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Föderalismus Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips | APuZ 38-39/1969 | bpb.de

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APuZ 38-39/1969 Föderalismus Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips

Föderalismus Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips

Ernst Deuerlein

VI. Das Deutsche Reich als Bundesstaat

Inhalt

1. Großdeutsch oder kleindeutsch = föderativ oder unitarisch?

Da der Versuch der 1848/49 in der Frankfurter Paulskirche tagenden Nationalversammlung, die deutsche Frage zu lösen, gescheitert war, betrieb Österreich im Sommer 1850 die Reaktivierung des Deutschen Bundes und die Redis-ziplinierung seiner Mitglieder. Es lud zur Wiedereröffnung der Bundesversammlung am 2. September 1850 ein. Preußen versuchte, die Neubelebung des Deutschen Bundes zu verhindern, war jedoch nicht in der Lage, die von ihm vorgelegten Unionspläne, die die Errichtung eines aus den außerösterreichischen Staaten gebildeten deutschen Nationalstaates zum Ziele hatten, durchzusetzen. Auch die Erfurter Unionsverfassung vom 28. Mai 1849, die mit der Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 weithin übereinstimmte, verstand das Deutsche Reich, den Zusammenschluß der Staaten, die die Reichsverfassung anerkannten, als Bundesstaat mit einem Staatenhaus und einem Volkshaus. Die Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg sprachen sich in ihrer Übereinkunft vom 27. Februar 1850 für eine Revision der Verfassung des Deutschen Bundes in der Erwartung aus, „eine unheilvolle Spaltung Deutschlands zu vermeiden". Auf Einladung Österreichs traten die der Erfurter Union feindlichen Staaten am 10. Mai 1850 in Frankfurt am Main zu Beratungen über die Wiederherstellung des Deutschen Bundes zusammen. Ihr wachsender Druck, der sich bis zur Kriegsgefahr steigerte, zwang Preußen, in der Punktation von ölmütz vom 29. November 1850 seine Absicht, das außer-österreichische Deutschland zu einen und seine Führung zu übernehmen, aufzugeben und in die Bundesversammlung des Deutschen Bundes zurückzukehren. Diese nahm am 14. Mai 1851 ihre Tätigkeit wieder auf.

Der Historiker Georg Waitz veröffentlichte, wie bereits dargelegt, zwei Jahre später in der (Kieler) „Allgemeinen Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur" unter dem Titel „Das Wesen des Bundesstaates" eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den Reden und Betrachtungen von J. von Radowitz. Er prägte darin den Begriff des „monarchischen Bundes-staates" und erläuterte die Möglichkeiten der Eingliederung des preußischen Staates in einen deutschen Bundesstaat.

Beide Ereignisse, die Wiederbelebung der Bundesversammlung des Deutschen Bundes und die Veröffentlichung der Waitzschen Bundesstaatsidee, bezeichnen den Anfang einer sich wechselseitig beeinflussenden Entwicklung der Politik und der verfassungsrechtlichen und publizistischen Spekulation darüber, an deren Ende die Verkündung der Verfassung des Norddeutschen Bundes am 17. April 1867 und der ihr nachgebildeten Verfassung des Deutschen Reiches am 16. April 1871 steht. Die Zeitspanne dazwischen — 185* 1/1853 bis 1867/1871 — ist angefüllt mit politischen Maßnahmen und verfassungsrechtlichen Erwägungen über „die deutsche Frage". Weil die bisherigen Ansätze, einen deutschen Nationalstaat zu konstituieren, erfolglos geblieben waren, sahen sich sowohl seine politischen Anhänger als auch seine verfassungsrechtlichen und publizistischen Befürworter herausgefordert, Vorstellungen zu entwickeln und Voraussetzungen zu schaffen, die die Verwirklichung eines Nationalstaates gestatteten, worüber es zur Interdependenz politischer Entwicklungen und Entscheidungen und verfassungsrechtlicher Klärungen und Denkübungen kam: Die preußische Politik bedurfte des verfassungsrechtlichen Leitbildes des „monarchischen Bundesstaates", das Waitz entworfen hatte. Die Vorstellung des Historikers Waitz wäre Theorie geblieben, hätte sie nicht Bismarck modifiziert verwirklicht.

Die Aufgabe, einen deutschen Nationalstaat zu schaffen, beschäftigte Politiker, Publizisten und Professoren. Sie wirkten in den den Entscheidungen vorausgehenden Überlegungen zusammen, weshalb sie Ausschau hielten nach Anregungen und Vorbildern für die Verwirklichung einer nationalstaatlichen Ordnung in Deutschland. Die dadurch bedingte Auseinandersetzung in der zweiten Phase des Deutschen Bundes — von 1851 bis 1866 — war begleitet von politischen Aktionen und auch von politischen und verfassungsrechtlichen Publikationen, die entweder die beabsichtigten oder ergriffenen Maßnahmen verteidigten oder ablehnten oder neue Ansichten und Lösungen anboten. Da bereits der Verfassungsausschuß der Frankfurter Nationalversammlung auf die Entwicklung bundesstaatlicher Strukturen in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz Bezug genommen hatte, war die Beschäftigung mit diesen Bundesstaaten und mit den dahinterstehenden Gegebenheiten und Konzeptionen veranlaßt. Politiker und Publizisten fanden sich durch das Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika und durch das Beispiel der Confoederatio Helvetica aufgefordert, sich mit der neuzeitlichen föderativen Idee, wie sie in den beiden Staaten zur Anwendung gekommen war, auseinanderzusetzen Kam es darüber zur Rezeption der in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz entwickelten und angewandten föderativen Idee? Ist die föderative Vorstellung, die sich zwischen 1851 und 1871 in Deutschland in einer ständigen Auseinandersetzung zwischen Politik und Publizistik entwickelte, das Ergebnis ausländischer Anregungen und Vorbilder?

Die von Waitz entwickelte Bundesstaatstheorie bezeichnete Gerhard Anschütz, wie bereits dargelegt, als eine „im wesentlichen rein doktrinäre Schablone, verfertigt nach dem Vorgang anderer" Es erscheint notwendig, daran zu erinnern, daß Friedrich Meinecke dagegen geltend machte: „Sie (= die Waitzsche Bundesstaatstheorie) hat natürlich auch ihre ausländischen Vorbilder, aber sie ist doch zum guten Teil mit aus dem praktischen Problem erwachsen, wie man den preußischen Staat in den deutschen Bundesstaat eingliedern könne, ohne diesen durch jenen zu erdrücken, wie man einen Bundesstaat schaffen könne ohne Hegemonie des mächtigsten Staates. Dieses

Problem löste er dann eben im unitarischen Sinne. Der , Gesamtstaat’ im Bundesstaate ist auf den Gebieten, die ihm zugewiesen sind, ein einfacher, geschlossener Einheitsstaat, dessen Zentralgewalt einheitlich sein muß, weil sie frei sein muß in ihrer Sphäre. Dieser Waitzsche Bundesstaat ist nun gewiß nicht schlechthin identisch mit dem Frankfurter Bundes-staate von 1849; er läßt den Einzelstaaten in ihrer Sphäre eine wirkliche Selbständigkeit, wie sie ihnen in der Frankfurter Verfassung nicht gegönnt war. Aber der unitarische Grundgedanke, eine einheitliche, von den Gliedstaatsgewalten unabhängige Zentral-gewalt zu schaffen, ist ihnen gemeinsam." So betrachtet, ist die Bundesstaatsidee des Historikers Waitz ursprünglich und selbständig: Während der amerikanische Bundesstaat die Staatsgewalt aufteilt zwischen den Einzelstaaten und der Bundesgewalt, sieht der von Waitz entworfene Bundesstaat ein unabhängiges Nebeneinander von Zentralgewalt und Gliedstaatengewalten vor. Durch die Entwicklung des Begriffes des „monarchischen Bundesstaates" wies Waitz einen Weg zur Lösung des „Problems Preußen", an dem die Frankfurter Nationalversammlung letzthin gescheitert war. Indem er auf die Verfassungsstruktur der Vereinigten Staaten von Amerika und auf ihre Beschreibung durch Alexis de Tocqueville aufmerksam machte, löste er eine breite, bis heute noch nicht untersuchte Auseinandersetzung mit der Konzeption des neuzeitlichen Bundesstaates, so wie er in Nordamerika und in der Schweiz konstituiert worden war, aus. Zum erstenmal wurde Tocqueville in Deutschland beachtet und — leider nur oberflächlich — gelesen.

Die Beschäftigung mit bundesstaatlichen Ordnungen und ihren Darstellungen führte aber auch zur Befragung der deutschen Vergangenheit, zur Sammlung aller der föderativen Idee zuzuordnenden Auffassungen und zur Fortentwicklung föderativer Anschauungen und Möglichkeiten. Zwischen 1851 und 1871 veröffentlichten zahlreiche Publizisten föderative Empfehlungen und Vorschläge. Die Anregungen dazu kamen von den Staatsordnungen der Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweiz. Die Notwendigkeit dazu bestand in der Problematik der deutschen Frage. Die föderativen Vorstellungen, wie sie vor allem Konstantin Frantz und Julius Fröbel in dieser Zeitspanne und unmittelbar danach entwickel-ten, sind die Ergebnisse der intensiven Beschäftigung mit fremden Vorbildern und mit eigenen Gegebenheiten. Die Zahl der Darlegungen, Empfehlungen und Programme nahm in dem Maße zu, in dem die Lage im Deutschen Bund zu einer Entscheidung drängte.

Mit der Wiederkonstituierung der Bundesversammlung begann die zweite Phase des Deutschen Bundes, die vom 14. Mai 1851 bis zum 24. August 1866 reichte. Sie wurde bestimmt von dem immer stärker in den Vordergrund tretenden Problem der Bundesreform, deren entschiedener Verfechter Preußen war. Alle während dieser Zeitspanne erhobenen Forderungen und durchgeführten Aktionen der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes standen in unmittelbarer Beziehung zu der leidenschaftlich diskutierten Reform des Deutschen Bundes. Die Erwartungen des meinungsbildenden Teiles der deutschen Öffentlichkeit richteten sich auf einen nationalen Bundesstaat unter der Führung Preußens, das seinerseits im außer-österreichischen Deutschland eine Hegemonialstellung beanspruchte. Österreich und ein Teil der deutschen Mittel-und Kleinstaaten betrachteten und verteidigten die Ordnung des Deutschen Bundes als die bestmögliche Lösung der deutschen Frage. Da sich diese Vorstellungen und Forderungen gegenseitig ausschlossen, kam es zur Verschärfung des im Verlaufe des 18. Jahrhunderts entstandenen und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertieften Gegensatzes zwischen Österreich oder Preußen. Die komplexe Problematik, in der sich machtpolitische Ansprüche und nationale Hoffnungen unentwirrbar durchdrangen, trat im Zeitpunkt des Krieges Italiens und Frankreichs gegen Ostereich — im Sommer 1859 — in eine neue Phase intensiver Beratungen und Verhandlungen, die erst mit dem Deutschen Krieg 1866 und mit der dadurch bedingten Auflösung des Deutschen Bundes zu Ende ging. Österreich war mit allen Mitteln bemüht, im italienischen Krieg 1859 Bundeshilfe des Deutschen Bundes zu erhalten. Seine Diplomaten erklärten, der Rhein müsse am Po verteidigt werden. Die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes zeigten dazu geringe Neigung. In der öffentlichen Meinung gewann die Ansicht an Boden, Deutsche und Italiener hätten gegenüber Österreich das gleiche Interesse, da es beide Völker an der Schaffung eines nationalen Staates hindern wolle. Einen vertraglichen Anspruch auf die Hilfe des Deutschen Bundes hatte Österreich erst im Falle, daß seine zum Deutschen Bund gehörenden Gebiete angegriffen wurden. Da die Lombardei und Venetien jedoch nicht zum Gebiet des Deutschen Bundes gehörten, hätte Österreich kein vertraglich garantiertes Recht auf Bundeshilfe. Nach Ausbruch des Krieges erklärte Prinz Wilhelm als Regent, Preußen werde sich auf den Schutz des Bundesgebietes beschränken. Wien lehnte es ab, dem Regenten Preußens den Oberbefehl über die Streitkräfte des Deutschen Bundes am Rhein zu überlassen. Wechselseitiges Mißtrauen in Wien und Berlin war die Folge der Weigerung Preußens, auch die nicht zum Deutschen Bund gehörenden Gebiete Österreichs in Italien zu verteidigen, und der österreichischen Ablehnung der Erwartung Preußens auf Überlassung des Oberbefehls über die Bundestruppen am Rhein

Franzosen und Italiener errangen bei Magenta (4. Juni 1859) und Solferino (24. Juni 1859)

glanzvolle Siege über die österreichischen Truppen. Kaiser Franz Joseph, der in der Schlußphase des Feldzuges selbst den Oberbefehl übernahm, beschuldigte nach dem Waffenstillsand von Villafranca Preußen des Treuebruchs. Im Armeebefehl vom 12. Juli und im „Laxenburger Manifest" vom 15. Juli 1859 stellte er fest, Preußen habe das mit ihm verbündete Österreich im Kampf um die Heiligkeit der europäischen Verträge im Stich gelassen. Auf die Erwiderung des preußischen Regenten erklärte der österreichische Monarch, wie das übrige Europa habe Preußen eine große Rechtsverletzung ruhig geschehen lassen.

Durch die Weigerung des legalen föderativen Beistandes habe es auch die „Grundlage der deutschen Bundesverhältnisse" in Frage gestellt. Die dadurch ausgelöste Kontroverse setzte sich in den Auseinandersetzungen der Kabinette, in den Forderungen der sich formierenden politischen Gruppierungen und in den Darlegungen über die Lösung der deutschen Frage fort. Der Krieg in Italien versetzte die öffentliche Meinung Deutschlands in große Erregung. Während die Anhänger der Auffassung Österreichs die Verteidigung der italienischen Besitzungen der Habsburger, ganz gleich, ob sie zum Deutschen Bund gehörten oder nicht, als einfache Bundespflicht bezeichneten, waren die Befürworter der Errichtung eines Nationalstaates in Deutschland der Meinung, die Gelegenheit sei günstig, Österreich aus Deutschland zu verdrängen und eine nationale Einigung unter Preußen herbeizuführen.

Die Entscheidung des Jahres 1866 wurde im Jahre 1859, einem Epochenjahr deutscher und europäischer Geschichte, als Möglichkeit oder Notwendigkeit leidenschaftlich diskutiert. Daran beteiligten sich Vertreter von Politik, Publizistik und Wissenschaft.

Beispielhaft dafür ist die Kontroverse zwischen den Historikern Heinrich von Sybel und Julius Ficker über die mittelalterliche Kaiserpolitik: „Die kleindeutsche’ nationalstaatlich-realistische Tendenz prallte mit der , großdeutschen'zusammen, norddeutscher Protestantismus stieß auf vorwiegend katholische Gesinnung im süddeutschen Lager, der Wille, das Volk für den nationalen Bundesstaat durch die Geschichte zu erziehen, und die gegenwartspolitischen Maße, mit denen die Wesenheit der Vergangenheit gerichtet und oft auch umgebogen wurde, trafen auf den Widerstand der uni-B versalistischen Denkweise, und nüchterne Staatsorientierung traf auf Überlieferungen der Romantik und ihrer Versenkung in die alte Größe des Kaisertums und der Einheitskirche. Großdeutsches Staatsdenken war föderalistisch, organisch-historische Staatsauffassung widersetzte sich dem unitarischen Zug im kleindeutschen Staatswillen und widerstrebte dem Verlangen, den Staatsraum und den Lebensraum der Nation gleich zu gestalten; das vom Liberalismus vorangestellte Individuum sollte den absoluten Prinzipien der Kollektiv-werte des Rechts und der Moral unterworfen sein, und dem Staat wurde kein eigenes Sittengesetz zuerkannt. Der Preis Preußens, der jungen, aufstrebenden, zur Teileinheit führenden Macht, die Herabsetzung Österreichs, des Geisteserben des alten Reiches, verletzten tief großdeutsche Gesinnung, die an der Habsburger Monarchie als stolzem Wert der deutschen Geschichte und deutschem Wert der Gegenwart festhielt."

