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Marsch in den Krieg Die Praxis der Nachrichtenpolitik der Nationalsozialisten | APuZ 35-36/1969 | bpb.de

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APuZ 35-36/1969 Marsch in den Krieg Die Praxis der Nachrichtenpolitik der Nationalsozialisten Problemstellungen und Ergebnisse neuerer Wahlforschung mit besonderer Berücksichtigung der Wahlsystem-Simulationen

Marsch in den Krieg Die Praxis der Nachrichtenpolitik der Nationalsozialisten

Fritz Sänger

Vorbemerkung

Joachim Wiesner: Problemstellungen und Ergebnisse neuerer deutscher Wahlforschung mit besonderer Berücksichtigung der Wahlsystem-Simulationen ................... S. 29

Das wesentliche ist nicht die Nachricht, sondern der Efiekt. (Joseph Goebbels, 23. Sept. 1942)

Politisches Handeln beginnt mit der Erkundung der sich frei bildenden öffentlichen und der offiziellen Meinung im eigenen und im fremden Lande — oder es sollte so begonnen werden. Die Organisation der Nationalsozialisten und später die von ihnen geführte Regierung des Deutschen Reiches haben aber jederzeit Nachricht und Meinungsäußerung als Mittel zum Zweck benutzt. Die Errichtung eines Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda war nur eine der vielfältigen Maßnahmen, die getroffen wurden, um die vorhandenen Publikationsmittel in den Dienst der politischen Ziele der Partei und der von ihr beherrschten Regierung zu stellen. Was immer im Inland oder Ausland vorging oder zu Vorgängen und Ereignissen gesagt oder geschrieben oder was auch nur wahrscheinlich gedacht wurde, das haben Partei und Regierung — auch überwiegend in dieser Reihenfolge — wahrgenommen, in ein Verhältnis zum eigenen Wollen gebracht und dann in Weisungen behandelt und zu regeln versucht. Eine nahezu total gelenkte Presse und noch intensiver der Rundfunk sollten in Nachrichten und Kommentaren ohne Rücksicht auf Objektivität, vielmehr ausschließlich zweckbestimmt die Politik der Reichsregierung — und das hieß die Politik Adolf Hitlers — vorbereiten, deutlich machen und vertreten.

Da es die Machthaber ganz überwiegend mit Journalisten zu tun hatten, die freie Arbeit gewöhnt waren, begannen sie mit einer Methode von Weisungen, die den Charakter von Ausdeutungen, von Interpretationen, zuweilen gar nur von Anregungen hatten. Sie konnten nicht exakt vorschreiben. Erst im Kriege gingen die Machthaber zu „Tagesparolen" über, zu formulierten, verbindlichen Anordnungen. Indem aber in den Jahren bis zum Kriegsbeginn die Weisungen in den täglich um die Mittagsstunde stattfindenden „Pressekonferenzen der Reichsregierung" als Hinweise und Empfehlungen vorgebracht wurden, waren sie nicht weniger verpflichtend. Jene, die sie nicht beachteten, haben es zu spüren bekommen.

Jedoch wurde nicht immer gleichartig verstanden, was für alle gleich gemeint war. Manche „Fehlleistung" war wirklich versehentlich oder als Mißverständnis geschehen. Manche Deutung einer Anweisung aber war auch Ausdruck des Versuches, eine „eigene" Nachricht bringen zu können. Nur wenige „Verfehlungen" können als Beweis nichtkonformen politischen Denkens bewertet werden. Gerade diese Möglichkeiten zwingen dazu, daß gründlich forschende Historiker sorgfältig differenzieren müssen, wenn sie die Wege und Umwege, die Erwägungen und auch die Strömungen und Gegenströmungen in Partei und Regierung in jenen Jahren aufspüren wollen. So unkompliziert, wie der Nationalsozialismus und sein Handeln oft dargestellt werden, war er nicht. Aus dem umfangreichen Material an Presseanweisungen und „Sprachregelungen", das sich in zwölf Jahren ergeben hat, sind gewiß Hilfen für historisch belegbare Tatsachen-feststellungen zu entnehmen, auch wenn diese Notizen und stenographischen Aufzeichnungen subjektive Leistungen waren. Die Reichsregierung war mit äußerster Konsequenz darauf bedacht, eigene Überlegungen und Planungen durch „geeignete" — und das heißt eben nicht wahrhaftige, den Tatsachen gerecht werdende — Informationen zu lancieren. Sie handhabte nicht nur die „Weisung", sondern auch die „vertrauliche Information". Sie konnte jedoch nicht verhindern, daß die auf solche Weise Unterrichteten auch sonst Ohren und Augen offen hielten und daß, je länger die Beauftragten aus dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, aus dem Auswärtigen Amt und aus anderen Reichsministerien und der Parteiführung ihr Geschäft betrieben, ihre Hörer in den soge-nannten Pressekonferenzen hellhörig wurden und ihre Position als Werkzeug erkannten, das sie sein sollten.

Die täglich und durch Jahre an jenen „Reichspressekonferenzen" (die niemals Konferenz-charakter hatten) teilnehmenden Journalisten verhielten sich in einer entscheidenden Situation, über die zu berichten sein wird (siehe Abschnitt „Jahrhunderte in Freundschaft"), so, daß der Sprecher der Reichsregierung vor dem großen Auditorium ruhig und ohne Resignation sagte: „Ich weiß, meine Herren, Ihnen kann man nichts vormachen." Ob alle diese Hörer stets überzeugt waren, daß es um Krieg und Frieden ging, muß bestritten werden. Die meisten jedoch haben frühzeitig erkannt, wohin der Weg führen mußte und sollte oder haben es geahnt und haben in dieser Gewißheit oder Furcht um so sorgfältiger gehört, analysiert und notiert. Wege und Abwege der Politik Hitlers können durch kleine und große Schritte, die in jener Zeit durch die Weisungen, durch ihre Erläuterung, durch Zurücknahme und dann Wiederherstellung von „Richtlinien", durch die Forschheit, mit der die amtlichen Sprecher die Beachtung ihrer „Wünsche“ betrieben, oder durch die Laschheit, mit der sie dieses und jenes „durchgehen" ließen, erkannt werden. Deshalb sollen sie hier nach-gezeichnet und verfolgt werden.

Bei einer Rückschau auf lange vergangene Vorgänge besteht die Gefahr, daß später gewonnene Erfahrung und heutiges Wissen in jene Zeit zurückgenommen werden, als habe man damals schon Zusammenhang und Hintergrund erkannt. Deshalb muß besonders sorgfältig die tatsächliche Aussage, der möglichst genaue Wortlaut der Weisung und das Verhalten des Sprechers, zuweilen aber auch die Reaktion der Hörer mitgeteilt werden.

Das in den folgenden Abschnitten verwendete Material wurde in jenen Jahren und Monaten, über die hier berichtet wird, von den in der Berliner Redaktion der „Frankfurter Zeitung"

tätigen Redakteuren ausgezeichnet. Sie besuchten die täglich in der Mittagsstunde stattfindenden sogenannten Pressekonferenzen der Reichsregierung, schrieben dort den Inhalt nach oder stenographierten (dies verbotener-weise!) im Wortlaut mit, was gesagt wurde.

Unmittelbar danach gaben sie ihren meist sehr ausführlichen Bericht über den Fernschreiber an die Hauptredaktion in Frankfurt am Main.

Die Durchschläge der Fernschreiben wurden entgegen strenger Weisung, sie zu vernichten und diese Vernichtung monatlich ausdrücklich schriftlich zu versichern, aufbewahrt und sind in einer „Sammlung Sänger" beim Bundesarchiv in Koblenz erhalten. Teile der Berichterstattung aber wurden auch nur kurz über den Fernschreiber gegeben und ausführlich in einem Brief nachgereicht. Solche Briefe wurden, wenn der Inhalt es erforderte, durch Boten übermittelt, also nicht der Post anvertraut.

Das geschah vor allem dann, wenn die Sprecher der Regierungsämter nach den offiziellen Pressekonferenzen in einer „Nachbörse", wie der Jargon sagte, in einer kleinen, nur für Vertreter großer Zeitungen zugänglichen Nach-Konferenz, mehr als vorher geäußert hatten. Regelmäßig gab es diese „Nachbörse" jedoch erst seit Mitte Oktober 1939. Manchmal wurden wichtige Informationen in einem „Stehkonvent" (es geschah zuweilen nicht ohne Absicht) nach der allgemeinen Pressekonferenz „interpretiert" oder „ergänzt" und — es gibt dafür zahlreiche Beispiele — auch „umgedeutet". Schließlich hatten einige der wichtigeren Sprecher der Reichsministerien, so vor allem der Gesandte Dr. Paul Schmidt aus dem Auswärtigen Amt (nicht zu verwechseln mit dem gleichrangigen und gleichnamigen Dolmetscher, Verfasser von „Statist auf diplomatischer Bühne"), das Bedürfnis, gelegentlich beim Mittagessen einige von ihnen gebetene Journalisten gesondert zu unterrichten. Daß dabei Eitelkeit oder überstarke Ichbezogenheit dazu führten, daß die Grenzen der Vertraulichkeit kaum noch erkennbar blieben, war für informationsbegierige Journalisten besonders wertvoll. Auch dieses Material wurde herangezogen; es ist in Briefdurchschlägen und Aktennotizen (handschriftlich geschriebenen und stenographierten) enthalten.

Was in den folgenden Abschnitten mitgeteilt wird, beruht allein auf diesem Material. Es handelt sich also nicht um die Wiedergabe vorformulierter „amtlicher" Texte. Wenn Sätze oder Teile von Sätzen in Anführungszeichen stehen, so ist das die wörtliche Wiedergabe dessen, was in den Pressekonferenzen sogleich festgehalten wurde. Da dies aber häufig, bei dem Verfasser dieser Arbeit in aller Regel, in einem Stenogramm geschah, so sind viele, je näher der September 1939 heran-rückte die meisten Zitate zugleich die wörtliche Aussage des jeweiligen Sprechers. Die in Anführungszeichen wiedergegebenen „Rundrufe" sind Weisungen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Progapanda oder anderer Amtsstellen. Sie wurden vom Deutschen Nachrichtenbüro (DNB) weitergegeben und werden in dieser Arbeit ausnahmslos in der offiziellen Fassung zitiert.

Geschichtliche Tatsachen werden nur dann mitgeteilt oder erwähnt, wenn sie zur Bewertung der Nachrichtenpolitik oder zum Verständnis erforderlich sind.

Wenn es sich also nicht um eine historische Arbeit im strengen Sinne handelt, so ist es doch möglich, daß die Geschichtsschreibung und daß auch der heute tätige Politiker aus diesem Material Nutzen zu ziehen vermögen. Eine historische Darstellung müßte sehr viele Details mehr notieren und wäre grundsätzlich anders anzulegen, im übrigen über diesen ereignisreichen Zeitraum auf so geringem Platze nicht möglich. Es geht hier darum darzustellen, wie die Reichsregierung der Nationalsozialisten die Vorgänge in jener Zeit gesehen hat und wischte, daß sie so und nicht anders gesehen und bewertet werden. In diesem Wollen drückte sich die Tendenz der Politik aus, und die Wege wurden sichtbar, die von der Führung des Reiches gewählt und betreten wurden. Wohin sie führten, ist bekannt.

Den Rubikon überschritten

Mit der Eroberung Galliens hatte sich in der Römerzeit Julius Cäsar auch sein Heer untertänig gemacht. Er hatte die Herrschaft Roms in Mitteleuropa begründet und gefestigt — nun sollte auch Rom selbst ihm gehören und gehorchen. Als der Senat sich weigerte, seine Bedingungen anzunehmen, überschritt Cäsar mit seinen Legionen den Rubikon, jenen kleinen Grenzfluß bei Ravenna in Oberitalien, und marschierte, Sieg und Siege an seine Fahnen heftend, auf Rom zu. An den Iden des März wurde er nur fünf Jahre danach ermordet.

An diese historische Szene hat am 16. März 1939 der Sprecher der Reichsregierung, Hans Fritzsche, in einem Kreis deutscher Journalisten 'erinnert. In der Pressekonferenz der Reichsregierung hatte er in der Mittagsstunde dieses Tages darauf hingewiesen, daß in der ausländischen Presse „ein neuer Zungenschlag" zu verzeichnen sei: „Ihr habt mit dem, was nun geschehen ist, Eure rassische Basis verlassen", so etwa stand es in polnischen, englischen und anderen Zeitungen, und so hat auch Winston Churchill den am 14. März begonnenen Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakische Republik kommentiert. In der offiziellen Pressekonferenz gebot der amtliche Sprecher, daß dieses Argument „vorläufig in keiner Weise aufgegriffen" werden dürfe. In der „Nachbörse" indessen erläuterte er, daß es „im Kern richtig" sei, daß mit der Aktion gegen eine nichtdeutsche Nation, gegen die Tschechen und Slowaken „in diesem Falle", ein neuer Abschnitt der nationalsozialistischen Politik begonnen worden sei. Es werde „nicht ganz einfach" sein, mit den bisher gebrauchten Begründungen gegen diese Argumentation anzugehen.

Als die Befehle zum Marsch nach Prag gegeben wurden, wußten die Reichsregierung und die nationalsozialistischen Funktionäre, daß im deutschen Volke keine Stimmung für kriegerische Unternehmungen vorhanden war. Sie wollten deshalb alles vermeiden, was Aufregung oder Furcht verursachen könnte. An ihren Zielen aber hielt die Regierung fest. Der „Sinn einer tausendjährigen Geschichte" sollte erfüllt und die „praktischen Bedürfnisse des deutschen Volkes" sollten befriedigt werden. Mit einem einzigen Wort hieß die Formel nun „Lebensraum". In den Notizen über die Konferenzen und Unterhaltungen in jenen Tagen taucht es an dieser Stelle in solchem Zusammenhang zum ersten Male auf. Es wurde nach außen, in Reden und Kommentaren, noch mit Vorsicht benutzt. Österreich war am 11. März 1938 von deutschen Truppen besetzt worden. Am 1. Oktober 1938 war der Einmarsch deutscher Verbände in die hauptsächlich von Menschen deutscher Sprache und Kultur besiedelten Gebiete der Tschechoslowakei, das Sudetenland, erfolgt. Hitler hatte die Erklärung abgegeben, daß er danach „keine territorialen Ansprüche" mehr zu stellen habe (26. Sept. 1938, Rede im Sport-palast in Berlin). Drei Tage später fand die Konferenz in München zwischen Hitler, Mussolini, dem französischen Ministerpräsidenten Daladier und dem britischen Premierminister Chamberlain statt. Der Friede schien gerettet — so verwirrt die öffentliche Meinung in den meisten Staaten der Erde war, so erbittert die Politiker in der freien Welt diese Entwicklung und Hitlers Machterweiterung auch verurteilten.

