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Radikalität -Scheinradikalität -Spielraum Zur Sozialpsychologie und Sozialpathologie des Protests | APuZ 12/1969 | bpb.de

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APuZ 12/1969 Radikalität -Scheinradikalität -Spielraum Zur Sozialpsychologie und Sozialpathologie des Protests

Radikalität -Scheinradikalität -Spielraum Zur Sozialpsychologie und Sozialpathologie des Protests

Hermann Glaser

Sackgasse und Ausweg

Die Auseinandersetzung in der Bundesrepublik zwischen Establishment und Nicht-Establishment verliert sich immer mehr in einer Sackgasse, aus der lediglich die Konservativen un-lädiert herauskommen werden, denn ihr Rückwärtsgang funktioniert. Die Linksradikalen werden darin genauso Steckenbleiben wie die liberalen Reformer, die hin-und hergeschoben werden (hin und her schwanken) oder schon überfahren sind. Es wird Zeit, daß gerade diese „Liberalen" von dem Gefühl der scheinbaren Zwangsläufigkeit der Entwicklung sich befreien, um einen Ausweg aufzuzeigen, der immerhin noch zur Verfügung steht. Es ist notwendig, daß das Lager der Reformer zu einer Antwort sich formiert, ja auch organisiert, denn es hat das meiste zu verlieren: nämlich die Reform bzw. die Ansätze zur Reform. Die Radikalen haben ihre Ketten zu gewinnen; die konservativen und rechtsradikalen Kräfte werden, wenn die unheilvolle Entwicklung nicht durchbrochen wird, endgültig entfesselt werden; die Restauration wird mannbar, wenn infantilen Abreaktionen nicht gesteuert wird.

Das echt-radikale Denken, das über die Aufklärung des individuellen wie kollektiven Bewußtseins die dynamische Veränderung der Gesellschaft anstrebt, ist heute sowohl von konservativen wie von scheinradikalen Kräften umstellt. Der Haß der Scheinradikalen auf die Liberalen ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die Reformer den Pseudorevolutionären das Wasser abgraben; denn die Scheinradikalen wollen im Kern nicht eine dynamische, sie brauchen die statische Gesellschaft, da sie nur dann sich die Enklave der sozialpathologischen Abreaktion erhalten können. Müßten sie konkret am Wandlungsprozeß sich beteiligen, würde die revolutionäre Rhetorik aus zweiter Hand rasch ihre inhaltliche Leere erweisen. Wenn die Narren am Hof der Scheinrevolutionäre ihre Späße übertreiben, werden sie abserviert werden. Es ist anzunehmen, daß dieser Punkt bald erreicht ist; der Einsatz wirklicher Gewalt wäre eine der populärsten Maß-nahmen, die in der Bundesrepublik seit 1945 ergriffen wurden. Brecht läßt seinen Galilei sagen: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat"; es bedarf nicht der Märtyrer, denen man eines Tages Denkmäler setzen wird, weil sie im idealistischen oder pseudoidealistischen Alleingang scheiterten. Die Erfolglosigkeit des Protestes steigert die Frustration und damit die Frustrationsaggressivität; dies wiederum verschärft die Mittel des Protests und damit die Gegenaktion. Die berannten Wände werden härter, die anrennenden Köpfe blutiger; der revolutionäre Wahn führt zur Selbstzerstörung — oder aber zur Flucht ins Establishment. Der Konservatismus freut sich, wenn seine repressiven bzw. faschistoiden Züge „herausgelockt" werden und er sich dabei der Akklamation der Massen sicher sein kann.

Wer für die Revolutionierung des Bewußtseins und die dialektische Entwicklung der Gesellschaft eintritt, wer die Ziele der Zukunft im Auge hat und weiß, daß reale Utopie bereits in der Gegenwart konkret angegangen werden muß, wird ein Interesse daran haben, daß die scheinradikalen Entartungen kupiert werden. Dies ist möglich, wenn man durch rasche und umfassende Reformen die Basis schafft, von der aus die weitere dynamische Entwicklung eingeleitet werden kann. Zudem sind psychotherapeutische Maßnahmen einzuleiten, die sowohl individuelle wie gruppenbezogene Hilfe geben können, damit die Regression (in den revolutionären Infantilismus) überwunden werden kann und eine realistische Sicht der Gesellschaft und der Möglichkeiten der Veränderung um sich greift. Die Antwort, die wir hier versuchen, geht aus von einer Sozialpsychologie des Protests. Die damit verknüpfte Reflexion über die Strukturen des Establishments und über die Reaktion auf die wirkliche oder fiktive Repression sollte dazu beitragen, den Lernprozeß auf beiden Seiten zu ermöglichen, so daß eine gesellschaftspolitische Konzeption gefunden werden kann, die die Radikalität des Denkens zu verbinden weiß mit den Spielre3 geln einer evolutionären Entwicklung (wodurch der Gesellschaft die vollständige Erstarrung erspart werden kann). Die liberale Antwort versucht, das Risiko der Anarchie im ursprünglichen Wortsinn (als das Fehlen von Herrschaft und Repression) mit den gesellschaftlichen Zwängen und Notwendigkeiten dadurch zu verbinden, daß sie eine gesellschaftliche Spielraumtheorie Schritt um Schritt in die Wirklichkeit umzusetzen beabsichtigt. Dieser Weg als Alternative zum Protest ist via Massenaufklärung und Radikalisierung des Bewußtseins erreichbar, als langer Marsch durch die Institutionen und Dispositionen sowohl der Konservativen wie Scheinradikalen. Die liberale Antwort will das realisieren, was Hermann Giesicke „Didaktik des Protests" nennt: schon äußerlich (räumlich, zeitlich) Möglichkeiten bieten, sich von hochtouriger Aktivität zu distanzieren; 2. psychologisch Distanz ermöglichen; 3. die Kette der bisherigen Aktionen kategorial in Frage stellen; 4. aufgrund dieser Reflexionen kommende Aktionen neu programmieren.

Die liberale Antwort hat Chancen auf Verwirklichung, wenn sie als Vorgriff der Vernunft in die Zukunft begriffen und akzeptiert wird. Die Gratifikation für einen Konsensus beider Seiten (der Etablierten und Nicht-Etablierten) bestünde darin, daß sowohl die Frustration des Scheiterns wie die Hybris des Siegens vermieden würden, und an ihre Stelle eine Gesellschaft träte, die die Fähigkeit der Distanzierung auch dadurch beweist, daß sie nicht einer Seite recht gibt, sondern Dialektik als Selbstverwirklichung begreift und durchlebt.

Die liberale Antwort ist eine reale Utopie, die von der Vernunft bestimmt wird. Diese Vernunft muß sich in der Auseinandersetzung mit der konservativen und scheinradikalen Ausweglosigkeit entwickeln und konkretisieren. Sie gibt der Protestbewegung ihren Realismus zurück, der allein Veränderungen bewirken kann. Man muß der Welt etwas nachgeben, um auf sie wirken zu können, meinte Bakunin. „Wenn die Protestbewegung ihr radikales Ziel einer Entbürokratisierung der Herrschaft, die mit den funktionellen Bedürfnissen eines entwickelten Industriesystems vereinbar ist, nicht nur zum Zweck verbaler Selbstbefriedigung verfolgen will, muß sie ihre Taktik an der Wirklichkeit orientieren. Sie muß realistisch sein; — realistisch in Hinblick auf die informellen und die rechtlichen Positionen, auf die sich die demokratische Opposition heute noch stützen und die sie verlieren kann. Ein abstrakter Kampf gegen die Institutionen der Verfassung wäre sowohl unbegründet als auch selbstmörderisch; — realistisch in Hinblick auf die punktuellen Fortschritte, die inmitten der massiv restaura-tiven Entwicklung der letzten zwanzig Jahre auch möglich gewesen sind. Diese isolierten Verbesserungen können als Bastionen genützt werden; sie sollten nicht einem undifferenzierten Urteil und pauschaler Ablehnung verfallen; — realistisch in Hinblick auf die Grenzen des Aktionsspielraums. Ohne Unterstützung durch Gruppen mit privilegierten Einflußchancen ist der Zugang zur breiten Öffentlichkeit, der von den Massenmedien kontrolliert wird, nicht zu gewinnen. Ohne Unterstützung des Gewerkschaftsapparats kann das Mittel des politischen Streiks, das die Verfassung gegen einen Notstand von oben allein garantiert, nicht angewendet werden; — realistisch letztlich in Hinblick auf die theoretischen Voraussetzungen der Praxis. Generalisierungen, auch auf relativ hoher Stufe der Verallgemeinerung, sind nötig. Aber bei schwachen empirischen Anhaltspunkten sollte über deren Status kein Zweifel sein. Niemand darf sich präsumtiv mit einem in Zukunft hervorzubringenden Bewußtsein aufgeklärter Massen identifizieren, um heute schon stellvertretend für sie zu agieren." 1)

Political Lag

Georg Picht spricht davon, daß die Menschheit aufgrund der wissenschaftlich-zivilisatorischen Entwicklung in die Zwangslage versetzt wird, in einem qualitativen Sprung ihres Bewußtseins die Verantwortung für ihre zukünftige Geschichte zu übernehmen; auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Geschichte zu dem Versuch gezwungen sei, die eigene Zukunft zu produzieren. Diese Zukunft, die in der Gegenwart längst begonnen hat, bietet angesichts des Wissenschaftsstandes und in Hinblick auf die technischen Realisierungsmöglichkeiten sowie die umfassenden Informationsund Kommunikationssysteme das „Angebot" der Chancengleichheit und gerechter Güterverteilung, also die Möglichkeit, eine demokratische Wohlstandsgesellschaft zu verwirklichen, die repressionsfrei und damit wirklich frei ist, sozialistisch im umfassenden Wortsinn genannt werden könnte. Die Wirklichkeit zeigt kaum Fortschritt in dieser Richtung, sondern in zunehmendem Maße Regression.

Die Forderungen der Vernunft, den Bestand des Menschengeschlechtes in Frieden zu sichern, die Menschen ausreichend zu ernähren und ihre soziale Sicherheit zu garantieren, das menschliche Leben zu erhalten und zu fördern, personale Beziehungen zu schaffen und auszubauen, mit anderen Worten: ein „Behagen in der Kultur" zu schaffen, drohen zu scheitern. Die Machtstrukturen verhärten sich-, die Güterverteilung wird den sozialen Notwendigkeiten keineswegs gerecht. Schon sind zwei Drittel der Menschheit unterernährt. In jeweils zwei Jahren fordert der Hunger so viele Tote wie der gesamte Zweite Weltkrieg. Die Bevölkerungsexplosion impliziert den Kampf aller gegen alle. Die Konzentration des Reichtums und die sich verbreitende Armut (vor allem in der Dritten Welt) bewirkt eine ständige Steigerung des Aggressionspotentials. Das Weltdefizit an Bildung nimmt, gemessen an den Möglichkeiten der Entwicklung, ständig zu. Die Manipulation mißbraucht die wissenschaftlichen Erkenntnisse. „Die Hoffnung, daß sich politische und ökonomische Vernunft in den hochentwickelten Staaten durchsetzt, ist gering. Ihre politische Mentalität ist in West und Ost durch ein rapides Ansteigen irrationaler Tendenzen charakterisiert, die sich nur noch in den Kategorien der Psychopathologie beschreiben lassen. Ob man verhungert, weil man heilige Kühe füttert, ob man seinen Wasserbedarf nicht decken kann, weil man den Ehrgeiz hat, auf den Mond zu fahren, macht nur einen geringen Unterschied. Es ist Wahnsinn, Hunderte von Milliarden in den Aufbau nuklearer Verteidigungssysteme zu investieren, wenn man weiß, daß die Anwendung dieser Waffen Angreifer wie Angegriffene vernichten würde und daß sich mit denselben Mitteln alle rational vertretbaren Motive bewaffneter Konflikte aus der Welt schaffen ließen. Es ist eine Beleidigung der Vernunft, ein Subventionssystem aufrechtzuerhalten, das uns veranlaßt, auf der einen Seite des Mittelmeers in , Butterbergen'zu ersticken, während auf der anderen Seite des Mittelmeeres die Hungerkatastrophe ihren Gang nimmt. Ob man im Ostblock Fortschritt predigt und die Freiheit unterdrückt, oder ob man im Westen technische Luftschlösser baut, aber für Universitäten und Schulen kein Geld hat — überall zeigt sich die gleiche Unfähigkeit, den politischen und gesellschaftlichen Problemen der technischen Welt mit Vernunft zu begegnen."

Solche Erkenntnis ist dem kritischen Bewußtsein jederzeit möglich. Zwischen Erkenntnis und Verwirklichung der Erkenntnis ergibt sich ein political lag, das, wenn es nicht aufgeholt wird, die Menschheit in die tiefste Gefährdung und schließliche Vernichtung treiben kann. Sicher haben wir heute — gemessen an der Vergangenheit — die beste Demokratie, die es je gab, zugleich aber evtl, auch — gemessen an den Möglichkeiten der demokratischen und sozialen Verwirklichung — die schlechteste.

Die Reaktion auf dieses political lag ist vor allem in Kreisen der Jugend entstanden: eine in vielem unartikulierte, gewissermaßen psychosomatische Unruhe, ein Leiden an dieser Entwicklung, das sich in Protest manifestiert. Mit seiner großen Sensibilität für die unnötige Diskrepanz zwischen Erkenntnis und Realität, fortgeschrittenem Bewußtsein und zurückgebliebener Realität ist der jugendliche Protest ein unüberhörbares Signal für die aufgegebenen, aber nicht erfüllten Aufgaben. Je mehr die Zeit drängt, um so deutlicher werden die Signale. Wer diese Zeichen der Zeit nicht begreift und es versäumt, aus den Erfahrungen und Gegebenheiten der Gegenwart progressive Modelle für die Zukunft zu entwickeln und ihre Verwirklichung einzuleiten, kann die sozialpsychische Unruhe der Jugend nicht überwinden.

Der jugendliche Protest ist häufig deshalb so wenig reflektiert und artikuliert, weil er außerhalb des gesellschaftlichen Prozesses steht, also ihm die Rückkoppelung zur Wirklichkeit fehlt. Das zeigt ein anderes political lag, das es zu überwinden gilt.

Seit Beginn dieses Jahrhunderts ist die Ara des Kindes und der Jugend verkündet worden; die Jugend hat immer größere Bedeutung im Bewußtsein der Gesellschaft gewonnen, der Schonraum der Erziehung ist ständig ausgeweitet worden. Die Kriterien für die jugendliche Unmündigkeit: z. B. lernen zu müssen, nicht über die Produktionsmittel zu verfügen, keine Macht im Sinne von Autorität (Beruf) zu haben, keine Familie gründen zu können (dürfen), bewirkten, daß angesichts der Notwendigkeit der steten Verlängerung des Lernprozesses die „Jugend" immer mehr (biologisch gesehen) ins Erwachsenenalter hineingeschoben wurde. Das extremste Beispiel hierfür stellen die Studenten dar, die heute erst in einem Alter in die Gesellschaft „entlassen" werden und dort ihre Funktion übernehmen dürfen, bei dem früher das eigentliche berufliche und gesellschaftliche Leben seinen Höhepunkt schon überschritten hatte oder biologisch schon beendet war.

Diese Retardierung der gesellschaftlichen Integration bei gleichzeitiger anthropologischer Akzeleration bewirkt einen Emanzipationsrückstand, der von der Jugend als Teil der in vielen Bereichen fehlenden Emanzipation (z. B.der Frau, der Arbeiterschaft) empfunden wird. So korrespondiert eine immer besser werdende Erziehung mit einer zunehmenden Infantilisierung der Jugend, da diese nicht gesellschaftlich integriert werden konnte. Die Integration wäre an sich nicht so schwierig, da die ursprünglichen Statussymbole des Erwachsenseins in unserer Zeit nicht mehr zutreffen. Lernen zu müssen ist z. B. heute eine „Grundbefindlichkeit" des Zoon politikon (ob alt oder jung). Die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Möglichkeiten der Jugend und der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist jedoch groß; das political lag läßt die jugendliche Reaktion immer aggressiver werden. Die Paradoxie des gesellschaftlichen Zustandes, wonach junge Menschen zwar schwerwiegende Pflichten zugewiesen bekommen (wie etwa Militärdienst), aber nicht als mündig betrachtet werden und von aktiver Teilhabe weitgehend ausgeschlossen sind, macht die Misere deutlich; Jugend, der die Unmündigkeit als goldener oder eiserner Käfig übergestülpt wird, gerät in eine neurotische Situation, aus der sie sich durch Flucht in unreflektierte Aktionen zu retten versucht.

Die nicht vollzogene Emanzipation bzw. die fehlende Integration von Jugend und Gesellschaft ist letztlich auch verantwortlich für das verworrene Verhältnis der Jugend zur Macht bzw. zu den Realitäten von Macht und Herrschaft. Das Erlebnis des Machtmißbrauchs und der Machtkonzentration sowie der damit verknüpften Repression, die „Unterschlagung" der Notwendigkeit, Konflikte auszutragen, führte zu einem Umschlag in eine romantische Sehnsucht nach einer repressionsfreien Gesellschaft, nach einer Gesellschaft, in der Macht nicht mehr existiert. Der jugendliche Protest verliert sich dabei in Phantasmagorien, Vorgaukelungen paradiesischer Gesellschaftszustände: politischen Tahitis, in denen blumen-bekränzte Harmonie und androgyne Existenz möglich sind.

Abgesehen davon, daß solche Gesellschaftsvorstellungen dem eigentlichen dialektischen Elan, den man auf der anderen Seite propagiert und zu realisieren versucht, diametral widersprechen, werden damit die menschlichen Möglichkeiten verkannt und wichtige Energien auf irreale Utopien projiziert. Es wäre besser, wenn man, von der Einsicht ausgehend, daß Macht und Herrschaft unvermeidbar sind, die Energie auf die reale Utopie der Bewältigung permanenter Konflikte wenden würde: Versuch, die theoretische Einsicht von der Notwendigkeit gesellschaftlicher Dialektik in den einzelnen Einrichtungen wie in der Gesellschaft insgesamt zu verwirklichen. In diesem Sinne ist die Demokratie immer wieder neu zu erfinden und neu zu lernen: ein zu sublimierender Kampf um die immer wieder verlorene Mitbestimmung und Mitwirkung.

Da das Schulund Bildungssystem nur wenig Möglichkeiten für die Einübung des demokratischen Prozesses (und damit auch von Machtausübung und Machtkontrolle) bietet, entwickelte sich eine aus dem Mangel an Erkenntnis und Einsicht erwachsende Aversion gegen parlamentarische Diskussion, das Aushandeln von Kompromissen und temporären Ausgleichen, was als Reibungsverlust für das Funktionieren der Macht von unten nach oben empfunden und als „repressive Toleranz", als stabilisierender Faktor für monopoliB stische und staatskapitalistische Interessen interpretiert bzw. ideologisiert wird.

