommissionen. 6. Die dem Ausschuß zugegangenen und von ihm ausgewerteten Angaben werden der Kommission zur Verfügung gestellt; diese kann die beteiligten Vertragsstaaten auffordern, weitere sachdienliche Angaben beizubringen. 7. Sobald die Kommission die Angelegenheit eingehend beraten hat, in jedem Fall jedoch spätestens zwölf Monate, nachdem sie damit befaßt worden ist, legt sie dem Vorsitzenden des Ausschusses einen Bericht vor, den dieser den beteiligten Vertragsstaaten zur Kenntnis bringt. a) Kann die Kommission ihre Beratungen über die Angelegenheiten nicht binnen zwölf Monaten abschließen, so beschränkt sie sich in ihrem Bericht auf eine kurze Darstellung des Standes ihrer diesbezüglichen Beratungen. b) Wird die Angelegenheit auf der Grundlage der Achtung vor den in diesem Pakt anerkannten Menschenrechten gütlich beigelegt, so beschränkt sich die Kommission in ihrem Bericht auf eine kurze Darstellung der Tatsachen und der erzielten Beilegung. c) Wird eine Beilegung nach Buchstabe b nicht erzielt, so nimmt die Kommission in ihren Bericht die Ergebnisse auf, zu denen sie bezüglich aller den Streit zwischen den beteiligten Vertragsstaaten betreffenden Sachfragen gelangt ist, sowie ihre Ansichten über die Möglichkeiten einer gütlichen Beilegung der Angelegenheit. Der Bericht enthält auch die schriftlichen Einwendungen sowie ein Protokoll der von den beteiligten Vertragsstaaten mündlich gemachten Einwendungen. d) Wird der Bericht der Kommission im Einklang mit Buchstabe c vorgelegt, so notifizieren die beteiligten Vertragsstaaten dem Vorsitzenden des Ausschusses binnen drei Monaten nach Eingang des Berichts, ob sie mit seinem Inhalt einverstanden sind. 8. Dieser Artikel berührt nicht die Pflichten des Ausschusses nach Artikel 41. 9. Die beteiligten Vertragsstaaten tragen zu gleichen Teilen alle Ausgaben der Kommissionsmitglieder nach Voranschlägen, die der Generalsekretär der Vereinten Nationen erstellt. 10. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist ermächtigt, die Ausgaben der Kommissionsmitglieder erforderlichenfalls zu bezahlen, bevor die Beträge von den beteiligten Vertragsstaaten nach Absatz 9 erstattet werden.

Artikel 43

Den Mitgliedern des Ausschusses und der Ad-hoc-Vergleichskommissionen, die nach Artikel 42 ernannt werden können, stehen die in den entsprechenden Abschnitten des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen für die im Auftrag der Vereinten Nationen tätigen Sachverständigen vorgesehenen Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten zu.

Artikel 44

Die Durchführungsbestimmungen dieses Paktes werden unbeschadet der auf dem Gebiet der Menschenrechte in oder nach den Gründungsurkunden und Übereinkünften der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen vorgesehenen Verfahren angewendet und hindern die Vertragsstaaten dieses Paktes nicht daran, nach den zwischen ihnen in Kraft befindlichen allgemeinen oder besonderen internationalen Übereinkünften andere Verfahren zur Beilegung einer Streitigkeit in Anspruch zu nehmen.

Artikel 45

Der Ausschuß legt der Generalversammlung der Vereinten Nationen über den Wirtschaftsund Sozialrat einen jährlichen Tätigkeitsbericht vor.

Teil V Artikel 46

Dieser Pakt ist nicht so auszulegen, als beinträchtige er die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen und der Satzungen der Sonder-organisationen, welche die jeweiligen Aufgaben der einzelnen Organe der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen bezüglich der in diesem Pakt behandelten Fragen regeln.

Artikel 47

Dieser Pakt ist nicht so auszulegen, als beeinträchtige er das natürliche Recht aller Völker auf den Genuß und die volle und freie Nutzung ihrer Naturschätze und Wirtschaftskräfte.