Die reichsdeutsche Politik blieb indessen unbeirrt. Am 6. März 1939 teilte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Geheimrat Aschmann, in der Pressekonferenz mit, daß am gleichen Abend ein Kommunique einer deutsch-polnischen Regierungskommission zu erwarten sei, das die Frage der deutschen Minderheit in Polen beantworten werde. Er erwähnte auch Verhandlungen, die zwischen Tschechen und Slowaken stattfänden, und meinte, daß im Blick auf diese „unsere Sympathien etwas mehr auf der slowakischen Seite" seien. Zu gestellten Fragen gab er keinen weiteren Kommentar. Aber am folgenden Tage wies der Sprecher der Reichsregierung und damalige Leiter der Abteilung Deutsche Presse im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Hans Fritzsche, die Presse an, „Nachrichten über den in Preßburg tagenden Ministerrat, der sich mit den Prager Forderungen an die Slowaken beschäftigt", zur Kenntnis zu geben, „wie man überhaupt von allem Nachrichtlichen aus der Tschechoslowakei Notiz nehmen kann". Dann hieß es: „In der Kommentierung solle man aber recht zurückhaltend sein. Wenn man schon kommentiert, ist eine gewisse freundliche Note für die Slowakei und für die Karpatho-Ukraine nicht zu vermeiden. Diese Vorgänge sind aber nicht die internationale Sensation des Tages. Es empfiehlt sich nicht, bei der Behandlung von Kriegsgerüchten allzu stark mit dem Säbel zu rasseln. Gewiß wird man bei der Abwehr solcher Gerüchte nicht darauf verzichten können, die eigene Stärke genügend zu unterstreichen.

Wir sind in der Lage, daß wir uns eine solche Unterstreichung sehr wohl gestatten können. Von dieser aus der Selbstsicherheit des Volkes geborenen Klarstellung der eigenen Kraft bis zum Säbelrasseln ist aber noch ein weiter Weg."

Die Karpatho-Ukraine war das Gebiet, für das sich Ungarn interessierte. In Ungarn regierte der Reichsverweser Admiral Horthy, im politischen Stil und Konzept dem Nationalsozialismus nahe verwandt. Es war im Kreise der Journalisten längst Gewißheit, daß ihm eine eigene Rolle zugedacht sein würde. Am 8. März 1939 verlangte das Propagandaministerium von der Presse zu diesem Thema „zunächst Zurückhaltung", denn: „es täten sich dort neue Dinge, die man zunächst nicht übersehen könne." Man mußte wissen, daß sich polnisches und ungarisches Gebiet berühren würden, wenn die zur Tschechoslowakei gehörende Karpatho-Ukraine etwa zu Ungarn geschlagen werden sollte.

Eine Sonderpressekonferenz gab am 10. März 1939 aufmerksamen Beobachtern genügend Hinweise. In der Tschechoslowakei sei es recht unruhig, so wurde gesagt. Man möge jedoch „nur in Meldungen" darauf eingehen, also nicht kommentieren, und dabei sollten „nicht die Prager propagandistischen Meldungen zum Wort gelangen", vielmehr möge „der Tenor vor allen Dingen in den Überschriften zum Ausdruck kommen". Die Weisung wurde weiter so notiert: „Man soll in der Aufmachung und in der Verwertung der Meldungen eine gewisse Sparsamkeit üben, denn es könnte in den nächsten Tagen eine gewisse Knappheit des Nachrichtenstoffes eintreten, während man darauf bedacht sein muß, die Angelegenheit einige Tage, bis Dienstag, lebendig zu halten."

Alle Meldungen wurden für vorlagepflichtig erklärt, wenn die Zeitungen nicht das Material des offiziösen Deutschen Nachrichtenbüros (DNB) nahmen. Für die Überschriften, die den Tenor geben sollten, wurden in der Konferenz Beispiele genannt: „Die Tschechen kehren zu ihren alten Methoden zurück" oder „Die Mittel, die früher gegen die Sudetendeutschen angewandt wurden, werden nun gegen die Slowaken angewandt". Der tschechische Staatspräsident Hacha hatte einen Aufruf erlassen, in dem es hieß, die Slowakei („Preßburg") habe die Linie von München verlassen (!), und nun müsse Prag als Vollstrecker auftreten. Der Aufruf wurde für deutsche Zei-B tungen nicht freigegeben. Noch aber war die Tendenz: „Selbstverständlich, darf, wie schon früher betont, eine gewisse Sympathie für die Lebens-rechte der Slowaken hörbar werden. Irgendeine Tendenz darf sich aber nicht zeigen. Es kann also eine sehr vorsichtige, leicht angedeutete eigene Sympathie anklingen, aber die Berichterstattung darf nicht so aussehen, daß uns das Ausland vorwerfen könnte, wir hätten die Dinge in Preßburg irgendwie gefördert."

Für die Reichsregierung war „die Regierung Tiso rechtsgültig", und das sollte auch für die Presse gelten. Pressestimmen des Auslandes, die feindlich gegen „die Slowaken" (das hieß: gegen die Regierung Tiso) lauteten, durften nicht gebracht werden. Diese Weisung bestätigte ein Rundruf, der am 10. März 1939 um 13. 35 Uhr durch das DNB ausgegeben wurde. Durch die um 18. 45 Uhr erfolgte Ergänzung „Meldungen aus der Tschechoslowakei sind bis auf Widerruf im Zimmer 24 vorlagepflichtig“ wurde die sich zuspitzende Lage deutlich. Dieses Zimmer 24 existierte im Propagandaministerium und war die zentrale Informationsstelle für eingehende und ausgehende Nachrichten. Die gesamte Berichterstattung über die tschechoslowakische Frage stand nun also unter totaler Kontrolle.

Diese war auf Dämpfung der Berichte abgestellt. Die Aufmachung von Nachrichten durfte nur zweispaltig sein, aber (so der Text des dritten Rundrufes in dieser Sache an diesem Tage): „Die Sympathie für die Slowaken kann ohne Übertreibung zum Ausdruck gebracht werden.“

Es war deutlich, daß der nächste Schritt der Reichsregierung auf dem (tatsächlichen oder vorgetäuschten) Zwiespalt in der Tschechoslowakei aufgebaut werden sollte. Bilder waren vorzulegen.

In der Pressekonferenz am 11. März faßte der Sprecher der Reichsregierung dieses gesamte Material und seine tiefe innere Zwiespältigkeit in dem Satz zusammen: „Sie haben im Laufe des gestrigen Abends und der Nacht eine Reihe von Nachrichten über die Verwirrung bekommen, die der Zugriff der Prager Regierung in der Slowakei ausgelöst hat. Diese Meldungen sind ausgezeichnet aufgemacht worden“, so fuhr der Sprecher fort und gab dann die folgende Weisung: „Für heute abend und Sonntag früh wird gebeten, die Nachrichten aus Preßburg wiederum auf der ersten Seite zwei-oder auch dreispaltig aufzumachen. Für die Berliner Früh-presse kommen vielleicht weitere Neuigkeiten hinzu. Es kann ruhig eine etwas größere Aufmachung gewählt werden als heute früh. Zum Inhalt ist zu bemerken, daß wir an der Parole , Ruhe ist die erste Bürgerpflicht'kein Interesse haben. Unser Interesse geht darauf, daß die in München für die Völker der Tschechoslowakischen Republik statuierte Autonomie wirklich durchgeführt wird. Wir haben also kein Interesse an allen jenen Meldungen, die von da-oder dorther kommen und sagen, es herrsche Ruhe und Ordnung. Warum sollte keine Ruhe herrschen, wenn Soldaten in Preßburg eingreifen?“

Es schien den meisten Journalisten schon überflüssig, daß noch gesagt wurde, man möge „von der Regierung in Prag" nicht mehr als von einer tschechoslowakischen Regierung sprechen, sondern nur noch von der „tschechischen" — es erhob sich Heiterkeit. Der Sprecher fügte hinzu, „daß die Slowaken in diesem Kampf um ihre Autonomie ihr erstes Todesopfer zu verzeichnen haben", was natürlich betont gemeldet werden sollte. Zahlreiche Einzelheiten von Vorgängen wurden sorgfältig Punkt für Punkt als wichtig, wenig wichtig, unwichtig oder gar als unwahr bewertet. Es gab keinen Zweifel über Weg und Ziel dieser Politik, die teilen und beherrschen wollte.

Am späten Sonntag abend, dem 12. März 1939, rückte ein telefonischer Anruf des Büros des sogenannten Reichspressechefs Dr. Dietrich (um 22. 45 Uhr) die tschechoslowakischen Themen vollends auf die erste Seite der Zeitungen: „Morgen über die gesamte erste Seite dürfen nur Meldungen aus der Tschechoslowakei stehen; also dürfen auf der ersten Seite weder Berichte über den Heldengedenktag, noch Sport noch sonstige Meldungen stehen. Größte Aufmachung, größte Buchstaben. Überschriften ganzseitig. Erste Exemplare per Flugpost an den Reichspressechef.“

In der folgenden Nacht wurden „unglaubliche Überfälle" aus Brünn gemeldet. Am frühen Morgen des 13. März begann eine Sonderkonferenz. Die bis dahin bestehende Sperre für Kommentare wurde unbegrenzt aufgehoben. Vier Punkte wurden — genau formuliert — für nunmehr eigene Kommentare als Richtschnur gegeben: „ 1. Es ist erneutes Wiederaufleben des Benesch-Kurses schlimmster Art festzustellen. 2. Die Tschechen haben seit Oktober 1938 nichts hinzugelernt. Die Sprache der Tatsachen vom letzten Herbst ist vergessen, und die Lehre von München wird in den Wind geschlagen. 3. Niemand bestreitet, daß einzelne Personen guten Willens sind und daß sie mit bester Kraft versuchen, ihre Landsleute aus dem Bann eines blinden Deutschenhasses zu erlösen. 4. Diese einzelnen aber stehen hilflos der Gesamtmentalität des tschechischen Volkes gegenüber, die durch jahrzehntelange Erziehung zum Deutschenhaß geschaffen worden ist.“

Es sollten dann Beispiele für den Deutschenhaß angeführt, im übrigen aber diese vier Punkte in beliebiger Reihenfolge abgehandelt werden. Auf keinen Fall sollte eine Forderung oder Drohung angefügt werden: „Es darf keinerlei Richtung angedeutet werden, in der eine Hilfe gesucht werden könnte." Wörtlich sagte der Sprecher danach: „Die Presse kann im Augenblick nur die Tatsachen sprechen lassen, kann die Bedeutung der Tatsachen hervorheben, darf aber keinesfalls Konseguenzen ziehen. Konseguenzen zu ziehen, pflegt das Reich nicht in den Spalten der Zeitungen zu tun.“

An diesem Tage blieb es nicht bei nur einer Sonder-Pressekonferenz; am Abend um 21 Uhr folgte eine zweite, „um Nuancen zu klären", wie gesagt wurde. Der slowakische Politiker Tiso, der nun als Ministerpräsident fungierte, war nach Berlin gekommen und mit ihm sein Außenminister Durcansky. „Dieses in der augenblicklichen Situation außerordentlich bedeutsame Ereignis", so sagte der Sprecher der Reichsregierung, müsse die Aufmachung für den folgenden Tag bilden, jedoch „nicht als die Hauptaufmachung, die über die ganze Seite geht". Eine Gesamtüberschrift sollte vielmehr „von den Unruhen im ganzen tschechischen Staatsgebiet" sprechen. Die Presse wurde ersucht, „bei der Wahl der großen, ganzseitigen Über-schrift nicht in den Fehler zu verfallen, Rückschlüsse auf das Ergebnis von Verhandlungen irgendwelcher Art zu ziehen. Es ist nicht angängig, die Situation auf das Motto abzuschieben, Verhandlungen laufen, Verhandlungen werden wohl den Konflikt lösen'.“

Selbst wenn eine etwa künftige Meldung von „Verhandlungen" sprechen sollte, sei dieses Thema nicht zu betonen. Vielmehr müsse die Behauptung von Unruhen im ganzen Lande aus den Zeitungen den deutschen Leser anschreien: „Jede Zeitung muß eine Nuance weitergehen als heute Mittag, eine kleine Nuance." Den Teilnehmern der Konferenz wurde klar: es mußte noch Kraft für eine Verstärkung der erwarteten Erregung bleiben.

In diesem Augenblick lag den Redaktionen eine Nachricht des DNB über „Teilmobilisierung in Iglau" vor. Sie durfte nicht verwendet werden, obwohl sie, wie gesagt wurde, „bestätigt" sei. Man wolle doch „noch einmal nachprüfen, da durch diese Meldung natürlich große Unruhe hervorgerufen werden kann", wie der Sprecher meinte. Es sollte sich alles auf das Thema Tschechoslowakei konzentrieren. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung" hatte einen Bericht mit Anklagen gegen Litauen gebracht. Das paßte nicht in die laufende Aktion, und so wurde gesagt: „Wenn wir im Augenblick im Südosten beschäftigt sind, kann man nicht auch gleichzeitig die Dinge in Litauen zu klären versuchen." Alles käme „zu seiner Zeit", wurde dazu im kleineren Kreise kommentiert. Litauen stand für die Memelfrage.

Es blieb am 14. März 1939 bis in die Mittagsstunden bei der Weisung, daß „die Hauptaufmachung der Zeitungen wieder nicht aus Meldungen über Verhandlungen, sondern aus Meldungen über die wachsende Unruhe genommen“ werden sollten. Hans Fritzsche als Sprecher der Reichsregierung eröffnete die Mittagskonferenz mit der Bemerkung, er habe geglaubt, „jetzt schon eine sensationelle Nachricht mitbringen zu können, die die Aufmachung abgegeben hätte. Sie liegt noch nicht vor. Ich nehme aber an, daß sie spätestens bis 13 Uhr vorhanden sein wird.“

Die Gespräche Tisos und seines Außenministers in Berlin hätten nur die Lösung eines Teiles „des ganzen Problems" erbracht. Bei den deutschen Lesern dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, „daß der Zustand sich gebessert habe". Die Tonstärke der Kommentare müsse sich nun verstärken. Die Grenze der Überschriften sei etwa „Gefährliche Lage". Und dann wurde wörtlich notiert: „Man kann sich auch denken, daß in den Kommentaren, jedoch noch nicht in den Über-schriften, der Satz geschrieben wird, , Dieser Unruheherd muß ausgetreten werden'. Als Hauptüberschriit würde dieser Satz Alarm hervormien, dem notwendigerweise nach fünf Minuten eine weitere Ankündigung zu folgen hätte."