Mit der Bildung der Großen Koalition schien dann endgültig die Demokratie ihre dialektische Funktion verloren zu haben; die der Politik unterlegte Wechselbeziehung von These und Antithese, Reflexion und Aktivität sei einem die wirklichen Gegensätze und Konflikte überdeckenden, lediglich auf Profit ausgerichteten Handeln geopfert worden. Daß solches „Profitdenken" als Bemühung, die Rezession zu überwinden und die Konjunktur neu zu beleben, gesellschaftlich sehr segensreich sein kann, wird vom jugendlichen weltfremden moralischen Rigorismus nicht einkalkuliert.

Bei der Interpretation der bestehenden Herrschaftsorganisation wird dogmatisch das spät-kapitalistische Gesellschaftsmodell der gegenwärtigen Staats-und Gesellschaftsform über-gestülpt. So unbezweifelbar es ist, daß starke kapitalistische Züge diese Gesellschaft und diesen Staat bestimmen, so wenig differenziert ist eine Behauptung, die diese Züge verabsolutiert und auf die gesamten Strukturen manipulatorisch überträgt. Die Prämissen einer derartigen Gesellschaftskritik sind ideologieverdächtig. Die Gläubigkeit an die These, daß wir uns in einer spätkapitalistischen Situation befinden, macht blind für den sozial-liberal-demokratischen Fortschritt. Die Einseitigkeit, mit der man diese Gesellschaft als faschistisch denunziert, läßt selbst den Verdacht auf faschistoides Denken zu. Der Versuch, die bestehende Macht dadurch anzugehen, daß man ihr mit der „großen Verweigerung" entgegen-tritt, ist sozusagen nur das romantische Pendant zu dem bürokratisch-autoritären Festhalten an den überkommenen Strukturen.

Wohlstands-und Plakatwelt

Zum sozialpsychologischen Hintergrund des jugendlichen Unbehagens und des jugendlichen Protests gehören die Wohlstandsverhältnisse, da diese unter dem sowohl individuell wie kollektiv akzeptierten Motto „Esist-erreicht" die Erstarrung, die Saturiertheit und die Selbstzufriedenheit fördern. Die notwendige Zweidimensionalität, die Konfrontation von Gesellschaft und Geist, Statik und Dynamik, Establishment und Opposition, wird aufgegeben zugunsten einer im Konsumtionsprozeß sich nivellierenden Einheit, aus der nur noch sporadisch dynamisierende Impulse ausbrechen.

Eine solche Feststellung hat nichts mit einem anti-technischen Affekt bzw. mit faschistoid oder elitär unterlegtem Kulturpessimismus zu tun. Es wäre absurd, wie manche Romantiker der extremen Linken und Rechten zu behaupten, daß Erstarrung und Eindimen-sionalität die notwendige Folge einer Wohlstandsgesellschaft seien. Da die Wohlstandsgesellschaft jedoch strukturell eine besondere Anfälligkeit in dieser Richtung hat, müßten entsprechende Gegenkräfte entwickelt und gefördert werden, die den notwendigen Ausgleich bzw. die fehlende Dynamisierung bewirken. Vorrangig ist dabei die Bereitschaft zum Experiment, oder besser: seine Integration in die Gesellschaft. Das Experiment muß konstitutiver Teil des Denkens und Handelns sein. Die Vorstellung, daß „Keine Experi-mente!" letztlich Ruhe und Sicherheit garantieren, weil der hohe Stand des Erreichten am besten erhalten werden könne, wenn man nicht an den Verhältnissen rühre, beruht auf einem völligen Mißverständnis der sozio-kulturellen Situation der Gegenwart. Weil das Experiment ein ständiges Vorausgreifen der Vernunft in die Zukunft darstellt, gewissermaßen ein Stück Zukunft voraus aufklärt und überschaubar macht, ist es im besonderen in der Lage, den Immobilismus der Wohlstandsgesellschaft zu überwinden. Es entlastet den Menschen von dem Druck und der Angst, die durch das Gefühl erzeugt werden, heute nicht zu wissen, was das Morgen bringen wird.

Mit der experimentellen Haltung muß eng verknüpft sein die antizipatorische Kritik, die futurologische Vernunft, die Bereitschaft zur realen Utopie, das „Prinzip Hoffnung". Nur dadurch können konkrete Modelle für die Zukunft ausgearbeitet und zur Diskussion gestellt werden.

Die Kritik der theoretischen Vernunft an den bestehenden Verhältnissen, die außerordentlich wichtig ist, da Negation der eine Verankerungspunkt des dialektischen Prozesses ist, muß — damit Kritik nicht zur Lamentation wird — umschlagen in praktische Planung, wobei der dogmatische Anspruch zukunftsorientierter Planung vermieden werden kann, wenn die jeweils entwickelten Mo7 delle vor ihrer Verwirklichung, auch vor ihrer experimentellen Verwirklichung, „veröffentlicht", d. h. zur Diskussion gestellt werden. Im besonderen ist es die Aufgabe der Intelligenz (der Intellektuellen), in dem beschriebenen Sinne Planungsmuster vorzulegen. Wenn eine Gesellschaft die Intelligenz in den Elfenbeinturm abdrängt, auch wenn dieser noch so komfortabel eingerichtet ist, wird die gesamtgesellschaftliche Frustration steigen; mit der Abkapselung der Intelligenz geht die Zweidimensionalität verloren: sowohl die anarchistischen, durch das Prinzip der Negation die dialektische Fortentwicklung einleitenden, wie die durch das „Prinzip Utopie" die Dialektik zielgerichtet vorantreibenden Kräfte werden zu Untätigkeit und Erfolglosigkeit verurteilt. Die Entfremdung zwischen Intelligenz und Gesellschaft ist in Deutschland historisch und notorisch; die Verketzerung der Intelligenz schlägt auf seifen der Intelligenz in einen irrationalen Anti-Effekt um, der die Kluft nur noch größer macht.

Die Wohlstandgesellschaft kann einerseits den Unterbau für die Entfaltung des Geistes abgeben, da sie durch die Beseitigung der Not humanitäre Verhältnisse schafft. Auf der anderen Seite ist sie in Gefahr, immer mehr in den Sog des angewandten Materialismus zu geraten: sinnlose Anhäufung von Reichtum auf dem Schrotthaufen der Zivilisation, auf dem Entfremdung und Entleerung schillernde, aber nichtige Blüten treiben.

Je mehr die Wohlstandsgesellschaft es versäumt, die ästhetische Erziehung des Menschen zu fördern, um so mehr wird sie auf dem Weg des Konsumfetischismus die Perversion der Gesellschaft vorantreiben. Der Ausdruck „ästhetisch" darf nicht mißverstanden werden; er ist durch die spätbürgerliche Ideologie mißbraucht worden: Das Ästhetische mußte weitgehend dazu dienen, die Sehnsüchte des Menschen in einen irrealen, metaphysischen Bereich zu transponieren, um damit von der Notwendigkeit der Veränderung der Wirklichkeit abzulenken. Ästhetische Erziehung, wie wir sie unter Rückgriff auf Schillers bahnbrechende Untersuchung „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen" meinen, muß darauf angelegt sein, Spielräume für Kreativität, Mitwirkung, Mitgestaltung, Verantwortlichkeit zu schaffen. Wichtig wird dabei sein, daß das, was bislang am Rande des Erziehungssystems fungierte, in den Mittelpunkt gerückt wird, freilich in völlig veränderter Form.

Junge Menschen sollten nicht auf Imitation gedrillt, sondern in die Lage versetzt werden, ihre schöpferische Potenz jenseits maximalisierter Anforderungen zu verwirklichen. Astetische Erziehung in solchem Sinne umfaßt, um einige Beispiele zu geben, sowohl die Kunst des Gesprächs als auch die Begegnung mit der Natur (in einem unromantischen, unsentimentalen Sinne), sowohl die Begegnung und Beschäftigung mit dem Gegenständlichen als auch die Praxis demokratischer Verhaltensweisen. Die ästhetische Erziehung ist der große Gegenpol zu der bislang dominierenden Konsum-ideologie, ohne deshalb dem Irrweg asketischer Ideologie zu verfallen. Im ästhetischen Staat ist nach Schiller Gesellschaft wirklich, weil sich hier der Wille des Ganzen durch die Natur des Individuums vollzieht. Dieses Ganze muß, auf der Grundlage der gerechten Verteilung der Güter, so strukturiert sein, daß sich die Natur des Individuums: seine Humanität voll entwickeln kann.

Die ästhetische Erziehung wird erschwert durch die Faszination der Plakatwelt, welche die mit der ästhetischen Erziehung verbundene Tiefe der Betrachtung und Besinnung zugunsten des Oberflächenreizes aufhebt. Die Reklamewelt arbeitet mit Goldgrundfolien, die es ermöglichen, die Tiefendimension zu verleugnen. Die Platitüde ist photogen, der Konsument wird in der Spiegelung zum Narziß. Er kann sich nicht selbst sehen, sondern nur sein Glamour-Bild. Er mag Mensch sein, aber im Spiegel der Werbung wird er Teil des konturlosen Kollektivs der All-plastic-people. Indem die Werbung sensualistische Illusionen fixiert und befriedigt, wobei angesichts des raschen Sättigungsgrades stellvertretender Befriedigung durch immer neue Objektangebote die Sinne weiter gereizt werden müssen, bewirkt sie eine zunehmende Regression: den Rückzug der Libido auf die narzißtische Besetzung des eigenen Körpers, eine Selbstverlorenheit, die lediglich noch in Form des Warenfetischismus aus sich heraustritt.

So wie die Kommunikation mit den anderen erloschen ist, da die Buntdrucke nicht den anderen, sondern den Wahn vom eigenen Ich widerspiegeln bzw. injizieren, ist auch der Bezug zum Gegenständlichen, die Freude am Gegenständlichen, erloschen. Es bleiben Fixierungen an zerstückelte Objekte, eben fetischistische Bindungen, mag es sich nun um ein physiologisches oder technisches Objekt handeln. Der Tod der Personalität, den die Reklamespiegelwelt in schmackhaften Dosen herB vorruft, ist ein Tod „trunken von eigener Schönheit". Wird die Individualität hinausgespiegelt bzw. durch Buntdruckidole substituiert, so wird umgekehrt das Ich zum Spiegel der sich selbst befriedigenden Reklame, deren Narzißmus letztlich jenseits der ökonomischen Intention liegt. Spiegel, die sich selbst spiegeln, blicken nur in die Tiefe der Leere. Wenn die Brennpunkte und damit die Leere wieder mit Selbstbestimmung, Witz, Eigenart, mit Gedanke, Phantasie und kreative Sensibilität besetzt würden, träte die Reklamewelt in eine neue Phase ihrer Entwicklung. Aus dem Narzißmus der verschleierten Differenz (der Differenz nämlich zwischen Ich und Spiegelbild, Mensch und Konsumwelt) entstünde der Dialog offener Kontraste: die Offenlegung der Unterschiedlichkeit von Idee und Wirklichkeit, Idyll und Leben.

Es wäre durchaus möglich, daß die Werbung sich jenen Tagträumen integrierte, die Ernst Bloch mit den Worten beschreibt: „Möchten die Tagträume noch voller werden, denn das bedeutet, daß sie sich genau um den nüchternen Blick bereichern; nicht im Sinn der Verstockung, sondern des Hellwerdens, nicht im Sinn des bloß betrachtenden Verstandes, der die Dinge nimmt, wie sie gerade sind und stehen, sondern des beteiligten, der sie nimmt, wie sie gehen, also auch besser gehen können. Mögen die Tagträume also wirklich voller werden, das ist heller, unbeliebiger, bekannter, begriffener und mit dem Lauf der Dinge vermittelter. Damit der Weizen, der reifen will, befördert und abgeholt werden kann."

Was das triebdynamische Problem der Wohlstandsgesellschaft betrifft, so bewirkt die Technik, vor allem der Zweiten industriellen Revolution, eine zunehmende physische Entlastung, bei gleichzeitig steigender psychischer Belastung. Die Massenpublikationsmittel, die diese starke, vor allem sexuelle Sensibilisierung auffangen, tragen ihrerseits zur Steigerung des Triebpotentials und zur sensualistischen Aufputschung bei. Demgegenüber werden die durch Prüderie und Tabus bzw. repressive Reglementierungen geprägten, vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert übernommenen Moralvorstellungen, die meist Sitte, aber nicht Sittlichkeit sind, weiterhin durch das offizielle Bewußtsein, etwa durch Institutionen wie Staat (z. B. Sexualstrafrecht) und Kirche (z. B. Frage der Antikonzeption), aufrechterhalten.

Die scheinbare Sexualisierung unserer Umwelt darf nicht über den Tatbestand der weit-verbreiteten Tabuisierung hinwegtäuschen. Das gigantische Striptease unserer Plakat-und Konsumwelt ist Ausdruck eines Enterotisie-rungsprozesses. Das hygienische Idol ist rigoroser als das asketische, die Sexsucht ist Ergebnis der Sexangst.

Die seelische Isolierung und die Übertragung der aus der Technik übernommenen Perfektions-und Funktionalismus-Vorstellungen auf den sexuellen Bereich bewirken eine Spaltung der Persönlichkeit, die über die eigene Triebexistenz und Ganzheit weitgehend im Unklaren bleibt. Unsere Gesellschaft orientiert sich einerseits an gutgemeinten, aber häufig verschwommenen Moralbegriffen, etwa dem Guten, Schönen und Wahren; sie bekennt sich zu einem Sublimierungsideal, macht aber keine ernsthaften Bemühungen, dieses Sublimierungsideal (etwa auf dem Weg über eine neue ästhetische Erziehung des Menschen, welche die kreativen Kräfte fördern und binden würde) in die Wirklichkeit umzusetzen; statt dessen dominiert im Bildungsprozeß die rezipierende Passivität und der Konformismus. Andererseits muß man für den Triebstau in zunehmendem Maße Ventilierungsmöglichkeiten im privaten Bereich offenhalten, damit die Gesellschaft überhaupt einigermaßen im psychophysischen Gleichgewicht gehalten werden kann.

Pornographie, Prostitution, Libertinage (nach dem Motto: „Ehebruch kein Beinbruch!") werden sozusagen unter der Hand, auch wenn sie im Gegensatz zu den allgemeinen Moral-vorstellungen bzw. zur Gesetzestheorie stehen, zugelassen — aus dem durchaus berechtigten instinktiven Gefühl heraus, daß man bei stärkerer Unterdrückung, bei Verschluß dieser Ventilierungen, letztlich eine Explosion bewirken würde, die auch den eigenen Standort hinwegfegen würde. So muß die Pornographie (im weitesten Sinne des Wortes verstanden!) in einer Gesellschaft, die den Weg zu einer libidinösen Moral noch nicht gefunden hat, weitgehend freigegeben werden. Doch besteht immer die Gefahr, daß die private Abreaktion kollektiv zusammengebunden und politischer Hysterie nutzbar gemacht wird. Die Projektion von Haß und Aggressivität auf Sündenböcke, der Ausbruch in Pogrom und Krieg sind dabei besonders zu fürchten.

Das Versäumnis einer jeweils altersgerechten Sexualerziehung, die sich nicht auf die Vermittlung technischer Details beschränkt, sondern in umfassender Weise eine libidinöse Moral (eine sinnliche Sittlichkeit und sittliche Sinnlichkeit, nicht als dialektisches Umschlags-verhältnis, sondern als Möglichkeit der Harmonie) anstrebt, hat in unserer Wohlstandsgesellschaft immer mehr das „Unbehagen in der Kultur" verstärkt, statt ein „Behagen in der Kultur" zu schaffen; aus dem „Unbehagen" entwickelt sich die Aggressivität; im Unbehagen verstärken sich Destruktionsund Todestrieb; mit der Atombombe ist die totale Selbstvernichtung jederzeit möglich.

Apparat, Teilhabe, Systemzwang

Die Tatsache, daß unser Staats-und Gesellschaftssystem so kompliziert ist, daß es für die meisten nicht mehr durchschaut werden kann, Bürokratisierung und Formalisierung die Möglichkeiten direkten Eingreifens und echter Teilhabe für den „einfachen Staatsbürger" auf ein Minimum reduziert haben, ist ein weiterer wichtiger Grund für das vor allem in der Jugend zutage tretende Unbehagen. Schon Franz Kafka hat in seinem Roman „Der Prozeß", dessen metaphysische Dimension hier unberücksichtigt bleiben soll, aufgezeigt, in welche Frustration und Angst das Individuum versetzt wird, das gegen die undurchdringbaren, unangreifbaren Wände der Bürokratie anrennt, das sich den undurchschaubaren Entscheidungen der Instanzen hoffnungslos passiv unterworfen fühlt, das innerhalb der Apparaturen, Systeme, Maschinerien verständnislos umherirrt.

Die Krisenerscheinungen der demokratischen Staats-und Gesellschaftsordnung dürften zu einem großen Teil darauf zurückzuführen sein, daß es bislang nicht in genügendem Maße gelungen ist, dem einzelnen Bürger die Möglichkeit aktiver Mitwirkung und Mitbestimmung in den einzelnen Bereichen von Staat und Gesellschaft zu erschließen. Eine solche Mitwirkung und Mitbestimmung darf sich nicht nur auf die Ausübung des Wahlrechtes beschränken. Dabei sollte man weder die Schwierigkeiten unterschätzen, die in einer hochentwickelten Industriegesellschaft der Teilhabe entgegenstehen, noch sich in eine appellative Moral flüchten, die den Staatsbürger zu Engagement und Aktivität auffordert, ohne die entsprechenden Möglichkeiten für dieses Engagement konkret zu bieten.

Vor allem die politische Bildung geht von einem idealistischen Denkansatz aus: Sie will dem jungen Menschen in der Schule Vorstellungen anerziehen, wonach der Staat Sache des Bürgers sei, daß es auf ihn ankomme, daß das Zoon politikon der entscheidende Faktor der Demokratie sei etc. Diese Diskrepanz zwischen dem Gelehrten und Erlebbaren, zwischen der appellativen Moral der politischen Bildung und der realen gesellschaftlichen Praxis muß zur sowohl individuellen wie kollektiven Verwirrung führen, Neurosen und Psychosen fördern, deren politische und gesellschaftliche Relevanz noch viel zu wenig erkannt ist. Die Krisis des demokratischen Systems besteht dabei nicht darin, daß weite Teile der Öffentlichkeit sich passiv verhalten. Doch muß die aktive Öffentlichkeit, die viel kleiner ist als die Gesamtheit der Bürger, durch eine dynamische Politik in ihren Initiativen gefördert werden.