Der an der Universität München lehrende Historiker Heinrich von Sybel kritisierte am 28. November 1859 in einer Festrede „über die neueren Darstellungen der deutschen Kaiserzeit" Ansichten, die der Historiker Wilhelm Giesebrecht in der Vorrede des zweiten Bandes seiner „Geschichte der deutschen Kaiserzeit" dargelegt hatte. Der in Innsbruck lehrende Historiker Julius Ficker antwortete Sybel mit einer Studie „Das Deutsche Kaiserreich in seinen universalen und nationalen Beziehungen" Sybel ging mit der Untersuchung „Die deutsche Nation und das Kaiserreich" darauf ein. Georg Waitz nahm in den „Göttinger gelehrten Anzeigen" zu der Kontroverse zwischen Sybel und Ficker Stellung

Sybel vertrat die Ansicht, das volksfremde, von theokratischen Gedanken geleitete Macht-streben der Kaiser in Italien habe zur Vernachlässigung der deutschen Ostkolonisation, zum staatlichen und nationalen Verfall Deutschlands und zu seiner Ohnmacht durch Jahrhunderte geführt. Ficker erklärte dagegen, er vermöge in der Vereinigung Deutschlands, Italiens und Burgunds zu einem Gesamtreiche nicht lediglich ein Resultat blinder Eroberungssucht der deutschen Herrscher oder einer mit den kirchlichen Interessen verwachsenen mystisch-religiösen Auffassung der Kaiserwürde zu sehen. Er betonte mit Nachdruck: „Die schwierige Aufgabe, in ein und derselben staatlichen Gestaltung zugleich den Zwecken des Universalreiches, wie denen des National-reiches gerecht zu werden, war im deutschen Kaiserreiche in einer Weise gelöst, wie uns die Geschichte aller Jahrhunderte kein zweites Beispiel bietet." Ficker begnügte sich nicht mit geschichtlichen Erwägungen; er sprach die politische Problematik, die in der historischen Kontroverse durchschlug, unmittelbar an, indem er zu bedenken gab, „daß der Rhein gemeint war bei dem, was am Po geschah". Besorgt schloß er: „Der Zerfall Österreichs, die Bildung eines deutschen Nationalstaates, das klingt freilich viel einfacher als die Ansichten, auf welche die Erwägungen einer langen Vergangenheit uns hier geführt haben; möge Gott verhüten, daß wir den Tag erleben, an welchem ein trauriger Ausgang sie als wohlbegründete erweisen könnte!" Die Partner der Kontroverse setzten sich gegen die Unterstellung zur Wehr, ihre Darstellungen sollten dazu dienen, „neuesten politischen Bestrebungen eine geschichtliche Stütze zu verleihen", konnten jedoch nicht verhindern, daß ihre historischen Stellungnahmen als politische Parteinahmen angesehen wurden. Fickers Plädoyer für den Universalstaat galt als Verteidigung Österreichs, des Deutschen Bundes, des föderativen Prinzips, Sybels Rechtfertigung des Nationalstaates wurde als Begründung eines kleindeutschen Reiches und als Befürwortung seiner unitarischen Staatsstruktur verstanden. Wie sehr sich beide auch bemühten, — sie waren nicht in der Lage, sich frei zu halten von tagespolitischen Empfindungen und Vorstellungen. Ihre Kontroverse lieferte den Hintergrund der sich verschärfenden innerdeutschen Auseinandersetzungen über die Alternative Österreich oder Preußen, die zugleich die Alternative großdeutsch oder kleindeutsch, identisch mit der Alternative föderativ oder unitarisch, war.

Die Anhänger des als Universalstaat assoziierten Deutschen Bundes mit Österreich als Präsidialmacht und die Befürworter eines kleindeutschen Nationalstaates unter Preußens Führung sammelten sich in Organisationen. Der noch 1859 in Frankfurt am Main gegründete „Deutsche Nationalverein" vertrat die Auffassung, die wirksamsten Schritte zur Errichtung einer festen, starken und bleibenden Zentralregierung Deutschlands könnten nur von Preußen ausgehen. Er bezeichnete es als Pflicht jedes deutschen Mannes, „die preußische Regierung, insoweit ihre Bestrebungen davon ausgehen, daß die Aufgaben des preußischen Staates mit den Bedürfnissen und Aufgaben Deutschlands im wesentlichen zusammenfallen, und soweit sie ihre Tätigkeit auf die Einführung einer starken und freien Gesamtverfassung Deutschlands richtet, nach Kräften zu unterstützen". In seinem Beschluß vom 4. September 1860 betonte der Deutsche Nationalverein, das deutsche Volk werde seinen Anspruch auf bundesstaatliche Einheit, welcher durch das Gesamtorgan des Bundes und alle einzelnen deutschen Regierungen anerkannt worden sei und in der Reichsverfassung von 1848 seinen rechtlichen Ausdruck gefunden habe, nimmermehr aufgeben. Als Gegenorganisation konstituierte sich — freilich mit Verzögerung — im Herbst 1862 der „Deutsche Reformverein" der, wie er bereits in seinem Namen zum Ausdruck brachte, eine Reform des Deutschen Bundes anstrebte. Er vereinigte vier großdeutsche Gruppierungen, — eine konservative, eine katholische, eine liberale und eine demokratische Gruppe, denen das Bekenntnis zur Erhaltung des Deutschen Bundes gemeinsam war.

Während die Vertreter des Nationalvereins eine unitarische Lösung der deutschen Frage anstrebten, bekannten sich die Vertreter des Reformvereins als Anhänger ihrer föderativen Gestaltung. Die noch konturlosen Vorstellungen über Unitarismus und Föderalismus gerieten darüber in den Sog politischer Anschauungen und Auseinandersetzungen, womit ihr Verständnis als Strukturbezeichnungen bis zum heutigen Tag erschwert wurde.

Die einsetzende Diskussion über Erhaltung oder Umgestaltung des Deutschen Bundes fand ihren Niederschlag in zahlreichen Aktionen und Gegenaktionen seiner Mitgliedstaaten.

Preußen legte am 4. Januar 1860 seinen Antrag auf eine Reform der Bundeskriegsverfassung vor. Diese sah eine Teilung der Bundesstreit-kräfte vor, derzufolge das VII. (Bayerische) und das VIII. (Württembergische, Badische und Hessische) Bundeskorps zur österreichischen Armee, die beiden norddeutschen Bundeskorps, das IX. und X. Bundeskorps, zur preußischen Armee treten sollten. Im Norden sollte Preußen, im Süden Österreich den Oberbefehl ausüben. Die Gegner dieses Antrages gaben zu bedenken, die Verwirklichung des preußischen Vorschlages würde nicht nur zu einer militärischen, sondern auch zu einer politischen Teilung Deutschlands führen. Preußen gelang es nicht, für seinen Antrag Unterstützung zu finden. Es mußte sich, um einer Abstimmungsniederlage zu entgehen, mit einer verschleppenden Behandlung seines Antrages abfinden.

Der preußische Vorstoß löste eine Initiative der deutschen Mittel-und Kleinstaaten aus.

Auf Veranlassung des sächsischen Außenministers Beust traten Vertreter von Bayern, Württemberg, Sachsen, Hessen, Mecklenburg-

Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Nassau, Sachsen-Anhalt, Sachsen-Meiningen und mehrerer Kleinstaaten vom 24. bis 27. November 1859 in Würzburg zu einer Konferenz, der ersten Würzburger Konferenz, zusammen. Diese befaßte sich nicht nur mit dem zur Diskussion gestellten preußischen Antrag zur Änderung der Bundeskriegsverfassung, sondern auch mit der Möglichkeit, die Idee einer deutschen Trias neu zu beleben. Indem Österreich, das an der Konferenz nicht teilgenommen hatte, deren Beschlüsse billigte und unterstützte, bildete sich eine, freilich sehr differenzierte Front gegen Preußen, die jedoch schwer an eigenen Gegensätzen trug. Am 16. /17. Juni 1860 versammelte der Regent des Königreiches Preußen, Prinz Wilhelm, die Oberhäupter der „Würzburger Koalition" und weitere deutsche Monarchen zu einem Fürstentag in Baden-Baden. Nicht verfassungsrechtliche, sondern außenpolitische Gründe veranlaßten die Zusammenkunft. Der Kaiser der Franzosen, Napoleon III., hatte die Bereitschaft zu erkennen gegeben, die preußische Vormachtstellung in Deutschland anzuerkennen, wenn Preußen Frankreich auf dem linken Rheinufer Gebietsabtretungen zugestehe. Der preußische Regent wollte sich der Begegnung mit Napoleon III. nicht entziehen, wünschte sich jedoch zur Abwehr seiner Forderungen der Unterstützung der deutschen Fürsten zu versichern. Die sich in Baden-Baden bildende Front der versammelten Monarchen gegen französische Gebietswünsche auf dem linken Rheinufer zwangen Napoleon III., seine Absicht aufzugeben. Die Notwendigkeit einer Behauptung gegenüber Frankreich führte die Preußen zugeneigten Fürsten und Souveräne der „Würzburger Koalition" zusammen.

Diese Gruppierung bestimmte Österreich zu Verhandlungen mit Preußen. Am 25. /26. Juli 1860 trafen Kaiser Franz Joseph und Prinzregent Wilhelm in Teplitz zusammen. In einer Geheimvereinbarung erklärte sich der preußische Prinzregent bereit, Österreich bei einem nicht provozierten italienischen oder französischen Angriff auf Venetien zu Hilfe zu kommen. Kaiser Franz Joseph sagte Preußen eine Vorverständigung über alle der Bundesversammlung des Deutschen Bundes zu unterbreitenden Bundesangelegenheiten zu.

Die wenige Wochen später stattfindende zweite Konferenz in Würzburg vom 20. Juli bis 5. August 1860 beschäftigte sich ausschließlich mit Problemen der Bundeskriegsverfassung.

In Ausführung der Vereinbarungen von Teplitz fanden vom Januar bis April 1861 in Berlin Besprechungen zwischen Vertretern des österreichischen Quartiermeisterstabes und dem Chef des preußischen Generalstabes statt. Preußen forderte bei dieser Gelegenheit erneut eine Teilung des Bundesheeres — ein Verlangen, das zusammen mit anderen preußischen Forderungen Österreich schließlich bewog, den preußischen Vertragsentwurf über eine preußisch-österreichische Allianz als „mit dem Interesse und der Würde Österreichs unvereinbar" abzuweisen.

In der Zeitspanne intensiver Bemühungen um eine Reform des Deutschen Bundes hielt der Historiker Wilhelm Giesebrecht am 21. März 1861 auf dem Schlosse zu Königsberg eine bemerkenswerte Rede. Er gab zu bedenken, seit der Errichtung des Deutschen Bundes hätten die nationalen Tendenzen unaufhörlich Fortschritte gemacht, „aber weniger durch den Bund als trotz desselben. Sie beherrschen Wissenschaft und Kunst, die Literatur, das ganze geistige Leben; sie beherrschen nicht minder auch das Materielle. Wie viele Schranken sind gefallen, wie viele Hemmnisse des Verkehrs in den letzten Jahrzehnten beseitigt." Giesebrecht betonte: „Das Verlangen nach einer festeren Zentralgewalt, als sie im Bundestage gegeben ist, lebt in der Nation so allgemein, daß es sich nicht mehr unterdrücken läßt; auch denkt daran wohl keine Regierung mehr im Ernst." Er machte jedoch auch auf das Hemmnis, das der Verwirklichung dieser Erwartung im Wege stand, aufmerksam: „Aber die Schwierigkeit, eine solche Zentralgewalt zu begründen, ist bei der Stellung der beiden

deutschen Großmächte zueinander und bei der Selbständigkeit, welche alle deutschen Staaten einmal vertragsmäßig gewonnen haben, so groß, daß auf dem Weg allseitiger Verständigung kaum ein befriedigendes Resultat zu erwarten ist." Er legte dar, die Bundesverfassung habe erwiesenermaßen Zähigkeit genug, um auch eine gewaltige innere Bewegung zu überdauern. Er setzte seine Hoffnung auf Einwirkungen von außen: „Aber ein heftiger Ansturm der feindlichen Nationalitäten, der die Deutschen alle ihre Kräfte fest zusammenzuhalten zwänge, dürfte doch den deutschen Staatenbund leicht in einen Bundesstaat mit einer starken Zentralgewalt verwandeln. So könnte die Bewegung der Nationalitäten, in deren Mitte wir stehen, das erreichen, was sie am wenigsten will: Die Konstituierung eines einheitlichen Deutschlands, dem eine imponierende Machtstellung in den europäischen Angelegenheiten nach seiner unerschöpften Kraft, seiner geographischen Lage und seinen historischen Traditionen gewiß sein müßte." Befürchtungen und Zweifel zerstreute Giesebrecht mit dem Hinweis auf die Entwicklung von staatlicher Zersplitterung zu festerer Einigung und mit der Feststellung: „Das nationale Bewußtsein ist stärker und gereifter als je." Er sprach eine weit verbreitete Auffassung aus, wenn er die Umgestaltung des Staatenbundes des Deutschen Bundes in einen nationalen Bundesstaat nicht von den Reformplänen der Regierungen, sondern von Auswirkungen militärischer Auseinandersetzungen deutscher Staaten mit ihren Nachbarn erwartete. Auch die dritte Würzburger Konferenz, die am 22. Mai 1861 zusammentrat, konnte die Gegensätze in der Diskussion über die Reform der Bundeskriegsverfassung nicht überwinden. Sie mußte sich damit begnügen, den bereits aul der zweiten Würzburger Konferenz gefaßten Entschluß, die „Würzburger Konvention", dem Bundestag zu überreichen, der ihn an den Ausschuß für Militärangelegenheiten verwies. Der Versuch Preußens, durch einen Antrag auf Änderung der Bundeskriegsverfassung die Reform der Bundesverfassung einzuleiten, war damit praktisch gescheitert. Die erste Runde der Bemühungen um eine Reform des Deutschen Bundes war beendet.

Der vom sächsischen Außenminister Beust im Oktober 1861 vorgelegte Reformplan, der eine wechselweise Tagung der Bundesversamm150) lung, des Staatenhauses, in Nord-und Süddeutschland und die Errichtung eines Abgeordnetenhauses, einer Volksvertretung, vorsah, leitete den zweiten Abschnitt der Bemühungen um eine Reform des Deutschen Bundes ein. Der Vorschlag fand nur geringe Unterstützung, — nicht einmal alle Parteigänger Sachsens traten ihm bei.

Diesen Umstand benutzte der preußische Außenminister Bernstorff in einem Telegramm an den preußischen Gesandten in Dresden vom 20. Dezember 1861 dazu, zu erklären, Preußen sei nicht bereit, den Vorschlag Beusts zu unterstützen. Gleichzeitig entwickelte Bernstorff die preußischen Vorstellungen über die Lösung der deutschen Frage, indem er den seit dem Wiener Kongreß in Diskussion befindlichen Plan des Doppelbundes aufgriff. Bernstorff stellte fest, es sei nicht möglich, den ganzen Deutschen Bund, dessen völkerrechtliche Struktur unaufhebbar sei, in einen Bundesstaat zu verwandeln. Eine mit staatsrechtlichem Charakter ausgestattete enge Verbindung der nichtösterreichischen Staaten sei jedoch notwendig. Es biete sich eine Kombination von Bundesstaat und Staatenbund in der Form des alten Projekts des engeren und weiteren Bundes an. Durch freiwillige Vereinbarung sollten die deutschen Regierungen, Österreich ausgenommen, unter preußischer Führung einen engeren Bundesstaat errichten. Dieser sollte mit Österreich einen Staatenbund eingehen. Bernstorff wollte mit der Propagierung des alten Planes des Doppelbundes die preußische Führung im außerösterreichischen Deutschland sicherstellen. Er wollte zugleich den großdeutschen Tendenzen und den Bedürfnissen Österreichs durch ein staatenbündleri-sches Verhältnis zwischen dem engeren Deutschen Bund ohne Österreich und dem weiteren Deutschen Bund mit Österreich Rechnung tragen.

Der preußische Vorstoß veranlaßte Österreich und Bayern, in dem am 22. Januar 1862 vereinbarten Geheimen Protokoll über das gemeinsame Vorgehen in der Frage der Bundesreform die Grundzüge der gegen Preußen einzuschlagenden Politik festzulegen. Der österreichisch-bayerischen Übereinkunft schlossen sich Württemberg, Hessen, Nassau, Hannover, Sachsen und Sachsen-Meiningen an. Die dem Protokoll vom 22. Januar 1862 beigetretenen Staaten ließen am 2. Februar in Berlin gleich-lautende Noten übergeben, in denen sie die preußischen Vorstellungen mit großer Entschiedenheit ablehnten. Sie wiederholten ihre im Protokoll vom 22. Januar bekundete Entschlossenheit, keiner Bundesreform zuzustimmen, die Österreichs Ausschluß aus dem Bund, die Unterstellung der Bundesmitglieder unter die Hegemonie eines Bundesstaates oder die Teilung der militärischen und politischen Gewalt des Bundes zwischen zwei Mitgliedstaaten bewirken würde.

Die gleichlautenden Noten vom 2. Februar 1862 betrachtete Preußen als eine Verletzung seines Ehrgefühls. Die preußische Öffentlichkeit reagierte darauf mit Ausfällen gegen die sogenannten Protokollstaaten. Eine Verschärfung der innerdeutschen Spannungen war die Folge. Preußen wies am 14. Februar 1862 die Ausführungen der gleichlautenden Noten zurück und lehnte die ergangene Einladung zu Konferenzen über die Bundesreformpläne ab. Es sah sich auch veranlaßt, seine Beziehungen zu Frankreich und Italien zu intensivieren.