Es wurde gebeten, Flaggenzwischenfälle, Brutalitäten, Mißhandlungen usw. „nicht unter den Tisch fallen zu lassen". Die ungarische Volksgruppe (Karpatho-Ukraine) müsse „schwer unter dem tschechischen Terror leiden", und an der ungarischen Grenze sei es zu Zwischenfällen gekommen „mit Toten und Verwundeten". Dies alles möge auf der ersten Seite der Zeitungen Platz finden.

Die Redaktionen, die noch diese Weisungen aus der Pressekonferenz empfingen, wurden durch folgende Meldung des DNB überrascht: „Berlin, 14. März. Amtlich wird mitgeteilt: Der Ministerpräsident der Slowakei, Dr. Tiso, hat soeben folgendes Telegramm an den Führer gerichtet:

An Seine Exzellenz den deutschen Reichskanzler Adolf Hitler. — Im Namen der Slowakischen Regierung beehre ich mich, Euer Exzellenz zu notifizieren, das heute das slowakische Volk das unerträgliche tschechische Joch abgeschüttelt und daß, dem Willen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung entsprechend, die Unabhängigkeit unseres Staates proklamiert worden ist. Die Slowakei hat hiermit eine weitere für die dauernde Befriedung Mitteleuropas unerläßliche Voraussetzung geschaffen und es wird stets ihr Wille sein, mit allen ihren Nachbarn in Frieden und Freundschaft zu leben. Im Namen von Volk und Regierung der neuen Slowakei bitte ich Eure Exzellenz als Führer des mächtigen Deutschen Reiches, das sich unter Ihrer Führung stets für Freiheit und Selbstbestimmung der Völker eingesetzt hat, dem unabhängigen slowakischen Staat seine sofortige Hilfe zu gewähren.

Ministerpräsident der Unabhängigen Slowakei gez. Dr. Tiso."

Das Telegramm durfte nicht veröffentlicht werden! Das Propagandaministerium wollte „das Telegramm erst zusammen mit der Vollzugs-meldung vom deutschen Einmarsch" herausgeben, ließ aber am 14. März abends wissen: , Wann und ob das Telegramm von Tiso an den Führer überhaupt herauskommt, ist noch ungewiß. Es kann sein, daß es im Laufe der weiteren Ereignisse erheblich an Wichtigkeit verliert.“

So geschah es. Von nun an, so lauteten die Weisungen, durfte „der Name der Tschechoslowakei ... nur noch im Zusammenhang mit dem Zerfall dieses Staatsgebildes genannt werden. Es ist von jetzt ab nur noch von den Ländern Böhmen, Maehren, Slowakei und Karpatho-Ukraine zu sprechen" (14. März 1939, 15. 55 Uhr).

Am gleichen Tage reisten der in Prag residierende Staatspräsident der Tschechoslowakei, Dr. Hacha, und sein Außenminister, Dr. Chvalkowski, nach Berlin. Die deutsche Presse durfte die Tatsache nur „verzeichnen". Es sollte „nicht der falsche Eindruck entstehen, es würden nun Verhandlungen beginnen, die die Dinge sofort in schönste Ordnung bringen". Was Inhalt und Tendenz dieser Gespräche zwischen Hacha und Hitler war, bei denen Hacha einen schweren Schwächeanfall erlitt, wurde am Abend des 14. März in der Pressekonferenz der Reichsregierung vom offiziellen Sprecher so dargestellt: „In München und Wien ist das Ideal einer Völkertrennung und -Selbstbestimmung für diesen Raum angebahnt worden. Die Wirklichkeit scheint aber nicht zu funktionieren. Gründe hierfür: Eifersüchteleien, Unfähigkeit, chauvinistische Reaktion und die Absicht, Zeit zu gewinnen, um gegebenenfalls eine Änderung herbeiführen zu können. Für Deutschland und seine Sicherheit sind eindeutige Verhältnisse im böhmisch-mährischen Raum eine Lebensnotwendigkeit. Einwandfreie Volks-und Staatsgrenzen sind hier besonders schwierig zu finden. Deshalb sind Treuhänder und Ordner notwendig. Deutschland entzieht sich dieser Aufgabe nicht. Es ist dem Gedanken Ausdruck zu geben, daß die Rückkehr zum wirtschaftlichen und politischen Zusammenhang mit dem Reich nur eine Wiederherstellung alter historischer Tatsachen ist. Der Führer hat es oft ausgesprochen: Unsere Absicht ist nicht, fremdes Volkstum aufzusaugen, sondern nur die Betreuung zu übernehmen unter Achtung des Volkstums. Es handelt sich um Ordnung in uraltem deutschem Siedlungsraum. Wer kann, soll Parallelen ziehen auf die Weltpolitik. Auch England und Frankreich haben in ähnlichen Situationen ebenfalls die Rolle eines Ordners in größerem Raum übernommen. Man kann auch an die verkehrstechnische Verflechtung denken, kann geopolitische Gründe aufzählen und die vielfältige Verflechtung des kulturellen Lebens in diesem Raum mit dem kulturellen Leben des deutschen Volkes.

Die tschechisch-slowakische Revolte im Zeichen des von Wilson proklamierten Selbstbestimmungsrechts hat zur Bildung eines Staates geführt, der nicht nur in schroffem Gegensatz zum Selbstbestimmungsrecht stand, sondern auch zu seiner eigenen Geschichte. Man ging daran, die eigene Geschichte umzudeuten und zu negieren. Unnatürlich war es, einen isolierten tschechoslowakischen Nationalismus auirichten zu wollen. Obwohl in Versailles diesem Beginn alle möglichen Chancen gegeben wurden, war es ohne Erfolg. Der überspitzte Nationalismus der Prager Machthaber hat es weder verstanden, die deutschen Kräfte in den Staat einzubauen, noch die Verbindung mit dem großen deutschen Nachbarn fruchtbar zu gestalten. Das war ein fundamentaler Fehler. Ein tausendjähriges Verhältnis läßt sich nicht durch ein Übermaß von Ehrgeiz verleugnen. Böhmen und Mähren haben lediglich als Teile des Deutschen Reiches existiert. Die künstliche Verhinderung des Anschlusses von Österreich durch Versailles mochte diesen Zusammenhang den Pragern nicht mehr als aktuell erscheinen lassen, die Schaffung des Großdeutschen Reiches hat aber die Dinge wieder zurechtgerückt. Ohne engste Verbindung zu dem Reich, dem die Länder angehört haben, scheint eine Entwicklung unmöglich."

Es ist nicht die Aufgabe dieser Arbeit, mit dieser Presseweisung den Wortlaut der Proklamation zu vergleichen, die am 15. März, als die deutschen Truppen bereits tief in der Tschechoslowakei standen, „An deutsche das Volk" veröffentlicht wurde. Wer diesen offiziellen Texten nachstrebt, versäume auch nicht, den am 16. März ergangenen „Erlaß über das Protektorat Böhmen und Mähren" zu studieren (beides in „Archiv der Gegenwart", 1939, S. 3984 ff.). Diese Publikationen blieben auch vor der deutschen Presse zunächst unbekannt, ebenfalls der „Befehl an die Wehrmacht" vom 15. März. Für die Unterrichtung der deutschen Öffentlichkeit wurde angeordnet, der Begriff Gebiet' -„daß gesetztes ver nicht wendet wird. Es handelt sich um , Gebiet, das unter den Schutz der deutschen Wehrmacht gestellt ist'."

Die Zeitungen sollten „abschließend" und „noch offener" sagen, „daß nunmehr die seit Jahrhunderten ungelöste Frage dieses geographischen Raumes ihre endgültige Lösung gefunden hat. Es müsse hier Ordnung geschaffen werden und sie wird jetzt geschaffen. Angesichts der Gesamtlage Europas konnte eine Unordnung in diesem Raum nicht geduldet werden. Ordnung zu schaffen war aber nur möglich unter der Patronanz einer Macht und diese konnte nur die stärkere sein."

Der Sprecher der Reichsregierung zog in dieser Pressekonferenz und in der ihr folgenden „Nachbörse" (Zusammenkunft mit Vertretern großer Zeitungen) die Bilanz: „Deutschland ist jetzt bereit, auf einer neuen Basis völlig neu anzufangen, ein neues Buch in der Geschichte der beiden Völker aufzuschlagen. Wir wollen die Wunden des Kampfes der letzten Jahre vergessen, und es ist Sache der Tschechen zu beweisen, daß sie fähig und gewillt sind, sich auch ihrerseits auf die neue, ihnen gebotene Chance einzustellen.“

Soweit die Äußerung in der allgemeinen Pressekonferenz. In der folgenden „Aussprache" im kleineren Kreise fügte der Sprecher hinzu, daß auch an die Slowaken Erwartungen geknüpft würden und daß nicht weniger „auch die Ungarn und die anderen Völker des europäischen Südostraumes" sich in eine gemeinsame Ordnung einfügen müßten.

Der Rubikon war überschritten. Die Politik der von den Nationalsozialisten geführten Reichsregierung hatte sich offenbart: nicht „volksdeutsche Interessen", sondern machtpolitische Ziele wurden verfolgt. Die Presse, die auf dem kleinen Abschnitt des Zugriffs auf die Tschechoslowakei Schritt für Schritt gelenkt wurde, hatte abermals begriffen, wie sehr sie Werkzeug war, und auch, zu welchem Zweck sie es sein sollte. Kleine Kreise der damals in Berlin tätigen Journalisten haben darüber ungeschminkt miteinander gesprochen — und nicht nur deutsche untereinander.

Die Völker hörten die Signale

„Die Ereignisse scheinen dem Ausland geradezu die Sprache verschlagen zu haben", sagte ein Sprecher der Reichsregierung am 15. März 1939, dem Tage der Besetzung Prags, in der sogenannten „Glossenkonferenz", einer Pressebesprechung, in der die Regierungsvertreter den „kommentarfähigen" Zeitungen (!) für „selbständige Kommentare" — wie sie sagten — Hinweise zu geben pflegten, und zwar für Themen und auch für deren Behandlung. Es gehe „sogar den Berliner Ausländskorrespondenten" so, „die doch stündlich im Ministerium ein-und ausgegangen sind", fügte der Sprecher, offensichtlich erstaunt, hinzu. Es war ein Schuß Wahrheit in dieser Äußerung: Die Gut-gläubigkeit oder „Objektivitätssucht" (so nannte ein Ausländskorrespondent diese Haltung einmal) vieler Korrespondenten ausländischer Blätter war nahezu grenzenlos. Man hielt die Methoden der Reichsregierung, dieses Täuschen und Bemänteln, für eine ehrliche Sache. In den Heimatredaktionen war man kritischer. Die englischen Zeitungen, so wurde in der Glossenkonferenz dargestellt, hätten „zunächst ziemlich wilde Berichte ausgegeben, aus denen zu ersehen ist, daß sie den Dingen recht hilflos gegenüberstanden". Aber die Reichs-regierung befand, daß „der Wirrwarr rein lokaler Natur" sei und Europa ruhig bleibe, wozu der Kurzwellensender Pittsburg mit dem Satz zitiert wurde: „Heute hat Hitler alle Machtmittel in Mitteleuropa; es wird aber keinen Krieg geben.“ Dieses Zitat wurde noch häufig wiederholt. In Prag indessen wurde die Nachricht vom Einmarsch deutscher Truppen in das Land „zuerst überhaupt nicht für wahr gehalten". Die tschechischen Sender hatten um 4 Uhr morgens die Tätsache gemeldet. Mit Sorgfalt wurde darüber gewacht, daß alle solche Mitteilungen und Stimmen nur „in geeigneter Form" zur Kenntnis der deutschen Öffentlichkeit gelangten. Als am 16. März die den Nationalsozialisten besonders dienstbare Berliner Zeitung „Der Angriff", Goebbels'eigenes Blatt, eine Hauptüberschrift brachte „Frankreich sieht keinen Grund zum Eingreifen", bekam diese Zeitung in aller Öffentlichkeit (der Pressekonferenz) eine scharfe Rüge:

„. . . als hätten wir die Hosen voll gehabt!"

Das britische Echo erregte die Gemüter besonders. Duff Cooper, Unterhausmitglied und später im englischen Kriegskabinett Staatsminister, hatte in einer Rede geäußert, „an der Spitze des Reiches steht ein dreifach Meineidiger". Diesem Manne müsse „gründlich heimgeleuchtet" werden. Die Londoner „Times" wurde in dieser Verbindung eine „tränenreiche Moraltante" genannt, die stets Kritik für die Dinge bereit habe, die außerhalb des britischen Weltreiches geschähen. Es wurden Zeitungen bestimmt, die sich mit diesen Äußerungen zu befassen hatten. Als dann aber am 17. März 1939 eine Rede des britischen Premierministers Chamberlain bekannt wurde, die er in Birmingham gehalten hatte, blieb deren Wiedergabe ausschließlich auf DNB-Texte beschränkt. Chamberlain hatte bereits am 15. März im Unterhaus gesprochen, und auch das Oberhaus hatte eine harte Erklärung des Außenministers Lord Halifax angehört. Beide hatten die Aktion der Reichsregierung als „unvereinbar mit dem Geiste des Münchener Abkommens" bezeichnet. Man könne nicht glauben, so hatten die britischen Regierungsmitglieder gesagt, daß irgend etwas von dem, was jetzt geschehen sei, von irgendeinem der Signatarstaaten des Münchener Abkommens zur Zeit seiner Unterzeichnung beabsichtigt war. Der französische Ministerpräsident Daladier hatte dazu Deutschland den Vorwurf gemacht, es habe sich mit den Unterzeichnern nicht in Verbindung gesetzt. Alle diese Äußerungen — dies war die einzige Entgegnung, die der Presse „empfohlen" wurde — sollten kurz und eindeutig mit dem Hinweis „auf die unmittelbare Verständigung Berlin-Prag" abgetan werden. Man möge schreiben, so sagte der Sprecher der Reichsregierung in der Pressekonferenz, München sei nicht überholt, sondern es habe sich weiterentwickelt, „es hat sich erfüllt", eine Wendung, die später auch vom Auswärtigen Amt übernommen wurde.

Sein Sprecher, Geheimrat Aschmann, befaßte sich am 18. März ausführlich mit Chamberlains Reden und sagte u. a.: „Die Münchener Operation konnte nach der Natur des Falles nur vorübergehenden Erfolg haben. Der Patient ist daran gestorben.“

Aschmann stellte die Vorgänge so dar, daß die Abtrennung der Slowakei der Reise Hachas nach Berlin vorausgegangen und daß damit eine neue Lage geschaffen worden sei, durch die — dies ist eine wörtliche Wiedergabe der Aussage des Sprechers des Auswärtigen Amtes — . München hinfällig war. Für eine Konsultation fehlte die Grundvoraussetzung, nämlich eine Uneinigkeit zwischen Deutschland und dem tschechischen Volk. Hacha hat erklärt, daß er seine Reise freiwillig antrete und auf eigenen Wunsch. Während seiner Reise kam die berühmte Prager Rundfunkerklärung, Hacha werde das Schicksal seines Volkes in des Führers Hand legen und die tausendjährige Geschichte wiederherstellen. Der tschechische Entschluß lag also fest, bevor die Reise nach Berlin angetreten war. Das Ergebnis der Entwicklung war, daß die Konsequenz gezogen wurde aus der Haltung der Slowakei und dem Zusammenbruch der tschechischen Staatskonzeption."