Die demokratischen Institutionen stehen, so sehr sie sich bei der Zügelung und Regelung massiv organisierter Interessen bewährt haben, der Erzeugung von Initiative entgegen. Es’ ist zu prüfen, auf welche Weise der Prozeß eines sich abkapselnden politisch-relevanten Machtvollzugs und Machtausgleichs, der sich im Augenblick vorwiegend zwischen den privaten Verwaltungen, den Verbänden, den Parteien und der öffentlichen Verwaltung abspielt, zugunsten des „Publikums" aufgebrochen werden kann, damit dieses Publikum in den Kreislauf der Macht nicht nur sporadisch und vor allem zu Zwecken der Akklamation einbezogen wird, sondern selbst Aktivität und Initiative entwickeln kann. Voraussetzung zu solcher Teilhabe ist dabei, daß die Rationalität genügend entwickelt ist und die staatlichen und gesellschaftlichen Vorgänge so transparent gemacht werden, daß die Schwierigkeiten, die der Partizipation entgegenstehen, überwunden werden können. Innerhalb der System-zwänge wären Aktionsräume zu schaffen, in denen sich Individualität, Initiative und Entscheidungswille erfolgreich artikulieren können. Bei aller Notwendigkeit, in einer modernen Industriegesellschaft planen und koordinieren zu müssen, was zentripetale Konsequenzen hat, muß gleichzeitig diese Gesellschaft in möglichst viele kleine Einzelheiten aufgefächert, also zentrifugal angelegt werden, da in diesen Einheiten (Monaden vergleichbar) die Entfaltung des Individuums im Sinne verantwortlicher Mitgestaltung sich vollziehen kann. Denken wir in diesem Zusammenhang z. B. an die Organisation der Erziehung in den Vereinigten Staaten, wo Schulen weitgehend in die Verantwortlichkeit der Distriktsbürgerschaft gegeben sind und so diese Bürgerschaft für ihr staatsbürgerliches Engagement, ihre staatsbürgerliche Verantwortung konkrete Möglichkeiten besitzt. Auch Überlegungen, in stärkerem Maße den jeweiligen Institutionen und Einrichtungen Räte (Beiräte) zur Kontrolle beizugeben, sind notwendig, wobei man sich freilich von anachronistischen und romantischen Revolutionsvorstellungen lösen sollte.

Der Partizipation stehen natürlich autoritäre Verhaltensweisen entschieden entgegen. Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, im besonderen des Dritten Reiches, zeigt, daß die Befehlsgläubigkeit, das Ja-Sagertum, die Verketzerung einer eigenen und widersprüchlichen Meinung geradezu institutionalisiert wurde, während das Schulsystem, das doch zum Widerstand gegen Anpassung und damit (um mit dem Titel einer viel diskutierten Abiturrede zu sprechen) zum rechtverstandenen Ungehorsam erziehen sollte, in diesem Sinne nicht funktionierte. Die eigentliche Demokratisierung der Schule hat nicht stattgefunden, was kein Vorwurf gegen die Lehrerschaft, aber eine Kritik der Organisationsformen darstellt.

Es geht nicht darum, demokratische Moral in der Schule zu predigen, sondern an der Schule diese demokratischen Prinzipien im Tun lernen zu können. Was das im einzelnen bedeutet, etwa im Sinne vertikaler und horizontaler Mobilität, der Arbeitsteilung und kooperativer Teamarbeit, der Diskussion der Bildungsstoffe und ihrer aktuellen Erweiterung, kann hier im Detail nicht ausgeführt werden. Es liegen jedoch genügend Denkmodelle für eine demokratische Gestaltung vor, die weitgehend deshalb unausgeführt bleiben, weil repressive Führungsinstanzen ihre gewissermaßen charismatische, z. B. aus der Tradition abgeleitete Autorität nicht durch eine neuartige Kompetenz, über die sie unter Umständen nicht verfügen, gefährden lassen wollen.

Schließlich hat das Schulsystem auch aus einem ganz einfachen „quantitativen" Grunde die Voraussetzungen für eine echte Teilhabe des Bürgers am gesellschaftlichen und politischen Prozeß nicht bewirken können: Rund 80 0/0 aller jungen Menschen verlassen die Schule mit der 8. oder 9. Klasse der Volksschule — in einem Augenblick, da sie, ihrer Entwicklungsstufe entsprechend, überhaupt noch nicht in rationale Verhaltensweisen ein-geübt werden konnten. Sie werden in einen gesellschaftlichen Prozeß „hineingeworfen", zu dessen Bewältigung sie kein Instrumentarium haben. Sieht man von denjenigen ab, die aufgrund eigener Initiative weitere Ausbildungsmöglichkeiten ergreifen, so bleibt für die Masse (und dies sind u. a. die Millionen Bildzeitungsleser und neuerdings „Jasmin'Teser) in der Woche ein einziger, in den Berufsprozeß eingeklemmter Berufsschultag, der seinerseits wiederum nur zur Hälfte oder nicht einmal zur Hälfte für allgemein notwendige Bildungsfragen offensteht. Man untersuche z. B. einmal, wie lange ein 14-oder 15jähriger unterrichtet werden müßte, damit er die erste oder zweite Seite einer regionalen Zeitung überhaupt verstehen kann. Der Analphabetismus ist nicht dadurch überwunden, daß man Buchstaben zu Worten zusammensetzen kann, er ist erst überwunden, wenn man die in den Worten, Begriffen und Sätzen niedergelegten Vorstellungen und Gedankengänge verfolgen und die damit angesprochenen oder auch vernebelten Tatbestände durchschauen kann.

Der Manipulation ist beim jetzigen Stand der „Volksbildung" Tür und Tor geöffnet. Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Prozeß ist aber nur möglich, wenn Kommunikationssysteme vorhanden sind, die einen flüssigen Informations-und Meinungsaustausch ermöglichen und nichtssagende Rethorik, standardisierte Floskeln, Klischees und Stereotypie fernhalten, also die reale Dialektik auf dem Boden geistiger Auseinandersetzung vorbereiten bzw. garantieren.

Die apparathaften Zwänge, die entfremdende Bürokratisierung machen vor allem das aus, was unter dem Schlagwort „Establishment" Reaktionen des Protests und Widerstands hervorgerufen hat. Abgesehen davon, daß sich stets dort, wo Herrschaft vorhanden ist, Unzufriedenheit einstellt (wobei Unzufriedenheit wiederum die Beweglichkeit der entsprechenden Herrschaftssysteme hervorrufen kann), hat die moderne Industriegesellschaft Mängel und Mißstände hervorgebracht, die einen auf Wandlung abzielenden Willensbildungsprozeß erschweren und die Umsetzung des Willens in Realität leicht vereiteln können. Das Establishment — handle es sich nun um Minister oder Abgeordnete, maßgebliche Parteifunktionäre oder Publizisten, hohe Bürokra11 tie, Bürgermeister, Landräte, Beamte — ist nicht nur Initiator der entsprechenden Retardierung und Entfremdung, sondern gleichzeitig auch Opfer des Systems. Der Versuch, durch gegenseitige Kontrolle (balance of power) autoritäre Macht zu verhindern, hat in einer anderen Form autoritäre Macht produziert: nämlich die anonyme, teilweise unangreifbare Macht des bürokratischen Systems, das nicht mehr die individuelle Verantwortung kennt, sondern jeweils die Verantwortung auf den anderen weiterschiebt.

Max Webers These vom unaufhaltsamen Vormarsch der Bürokratisierung ist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt aktueller geworden: „Wie ist angesichts dieser Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung überhaupt noch möglich, irgendwelche einer in irgendeinem Reste Sinn . individualistischen'Bewegungsfreiheit zu retten? Wie kann irgendwelche Gewähr dafür geboten werden, daß Mächte vorhanden sind, welche die ungeheuere Übermacht dieser an Bedeutung stets wachsenden Schicht in Schranken halten und sie wirksam kontrollie -ren? Wie wird Demokratie auch nur in diesem beschränkten Sinne überhaupt möglich sein?"

Die damit implizite vorgenommene axiomatische Gleichsetzung der Bürokratisierung mit Kollektivismus, Immobilität, autoritärem Gebaren und einer sowohl verwaltungstechnischen wie politischen „Libertinage" findet — so scheint es — oft genug ihre Bestätigung in der Wirklichkeit. Das bringt es auch mit sich, daß die sympathischen, aber häufig etwas zu humanistisch-pathetisch bewegten politischen Romantiker sich Recht im fühlen, wenn sie die Bürokratie als natürlichen Feind der Individualität, der Beweglichkeit, des freien Geistes und der politischen Verantwortung diffamieren in den alten schließlich Schlachtruf von der Notwendigkeit der Beseitigung des Staates ausbrechen. „Aktenvorgang", wie er meistens gehandhabt wird, bedeutet Entfremdung und Entfernung vom anderen, vom Mitmenschen, vom Mitbürger. Es ist klar, daß eine zivilisatorische Gesellschaft in ihrer Kompliziertheit allein schon aus Rationalisierungsgründen in einer großen Zahl von Fällen den persönlichen Kontakt ersetzen muß durch die Aktenchiffre, die langwierige Vorgänge auf eine Formel reduziert, so daß durch das Kürzelsystem der Bürokratie die Gesellschaft funktionieren kann.

Der bürokratische Apparat zeigt jedoch in sehr ausgeprägtem Maße eine ganze andere Form des „Durchlaufs" und der Betriebsamkeit: den Tatbestand nämlich, daß personale Möglichkeiten bewußt nicht ergriffen bzw. zunichte gemacht werden, da die jeweils potentiell Beteiligten die Begegnung scheuen. Dafür wird etwas „verfügt". Der Verfügende zieht sich in die Anonymität zurück. Der Fetisch in Bewegung gesetzter Akten kaschiert die persönliche Unzulänglichkeit. Die personalen Kräfte manifestieren und entwickeln sich nicht am Gegenüber, sondern pervertieren und konkretisieren sich als „Aktenzusatz". ist selbstverständlich, Es daß derartige Fixierungen sozialpsychologische Folgen haben. Durch die institutionalisierte Entfremdung verkümmern die seelischen und geistigen Kräfte, die zu ihrer Entfaltung des persönlichen Drucks und Gegendrucks der Begegnung bedürfen. Die aufs Papier Akte projizierten Kräfte sind nicht zu vergleichen mit denjenigen, welche die personale Konfrontation erfordert und bewirkt. Da die natürlichen, sowohl anthropologisch wie psychologisch bedingten und berechtigten Gegensätze nicht mehr ausgetragen werden, sondern hinter dem Aktenvermerkduell sich verbergen, greift die Intrige (als das Wirken von Hintenherum) um sich. „Aktenvorgang" heißt Zerstörung der Ganzheit. Kierkegaard sagt einmal: „Daß man in Menge ist, entbindet entweder von Reue und Verantwortung Ver oder schwächt doch die -antwortung des Einzelnen ab, weil sie diesem an der Verantwortung nur einen Bruchteil zukommen läßt." Der bürokratische Vorgang ist dadurch gekennzeichnet, es nicht daß man wagt, eine Ganzheit in den Griff zu bekommen, eine „ganze" Entscheidung zu treffen, eine ganze Frage zu lösen, so daß man (keineswegs aus irgendeiner rationalen Notwendigkeit heraus, vielmehr unter Aufwand von erheblich mehr Zeit) die Sache, um die es geht, über die eine Entscheidung gefällt werden muß, in eine Fülle von Einzelteilen zerlegt. Derjenige, der jeweils nur über einen Einzelteil, ein Bruchstück „befindet", muß sich nicht für das Ganze, somit (nach Kierkegaard) überhaupt nicht verantwortlich fühlen. Der bürokratische Apparat ermöglicht dem „Bearbeiter" die Flucht vor sich selbst. Der Unterschied zum Team ist eklatant. Beim Team werden zwar auch vom einzelnen nur Teile beB arbeitet; aber der Blick aller ist auf den gemeinsamen Mittelpunkt gerichtet. Das Team wird durch eine zentripetale Bewegung zusammengehalten.

Die Bürokratie, wie wir sie hier beschreiben, wird durch eine zentrifugale Bewegung auseinandergedrängt. Der sogenannte „Instanzenweg" ist ein „kaukasischer Kreidekreis" — ohne vernünftige Mutter: man zieht nach allen Richtungen, das Kind ist in Gefahr, zerrissen zu werden. Der „Vorgang" durchläuft Beurteilungssysteme, denen verschiedenartige Axiome zugrunde liegen — etwa pädagogische, finanztechnische, personelle, bautechnische. Was als ein vernünftiger Erfahrungsaustausch erscheint und unter bestimmten Umständen auch durchaus sein könnte, ist in den meisten Fällen ein reichlich fruchtloses Gegeneinander, da die konzentrische Orientierung (der Bezug auf gemeinsame Axiome) fehlt. „Aktenvorgang" ist eine Pendel-oder Spiralbewegung. Beim Pendelvorgang wird ein Vorgang ständig zwischen zwei Instanzen hin-und hergeschoben, mit kaum abgeänderten, lediglich immer wieder neu formulierten Argumenten; hier wird die Verwirklichung wesentlich stärker verlangsamt als bei der Spiralbewegung, wo zwar auch keine wesentliche argumentative Erweiterung erfolgt, aber dadurch, daß immer neue Ebenen erreicht werden, die Übersicht schwindet, die Hartnäckigkeit des Widerspruchs erlahmt.

Das „Weiterschieben" ist eine Wahnvorstellung: eine Hysterie des Mißtrauens, aber institutionalisiert und somit als Hysterie schwer erkennbar. Die gegenseitige Kontrolle, Element richtig verstandener Demokratie, wird von der Bürokratie in einem Maße praktiziert, daß die Initiative, die durch einen gesunden, dialektischen Prozeß geweckt werden kann, erstickt. „Stelle Eins schrieb, Stelle Zwei antwortete, wenn Stelle Zwei geantwortet hatte, mußte man Stelle Eins davon Mitteilung machen, und am besten war es, man regte eine mündliche Aussprache an; wenn Stelle Eins und Zwei sich geeinigt hatten, wurde festgestellt, daß nichts veranlaßt werden könne: so gab es unaufhörlich etwas zu tun", heißt es an einer Stelle in Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften".

Sehen wir in der Demokratie eine sowohl sinnvolle wie zweckmäßige menschengerechte Ordnung, die personale Beziehungen, Engagement, Mut zur Verantwortung und fruchtbare, d. h. dialektisch fortschreitende Kontrolle nötig hat und auf vertrauensvollem, Konflikte austragendem Gespräch beruht, so ist die bestehende Bürokratie demokratiefeindlich. Parkinson spricht von der bürokratischen Paralyse der Demokratie, Weber von dem Dualismus zwischen Bürokratie und Demokratie. Es steht jedenfalls fest, daß eine auf Teamarbeit und Gruppendynamik, auf Selbstverantwortung, Kompetenz und Beweglichkeit gründende, Hierarchie und Autorität vermeidende Bürokratie noch nicht gelungen ist.

Von besonderer Gewichtigkeit ist die Bürokratie in den Verbänden, den Parteien und der staatlichen Verwaltung. Das Verbandsdenken hat zu einer geschlossenen Gesellschaft geführt. Der Prozeß der Willensbildung und der Mitbestimmung bzw.der Teilhabe ist zwar kaum möglich, wenn die sie tragenden gesellschaftlichen Strömungen nicht organisiert werden; neue politische und soziale Gruppen haben jedoch zu geringe Chancen, zur Entscheidungsvorbereitung bzw. zum Entscheidungsprozeß zugelassen zu werden. Die Bürokratie der Verbände hat die entsprechenden Infor-mationsund Einflußwege besetzt; sie liegt wie eine „feste Decke" über der Gesellschaft und trägt zu ihrer Erstarrung, d. h. zur politischen Unbeweglichkeit bei. Aber selbst innerhalb der Verbände ist eine pluralistische Dialektik weitgehend unterbunden, da meist die wenigen Großunternehmen, die mit ihrer wirtschaftlichen Macht die anderen Gruppen zu erdrücken vermögen, die Verbandsbürokratien in der Hand haben (= sie finanzieren). Der meinungsbildende Prozeß ist meist umgekehrt angelegt: Die Mitgliederwünsche werden nicht nach oben transportiert, sondern die oben getroffenen Entscheidungen werden nach unten lediglich interpretiert.

Die Verbände sind mit den Ministerien eng liiert, so daß häufig diese Ministerien zu einer Art Hausmacht der Verbände werden. Dadurch wiederum entwickelt sich eine administrative Fernsteuerung, die reichlich unkontrolliert verläuft. Die Verbandsmaschinerie steht der Beobachtung nicht offen; ihre Entscheidungsprozesse sind in Hinblick auf ihre Motivation und die jeweiligen ökonomischen oder politischen Hintergründe nicht transparent, eine demokratische Kontrolle ist somit kaum möglich. Ähnliche Vorwürfe werden den Parteien gegenüber vorgebracht. Nach Artikel 20 des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Aufgrund des Zweifels, ob das Volk wirklich in der Lage sei, seinen Willen zu artikulieren, besitzen die Parteien, wenn auch kein Monopol, so doch das Privileg, die Demokratisierung der Gesellschaft zu repräsentieren. Der Antiparteieneffekt macht es an sich schwierig, die Parteien im Bewußtsein der Bevölkerung positiv zu verankern. Dazu kommt, daß die Bürokratie der Parteien, mit ihren Hierarchien und festgefügten, zementierten Bastionen, vielen Staatsbürgern den „Einbruch", d. h. die Mitwirkung und Teilhabe sehr erschwert. Es bilden sich in den Parteien Machtpositionen (man denke etwa an die Kandidatenaufstellung bei Wahlen), die kaum erschüttert werden können. Die Forderung nach innerparteilicher Demokratie ist im wesentlichen eine Forderung nach größerer Beweglichkeit, Fluktuation, Diskussion und Kontroverse. Die Willensbildung erfolgt häufig erst a posteriori, d. h. die Führungsgremien informieren über vollzogene Schritte, sind also reichlich unempfindlich gegenüber Willensäußerungen der Mitglieder. Vielfach leiten Parteiführungen ihre Befugnis lediglich aus der Tatsache ab, daß Mitglieder entsprechende Beiträge leisten und äußere Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Partei zeigen; der Wille des Kollektivs wird charismatisch propagiert und nicht dialektisch diskutiert.