Teil VI Artikel 48 1. Dieser Pakt liegt für jeden Mitgliedstaat der Vereinten Nationen, für jedes Mitglied einer ihrer Sonderorganisationen, für jeden Vertragsstaat der Satzung des Internationalen Gerichtshofs und für jeden anderen Staat zur Unterzeichnung auf, den die Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeladen hat, Vertragspartei des Paktes zu werden. 2. Dieser Pakt bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt. 3. Dieser Pakt liegt für jeden in Absatz 1 bezeichneten Staat zum Beitritt auf. 4. Der Beitritt erfolgt durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen. 5. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen unterrichtete alle Staaten, die diesen Pakt unterzeichnet haben oder ihm beigetreten sind, von der Hinterlegung jeder Ratifikations-oder Beitrittsurkunde.

Artikel 49 1. Dieser Pakt tritt drei Monate nach Hinterlegung der fünfunddreißigsten Ratifikations-oder Beitrittsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen in Kraft. 2. Für jeden Staat, der diesen Pakt nach Hinterlegung der fünfunddreißigsten Ratifikationsoder Beitrittsurkunde ratifiziert oder ihm beitritt, tritt er drei Monate nach Hinterlegung der Ratifikations-oder Beitrittsurkunde durch diesen Staat in Kraft.

Artikel 50

Dieser Pakt erstreckt sich ohne Einschränkungen oder Ausnahmen auf alle Teile eines Bundes-staates. Artikel 51 1. Jeder Vertragsstaat dieses Paktes kann eine Änderung vorschlagen und ihren Wortlaut beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegen. Der Generalsekretär übermittelt sodann alle Änderungsvorschläge den Vertragsparteien dieses Paktes und fordert sie auf, ihm mitzuteilen, ob sie eine Konferenz der Vertragsstaaten zur Beratung und Abstimmung über die Vorschläge befürworten. Befürwortet wenigstens ein Drittel der Vertragsstaaten eine solche Konferenz, so beruft der Generalsekretär sie unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen ein. Jede Änderung, die von der Mehrheit der auf der Konferenz anwesenden und abstimmenden Vertragsstaaten angenommen worden ist, wird der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Genehmigung vorgelegt. 2. Die Änderungen treten in Kraft, sobald sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen genehmigt und von einer Zweidrittelmehrheit der Vertragsstaaten dieses Paktes nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Verfahren angenommen worden sind. 3. Treten die Änderungen in Kraft, so sind sie für diejenigen Vertragsstaaten, die sie angenommen haben, verbindlich, während für die anderen Vertragsstaaten noch die Bestimmungen dieses Paktes und die zu einem früheren Zeitpunkt von ihnen angenommenen Änderungen gelten.

Artikel 52

Unbeschadet der nach Artikel 48 Absatz 5 erfolgten Notifikationen unterrichtet der Generalsekretär der Vereinten Nationen alle in Absatz 1 jenes Artikels bezeichneten Staaten a) von den Unterzeichnungen, Ratifikationen und Beitritten nach Artikel 48; b) von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Paktes nach Artikel 49 und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens von Änderungen nach Artikel 51.

Artikel 53 1. Dieser Pakt, dessen chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, wird im Archiv der Vereinten Nationen hinterlegt. 2. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen übermittelt allen in Artikel 48 bezeichneten Staaten beglaubigte Abschriften dieses Paktes.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Karl Josef Partsch, Dr. iur., Professor für öffentliches Recht an der Universität in Bonn, von 1957 bis 1960 Lehrstuhlinhaber in Kiel, von 1960 bis 1966 in Mainz, geb. 24. Juni 1914 in Freiburg/Br. Veröffentlichungen u. a.: Die Entwicklung der Grundrechte in Deutschland, in: UN-Yearbook on Human Rights, 1952/53; Regierung und Parlamentarismus im modernen Staat, 1958; Parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Gutachten für den Deutschen Juristentag), 1964; Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, in: Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 6/1964; Rechte und Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Handbuch der Grundrechte, Bd. 1/1, 1966; Von der Würde des Staates, in: Recht und Staat, Heft 343/1967.