Die Berufung Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten am 23. September 1862 erfolgte in einer Phase der Stagnation der Diskussion über die Reform des Deutschen Bundes. Preußen hatte auf Grund seiner Erfahrung im Winter 1861/62 davon abgesehen, weitere Schritte in der Frage der Bundesreform zu unternehmen. Österreich betrachtete sich als verpflichtet, seinerseits Vorschläge über die Umgestaltung des Deutschen Bundes auszuarbeiten und vorzulegen, — ließ sich damit jedoch Zeit. Eine in Wien zusammengetretene Gesandtenkonferenz, der der Vertreter Preußens ferngeblieben war, hatte am 10. August 1862 ein Minimalprogramm erster Reformmaßnahmen verabschiedet. Dieses sah vor, daß beim Bundestag Delegiertenversammlungen aus von den Landtagen gewählten Abgeordneten zusammentreten sollten und ein Bundesgericht eingesetzt werden sollte. Der entsprechende Antrag, den der bayerische Gesandte beim Bundestag, Ludwig Freiherr von der Pfordten, einbrachte, fand nicht die Zustimmung Preußens. Dessen neuer Ministerpräsident Bismarck drohte mit der Sprengung des Bundes für den Fall, daß eine Mehrheit der Bundesversammlung diesem Antrag ihre Zustimmung gebe. Sein Vorgehen rechtfertigte Bismarck mit der Erklärung, nicht durch solche Teilreformen, sondern nur durch eine Gesamt-reform könne man die deutsche Frage lösen. Österreich ließ sich dadurch nicht entmutigen. Es legte seine Ansichten in einem am 9. Juli 1863 — unter Mitarbeit von Julius Fröbel — in seine endgültige Fassung gebrachten Reformplan nieder, dessen Leitsätze und Empfehlungen zwischen der staatenbündlerischen Ord-nung der Deutschen Bundesakte vom 8. Juli 1815 und dem bundesstaatlichen Charakter der von der Frankfurter Nationalversammlung vom 23. März 1849 verabschiedeten Reichsverfassung stehen. Durch den Versuch eines Aus-gleiches zwischen den beiden Extremen glaubte Österreich, die deutschen Mittel-und Klein-staaten gewinnen zu können. Es wandelte dabei die seit langem im Gespräch befindliche Idee eines weiteren und engeren Bundes zu seinen Gunsten um, indem es einen engeren Bund zwischen sich und den deutschen Mittel-und Kleinstaaten, der seinerseits einen weiteren Bund mit Preußen eingehen sollte, vorsah.

Der österreichische Reformplan lag vor, als Kaiser Franz Joseph am 17. August 1863 in Frankfurt, wo fünfzehn Jahre vorher die erste Nationalversammlung des deutschen Volkes zusammengetreten war, einen Fürstentag eröffnete. Der Frankfurter Fürstentag war nicht nur die glanzvollste Zusammenkunft der deutschen Souveräne im 19. Jahrhundert, die selbst den Wiener Kongreß überbot, — er war vor allem der Versuch, auf der Grundlage des 1806 untergegangenen Reiches und des seit 1815 bestehenden Deutschen Bundes eine politische Ordnung zu schaffen, die die Forderungen der Zeit, die auf Volkssouveränität zielten, und die Gegebenheiten in Deutschland, die auf das monarchische Prinzip verwiesen, in harmonische Übereinstimmung brachte. Der König von Preußen, Wilhelm I., nahm, von seinem Ministerpräsidenten dazu bestimmt, an der Versammlung in Frankfurt nicht teil. Sein Fernbleiben demonstrierte die Entschlossenheit Preußens, bei der Lösung der deutschen Frage aus zwingenden machtpolitischen und wirtschaftlichen Gründen einen eigenen Weg zu gehen. Die Verhandlungen in Frankfurt bekamen dadurch den Charakter des Unverbindlichen. Sie offenbarten gleichzeitig die Spannungen unter den deutschen Mittel-und Kleinstaaten, die nicht bereit waren, die österreichischen Vorschläge bedingungslos anzunehmen. Österreich erreichte, daß die auf dem Fürstentag anwesenden Souveräne den in den Verhandlungen abgeänderten und modifizierten Reform-plan unterschrieben. Dieser wurde zur Reform-akte vom 1. September 1863. Sie bezeichnete als Aufgabe des Bundes: „Wahrung der Sicherheit und Machtstellung Deutschlands nach außen, Wahrung der öffentlichen Ordnung im Innern, Förderung der Wohlfahrt der deutschen Nation und Vertretung ihrer gemeinsamen Anliegen, Schutz der Unverletzbarkeit und verfassungsmäßigen Unabhängigkeit der einzelnen deutschen Staaten, Schutz des öffentlichen Rechtszustandes in demselben, Gemeinsamkeit der Gesetzgebung im Bereiche der dem Bund zugewiesenen Angelegenheiten, Erleichterung der Einführung allgemein deutscher Gesetze und Einrichtungen im Bereich der gesetzgebenden Gewalt der Einzelstaaten." Als Organe des Bundes waren vorgesehen; a) das Bundesdirektorium, dessen Befugnisse im einzelnen festgelegt wurden, b) der Bundesrat, die Vertretung der Staaten, c) die Versammlung der Bundesabgeordneten, die nicht die Nation als Ganzes, sondern die „Völker" der Staaten vertreten und von den Landtagen bestimmt werden sollten, d) die Fürstenversammlung und e) das Bundesgericht. Eine umständliche Gliederung des Bundes sollte die sich ausschließenden Gegensätze auffangen und einander zuordnen.

In Konsequenz seiner gegenüber den österreichischen Vorschlägen und gegenüber dem Fürstentag von Frankfurt am Main eingenommenen Haltung machte Preußen seine Zustimmung zur Reformakte von drei Bedingungen abhängig: Preußen wünschte ein Vetorecht der beiden Großmächte — zumindest bei Kriegserklärungen des Bundes. Es bezeichnete die Parität im Bundesvorsitz zwischen den beiden Großmächten als unverzichtbar. Es wiederholte seine Forderung, die repräsentative Körperschaft des Bundes müsse eine durch direkte Wahlen nach dem Maßstab der Bevölkerungszahl berufene Nationalvertietung sein. „Veto, Parität und direkte Volkswahlen" wurden die drei „Präjudizialpunkte", die Kernstücke der sich anschließenden Diskussion.

In der am 23. 724. Oktober 1863 in Nürnberg abgehaltenen Ministerkonferenz versuchten Österreich, die Mittel-und mehrere deutsche Kleinstaaten, ein gemeinsames Vorgehen gegenüber den preußischen Forderungen festzulegen. Ihre Beratungen hatten nur teilweise Erfolg. Der Konflikt um Schleswig-Holstein berührte auch die Auseinandersetzungen um die Reform des Deutschen Bundes. Er zwang Österreich, im Interesse einer Verständigung mit Preußen auf die Weiterverfolgung der in der Reformakte enthaltenen Vorstellungen und Vorschläge zu verzichten. Die durch den deutsch-dänischen Krieg von 1864 bedingte politische Aktivität drängte — zumindest vorübergehend — die Diskussion über die Reform des Deutschen Bundes in den Hintergrund. Das Zusammenwirken Österreichs und Preußens war nur von kurzer Dauer. Die Konvention von Gastein vom 14. August 1865 regelte nur die strittigen Probleme des österreichisch-preußischen Kondominiums in Schleswig-Holstein. Die Frage der Bundesreform blieb offen. Bismarck erörterte in einer Zirkulardepesche an die preußischen Vertretungen in Deutschland am 24. März 1866 die preußischen Vorstellungen und Forderungen zur -Erneuerung des Deutschen Bundes, wobei er sich vor allem für gleiches und direktes Wahlrecht für eine Nationalrepräsentation aussprach, offensichtlich überzeugt, Österreich werde dieser Forderung seine Zustimmung versagen. Am 8. April unterzeichneten Bismarck und der italienische General Gavone in Berlin den preußisch-italienischen Allianzvertrag. Am 9. April 1866 — im Zeitpunkt zunehmender Spannungen zwischen den Großmächten und allmählicher Gruppierung der deutschen Mittel-und Kleinstaaten — brachte der preußische Gesandte beim Bundestag, von Savigny, auf Weisung Bismarcks einen preußischen Antrag auf Berufung eines gesamtdeutschen Bundesparlaments durch demokratische Wahlen ein. Bismarcks Hoffnungen, damit die deutsche Öffentlichkeit zu überrumpeln, erfüllten sich nicht. Ein nicht kleiner Teil von ihr sah in der Forderung Bismarcks eine Perfidie. Er erinnerte an Bismarcks Haltung gegenüber der preußischen Volksvertretung und gegenüber der Volksvertretung in den Elb-Herzogtümern. Die darauf erfolgte Mobilmachung der deutschen Staaten verschärfte die Situation auch innerhalb der Bundesversammlung. Der Versuch Österreichs, den Bundestag mit dem österreichisch-preußischen Konflikt über Schleswig-Holstein zu befassen, rief den lebhaften Protest Preußens hervor. Der am 19. Mai 1866 von Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Gotha und Nassau eingebrachte Antrag auf allgemeine Abrüstung fühte zu dem am 24. Mai angenommenen Beschluß, an alle Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, die gerüstet hatten, das Ersuchen zu richten, in der nächsten Sitzung der Bundes-versammlung zu erklären, unter welchen Voraussetzungen sie zur Demobilisierung bereit seien. Am 1. Juni äußerten sich dazu Österreich und Preußen. Die österreichische Erklärung griff Preußen scharf an. Die von dem preußischen Vertreter abgegebene Erklärung wies die österreichischen Anschuldigungen zurück.

Preußen wehrte sich heftig gegen alle Unterstellungen, es habe die Annexion der Elb-Herzogtümer mit Gewalt durchführen wollen. Diese Kontroverse in der Bundesversammlung zeigte die zwischen den beiden Großmächten eingetretene Entfremdung und die außerordentliche Verschärfung der Lage, vor deren weiteren Entwicklung die Existenz des Deutschen Bundes abhing. Ihre Zuspitzung ließ nicht auf sich warten. Der preußische Vertreter legte am 10. Juni 1866 einen preußischen Reformvorschlag vor, der eine Auflösung des Deutschen Bundes zugunsten eines föderativen Bundesstaates, von dem die österreichischen und niederländischen Gebiete ausgenommen sein sollten, vorsah.

Der preußische Entwurf nicht zur Ersetzung, sondern zur Umgestaltung des Deutschen Bundes vom 10. Juni 1866 gebrauchte den Begriff Bund oft und nachdrücklich. Er sprach von einem Bundesgebiet, von einer gesetzgebenden Gewalt des Bundes, von Bundesstaaten, von der Gesetzgebung und Oberaufsicht der Bundesgewalt, vom Recht der Bundesgewalt, Krieg und Frieden zu erklären, sowie Bündnisse-und Verträge zu schließen, in völkerrechtlicher Vertretung des Bundes Gesandte zu ernennen und zu empfangen, von der Kriegsmarine des Bundes, von der Landmacht des Bundes und von den Beziehungen des Bundes zu den deutschen Landesteilen des österreichischen Kaiserstaates. Dieser Entwurf faßte die Vorstellungen Preußens unmittelbar vor Ausbruch des Krieges 1866 zusammen. Er bot das Leitbild eines monarchischen Bundesstaates, wie er seit 1849 diskutiert, von Georg Waitz als möglich dargestellt, vom Deutschen Nationalverein gefordert, von Wilhelm Giesebrecht als Ergebnis zwangsläufiger Entwicklung angekündigt und von Preußen als die einzige ihm annehmbare Lösung der deutschen Frage bezeichnet worden war.

2. Der Norddeutsche Bund — die erste engere Föderation monarchischer Staaten

Zum Ausgang der Schlacht von Königgrätz (3. Juli 1866) bemerkte der Kommentator des Londoner „Spectator": „ 30 Dynastien sind hinweggespült, das Schicksal von 20 Millionen zivilisierter Menschen ist für immer betroffen, das politische Gesicht der Welt hat sich verändert, wie es sich sonst nur noch nach einem Menschenalter des Krieges zu verändern pflegte ... In einem Augenblick hat sich Preußen auf den Platz der ersten Großmacht Europas geschwungen." Die „Revue des deux mondes" in Paris gab ihren Lesern zu bedenken: „In Böhmen ist eine jener gewaltigen Schlachten geschlagen worden, die den unwiderruflichen Machtanspruch über das Geschick von Nationen kund tun. Die Schlacht von Sadowa hat die militärische Stärke Preußens enthüllt und der politischen Machtstellung Österreichs einen vielleicht nicht wiedergutzumachenden Schlag versetzt." Der österreichischen Historiker Heinrich Friedjung nannte die Entscheidung einen „Spruch der Weltgeschichte" und bezeichnete die Trennung von Österreich und dem außerösterreichischen Deutschland „ein edles Opfer": „Österreich aber machte keinen ernsten Versuch, eine Revision dieses Urteils herbeizuführen, und diese Anerkennung besiegelte die Unumstößig-keit der Tatsache." Ein anderer österreichischer Historiker, Raimund Friedrich Kaindl, ist der Ansicht: „Der preußisch-kleindeutsche Sieg von 1866 über die österreichisch-groß-deutschen Bestrebungen war für Deutschland und das gesamte deutsche Volk ein Unglück. Das Jahr 1866 führte zur erschütternden Niederlage von 1918."

Die Schlacht von Königgrätz entschied über die seit 1815 immer stärker in Erscheinung getretene Alternative der deutschen Politik Österreich oder Preußen, die identisch war mit der Alternative großdeutsch oder kleindeutsch. Diese Alternative wurde gleichgesetzt mit der Alternative Föderation oder Unität, föderativ oder unitarisch, weil die von Österreich ver-tretene Reform des Deutschen Bundes als föderativ deklariert wurde, während die von Preußen vorgeschlagene und schließlich durchgesetzte Lösung des vielschichtigen deutschen Problems als unitarisch oder zentralistisch bezeichnet wurde.

Der Ausgang der Schlacht von Königgrätz markiert eine Weggabelung sowohl der deutschen als auch der europäischen Geschichte und signifiziert eine Mutation der in Deutschland bestehenden Vorstellungen über den Föderalismus. Die Charakterisierung der Ansicht Österreichs als föderativ und der Auffassung Preußens als unitarisch oder zentralistisch führte zu der bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbreiteten Meinung, in Königgrätz habe der Zentralismus über den Föderalismus gesiegt. Da die Anhänger des Föderalismus nicht müde werden, diese Ansicht unbeschadet der inzwischen freigelegten Vorgänge und Umstände des Sieges Preußens und der Niederlage Österreichs zu vertreten, ist die Erscheinung des Föderalismus in Deutschland verbunden mit der Entscheidung des Jahres 1866. In seiner zusammenfassenden Betrachtung „Der deutsche Föderalismus und das mitteleuropäische Problem" nannte sie Raimund Friedrich Kaindl 1926 die „erste Teilung", die weitere Teilungen, vor allem die Teilung Österreich-Ungarns, herbeigeführt habe; im Anschluß bemerkte er über die Auswirkungen der klein-deutschen Politik zwischen 1866 und 1919: „Diese kleindeutsche Politik war aber sowohl politisch als wirtschaftlich verfehlt. Verfehlt war auch die mit der kleindeutschen Politik zusammenhängende Aufopferung des Föderalismus zugunsten des Zentralismus und der Unifizierung. Diese Staatsform paßte weder für das alte große mitteleuropäische Reich, noch ist sie geeignet, unsere Zukunft zu gestalten. Der Föderalismus ist völkerversöhnend, der Zentralismus verschärft die Gegensätze."

Preußen, nicht nur in der Schlacht von Königgrätz siegreich, schloß auf der Grundlage seines am 16. Juni 1866 angebotenen Bündnisses mit den norddeutschen Staaten am 18. August 1866 ein Bündnis, das die Grundlage für die Errichtung des Norddeutschen Bundes, des prä-judizierten Deutschen Reiches, schuf. Diesem traten die beiden Mecklenburg bei, vorbehaltlich der ständischen Genehmigung, und durch Friedensverträge Reuß älterer Linie, Sachsen-Meiningen und das Königreich Sachsen. Hessen-Darmstadt willigte in eine politische und staatsrechtliche Teilung seines Territoriums ein, als es mit seinen nördlich des Mains liegenden Gebietsteilen sich der entstehenden Staatengruppierung anschloß. Damit war die völkerrechtliche Grundlage für die Errichtung des von Bismarck zunächst angestrebten Norddeutschen Bundes geschaffen. Dessen politische Ausgestaltung konnte angesichts der durch den militärischen Erfolg Preußens geschaffenen politischen Verhältnisse in verschiedener Weise erfolgen: Preußen konnte im Rahmen einer territorialen Flurbereinigung alle norddeutschen Staaten sich einverleiben oder seiner Oberherrschaft unterwerfen. Es konnte in Übereinstimmung mit einem großen Teil der öffentlichen Meinung in Norddeutschland einen zentralistischen Staat errichten, in dem die Dynastien entweder abgeschafft oder ihre Vorrechte zum Verkümmern verurteilt waren. Preußen konnte aber auch eine politisch-staatsrechtliche Konstruktion versuchen, in der eine Zusammenführung und ein Ausgleich zwischen den Lösungen angestrebt wurde, die die Deutsche Bundesakte und die unwirksam gebliebene Reichsverfassung vom 28. März 1849 vorsah.