Wenn man heute immer wieder zu der Feststellung kommt, daß eine wirkliche, innerparteiliche Demokratie nicht bestehe, so ist dies freilich nur zu einem gewissen Maße Schuld der bürokratischen Machtsysteme. Vielmehr ist dies auch weitgehend die Folge einer entpolitisierten Öffentlichkeit, die den Versuch der Mitbestimmung und Teilhabe kaum oder nicht energisch genug unternimmt. Das weite Bereiche der Bevölkerung von einem einigermaßen effizienten Bildungsprozeß ausschließende Gesellschaftssystem und die weitgehend sich abkapselnden und lediglich auf Akklamation zielenden Machtsysteme der Verbände, der Parteien wie der staatlichen Verwaltung insgesamt bewirken eine zunehmende „Erschlaffung" der Bevölkerung, die auf diese Weise leicht zu manipulieren ist. Springer und vor allem seine „Bildzeitung" sind zum besonderen Zeichen für solche Manipulation geworden. Vielfach ist die Manipulation auf dem wirtschaftlichen Sektor, die mit raffiniertem tiefenpsychologischen Instrumentarium arbeitende Konsumwerbung, gefährlicher, wenn sie auch keine besonderen politischen oder gesellschaftsbezogenen Ziele verfolgt. Aber der Konsumidiot ist auch für die politische Manipulation anfällig; die Verblödung auf der einen hat die Verblödung auf der anderen Seite im Gefolge. Im besonderen verhindert die Manipulation im Konsumbereich oft genug, daß die entsprechenden gesellschaftsnotwendigen Prioritäten erkannt bzw. gesetzt werden: also rationale Entscheidungen zugunsten der Gesellschaft (vor allem im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen) nicht getroffen oder zu spät getroffen werden. Die durch Manipulation hervorgerufene Verblödung bewirkt schließlich, daß die „Krankheiten" des öffentlichen Lebens — Affären, Tricks, Beziehungen, Korrumpierung — nicht genügend erkannt und bekämpft werden. Ihre Gefährlichkeit wäre gering, wenn eine kritische und aufmerksame Öffentlichkeit jeweils rechtzeitig die therapeutischen Gegenmaßnahmen ergreifen würde.

Nach einem. Wort des Staatsrechtlers Richard Thoma aus den zwanziger Jahren ist die Demokratie ein Staat, dessen Souverän man unentwegt anschreien muß, damit er nicht ein-schläft. Dieses „Anschreien" bedeutet, wenn man das Bild auf seinen Sinn zurückführt, natürlich nicht emotionale Attacke, sondern rationale Kritik. Die rationale Kritik aber setzt wiederum wache, gebildete, informierte Staatsbürger voraus, die in ihren Meinungen nicht manipuliert werden, sondern sich ihre Meinungen und Urteile frei und gründlich bilden können. Der Circulus vitiosus unseres gegenwärtigen Systems wird damit deutlich: Da Rationalität nicht in genügendem Umfange vorhanden ist, verstärkt sich die Erstarrung der Apparate; die Erstarrung der Apparate bewirkt, daß der Bildung und Ausbildung eines kritischen Gegenpublikums immer geringere Aufmerksamkeit zugewandt wird, was den Erschlaffungsund Verblödungsprozeß beschleunigt. Auf die Frage, was er tun würde, wenn er ein Land zu verwalten hätte, antwortete Konfuzius: „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern. . . . Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt ist, nicht das, was gemeint ist; ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht; gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft die Justiz nicht; trifft die Justiz nicht, so weiß die Nation nicht, wohin Hand und Fuß setzen; also dulde man keine Willkürlichkeit in den Worten. Das ist es, worauf alles ankommt."

Die Misere der offiziellen Sprache ist eklatant. In zunehmendem Maße hat seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Ideologie der Sprache sich bemächtigt und sie zum Instrument der Manipulation gemacht. Pathos, leere und hohle Worte, Vernebelung, Vagheit haben sich auch in der Demokratie erhalten, woran häufig weniger ideologische Absicht als Unsicherheit schuld ist. Die Schwierigkeit der jeweiligen Materie, die mangelnde Ausstattung des Parlaments wie der Parlamentarier mit wissenschaftlichen Hilfskräften führt zur Flucht in die Rhetorik; da man die Sache nicht mehr hat, können auch keine Worte folgen.

Die politischen Routiniers sprechen häufig eine Sprache, die durch die Verkennung der Wirklichkeit, durch die Zelebrierung von Tabus, durch den Mangel an Information gekennzeichnet ist. Theodor W. Adorno hat diese Perversion der Sprache „Jargon der Eigentlichkeit" genannt: „Erkennbar am systematischen Gebrauch gewisser Schlüsselwörter, die sich katalogisieren lassen"; die Sprache gewährt dem Faschismus ein idyllisches Asyl: „In ihr äußert das fortschwelende Unheil sich so, als wäre es das Heil." Im Bereich des Jargons der Eigentlichkeit werden gerne verwaschene Wörter oder Metaphern aus der Sphäre des Privaten, der Seele, des Geistes, des Schicksals in die politische Kommunikation eingefügt. Karl-Heinz Bohrer nennt als besonders hervorstechende Schlüsselwörter aus dem politischen Wörterarsenal u. a.: Herzland Europa, Ordnung Europa, Schicksal, geschichtliche Kräfte, freiheitlicher Rechtsstaat, Wiedervereinigung, Friede und Freiheit, orientierende Mitte, grundsätzliche Orientierung, politische und sittliche Leistung, Glaube und Geschick, vertiefte Weltkenntnis, Existenz des Volkes, Ernst und Redlichkeit, geistig-seelische Kräfte, dauerhafte Ordnung, innere Einstellung.

Fatal ist meist nicht das Wort oder der Begriff selbst, sondern ihre stereotype Verwendung. Wie in der Politik hat sich auch in den anderen Bereichen ein Sprachnebel ausgebreitet bzw. erhalten, der eine wirkliche Aufklärung nicht zuläßt. Die kirchliche Predigt ist nach wie vor durch Intimitätsjargon und Gemüts-dialog bestimmt; kleinbürgerliche Sprachmilieuvorstellungen bestimmen die religiöse Ansprache, die — der Propagierung der Sekundärtugenden adäquat — eine existenzielle Betroffenheit verhindert und statt dessen litaneiartig einlullt. Die Exegese wird zur Aneinanderreihung appellativer Begriffe, die jenseits des rhetorischen Effekts keine verändernde Wirkung haben.

Auf die gleiche Weise ist — um ein drittes, sehr markantes Beispiel der erstarrten Sprache zu geben — die Erziehungssprache durch Leerlaufdiktion charakterisiert. Die Beschreibung der Wege und Ziele des Unterrichts wird idealistisch aufgepumpt, ohne Bezug zur Wirklichkeit, deren Analyse man (auf der Suche nach dem Wesenhaften) eifrig aus dem Weg geht. Muttersprachgeraune soll Andacht vor dem Ursprünglichen evozieren; Lernstoffe werden „um ihrer selbst willen" angepriesen. Indikative sind meist durch Optative und Imperative ersetzt. Man fordert zwar kritisches Verständnis, selbständige Stellungnahme, prüfendes Denken; aber die „lebendige Teilhabe", das ständige Suchen nach den „Ursprüngen und grundlegenden Inhalten", verliert sich in magischen Sprachgebärden, welche die Kluft zum Realitätsprinzip immer tiefer machen.

Die Oberflächlichkeit der offiziellen Sprache spiegelt, sozialpsychologisch gesehen, die tief-greifende Entfremdung des Menschen von der ihn umgebenden Wirklichkeit; der Versuch, diese Wirklichkeit zu erkennen und sie aus dieser Erkenntnis heraus verändernd zu gestalten, geht schon verbal „daneben". Sprache ist nicht Instrument kritischer Auseinandersetzung, Ausdruck des Bemühens um dialogische Wahrheit, um progressive Konzeptionen. Die Sprache ist Wortbrei ohne Kern. Das Konkrete ist verkleistert.

Reflex und Reflexion — Scheinradikalität und Radikalität

Die im Protest der Jugend sich manifestierende sozialpsychische Gegenreaktion auf die Wohlstandswelt und ihre Gefahren zeigt jene Radikalität, die in der Lage wäre, diese Gefahren überwinden zu helfen — wenn der Sturz in den falschen Radikalismus, in den sich selbst genießenden Anarchismus vermieden werden kann. Jugendliche Unruhe bzw. Negation enthält in ihrem Psychogramm jeweils die Gegenstrebungen und -Strömungen zu den die Wohlstandsgesellschaft gefährdenden Komponenten: die Bereitschaft zum experimentellen Wagnis; die Bejahung der Utopie; emotionale Progressivität; dynamisierenden Elan. Die in der Negation sich formierende Sehnsucht nach Intellektualität und Rationalität bestimmt den seelischen Habitus der jungen Generation, die zugleich im Bereich jugendlicher Subkulturen zum ästhetischen Lustgewinn zu gelangen hofft. Neue Formen der Erotik wollen die in der Wohlstandssexualität sich vollziehende Entleerung der menschlichen Beziehungen überwinden.

Die aus der Reaktion zur Aktion drängende Grundbefindlichkeit transportiert rationale Modelle gesellschaftlicher Neugestaltung ins allgemeine gesellschaftliche Bewußtsein. Die Eindimensionalität der Wohlstandsgesellschaft bewirkt sozialpsychische Reaktionen in der jungen Generation, die Perspektiven neuer Zweidimensionalität eröffnen. Der Wohlstandsgesellschaft wird die Tiefendimension des Geistes, wenn zunächst auch nur als (reale) Utopie, erschlossen. Das „Behagen in der Kultur" auf der Grundlage der Sozialisation (d. h. auch der Sozialisierung: gerechter Güterverteilung und Chancengleichheit) wird vorbereitet. Freilich haben die beschriebenen Erstarrungsphänomene der Gesellschaft bzw.des Establishments auch einen Stau emotionaler Gegenkräfte zur Folge, die nach einer gewissen Zeit aus ihrer Frustration in die Aggressivität umschlagen und damit ebenfalls, wenn auch nicht auf der Basis einer rationalen Zielsetzung, einen Dynamisierungsprozeß einleiten. Indem die jugendlichen Kräfte gegen Vietnam, totalitäre Herrschaftsformen, politische Figuren (wie den Schah von Persien), gegen die Atombewaffnung, gegen Maßnahmen der Hochschulund Schulverwaltung, gegen privilegierte Personengruppen (etwa die Professoren), gegen die Notstandsgesetze, gegen die Polizei, gegen die Justiz, gegen das Militär, gegen all das protestieren und demonstrieren, das (ob mit Recht oder Unrecht) den Eindruck autoritären bzw. dogmatischen Verhaltens macht, reagiert sich die aufgestaute Frustration ab, die aus dem vergeblichen Anrennen gegen die Wände der Bürokratie und Maschinerie entstanden ist. Häufig handelt es sich bei den Fixierungsobjekten des Protestes um richtig erkannte autoritäre Strukturen, häufig jedoch ist der Protest „rationalisiert": abreaktive Emotionen werden durch herangezogene Vernunftargumente kaschiert. Bei Kongressen und Zusammenkünften junger Menschen kann man oft erleben, daß eine durchaus rational geführte Sachdiskussion, in der sich eine pluralistische Meinung artikuliert, in dem Augenblick, in dem in irgendeiner Form ein autoritäres Verhalten des Establishments sich zeigt, in emotionale Solidarisierung umschlägt.

Ehe die Begriffe der Radikalität und Scheinradikalität weiter geklärt werden, ist es angebracht, in einem Exkurs auf die jugendlichen Subkulturen einzugehen, da diese ein wichtiges Glied in der sozialpsychologischen Verkettung von Anpassung, Flucht und revolutionärer „Aufladung" darstellen.

Die Epoche des Krieges (der Kriege), der Zerstörung und des Wiederaufbaus, die vielfältige, wenn auch oft gefährliche Fixierungsobjekte für den jugendlichen Expansionsdrang bot und damit notwendigerweise den jungen Menschen schon sehr früh dem gesellschaftlichen oder politischen Prozeß integrierte bzw. „gleichschaltete", wurde abgelöst durch die Epoche eines für die westlichen Industrienationen beispielhaften, wenn auch sozial vielfach ungerechten wirtschaftlichen Aufstiegs; in der Wohlstandseuphorie wurde aber die Integration der Jugend vergessen oder vernachlässigt. Die Gesellschaft lief ab nach Regeln, wie sie sich die ältere Generation gegeben hatte bzw. aufrechterhielt.

Von der Jugend erwartete man bereits in einem sehr frühen Stadium Anpassung an die wirtschaftlichen, moralischen, politischen, gesellschaftlichen, religiösen Gegebenheiten. Lange Zeit schien der Eindruck gerechtfertigt, daß diese Jugend in der Tat eine Generation der Angepaßtheit sei — verhältnismäßig widerstandslos die dominierenden Gegebenheiten akzeptiere und kopiere: von der Berufswahl bis zur Freizeitgestaltung, vom politischen Desinteresse bis zum Konsumzwang, vom Traditionsgefühl bis zum sexuellen Verhalten. Eine 1964 durchgeführte Umfrage bei Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren ergab: überwiegend wurde das Bildungsangebot der Schule bejaht; man hatte keine Einwände gegen das Betriebsklima und die beruflich bedingte Autoritätssituation; der Familie als Intimbezugsgruppe kam besondere Bedeutung zu; jeder Fünfte beschäftigte sich mit Politik; 5 0/0 beabsichtigten, einer Partei beizutreten.

Die „skeptische Generation" akzeptierte autoritäre, patriarchalische, normative Einstellungen, Opportunismus, Erfolgsdenken, Sozial-prestige. Hinter der Fassade der Angepaßtheit formierten sich freilich bereits (in ihrer Abkapselung wenig beachtete) Subkulturen, aus denen die eigentliche Bewußtseinslage der heranwachsenden Jugend hätte abgelesen werden können, auch wenn der größte Teil der Jugendlichen an diesen Subkulturen weniger aktiv als passiv beteiligt war.

Die Beat-Kultur entstand vornehmlich aus der sexuellen Frustration: dem Auseinanderklaffen von biologischer und sozialer Reife, wie es in der Industriegesellschaft unserer Zeit besonders stark in Erscheinung tritt; als Folge ungeklärter Autoritätsbeziehungen in der „vaterlosen Gesellschaft"; der Spannung zwischen den Moral-bzw. Idealvorstellungen der erwachsenen Gesellschaft und der praktizierten Wirklichkeit. Der Versuch der Beat-Kultur, sich abzugrenzen und einen eigenen Lebensstil zu entwickeln, war nur insofern Protest, als er die traditionelle Geschmacksrichtung in Leitbildern und Lebensgewohnheiten ablehnte und von der gängigen Freizeit-Industrie sich löste (allerdings dann, nach der ersten Phase, eine neue jugendbezogene Freizeit-Industrie hervorrief). Während die Beat-Kultur als expressive Jugendkultur eine psychosomatische Bewältigung der weitgehend triebdynamisch bestimmten jugendlichen Krise einleitete, wurde sie als Jugendkultur von der Erwachsenenwelt hemmungslos diffamiert: als Auflösung tradierter Werte und Normen beklagt, oft auch als jugendliche kollektive Zwangsneurose interpretiert.

Die Beat-Kultur hätte inmitten der Gesamtkultur eine dynamisierende und sozialisierende Wirkung ausüben können, wenn man ihr den Spielraum für einen gewissen Nonkonformismus zugebilligt hätte. Die Ingeniosität der Beat-Kultur hätte auf die Gesellschaft insgesamt sich positiv auswirken können, auch wenn diese Beat-Kultur (und dies war ihr entscheidender Mangel) mehr spielerisch-esoterische als gesellschaftsengagierte Züge zeigte. Das totale Mißund Unverständnis der Gesellschaft der jugendlichen Subkultur gegenüber mußte statt dessen zu einer weiteren Verschärfung des Konflikts führen.

Die Beat-Kultur blieb gesellschaftspolitisch gesehen im Narzißstadium befangen; die sich ausbreitende Libido, die den Kontakt zur Umwelt hätte suchen und finden müssen, blieb aufs eigene Ich zurückgebogen, so daß der von Sigmund Freud beschriebene klinische Zustand des Narzißmus seine sozialpsychische Analogie fand. Narzißmus ist nach Freud gegeben, wenn „ein Individuum den eigenen Leib in ähnlicher Weise behandelt wie sonst den eines Sexualobjekts, ihn also mit sexuellem Wohlgefallen beschaut, streichelt, liebkost, bis er durch diese Vornahmen zur vollen Befriedigung gelangt."

Soziologisch gesehen bedeutet dies, daß hier eine Subkultur zum spielerisch-ästhetischen Selbstzweck wurde, wobei das damit verknüpfte Lustgefühl angesichts des Realitätsprinzips, das die Abkapselung verdrängter Wirklichkeit immer wieder durchbrach, bald in Frustration und in Frustrationsaggressivität umschlug. Da die Enklave der Beat-Kultur keine Einübung von Verantwortung ermöglichte und die Gesellschaft keine Anstalten machte, den Libido-Strebungen die entsprechenden gesellschaftspolitischen Chancen zu bieten, revoltierte die Jugend schließlich gegen die Gesellschaft, die die Subkultur nicht als Teilkultur zu integrieren bereit war. Manche Beatniks wandelten sich zu Revolutionären. Aber die Revolutionäre legten bald — sieht man von den langen Haaren ab — die Tugenden der Beat-Kultur ab: ihre spielerische Gelöstheit, ihre in vielem witzige Nonchalance, ihr ästhetisches Interesse.

In der Flucht nach vorne, in die revolutionäre Aktivität, setzten sich die revoltierenden Jugendlichen mit der Beat-Kultur auch vom Hippietum ab, das gewissermaßen die jugendliche Entropie der Gesellschaft darstellt: selbstgefällige Statik, Umstülpung der Libidoenergie nach innen, die nun durch die Gefilde rausch-haft belebter Phantasien und Phantasmagorien schweift. Daß in einer auf Extraversion und Expansion angelegten Gesellschaft ein, wenn auch quantitativ kleiner, in seiner Ausstrahlungskraft jedoch nicht zu unterschätzender Teil der Jugend, die Hippies, die Antennen für die Signale der Aktivität einzog und sich in vegetative Bereiche zurückzog, in die geometrische Technizität des Daseins die verschlungenen Accessoires eines verspäteten Jugend-stils mit all seiner Blumigkeit setzte, ist eines der interessantesten sozialpsychologischen Ereignisse der Nachkriegszeit.

Die Paradiese der sanften Blumenkinder leerten sich freilich sehr rasch. Die in katastrophaler Weise zunehmende Kriminalität etwa in den USA macht deutlich, daß die Lehre von „Love and peace" kein Echo gefunden hat. In den Parks herrschen die schlagwütigen Gangs. Die Hippies predigten freie Liebe; heute findet in den USA alle 19 Minuten eine Vergewaltigung statt. Dabei ist es symptomatisch, daß die Gewaltakte gerade auch bei den Hippies selbst begannen; die narzißhafte Vegetativität hatte die Frustrationsaggressivität nicht wirklich bewältigt, sondern nur verdrängt. Narziß liebt nicht und wird nicht geliebt. Die androgyne Haltung läßt das randalierende Drauflosschlagen durchaus erwarten; die narzißhafte Komponente des Sadismus besteht vor allem in der radikalen Negation des anderen, in der Verneinung des Sozialisationsprinzips. Die eigene totale Souveränität wird in der Negation des Mitmenschen verwirklicht. Indem der Mit-17 mensch an den Rand des Todes oder in den Tod selbst hineingetrieben, zuschanden gemacht wird, genießt Narziß sein Selbst als Gewalt-haftigkeit. Die Libidostrebungen sind abgekappt bzw. zum völligen Rückzug ins Es gezwungen: alles, was außerhalb des eigenen Ichs liegt, wird vernichtet.