Die folgende Ausführung befaßte sich dann mit den Vorwürfen der Hegemonie Deutschlands in Europa und der Weltherrschaftspläne Hitlers. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes zog auch den deutsch-englischen Flottenvertrag heran (vom 18. Juni 1935) und warf England vor, es habe „den Vertrag niemals seinem vollen Wert entsprechend honoriert"; es habe dann „den Tschechen den Nacken gesteift", und es „spielt sich zum Schiedsrichter im deutschen Lebensraum auf". Aschmann wiederholte Hitlers Aussage: „Deutschland habe keine territorialen Forderungen mehr." Dann sprach er nach erneuten Vorwürfen gegen Großbritannien von „Spekulationen", die auftauchten und auf „Erneuerung gewisser Einkreisungskombinationen im Osten" abzielten: „Die Annäherung an Sowjetrußland und der Übergang der antideutschen und antiitalienischen Führung an USA können Deutschland nur veranlassen, seine Sicherheit mit allen Mitteln auszubauen. Der Totalität der Drohungen wird die Totalität der Abwehr entgegengestellt."

In der Pressekonferenz entstand bei diesen — für Aschmanns Äußerungen ungewöhnlichen — Schärfen jeweils ein merkbares Raunen, das spüren ließ, daß man die Richtung verstanden habe, wie in dieser Konferenz auch notiert wurde.

Der Sprecher der Reichsregierung fügte diesen von ihm als grundsätzlich wichtig bezeichneten Äußerungen des Vertreters des Auswärtigen Amtes hinzu, daß „die Zeitungen nicht unmittelbar gegen die Regierung" schreiben sollten. Aber die Lautstärke sollte „ziemlich groß" sein: „Wenn jetzt von Recht und Humanität die Rede ist, dann müssen bestimmte Nationen überhaupt ausgeschaltet werden, jene, die Versailles gemacht haben."

Auch in den folgenden Tagen wurden die englischen Stellungnahmen immer wieder zum Ausgangspunkt für Anweisungen zur Entgegnung in gleicher Weise benutzt. Es sei „die Aufgabe, Hunderttausende auf die Straße zu bringen", hieß es am 19. März, und dies sei „von sehr wesentlicher Bedeutung", denn: „Im Auslandsecho klang nämlich immer wieder durch, das deutsche Volk nehme die Ereignisse so hin; innerlich beteiligt scheine es aber nicht", sagte der Sprecher der Reichsregierung dazu.

Jedoch sollte die Presse keine allzu eindeutigen Folgerungen ziehen oder ermöglichen. Hitler kam aus Prag und Wien nach Berlin zurück, und Goebbels hatte in einem Aufruf gefordert, ihn mit sichtbarem Ausdruck des Dankes zu empfangen. Der Empfang sollte dem Ausland beweisen, daß das deutsche Volk die Aktion des „Führers" billige. Die Presse wurde zur „besonders guten Berichterstattung" aufgefordert. Dabei geschah ein eigentlich unwichtig erscheinender Fehler. Ein Rund-ruf des DNB korrigierte am 20. März 1939 eine DNB-Meldung über diesen Empfang und ordnete an, daß „auf Blatt 13 des grünen Dienstes vom 19. März der letzte Satz ... zu streichen" sei. Dieser lautete: „Man sieht den italienischen Botschafter Exzellenz Attolico, den japanischen Botschafter, Exz. Oshima und den königlich ungarischen Botschafter Doeme Sztojay, sowie die Militärattachees von Italien, Japan und Ungarn mit ihren Gehilfen."

Eine solche Dokumentation eines Bündnisses, noch dazu mit Betonung der militärischen „Suite", sei „mindestens in diesem Zeitpunkt doch wohl sehr unzweckmäßig", wurde dazu auf Anruf im Propagandaministerium erläutert. Am Tage darauf wurde die Formulierung „Mehrer des Reiches", die auf Hitler angewendet worden war, untersagt, und ständig sollte es bei dem Thema bleiben: „England, die alte Jungfer, die Moral predigt." Für einen Reichen sei es immer sehr einfach, moralisch zu sein, und „von ihm werde nicht erwartet, daß er ein Brot stiehlt. Anders ist es mit jenen, die noch nicht reich sind", so formulierte es der Sprecher der Reichsregierung, fügte dann aber noch hinzu: „Die Zeitungen werden schon so geschickt sein, diesen Gedanken klug darzulegen." Die Presse mußte auch in den folgenden Tagen wiederholt hören, daß es auf ihre Geschicklichkeit ankomme und daß sie „nicht in den Fehler verfallen (solle), eine Politik der Nadelstiche zu führen" (29. März).

Am 31. März gab Premierminister Chamberlain im britischen Unterhaus eine offizielle Erklärung mit einem Hilfsversprechen für Polen ab. Sie war unzweideutig im unmittelbaren Text und in der mittelbaren Aussage, daß man in London begriffen hatte, wohin die Wege der deutschen Politik führten. Englische Zeitungen hatten von deutschen Truppen-aufmärschen an der polnischen Grenze berichtet und auch von einem deutschen Ultimatum an Polen. Wenn dazu, so wurde am 31. März noch vor der Chamberlain-Erklärung in der Pressekonferenz gesagt, „eine Meldung kommen sollte über eine Beistandsverpflichtung oder etwas ähnliches, solle man sich nicht sofort damit beschäftigen, sondern wie üblich vor einer Rede des Führers mit der Stellungnahme abwarten". Kurz darauf gab DNB folgenden Rundruf des Propagandaministeriums heraus: „Vermutungen über Abmachungen innerhalb der sogenannten Friedensfront gegen Deutschland sind nur von DNB zu nehmen. Ebenso ist die Chamberlain-Erklärung im Unterhaus mit DNB abzustimmen.“

Zur gleichen Stunde befaßte sich ein Sprecher der Reichsregierung in der „Glossenkonferenz" (für „kommentarfähige Zeitungen") mit einer aus Washington gemeldeten Äußerung des Sprechers des Weißen Hauses, die auf Roosevelt, den damaligen Präsidenten der USA, unmittelbar zurückgeführt wurde. Darin sollte es gelautet haben: „Nach der Chamberlain-Erklärung sei die Schuldfrage Deutschlands für den Kriegsfall eindeutig klargestellt." Diese amerikanische Formulierung werde als „außerordentlich unangenehm" empfunden, sagte der Chef vom Dienst im Propagandaministerium auf Anfrage. Die Formulierung sei „zu eindeutig", hatte der Sprecher in der Glossenkonferenz gesagt.

Diese Chamberlain-Erklärung, so wurde ohne Rücksicht auf die ihr in der Welt zugemessene Bedeutung angeordnet, sollte nur auf der zweiten Seite der Zeitungen gebracht werden. DNB werde einen Text und Kommentar bringen „als Anleitung für einige eigene Sätze". Der Tenor werde sein: Die Erklärung sei eigentlich überflüssig, denn über die Verpflichtungen gegenüber Polen sei man sich völlig im klaren. Man kenne die noch bestehenden Pakte. Daß Chamberlain eine solche Erklärung jetzt abgebe, das beweise, „daß er kein Mann ist, der zur Beruhigung und Befriedung beiträgt". Nur eine Zeitung (in Bremen), so wurde tags darauf gesagt, habe die Erklärung Großbritanniens an Polen „falsch" bewertet, weil sie geschrieben habe, die Erklärung bedeute erstmalig in der Geschichte, daß England im Osten Versprechungen eingegangen sei; es sei also ein Politikum von ungeheurer Bedeutung. Diese Bremer Pressestimme war alsbald in Berlin sehr gefragt.

Die Reaktion der britischen Regierung war nun klar, und es gab zunächst auch in den „Nachbörsen" keine Äußerung, aus der erkennbar wurde, daß die offiziellen Sprecher der Reichsregierung oder des Auswärtigen Amtes an der Ernsthaftigkeit der Erklärung zweifelten. Am 3. April sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes — es war der Gesandte Dr. Paul Schmidt („Presseschmidt") —, es sei der Reichsregierung bekannt, „. .. daß die englische Regierung wert darauf gelegt hat, diese Erklärung keineswegs als Vorstufe einer Einkreisungspolitik gelten zu lassen. Diese englische Feststellung dürfen wir nicht unterstützen, sondern müssen weiterhin im Sinne der Führerrede die Erklärung Chamberlains auslegen.“

Die Hitler-Rede war am 1. April 1939 in Wilhelmshaven aus Anlaß des Stapellaufes des vierten Schlachtschiffes der Kriegsmarine gehalten worden, das den Namen „Tirpitz" erhielt. Für sie gab es kein Manuskript, obwohl sie „zur ganzen Welt" gesprochen worden sein sollte, wie es in der Pressekonferenz hieß. Ihr Tenor sei es gewesen (Pressekonferenz vom 3. April 1939), „daß wir England gegenüber , am Feind bleiben', daß wir die Engländer in ihrer Agitation nicht zur Ruhe kommen lassen dürfen, sondern jede Blöße, die sie sich geben, aufgreifen müssen". Die Rede habe aber auch einen zweiten Tenor, weil sie den Friedenswillen Hitlers unterstrichen habe, der „ergänzt wird durch die Note des Bewußtseins der eigenen Kraft". Die Rede war auch im Blick auf den Parteitag der NSDAP gehalten worden, der im Herbst unter dem Zeichen „Parteitag des Friedens" stehen sollte.

Am 13. April 1939 gaben Chamberlain im Unterhaus und Daladier für die französische Regierung Erklärungen ab, durch welche die britisch-französische Garantie für die Sicherheit und den Beistand nun auch auf Rumänien und Griechenland ausgedehnt wurden. Man messe diesen Erklärungen, so wurde dazu in einer Sonder-Konferenz gesagt, „keine allzu große Bedeutung bei", und es hieß: „Die Kommentierung kann scharf sein, aber eben so, daß man sieht, daß Deutschland der Sache keine weltpolitische Bedeutung beimißt . . . Unbedrohte Staaten, die mindestens nicht erklärt haben, daß sie sich bedroht fühlen, werden garantiert, um entweder schon vorhandene oder beabsichtigte imperialistische Stützpunkte Englands zu erhalten oder zu gewinnen.“

Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Gesandter Dr. Paul Schmidt, begann am 13. April 1939 einen längeren Kommentar mit dem Satz: „Es muß festgestellt werden, daß England wert darauf legt, den Handlungen totalitärer Staaten an jedem Punkte entgegenzutreten.“

Es konnte nicht überhört werden, daß ein Raunen durch den Saal ging, und für die Beurteilung der Haltung vieler Journalisten in jener Zeit mag es nicht ohne Interesse sein zu wissen, daß an dem Tisch, an dem diese Notizen ausgeschrieben wurden, auch eine halblaute Bemerkung eines Berufskollegen verzeichnet wurde: „Ein Alibi für das perfide Albion!"

Am 28. April kündigte Hitler in einer Reichstagsrede und durch ein Memorandum das deutsch-englische Flottenabkommen (vom 18. Juni 1935). Die Presse jedoch sollte „nicht von einer Kündigung sprechen"; „es handelt sich vielmehr darum, daß wir diese Verträge als hinfällig ansehen. Die Grundlagen für diese Verträge bestehen in keiner Weise mehr", so erklärte der Gesandte Dr. Schmidt. Im übrigen habe ja Hitler in seiner Rede alles gesagt, was zu sagen sei.

Bei der Wiedergabe dieser Rede entstand eine Panne. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung" in Berlin brachte den Text ohne die in der gesprochenen Fassung entstandenen Korrekturen. Sie waren nicht ohne politischen Sinn. Die Zeitung wurde polizeilich beschlagnahmt. Kein Wunder, daß sofort die Suche der Journalisten nach der Ausgabe mit der Originalfassung begann und daß Vergleiche vorgenommen und politisch bewertet wurden. „Für den Hausgebrauch" seien die Reden bestimmt, so sagte der Sprecher der Reichsregierung in einer zur späten Abendstunde einberufenen Pressekonferenz, als Chamberlain und Daladier am 11. Mai 1939 in ihren Parlamenten die Beziehungen zu Deutschland grundsätzlich behandelt hatten. In einer Stunde, „in der man vom Frieden spricht, die Armeen mobil gemacht werden, Luftgeschwader sich versammeln und Millionen von Menschen Waffen tragen“ — solche Äußerungen (Daladiers) seien sicher auf Polen gemünzt, und die polnische Presse, nicht die deutsche, möge darauf antworten.

Nicht für den Hausgebrauch bestimmt war dann eine Rede Hitlers am 4. Juni auf dem „Reichskriegertag". Er spreche an dieser Stelle zum ersten Male „zu Euch, ehemalige Soldaten der alten und auch neuen Wehrmacht". Ton und Inhalt der Rede erregten im Ausland und Inland erhebliche Aufmerksamkeit. In der Pressekonferenz bemühte sich der Sprecher der Regierung darum, ihr das außenpolitische Gewicht zu nehmen: „Daß sie eine außenpolitische Bedeutung hat, ist unbestritten. Aber in erster Linie war sie eine Rede vor den Soldaten. Der Ton der Verstärkung der deutschen Wehrkraft ist auch der Ton, der in Zukunft für die nächsten Wochen die innerpolitische Haltung der deutschen Presse bestimmen muß."

Zu der Daladier-Rede hatte es zusätzlich geheißen, es sei ein Zufall, daß sie am gleichen Tage wie die von Chamberlain gehalten worden sei. Es möge „keine besondere Kampagne gegen Frankreich gemacht werden. Für uns ist England führend in der Einkreisung.“

Dabei ist sie bis zum Kriegsbeginn geblieben. Ähnlich unberührt war die offizielle deutsche Politik, als Chamberlain und sein Außenminister Halifax am 8. Juni im Unter-und Oberhaus eine deutliche Bereitschaft zur Verständigung mit Deutschland bekundeten: „Die Reden sind so schön, daß man ihnen Glauben schenken könnte wie ursprünglich den vierzehn Punkten Wilsons. Aber leider entsprechen ihnen die Taten nicht, die wir von den Engländern gesehen haben.“

So die Erklärung des Sprechers der Reichsregierung. Die Presse möge „auf die wirklichen deutschen Friedenstaten" verweisen, „nämlich auf die Nichtangriffspakte" (mit Lettland, Estland, Dänemark u. a., die gerade abgeschlossen wurden). In Deutschland gehe „jeB der seiner Arbeit nach", aber „in England ist die Kriegsstimmung bis in das letzte Haus getragen worden". Im übrigen wiederholten sich nun Weisungen, die der vom 3. Juli entsprachen: „Die Rede-Inflation der Demokratien werde immer noch zu ernst genommen. Kurze Meldungen genügten, in denen die Tatsache einer Rede mitgeteilt und in denen zugleich gegen besonders ausfällige Bemerkungen polemisiert werde.“

Solche Weisungen hinderten indessen nicht daran, daß noch am gleichen Tage das Gegenteil gesagt, am folgenden Tage aber wieder zurückgenommen, gemildert, geändert wurde. Jede Maßnahme hatte ihren Zweck, nur nicht den, die Tatsachen korrekt zur Kenntnis der deutschen Leser zu bringen. Die Journalisten wurden durch die Manipulationen nur kritischer.