Angesichts dieser Möglichkeiten vertrat Heinrich von Treitschke am 10. August 1866 die Ansicht: „Die Reife unserer politischen Einsicht muß sich zunächst darin bestätigen, daß wir uns zu bescheiden wissen und uns vorderhand mit einem norddeutschen Bundes-staate begnügen. Es ist ein Irrtum, wenn so mancher warmherzige Mann im Süden uns Norddeutschen heute vorwirft, daß wir in beschränktem Übermute dem Süden zurufen; , Wir brauchen euch nicht.'Wir brauchen euch wohl; ohne die Schwaben und Bayern bleibt der deutsche Staat ein Rumpf, das weiß jeder gute Kopf im Norden. Auch der Tadel, daß wir Deutschland zerreißen wollen, trifft uns nicht. Eine lebendige Gemeinschaft des geistigen und des wirtschaftlichen Lebens verband uns bisher mit dem Süden, — diese Gemeinschaft, die in solcher Innigkeit zwischen uns und den Deutsch-Österreichern nicht bestand, soll und wird fortdauern, trotz der begreiflichen Erbitterung, welche der Übertritt des Südens zu unseren Feinden im Norden erregt hat. Politisch waren wir unverbunden. Der deutsche Bund war nur ein Name, und eine Gemeinschaft, die nicht bestand, kann auch nicht zerrissen werden.“

Dieser Ansicht war auch Bismarck, weshalb er sich für Kompromißlösungen entschied. Er verweigerte zwar die Herausgabe der im Verlauf des Krieges von Preußen annektierten Gebiete, fand sich jedoch mit dem Fortbestand der norddeutschen Staaten, auch der Staaten, die gegen Preußen gekämpft hatten, ab. Da er auf lange Sicht die Gewinnung der süddeutschen Staaten anstrebte, lehnte er alle Anregungen und Vorschläge für einen norddeutschen Einheitsstaat ab. Er war sich dabei im klaren, daß die von ihm in Norddeutschland geschaffene Staatskonstruktion als Wertmaßstab für eine außerösterreichische Staatskonstruktion in Deutschland angesehen wurde. An der Erhaltung der Kontinuität der deutschen Entwicklung interessiert, empfand er Unbehagen gegenüber Änderungen, die über die Auswirkungen der militärischen Entscheidung von Königgrätz und die Bestimmungen des Präliminarfriedens von Nikolsburg (26. Juli 1866) und des Friedensvertrages von Prag (23. August 1866) hinausgingen.

In seiner Rede vor der Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses vom 17. August 1866 gab Bismarck Rechenschaft über das Erreichte: „Zunächst kam es darauf an, dem neuen Bunde feste Grundlagen zu geben." Im Anschluß artikulierte er seine Vorstellungen über das zu Erstrebende: „Die erste dieser festen Grundlagen suchen wir in einem starken Preußen, sozusagen in einer starken Hausmacht des leitenden Staates, den wir deshalb in seinem direkten Besitz erheblich verstärkt haben. Das Band des engeren Bundes, durch das wir außerdem Norddeutschland verknüpfen wollen, wird dagegen so fest wie die Einverleibung nicht ausfallen." Er sprach von drei Methoden: von der Einverleibung und der vollkommenen Verschmelzung mit Preußen, von der Teilung der Hoheitsrechte, „so daß es gewissermaßen einen Militärherrscher und einen Zivilherrscher gibt", und von der Zerreißung des bisher bestehenden Gemeinwesens. Er schloß seine Ausführungen mit der Versicherung: „Je rückhaltloser Preußen zeigt, daß es seine Feinde von der Landkarte wegfegen kann, um so pünktlicher muß es seinen Freunden Wort halten. Gerade in Süddeutsch-land wird dieser Glaube an unsere politische Redlichkeit von großem Gewicht sein."

In den Putbuser Verfassungsdiktaten vom 30. Oktober und 19. November 1866 entwik-kelte Bismarck unter Benutzung der von ihm veranlaßten Entwürfe die Grundgedanken der Struktur des Norddeutschen Bundes. Dabei verfolgte er das Ziel, für den seinerzeitigen Beitritt der süddeutschen Staaten eine „zu zentralistische bundesstaatliche" Verfassung zu vermeiden. Am 30. Oktober empfahl er: „Man wird sich in der Folge mehr an den Staatenbund halten müssen, diesem aber praktisch die Natur des Bundesstaates geben mit elastischen, unscheinbaren, aber weitgreifenden Ausdrücken." Am 19. November wog er Vor-und Nachteile der möglichen Konstruktionen ab: „Diese Herstellung eines monarchischen Bundesstaates oder Deutschen Kaiser-reichs wird formell mehr Schwierigkeiten haben als die Durchführung des zweiten Systems, welches sich den hergebrachten Bundesbegriffen anschließt und deshalb leichter bei den Beteiligten Eingang findet, auch wenn es Preußen dieselbe dominierende Stellung sichert." Otto Becker bezeichnet die schließlich getroffene Putbuser Entscheidung als „epochemachenden Anfang"; ihr Ergebnis sieht er in der Benennung und Zuordnung der Verfassungselemente: „Unitarische und föderale Formen, Unterordnung und Gleichordnung, Herrschaft und Hegemonie, die Führung durch einen Minister und die Ablehnung eines Bundesministeriums von der Art, wie es die liberale Doktrin forderte, waren keine Widersprüche, sondern bedingten einander; das eine wie das andere war notwendig für die Überwindung des Partikularismus, des preußischen wie des nichtpreußischen, und alles diente dem gleichen Ziel, der Stärkung des Reichsgedankens. Nur ein formalistischer Unitarismus und ein echter Föderalismus hatten in Bismarcks Schöpfung keinen Raum, weil der eine Wie der andere den Partikularismus wieder in den Sattel gesetzt hätte."

Diese Verfassungsstruktur fand weder Verständnis noch Beifall. Zwar erklärte Treitschke in einem Rückblick auf das Jahr 1866 und in einem Ausblick auf das Jahr 1867: „Wir Unitarier sehen einen guten Teil unserer Gedan-ken früher verwirklicht, als unsere kühnsten Träume zu hoffen wagten", setzte jedoch nach einer eingehenden Deskription und Charakterisierung des Entwurfes der Verfassung des Norddeutschen Bundes die Erwartung hinzu: „Man sieht, die Verfassung, der wir entgegengehen, ist überaus künstlich; Begeisterung wird sie nirgends erregen. Wir aber bauen auf die Naturkraft des Einheitstriebes, der in unserer Geschichte mit wundervoller Sicherheit gewaltet hat. Die gesamte politische Wirklichkeit, die uns bisher umgab, war partikularistisch; jetzt wird eine nationale Staatsgewalt als eine greifbare Wirklichkeit auch dem blödesten sich aufdrängen; sie wird rasch um sich greifen und den Einzelstaaten ihre Lebenskraft entziehen."

Diese Kritik hielt Bismarck nicht ab, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Die Thronrede vom 24. Februar 1867 kündigte den „Anschluß an gewohnte frühere Verhältnisse" an womit sie vor allem die Bildung des Bundesrates der im Entstehen begriffenen Verfassung des Norddeutschen Bundes nach dem Vorbild der Bundesversammlung, des „Bundestages", des Deutschen Bundes ansprach. Die Übernahme einer vertrauten Einrichtung wahrte die geschichtliche Kontinuität, erleichterte den Übergang vom Staatenbund zum Bundesstaat und schuf das politisch-verfassungsrechtliche Reglerelement eines hegemonialen Bundesstaates monarchischer Observanz. Als Präsident der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten brachte Bismarck am 4. März 1867 den Entwurf der Verfassung des Norddeutschen Bundes in den am 12. Februar gewählten Norddeutschen Reichstag ein. Am 11. März verteidigte er die Vorlage gegenüber der gemäßigt liberalen Mehrheit, die eine Ausgestaltung in unitarischer und parlamen-

tarischer Richtung wünschte und vor allem die Einsetzung von verantwortlichen Bundesministern forderte. Er versicherte, es habe nicht die Absicht sein können, „ein theoretisches Ideal einer Bundesverfassung herzustellen, in welcher die Einheit Deutschlands einerseits auf ewig verbürgt werde, auf der anderen Seite jeder partikularistischen Regung die freie Bewegung gesichert bleibe. Einen solchen Stein der Weisen, wenn er zu finden ist, zu entdecken, müssen wir der Zukunft überlassen, einer solchen Quadratur des Zirkels um einige Dezimalstellen näherzurücken, ist nicht dit Aufgabe der Gegenwart." Er bezeichnete den vorliegenden Entwurf der Verfassung des Norddeutschen Bundes als das Optimum des Ausgleichs zwischen unitaristischen Erwartungen und partikularistischen Befürchtungen. Voll Zuversicht setzte er einen inzwischen abgegriffenen Satz hinzu: „Setzen wir Deutschland, sozusagen, in den Sattel! Reiten wird es schon können!" In der Rede vom 28. März 1867 verteidigte er das allgemeine Wahlrecht, das er als einen Erbteil der Entwicklung der deutschen . Einheitsbestrebungen bezeichnete Der „Anschluß an gewohnte frühere Verhältnisse" und die Aufnahme einer spektakulären Forderung der nationalstaatlichen Bewegung — in ihrer Vereinigung sah Bismarck die Lösung des Problems der Gegenwart und die Chance zukünftiger Entwicklung.

Die auf diese Weise entstandene Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 war Gegenstand kritischer Beurteilungen, über ihren Charakter bemerkte Johannes Zie-kursch: „Die Verfassung des Norddeutschen Bundes, die später zur Reichsverfassung werden sollte, glich einem jener alten Gebäude, an denen eine stattliche Reihe von Generationen mit wechselndem Baustil geschaffen haben. Dem alten Deutschen Bunde war der eine Teil entlehnt, der Reichsverfassung von 1849 ein zweiter, der preußischen ein dritter, den Zeiten des Absolutismus in Preußen ein vierter und ein fünfter dem napoleonischen Regiment. Die Übertragung der auswärtigen Politik, der Sorge für Heer und Flotte, der Handelspolitik, der Post und des Münzwesens, der Gesetzgebung über Heimatrecht, Konkursverfahren und anderes auf den Bund, die finanzielle Selbständigkeit des Bundes, die Einsetzung eines unabhängigen Präsidenten mit gewissen Vetorechten neben dem Parlament, die Bildung der Volksvertretung durch Kopfzahlwahlen, während in dem die Einzelstaaten repräsentierenden Organ, dem Bundesrat, die bisherige den Einzelstaaten günstige Stimmverteilung aus der Zeit des Staatenbundes beibehalten wurde, die Elastizität der Verfassung, die die Entscheidung vieler höchst wichtiger Fragen der Zukunft überließ, alle diese Bestimmungen erinnern an die amerikanische Bundesverfassung von 1787, die ja schon bei der Ausarbeitung der Reichsverfassung von 1849 stark beachtet wurde, die aber Bismarck per-sönlich auch durch seinen Jugendfreund Motley nahegebracht sein kann. Die so verschieden gearteten Teile hatte der Baumeister für seine besonderen Zwecke umgebaut; über das Ganze erhob sich beherrschend und die Teile zur Einheit zusammenfassend der Zentralbau, halb preußische Kaserne, halb Cäsarenpalast. Der wahre Gebieter war nicht der Besitzer, sondern sein Diener und Baumeister, der allein sich in dem Gewirr von Gängen und Räumen zurechtfand. Schon im Jahre 1868 erklärte der liberal gesinnte Engländer Sir Robert Morier, daß sich für Bismarcks Stellung keine andere historische Parallele fände als die der Hausmeier unter den Merowingern." Zie-kursch sprach damit die Tatsache an, daß die norddeutsche Verfassung keine originelle. Neuschöpfung, sondern eine Zusammenfassung unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Elemente war.

Staatsrechtslehrer mühten sich um ihre Bestimmung. Ferdinand von Martitz bezeichnete ihn als die „erste engere Föderation monarchischer Staaten" Hermann Schulze vertrat die Auffassung, der Norddeutsche Bund verwirkliche den Föderalismus „zwar nicht in der abstrakten Durchführung eines Schulbegriffes, sondern in origineller Erfassung der einmal gegebenen Staatsverhältnisse". Er betonte: „Der Norddeutsche Bund ist ein Bundesstaat, wo der wesentlichste Teil der Bundesgewalt mit der Staatsgewalt des mächtigen Einzelstaates organisch verbunden ist." Friedrich Thudichum zählte den Norddeutschen Bund zur „Klasse der Bundesstaaten", „obwohl einiges daran an den Staatenbund, anderes an den Einheitsstaat erinnert".

Der verfassungsrechtlichen Bestimmung des Norddeutschen Bundes als Bundesstaat, die sich allmählich durchsetzte, stand die Versicherung, der Norddeutsche Bund müsse als Staatsform sui generis verstanden werden, gegenüber. Die Gegner der Bestimmung des Norddeutschen Bundes als Bundesstaat verwiesen auf die Feststellung des Verfassungsausschusses des preußischen Landtags, eine wirkliche bundesstaatliche Verfassung des Norddeutschen Bundes sei bei der Präponderanz Preußens kaum durchführbar Der nationalliberale Politiker Johannes von Miquel sah in dem Verfassungsentwurf „weder ein politisches Übel", noch ein theoretisches Ideal verwirklicht. Er verstand ihn auch nicht als eine Entsprechung zu „einem historischen Vorgang". Er betonte mit Nachdruck: „Der Entwurf ist nicht zu vergleichen mit der amerikanischen noch mit der schweizerischen Bundesverfassung." Der Norddeutsche Bund sei weder Einheitsstaat noch Bundesstaat, noch Staatenbund, sondern völlig originell. Miquel gab zu bedenken: „Große Völker kopieren nicht."

In seinem am 10. Juni 1867 veröffentlichten Aufsatz „Die Verfassung des Norddeutschen Bundes" versicherte Heinrich von Treitschke: „Die landläufigen Urteile über die Bundesverfassung beginnen gemeinhin mit der Tröstung, daß man das neue Gemeinwesen nicht mit dem Maße der staatsrechtlichen Theorie messen dürfe. Gewiß, die Kategorien des Staatsrechts werden an diesem Bau zu Schanden. Aber wenn wir ihn vergleichen mit den Formen, welche bisher das chaotische deutsche Staats-leben umschlossen, mit der Monstrosität des Heiligen Reiches oder mit jenem Bunde, der sich den Deutschen nannte, und zu Zeiten vier fremde Mächte umfaßte, so wagen wir die Behauptung, daß Deutschland noch nie eine so klare, einfache Verfassung besaß wie heute. Der Norddeutsche Bund ist ein nationaler Staatenbund unter preußischer Hegemonie; nur sind die Rechte des führenden Staates so ausgedehnt, seine Macht so überwiegend, daß dem Fremden, der nur die Aktion des Bundes nach außen ins Auge faßt, das Ganze als ein Einheitsstaat erscheint und ein englisches Blatt kürzlich unseren Norden kurzum als a Kingdom bezeichnete." Treitschke stellte weiter fest, der Deutsche Bund sei unfähig gewesen, sich zu entwickeln, während der Norddeutsche Bund nicht nur die Fähigkeit besitze, sich fortzuentwickeln, es sei vielmehr unmöglich, daß er sich nicht entwickle. Die Anerkennung dieser Fähigkeit hielt Treitschke jedoch nicht davon ab, mit dem Norddeutschen Bund hart und unnachgiebig ins Gericht zu gehen. Es störte ihn, daß Elemente des Deutschen Bundes offen erkennbar in Erscheinung traten, — die Formen des Staatenbundes seien ängstlich festgehalten. Ihm mißfiel vor allem eine Institution, — der Bundesrat: „Diese seltsame Behörde vereinigt in sich einige Befugnisse eines Ministeriums, eines Staatsrats, eines Staatenhauses, einer Generalzollkonferenz und ist zugleich der Vertreter der Gesamtsouveränität." Er tröstete sich über diese Enttäuschungen und Verärgerungen mit der Versicherung: „Kein wichtiger Schritt der Bundespolitik kann geschehen ohne die Zustimmung Preußens. Sind die preußischen Minister, wie die Regierung unbedingt zugestand, der preußischen Volksvertretung für ihr Verfahren im Bundesrate verantwortlich, so heißt dies tatsächlich: sie tragen die Verantwortung für die Bundespolitik überhaupt." Enthusiasmiert zeigte sich Treitschke über die Einheit von Maß und Münzen und über die Zentralisation des Post-und Telegraphenwesens: „An diesen glänzendsten Abschnitten der Verfassung sollte auch der grimmigste Zweifler lernen, daß hier ein dauerhaftes Werk vertrauenerweckender Fürsorge, gründlicher Geschäfts-kenntnis vorliegt." In den Zollverträgen sah Treitschke zu Recht den Brückenschlag zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten, der die Erweiterung des Norddeutschen Bundes zu einem — neuen — Deutschen Bund vorbereite

Treitschke trat für die Verfassung des Norddeutschen Bundes ein, weil er deren Auswirkung auf die süddeutschen Staaten in Rechnung setzte. Er erhoffte sich von der Entwicklung die Überwindung partikularistischer Elemente. Er glaubte, daß die nationale Staatsgewalt den Einzelstaaten ihre Lebenskraft entziehen werde. Er rechnete mit einer evolutionären Entwicklung des Einheitsstaates in Deutschland, nachdem seine revolutionäre Verwirklichung aus politischen Gründen inopportun erschien. Da diese taktischen Erwägungen erkennbar waren, meldeten sich Kritiker und Gegner der Verfassung des Norddeutschen Bundes zu Wort.