Das Milieu bewirkt meist Anpassung, evoziert aber auch Aktivität, die auf evolutionäre oder revolutionäre Weise eine Veränderung der jeweils bestehenden Verhältnisse anstrebt. Phasen konsolidierender Statik wechseln mit Phasen innerer wie äußerer Mobilität. Dabei handelt es sich weniger um eine chronologische Abfolge als vielmehr um das Ineinander von Tradition und Fortschritt, Bewahrung und Neu-erwerb. Wenn die bestehende Gesellschaft als Challenge nicht in genügendem Maße den Veränderungswillen, die Reformfreudigkeit als Response hervorruft, bleibt die Gesellschaft anachronistisch zurück: in einem Zustand, aus dem nur noch der revolutionäre Quanten-sprung eine Einholung bzw. Nachholung der Versäumnisse bewirken kann. Die revolutionäre Veränderung ist jedoch meist mit vielen Opfern verknüpft; die Versäumnisse müssen teuer bezahlt werden; es ist somit ein Gebot der Vernunft, sich stets um die evolutionäre Weiterentwicklung zu bemühen, wobei freilich Evolution die radikale, d. h. bis zu den Wurzeln reichende Veränderung des jeweiligen Bewußtseins einschließt. Vom radikalen Denkansatz her ist das jeweils gültige Realitätsprinzip zu prüfen und zu erneuern.

Veränderungen werden durch rationale Entscheidungen bewirkt. Die Motorik, welche die Angepaßtheit überwinden und den Mut zur Rationalität hervorzurufen vermag, ist gewissermaßen die individual-wie sozialpsychische Folge der gesellschaftlichen Erschlaffung. Mit anderen Worten: Im dialektischen Prozeß gebiert die gesellschaftliche Stagnation den bewegenden (dynamisierenden), vorantreibenden Elan der Radikalität, wobei die Wirklichkeit die Synthese zwischen den beharrenden Mächten und den vorantreibenden Kräften darstellen sollte.

Die Frage ist berechtigt, ob ein Begriff wie „dynamisch" eventuell eine Leerformel darstellt bzw. einen Wert zu oktroyieren sucht, der in Wirklichkeit kein Wert ist. Warum soll „Beweglichkeit" etwas Besseres als Statik sein? Uber Axiome läßt sich nicht streiten; der Begriff „dynamisch" als Wert impliziert das Axiom, daß alles in der Welt, in diesem Leben, dieser Gesellschaft und Politik in Bewegung ist; damit ist natürlich inhaltlich noch keine Aussage gemacht, doch die anthropologische Position verdeutlicht, von der aus dann die entsprechenden inhaltlichen Probleme anzugehen sind. Diese inhaltlichen Probleme erfordern eben geistig-seelische Flexibilität — die Fähigkeit, sich rasch auf neue Entwicklungen um-und einzustellen, was keineswegs Billigung oder Anpassung bedeuten muß, sondern durchaus die Notwendigkeit der Korrektur einschließt. Dynamik ist als Grundbefindlichkeit notwendig, aber ohne die konkrete inhaltliche, personal wie sozial bezogene Ausrichtung leer. Die psychische bzw. sozialpsychische Kategorie der Beweglichkeit verneint nicht, daß es unveränderliche Grundeinsichten, z. B.

in das Wesen des Menschen, gibt; diese sind gewissermaßen die Strukturen, über die das Pattern der Flexibilität gelegt ist.

Bei der Scheinradikalität ist der revolutionäre Affekt Selbstzweck. Er ist nicht Antrieb zur rationalen Entscheidung, sondern das Ziel selbst. Statt die Revolutionierung des Bewußtseins voranzutreiben, versinkt die Scheinradikalität in bewußtloser Stofflichkeit. Der Reflex wird nicht in progressive Motorik umgewandelt; er verbleibt in der Abreaktion. Während die wirkliche Radikalität den dialektischen Prozeß der Veränderung initiiert, sinkt die Scheinradikalität, wenn die Abreaktion vollzogen ist, wieder auf die Stufe zurück, von der sie ausging: ein Circulus vitiosus von Speicherung und Abreaktion, der sich im Leerlauf dreht.

Radikalität und Scheinradikalität gehen selbstverständlich ständig ineinander über; auch in der Einzelperson sind Radikalität und Scheinradikalität häufig miteinander vermischt. Es ist die besondere Leistung des Reformers, daß er aus der Reaktion stets den Weg zur Aktion findet, rückwärts gewandten Reflex in Progression umzuwandeln vermag — die Schwierigkeiten des dialektischen Prozesses also zu bewältigen vermag. Das damit angesprochene anthropologische und soziologische Problem wird am Anarchismus besonders deutlich. Der Begriff bedeutet ursprünglich die Abwesenheit von Autorität und Regierung. Er wurde zum Synonym für Unordnung, Chaos und Zerstörung. Diese negative Einfärbung zeigt bereits die ideologische Abwertung des Begriffs; in Wahrheit ist die zeitweilige Abwesenheit bzw. Beseitigung von Autorität und Regierung, von repressiven tradierten Normen und Regulationen die Voraussetzung für eine dynamische Weiterentwicklung, welche die Angepaßtheit überwindet. Damit die Unruhe als Bürgerpflicht sich entfalten kann, bedarf es des Unruhestifters, der aufgrund der gesellschaftlichen Oppression und Repression im seelischen Zustand der Revolte sich befindet

Nach Proudhon bedeutet regiert sein: inspiziert, spioniert, dirigiert, mit Gesetzen überschüttet, reglementiert, eingepfercht, belehrt, bepredigt, kontrolliert, eingeschätzt, abgeschätzt, zensiert, kommandiert zu werden; -re giert sein heißt: bei je „bei jeder Handlung, -dem Geschäft, bei jeder Bewegung notiert, registriert, erfaßt, taxiert, gestempelt, vermessen, bewertet, versteuert, patentiert, lizensiert, autorisiert, befürwortet, ermahnt, behindert, reformiert, ausgerichtet, bestraft zu werden. Das heißt, unter dem Vorwand der öffentlichen Nützlichkeit und im Namen des Allgemeininteresses ausgenutzt, verwaltet, geprellt, ausgebeutet, monopolisiert, hintergangen, ausgepreßt, getäuscht, bestohlen zu werden; schließlich bei dem geringsten Widerstand, beim ersten Wort der Klage unterdrückt, bestraft, heruntergemacht, beleidigt, verfolgt, mißhandelt, zu Boden geschlagen, entwaffnet, geknebelt, eingesperrt, füsiliert, beschossen, verurteilt, verdammt, deportiert, geopfert, verkauft, verraten und obendrein verhöhnt, gehänselt, beschimpft und entehrt zu werden."

Die hier karikaturhaft überzeichnete statisch-staatliche Autorität bewirkt, wenn die Gesellschaft funktioniert, die entsprechenden anarchischen Gegenreaktionen, die im Interesse der dialektischen Weiterentwicklung zu fördern sind. Es müssen Möglichkeiten für Anarchismus vorhanden sein, da nur auf diese Weise Staat und Gesellschaft als Ganzes in der notwendigen Beweglichkeit gehalten werden können. Die individualwie sozialpsychische Energie, die im Anarchismus steckt, lockert den Boden für die reformerische rationale Entscheidung, die gegen die Erstarrung der gesellschaftlichen Formen angeht. Charismatische Autoritäten, die im besonderen Maße für die Erstarrung der Gesellschaft verantwortlich sind, müssen ständig mit Hilfe der Kompetenz, der anarchische Unruhe ebnet, die den Weg abgebaut werden. Die anarchische Grundhaltung ist gewissermaßen der Katalysator des dialektisch-rationalen Prozesses.

Bakunin hat darauf hingewiesen, daß der Idealismus, da er „von oben nach unten geht", den Menschen in einem Zustand hält, der die Bewußtwerdung als Mensch verhindere: weil er Glauben erfordere, errichte er Denkverbote; weil er Pflicht, Opfer, Mut, Askese als Tugenden preise, Animalität und Triebhaftigkeit des Menschen dagegen als Heteronomie denunziere, verhindere er deren Erkenntnis als wesentliche Seiten der menschlichen Natur. Umgekehrt sei der Weg des theoretischen Materialismus. Er beginne mit der Animalität und schreite zur Freiheit fort. „Die ganze politische und ökonomische Organisation muß folglich nicht wie heute von oben nach unten und vom Zentrum zur Peripherie gehen und nach dem Prinzip der Einheit, sondern von unten nach oben und von der Peripherie zum Zentrum nach dem Prinzip der freien Assoziation und Föderation." Das anarchische Prinzip sei ein demokratisches Prinzip; denn die Anarchie meine Freiheit: im Denken (und zwar Freiheit des Denkenden wie des Gedachten) und in der Gesellschaft.

Wenn der Anarchismus seine humanitäre Nüchternheit und Rationalität verliert und explosivem, abreaktivem Illusionismus sich überantwortet, stellt sich Scheinradikalität ein; in der Übersteigerung bringt sich der Anarchismus um die Früchte der eigenen Bemühungen. Reflektierender Anarchismus will das Bewußtsein verändern helfen, auf dem Weg zur Rationalität beflügeln. Scheinradikalität bedeutet dagegen Regression, da hier die desintegrierende Wirkung anarchistischer Haltung nicht als Auflockerung für eine neue Ordnung benützt wird; man berauscht sich statt dessen am Chaos; die Vernunft wird der triebdynamischen Abreaktion zum Opfer gebracht.

Reaktive, reflexartige Haltung kennzeichnet den Schein-Revolutionär. Er bleibt in den Bereichen befangen und gefangen, die er von der Prätention her verlassen, überwinden oder vernichten will. Der Eindruck, daß es sich beim jugendlichen Protest um eine progressive Bewegung handle, täuscht somit vielfach; als Reaktion enthält er viel von dem, gegen das er sich wendet. Der jugendliche Protest hat dann die bourgeoisen Strukturmerkmale nicht wirklich abgeschüttelt, sondern nur verdrängt. Im Augenblick scheinbarer Befreiung fließen sie aus dem Staupotential wieder zurück und bestimmen die pseudo-revolutionären Handlungen. Die Kehrseite der Medaille ist Teil einer gemeinsamen Prägung. Mit anderen Worten: Die aus dem Boden autoritärer kleinbürgerlicher Ideologie erwachsende Gegenbewegung reproduziert im Reflex die strukturell gleichen, wenn auch inhaltlich veränderten Verhaltensweisen, und zwar um so stärker, je weniger die enge Bindung der Reaktion an die Strukturen, auf die man reagiert, durchschaut wird. Erst wenn der Reflex der kritischen Reflexion unterzogen und erkannt wird, daß die Reaktion dem System immanent ist und der große Sprung aus dem System in die Freiheit der Aktion qualitativ etwas anderes ist, kann die sozialpathologische Verhaftung der jugendlichen Protestformen gelöst und wirkliche Progression erreicht werden.

Der Protest ist somit ambivalent. Auf der einen Seite ist dem jugendlichen Aufbruch vielfach die Grenzüberschreitung nach vorne gelungen; es konnte die Methodik des „zweiten Schritts" entwickelt werden. Es wurde der lange Weg durch die Institutionen — im Sinne eines evolutionären, auf Massenaufklärung angelegten Prozesses — begonnen. Das Verhalten der Studenten in Prag etwa, dort freilich begünstigt durch die Reformwilligkeit der gesamten Bevölkerung, zeigt, auf welche Weise Rationalität und Revolutionierung des Bewußtseins vorankommen. Im Gegensatz hierzu zeigt die Entwicklung in der Bundesrepublik in zunehmendem Maße eine Radikalisierung nach rückwärts, d. h., aus dem schon beschriebenen Verdrängungspotential fließen die Elemente zurück, die den kleinbürgerlichen, spätkapitalistischen Faschismus charakterisieren.

Jürgen Habermas hat bereits im Sommer 1967 der jugendlichen Protestbewegung die Gefahr eines linken Faschismus vorgehalten, wobei er selbstverständlich nicht an die Wiederholung einer geschichtlichen Epoche, sondern an die dem Faschismus eigenen Wesenszüge dachte — Strukturen, die stichwortartig etwa mit autoritär, elitär, antiintellektuell, aggressiv, irrational zu charakterisieren sind. Habermas ist damals mißverstanden worden; man unterstellte ihm, er wolle die jugendlichen Protestbewegungen abqualifizieren und diffamieren. In Wirklichkeit hat er gerade mit dem Hinweis auf die Gefahr des Linksfaschismus die Möglichkeit geboten, die Probleme reaktiven Verhaltens zu erkennen und zu lösen.

Die weitere Entwicklung hat dem Vorwurf des Linksfaschismus Recht gegeben, wobei die Verstärkung rechtsfaschistischer Strömungen mit dafür sorgt, daß die Extreme sich hoch-schaukeln. Die Begriffe „links" und „rechts" sind dabei besser durch „kleinbürgerlich" zu ersetzen: Auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich all die Bestrebungen zurückführen, die Abreaktion mit Aktion und Reflex mit Reflexion verwechseln. Wesentliche Teile der jugendlichen Protestbewegung, die man im allgemeinen Sprachgebrauch als radikal bezeichnet, sind somit in Wirklichkeit nicht radikal, sondern lediglich extremster Ausdruck des Systems (gegen das sie sich scheinbar wenden, das sie jedoch in Wirklichkeit produziert). Radikal sind nur diejenigen, die anstelle aggressiver Abreaktion die Revolutionierung des Bewußtseins fordern und auf diesem Weg der Massenaufklärung nicht nur den langen Marsch durch die Institutionen der bestehenden Gesellschaft antreten, sondern auch durch die Frustrationsaggressivität sozial-pathologischer Reaktion hindurchgehen müssen. Der Prozeß einer dynamisch sich entwik-kelnden Gesamtaufklärung und evolutionären Veränderung wird von links und rechts (wobei beide Begriffe irrelevant sind) wenn nicht unterbunden, so doch verzögert.

Bei dem Versuch, die Mentalität der Pseudo-Radikalen sowie die Wurzeln und Erscheinungsformen ihres Verhaltens zu deuten, ist der jeweils biographische Hintergrund nicht uninteressant. Ein größerer Teil der Pseudo-Radikalen stammt aus dem Establishment, das man umstürzen will. Der Kontakt zu den Schichten, die als das eigentliche revolutionäre Potential gepriesen werden, fehlt. Er wird durch eine Hinterhofromantik ersetzt, die — auch wenn die Jungrevolutionäre persönlich anspruchslos leben — als elitärer Snobismus (nämlich ein wahrer Proletarier zu sein) zur Schau getragen wird. Die Loslösung vom Mittelstand und dem „Bürgermief" der eigenen Familien ist lediglich rhetorisch vollzogen; die Konsequenz, etwa nun wirklich aktiv in dem Milieu zu wirken, von dem man sich das zukünftige gesellschaftliche Heil verspricht, fehlt. Man perpetuiert das alte Studentendasein mit seiner bohemehaften Einfärbung, wie es seit eh und je die Bourgeoisie als gesellschaftliche Enklave zubilligte; die modischen Allüren sind an einem Proletarierdasein orientiert, wie es sich das romantizistische Bewußtsein der Bourgeoisie vorstellt: schmuddelig; voll promiskuöser Sexualität; Ballonmützen; ein mit zünftigen fäkalischen Schimpfworten durchsetzter Jargon, wobei „Scheiße" gewissermaßen das Entree-Billett in die proletarische Utopie darstellt.

Auf rührende Weise versuchen die Pseudo-Radikalen die spätnaturalistischen Vorstellungen von der Proletarierwelt, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschten, zu verwirklichen, während in Wirklichkeit die Arbeiterschaft längst auf dem Weg in eine realistisch gesehene, an wirtschaftlicher Mitbestimmung orientierte, gleiche Chancen für alle fordernde Gesellschaftsordnung sich befindet. Von gelegentlicher persönlicher Sympathie abgesehen, besteht somit eine unüberbrückbare Kluft zwischen den bourgeoisen Vorstellungen vom Proletariertum bei den Pseudo-Revolutionären mit ihrem stilisierten Schein-Radikalismus und dem auf Sozialisation angelegten, realitätsorientierten gewerkschaftlichen Denken.

Unter den führenden Kräften des SDS findet man — der Zusammensetzung der Studentenschaft insgesamt entsprechend — kaum ein wirkliches Proletarierkind. Die Pseudo-Radikalen entstammen der Mittelschicht oder dem gehobenen Bürgertum. Ihr Elternhaus verkörpert, was man seit Jahrzehnten in Deutschland die „Stützen der Gesellschaft" nannte: Beamtentum, Pfarrer, Ärzte, Lehrer, Honoratioren der Wirtschaft und des Handwerks. Die Theoretiker der Linken meinen, die Tatsache, daß die Protestbewegung vor allem von Jugendlichen der Mittelschichten, die eine Schulbildung bis zur mittleren Reife oder bis zum Abitur genossen haben, getragen wird, sei darauf zurückzuführen, daß diese Jugendlichen länger in einem gewissen Schonraum sich bewegt haben, der von direkter und kontinuierlich wirkender ökonomischer Repression ausgenommen gewesen sei; ihr Ausbildungsprozeß habe größere Möglichkeiten für das Erlernen rationaler Techniken geboten. Doch kämen diese Jugendlichen aus kleinbürgerlichen Familien, die durch ein hohes Maß an irrationaler Autorität gekennzeichnet wären — was sich aufgrund des sehr verlängerten Bildungsganges viel stärker auswirke als bei Jugendlichen, die mit dem Eintritt ins Erwerbsleben der elterlichen Einflußnahme sich zunehmend entzögen. Während auf der einen Seite die elterlichen Autoritätsrepressionen länger wirksam wären, aber dennoch einen gewissen Spielraum für reaktive Abwehr, für Proteste böten, würden auf der anderen Seite die Repressionen des ökonomischen Bereichs die berufstätige Jugend, die Arbeiterjugend, zum Aufbegehren weniger veranlassen (zudem diese aufgrund ihrer Schulbildung auch weniger in der Lage sei, kritisches Bewußtsein zu entwickeln). Reimut Reiche stellt fest, daß nach seiner Schätzung mindestens jeder zweite der aktiv politischen Schüler in manifestem und permanentem Konflikt mit seiner bürgerlich-kleinbürgerlichen Familie lebe.