Nur brieflich durfte an die Heimatredaktion übermittelt werden, was am folgenden Tage, dem 4. Juli 1939, in der Pressekonferenz gesagt wurde: „Zu den diesjährigen Herbstübungen der ^Wehrmacht werden in größerem Umfange Reserven eingezogen werden. In Ostpreußen werde die Ernte von den dann zur Verfügung stehenden Kräften nicht eingebracht werden können. Darum werde der Reichsarbeitsdienst in großem Umfange eingesetzt werden. Es müßten aber auch Zivilpersonen aller Berufe beordert werden. Sie würden aus den östlichen Provinzen des Reiches entnommen werden. Hierüber darf in keiner Weise berichtet werden. Dies gelte auch für den Anzeigenteil, für den noch über den Reichsverband der Zeitungsverleger eine genauere Anweisung gegeben werden soll."

Im Juni waren bereits „Manöver besonderen Umfanges" für den Westen ebenfalls in der Pressekonferenz angekündigt worden. Sie sollten auch „im Herbst" stattfinden. Man fragte sich unter den Journalisten, was mit diesen Informationen bezweckt werden sollte: Abschreckung oder Vorbereitung für ein kriegsunwilliges Volk?

In allen Weisungen der folgenden Wochen blieb England das Ziel der schwersten und schärfsten Angriffe. „Persönliche Angriffe auf führende englische Staatsmänner" sollten nach einer Weisung vom 29. August, also kurz vor Beginn des Krieges, unterbleiben, nachdem sie zuvor vielfach und nachdrücklich gefordert worden waren. Jetzt hieß es: „Sachliche Angriffe auf die englische Politik unvermindert fortsetzen.“

England trage „an der Versteifung der politischen Situation die Schuld". Mit äußerster Kühle und Kürze wurde auf die englischen Versuche reagiert, eine Konferenz zu erreichen, die noch in letzter Minute den Frieden erhalten sollte: „Ein Abschieben auf die lange Bank“ sei nun für die Entscheidungen unerträglich, so hieß es am 30. August. Es dürfe „keinen Zweifel an der Entschlossenheit des Reiches zum letzten Einsatz (geben), wenn die anderen nicht Einsicht haben". Nach solcher Erklärung und Bekundung des amtlichen Sprechers der Reichsregierung in der allgemeinen Pressekonferenz hatte die politische Tätigkeit aufgehört — und die Ereignisse gingen den vorgesehenen Weg.

Wesentlich schwerer zu verstehen war die Methode, mit der die Vereinigten Staaten von Amerika und die von dort kommenden politischen Äußerungen durch die Reichsregierung Hitlers behandelt wurden. Erst als Präsident Roosevelt am 15. April 1939, einen Monat nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Deutschland und Albaniens durch Italien, Botschaften mit der Aufforderung an Hitler und an Mussolini gerichtet hatte, keine neuen Aktionen mehr zu unternehmen, wurde eine deutlichere Sprache gegen die USA in den Pressekonferenzen hörbar. Sie war aber keinesfalls so klar und eindeutig wie die gegen Großbritannien und Frankreich.

Der Botschaft wurde unterstellt, daß sie von der Sowjetunion angeregt oder „veranlaßt" worden sei und daß England und Frankreich sowohl die Sowjetunion wie die USA in die europäische Politik zu ziehen bestrebt seien. Dies sollte in Kommentaren zur Roosevelt-Botschaft dargelegt werden. „Ein zweites Versailles" werde vorbereitet. Es ist damals notiert worden, daß die Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht für so wichtig genommen werden möge wie der bevorstehende 50. Geburtstag Hitlers. Immerhin wurde der Reichstag einberufen, aber ein Rundruf des DNB untersagte für diese Meldung eine Bezugnahme auf die Botschaft. Das Auswärtige Amt hielt einen Hinweis für angebracht, daß Roosevelt 1921 von der Kinderlähmung befallen worden sei und daß es nun Nachrichten gäbe, „daß auch sein Geisteszustand von der Krankheit betroffen ist". Dem Sprecher der Reichsregierung erschien dieser Ton nicht als der richtige. Man möge „den Kampf gegen Roosevelt nicht vorzeitig aufnehmen'', bat er. Was vom Auswärtigen Amt gesagt worden sei, möge man „bis zum Freitag Abend auf Eis legen". Aber auch am folgenden Freitag wurde die Presse angewiesen: „Von der großen Aktion gegen Roosevelt wollen wir noch Abstand nehmen."

Roosevelt hatte in seiner Botschaft eine Reihe von präzisen Vorschlägen gemacht und die Frage gestellt, ob die beiden Regierungschefs bereit seien, eine Zusicherung zu geben, „daß ihre Streitkräile das Staatsgebiet oder die Besitzungen folgender unabhängiger Nationen nicht angreifen und nicht dort einmarschieren werden," und hatte dann 30 Nationen genannt, europäische und nahöstliche. Die Zusicherung sollte aber „nicht nur für den heutigen Tag, sondern auch für eine künftige Zeit gelten, die lang genug sein müßte, um ausreichende Gelegenheit dazu zu geben, auf friedliche Weise an einem dauerhaften Frieden zu arbeiten". Roosevelt teilte mit, daß er auch die genannten Staaten zu gegenseitigen Erklärungen anregen werde. In den Pressekonferenzen wurde dieser Inhalt zunächst überhaupt nicht angesprochen. Das sollte einer Rede Hitlers vorbehalten bleiben. Die öffentliche Meinung in Deutschland erfuhr also den Kern der Botschaft nicht und hörte und las nur die nicht auf den Sachinhalt eingehenden Polemiken. Daß Hitler dann in seiner Rede vom 28. April 1939 die Vorschläge ablehnte, bedarf keiner Betonung. Zu ihr sagte der Sprecher der Reichs-regierung am 29. April, man möge „. .. bloß die Gedanken der Rede selbst aufgreifen. Eines soll beachtet werden: keine Leichenschändung Roosevelts. Neue Argumente sollen also nicht vorgebracht werden, nachdem der Führer in einer vornehmen Art die Sache restlos bereinigt hat. Die Presse soll nun der Welt nicht das Schauspiel geben, auf einer tieferen Stufe nochmals zu beginnen."

In der folgenden Zeit wurden amerikanische Pressestimmen nur wenig beachtet, und Angriffe wurden gedämpft, „da wir uns die amerikanische Presse nicht als Gegner der Polemik gegen England zuziehen wollen".

Es bedurfte erst eines so harten Schlages wie der Äußerungen von Präsident Roosevelt, Hitler werde jetzt Danzig annektieren und dann London und Paris bombardieren. Diese Aussage wurde am 19. Juli ohne jeden Zusammenhang in der Pressekonferenz behauptet, aber es wurden keine Weisungen außer der gegeben, daß man den Präsidenten und nicht das Volk der USA angreifen müsse. Bis hin zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 24. August 1939 wurde zur amerikanischen Haltung nur in einem gleichbleibenden Tenor gesprochen, der am 25. August so formuliert wurde: „Roosevelt hat bisher nichts anderes getan, als die Friedensstörer aufzuputschen und zu ermuntern. Das ist kein ehrlicher Makler. Wenn er eine Rolle für sich suche, so möge er die vierzehn Wilson-Punkte durchsetzen."

Diese Definition der amerikanischen Politik, wie die Reichsregierung sie zu sehen behauptete, auf jeden Fall aber gesehen wissen wollte, gab das Auswärtige Amt.

Jahrhunderte in Freundschaft

Das Verhältnis der Reichsregierung zur Sowjetunion war kühl bis negativ, als Hitlers Aktionen gegen die Tschechoslowakei die Phase der innerdeutschen Erstarkung in die in „Mein Kampf" angekündigte Phase der Entwicklung des „großdeutschen Lebensraumes" überleitete. Zwar hatte Hitler im Mai 1933 den Neutralitätsvertrag mit der Sowjetunion erneuert, aber die Kontakte, die vorher bestanden, wurden gelöst. Hitler trat am 14. Oktober 1933 aus dem Völkerbund aus, die Sowjetunion trat am 18. Oktober 1934 in den Völkerbund ein. Der Antikominternpakt, den Deutschland mit Japan am 25. November 1936 abgeschlossen hatte, verstärkte das Gegeneinander. Die mit Rapallo 1922 eingeleitete Zusammenarbeit war nahezu beendet. Um so mehr wurde bemerkt, daß im Januar 1938 und dann im Laufe dieses und des nächsten Jahres immer wieder Nachrichten auftauchten, die von einer Annäherung der beiden Länder zu wissen behaupteten. Anfragen in den Presse-konferenzen oder in Gesprächen wurden mehr spöttisch als sachlich beantwortet. In den Überlegungen, Erläuterungen und Weisungen, die in den erregten Wochen der Besetzung der Tschechoslowakei in den Presse-konferenzen angestellt wurden, ist die Sowjetunion kaum jemals genannt worden. Am 4. April 1939 nahm der Sprecher der Reichs-regierung zu einer Moskauer Stimme Stellung, die sich kritisch zu dem Hilfeversprechen Englands an Polen geäußert hatte. Es ergebe sich aus dieser Stimme, so hieß es in Berlin, „daß Moskau England etwas die kalte Schulter zeigt". Zur „Behandlung" sei diese Nachricht jedoch nicht freigegeben.

Erst nach dem Marsch deutscher Truppen auf Prag mehrten sich Hinweise auf die Antikomintern. Als Spanien am 7. April 1939 dem Pakt beitrat, sprach der Gesandte Dr. Paul Schmidt für das Auswärtige Amt von der „großen weltpolitischen Konzeption, die sich im Antikomintern-Abkommen aus kleinsten Anfängen heraus entwickelt" habe. Er regte im kleineren Kreise dazu an, nun ohne Scheu „die ganze weltpolitische Lage von Grund auf zu behandeln" und nannte als Themen England, Polen und die Sowjetunion. Auch der Sprecher der Reichsregierung wünschte: „Es kommt besonders darauf an, noch einmal die autoritäre Staatskonzeption, die durch den Beitritt gestärkt worden ist, den demokratischen Formeln gegenüberzustellen als einem System der Vergangenheit, das an allen Ecken brüchig geworden ist. Insofern kann man sehr wohl von den beiden Fronten sprechen, die in den letzten acht Tagen aufmarschiert sind.“

Die Journalisten waren bisher dazu angehalten worden, die antikommunistische Haltung Hitlers in die antisowjetische zu übertragen. Nun mußten sie zu unterscheiden beginnen, wenn sie die Weisung richtig verstanden. Ein Umschwung in der Haltung der Reichsregierung wurde zwar erkennbar, aber nur bei sorgfältigster Beobachtung. Am 13. April abends sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes (Schmidt) im Zusammenhang mit der Sicherheitsgarantie Englands und Frankreichs für Rumänien und Griechenland: „Ein wichtiger Punkt ist ferner die Haltung zu Sowjetrußland. Wir beobachten es seit langem genau, wie England und in seinem Schlepptau Frankreich versuchen, Sowjetrußland wieder in das europäische Spiel hineinzubringen.“

Auf eine Frage im kleineren Kreise, was dieser Hinweis bedeute, erfolgte die Antwort: „Die Sowjetunion wird für alle künftigen Vorgänge in Europa von großer Bedeutung sein und bleiben." Er wiederholte sein Ersuchen auch am folgenden Tage: „... daß man die Einbeziehung Sowjetrußlands in das europäische Spiel durch England und Frankreich noch einmal ins rechte Licht stellt".

In der „Nachbörse" erhielt der Satz die Aus-deutung, die Sowjetunion müsse „beachtet", aber „nicht ins Visier genommen" werden. Das galt etwa auch, als am 25. April die Nachricht vorlag, der „Präsident der Ukrainischen Volksrepublik" habe Roosevelt in einem Telegramm gebeten, „er möge sich dafür einsetzen, daß die Sowjetunion ihre Truppen aus der Ukraine zurückziehe". Die Meldung sollte nicht beachtet werden. Als Außenminister Litwinow am 3. Mai 1939 zurücktrat, wurde „Vorsicht" verlangt. Litwinow sei „mit Hilfe der Engländer auf das Genfer Parkett eingeschmuggelt worden", und er sei „Exponent einer Paktpolitik" gewesen. Daß er gerade jetzt gehe, sei interessant. Die Presse wurde angeregt, „sich eigener Kommentare am be17 sten zu enthalten" und sich auf Pressestimmen aus dem Ausland zu beschränken. Molotow, der Nachfolger, durfte nicht mit „Vorschußlorbeeren" bedacht werden. Die Zurückhaltung wurde immer wieder angemahnt.

Eine am 8. Mai erschienene Meldung, Rußland werde in einem Kriegsfälle Estland und Lettland besetzen, durfte nicht veröffentlicht werden. Die Zeitungen erhielten die Weisung: „Gegenüber Sowjetrußland soll die Presse äußerste Zurückhaltung bei der Stellung von Prognosen wahren."

Zwischen England und Frankreich auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite fanden seit längerer Zeit Verhandlungen statt. Die Nachrichtenpolitik der Reichsregierung war auf das sorgfältigste mit der Beobachtung aller Vorgänge beschäftigt. Immer wieder wurde die Presse „dringend gebeten, die Berichterstattung über die Moskauer Politik kühl und zurückhaltend zu üben" (10. Mai 1939), während zur englisch-französischen Politik galt, daß ihre Versuche der Einbeziehung Rußlands in die europäischen Angelegenheiten angegriffen werden sollten. Als eine TASS-Erklärung deutliche Unterschiede in den Auffassungen der Sowjetunion und der beiden anderen Mächte ausbreitete, sagte der Sprecher der Reichsregierung (am 12. Mai): „Jede Kombination über eine, wie das Ausland sagt, deutsch-russische Annäherung muß in deutschen Zeitungen auf das peinlichste vermieden werden. .. . Das ganze Problem müsse, wes nun wiederholt gesagt werde, mit größter Zurückhaltung behandelt werden, auch die Gespräche London-Moskau. Auf keinen Fall erste Seite und nur berichtend, nicht wertend."