Besorgt über die mehr vermutete als erkannte Entwicklung zeigte sich dagegen der Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteier, der 1867 seine Betrachtung „Deutschland nach dem Kriege von 1866" zum Ausdruck brachte. Er sprach offen aus, was süddeutsche und vor allem katholische Bevölkerungsteile nach dem Sieg Preußens bewegte. Ketteier bedauerte die erfolgte Teilung Deutschlands in einen österreichischen und einen außerösterreichischen Teil, versagte jedoch einzelnen Auswirkungen dieser Entscheidung nicht seine Anerkennung. So versicherte er: „Die Kleinstaaterei, wie sie sich in Deutschland entwickelte, halten wir deshalb für ein Unrecht an der Stellung, die dem deutschen Volke unter den Nationen gebührt. Wir glauben aber überdies, daß sie auch das deutsche Volk selbst vielfach beschädigt hat." Vor allem sprach sich Ketteier für die Verwirklichung der, wie er sagte, „germanischen Freiheit" aus. Er wandte sich scharf gegendie Verwechslung von Freiheit und Gleichförmigkeit: „Die größte Gleichförmigkeit ist ja die Gleichförmigkeit des Zuchthauses." Er versicherte: „Wir fordern aber nicht nur den Begriff der Freiheit nach germanischem Rechte, sondern auch Formen und Einrichtungen für das gesamte bürgerlich-staatliche Leben, die diesem Begriff entsprechen. Wir fordern Organisationen statt Maschine; Selbstregierung in vollkommenster Ausdehnung, soweit dadurch nicht andere wohlerworbene Rechte gekränkt werden, statt Zentralisation; wir fordern Teilnahme des Volkes am öffentlichen Leben, soweit dadurch die Einheit der Regierung und das monarchische Prinzip, — das uns kein Absolutismus ist --nicht verletzt wird; wir fordern diese Selbstregierung und. diese Teilnahme am öffentlichen Lehen, realisiert in germanischen Formen, in den naturnotwen-digen Verbänden, in denen das ganze politisch-soziale Leben sich bewegt, nicht in dem bloßen Geldverband, den der Census und die Vermögenstaxation bearindet; wir fordern mit einem Worte Natur statt Kunst. Gottes-'werk statt Menschenwerk " sF -In seiner Kritik an der Struktur des Norddeutschen Bundes machte Konstantin Frantz'aut die Unvereinbarkeit von Föderalismus und Hegemonie aufmerksam. Er bezeichnete das Bundesverhältnis mit Preußen als ein Vasallen-Verhältnis und eine deutsche Einheit mit preußischer Spitze als „hölzernes Eisen". Den großen numerischen, politischen und militärischen Unterschied zwischen Preußen und den im Norddeutschen Bund vereinigten deutschen Kleinstaaten ansprechend, höhnte er: „Der Löwe und die Maus können sich nicht konföderieren."

Die kritischen Einwände gegen die Bestimmung des Norddeutschen Bundes als Bundesstaat konnten nicht verhindern, daß sich sowohl in der verfassungsrechtlichen Literatur als auch in der öffentlichen Meinung für ihn die Bezeichnung Bundesstaat durchsetzte, wodurch die in Deutschland vorhandenen Vorstellungen über den Föderalismus entscheidend artikuliert wurden. Indem der Norddeutsehe Bund als Bundesstaat deklariert wurde, erfuhr die allgemeine Ansicht über den Föderalismus eine Zwangsassoziation. Föderalismus — das bedeutete seit 1867 verfassungsrechtliche Ordnung des Norddeutschen Bundes bzw. Deutschen Reiches. Bei dieser Gleichsetzung wurde in zunehmendem Maße übersehen, daß beide, Norddeutscher Bund und Deutsches Reich, Bundesstaaten sui generis waren, nicht ohne weiteres mit der Union der Vereinigten Staaten von Amerika und dem Schweizer Bundesstaat vergleichbar. Nicht nur die Strukturen des zunächst im Norddeutschen Bund und später im Deutschen Reich geschaffenen Bundesstaates unterschieden sich vom amerikanischen Beispiel und vom schweizerischen; Vorbild. Beide Bundesstaaten sind Republiken. Der Norddeutsche Bund und das Deutsche Reich bis 1918 waren monarchische Bundesstaaten. Mit der Schaffung des monarchischen Bundesstaates tat Bismarck den Kunstgriff, der notwendig war, um Tradition und Fortschritt, dynastische Überlieferungen und parlamentarische Zukunftserwartungen miteinander zu verbinden. Nur vor dem Hintergrund der geschichtlichen Gegebenheiten in Deutschland und der verfassungsrechtlichen Erfahrungen in den ersten zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts ist der von Bismarck geschaffene deutsche Bundesstaat, die politische Ordnung des deutschen Volkes von 1867 bzw. 1870/71 . bis 1945, zu verstehen. In der Hoffnung auf die gestaltende Kraft zukünftiger Entwicklung entschloß sich Bismarck — der Überlieferung verpflichtet, der Zukunft nicht verschlossen — zu einer Struktur, deren Schematisierung und Schablonisierung von Anfang an auf Schwierigkeiten stieß. Ihm ging es darum, behutsam und entschieden zugleich einen verfassungsrechtlichen Raum abzustekken, innerhalb dessen die politische und staatsrechtliche Integration des deutschen Volkes erfolgen konnte.

3. Strukturen des Reichsföderalismus 1871— 1918

Der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 schuf im Gebiet des nachmaligen Deutschen Reiches ein einheitliches Zollgebiet; indem er die süddeutschen Staaten in enge Beziehung zu dem Norddeutschen Bund brachte, schuf er eine Vorform und eine Vorstufe des kleindeutschen Staates, — ein Umstand, der Paul Laband zu der Feststellung veranlaßte: „Die Verfassung des Zollvereins war der der Verfassung des Norddeutschen Bundes so völlig analog, daß sie wie ein Schatten erscheint, den die Reichsverfassung vor sich her warf." Der Norddeutsche Bund war „von Anfang an darauf angelegt, zum Deutschen Reich erweitert zu werden" Der deutsch-französische Krieg 1870/71 gab Gelegenheit dazu. Die unter den süddeutschen Staaten bestehende Rivalität hatte die Entstehung eines dem Norddeutschen Bunde entsprechenden süddeutschen Bundes verhindert, wodurch der Föderalismus Schaden nahm. Die süddeutschen Staaten bekannten sich zu ihm, —ihre Unfähigkeit, sich zu einen, erschütterte die Glaubwürdigkeit ihres Bekenntnisses zum Föderalismus. Nach Ausbruch des deutsch-französischen Krieges im Sommer 1870 wünschte Bayern das bisherige Schutz-und Trutzbündnis durch eine staatsrechtliche und organische Verbindung Süddeutschlands mit dem Norddeutschen Bund zu ersetzen oder einen „Beitrag Bayerns zu einem neuen, auf veränderten Grundlagen zu errichtenden allgemeinen Deutschen Bund ins Auge zu fassen" Die Münchener Konferenz vom 22. — 27. September 1870 in Anwesenheit des preußischen Ministers Delbrück und des württembergischen Justizministers von Mittnacht erbrachte keine Einigung über die staatsrechtliche Form eines neuen Deutschen Bundes. Delbrück empfahl in seinem Bericht über die Münchener Konferenz Bismarck die Einladung bayerischer Unterhändler. Bismarck überließ Bayern die Wahl zwischen Verhandlungen mit Delbrück in München oder mit ihm im preußischen Hauptquartier. Die bayerische Regierung entschied sich für Verhandlungen mit Bismarck. Staatsminister Bray-Steinburg begründete diese Entscheidung mit der Hoffnung auf das „praktische Gefühl des Grafen Bismarck, mit dem leichter zu verhandeln sei als mit seinen Agenten, Herrn von Delbrück nicht ausgenommen". Dadurch kam es zu Verhandlungen zwischen Bismarck einerseits und Delegationen der süddeutschen Staaten andererseits im Hauptquartier des Königs von Preußen in Versailles. Das Ergebnis waren Verträge zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten auf Grund derer diese dem Norddeutschen Bund beitraten, der als neuer Deutscher Bund sich Deutsches Reich nannte. Bei dessen Konstitution hatte Bismarck in bewußter Beschränkung „nur im Notwendigen" die Einheit erstrebt: Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 war unitarisch in der Gesetzgebung, föderativ in Verwaltung und Justiz. Ihre Eigenart bestand darin, „daß sie entwicklungsfähig war. Die Befürchtungen der Nationalliberalen vor der partikularistischen Rückbildung der Verfassung sollten sich als unbegründet erweisen. Die , Reservate’ der süddeutschen Staaten haben nicht verhindert, daß das Reich eine zentrale Behördenorganisation schuf und seine Befugnisse erweiterte wie etwa in dem bisher noch nicht erschlossenen Bereich der Sozialgesetzgebung."

Der Doppelcharakter des Deutschen Reiches, unitarisch und föderativ, wurde von nicht wenigen als politische Schizophrenie verstanden. Er war auch Grund dafür, daß sowohl Unitaristen als Föderalisten mit der Reichsstruktur unzufrieden waren: Für die einen war sie zu föderativ, für andere zu unitarisch. Die nachhaltige Diskussion über die Reichsstruktur bestimmte entscheidend die sich in Deutschland bildende Vorstellung über den Föderalismus. Das Bismarcksche Reich wurde als die einzig mögliche Version föderativer Verfassungsstruktur verstanden und ausgegeben; die föderative Struktur des Bismarckschen Reiches wurde zur Meß-und Werteinheit des Föderalismus.

Diese Bewertung ist sachlich nicht zulässig, weil die Bismarcksche Reichsstruktur zwei entscheidende Vorgänge kannte, die die innere Harmonie des deutschen Bundesstaates in Frage stellten, das Übergewicht Preußens und die Zugeständnisse an Gliedstaaten des Deutschen Reiches.

Preußen, das 65 0/0 der Fläche und 62 0/0 der Bevölkerung des Deutschen Reiches ausmachte, besaß eine numerische, politische und verfassungsrechtliche Präponderanz. Diese Tatsache schuf das „Problem Preußen" — das entscheidende Problem der Balance der Reichs-politik und der Reputation des Föderalismus. Die Emanzipation einer eigenständigen Reichs-gewalt gegenüber der Staatsgewalt Preußens war langwierig und schwierig. Als schließlich eine eigene Reichsgewalt auch institutionell in Erscheinung trat, blieb das Übergewicht Preußens unverändert. Das Deutsche Reich war ein hegemonialer Bundesstaat, in dem die Hegemonialmacht den Umfang der Autonomie der Bundesgewalt bestimmte.

Bismarck machte den süddeutschen Staaten beim Eintritt in das Deutsche Reich Zugeständnisse die diese als „Reservate" verstanden. Diese Privilegien schufen neben der Hegemonialmacht Preußen privilegierte Staaten und nichtprivilegierte Staaten. Sie errichteten ein innerstaatliches Gefälle. Die weitestgehendsten Zugeständnisse hatte Bayern erhalten, das eifersüchtig auf die Respektierung seiner Reservatrechte bedacht war. Es verstand die durch die Existenz einer Hegemonialmacht artikulierte und durch das Vorhandensein von Privilegien deformierte föderative Struktur des Deutschen Reiches als föderativ. Es betrachtete seine Reservate als einen Ausgleich für die preußische Hegemonialstellung und hatte keine Bedenken, die dadurch bedingte innere Disharmonie als föderative Struktur zu verstehen.

Wer die erheblichen Beeinträchtigungen des Deutschen Reiches als Bundesstaat durch die Hegemonie Preußens und die Zugeständnisse vornehmlich an die süddeutschen Staaten unberücksichtigt läßt und das Deutsche Reich als lehrbuchhafte Praktizierung der Bundesstaatsidee versteht, kann einem Mißverständnis des Föderalismus nur schwer entgehen. Ihm bleibt auch die Zulässigkeit der Kritik sowohl von Unitariern als auch von Föderalisten verborgen. Die Ausnahme von der Bundesstaatsidee kann nicht seine Regel sein. Eine politisch bedingte Sonderform des Föderalismus darf nicht als seine Norm verstanden werden.

Sowohl die Institution des Bundesrates als auch die Form des Finanzausgleichs zwischen Reich und Gliedstaaten machen die Problematik der föderativen Struktur des Deutschen Reiches transparent. /

Bei den Beratungen des Entwurfes der Weimarer Reichsverfassung als der bisherige „Zentralpunkt der Reichspolitik" bezeichnet, war der Bundesrat die eigentliche Institution des monarchischen Bundesstaates. Heinrich Triepel gab zu bedenken: „Die föderative Natur eines bundesstaatlichen Organs wird am offensten dort zutage treten, wo der Bundesstaat den Staatenbund abgelöst und aus diesem ein Organ in seiner äußeren Gestalt in das neue Verhältnis herübergenommen hat. So gerade bei uns." Der „Anschluß an gewohnte frühere Verhältnisse", von dem die Thronrede vom 24. Februar 1867 sprach, „zeigt sich nirgends so sichtlich wie in der Bildung des Bundesstaats" Weder zentralistische Unitarier noch reichsverdrossene Partikularisten fanden an ihm Gefallen.

Ein bayerischer Abgeordneter, der Advokat Jakob Schüttinger, sah bei den tumultuarischen Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten im Januar 1871 in der Reichsverfassung „nichts als eine übermächtige, mit allen Attributen des Absolutismus und des Einheitsstaates ausgerüstete Zentralgewalt! Nicht auf den Bundesrat als den Ausdruck der Einzelstaaten wird die Summe der einzelnen Rechte übertragen. übertragen wird diese Summe aufgegebener, bitter geopferter Rechte auf das Präsidium des Bundes, an den König von Preußen."

Treitschke beanstandete in seiner Auseinandersetzung mit der Verfassung des Norddeutschen Bundes, daß der Bundesrat, diese „seltsame Behörde", in sich einige Befugnisse eines Ministeriums, eines Staatsrats, eines Staaten-hauses, einer Generalzollkonferenz vereinige und zugleich Vertreter der Gesamtsouveränität sei. Besorgt über die Bindung der Bevollmächtigten an Instruktionen der Einzelstaaten befürchtete er, die Nation werde abermals, wie in Regensburg und Frankfurt, die Erfahrung machen, daß die partikularistische Selbstsucht durch den Mund solcher Vertreter sich weit rückhaltloser ausspreche als durch Minister, die mit ihrer Person für ihre Worte einstehen müssen. Er war der Meinung, die politische Moral der Regierung und der Regierten werde verdorben, wenn das Volk nicht wisse, welchen Männern Schuld und Verdienst an den Taten des Staates gebühre Treitschke wiederholte in seiner Kritik der Reichsverfasung seine Bedenken gegen die Institution des Bundesrates, wobei er das Fehlen einer wirklichen Exekutivgewalt des Reiches bedauerte Bismarck verteidigte stets die Einrichtung, mit deren Hilfe er das in der Reichsverfassung von 1849 offengebliebene Problem der Beziehungen zwischen der bundesstaatlichen Hegemonialmacht und dem Bundesstaat, zwischen Preußen und dem Norddeutschen Bund bzw.dem Deutschen Reich, gelöst hatte. Meinecke nennt die Institution des Bundesrates „den Ausweg, der alle Schwierigkeiten beseitigte, mit denen die Frankfurter so schwer gerungen hatten"

Bismarck brachte am 19. April 1871 vor dem Reichstag die Überzeugung zum Ausdruck, „daß der Bundesrat eine große Zukunft hat, indem er zum erstenmal den Versuch macht, der monarchischen Spitze ohne die Wohltaten der monarchischen Gewalt — oder der hervorgebrachten republikanischen Obrigkeit — dem Einzelstaat zu nehmen und in seiner höchsten Spitze als föderatives Kollegium sich einigt, um die Souveränität des gesamten Reiches zu üben, denn die Souveränität ruht nicht beim Kaiser, sie ruht bei der Gesamtheit der verbündeten Regierungen". Bismarck fand es nützlich, daß die Weisheit oder Unweisheit von 25 Regierungen unvermittelt in Beratungen hineingetragen wurden. Er bekannte, in seiner politischen Bildung durch die Teilnahme an den Sitzungen des Bundesrates, durch die belebende Friktion der 25 deutschen Zentren miteinander erhebliche Fortschritte gemacht und zugelernt zu haben. Er richtete deshalb an den Reichstag die Aufforderung: „Tasten Sie nicht den Bundesrat an, ich sehe eine Art von Palladium für unsere Zukunft, eine große Garantie für die Zukunft Deutschlands in dieser Gestaltung".

Im Immediatbericht vom 29. März 1870 hatte Bismarck unter Hinweis auf die staatsrechtliche Stellung des Bundesrates dessen Bezeichnung mit der Begründung verteidigt, der Bundesrat sei das Organ, in welchem die föderative Seite des Reiches zur Erscheinung kommt. „Die Benennung , Reichsrat'würde sowohl durch ihr Verhältnis zu dem Reichstage, der Reichsverfasssung, als auch infolge der staatsrechtlichen Bedeutung, welche Ihr in Österreich und Bayern beigelegt und dadurch in die staatsrechtliche Terminologie eingeführt ist, die Stellung des Bundesrates nicht richtig bezeichnen, denn sie würde zu der Vorstellung veranlassen, daß im Deutschen Reichsrate wie im Deutschen Reichstage und im österreichischen und bayerischen Reichsrate nicht eine Repräsentation einzelner Staaten, sondern eine Repräsentation der Gesamtheit zu finden sei." Die Meinungsverschiedenheit zwischen Kaiser und Kanzler über die Firmierung des Bundesrates bezeugt, daß das Verständnis des Bundesrates bereits für die Zeitgenossen erschwert war.

Die immer wieder unternommene Konfrontation des Bundesrates mit dem Reichstag wird seiner Stellung nicht gerecht. Der Bundesrat war, obwohl Artikulation des Föderalismus, keine Entsprechung des Parlaments, — er war dessen Gegenspieler, der, wie Meinecke zu Recht betonte die Entwicklung des Reichstags zu einem parlamentarischen Regime behindert hat, weil ihm kein verantwortliches Reichsministerium, sondern Bundesrat und Reichskanzler gegenüberstanden.