Die schichtentypischen pubertären oder post-pubertären Konflikte werden dabei politisiert. Die Loslösung vom mittelständischen Erziehungssystem wird als Revolution empfunden, während in Wirklichkeit lediglich das einen politischen Anstrich erfährt, was immer schon den bürgerlichen Studenten charakterisierte: nämlich während einer bestimmten Zeitphase das abreagieren zu dürfen, was die strengen und autoritären Erziehungsnormen verdrängend aufgespeichert haben.

Würden die individuellen biographischen Konflikte objektiviert und gesellschaftskritisch aufgearbeitet, entstünde in der Tat dem apolitischen Tugendsystem des Mittelstandes eine große Gefahr. Doch werden die individuellen Neurosen bei den Pseudo-Radikalen lediglich mit einem soziologischen Jargon, die individuelle Abreaktion mit einem pseudorevolutionären Schein umhüllt. Schon jetzt zeigt sich, daß jeweils nach einer bestimmten Phase die Pseudo-Radikalen abtreten und sich leise ins Establishment zurückziehen. Im Wohnzimmer steht dann das Erinnerungsbild ä la Mao; und so, wie man früher der bierseligen, affärenreichen, frisch-frei-fröhlichen Korporationskumpanei sich erinnerte, erfreut man sich nun der Vietnam-Demonstrationen und Rektorratsbesetzungen. Es ist in diesem Zusammenhang auch bezeichnend, daß der Protest gegen die in der Tat erschütternden Kriegsverbrechen in Vietnam völlig unverbindlich bleibt und kaum je eine Nachricht bekannt wird, daß die Pseudo-Radikalen irgendeine konkrete Hilfe für die Kriegsopfer in Vietnam leisten. Wenn es um Geld oder konkreten Einsatz geht, sind die Pseudo-Revolutionäre genauso zurückhaltend wie ihre spät-kapitalistische bürgerliche Umwelt, der sie objektiv richtig, aber subjektiv nicht berechtigt Erbarmungslosigkeit vorhalten. Als Söhne und Töchter eines schaffensfrohen, aber besinnungsarmen Bürgertums reagieren die Pseudo-Radikalen wie die Schicht, aus der sie stammen; sie reagieren das ab, was ein System der Sekundärtugenden, der Tabus und Ideologeme, der Disziplinierungen und oktroyierten Versagungen, mangelnder Sozialisation und ökonomischen Zwangs in ihnen auf-speichern ließ. Man erkennt zwar, daß die Reproduktion überflüssig gewordener Tugenden und Opfer innerhalb der technologischen Gesellschaft von heute sinnlos geworden ist und diese Gesellschaft nicht mehr nach den Vorstellungen des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts gestaltet werden kann, aber man ist nicht in der Lage, auch nicht in die Lage versetzt worden (und insofern beweist das eigene Verhalten die Berechtigung der Kritik am repressiven Erziehungssystem), Verhaltensmodelle zu entwickeln, die jenseits einer puren Abreaktion liegen. Dort, wo aufgrund des Zwangs der Verhältnisse bzw.der sozialgeschichtlichen Entwicklung das kleinbürgerliche Tugendsystem verhältnismäßig früh abgebaut und durch einen ziemlich unsentimentalen Realismus ersetzt wurde, wie in der Arbeiterschaft (was nicht bedeuten soll, daß nicht auch in der Arbeiterschaft starke kleinbürgerliche Tendenzen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sich erhalten haben), ist die Verdrängungsaggressivität viel weniger vorhanden. Ein Vergleich der nachfolgenden zwei Äußerungen (die erste von einer Kontoristin aus bürgerlichen Kreisen, die zweite von einem Facharbeiter aus proletarischem Milieu) charakterisiert diesen Tatbestand, wobei natürlich nur die Polarität des Verhaltens, nicht das dazwischen liegende weite Spektrum der Nuancen aufgezeigt wer-_ den kann: „Meine Eltern wollen mir auch gar nichts gönnen. Wenn es nach ihnen ginge, sollte ich jeden Abend zu Hause sitzen, obwohl es furchtbar langweilig ist. Ihre Unterhaltung interessiert mich nicht; es geht immer nur um Verwandte und Bekannte; ich soll von meiner Arbeit im Büro erzählen und dann wird höchstens noch über Preise oder irgendwas aus der Zeitung geredet. Und außerdem ferngesehen. Aber das ist doch auch meist langweilig. Um fortzukommen, muß ich ganz schön was zusammenlügen, wenn ich dann erst spät wieder eintrudele, gibt es tagelangen Krach und wieder Lügen. Wenn die wüßten! . . . Aber die Erwachsenen sind ja so dumm." „Für mich gibt es kein Jugend-Alter-Problem. Ich stehe mit meinem Vater glänzend. Wir haben die gleichen Interessen — Allgemeinbildung, Sport, Politik —, wenn auch nicht immer die gleiche Meinung. Er hat in seinem Leben viel mit-und durchgemacht und sich bewährt. Deshalb hat er mir viel zu sagen und auch das Recht dazu, daß ich ihm zuhöre und daraus lerne."

Die Identifikation zwischen Arbeiterschaft und rebellischen Studenten ist allein schon wegen des biographischen Unterschieds sehr gering. Abgesehen von einer gewissen Aversion dem Intellektuellen gegenüber, vor allem, wenn dieser mit seinem Jargon besonders elitär sich gebärdet, und einer traditionellen Skepsis den Universitäten gegenüber, von denen man seit ihrem Bestehen weitgehend ferngehalten wurde, identifizieren die Arbeiter sich nicht mit den Studenten, weil es eben nicht die eigenen Söhne und Töchter sind, die dort rebellieren und die Gesellschaft zu verändern suchen.

Eine andere Gruppe der Schein-Radikalen entstammt nicht repressiven mittelständischen Elternhäusern, sondern sozial-liberal orientierten Familien — Familien, die in einem guten Sinne bürgerliche (ideelle wie materielle) Solidität verkörpern. Prototyp dieser Gruppe ist Peter Brandt geworden: „Wir wollen die Herrschaft von Menschen über Menschen einschränken. Wir streben nach einer Gesellschaft, in der nonkonformistische Haltungen nicht einfach unterdrückt und junge Menschen nicht nur zu Befehlsempfängern, sondern zu kritischem Denken und Handeln erzogen werden. Uber Jahrhunderte hinweg hat doch bisher die ältere Generation immer versucht, ihre eigenen Ideale der Jugend aufzuzwingen, hat man die Jugend dazu erzogen, Befehle entgegenzunehmen und sich nach dem zu richten, was gerade gang und gäbe war. Sich immer und überall anzupassen, aber nicht selbständig zu entscheiden. Anpassung ist die wichtigste Parole, jede individuelle Anlage wurde dabei verschüttet; das Ergebnis war, daß man mit 20 Jahren einen fertigen Spießbürger hatte, der alles mitmachte."

Der Denkansatz des liberalen und sozialen Aufbegehrens gegen die Zwänge der Anpassung und Manipulation erfährt hier den generationstypischen Impetus, der sich im wesentlichen aus zwei Gründen gegen das liberale Elternhaus wendet: Erstens glaubt man zu erkennen (und dies entspricht durchaus objektiven Gegebenheiten), daß die bisherigen Methoden liberaler Kritik reichlich erfolglos geblieben sind, da man sich im liberalen Lager auf die kritische Theorie verließ, statt in die Praxis der schon von Marx geforderten, die Interpretation überwindenden revolutionären Handlung „umzusteigen".

Zweitens sind gerade die Familien, welche die liberale und sozialistische Denkungsart verkörpern, von der Last der politischen Aufbau-arbeit nach 1945 derart absorbiert gewesen, daß eine individuelle Entfremdung der Kinder von ihren Eltern sich vollzog (weil die Väter nicht zu Hause waren). Dieser sehr konkret zu verstehende Zustand der „vaterlosen Gesellschaft" — nehmen wir zu dem politischen Engagement das wirtschaftliche und die übrige, das Familienleben weitgehend absorbierende Tätigkeit des Managements in allen Berei-chen — mußte die psychische Unruhe und die aus der familiären Frustration erwachsende Aggressivität steigern. Auf der anderen Seite zeigt das Verhaltensmuster der Revolutionäre aus liberalem Milieu, daß hier größere Bereitschaft und Fähigkeit besteht, die scheinradikalen Verwirrungen zu durchschauen und über selbstkritische Reflektion zur eigentlichen Dynamisierung der Gesellschaft zu gelangen.

Das Besondere der studentischen Situation besteht darin, daß auf der einen Seite die Universität als Schon-und Hegeraum die Entwicklung einer Subkultur außerordentlich fördert, auf der anderen Seite die Studien-und Berufsziele jeder subkulturellen Abkapselung entgegenstehen, vielmehr die zunehmende Bejahung des Realitätsprinzips fordern. Das Dilemma der Studenten, für die Gesellschaft sich vorbereiten und doch von dieser Gesellschaft abgekapselt leben zu müssen, bewirkt eine neurotische Mentalität, die einer gesellschaftlichen Integration im Wege steht.

Noch ist es der modernen Industriegesellschaft nicht gelungen, die Funktion des Studenten neu zu durchdenken, d. h. Institutionen zu schaffen, die Studium und Realität verknüpfen und dennoch für die wissenschaftliche Entwicklung genügend Zeit lassen. Dem im östlichen Bereich mehr oder weniger geglückten Versuch, den Studenten bereits während seiner Studienzeit in den Arbeitsprozeß einzufügen, entspricht im Westen kein freiheitliches Pendant. Um so mehr fixieren sich häufig die Sehnsüchte der in die Abkapselung gedrängten Studentenschaft auf extreme Experimente wie das der chinesischen Kulturrevolution, die mit dem Anspruch auftritt, der Jugend die eigentliche gesellschaftliche Motorik zu übertragen. Der handfeste Ausspruch eines Berliner Studenten, warum er dem SDS beigetreten sei: „Warum? Das war das entfremdete Scheiß-Studium, mein Bart, das Alleinsein und daß ich in meinem isolierten ästhetischen Protest gegen die Zustände bei uns nicht weiter wußte", charakterisiert symptomatisch die aus der Frustration erwachsende Flucht in den Zelotismus, in die revolutionäre Aktivität, mit der man endlich die Entfremdung von der Gesellschaft zu überwinden hofft.

Man schätzt, daß heute jeder fünfte Student in der Bundesrepublik unter psychischen Störungen leidet, die sich als Konzentrations-und Gedächtnisstörung sowie als Gefühl der Entmutigung und des Überdrusses manifestieren; „beschissen" und „Scheiße" sind die beliebtesten studentischen Vokabeln für diesen Zustand. Studienfächer wie Soziologie, Germanistik, Politologie, die Geisteswissenschaften überhaupt sind von der Frustration viel stärker erfaßt als die konkreter ausgerichteten Naturwissenschaften.

Bakunin hat angesichts junger Scheinradikaler seiner Zeit die Frage aufgeworfen, ob sie am Ende — durch Not erbittert — „deshalb so schreien und so viel Lärm machen, weil sie sich dadurch eine gewisse Bedeutung und eine angenehme Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen hoffen".

Als Ursachen für die Unruhen der Studenten nennt S. M. Lipset: 1 Statusinkonsistenz (hoher Status außerhalb, niedriger innerhalb der Universität); 2. Rollenambivalenz (zwischen der Rolle der Jugendlichen und der des Erwachsenen); 3. Unsicherheit in bezug auf die eigene (insbesondere berufliche) Zukunft.

Die Statusunsicherheit (ob das angestrebte und vorgeschriebene Studienziel erreicht und damit der Einstieg in die Berufslaufbahn möglich wird) dauert bei den Studenten — verglichen mit anderen Bevölkerungsschichten — sehr lang. Die Gefahr des Scheiterns wirkt sich besonders gravierend und enervierend aus, da der Übergang in eine andere Tätigkeit wegen des fortgeschrittenen Alters schwierig ist. Frustration und Angst werden durch Aggression kompensiert. Da die Universität noch nach feudalen Gesichtspunkten organisiert ist, geraten die Studenten, die in einem weitgehend abgekapselten Bereich leben, in die Gefahr, die Erfahrungen ihres Lebensbereiches kritiklos auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen, so daß angesichts des Rückstandes im Universitätsbereich der Fortschritt in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht erkannt bzw. neurotisch übersehen wird.

Provokation und Underground

Die Funktion der Provokation ist es, Normen, Regulationen, Attitüden, Tabus, Stereotypien „besinnungslos" gewordener etablierter Ordnungen im Denken und Handeln aufzubrechen, um auf diese Weise den Boden für die intentionale Aktion vorzubereiten. Unter dem Einfluß des an sich politisch irrelevanten Happenings entwickelte sich ein umfangreiches Instrumentarium provokatorischer Aktionen. Neben den „konventionellen" Formen des Pro-tests, die freilich seit längerem nicht mehr benützt worden waren (wie Eier, Tomaten, Mehl-tüten, Senfbeutel), entstanden im go-in, teach-in, love-in, sit-in Formen des gewaltlosen Widerstandes, die freilich nur deshalb möglich sind, weil sie in einem letztlich demokratischen System stattfinden.

Grundsätzlich gilt, daß hier eine Methodik des Protests entwickelt wurde, die über Tabu-verletzung, Schock, Unruhe, Unordnung (von der Kleidung bis zum Sprechchor, von der Obszönität bis zum ApO-Jargon) Auflockerung bewirkt und die Chancen der Wandlung wesentlich erhöht hat. Provokation und Verunsicherung, die das Zeremoniell und Ritual, die Selbstsicherheit und Hybris zu erschüttern vermögen, sind konstruktiv, da sie durch Lokkerung (der Systeme, der Apparaturen und Mechanismen) strukturelle Veränderungen erleichtern. Wir brauchen Störfaktoren gegen Zwänge; Provokation, die die geistige Auseinandersetzung belebt; Verunsicherungen, die Dynamisierung bewirken; Gespräche, die sich nicht mit Worten begnügen, sondern Erfolgsmeldungen fordern.

Mit Recht hat Habermas darauf hingewiesen, daß die neuen Techniken der begrenzten Regelverletzung gegenüber einem bürokratisierten Herrschaftsapparat und angesichts eines publizistischen Bereichs kommerzieller Massenbeeinflussung einen neuen Stellenwert erhielten: Sie dringen in die Nischen eines frontal unangreifbaren Systems ein. „Sie erzielen mit relativ geringem Aufwand überproportionale Wirkungen, weil sie auf Störstellen komplexer und darum anfälliger Kommunikationsnetze gerichtet sind." Der „Trick" der Pop-Kultur, ins Halbbewußtsein abgeglittene Alltagsbilder in Größe, Farbe oder Kontur zu übertreiben, zu verdoppeln (zu multiplizieren) und sie damit ins volle Bewußtsein zurückzuholen, charakterisiert auch die Demonstrationstechniken, die durch „Verdoppelung" Statussymbole der Lächerlichkeit preisgeben. Dadurch wird z. B. plötzlich deutlich, daß Talare den Muff von Jahrhunderten in sich haben, daß die Establishmentreden aus dem offiziellen Sprachschutt nur immer wieder neu zusammengebastelt werden, daß die „Ideale" aufgeblasene Popanze sind, die man mit einem Nadelstich der Vernunft ihrer Luft berauben kann.

Die durch solche Demonstrationstechniken bewirkte Politisierung der Öffentlichkeit, wie sie sich in den letzten zwei Jahren vollzogen hat, ist, wenn man sich der Verhältnisse noch vor dieser Zeit erinnert, geradezu erstaunlich. Die Chance der Politisierung der Öffentlichkeit geht freilich verloren, wenn die Methodik des Protestes nicht weiterentwickelt wird bzw. die emotionale Abreaktion die eigentlichen Zielpunkte verwischt.

Welche Gefahren dabei entstehen, hat Hartmut von Hentig klar ausgesprochen: „Beide Seiten sind in dem Begriff, mit je zwei falschen und gefährlichen Folgerungen zu reagieren: die Etablierten damit, daß sie die Macht entweder zynisch einsetzen oder sie abschieben; die Aufbegehrenden damit, daß sie sich entweder mit der Entlarvung oder mit der Usurpation begnügen. Die Möglichkeiten der Etablierten lassen sich aufgrund früherer Erfahrungen abschätzen und stehen vor allem in keinem prinzipiellen Widerspruch zu ihren Absichten. Die der protestierenden Schüler und Studenten münden in einer Gesellschaftsfeindlichkeit, die ihrem ursprünglichen Ansatz widerspricht. Sie gehen auf die Straße, um eine von den zwei Möglichkeiten zu erzwingen: die anderen müssen zurückweichen oder zurückschlagen. Und das gelingt unfehlbar, weil die Gesellschaft nichts anderes gelernt hat! In beiden Fällen beweist sie, daß sie im Unrecht ist und in beiden Fällen muß sie darin verharren. Denn sie kann die Jugendlichen von daher nicht mehr belehren, wie falsch, hohl, kurzlebig eine Macht ist, die darin besteht, daß man Polizisten, Lehrer, Professoren, Bürgermeister auf die Probe ihrer Nerven stellt — darin, daß man ihre Hemmungen strapaziert, bis ihre , wahre', die gewalttätige, die . faschistische'Natur zum Vorschein kommt. Es war heilsam für unsere Gesellschaft zu erfahren, daß sie so liberal, so tolerant, so gewaltlos nicht ist, wie sie es sich seit 20 Jahren mangels Herausforderung einbildet. Nein, sie ist nicht tolerant! Aber dann: wer von uns ist es? Die Provokationstheorie der Jugendlichen beruht auf einer falschen Anthropologie. Es ist eben leider gar nichts damit gewonnen, wenn man die öffent-liehe Ordnung stört, um ihre Inhumanität zu beweisen'(Rechtsanwalt Mahler). Wir müssen froh sein über jedes bißchen Hemmung, das sich über unsere Natur legt, dankbar für die Umstände, die den wahren repressiven Charakter nicht hervor-und in Aktion treten lassen."

Gegenteilige, jede Dynamisierung verhindernde Wirkung haben Provokationen, die als triebdynamische Abreaktion außerhalb der Reflexion stehen. „Die radikalen Prostestaktionen der Jugendlichen und die Formen, in denen sie ablaufen, stellen sich in der hier gegebenen sozialpsychologischen Ableitung zunächst dar als kollektive Ansammlung individueller Ausbrüche aus den verschiedenen ökonomischen Repressionszwängen und psychischen Anpassungszwängen."