Selbst eine Nachricht, daß eine Prinzessin Droganoff einen „Millionenprozeß" gegen die UdSSR führe, weil ihre wertvolle Gemälde-sammlung von Moskau versteigert werde, durfte nicht erscheinen. Die Sorgfalt und Umsicht das Propagandaministeriums und Auswärtigen Amtes war ungewöhnlich — aber auch anregend für Beobachtungen. Das Auswärtige Amt rechnete mit einem Zerfall der Moskauer Gespräche zwischen England, Frankreich und der Sowjetunion. Man sei „noch beim Verhandeln", hieß es am 16. Mai, aber man könne sich hier in Berlin „vielleicht auch Gedanken machen über die möglichen Folgen, insgesamt aber kein großes Interesse verraten". Wie problematisch die Regierung die Lage ansah, mag aus einer Weisung vom 18. Mai hervorgehen: „Gegenüber Sowjetrußland wurde bisher Zurückhaltung geübt, um den anderen nicht die Einkreisungspolitik zu erleichtern. Es wäre verkehrt, wenn ein Bruch der Diktion gegenüber Sowjetrußland bei uns eintreten würde. Wir haben bisher vom Bolschewismus gesprochen, wenn wir Rußland meinten. Wenn wir in der Polemik in der letzten Zeit weniger stark waren, so soll das kein Anlaß sein, das alte Wort Rußland wieder allein zu verwenden. Am zweckmäßigsten wäre der Begriff, den die Kreml-Machthaber selbst für ihr Land gewählt haben: Sowjetunion."

In der Darstellung der geschichtlichen Tatsachen wird, wenigstens solange nicht alle Archive offen sind, für die Historiker eine besondere Schwierigkeit darin bestehen, das Auf und Ab der britisch-sowjetischen Verhandlungen in der ersten Hälfte des Jahres 1939 genau mitzuteilen. Chamberlain hatte am 19. Mai im Unterhaus das Ziel dahin gekennzeichnet, daß England bemüht sei, „die beste Methode für die Errichtung einer Friedensfront ausfindig zu machen". Es gab über das Wie unterschiedliche Auffassungen. Aus den Äußerungen der amtlichen Sprecher der Reichsregierung gewann man die Gewißheit, daß sich die deutschen Hoffnungen auf eben diese Spannung gründeten. Hoffnungen und Enttäuschungen wurden in den Weisungen deutlich. Am 26. Mai erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Gesandter Dr. Paul Schmidt, „nur zur Information" den Vertretern der Presse: „Die Haltung Deutschlands zu Sowjetrußland stand in der letzten Zeit im Mittelpunkt des Interesses, insbesondere auch des Auslandes. Von hier aus konnte kein Interesse daran bestehen und besteht auch jetzt noch nicht, eine Unruhe, die sich im Ausland zeigte, durch übertriebene Wahrheitsliebe zu zerstreuen. Jede Unruhe, die draußen herrscht, kann uns Vorteil bringen. Das war ein politisches Plus. Darum sind hier verschiedentlich Thesen ausgegeben worden für die Haltung in dieser Frage und für die Erörterung der Presse. Nach dem neuesten Stand ist zu sagen, daß sich die Haltung Deutschlands zum Bolschewismus in keiner Weise geändert hat. Die Haltung Deutschlands zu Sowjetrußland hat sich ebensowenig geändert. Wenn wir aus taktischen Gründen in der letzten Zeit von Angriffen auf Sowjetrußland abgesehen haben, so war das Taktik und keine politische Schwenkung. Heute, wo Rußland mit großer Sicherheit in das System der englisch-französischen Politik einbezogen werden wird, kann alle Rücksicht fallen. Wir dürfen in Zukunft nicht mehr sagen, die Sowjets machen sich rar, oder sie hätten Bedenken, sich in die Front einzufügen. Nein, sie wollen in dieses System hinein, wollen sich aber so teuer wie möglich einkaufen lassen. Diese Information soll nicht zum Zweck haben, daß sich jetzt die Presse auf Sowjetrußland stürzt. Sie soll vielmehr als Richtlinie für die künftige politische Haltung dienen."

Dann aber hielt der Außenkommissar der Sowjetunion, Molotow, am 31. Mai 1939 vor beiden Kammern des Obersten Rates eine Rede, in der er u. a.den Satz gebrauchte, die Sowjetunion sei „keine Macht, die für andere die Kastanien aus dem Feuer holen werde". Nur dieser Satz sollte für deutsche Zeitungen Beachtung finden. Er gab auch in den folgenden Wochen wiederholt Anlaß, Erwartungen zu hegen und auszusprechen.

Einstweilen verlief jedoch der Weg in umgekehrter Richtung. Lettland und Estland hatten sich bereitgefunden, den vom Deutschen Reich vorgeschlagenen Nichtangriffspakt zu unterzeichnen. Am 6. Juni wurde dazu in einer Sonder-Pressekonferenz, die eilig einberufen worden war, vom Sprecher des Auswärtigen Amtes gesagt: „Der Abschluß der Nichtangriffsverträge mit Lettland und Estland, der morgen bevorsteht, habe eine ungewöhnliche außenpolitische Tragweite. Die Situation sei so gewesen, daß die englische und französische Politik Sowjetrußland zu einem neuen Einbruch in das gesamteuropäische Spiel verleiten wollte. Dieser Versuch sei nun von uns durchkreuzt worden. Ursprünglich seien die Verhandlungen mit Estland und Lettland lediglich als ein Gegenzug gegen die Aktion Roosevelts eingeleitet worden. Als jedoch die englische Aktion einsetzte, die Rußland wieder in die europäischen Fragen hineinzog, hätten diese Verhandlungen ungleich schwereres Gewicht erhalten und die Bedeutung eines Gegenzugs gegen die englische Politik gewonnen. Daß dieser nun geglückt sei, dürfe kein Anlaß zu Triumphgeschrei werden, vor allem kein Anlaß zu hämischen Polemiken gegenüber Sowjetrußland.

Der eigentliche Treiber der neuen Außenplitik der Gegner sei und bleibe England, das bereit sei, die Neutralität der baltischen Staaten durch das Bemühen zu opfern, eine einseitige Garantie auszusprechen. Diese Staaten würden damit in ein System gegen Deutschland hineingezwängt werden. Die sowjetrussischen Vorbehalte gegenüber dem englischen Vorschlag bestünden im wesentlichen darin, daß Sowjetrußland für die baltischen Länder keine Sonderregelung anerkennen wolle, daß es vielmehr eine politische Garantie zu erreichen trachte, um durch diese Gürtelstaaten gegen Angriffe vom Westen her gesichert zu sein. Sowjetrußland möchte darüber hinaus in einer Aggression gegen die Randstaaten bereits eine Gefährdung des eigenen Territoriums erblicken dürfen und also befugt sein, Maßnahmen gegen Aggressoren zu ergreifen. Da der Begriff der Aggression dahin ausgelegt werde, daß nicht erst ein Angriff, sondern bereits eine Bedrohung mit einem Angriff für Gegenmaßnahmen ausreiche, so würde bei einem entsprechenden Abkommen Sowjetrußland weitgehend Handlungsfreiheit haben und gleichzeitig (bei Gegenseitigkeit) England und Frankreich weitgehend verpflichten. Der Vertrag mit Estland und Lettland habe auch den Sinn, den Unsinn einer Garantie für die baltischen Staaten darzutun. Außerdem werde der Vertragsabschluß Anlaß zur Prüfung von Fragen geben, die nicht unmittelbar mit dem Vertrag, wohl aber manches mit der Anregung zu tun haben sollen, eine englische Garantie für die beiden Staaten auszusprechen. Es sei begreiflich, daß Sowjetrußland für einen Kriegsfall den Hafen von Riga nötig habe. England scheine bereit, diesen Forderungen weitgehend entgegenzukommen, wie seine Presse und seine politischen Maßnahmen zeigten.“

Es sei erlaubt, an dieser Stelle zu sagen, daß diese Äußerungen des Auswärtigen Amtes mit aller Sorgfalt und unter Beachtung aller Nuancen zu lesen sind. Sie blieben den ständigen Beobachtern in den Pressekonferenzen in guter Erinnerung, bis die Wegweiser wiederum in die entgegengesetzte Richtung gedreht wurden. Noch war es nicht so weit, aber die Hoffnungen der Reichsregierung waren unbeirrbar, so schien es. Was immer die Verhandlungen in Moskau belastete — und es gab zahlreiche und schwere Belastungen verschiedener Art —, die Weisung vom 23. Juni galt: „Auf jeden Fall jede Schadenfreude zu vermeiden, da die Tatsachen eindeutig genug sprechen.“ Weder die Anwesenheit des britischen Sonderbeauftragten William Strang in Moskau noch seine öffentliche Erklärung, „er werde abreisen, wenn bis Sonntag abend kein greifbares Ergebnis vorliege", durften von deutschen Zeitungen veröffentlicht werden. Ein Artikel der „Prawda" aber gab dem Auswärtigen Amt am 29. Juni Anlaß zu dem wie eine Erleichterung klingenden Hinweis, daß die Kritik an den Westmächten von einem „Vertrauensmann Stalins" geschrieben worden sei. Ruß-land werde von den Westmächten „doch noch nicht als gleichberechtigt anerkannt", aber es werde „für niemand die Kastanien aus dem Feuer holen", wie hier vom Auswärtigen Amt aus der Molotow-Rede zitiert wurde.

In diesen letzten Juni-Tagen tauchten im Ausland Nachrichten über deutsch-sowjetische Wirtschaftsverhandlungen auf. Es gäbe keinen Anlaß, so wurde dazu am 25. Juni gesagt, Kommentare zu schreiben, und es sei äußerste Zurückhaltung am Platze. Am 6. Juli lautete dann eine Weisung: „Die Moskauer Verhandlungen sollten nicht Anlaß für Prophezeiungen sein, die leider immer wieder in der Presse zu finden seien. Gegen Gegenüberstellungen von Nachrichten sei nichts einzuwenden."

Damit war der Weg frei, bei geschickter Redaktionsarbeit wenigstens anzudeuten, was gerüchteweise verlautete. Die Verhandlungen der Westmächte sollten „gelangweilt und teilnahmslos" zur Kenntnis genommen werden. Sie seien „so verfahren, daß jedes Wort von uns als Druckmittel wirke". Es blieb dabei, daß von deutscher Seite in Moskau Wirtschaftsverhandlungen stattfänden und sonst nichts. Aber Ende Juli reiste eine deutsche Militärmission nach Moskau. Noch am 3. August wurde selbst zu den Wirtschaftsverhandlungen gesagt, man „möge außerordentlich zurückhaltend sein und in Zukunft auch der eigenen Findigkeit Zügel anlegen".

Immer wieder sprachen Auslandsnachrichten von politischen Kontakten zwischen dem Reich und der Sowjetunion. Jedoch „man möge keine Nervosität zeigen und sich nicht anstekken lassen, erwiderte Baron Braun von Stumm (Sprecher des Auswärtigen Amtes) noch am 18. August in der Pressekonferenz. „Berlin hat gestern gebadet und sich den Teufel um Politik gekümmert", so erläuterte er die Lage in Deutschland. Man möge einen Kommentar vielleicht „mit dem Satz abschließen, daß das deutsche Volk voller Vertrauen nach dem Obersalzberg blicke und daß es wisse, daß der Führer alles richtig mache".

Der Wirtschaftsvertrag wurde am 19. August abgeschlossen, jedoch durfte er nicht herausgestellt werden, und Kommentare durften nicht länger sein als 40 bis 50 Zeilen. Noch liefen die Moskauer Verhandlungen mit England und Frankreich! Deshalb lautete die Weisung an die deutschen Zeitungen: „Keinerlei Ausführungen, die auch nur andeutungsweise auf das politische Verhältnis (Deutschland-Sowjetunion) eingehen oder auch nur so ausgelegt werden könnten." Besonders das Auswärtige Amt gab sich große Mühe, die Tarnung noch immer aufrechtzuerhalten: Warenaustausch mit der Sowjetunion sei das Thema des Tages. Nur zwei Tage später, am 22. August, gab das Deutsche Nachrichtenbüro (DNB) folgenden Rundruf: „Die Meldung vom bevorstehenden Abschluß eines Nichtangriffspaktes zwischen Deutschland und Sowjetrußland ist ganz groß auf der ersten Seite herauszubringen. Sie beherrscht die politische Aufmachung der Morgenblätter."

Kommentare durften noch nicht gebracht werden. Damit war der Bann gebrochen.

Der Saal im ehemaligen Palais am Wilhelm-platz, von 1933 an Sitz des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, war bis auf den letzten Platz gefüllt, als am 22. August 1939 der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Baron Braun von Stumm, den Vertragsabschluß mit folgenden Sätzen zu kommentieren begann: „Zu dem morgen zum Abschluß gelangenden Nichtangriffsabkommen ist folgendes zu sagen: Es ist sehr erwünscht, daß auf den sensationellen Wendepunkt in der Geschichte der beiden Völker hingewiesen wird. Die beiden Länder haben sich wiedergefunden. Geben Sie bitte einen Hinweis auf die lange Zusammenarbeit. . . . Aus der Geschichte werden Sie wissen, daß Deutschland und Rußland schon viele Jahre zusammengearbeitet haben. Die Geschichte der Bismarck-Zeit zeigte es. Wir wissen auch, daß in Leipzig die Deutschen und Russen zusammenstanden. Weisen Sie, bitte, auch auf die Möglichkeit hin, die sich aus dieser Freundschaft wirtschaftlich und politisch ergaben. Weisen Sie ferner darauf hin, daß diese Erkenntnis im deutschen Volke freudigen Widerhall gefunden hat.“

So glatt, wie sich diese Einleitung lesen mag, konnte sie nicht vorgetragen werden. Als der Sprecher von den beiden Völkern sprach, die sich wiedergefunden hätten, brach ungezügelte Heiterkeit los. Der Sprecher erschrak sichtlich und sagte: „Ich lese die Weisung vor, die mir gegeben wurde." Diese Bemerkung wurde erneut mit schallender und geradezu stürmischer Heiterkeit quittiert. Hans Fritzsche, der Sprecher der Reichsregierung, der die Konferenz leitete, bemerkte nun: „Ich sehe in dem Gefühlsausbruch nur den Ausdruck der Freude darüber, daß dieses Ergebnis erzielt werden konnte. Es war gewiß keine Kritik an den Worten des Herrn von Stumm, das möchte ich in Ihrem Namen doch ausdrücklich feststellen. Ich weiß ja, meine Herren, daß man Ihnen nichts vormachen kann." Braun von Stumm konnte seine Vorlesung ungestört beenden.