Die von Anfang an bestehenden Schwierigkeiten bei der Standortbestimmung und der Aufgabenbeschreibung des Bundesrates schlugen sich nieder in einer umfangreichen und differenzierten verfassungsrechtlichen Diskussion, die sich als ein Hindernis für eine Popularisierung des Bundesrates erwies. Dieser stand auch der Umstand entgegen, daß die Sitzungen sowohl der Ausschüsse als auch der Vollversammlung nicht öffentlich waren. Die prätentiöse Exklusivität, mit der sich der Bundesrat — vom Berliner „Kladderadatsch" als ein „höheres Wesen" tituliert — umgab, hatte entscheidenden Anteil daran, daß es ihm im Wettbewerb mit dem verfassungsrechtlich unterlegenen Reichstag niemals gelang, einen seiner verfassungsrechtlichen Stellung entsprechenden Platz in der öffentlichen Meinung einzunehmen. Bismarck sah nicht nur die politisch relevante Aufwertung des Reichstags, — er forderte sie auch, wie er gegenüber dem Zentrumsabgeordneten Hertling unter Hinweis auf die Symbolkraft der Errichtung des Reichstagsgebäudes zum Ausdruck brachte. Es ent-stand so im allgemeinen politischen Bewußtsein ein faktisches Übergewicht des Reichstags über den juristischen Vorrang des Bundes-rates. Als Scharnier zwischen der Hegemonialmacht und dem hegemonialen Bundesstaat kam dem Bundesrat die für den deutschen Nationalstaat existentielle Aufgabe zu, ohne ausreichende institutionelle Grundlage Reichsgefühl und Reichsverantwortung zu entwickeln.

Als Einrichtung der föderativen Reichsstruktur geschaffen, wirkte er vereinheitlichend, — und zwar im Sinne eines föderativen Unitarismus. In den labilen Wechselbeziehungen zwischen dem Reich und Preußen als auch zwischen dem zunächst unter preußischer Vormundschaft stehenden Reich und den Einzelstaaten übernahm er die Funktion eines Moderators. Der Bundesrat sollte nach der Vorstellung seines Schöpfers ein Areopag der Inhaber der administrativen Gewalt sein, — die Plattform eines ständigen Gedanken-, Meinungs-und Erfahrungsaustausches zwischen dem verantwortlichen Reichsminister, dem Reichskanzler, der als preußischer Minister des Äußern zugleich die bundesstaatliche Hegemonialmacht vertrat, und den Ministern der Einzelstaaten. Diese Erwartungen — Bedingungen einer permanenten Politisierung des Bundesrates — erfüllten sich nicht. Zunächst nahmen über längere Zeit hinweg, später jedoch nur vereinzelt, die einzelstaatlichen Minister an den Beratungen des Bundesrates teil. Sie wurden in zunehmendem Maße ersetzt und abgelöst von einer bundesrätlichen Bürokratie. Bismarck versuchte diese Entwicklung dadurch anzuhalten, daß er erwog, die Verhandlungsgegenstände des Bundesrates zu klassifizieren. Die bedeutenden sollten durch die Minister, die unbedeutenden durch die ständig in Berlin anwesenden Bundesratsbevollmächtigten behandelt werden. Da diese Absicht undurchführbar war, wurde der Prozeß der Bürokratisierung des Bundesrates nicht aufgehalten. Heinrich Triepel nennt die stimmführenden Bevollmächtigten und ihr Gefolge, die stellvertretenden Bevollmächtigten, die „Elitetruppe des deutschen Beamtentums" Erich Kaufmann ist der Ansicht, „der ganze bundesrätliche Kreis mit seinen hohen und höchsten Beamten" sei zu einem „Reichszentrum" geworden, in dem die einzelstaatlichen Bevollmächtigten wohl ihre Instruktionen von der Heimat erhielten, von dem aber auch zugleich die Informationen dieser partikularen Heimat über laufende und schwebende Fragen der Reichspolitik ausgingen

Die Abstimmung zwischen Preußen, der Hegemonialmacht, und Bayern, dem meistprivilegierten Staat, führte nicht nur im Zeitalter Bismarcks zu einer, von den übrigen Mittel-und Kleinstaaten bisweilen als Terrorisierung verstandenen Abstimmung, bei der der Reichs-kanzler oder sein Vertreter die Verständigung mit Bayern als dem Bundesstaat, der den extremsten Föderalismus vertrat, als Schlüssel zur Erledigung aller bundesrätlichen Probleme sah, während Bayern sich jedes vermeintliche oder tatsächliche Zugeständnis zum Ausbau der Reichsgewalt honorieren ließ.

Der Bundesrat als Kristallisationspunkt der Reichsgewalt entschied niemals ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten. Er hatte im Interesse der Mehrheitsbildung stets die Gesichtspunkte und Wünsche sowohl der preußischen Hegemonialmacht als auch der Einzelstaaten zu berücksichtigen. Um den Bundesrat, den Paul Laband als „die eigentümlichste Institution des Deutschen Reiches" bezeichnete, bildete sich eine in sich gegliederte Gesellung, der bundesrätliche Kreis, der für den Gang vor allem der inneren Reichsgeschäfte einflußreicher und bestimmender war als Reichskanzler und Reichstag. Seine Leistung war die in der Regel geräuscharme Erledigung zahlloser innenpolitischer Probleme. Politische Möglichkeit und administrative Notwendigkeit wirkten dabei zusammen. Die Kehrseite dieser Entwicklung war die Erstarkung des ohnehin ausgeprägten Bewußtseins, die Führung der Politik und der Regierungsgeschäfte sei Sache der Berufsbeamten, die am Schnittpunkt von Politik und Verwaltung tätig sind. Diese selbst betrachteten die vom Volke gewählten Politiker, die „Reichsboten", als bloß vorübergehende Erscheinungen. Der Obrigkeitsstaat erhielt dadurch nicht nur eine Stabilisierung, — in ihm erwuchs ein antiparlamentarischer Affekt, der Reichstag und Öffentlichkeit nicht verborgen blieb.

Die Arbeitsweise des Bundesrates war umständlich, — eine Tatsache, die mit dazu beitrug, daß das von ihm vertretene föderative Prinzip in zunehmendem Maße als zu langsam für das Tempo der Zeit angesehen und deshalb als überholt bezeichnet wurde. Der beste Kenner seiner Situation, der Gesandte Hugo Graf Lerchenfeld, der Bayern seit 1880 im Bundesrat vertrat, klagte am 24. Februar 1912: „Der Bundesrat ist seiner Natur nach ein schwerfälliger Körper, der in unsere schnellebige Zeit nicht so recht paßt. Wenn er nicht von der Reichsleitung einerseits, von dem Parlament andererseits überrannt werden soll, so muß er sich über seine Natur beweglich und rasch von Entschluß halten. Er darf die ganze Maschine nicht aufhalten". In dem Maße, in dem der unpopuläre Bundesrat in Mißkredit geriet, wurde der Föderalismus suspekt. In einer nicht voll berechtigten Identifikation wurden Bundesrat und Föderalismus als dek-kungsgleich verstanden.

Der Bundesrat sollte als Institution des monarchischen Bundesstaates die Einzelstaaten assimilieren und integrieren. Er wurde von Bismarck geschaffen, um deren Vorbehalte und Mißtrauen gegen den neuen Deutschen Bund, den seine leidenschaftlichen Befürworter als einen unitarischen Staat wünschten, zu vermindern.

Aus gleichen Erwägungen kam es zu einer als zeitbedingt notwendig verstandenen Gestaltung des Finanzausgleichs zwischen dem Reich und den Gliedstaaten. Die Finanzverfassung nimmt im Bundesstaat eine überragende Stellung ein, bestimmt sie letzthin doch seinen Charakter. Vorstellbar sind drei Grundformen der bundesstaatlichen Finanzverfassung 1. Der Bund als Gesamtstaat erhält die von ihm benötigten Mittel durch Beiträge der Gliedstaaten, die nach einem festgelegten Schlüssel aufgebracht werden. Diese Form der Finanzierung des Gesamtstaates wird als das System der Matrikularbeiträge bezeichnet. Es kam in der Finanzverfassung des kaiserlichen Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1918 zur Anwendung.

2. Beansprucht der Bund als Gesamtstaat die uneingeschränkte Finanzhoheit, ist er verpflichtet, den Gliedstaaten die von diesem zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen. Dadurch erhält er politisch und finanzpolitisch eine starke Position, die er auch bei der Vornahme der Zuteilungen an die Gliedstaaten zur Geltung bringen kann. Diese Form der Finanzverfassung wird als das System der (Bundes-oder Reichs-) Zuweisungen apostrophiert. Es bestimmte die Finanzverfassung des republikanischen Deutschen Reiches 1919 bis 1933. Die Länder waren, wie die Kritiker dieser Finanz-verfassung zu sagen pflegten, „Kostgänger des Reiches", — sie waren auf Reichszuweisungen angewiesen, von derem Umfang die Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben abhing.

3. Schließlich können die Einnahmequellen zwischen dem Bund als Gesamtstaat und den Einzelstaaten aufgeteilt werden. Das System der geteilten Finanzhoheit versucht eine Balance der Einnahmen zwischen dem Gesamtstaat und den Einzelstaaten im Hinblick auf ihre Aufgaben. Ändern sich diese oder ändern sich die Einnahmen, entstehen zwangsläufig Schwierigkeiten und Spannungen. Auf Grund der Erfahrungen mit dem System der Matrikularbeiträge und dem System der Reichsüberweisungen entschied sich unter dem Einfluß der Besatzungsmächte der Parlamentarische Rat 1948/49 für das System der geteilten Finanz-hoheit, bei der die Einnahmen zwischen Bund und Ländern verfassungsrechtlich aufgeteilt werden, wodurch die Schwierigkeiten der früher angewandten Systeme der Formen der Finanzverfassung vermieden werden sollten. Die Anwendung der drei Grundformen des Finanzausgleichs in den drei verschiedenen Phasen staatlicher Ordnung in Deutschland — 1871 bis 1918, 1919 bis 1933 und seit 1949 — zeigt, daß der Finanzausgleich in gleicher Weise wie die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Reiches bzw. Bundes von entscheidender Bedeutung für die innere Balance der föderativen Struktur ist, — ein Umstand, der dazu geführt hat, die Form des Finanzausgleichs zwischen Gesamtstaat und Einzelstaaten als Kriterium des Bundesstaates überhaupt zu bezeichnen.

Nach der auch in der Politik gültigen Volksweisheit: „Wer zahlt, schafft an", reduziert sich bei dieser Betrachtungsweise das Problem des Föderalismus auf die Aufteilung der Einnahmen. Unbestritten ist die hohe Bedeutung des Finanzausgleichs, — er kann jedoch nicht das letzte Kriterium föderativer Ordnungen sein, da der Gesamtstaat ebensosehr wie die Einzelstaaten an einer gleichmäßigen Entwicklung und Behandlung der einzelnen Gebiete interessiert sein sollten. Doch reflektieren die Formen der Beteiligung der Gliedstaaten bzw. Länder an der Gesetzgebung und an der Verwaltung des Gesamtstaates und des Finanz-ausgleichs zwischen ihnen den Charakter der jeweiligen föderativen Struktur: Eine maßgebende Beteiligung der Gliedstaaten an der Gesetzgebung und Verwaltung des Gesamtstaa-tes begünstigt eine starke Position im Finanz-ausgleich. Haben die Gliedstaaten in finanzpolitischer Hinsicht eine schwache Stellung gegenüber dem Gesamtstaat, ist ihre Mitwirkung an seiner Gesetzgebung und Verwaltung auch in dem Falle beschränkt, in dem sie verfassungsrechtlich qualifiziert sind. Es besteht eine Interdependenz zwischen der Mitwirkung der Gliedstaaten bzw. Länder an Gesetzgebung und Verwaltung und ihrer Stellung im Finanzausgleich, was gerade der Ablauf der deutschen Geschichte seit 1871 überzeugend beweist, weshalb Bundesrat bzw. Reichsrat und Finanzausgleich als die föderativen Formen der Infrastruktur des kaiserlichen Deutschen Reiches, des republikanischen Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland angesprochen werden können.

Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 räumte den Gliedstaaten staatsrechtlich und finanzwirtschaftlich eine starke Stellung ein. Sie waren Hauptträger der öffentlichen Verwaltung, als welche sie auch alle Steuern erhoben. Die Zuständigkeit des Reiches war auf Aufgaben beschränkt, deren zentrale und einheitliche Durchführung als unvermeidlich angesehen wurde, und zwar die auswärtigen Angelegenheiten, die Kolonialverwaltung, der Unterhalt der Armee und der Flotte. Diese Verteilung der Aufgaben bestimmte die Verteilung der Einnahmen Die ergiebigsten und entwicklungsfähigsten Hauptsteuern, vor allem die direkten Steuern, verblieben den Gliedstaaten. Das Reich erhielt lediglich die Zölle und die indirekten Steuern. Die Biersteuer und bis 1887 auch die Branntweinsteuer blieben den süddeutschen Staaten Baden, Bayern, Württemberg als Reservate vorbehalten. Den Finanzbedarf des Reiches, der nicht durch Reichssteuern und sonstige Reichseinnahmen gedeckt wurde, bestritten die Gliedstaaten durch Matrikularbeiträge, die die finanzwirtschaftliche Verklammerung zwischen Reich und Länder waren. Die Matrikularbeiträge wurden Jahr für Jahr durch den Reichshaushaltsplan bewilligt und nach der Bevölkerungszahl der Gliedstaaten umgelegt.

Sie wurden ursprünglich als eine Übergangs-lösung betrachtet, sah doch Artikel 70 der Reichsverfassung vor, daß der ungedeckte Finanzbedarf des Reiches durch „Beiträge einzelner Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung" aufgebracht wird, „solange Bundessteuern nicht eingeführt sind". In dieser Bestimmung, der sogenannten Miquel'schen Klausel, wurde ein Druckmittel für die Errichtung eines Reichssteuersystems und einer Reichsfinanzwirtschaft gesehen.

Die der Finanzverfassung verlief Entwicklung jedoch entgegen den damit verbundenen Erwartungen. Das zumindest von einem Teil der Öffentlichkeit als provisorisch verstandene Matrikularbeitragssystem erwies sich als ausdauernd. Auch Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck mußte sich damit abfinden, obwohl er die Errichtung einer Reichsfinanzverwaltung als eine große politische Aufgabe betrachtete. Im Jahre 1874 soll er Abgeordneten gegenüber geäußert haben: „Ich langweile mich; die großen Dinge sind getan. Das Deutsche Reich ist aufgerichtet. . . . Warum soll ich mir also nicht Ruhe gönnen? Ich habe keine Lust mehr dazu, auf eine schlechte Hasenjagd zu gehen. Dazu bin ich zu müde. Ja, wenn es gälte, einen großen und mächtigen Eber — meinetwegen einen erymanthischen — zu erlegen, dann würde ich dabei sein, dann würde ich mir noch einmal etwas zumuten. Dem Deutschen Reich eine mächtige, unerschütterliche finanzielle Grundlage zu eben, welche demselben eine dominierende Stellung verleiht, und es in organische Verbindung bringt mit allen öffentlichen Interessen in Stadt, Provinz, Kreis und Gemeinde, das wäre eine große und würdige Aufgabe, die mich reizen könnte, den letzten Hauch meiner sinkenden Kraft daranzusetzen."

Da der Übergang vom Freihandel zum Schutzzollsystem zur Steigerung der Zolleinnahmen des Reiches führte, sah Bismarck eine günstige Gelegenheit, das System der Matrikularbeiträge abzubauen und die finanzielle Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Reiches zu verwirklichen, womit er den unwürdigen Zustand eines „vor den Türen der Bundesstaaten bettelnden Reiches" zu beseitigen hoffte. Seine Absicht scheiterte am Widerstand sowohl des Bundesrates als auch des Reichstages. Zwar erwiesen sich die jährlich festzusetzenden Matrikularbeiträge als Unsicherheitsfaktoren in den Haushalten der Länder, doch widersetzte sich der Bundesrat dem Abbau des Matrikularbeitragssystems, weil dieses das Reich finanziell abhängig hielt und es ihm die Inanspruchnahme des den Ländern vorbehaltenen direkten Besteuerungsrechtes versagte. Auch die Mehrheit des Reichstags sprach sich für die Beibehaltung des Matrikularbeitrags-systems aus. In der Entscheidung darüber nahm das Zentrum eine Schlüsselposition ein. Es sprach sich wirtschaftspolitisch für Schutzzölle aus, — wie sie von Bismarck gefordert wurden, es verlangte finanzpolitisch die Beibehaltung der finanziellen Abhängigkeit des Reiches von den Ländern, die Bismarck zu beseitigen beabsichtigte. Da der Reichskanzler der Stimmen des Zentrums bedurfte, mußte er sich mit einer Lösung des Finanzausgleichs zwischen Reich und Gliedstaaten einverstanden erklären, die auf der Grundlage eines Antrags den Zentrumsabgeordneten Georg Arbogast Freiherr von und zu Franckenstein zustande kam.