Sie übernehmen in einem sozialhygienischen Sinne geradezu Orgasmusfunktion. Genaue Filmstudien von Demonstrationen zeigen, wie man sich rhythmisch in den Klimax hineinskandiert, bis der Triebstau durch verbale oder brachiale Abreaktion gelöst werden kann. Die triebdynamische Gefährdung der neuentwikkelten Demonstrationsmethoden ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da innerhalb stark formalisierter und konventionalisierter Systeme an sich nur eine affektive Motorik zur Regelverletzung befähigt. Das Repertoire des tabubrechenden, provozierenden, irritierenden Widerstands steht erst zur Verfügung, wenn man sich in den Zustand der Enthemmung versetzt hat bzw. in diesen versetzt worden ist. Die Söhne und Töchter „aus gutem Haus" müssen rigoristisch die anerzogenen und weiterwirkenden Hemmungen überwinden, ehe sie eben in die. „Nischen des frontal unangreifbaren Systems" einzudringen vermögen; es wäre somit unbedingt notwendig, zugleich mit dem „Aufbau" gewisser Affekte und Emotionen diese in der Reflexion zu neutralisieren und intellektueller „Katharsis" zu unterziehen.

Die Regelgläubigkeit der Gesellschaft ist freilich so stark und oft derart unreflektiert infantil, daß die Regelverletzung ebenfalls auf infantilem Niveau sich bewegen muß, um Erfolg zu haben. Auch wo die ApO infantil reagiert, denunziert sie das System, das derartige infantile Reaktionen produziert!

Die Demonstrationsmethoden ritualisieren gewissermaßen pubertilen Trotz — und gerade deshalb sind sie erfolgreich. Der Erfolg wiederum bedeutet weitere Regression. Die Spirale dreht sich nach unten: Aus den ehemals sublimen Formen der Demonstration wie teach-in, sit-in werden Faschingsscherze, bis man schließlich in Hörsälen und Rektorats-zimmern vandalistisch und fäkalisch sich abreagiert. Der Protest verliert, je mehr er sich verstofflicht, den eigentlichen ironischen Effekt. Wenn das Happening nicht mehr das lächerlich macht, was lächerlich ist, sondern selbst in seiner Primitivität sich bloßstellt, werden Aufklärungsprozesse nicht in Gang gesetzt, sondern unüberwindbare emotionale Barrieren aufgerichtet. Das mit großem Ernst entwickelte Instrumentarium der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung verändert sich in den Händen der Scheinradikalen zum wirkungslosen Affekt. Statt durch Demonstration zur Reflexion und Massenaufklärung beizutragen, das Bewußtsein der Bevölkerung zu aktivieren, verschafft man sich lediglich Fixierungspunkte für eine unbewältigt gebliebene Aggressivität. Solche Ventilierungen mögen in einer repressiven Gesellschaft durchaus ihren sozialhygienischen Wert haben. Aufklärung werden sie nicht bewirken, sondern eher verhindern. Die große Chance der Demonstrationsfreiheit und der Demonstrationswirksamkeit ist in dem Augenblick vertan, in dem man Demonstration und Provokation nicht mehr als praktizierte Reflexion begreift, sondern sie in die Gewalt abgleiten läßt.

Mit Recht hat Jürgen Habermas darauf hingewiesen, daß die Scheinradikalen eine Universitätsbesetzung oder die Verwüstung eines Instituts mit der faktischen Machtergreifung verwechseln: „Derjenige, der sich der aus der Protestpsychologie von Jugendlichen stammenden Technik nicht als Erwachsener, nämlich im Bewußtsein ihres virtuellen Charakters bedient, wer sie vielmehr wie das Kind selber ernst nimmt, verfällt damit einem Infantilismus." Am Hofe der Scheinrevolutionäre siedeln sich Harlekins an, die gerade deshalb, weil sie die Attitüde des Unverantwortlichen einnehmen, von der Bourgeoisie mit einer gewissen Haßliebe gehätschelt werden. Die Revolutionierung des Bewußtseins kann nämlich am sichersten verhindert werden, wenn der Elan sich im Spektakel verbraucht. Das Phänomen Teufel ist hier besonders aufschlußreich. Fritz Teufel und seine Kommunarden verkörpern all die Untugenden, nach denen sich bestimmte Kreise, die in die System-zwange von Ordnung und Sauberkeit, Anpassung und Ja-Sagertum eingepaßt sind, sehnen; es sind langhaarige Clowns, die auf häufig amüsante, zeitungsund illustriertenfül-lende Weise mit den Tabus spielen, die das eigene Dasein einengen. Spott auf die Justiz, ein bißchen Pornographie, ein bißchen Revolution, ein bißchen Unsauberkeit, vor allem aber die Propagierung von Gruppensex erfrischen stagnierende Alltäglichkeit. Inmitten der tierisch-ernsten Gesellschaft wandert Fritz Teufel als Narr durch die Lande — ein Narr, der aus Abreaktion und Revoluzzertum erheblichen Lustgewinn zu ziehen vermag, von den Massenkommunikationsmedien verwöhnt wird und offensichtlich dadurch wirtschaftlich nicht schlecht gestellt ist. Das Motto der Berliner Studenten, als sie im August 1967 die Freilassung Fritz Teufels mit einem Happening auf dem Kurfürstendamm begrüßten: „Man muß den Teufel feiern, solange er los ist!", kann geradezu auch als Motto für eine Gesellschaft gelten, die selten genug eine einigermaßen witzige Provokation erfährt. Daß Fritz Teufel wegen , eines geschmacklosen Flugblattes auch durch einen Prozeß politisch aufgewertet wurde, zeigt die desolate Situation, in der sich die Wahrer der öffentlichen Ordnung dann befinden, wenn sie das Augenmaß für die Verhältnismäßigkeit der Mittel verlieren.

Die der Frustrationsaggressivität zugrunde liegende sozialpathologische Situation zeigt sich im besonderen Maße in der Regression des jugendlichen Protestes auf die analerotische Stufe. Der romantische Hang zur Unsauberkeit, die Koketterie mit dem Schmutz und die in den revolutionären Redefluß konstant eingelagerten pornographischen und fäkali-schen Schimpfworte offenbaren die tiefe neurotische Verwirrung einer Jugend, die offensichtlich auf diese Weise versucht, den rigorosen Sekundärtugenden oktroyierter Sauberkeit und Ordentlichkeit sowie dem im Glamour-Glanz propagierten Idolen der Wohlstandshygiene sich zu entziehen. Auch hier zeigt sich nur die Kehrseite der Medaille: Der Sauberkeitswahn der Bourgeoisie schlägt in sein reaktives Gegenteil um. Der menschliche Aspekt geht so oder so verloren.

Es ist rührend und zugleich tragisch zu sehen, wie „gut erzogene" Jugendliche unter dem magischen Zwang, der eigenen Erziehung zu entgehen, mit großer Überwindung vulgäre] Wortschatzes sich befleißigen, der sexuelle] Oppression ihre Brunftschreie entgegenschleu dem, um so endlich einmal Mensch (allzi menschlich) sein zu können. Bestimmte Publi kationen liefern die Vorbilder für einen der artigen scheinradikalen Affekt. Neben den vie len Traktätchen, die schlecht hektographier und in stümperhafter Orthographie (aber aucl dies wird bereits mit revolutionärer Aura um geben!) einen Wust von sexualpathologischei und polito-pathologischen Beschimpfungen aus stoßen, ist besonders auf die gepflegten Gazet ten hinzuweisen, die mit extravaganter Typo graphie und bourgeoisen Stripteasebildern die revolutionär-modischen Gags liefern.

In Hinblick auf die Jüngeren der Revolutio näre versucht „Underground" sein Geschäf mit den triebdynamischen Problemen der Jugend zu machen; ein durch und durch kapitalistischer Verleger will — ähnlich wie die linkskapitalistischen Verlage — seinen Geschäftsumsatz dadurch erhöhen, daß er die Kritik am System, dem er selbst angehört, gewinnbringend verkauft. „Underground“ fordert auf zur Denunziation; Lehrer-Dossiers lenken den aufgestauten Haß auf bestimmte Sündenböcke; Pennälersexualität wird witzlos ausgeschlachtet; das Geschäft mit der jugendlichen Neurotik blüht. Als Witz gilt etwa dei Vorschlag für den Totensonntag, „ein gepflegtes Friedhofs-go-in (muß angemeldet werden)" zu veranstalten — „zu Ehren des versteinerten Establishment so gegen vier." Statt das in der Tat vielfach erbärmliche Schulsystem in der Bundesrepublik und die autoritären Lehrmethoden zu analysieren und exakte Gegenmodelle einer freiheitlichen Pädagogik auszuarbeiten und zu realisieren, gefällt sich diese Publizistik in einem nichtssagenden sadistischen oder masochistischen Leerlauf.

Für die ältere Generation signalisiert „konkret", dieses linke „Jasmin", die pseudorevolutionären und scheinradikalen Ziele. „Konkret" macht sein Geschäft damit, daß es die modische Kombination von Politik und Sexualität, von Sozialkritik und „Pornographie des Todes" erfolgreich zu vermitteln und zu illustrieren vermag. Es erfüllt im Sinne eines gepflegten Herrenmagazins sowohl die bourgeoisen Voyeurinteressen wie das links-romantische Prostitutionsbedürfnis. Versandhäuser annoncieren die „Erotika vom Fachmann porto-und verpackungsfrei"; love-in und kill-in sind bis an die Grenze der Indizierung stets wortreich vertreten. Eklatant zeigt sich z. B. die oberflächliche Tendenz dieser Zeitschrift, wenn der Abdruck von Reimut Reiches Werk „Sexualität und Klassenkampf", der Arbeit eines linksradikalen Moralisten, mit den üblichen Pin-up-Nackedeis illustriert wird, was eben insofern symptomatisch ist, als „konkret" all die spätbürgerlichen Attitüden durchspielt, die einige seiner Beiträger mit großem rhetorischen Schwung bekämpfen.

Es ist erstaunlich, aber wohl als Anlehnungsbedürfnis (aus tiefer Vereinsamung heraus) zu verstehen, daß die linksradikalen Kräfte, die auf durchaus rationaler Basis die bestehenden Machtverhältnisse und die damit verknüpfte Manipulation des Bewußtseins analysieren, im eigenen Bereich nicht erkennen oder nicht erkennen wollen, daß sie das, was sie bekämpfen, zugleich verbreiten helfen.

In Hinblick auf eine „Didaktik des Protests" wären vom liberalen Standort aus die folgenden Überlegungen anzustellen. Die Provokation kann inhaltsbezogen sein; sie kann jedoch auch im Sinne des Happening ganz allgemein die Dynamisierung bewirken wollen, von der aus dann die inhaltlichen Entscheidungen und Vorschläge zu diskutieren und zu realisieren sind. Als militant non-violent action ist sie ein wichtiges Stimulans auf dem langen Marsch durch die Institutionen und Dispositionen, Teil der Strategie der Massenaufklärung. Die Provokation dramatisiert den Konflikt, so daß er sich via Wahrnehmung ins Bewußtsein drängt, also nicht mehr verdrängt werden kann (das Elend der Kinder in Vietnam z. B., durch die konventionellen Kommunikationsmittel, durch die Reproduktion von Bildern in Film, Fernsehen, Illustrierten, Zeitungen vermittelt, wirkt kaum mehr so stark, daß es eine humanitäre Aktion hervorriefe). Erst durch die provokatorische Steigerung optischer, akustischer, verbaler oder anderer Mittel wird Aufnahmefähigkeit hergestellt. Zudem macht die Provokation, da sie als solche selbstverständlich auf Widerstand und Gegendruck stößt, deutlich, daß es entsprechender Anstrengungen bedarf, um die Ziele der Aktion erreichen zu können; so bewirkt die Provokation Aktivität. Sie muß — indem sie das Etablierte herausfordert — Alternativmodelle anbieten bzw. in Aussicht stellen. Sie sollte, obwohl sie zunächst mehr auf die allgemeine Dynamisierung des Bewußtseins als auf die inhaltliche Zielsetzung ausgerichtet ist, bereits Teile der Alternative exemplarisch, sozusagen psychosomatisch, mit sich „transportieren"; dadurch bewirkt die Provokation nicht nur Gegendruck und Widerstand, sondern auch Sympathie, die als emotionale Wegbereitung für Reflexion nicht zu unterschätzen ist.

Der liberalen und humanen Provokation, die ohne Gewalt zur Bewußtmachung und Massen-aufklärung beitragen will, steht die militante pseudo-radikale Provokation gegenüber, die sich im Dienste der Manipulation in die Gewalt hineinsteigern will, weil aufgrund des dadurch hervorgerufenen starken Gegendrucks die Angstbarriere der Provozierenden abgebaut und diese so zur „verschworenen Gemeinschaft" (distanzloser Solidarität) „zusammengeschweißt" werden können. Die Faschisten und Nationalsozialisten haben solche militant violant action mit Erfolg praktiziert. SDS-Vertreter, die diese, die Möglichkeiten des Lernprozesses negierende, dafür die eigene Gruppe emotionalisierende Provokationstheorie verfechten, begeben sich dabei (bewußt oder unbewußt) in gefährliche Nähe zum Faschismus.

Die Provokation, die nicht reagiert, sondern agiert, nicht Reflexe hervorruft, sondern Reflexion bewirkt, vollzieht sich in folgenden Schritten: Nach abgeschlossenem Lernprozeß (in einer „Spielraumphase") wird das Ergebnis des Lernprozesses in die entsprechende provokatorische Handlung umgesetzt und manifest gemacht. Zugleich wird durch die Provokation die jeweilige Erkenntnis so verbreitet, daß auch anderen die „Augen und Ohren, das Herz und der Verstand" aufgehen; die Provokation hat eine multiplikatorische Wirkung. Mit dem nächsten Schritt wird die Alternativ-Lösung, das antizipatorische Modell „nachgeschoben" und so der provozierenden wie provozierten Seite die Möglichkeit geboten, auf die Alternative sich „einzuspielen", also die gesellschaftliche Entwicklung voranzubringen.

Die faschistoide Provokation versucht durch den Terror der Provokation den anderen soweit in die Enge zu treiben, daß er zu einem Lernprozeß nicht mehr fähig ist, sondern nur noch zurückzuschlagen vermag; dieses Zurückschlagen hat auf die provozierende Gruppe die bereits beschriebene Wirkung der Aggressivitätssteigerung; der Haß ist ein bewährtes einigendes Band. Im postrevolutionären Zeitalter wird die Eskalation des Terrors dadurch beendet, daß die etablierten Mächte den Sieg davontragen; so sinkt nach einiger Zeit die versuchte Provokation in sich selbst zusammen; da sie die Phase der Reflexion versäumt und keine Alternativmodelle entwickelt hat, bleibt sie ohne Wirkung für eine progressive Entwicklung. Die aktivierende, progressive Provokation kämpft demnach an zwei Fronten: Auf der einen Seite gegen den Widerstand des Establishments, das sich seine Statik zu erhalten sucht, und auf der anderen gegen die reflexbestimmte, aber reflexionslose faschistoide Mentalität der Scheinradikalen, die ihr Versagen auf dem Weg der Radikalisierung des Bewußtseins nun durch Gewalt zu kompensieren versuchen. Angemerkt muß werden, daß selbstverständlich der „Einsprung" aus der terroristischen in die aktivierende Provokation möglich ist, d. h., auch ein Spontanreflex, der nicht durch die Reflexionsphase des Spielraums gegangen ist, nachträglich sublimiert, also der in der Spontanprovokation sich vollziehende instinktive Lernprozeß durch Reflexion objektiviert werden kann.

Die hier zur Provokationstheorie und -praxis gemachten Ausführungen sollen am Beispiel der Sprache illustriert werden. — Die offizielle Redeweise wird von der Jugend in ihrem Leerlauf erkannt. Die Analyse allein ist jedoch nicht in der Lage, den Leerlauf zu verhindern; es fehlt ein genügend starkes kritisches Gesamtbewußtsein, um die offizielle Sprache in ihrer Perversion zu entlarven. Dies kann z. B. durch imitierende und skandierende Sprechchöre geschehen. Die Störung muß jedoch so dosiert sein, daß sie nicht zur Zerstörung führt, also die offizielle Rede nicht sprengt oder verhindert, da auf diese Weise der eigentliche Lernprozeß verhindert würde. Zugleich muß die Provokation bereits das Modell einer neuen Redeweise ins Bewußtsein „transportieren", damit der Lernprozeß Anknüpfungspunkte bekommt.

So reagierte die studentische Jugend auf die verbale Frustration mit der Formung einer neuen Sprache, die unter Rückgriff auf die soziologischen Wissenschaften exakte Diagnosen ermöglicht und dialektisch hart Probleme angeht, die vor allem darauf aus ist, Denkprozesse in Bewegung zu setzen. In diese Sprache werden gerne tabu-zerstörende provokatorische Worte eingefügt, deren inhaltliche Bedeutung oft unerheblich ist, die aber als verbale Sprengsätze die Fassaden der Verlogenheit aufzureißen vermögen. Da die Gebote des guten Geschmacks, des Taktes, der Höflichkeit häufig nur Vorwand sind, Wahrheit vermeiden, Tabus etablieren, Konflikte verdrängen zu können, ist der barsche, aggressive Stil der jungen Generation von stark dynamisierender Wirkung. Als sozialpsychische Reaktion auf die Ja-Sager-Sprache einer affirmativen Kultur entwickelte sich eine stark ausgeprägte Negation. Im Spielraum der Diskussion, der den Aktionsraum für die Provokation ungeschmälert bestehen läßt, könnte in harter Auseinandersetzung (im Rollenspiel) die stereotypisierte Redeweise analysiert und so durch Meinungsaustausch (verbalen Schlagaustausch) beiden Seiten die Möglichkeit zur Revision geboten werden.

Gerade in Hinblick auf die offizielle wie reaktive revolutionäre Redeweise wird jedoch deutlich, wie wenig es zu einem wirklichen Lernprozeß gekommen ist. Die Provokationen gegen die offizielle Rede werden immer mehr zur Abreaktion. Zwar konnte die Unbekümmertheit der offiziellen Suada gebrochen bzw.

diese verkürzt werden. Die als Alternative entwickelte Sprache ist jedoch als „Jargon der Dialektik" ebenfalls in Gefahr, in Manipulationstechnik abzugleiten. Statt Verständigungsbasis zu sein, ist der „Jargon der Dialektik" (wie der „Jargon der Eigentlichkeit") Ritual; die eigene Gruppe soll als verschworene Gemeinschaft vor dem Gegner, der als Feind interpretiert wird, abgeschirmt werden; oder die Sprache wird als inhumaner Stoßkeil benützt, um menschliche bzw. politische Unfähigkeit zu entlarven. Es wird nicht erkannt, daß Verständigung und damit Sprache gerade auch des Humors bedürfen, damit die notwendige sachliche Härte menschlich gemildert, di© Schwäche des anderen nicht nur bloßgelegt, sondern auch verstanden, der Ärger am anderen durch eine gewisse Freude am anderen ausgeglichen wird. Diese Notwendigkeit der Humanisierung des Prozesses-der Auseinandersetzung ist den Protestierenden wie dem Establishment fremd.