Als Sprecher der Reichsregierung fügte Fritzsche dann hinzu, weltanschauliche Fragen interessierten in diesem Zusammenhänge nicht. Die Wirtschaftsverhandlungen hätten gezeigt, daß sich beide Völker ergänzten. Das deutsche Volk habe durchaus Verständnis für die Verschiedenartigkeit der beiden politischen Systeme. Das Sowjetsystem sei nun einmal das, was sich das russische Volk selbst gegeben habe. In einer Sonderkonferenz sagte Fritzsche im gleichen Sinne: „Jeder sei sich darüber klar, daß man dem deutschen Leser nicht plötzlich eine Anhimmelung der Union zumuten dürfe. Aber durch Unterlassungen und auch durch positive Mel dungen sei doch bereits eine gewisse journalistische Vorarbeit geleistet worden. Lange und blumige Artikel über die tiefen inneren Beziehungen von Volk zu Volk seien gewiß abgeschmackt. Aber zwischen dieser Art und jenen Wünschen, warm und offenherzig zu sein, bestehe eben ein Unterschied. Jeder Schreibende müsse sich klar sein, daß es sich nicht um ein taktisches Manöver handele, das für den Tag gedacht sei. Es sei eine historische Wende im durchaus echten Sinne eingetreten. Ein alter Weg sei wieder beschritten worden, den die deutsche Politik jahrhundertelang begangen habe.“

Er gab noch einige zusätzliche Weisungen: Das Thema Antikomintern-Pakt, „das sicher die Auslandspresse totreden würde", sollte nicht angeschnitten werden. Man möge auch Kommentare über die Situation der englischen und französischen Politik nicht nur „in Schadenfreude tränken". Es liege auf der Hand, so sagte der Sprecher der Reichsregierung am 24. August 1939 nochmals zu diesem deutsch-sowjetischen Vertrag, „... darauf hinzuweisen, daß der Vertrag eine sehr deutliche Sprache spricht, so deutlich, daß bisher in der internationalen Diplomatie kein ähnlicher Vertrag zu finden ist. Jeder, der den Text liest, muß zu der Überzeugung kommen, hier gibt es keine Hintertüren, keine Möglichkeit für die Verwirklichung der Hoffnung, die die Presse der demokratischen Staaten bis in die letzte Minute vor dem Abschluß äußerte, die Hoffnung, daß das Werk in der Praxis keine Bedeutung haben, daß es nicht andere Abmachungen aufheben oder überflüssig machen werde.“

Wieweit diese Interpretation der Bedeutung dieses Vertragsabschlusses realistisch und redlich war, wurde durch den Einmarsch der deutschen Truppen in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 beantwortet

Erstes Ziel: Polen

Noch während die militärische Aktion zur „Lösung der tschechischen Frage" anlief, hatte die Presse andere Themen aufgegriffen, die zum Gesamtproblem „Großdeutschland" gehörten oder zu gehören schienen. Die Memel-Frage stand im Vordergrund. Es sollte, wie berichtet, jedoch „alles zu seiner Zeit" angesprochen werden. Aber auch die Zeit für das unter litauischer Hoheit lebende Memelland kam. Am 15. März, dem Tage des Vormarsches der deutschen Truppen auf Prag, wurde im Memellandtag von dem dortigen „Führer der Memeldeutschen", Dr. Neumann, eine Erklärung verlesen, in der die Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes gefordert wurde. Die Weisung in der Pressekonferenz in Berlin war kurz und bündig: „Uber die Erklärung Neumanns vor dem Memellandtag soll nur über die DNB berichtet werden." Am 18. März wurde in Memel ein Denkmal Kaiser Wilhelms wiederaufgestellt. Dabei sei die Parole „Heim ins Reich" laut geworden, so hieß es in einer Meldung. Dieser Satz mußte gestrichen werden — aber er wurde dann doch erneut ausgenommen: Man möge aus diesen Weisungen die Richtung erkennen, wurde dazu gesagt. Nur vier Tage später — die Flut der Nachrichten war beträchtlich geworden — läutete bei dem Vertreter der „Frankfurter Zeitung" in Berlin um 6 Uhr morgens das Telefon. Es folgte eine kurze Ansage des Propagandaministeriums: „Memelgebiet ist deutsch. Heimatschriftleitung anrufen. Extra-blatt machen. Alles übrige DNB." Der Außenminister Litauens war in Berlin gewesen und hatte mit Ribbentrop „konferiert". Darauf folgte ein Beschluß der litauischen Regierung, das Memelland an Deutschland zu übergeben und eine deutsche Erklärung über Vereinbarungen, deren Kern es war, daß nach der Über-gabe die wirtschaftlichen Interessen Litauens im Memelland „weitgehend berücksichtigt" werden würden. So wurde der Vorgang dargestellt. „Mit Zurückhaltung", so wurde gebeten, möge gemeldet und kommentiert werden. Mit Lob oder Tadel an Litauen möge man sparsam sein. Es wurde nicht viel Aufhebens von dem Vorgang gemacht oder erwartet, wie im kleinen Kreise vom Sprecher der Reichsregierung dazu gesagt wurde, denn es gäbe „wichtigere Entwicklungen".

Zu ihnen gehörte vor allem die „Lösung der Minderheitenfrage in Polen“ (Pressekonferenz und Besprechung am 11. März 1939). Verhandlungen waren seit einiger Zeit geführt worden. Die Presse wurde kaum unterrichtet; es gehe „alles sehr langsam". Noch war der Blick auf Prag gerichtet. Polnische Interessen wurden tangiert, aber die deutschen Zeitungen wurden angewiesen, solche polnischen Stimmen, die von Interessen im Donauraum sprachen, fortzulassen. Erst als Prag besetzt war, befaßte sich die vom Auswärtigen Amt betreute „Deutsche diplomatisch-politische Korrespondenz" am 27. März 1939 mit deutschfeindlichen Demonstrationen in polnischen Städten. Dies war der Auftakt für eine lange Reihe ähnlicher Darstellungen in Nachrichten und Berichten. Polen hatte in London und Paris und wahrscheinlich auch in anderen Hauptstädten angefragt, in welcher Art und welchem Umfange es Hilfe erwarten könne, wenn es ebenfalls durch die Politik der Hitler-Regierung in Bedrängnis geraten sollte. Das Hilfe-versprechen aus London und Paris kam am 31. März. Bis dahin war für die deutschen Kommentare ein „Tenor sachlicher Erwiderung" zu Reden polnischer Politiker und Staatsmänner vorgeschrieben. Er sollte nicht verschärft werden; man sollte nicht in die Vergangenheit zurückgehen und keine Folgerungen ziehen. Es sei „wieder der Augenblick", sagte ein Sprecher des Propagandaministeriums in kleinem Kreise, in dem man „das Pulver für wichtigere Zwecke trocken halten müsse". Nur die Grenzlandpresse im Reich konnte sich mit den ständigen Greuelnachrichten befassen, die von Übergriffen gegen Deutsche berichteten, aber auch diese nur nachrichtlich und vielleicht mit „ganz vorsichtigen Folgerungen". Auch für sich sollten die Journalisten, wie ihnen am 28. März in der Pressekonferenz gesagt wurde, keine Folgerungen ziehen „und sich aus der Reserve nicht heraus-locken lassen".

Dies alles wurde nach dem 31. März (Hilfeversprechen aus London) anders. Jedoch durften Angriffe auf Polen nur im Zusammenhang mit der Londoner Erklärung geführt werden: „Die polnische Haltung oder deutsche Forderungen an Polen sind mit absolutem Still-B schweigen zu übergehen; sie dürfen nicht erörtert werden", so wies der Gesandte Dr. Paul Schmidt vom Auswärtigen Amt die deutsche Presse am 3. April an. Erst drei Tage später äußerte er sich dann ausführlicher und grundsätzlich: „Bekanntlich ist Deutschland seit geraumer Zeit bestrebt, das deutsch-polnische Verhältnis durch eine bilaterale Lösung gewisser Fragen auf eine dauerhafte Basis zu stellen und auf der Grundlage des Freundschaftsabkommens von 1934 zu konkretisieren. Nicht nur in Polen, sondern auch in England weiß man genau, daß Deutschland nie die Absicht gehabt hat, Polen, die Souveränität oder Integrität seines Staatsgebietes, anzugreifen. Auf die Versuche Deuschlands, das Verhältnis auf eine solche endgültige und dauerhafte Basis zu stellen, hat Polen seltsam reagiert. Anstatt auf dem von Pilsudski eingeschlagenen Weg des Ausgleichs weiter zu schreiten und mit besten Kräften eine auch von Deutschland angestrebte definitive Lösung zu finden und damit ein für alle Male alle Schwierigkeiten zwischen beiden Ländern zu beseitigen, erfolgte der erstaunliche, unvernünftige Akt der Mobilisierung polnischer Streitkräfte gegen Deutschland. Damit nicht genug schwenkte man blindlings in die aggressive englische Kriegspolitik gegen Deutschland ein und machte sich damit zum Werkzeug von Kräften, die einen deutsch-polnischen Ausgleich nicht nur nicht wünschen, sondern mit allen Mitteln zu hintertreiben versuchen. Neuerdings scheint es nun, daß Polen im Begriff ist, auf dieses englische Spiel vollkommen hereinzufallen. Es wäre damit nicht das erste Objekt einer solchen, lediglich britischen Interessen dienenden Einflüsterung von einer angeblich drohenden deutschen Gefahr. Jedenfalls ist durch diesen neuen, hektisch anmutenden britischen Versuch, nunmehr Polen gegen Deutschland aufzuwiegeln auch und ihm ein ausschließlich gegen Deutschland gerichtetes aggressives englisches Militärbündnis aufzudrängen, auch im Zusammenhang mit der unerhörten Verhetzung der gesamten öffentlichen Meinung Englands, der klare Beweis einer bewußten kriegstreiberischen Politik der englischen Regierung gegen das Deutsche Reich erbracht.

England ist schon oft in seiner Geschichte ein gefährlicher Ratgeber gewesen und hat mit Vorliebe kleinere Nationen für seine imperialistischen Ziele eingespannt. Hat Beck vielleicht ähnlich empfunden, wenn er zumindest zögert, mit einem unterschriebenen Abkom men nach Warschau zurückzukehren? Waren vielleicht doch die Schatten von Schuschnigg und Benesch um ihn? Wie dem auch sei, mit dem Abschluß eines Bündnisses gegen Deutschland würde Polen ohne weiteres an der von der englischen Regierung verfolgten aggressiven Kriegspolitik mitschuldig. Deutschland aber bleibt trotz aller dieser hysterischen Mache, trotz juristischer Spitzfindigkeiten mit souveräner Ruhe auf der Position seiner unerschütterlichen Macht, treibt eine Politik der Vernunft und stellt sich mit eiserner Entschlossenheit gegen solche den Frieden bedrohenden Machenschaften."

Diese die Grundfragen der aktuellen Hitler-Politik berührende Erklärung des Sprechers des Auswärtigen Amtes vom 6. April 1939 sollte „natürlich nicht wörtlich" verwendet werden. „Die Tür gegenüber Polen darf nicht zugeschlagen werden", so wurde dazu weiter gesagt. Man solle sie höchstens so zumachen, „daß noch ein Spalt für eventuelle weitere Verhandlungen offen bleibt". Während diese Ausführungen in der Pressekonferenz gemacht wurden, war der polnische Botschafter in Berlin, Lipski, bei dem deutschen Außenminister von Ribbentrop zu erneuten Gesprächen. Das Auswärtige Amt, jedenfalls sein offizieller Sprecher, blieb bei seiner Haltung. Am 13. April wandte sich der Sprecher in einer Sonderkonferenz mit äußerster Schärfe gegen England, das „... die Methode von Banditen (anwende), die ein Dorf überfallen: erst stiftet man Verwirrung, um dann besser ausplündern zu können".

Zwei Tage später wurde die Botschaft bekannt, die der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika an Hitler und Mussolini gerichtet hatte und in der er um die Zusicherung bat, daß künftig kein Staatsgebiet neu besetzt werden würde. Die Antwort gab Hitler am 28. April, und bis dahin mußte sich die Presse eigener Kommentierungen enthalten. Hitler kündigte den deutsch-polnischen Nichtangriffsvertrag (vom 26. Januar 1934), den er als „hinfällig" bezeichnete, weil die Grundlagen nicht mehr vorhanden seien, „solange die polnische Presse ihren Lesern nicht einmal die Wahrheit sagen könne". Die Weisung an die Presse hierzu besagte: „Die beiden Lager müssen also in der Berichterstattung sichtbar werden." Den Polen müsse klar gemacht werden, „daß sie in eine ungewisse Zukunft steuern, wenn sie so wenig die Gegebenheiten des Raumes kennen, in dem sie wohnen", hieß es in der Pressekonferenz vom 2. Mai.

Polnische Zeitungen hatten über Beobachtungen in Danzig und in Ostpreußen berichtet. Dazu sagte das Auswärtige Amt am 5. Mai, der deutsch-polnische Vertrag von 1934 sei nicht wegen „der Vorgänge in Danzig", sondern „allein wegen der polnisch-englischen Erklärung, die im Widerspruch steht zum deutsch-polnischen Vertrag und diesem die Grundlage entzogen hat", außer Kraft getreten. Dennoch sollten polnische Pressestimmen in das Innere der Zeitungen gestellt werden, und: „Darüber hinaus ist zu beachten, daß in den eigenen Stellungnahmen keine Drohungen ausgesprochen werden, sondern daß eine ruhige, betrachtende Artikelform zu wählen ist." Man möge nun „die Grundlagen des Zusammenlebens von zwei Völkern in dem Raum, der zur Verfügung steht", erörtern. Meldungen über Zwischenfälle mit Volksdeutschen in Polen sollten „nach wie vor nur verzeichnet" werden, und die Presse sollte sie „nicht aufmachen".

Dennoch brachten mehrere Zeitungen solche unerwünschten Nachrichten besonders auffällig. Deshalb hieß es am 8. Mai: „Nun seien aber zu viele unbestätigte und falsche Meldungen erschienen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, als stünden wir schon kurz vor entscheidenden Ereignissen."

Nur Zeitungen im Grenzbereich durften wieder ausführlicher sein, aber „nur wirklich wesentliche Vorfälle" melden. Italienische Zeitungen sprachen von einer Volksabstimmung in und über Danzig. Dazu erklärte das Auswärtige Amt: „Weder ist eine Lösung der Danziger Frage durch Plebiszit denkbar noch überhaupt eine isolierte Lösung der Danziger Frage." Diese Lösung sei außerdem in der „unmittelbaren Zukunft nicht vorgesehen". Ihre Methode stehe nicht fest. Die Rede eines „größenwahnsinnigen Generals" (in Bielitz gehalten) sollte nicht anders als in einer Glosse gemeldet werden; mehrspaltige Überschriften über Vorgänge in Polen waren nicht angebracht. Es wurde auf kleinem Feuer gekocht. Um so aufmerksamer hörten die Journalisten zu, als in der gleichen Pressekonferenz (am 16. Mai) wie beiläufig erwähnt wurde, daß „im Herbst Marsch-und Gefechtsübungen motorisierter Verbände in größerem Umfange stattfinden. Die Bewegungen gehen von Thüringen und Franken ins Protektorat und in die Ostmark. Darüber nicht berichten."