Die „Franckensteinsche Klausel" sah vor, daß das Aufkommen der Zölle und der Tabak-steuer, soweit es jährlich 130 Millionen Mark überstieg, später auch die Einnahmen der Reichsstempelabgabe und der Branntweinsteuer nach dem Maßstab der Bevölkerungszahl den Gliedstaaten überwiesen wurde. Auf diese Weise entstand im Reichshaushalt ein ständiger Fehlbetrag, der die Beibehaltung des Deckungssystems der Matrikularbeiträge notwendig machte. Dieses politisch bedingte System des Finanzausgleichs führte zwar zur Beibehaltung der finanziellen Unabhängigkeit der Länder, diskreditierte jedoch den Föderalismus, in dessen Namen es gefordert und verteidigt wurde. Während das Reich den 130 Millionen Mark übersteigenden Betrag der einzeln benannten Einnahmen lan die Gliedstaaten überwies, zahlten die Gliedstaaten jährlich festgesetzte Matrikularbeiträge an das Reich. Die vom Reich geforderten Matrikularbeiträge, die die Überweisungen des Reiches überstiegen, wurden als „ungedeckte" Matrikularbeiträge bezeichnet. Diese Finanzverfassung war schwer verständlich, weshalb es leicht war, sie unbeliebt zu machen, wodurch — wie bereits bemerkt — das föderative Prinzip Schaden nahm.

Die durch die „Franckensteinsche Klausel" veranlaßten Überweisungen des Reiches an die Gliedstaaten, mit den Matrikularbeiträgen der Gliedstaaten an das Reich verrechnet, ergaben bis zum Jahre 1898 in der Regel einen jährlich stark schwankenden Aktivsaldo zugunsten der Gliedstaaten. Nach diesem Zeitpunkt stieg der Finanzbedart des Reiches durch den Ausbau des Heeres und vor allem der Flotte gewaltig an. Die dem Reich zur Verfügung stehenden Steuereinnahmen und sonstige Einnahmen reichten zur Deckung der Reichsausgaben nicht aus. Da sich die Gliedstaaten einer Erhöhung der ungedeckten Matrikularbeiträge widersetzten, sah sich das Reich gezwungen, den Ausbau eines eigenen zureichenden'Steuersystems zu erkämpfen, um nicht zur Deckung seines wachsenden Fehlbedarfes allein auf den Anleiheweg angewiesen zu sein. Es kam in der Folgezeit zu Modifikationen der „Franckensteinschen Klausel". Die „Lex Lieber", ein nach dem Zen-trumsabgeordnetgn Ernst Maria Lieber benanntes Gesetz, sah vor, daß die Hälfte des die Matrikularbeiträge übersteigenden Überweisungsbetrages dem Reich verbleiben und zur Schuldentilgung verwendet werden sollte. Weitere Gesetze erhöhten diesen für die Schuldentilgung bestimmten Anteil auf dreiviertel des genannten Betrages. Gleichzeitig wurde der Reichsanteil aus den Erträgen der Zölle und der Tabaksteuer erhöht.

Diese Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, den unaufhaltsam steigenden Finanzbedarf des Reiches zu befriedigen. Eine Reform der Finanzverfassung war unaufschiebbar. Sie nahm 1904 ihren Anfang Ein Gesetz betreffend Änderungen im Finanzwesen des Reiches setzte die „Franckensteinsche Klausel" für die Zölle und die Tabaksteuer außer Kraft und teilte die Ertragshoheit über diese Steuern voll dem Reich zu, so daß als Überweisungsabgaben nur die Branntwein-, Verbrauchs-und Stempelabgaben bestehen blieben. Das gleiche Gesetz beseitigte die „Miquel’sche Klausel", womit die Matrikularbeiträge zu einer Dauereinrichtung der Finanzverfassung wurden. Die Gliedstaaten waren angesichts der jährlichen Schwankungen der ungedeckten Matrikularbeiträge mit diesem System nicht einverstanden. Die 1906 und 1907 verabschiedeten Gesetze zu einer Reichsfinanzreform leiteten eine Entwicklung ein, an deren Ende eine Reichs-finanzwirtschaft stand. Das Reich erhielt Einnahmen aus direkten Reichssteuern, die jedoch formell als indirekte Steuern gestaltet wur-den, damit die Kompetenz der Länder zur direkten Besteuerung unangetastet blieb. Da auch diese Modifizierung der Finanzverfassung nicht ausreichte, um den Finanzbedarf des Reiches zu decken, kam es 1913 zur einmaligen Erhebung eines Wehrbeitrages und zur laufenden Erhebung einer Besitzsteuer. Wehrbeitrag und Besitzsteuer waren die ersten offenen Zugeständnisse an das Deckungsbedürfnis des Reiches. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges war das Reich verschuldet und mit Steuermitteln unzureichend ausgestattet, weshalb es den finanziellen Anforderungen des Krieges nicht gewachsen war, — die Kriegsinflation, Vorläufer der Nachkriegs-inflation, wurde dadurch entscheidend begünstigt. Diese Übersicht beweist, daß es zu einem systematischen und sachgerechten Finanzausgleich zwischen Reich und Gliedstaaten 1871 bis 1914 nicht kam. Das System der Scheidung der Steuerquellen war immobil und daher ungeeignet, einen funktionsfähigen Finanzausgleich zwischen Reich und Gliedstaaten herbeizuführen. Das System der Matrikularbeiträge, zu Unrecht als die föderative Variante der Finanzverfassung deklariert, führte das Reich zu einer auf die Dauer unerträglichen Einengung seiner finanziellen Selbständigkeit und belastete die Gliedstaaten mit der unmittelbaren Haftung für die Haushaltführung des Reiches. Die Folge war eine gegenseitie Unbeweglichkeit, die die Entwicklung von Reich und Gliedstaaten beschwerte. Die Gliedstaaten widersetzten sich jedoch fast jedem Versuch des Reiches, ein eigenes Steuersystem auszubauen. Nur auf dem Wege der Verschuldung und der Erhebung von als indirekte Steuern ausgegebenen direkten Steuern war das Reich in der Lage, seinen finanziellen Bedarf zu dek-ken. Die Vorstellung der Gliedstaaten, mittels der finanziellen Abhängigkeit des Reiches auf seine Außen-und Rüstungspolitik bestimmenden Einfluß zu nehmen, erwies sich als eine Illusion. Das nicht mehr durchschaubare komplizierte System des Finanzausgleichs zwischen Reich und Gliedstaaten und die unzureichende finanzielle Ausstattung des Reiches wurden der politischen Eifersucht der Gliedstaaten angelastet. Nach Ansicht der öffentlichen Meinung war am Scheitern einer großzügigen Finanzreform der Föderalismus schuld.

Weimarer Nationalversammlung vorbereitete und bestimmte, eine Umkehrung der Finanz-verfassung erfolgte: Stand zwischen 1871 und 1918 das Reich „bettelnd vor den Türen der Bundesstaaten", so betrachteten sich, wie bereits bemerkt, zwischen 1919 und 1933 die Länder als „Kostgänger des Reiches".

Sowohl die — noch nicht beschriebene — Entwicklung der verfassungsrechtlichen und politischen Position des Bundesrates als auch die Geschichte des Finanzausgleichs zwischen Reich und Gliedstaaten machen deutlich, daß der in der Reichsverfassung angelegte Föderalismus fast ausschließlich als zeit-und umständebedingt verstanden wurde. Gegenüber den erstarkenden Kräften des Unitarismus, der einen Reichszentralismus befürwortete, befand er sich von der ersten Stunde des kaiserlichen Reiches an aut dem Rückzug.

Der Bundesrat errang allein schon wegen des Umstandes, daß seine Beratungen nicht öffentlich waren, keine Volkstümlichkeit. Er stand stets im Schatten des verfassungsrechtlich minder qualifizierten Reichstags. Bismarck gab dem Zentrumsabgeordneten Georg Freiherr von Hertling bei einer Unterredung im April 1884 zu bedenken, alles werde auf die Wünsche und Bedürfnisse des Reichstags zugeschnitten. Das sprechendste Beispiel sei das Projekt des Reichstagsgebäudes, in welchem der Reichstag zum entscheidenden Mittelpunkt gemacht sei, während doch von Rechts wegen in erster Linie der Bundesrat Berücksichtigung hätte finden müssen; dieser sei der Souverän in Deutschland oder vielmehr die fürstlichen Vollmachtgeber desselben, ihm gebühre die Repräsentation des Reiches

Der Finanzausgleich zwischen Reich und Gliedstaaten war von Anfang an so kompliziert, daß er für den Nichtinformierten und Uninteressierten unverständlich war. Seine Modifizierung führte dazu, daß nur noch Experten in der Lage waren, sich über ihn verbindlich zu äußern.

Beide Einrichtungen, die betonte Exklusivität des Bundesrates, hinter dem allzu viele die Umrisse des in Verruf gebrachten permanenten Reichstags des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und der diskreditierten Bundesversammlung des Deutschen Bundes sahen, und die Undurchschaubarkeit des Finanzausgleichs zwischen Reich und Gliedstaa-ten, wurden als Phänomene des Föderalismus verstanden. Das dadurch bedingte Mißverständnis des Föderalismus begünstigte die in der Gründung des Deutschen Reiches angelegte Tendenz zum Unitarismus und Zentralismus, zumal nationale Einheit nicht als nationale Einmütigkeit, sondern als nationale Einheitlichkeit begriffen wurde. Da sich die Anhänger und Vertreter des föderativen Prinzips herausgefordert fühlten, kam es zwischen dem vorwärtsdrängenden Unitarismus und dem hinhaltenden Widerstand leistenden Föderalismus zu einer ständigen Auseinandersetzung, die zum Kennzeichen der Verfassungsentwicklung wurde. Sie begleitete die Transformierung des Bundesstaates zum Einheitsstaat, die Georg Jellinek in seiner Untersuchung „Das Recht des modernen Staates" mit der Feststellung verteidigte: „Da der Bundesstaat souverän ist, so gibt es für die Ausdehnung seiner Zuständigkeit gegenüber den Gliedstaaten keine Grenze: sie kann bis zur Vernichtung ihres staatlichen Charakters gehen und der Bundesstaat sich demgemäß in einen Einheitsstaat verwandeln." In einer Anmerkung setzte sich Jellinek mit darüber erschienener Literatur auseinander, wobei er die Frage stellte: „Müßte ein zum Einheitsstaate neigendes Volk für alle Zeiten rechtlich die föderalistische Gestaltung seiner staatlichen Verhältnisse weiterdauern lassen? Man kann doch die Geschichte nicht durch eine Art von bundesstaatlichen Legitimismus meistern wollen." Im Anschluß beurteilt er die Fähigkeit des Bundesstaates zur Lösung der territorialen, politischen und gesellschaftlichen Aufgaben des 20. Jahrhunderts, wobei er grundsätzliche Darlegungen über die Disposition des deutschen Volkes für den Bundesstaat machte: „Der Staatenstaat ist für die Gegenwart keine normale Bildung mehr, sondern, wie die neueste Geschichte des türkischen Reiches lehrt, ein Stadium im Zersetzungsprozesse eines zerfallenden Staatswesens. Der Bundesstaat hingegen vermag die dauernde Form für die Gestaltung des gemeinsamen Lebens einer Nation oder einer durch gemeinsame Schicksale verbundenen Mehrheit von Bruchteilen verschiedener Nationen abzugeben. Namentlich ein großes Reich wird sich leichter in föderalistischer Form als in der eines, wenn auch noch so dezentralisiert gestalteten Einheitsstaates kräftig entfalten können. Deshalb ist dem Bundesstaate noch eine große Rolle in der künftigen Gestaltung der zivilisierten Staatenwelt vorbehalten. Heute bereits ist er die herrschende Form auf dem amerikanischen Kontinente. Aber auch das britische Reich wird auf die Dauer seine Kolonien nur bewahren können, wenn es imstande ist, den Gedanken der Imperial Federation zu verwirklichen, während es heute bereits politisch, wenn auch nicht juristisch den Charakter eines überdies sehr losen Staatenbundes trägt. Die germanische Welt, der schon jetzt die führende Stelle in dem gesamten Staatensystem zusteht und in Zukunft in noch höherem Grade zustehen wird, ist geschichtlich darauf angewiesen, den Bundesstaat zur normalen Form des politischen Daseins ihrer Völker zu erheben. Es sind gegenwärtig nur kleinere germanische Staatswesen, wie die Niederlande und Dänemark, die nicht bundesstaatlich gestaltet wären oder einer solchen Gestaltung zustreben. Norwegen hat zwar das Band gelöst, das es bisher an Schweden knüpfte, doch ist eine engere Verbindung der nordischen Staaten der Zukunft vorbehalten. Verwirklicht ist der föderalistische Gedanke bereits im Deutschen Reiche, der Schweiz und der nordamerikanischen Union, während England seine germanischen Kolonien zu werdenden Staaten und künftigen Bundesgliedern heranzuziehen sucht. Mit dem Fortschritte der föderalistischen Staatsidee wird auch die Stellung der selbständigen Mittel-und Kleinstaaten im Laufe der Zeiten verändert werden, da sie genötigt sein werden, sich dereinst größeren Ganzen einzugliedern. Dadurch allein kann auf die Dauer ihr Dasein garantiert werden. Denn das ist der ungeheure Vorzug, den ein kleiner Staat durch den Eintritt in einen Bundesstaat gewinnt, daß sein bis dahin unsicheres Dasein nun gegen jeden Angriff von außen dauernd garantiert ist. Ein Bundesstaat kann sich zwar durch Entstaatlichung aller seiner Glieder in einen Einheitsstaat verwandeln, er kann aber nicht einen einzelnen Staat wider seinen Willen seiner Existenz berauben." Jellinek wollte die Entwicklung zum Einheitsstaat nicht durch das föderative Prinzip aufgehalten sehen; er war andererseits von der wachsenden Bedeutung des Föderalismus für die Lösung der Staatsprobleme der Gegenwart überzeugt, sah er doch im Eintritt kleiner Staaten in übergreifende Bundesstaaten ihre einzige Überlebenschance. Sein Plädoyer für den Föderalismus entsprang nicht politischen Erwägungen oder ideologischen Forderungen, sondern Einsichten in die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Entwicklung der Staaten. Nicht alle Staatsrechtslehrer schlossen sich dieser Auffassung von der Aufgabe des Föderalismus an. Die meisten sprachen sich für die Durchsetzung des Einheitsstaates aus. So erklärte Julius Hatschek 1906: „Wir befinden uns gegenwärtig in einer Entwicklungstendenz, die uns aus dem alten Föderalismus der Reichsverfassung allmählich in unitarische Bahnen hinüberlenkt." In seiner 1907 erstatteten Situationsanalyse „Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reich" ging Heinrich Triepel von der Überzeugung aus: „Das Deutsche Reich ist rechtlich genommen als Einheitsstaat in die Geschichte eingetreten." Er betonte, daß die Entwicklung auf den Einheitsstaat zulaufe, wobei er an das Wort des Nationalökonomen Albert Schäffle, der als österreichischer Handelsminister bekannt wurde, erinnerte: „Die Einheit der indirekten Steuern mußte politischerweise zuerst erstrebt werden, jene der direkten wird nachfolgen." Triepel warnte vor einer Unterschätzung des institutionell abgestützten Föderalismus: „So gewiß es nun auch ist, daß der Unitarismus in Deutschland noch nicht am Ende seiner Bahn angelangt ist, so sicher ist es auf der anderen Seite, daß der Föderalismus noch längst nicht gewillt ist, vor seinem Gegner die Waffen zu strecken." Auf Grund einer eingehenden Untersuchung der föderativen Kräfte kam er zu der Auffassung, der Unitarismus habe in nächster Zeit nur langsam Fortschritte zu verzeichnen Otto Koellreuter stellte in seiner 1909 veröffentlichten staatsrechtlich-politischen Betrachtung „Einzelstaat oder Provinz" fest, der politische Einfluß der Einzelstaaten, ihr Anteil an der Willensbildung des Reiches, sei bei den kleinsten derselben vollständig auf null gesunken und bei den Mittelstaaten stark verringert. Sie, die Klein-und Mittelstaaten, seien von einer maßgeblichen Mitbestimmung bei den Fragen, die für die Stellung des Reiches in der Welt in der nächsten Zeit ausschlaggebend sein werden, und das seien die Fragen der äußeren Politik, ausgeschieden.

Das politische Machtzentrum der Einzelstaaten werde mehr und mehr vom Reich aufgesogen und konzentriere sich in dem preußisch-deutschen Machtzentrum des Reiches. Die Ein-201) zelstaaten würden dadurch allmählich zu verschieden organisierten Verwaltungsund Kulturzentren, sie würden in diesem Sinne zu „Provinzen des Reiches". Verlieren sie dadurch langsam die Qualität als Staaten, als politische Machtzentren, so behalten sie doch ihre Bedeutung als gesonderte Kulturmittelpunkte. Auch als „Provinzen des Reiches" hätten sie auf diesen Gebieten noch ein weites Feld und eine große Zukunft Friedrich Meinecke rechtfertigte die Entwicklung vom Bundesstaat zum Einheitsstaat, indem er darlegte: „Aber das Reichsbedürfnis ist zugleich das Macht-und Existenzbedürfnis der Nation, und je stärker dieses drängt, um so rascher und entschlossener wird man nach dem Wege suchen müssen, um dem Reiche und den Einzelstaaten, der Machtpolitik und der Kultur-politik, zugleich die genügenden Mittel zuzuführen. Die jüngsten großen Reichsfinanzgesetze, die das Jahr 1913 geschaffen hat, weisen darauf hin, daß dieser Weg nicht in föderalistischer, sondern in unitarischer Richtung laufen wird."