Die vor kurzem so hoffnungsvoll begonnene Neuformation der Sprache und ihre Ausrichtung auf Wirklichkeitsanalyse und dialektische Auseinandersetzung werden zum Ausdruck einer antirationalen verbalen Abreaktion, bei der die teilweise aus dritter Hand übernommenen Klischees besinnungslos auf den Feind abgeschossen werden, der durch Sprache verletzt bzw. vernichtet werden soll. Die Sprache als Terror, d. h. als Mittel, Einrichtungen oder Menschen „fertig" zu machen, entspricht als Kehrseite der Medaille der ideologischen Instrumentalisierung der Sprache in autoritären und totalitären Systemen.

Natürlich ist die Wurzel dieser verbalen Aggressivität anders als beim Establishment. Was sich hier an sprachfaschistischer Attitüde zeigt, ist Produkt einer langen Fehlentwicklung, die die jugendliche Mentalität in solche Reaktion getrieben hat. Doch müßte sowohl vom Denkansatz wie von der anthropologischen Substanz her es vielen jungen Menschen möglich sein, in Selbstkorrektur aus der Reaktion zur Aktion vorzustoßen, d. h. eine Sprache zu entwickeln, die nicht im Rahmen faschistoider Freund-Feind-Kontraste agiert, sondern bei aller Notwendigkeit von Schärfe und Härte der eigentlichen Zielsetzung: einer antithetisch und synthetisch in der Sprache sich vollziehenden Kommunikation zu dienen vermag.

Wenn die Erkenntnis nicht um sich greift, daß die Sprache der Gesellschaft die große Chance gibt, reale Machtkämpfe auf eine sublime Ebene zu heben, um sie auf diese Weise (statt durch physische Gewalt) anzugehen, daß Sprache Spielraum (Aktionsraum) verunsicherter Existenzbeziehungen ist, in dem man sich dia-logisch „einrichtet" und arrangiert — dann bleibt am Ende eben nur noch die Regression auf eine infantil-aggressive Stufe, in der das Wort nicht Kommunikation ist, sondern zur Begleitmusik gegenseitigen Terrors, zur „rohen Stofflichkeit" wird.

Spielraumtheorie

Die Spielraumtheorie ist als liberale Antwort in einer historischen Situation zu verstehen.

In dem Augenblick nämlich, in dem die Konfrontationen an Aggressivität zunehmen und die Gefahr besteht, daß der Protest im Leerlauf der Ergebnislosigkeit endet bzw. das Establishment jeden Lernvorgang verweigert, sollte mit Hilfe einer Spielraumtheorie und -praxis versucht werden, den Antagonisten „pädagogische Distanz" zu vermitteln. In diesem Sinne ist Spielraum auch „Zwischenraum", eingeschoben zwischen These und Antithese: Versuch der Trennung und der Ermöglichung einer meditativen Phase, die die Verwirrung zu lö'sen und neue Programmierungen zu ermöglichen vermag.

Unabhängig vom „historischen" Bezug ist Spielraum überhaupt ein wichtiges Element der gesellschaftlichen Entwicklung, da er jeweils die Synthese als Basis für neue dialektische Entwicklung schafft. Der Begriff „Spielraum" ist in manchem mißverständlich, insofern aber wohl die beste'Bezeichnung für das, was hier beschrieben werden soll, als er deutlich macht, daß es sich dabei um einen Treff-bzw. Verschränkungsraum an sich widersprüchlicher Elemente handelt, die in einen Zusammenhang gebracht werden. Der Spielraum als Verschränkungsraum verbindet Stoff-und Formtrieb, Reflex und Ratio, Reflexion und Aktion, Simulierung und Ernstfall. Er ist im wesentlichen Freiheitsraum, in dem sich die individuellen wie gesellschaftlichen Strebungen arrangieren können, wobei die Spielregeln dynamisch zu handhaben und dem jeweiligen Inhalt anzupassen sind. Der Spielraum ist Vorraum für den Aktionsraum; was im Spielraum simuliert wird, entbindet nicht von der Entscheidung in der Wirklichkeit; aller-dings wird der (sonst meist der Entscheidung nachfolgende) Lernprozeß durch die Simulierung vorweggenommen, so daß das spätere Handeln und Entscheiden die in der Simulierung erreichten Ergebnisse einzubeziehen vermag. Die Verbindung von Spielraum und Aktionsraum ist unbedingt notwendig, da sonst die Simulierung nur Spielerei, arrangierte Un-verbindlichkeit im Sinne repressiver Toleranz wäre, und damit die eigentliche Freiheit der Entscheidung fehlen würde.

Spielräume bedeuten die Gegenwärtigkeit von Freiheit: wenn sie in die jeweiligen System-zwänge und Institutionen eingelagert sind und nicht eine Art pädagogischer Provinz oder ein der gesellschaftlichen Wirklichkeit entfremdetes Refugium darstellen. Spielraum macht die Freiheit im Systemzwang möglich; erst in der Freiheit kann sich Freiheit, erst in der Rationalität Rationalität entwickeln. Im Spielraum ha-bitualisieren sich Freiheit und Rationalität durch Aktion.

Jugend ist weitgehend mit Spielraum gleichzusetzen. Die Pädagogik des Hege-und Schon-raums ist zu überwinden, die Verfrühung zum konstitutiven Element einer Spielraumpädagogik zu machen. Selbstverständlich bedeutet Spielraum immer Risiko, da im Spielraum zwar über die Spielregeln Übereinkunft besteht, aber die Inhalte und Ergebnisse nicht vorweg bestimmt werden können, sondern erst in der Freiheit des Spiels sich ergeben. Zudem ist Spielraum selbst als dynamischer Prozeß zu begreifen; es gibt keine feste Umgrenzung; Spielräume sollten sich immer weiter in die entsprechenden Systeme, Apparaturen, Maschinerien hineinschieben. Damit diese Beweglichkeit und Expansion der Spielräume jeder-29 zeit möglich ist, sind Provokationen notwendig, die im Sinne der Grenzerweiterung wirken. Außerdem ergibt sich der Spielraum jeweils aus einer antagonistischen Situation: der Gegenüberstellung von Expansion (Expansion der Freiheit) und Sanktion (Sicherung des Bestehenden): die Vernunft löst den Antagonismus, indem sie die Spannung als Synthese auflöst. Der Spielraum ermöglicht inmitten der Sachzwänge eine pädagogische Distanzierung, von der aus neue dialektische Initiativen sich entfalten, die dann wiederum durch Spielraum in ihrer polaren Struktur aufzuheben sind. Bei einer dialektisch ausgeprägten Situation wirkt der Spielraum harmonisierend; bei einer dialektikarmen Situation stimulierend (weil er durch die Gewährung des Freiheitsraumes Freiheit fördert).

Einige Beispiele sollen die theoretischen Ausführungen konkretisieren. Im Schulbereich sind etwa Spiel-bzw. Aktionsräume: Pressefreiheit für Schülerzeitungen; echte Schülermitverwaltung; Wahl des Lehrers, der Fächer; Mitbestimmung bei der Stoffauswahl. Spielräume innerhalb des gesellschaftlichen bzw. politischen Lebens sind: Demonstrationsfreiheit (das Recht von Minderheiten, sich ostentativ artikulieren zu können); Mitbestimmung im Betrieb; Mitbestimmung der Studentenschaft an den Universitäten; innerparteiliche Demokratie; „aktive" Bürokratie (etwa die selbständige Entscheidungsfähigkeit sogenannter mittlerer und unterer Instanzen); Rotation der Ämter und Positionen.

An einigen Beispielen soll die Spielraumtheorie und -praxis im Ablauf illustriert werden. Wir beginnen mit einem recht banalen Beispiel: der Schülerzeitung. 1. Phase:

Entwicklung des Spielraums aus der antagonistischen Konfrontation: Die pädagogische Statik und Tradition verbietet die Artikulation von absolut offenen Meinungen; die Schüler-zeitung wird reguliert und zur Anpassung gezwungen. 2. Phase:

Als Reflex und Reaktion entsteht innerhalb des fortschreitenden gesellschaftlichen Bewußtseins und als Folge der Propagierung der Pressefreiheit (als Element des gesellschaftlich-demokratischen Prozesses) die Forderung auf Pressefreiheit auch in der Schule — eine Forderung die von der Schülerschaft mit Hilfe bestimmter Provokationen erhoben wird. 3. Phase:

Ehe die Konfrontation ihren Höhepunkt erreicht, gewährt die Vernunft im Vorgriff auf die sich steigernde, dem Höhepunkt zutreibende Entwicklung den Spiel-und Aktionsraum der Pressefreiheit. Das heißt: die etablierte Ordnung akzeptiert zwar nicht inhaltlich die jugendliche Forderung, ist aber bereit, ihre scheinbar repressive Position im Rahmen rationaler Diskussion zu vertreten. Die jugendliche Gegenposition übernimmt nicht reflexionsfrei die neugewonnene Freiheit, sondern ist ihrerseits bereit, die Argumente „durchzuspielen". Eine derartige Diskussion im Rahmen des Rollen-oder Entscheidungsspiels unterscheidet sich von der bislang praktizierten Diskussion dadurch, daß das Ergebnis des Spielprozesses die nachfolgende Handlung nicht festlegt; doch bietet sich die Chance, daß in der Diskussion ein Lernprozeß vor sich geht, der vor der Aktion liegt und somit auch die Aktion mitzubestimmen vermag. — Noch konkreter: Eine Schülerzeitung bereitet eine völlig offene Befragung von Schülerinnen und Schüler einer Schule über sexuelle Verhaltensweisen vor. In der Rollendiskussion, unter Einbezug von Schulrat, Schulleiter, Lehrkräften, Elternbeirat, Schülermitverwaltung etc. wird die Reaktion auf eine derartige Zeitungsausgabe in der Simulation getestet und so ein Lernprozeß gewissermaßen a priori vollzogen. Eine Simulationsdiskussion hat jedoch nur Wert, wenn die existentielle Bewährung nicht verweigert wird, sondern — in unserem Beispiel — die uneingeschränkte Pressefreiheit jederzeit den Beweis erbringen kann, ob und in wieweit der Lernprozeß vollzogen oder nicht vollzogen ist. Das Risiko der Aktion wird eingegangen. Aber die Aktion ist bereits durch die Reflexion (im vollzogenen Meinungsaustausch) hindurchgegangen.

Ein anderes Beispiel: Der sexuelle Spielraum für die Jugend ist Aufgrund der Akzeleration und mit Hilfe der medizinischen Erkenntnisse wesentlich erweitert worden (die AntibabyPille verhindert Schwangerschaft und die Notwendigkeit der Familiengründung, wenn dies nicht gewünscht wird). Dieser Spielraum gibt die Freiheit für eine existentielle Entscheidung. Junge Menschen sollten nicht mehr durch Keuschheitsideologie von der Entfaltung ihrer Libidostrebungen abgehalten werden; auf der anderen Seite sollten sie auch nicht durch Repression dazu gebracht werden, reflexartig (also reflexionslos) im Aufstand die tradierten Normen durch Mißachtung und gegenteiliges Verhalten wegzuschieben. Die Entscheidung ist dem eigenen Ich zu überlassen; doch ist der vorauslaufende, die verschiedenen Rollen simulierende Vorgang der Werte-Dis-kussion wichtig, da er einen Lernprozeß darstellt, der auf die Entscheidung sich auswirken kann. Der Lehrer hat eine repressionsfreie Beraterfunktion und wird damit — psychologisch gesehen — aufgewertet. Die Entscheidung wird durch die Diskussion nicht vorweggenommen bzw. vorwegbestimmt; sie bleibt existentiell und stellt damit den einzelnen in die Verantwortung.

Ein drittes Beispiel: Minderheiten versuchen ihre Vorstellungen und Wünsche dadurch durchzusetzen, daß sie zu Demonstration und Provokation greifen. Der Spielraum der Demonstrationsfreiheit ist in diesem Falle nicht erst zu schaffen, er ist bereits von der Verfassung vorgegeben; er muß jedoch erfüllt bzw. „strapaziert" werden können. Demonstrationen führen meist zu gewissen Sanktionen der Umwelt — etwa zu einer negativen Reaktion des „Publikums". Demonstrationen wollen einen Lernprozeß bewirken; dieser wird jedoch — bei Akzeptierung der Spielraumtheorie — nicht a posteriori, nach der Demonstration, u. U. also erst nach der emotionalisierten Konfrontation, eingeleitet, sondern bereits vorher: indem nämlich die Aktionen und Reaktionen im Rollenspiel simuliert und diskutiert werden. So werden etwa der Polizeipräsident und der Demonstrationsleiter, Vertreter der Administration wie Teilnehmer der Demonstration und der Öffentlichkeit die einzelnen Positionen zusammen analysieren und einen auf Verständnis (aber nicht auf Zustimmung) beruhenden Lernprozeß bewirken, der in die nachfolgende Aktion eingebracht werden kann. Gerade diese Praxis hat sich bei der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung bestens bewährt.

Ein viertes Beispiel: Die hierarchische Struktur der Verwaltungsapparatur wird dadurch aufgelockert bzw. abgebaut, daß der Entscheidungsweg von oben nach unten mit genügend dialektisch-dialogischen „Exkursen" in Form weitreichender Entscheidungsfreiheit sogenannter mittlerer und unterer Instanzen versehen wird. Ein solcher gruppendynamisch keineswegs einfacher Versuch, die hierarchischen Zwänge in bestimmten Bereichen der Exekutive aufzugeben, fördert oder evoziert die Entwicklung von Initiative, die bereit ist, Verantwortung nach entsprechendem Meinungsaustausch zu wagen. Wichtig ist auch hier (und vor allem hier), daß die im Spielraum entworfenen Entscheidungen in der Realität völlig sanktionsfrei auch dann bleiben, wenn sie im Widerspruch zum System stehen. Spielraum in diesem Sinne schließt etwa das Streikrecht der Beamten, die Möglichkeit zur Dissenting opi-nion ein.

Ein fünftes Beispiel: Der Spielraum des Parlaments wird dadurch ausgefüllt, daß der im parlamentarischen Gespräch sich vollziehende Lernprozeß nicht durch fraktionelle Vorentscheidungen unmöglich gemacht wird. Die Abstimmung muß das Risiko individueller Entscheidung einschließen.

Die Spielraumtheorie und -praxis ist insofern ein großes Wagnis, als der Spielraum Menschen voraussetzt, die zu rationaler Argumentation befähigt sind und sich zugleich durch große, argumentativ bestimmte Beweglichkeit bei der Wahl der Standpunkte auszeichnen. Es darf sich dabei nicht um eine dispositorische Vorprägung handeln, sondern um eine Flexibilität, die sich im Spielraum entwickelt. Wir wiederholen: Freiheit läßt sich nur in Freiheit, Rationalität nur in der Rationalität lernen. Die Habitualisierung rationalen Verhaltens ist prozessual zu verstehen. Versagen und Fehl-haltungen sind einzukalkulieren, wenn eine Spielraumverhaltensweise möglich sein soll. Der Prozeß der Freiheit kann nicht abgebrochen werden, wenn die Simulierungsergebnisse der gängigen Vernunft widersprechen und die Aktion etwa unter den Auspizien der Emotionalität und Irrationalität sich weiter entwickelt. — Eine der wichtigsten Aufgaben ist es zunächst, die gesellschaftlichen Bedingungen für Spielräume zu schaffen bzw. zu prüfen, ob die vorhandenen Institutionen geeignet sind, Spielräume zu integrieren, oder wie die Institutionen „spielraumgerecht" zu modellieren, auch umzumodellieren sind. Die bestehende Schule z. B. ist schwerlich in der Lage, Spielräume in ausreichendem Maße zuzulassen. Ähnlich ist die Situation bei der Bürokratie. Bei den Parteien versucht das Parteiengesetz, den Spielraum innerparteilicher Demokratie zu weiten. Es wäre notwendig, die Voraussetzungen sowie Kategorien auf-und zusammenzustellen, nach denen jeweils Institutionen organisiert sein müssen, damit die Integration von Spielräumen möglich ist. Die Spielraumtheorie will die reflektierende Handhabung des Protests und der Provokation fördern, die dynamisierende Aktion ohne Terror ermöglichen, den manipulationsfreien Dialog an die Wirklichkeit und die Wirklichkeit an den Dialog „rückkoppeln", auf dem Weg über human praktikable Verunsicherung Repression abbauen, Konflikte durchstehen und in fruchtbare Dialektik umwandeln, sozialpathologischen Entartungen steuern, Reflex in Reflexion, Abreaktion und Reaktion in Aktion überführen helfen. Als Vorgriff der Vernunft in die Zukunft hat die Spielraumtheorie Chancen der Verwirklichung, wenn dem qualitativ zu verändernden Bewußtsein der Sprung nach vorn, in die reale Utopie gelingt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Jürgen Habermas, Die Scheinrevolution und ihre Kinder. Sechs Thesen über Taktik, Ziele und Funktionsanalysen der oppositionellen Jugend, in: Frankfurter Rundschau v. 5. 6. 1968

  2. Georg Picht, Was fordert die Zukunft von uns?, in: Merkur, Nr. 249/1969, S. 18 f.

  3. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 1. Teil, Frank-furt/M. 1959, S. 1 f.

  4. Vgl. für das Nachfolgende Hermann Glaser, Die Bundesrepublik zwischen Restauration und Rationalismus. Analysen und Perspektiven, Freiburg i. Br. 1965, S. 69 ff.

  5. Vgl. Daniel Guerin, Anarchismus. Begriff und Praxis, edition suhrkamp 1967, S. 15.

  6. Nürnberger Nachrichten, 21. /22. 10. 1968.

  7. Christ und Welt, 4. 8. 1967.

  8. Hartmut von Hentig, Die große Beschwichtigung, in: Das Nürnberger Gespräch 1968: Opposition in der Bundesrepublik, Freiburg i. Br. 1968, S. 167 f.

  9. Lothar Hack, Oskar Negt, Reimut Reiche, Protest und Politik, Frankfurt/M. 1968, S. 42.

Weitere Inhalte

Hermann Glaser, Dr. phil., geb. 28. 8. 1928; Schul-und Kulturdezernent der Stadt Nürnberg. Neben pädagogischen Veröffentlichungen u. a. Autor von: Weltliteratur der Gegenwart, 1956 ff.; Spießer-Ideologie — Von der Zerstörung des deutschen Geistes im 19. und 20. Jahrhundert, 1964; Die Bundesrepublik zwischen Restauration und Rationalismus, 1965; Eros in der Politik — Eine sozialpathologische Untersuchung, 1967; Kleinstadt-Ideologie — Zwischen Sphärenflug und Furchenglück, 1969.