Was sollte diese Weisung im Mai? Man unterhielt sich darüber. Nicht zum ersten Male war eine solche Information ohne Zusammenhang erschienen. In den folgenden Wochen mehrte sich die Zahl von Weisungen zu militärischen Fragen beträchtlich, und es blieb nicht unbemerkt, daß sie in ihrer Tonart verändert waren. Der Abschluß eines Militärbündnisses zwischen Deutschland und Italien am 22. Mai 1939 („Stahlpakt") gab neuen Anlaß zur Aufmerksamkeit.

Als sich im Ausland die Zahl von Meldungen über Zusammenstöße zwischen Deutschen und Polen häufte, blieb es dabei: Zurückhaltung, im Zeitungsinnern absetzen, aber einreihen in das „Gesamtthema polnischer Größenwahn", wie in der „Nachbörse" erläuternd gesagt wurde (28. Juni). Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Baron Braun von Stumm, teilte am 1. Juli mit, daß „im Ausland große Beunruhigung über Danzig" herrsche. Es bestehe nun „kein Interesse daran, diese Unruhe zu beseitigen". Mit polnischen Ansprüchen könne man sich auseinandersetzen, fügte der Sprecher der Reichsregierung jetzt hinzu, aber „Meldungen aus und über Danzig sämtlich gesperrt". Als der britische Unterstaatssekretär Butler am 5. Juli im Unterhaus sagte, Artikel 5 des Danzig-Statuts sei durch militärische Maßnahmen verletzt worden, reagierte die Reichsregierung ironisch: Wie viele Erklärungen seien aus London noch zu erwarten, bis das Dutzend voll werde? Weder eine längere Erklärung Chamberlains zur Danzig-Frage noch polnische Pressestimmen, „welche die Bereitschaft zum Verhandeln erkennen lassen", durften nach den Anweisungen „Aufmerksamkeit finden". Die Weisung wurde in den folgenden Tagen (nach dem 13. Juli) mehrfach wiederholt, bis der Sprecher der Reichsregierung am 22. Juli sagte:

Wir sind in eine neue Phase des Friedensgeredes der anderen eingetreten.... Eine deutsche Lösung der Danziger Frage sei eine glatte Selbstverständlichkeit gewesen. Wir wollten zwar eine friedliche Lösung, aber eben eine Lösung in unserem Sinne." Zwei Tage darauf sprach vor der Pressekonferenz der Pressechef Zarske des Gauleiters der NSDAP in Danzig, Forster: „Der Danziger Standpunkt sei klar. Termin und Prozedur liegen beim Reich. Das Wie ist abhängig von verschiedenen Faktoren."

Er erklärte:

1. „Das erste Angebot des Führers an Polen war ein einmaliges Angebot, das nicht mehr wiederholt wird. Die . kleine Lösung'

der Danziger Frage, die nur Danzig selbst umfaßt, ist überholt."

2. „Die Entwicklung dieser Dinge bis zur Erfüllung der deutschen Forderungen steht engem mit dem Ergebnis Zusammenhang der englisch-russischen Paktverhandlungen."

Zarske, der seine Ausführungen fast wörtlich von einem handgeschriebenen Manuskript ablas, fügte hinzu, das Reich nehme „im Augenblick eine abwartende Stellung" ein: Er sagte dann: „Die militärischen Vorbereitungen in Danzig tragen nicht nur demonstrativen Charakter. Aufgrund eines Gesetzes, nach dem jeder Danziger zum Polizeidienst verpflichtet ist, hat Danzig eine zusätzliche Polizeitruppe von 3000 Mann aufgestellt. Es handelt sich dabei um Danziger die Staatsangehörige, in der deutschen Wehrmacht gedient haben. Gegen dieses Dienstpflichtgesetz ist weder von Genf noch von Warschau Einspruch erhoben worden. Die formale Legalität dieses Gesetzes ist somit gesichert. Polen hat nichts dagegen unternommen, obwohl sich die Militarisierung Danzigs offen vollzieht."

Zarskes Darlegungen wurden von den Presse-vertretern mit außerordentlichem Erstaunen ausgenommen, weil sie in einem Ton von Überheblichkeit oder doch Selbstsicherheit vorgetragen worden waren, der nicht zu der gespannten Atmosphäre paßte, in der die Weisungen und Ausdeutungen einander folgten. Jetzt konnte nicht nur, sondern mußte eine DNB-Meldung auf der ersten Seite groß aufgemacht werden, die besagte, eine polnische Zeitung habe „mit der Beschießung Danzigs gedroht". Die Zeitungen sollten in eigenen Kommentaren nachdrücklich Stellung nehmen. Das hinderte nicht, daß am Tage darauf der Sprecher der Reichsregierung in der Konferenz (am 8. August) sagte: „Ich habe den Auftrag, Ihnen mitzuteilen, daß solche Äußerungen bis auf weiteres nur noch von DNB genommen werden dürfen.“

Greuelmeldungen aus Polen wurden nachdrücklich in das Innere der Blätter zurückverwiesen. Angebliche oder tatsächliche polnische Übergriffe (das Propagandaministerium sprach von bedauerlichen Falschmeldungen!) wurden ausschließlich durch DNB-Meldungen mitgeteilt. Diese freilich trugen Überschriften wie „Die unverschämte polnische Hetze nimmt ihren Fortgang" oder „Polen treibt es immer toller". Zwei Tage darauf, vom 10. August an, sollten dann „verbürgte Greuelmeldungen, wie sie über DNB kommen, von heute an groß auf der ersten Seite" erscheinen.

Das Verhältnis zu Polen verschärfte sich auf diese Weise von Tag zu Tag, soweit es an der Stimmung der öffentlichen Meinung gemessen werden konnte. Zwar sollten „Sprache und Aufmachung noch nicht hundertprozentig sein“; wie eine Weisung am 11. August sagte, und es müsse „noch eine weitere Steigerung möglich sein", aber der Leser „muß den Eindruck gewinnen, es sei ihnen (Polen) alles recht, was geeignet ist, von Danzig abzulenken oder die Danziger Frage unter änderen Gesichtspunkten zu sehen", sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes am 15. August, und vom Propagandaministerium wurde hinzugefügt: „Unsere Pressepolitik erfordert zur Zeit einen Verzicht nach dem anderen.... Der Erfolg der deutschen Zurückhaltung in den letzten Tagen sei offenkundig. Dabei müsse es zunächst bleiben.“

Ein Erfolg wurde in der Tatsache gesehen, daß in England, in Frankreich und in Polen Stimmen laut wurden, die einen Versuch zur Rettung des Friedens" in einer allgemeinen Konferenz sahen. Dazu nahm der Sprecher der Reichsregierung am 16. August Stellung. Damals wurde notiert: „Es sei an der Zeit — so sagte Herr Fritzsche, der dabei betonte, daß er nicht einen offiziellen Auftrag erfülle —, diesem Gerede einmal entgegenzutreten, wenigstens insoweit, als der Eindruck erweckt werde, es handele sich um eine deutsche Anregung oder einen deutschen Wunsch. Von deutscher Seite sei bisher kein Wunsch in dieser Richtung laut geworden. Eine Konferenz sei auch unnötig. Danzig sei eine deutsche Stadt, darüber sei nicht mehr zu reden. Man möge bei Entgegnungen feststellen, daß nicht nur Danzig, sondern auch das Korridorproblem einer Lösung bedürfe. Ein Korridor sei in jedem Falle eine die Ehre einer Nation berührende Angelegenheit, die für Deutschland besonders untragbar sei, weil die Deutschen in Polen und der deutsche Durchgangsverkehr durch den Korridor den besonderen Drangsalierungen der Polen ausgesetzt seien. Hierfür seien keine politischen Begründungen notwendig, das Problem müsse nur anklingen. Man solle auch nicht vom Angebot des Führers ausgehen, das wohl erwähnt werden könne, sondern die beiden Fragen (Danzig und Korridor) als alte deutsche Forderung, als seit langem zur Lösung anstehendes Problem, behandeln. In diesen Tagen gebe es keine Kompromißlösung. Die deutsche Forderung sei mit jeder Lösung unvereinbar, die aut einer sagenhaften Konferenz etwa ausgehandelt werden soll. Die deutsche Stellungnahme, die in diesen Veröffentlichungen zum Ausdruck kommen soll, darf jedoch nicht den Charakter einer Erklärung haben, die etwa auf offizielle oder oiliziöse Anregungen schließen lasse."

In der Pressekonferenz herrschte kein Zweifel, daß sowohl der Schlußsatz wie der Anfang mit Vorbedacht gesprochen worden waren, und zwar weil diese Weisung auf „höhere Stellen" zurückgehen müsse.

Für Dienstag, 24. August 1939, war die Ausgabe einer Broschüre „Krieg wegen Polen?" vorgesehen; sie sollte nicht vorher, „aber dann bestimmt" veröffentlicht werden. Jedoch, es „war noch nicht so weit". Eine große Berliner Zeitung, so sagte der Sprecher der Reichsregierung am 21. August, habe in einem Kommentar gemeint, „nun sei es mit Polen höchste Zeit", jeder vergeudete Tag erhöhe die Kriegs-gefahr. „Eine solche Wendung schaffe nervöse Stimmung und sei höchst unklug. Auf Termine solle man sich nicht festlegen, auch wenn sie so unbestimmt ausgedrückt seien. Es gehe zu weit, wenn gesagt werde, deutsche Frauen und Mütter seien das Opfer polnischer Mißhandlungen. Zwar könnten diese Behauptungen belegt werden, aber es sei noch nicht so weit, sie in die Welt hinauszuschreien, weil das Ausland sozusagen tabellarisch feststelle: Jetzt sei es fünf Minuten vor 12.“

Am 22. August wurde der bevorstehende Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes bekanntgegeben. An der Uhr, welche die Zeitgeschichte anzeigt, fehlten nur noch Sekunden bis zur Katastrophe.

Am Abend des 25. August war es überraschend wieder völlig anders. Niemand wußte, warum die Tonart gegen Polen plötzlich geändert wurde, warum Kommentare „bestimmt nicht schwächer als bisher", aber doch auf einer Mittellinie gehalten werden sollten. „Es ist noch nicht eine Minute vor 12", sagte der Sprecher der Reichsregierung. Man möge „die Unerträglichkeit des Zustandes" nach wie vor feststellen, und „es muß ein Rest Pulver trok-ken bleiben" (was man in der Pressekonferenz nicht zum ersten Male hörte). Der „Atem müsse ruhiger gehen". Diese Äußerungen bestätigten für die kritisch beobachtenden Journalisten Gerüchte, nach denen ein bereits gegebener Marschbefehl Hitlers an die deutschen Truppen im letzten Augenblick zurückgezogen worden sein sollte. Am folgenden Tage nahm der Sprecher der Reichsregierung auf diese Gerüchte Bezug: „Gegenüber der Auffassung der Bevölkerung, daß es heute, morgen oder übermorgen, auf jeden Fall an einem bestimmten, deutlich erkennbaren Termin Josgehe', müsse die Presse immer wieder alles vermeiden, was eine Terminfestlegung bedeuten könnte. Der Führer darf nicht festgelegt werden und muß das Gesetz des Handelns behalten. Die Presse darf nicht den Eindruck erwecken, als sei sie tapferer als der Führer. Ob das Maß voll ist, oder ob es so nicht weitergehe, werde an höherer Stelle entschieden. Die deutsche Stärke ist, Methode und Termin des Vorgehens unbekannt zu lassen."

Es sickerte aber durch, daß Mussolini mitgeteilt hatte, er sei nicht kriegsbereit. Ein Briefwechsel zwischen Daladier und Hitler wurde bekannt. Hitler hatte Garantien an den britischen Botschafter gegeben, daß er im Kriegs-fälle den Westen nicht angreifen werde. In einigen Zeitungen erschienen Artikel unter der Überschrift „Führer, bleibe hart!" und „Führer, handle!". Sie wurden in erregtem Tone als falsch und schlecht bezeichnet. Die Tonart der Pressekommentare dürfe nicht verschärft werden — soweit nicht andere Weisungen kommen, wurde erklärt. Eine Zensur für alle Nachrichten folgte auf dem Fuße (26. August, 19 Uhr). Der Reichsparteitag der NSDAP wurde abgesagt. In der Nacht vom 26. zum 27. August wurde eine Anordnung über Bezugsscheine für lebenswichtige Verbrauchsgüter erlassen, und es wurde angeordnet, daß „über die diplomatische Aktivität, Besuche, Empfänge und dergleichen" zwar berichtet werden könne, „damit das Volk sieht, daß und wie verhandelt wird", aber es dürften keine Kombinationen angeknüpft werden.

Am 28. August teilte das DNB durch Rundruf mit, daß der Oberbefehlshaber des Heeres die vollziehende Gewalt übernommen habe, was jedoch „auf Wunsch des Oberkommandos der Wehrmacht vorläufig noch nicht veröffentlicht werden" sollte. Auch Aufrufe örtlicher Stellen „zur Bewahrung von Ruhe und Ordnung und gegen das Hamstern dürfen von der Presse nicht gebracht werden", ordnete ein DNB-Rundruf am 28. August an.

Nun brachten die Weisungen keine Neuigkeiten mehr. Polen war und blieb das Ziel der propagandistischen Arbeit der Reichsregierung und ihrer Beauftragten: „Das Maß der Heraus-stellung der polnischen Terrormeldungen sei für das Ausland der Maßstab, an dem die Festigkeit der deutschen Haltung gemessen werde. Niemand sei befugt, aus dieser Linie auszubrechen. Es sei gleichgültig, was von diesen Meldungen geglaubt werde oder nicht, sie müßten die Aufmachung der Presse bestimmen, weil damit die Haltung der deutschen Politik kundgetan werde." Diese Weisung wurde in der Pressekonferenz der Reichsregierung am 29. August 1939 in diesem Wortlaut notiert, der auch in der indirekten Aussage dem Wortlaut des Sprechers der Reichsregierung entsprach.

Der Angriff auf Polen begann am 1. September 1939 um 4. 45 Uhr; der Marschbefehl war am Tage zuvor um 16 Uhr erteilt worden. Der Weltkrieg, an dessen Ende Deutschland zerstört war, hatte seinen Anfang genommen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Fritz Sänger, Journalist, MdB, geb. 24. Dezember 1901 in Stettin; Mitglied des Deutschen Presserates, des Rundfunkrates des Deutschlandfunks u. a. m.