Hans Goldschmidt faßte das Ergebnis seiner 1931 vorgelegten Aktenpublikation „Das Reich und Preußen im Kampf um die Führung" in der Feststellung zusammen, daß zwischen 1871 und 1918 „die Fortbildung der Reichsverfassung und die Stärkung der Reichsgewalt jederzeit in unitarischer Richtung und nicht in einer Vermehrung der föderalistischen Elemente erstrebt wurde"

Diese Urteile bestätigen, erklären und rechtfertigen, daß der genuine Föderalismus der Reichsverfassung vom 16. April 1871 sich nicht nur nicht entwickelte, sondern verkümmerte und erlahmte. Beteiligt an dieser Entwicklung waren fast alle in der deutschen Politik wirksamen Kräfte. Die Staatsrechtslehrer gaben sich Mühe, sie als unerläßlich, zwangsläufig und zielbestimmt zu erklären, womit sie den Widerspruch derer herausforderten, die in dem verfassungsrechtlich frustrierten Föderalismus des kaiserlichen Deutschen Reiches ein folgenschweres Mißverständnis sahen.

4. Die staatsrechtliche Rezeption des föderativen Prinzips

In den Wandlungen der Stellung des Bundes-rates und in den Gestaltungen des Finanzausgleiches zwischen Reich und Gliedstaaten 1871 bis 1918 kommen nicht nur die entscheidenden innenpolitischen Probleme der deutschen Politik, sondern auch die Verschiebungen der föderativen Struktur zum Ausdruck. Diese Entwicklung bestimmte das Erscheinungsbild des Föderalismus im kaiserlichen Deutschen Reich.

Föderalismus war nicht mehr politische Theorie, — er war verfassungsrechtliche Wirklichkeit. Föderalismus war nicht mehr politische Spekulation oder gesellschaftspolitische Expektoration, — er war die Grundkategorie des Reichsstaatsrechts und das bestimmende Prinzip der Reichsstruktur. Die Staatsrechtslehrer bemächtigten sich jetzt endgültig des Begriffes, den sie ausschließlich unter der Sicht des geltenden Verfassungsrechtes betrachteten, verstanden und deuteten, worüber es zu seiner Einschränkung und zugleich zu seiner Fixierung kam. Wenn sie jetzt von Föderalismus sprachen, meinten sie die Struktur der Reichsverfassung vom 16. April 1871. Die Zwangs-identifikation zwischen Reichsverfassung und Föderalismus wurde bestimmend, so daß bei anderen förderativen Ordnungen die Frage gestellt wurde, ob diese berechtigt seien, sich auf den Föderalismus zu beziehen. Die meisten Staatsrechtslehrer lehnten ein über das Verfassungsrecht hinausgehendes Verständnis des Föderalismus mit Entschiedenheit ab, sie sahen darin entweder ein Mißverständnis oder einen Mißbrauch, konnten jedoch nicht die dem Begriff anhaftende Diskreditierung der vorausgegangenen politischen Auseinandersetzung beseitigen. Föderalismus, — das roch für allzu viele auch nach dem untergegangenen Deutschen Bund und dem in unseligem Andenken stehenden Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Der Bundesrat erinnerte in besonders aufdringlicher Weise an den Bundestag, die Bundesversammlung des Deutschen Bundes und an den ständigen Reichstag des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Politische Kommentatoren sorgten dafür, daß diese Assoziationen nicht verlorengingen, da sie, enttäuscht, daß kein nach ihrer Meinung problemloser Einheitsstaat, sondern ein verfassungsrechtlich komplizierter Bundesstaat eigener Art entstanden war, an der fortdauernden Diskreditierung des föderativen Prinzips interessiert waren. Sowohl die geschichtliche Vorbelastung durch die immer wieder erfolgten Erinnerungen an das Heilige Römische Reich deutscher Nation und den Deutschen Bund als auch die ausschließliche Inanspruchnahme durch das geltende Verfassungsrecht verhinderten, daß der Föderalismus in Deutschland volkstümlich wurde. Er war unverständlich, — er blieb unverstanden. Da eine Popularisierung des Föderalismus nach dem Vorbild der Begriffe Nationalismus, Liberalismus oder Sozialismus nicht gelang, gerieten diejenigen, die den Föderalismus nicht nur als eine Kategorie des geltenden Staatsrechtes, sondern als ein allgemeines in allen menschlichen Gesellungen anwendbares Strukturprinzip verstanden, an den Rand der öffentlichen Meinung. Interpreten des Föderalismus als geltendes Verfassungsrecht und Anhänger eines weitgefaßten allgemeinen Föderalismus standen sich ablehnend gegenüber. Beide Gruppen kümmerten sich verhältnismäßig wenig um außerdeutsche Erscheinungen des Föderalismus, wodurch der internationale Charakter des föderativen Prinzips im allgemeinen Bewußtsein verloren ging. Der Föderalismus wurde introvertiert, nationalisiert und ideologisiert; ihm wurden sachfremde Eigenschaften zugewiesen.

Die Eigentümlichkeit der Verfassungsstruktur des Deutschen Reiches löste unmittelbar nach seiner Konstituierung eine anhaltende wissenschaftliche, publizistische und politische Diskussion aus, die eine Vielzahl von Kommentaren und Interpretationen erbrachte.

In seinem bereits 1856 veröffentlichten „System des Verfassungsrechts der monarchischen Staaten Deutschlands mit besonderer Rücksicht auf den Konstitutionalismus" hatte Joseph Held die Ansicht vertreten, im Bundesstaat stehe die Souveränität ausschließlich der Zentralgewalt zu. Der Bundesstaat sei — streng genommen — keine Staatenverbindung, sondern ein Staat, dessen einzelne Teile einen gewissen Grad politischer Selbständigkeit hätten, aber niemals selbst Staaten sein könnten, da ein Staat im Staate undenkbar sei. In seinen 1868 veröffentlichten „Grundzügen des Allgemeinen Staatsrechts oder Institutionen des öffentlichen Rechts" erklärte er, juri-stisch könne ein Föderativverhältnis, das über eine bloße Allianz hinausgehe, nicht genau bestimmt werden. Gleichzeitig definierte er jetzt die Bundesstaaten als Republiken auf Grund einer Teilung der Souveränitätsrechte. Er vertrat die Auffassung, jede Staatenverbindung sei ein Bundesstaat, sobald und soweit in den allgemeinen Angelegenheiten das Majoritätsprinzip zur Anerkennung komme. 1872 übergab Held der Öffentlichkeit seine Untersuchung „Die Verfassung des Deutschen Reiches vom staatsrechtlichen Standpunkt aus betrachtet" Er kehrte dabei auf seine ursprüngliche Anschauung zurück, wobei er die Über-zeugung äußerte, das neue Deutsche Reich sei, wenn auch durch Vertrag entstanden, doch ein Verfassungsbündnis, eine staatsrechtliche Einheit. Da er seine Ansicht über die Zuordnung der Souveränität wiederholte, kam er zu der Auffassung, daß die Reichsverfassung kein abgeschlossenes Werk, sondern vorherrschend den Verhältnissen ihrer Begründung und den für diese maßgebenden Persönlichkeiten angepaßt sei. Das Reich, so führte Held aus.sei staatlich unlertig, namentlich sei das Verhältnis zu seinen Gliedern nicht hinreichend geklärt, denn es besitze insbesondere kein einziges wesentliches Hoheitsrecht vollständig und ausschließlich, — einzelne dieser Rechte fehlten ihm ganz. Auch vermischten die einzelnen Reichseinrichtungen die verschiedenartigsten, oft miteinander kollidierenden Kompetenzen. Viele wichtige Verhältnisse seien nur provisorisch geordnet. Held war der Meinung, diese Unfertigkeit habe das Deutsche Reich mit allen föderativen Bindungen gemeinsam. Jede wirkliche Staatsbildung verstand er als das Ergebnis von Ubergangszuständen zwischen Einigung und Enteinigung. Diese Übergangszustände könnten juristisch nicht genau bestimmt werden. Gemeinsam hätten alle so-genannten Staatenverbindungen, die sich einer genauen staatsrechtlichen Bestimmung entziehen, nur die Tatsache, daß sie entweder mit einer vollen staatlichen Einigung, das heißt mit einem Einheitsstaat, oder mit einer vollständigen Enteinigung, das heißt mit einer wahren Staatenmehrheit, enden müßten. Alle Gründe, die gegen diese Auffassung vorgebracht würden, tat Held als die Ergebnisse von Täuschungen ab. Zu den täuschenden Begriffen zählte er Föderalismus, Bundesstaat und Staatenbund. Sie seien nichts Fertiges und Bestimmtes, „woraus mit Sicherheit etwas anderes abzuleiten wäre, als eben solche Unfertigkeit und Unbestimmtheit, welcher einer weiteren Entwicklung bedarf". Als Konsequenz der Ansicht, die Verfassung des Deutschen Reiches sei unfertig und habe den Charakter eines permanenten Provisoriums, vertrat Held die Auffassung: „Soll Deutschland nicht wieder eine Staatenmehrheit hoffnungslosester Art oder die Beute anderer Staaten werden, so muß es sich zu einer vollendeten monarchischen staatlichen Einheit mit den Institutionen des freien Rechtsstaates und einer wahrhaft selfgovernmental dezentralisierten Verwaltung ausbilden."

Max Seydel veröffentlichte 1872 seine staatsrechtliche Untersuchung „Der Bundesstaatsbegriff" Er übertrug darin die Gedanken, die der amerikanische Politiker John C. Calhoun gegen die allgemeine Auffassung über den amerikanischen Bundesstaat vorgebracht hatte. Calhoun hatte, wie bereits ausgeführt, gegen die im „The Föderalist" beschriebene bundesstaatliche Struktur der Vereinigten Staaten von Amerika erhebliche Bedenken angemeldet, wobei er betont hatte, da die Souveränität ihrem Begriff nach ein unteilbares Ganzes sei, hätten die amerikanischen Einzelstaaten keinen Bundesstaat begründet, weil sie der Union keine Rechte, sondern nur die Ausübung von Rechten delegiert hätten. Sie hätten keine Verfassung über sich, sondern nur ein Vertragsverhältnis zwischen sich begründet. Die Regierung jedes Einzelstaates sei der Regierung der Union koordiniert, nicht subordiniert. Seydel benutzte die Staatslehre Calhouns, um gegen das allgemeine Verständnis des soeben konstituierten Deutschen Reiches Bedenken anzumelden. Er versuchte, unter Berufung auf Calhoun nachzuweisen, daß das Deutsche Reich kein Bundesstaat, auch kein Staat sei, wenn die Gliedstaaten ihren Staats-charakter behalten hätten. Da es keinen zusammengesetzten Staat, keine Addition von Unter-und Oberstaaten gebe, könne es immer nur einen Staat geben. Entweder sei das Deutsche Reich ein Staat, dann hätten die Gliedstaaten aufgehört, Staaten zu sein, oder die Gliedstaaten seien Staaten, dann sei das Deutsche Reich kein Staat.

So bemerkenswert die beiden Diskussionsbeiträge waren, zur Verständigung und Verbrei-tung der bundesstaatlichen Idee trugen sie nicht bei, sie machten lediglich die Schwierigkeiten, mit dieser zurechtzukommen, deutlich.

Im Jahre 1874 veröffentlichte Siegfried Brie seine „historisch-dogmatische" Untersuchung „Der Bundesstaat", der den ersten, bis heute noch gültigen Versuch unternahm, die Spur der bundesstaatlichen Idee, einer Erscheinungsform des Föderalismus, im Laufe der abendländischen Geschichte nachzuziehen. Brie gab zu bedenken: „In der Geschichte der Lehre vom Bundesstaate spiegelt sich die Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Die Einsicht, daß das ehemalige Deutsche Reich" — Brie meint das Heilige Römische Reich deutscher Nation — „die ursprüngliche Basis gebildet hat für den Bundesstaatsbegriff, muß zudem gerade für die wissenschaftliche Beurteilung der Institutionen des neuen Deutschen Reiches und namentlich ihrer Abweichungen von den modernen republikanischen Bundesstaaten in hohem Maße förderlich sein; sie wird insbesondere wesentlich dazu beitragen, die Unterhaltbarkeit des von der neueren Theorie behaupteten prinzipalen Unterschiedes zwischen Bundesstaat und Staatenreich darzutun."

Die Studie von Brie veranlaßte Heinrich von Treitschke zu der Niederschrift seines bereits mehrmals erwähnten Aufsatzes „Bund und Reich" in dem der politisch engagierte Historiker sowohl einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung als auch eine Beschreibung der einzelnen Erscheinungsformen von Staatenverbindungen ünd Zusammenschlüssen gab. Als Aufgabe bezeichnete er die Beantwortung der Frage nach dem Wesen des Bundesstaates. Er betonte, solche Erörterungen seien keineswegs bloß unfruchtbare Preisgaben zur Übung des Scharfsinns der Gelehrten. Kein Staat könne ohne schwere Gefahr ein Übermaß von fables convenues, von stillschweigend hingenommenen Unwahrheiten, in seinem Staatsrechte ertragen. An den Anfang seiner Darlegungen stellte er den in der gesamten Lehre von Föderationen allgemein anerkannten Unterschied von Staatenbund und Bundesstaat: „Der Staatenbund ist ein völkerrechtlicher Verein souveräner Staaten; nicht die Bürger, sondern die Staatsgewalten der verbündeten Staaten sind Mitglieder." — „Der Bundesstaat dagegen ist ein Gebilde des Staatsrechts. Seine Bundesgewalt wirkt im Bereich ihrer Befugnisse mit der Machtvollkommenheit eines souveränen Staats; sie beschließt wirkliche Gesetze, welche jeden Bürger unmittelbar verpflichten." Im Anschluß daran erörterte Treitschke die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Deskriptionen in „The Federalist" und in Tocquevilles „De la democratie en Amerique". Er verwies dabei auf die Tatsache, daß die von Tocqueville vertretene Auffassung von den zwei Souveränitäten in der Praxis nicht streng durchgeführt sei. Zur Begründung führte er an, daß der Bundesstaat der Union der Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweizer Eidgenossenschaft den Bürgern Grundrechte gewähre und den Grundsatz beachte, daß die Bundesgewalt überall da in Tätigkeit zu treten habe, wo die Kraft der Einzelstaaten nicht mehr ausreiche. Als Ergebnis seiner Darlegungen bot er die einfache Unterscheidung an, im Staatenbund stehe die Souveränität den Gliedern des Bundes, den Staaten, zu; im Bundesstaate der Gesamtheit, dem Bunde. Er betonte, daß der Bundesstaat dem Einheitsstaat näher verwandt sei als dem Staatenbund; der Bundesstaat besitze wie der Einheitsstaat eine höchste Staatsgewalt über untertänige Glieder, er erstrebe wie jener die allgemeinen Staats-zwecke: Verteidigung nach außen, Schutz des Rechts Beförderung der Wohlfahrt.

Im Anschluß an seine Bemerkungen über die Affinität zwischen Bundesstaat und Einheitsstaat gab er eine Darlegung der zwischen beiden bestehenden Unterschiede, von denen er sagte, sie seien zweifacher Art: „Die den Kantonen des Bundesstaats überlassene politische Macht ist ihnen nicht unmittelbar von der Zentralgewalt übertragen, wird nicht ausgeübt im Namen und Auftrag der Gesamtheit, wie die politische Gewalt, welche den Gemeinden und Provinzen eines Einheitsstaats zukommt; sie wird nur mittelbar geleitet durch den Gesamtstaat, der sie im Einklang erhält mit den Interessen der Gesamtheit und sie nötigenfalls zu beschränken befugt ist. Sodann kommen die Beschlüsse des Bundes nur zustande unter Mitwirkung der Glieder, und ihre Ausführung wird oft den Gliedern überlassen. Darin liegt eine letzte Erinnerung an die Souveränität, welche den Kantonen vormals zustand; aber der also gebildete Gesamtwille ist der Wille der Gesamtheit, nicht einer Summe von Mitgliedern, oder, um ein oft irrig angewendetes Wort Rousseaus richtig zu gebrauchen, im Bundes-staate wie im Einheitsstaate ist die volonte generale nicht gleichbedeutend mit der volonte de tous." Nach historischen und allgemeinen Erwägungen wandte sich Treitschke der Verfassungsstruktur des Deutschen Reiches zu; er meldete Bedenken gegen den Föderalismus an: „Alle Phrasen des Föderalismus beseitigen nicht das alte politische Gesetz, daß die Idee der Föderation ein republikanischer Gedanke ist, die Monarchie aber den Staat personifiziere und nach fester Einheit drängt." Er vertrat die Ansicht: „Unser Reich ist in Wahrheit der die Mehrheit der Nation unmittelbar beherrschende preußisch-deutsche Einheitsstaat mit den Nebenländern, welche seiner Krone in föderativen Formen untergeordnet sind, oder kurz: die nationale Monarchie mit hündischen Institutionen." Seine Vorstellungen und Erwartungen faßt sein letzter Biograph, Walter Bußmann, in die Feststellung zusammen: „Die Verwirklichung der demokratischen Idee der Föderation kann nicht das Ziel der deutschen Geschichte sein und nicht die Form bilden, in der das monarchische und , Zum Großen'angelegte deutsche Volk seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine reichen Anlagen zu entwickeln vermag. Die . vernünftige’ Vollendung, der . natürliche’ Abschluß der deutschen Geschichte, liege allein im monarchischen Einheitsstaat." Das Beispiel der Vereinigten Staaten hielt Treitschke nicht von der Ansicht ab, eine große und gebildete Nation „ertrage" keine föderative Ordnung: „Eine große und einheitliche Nation wie die deutsche schreitet sowohl aus einer Reihe von politischen Gründen als auch vor allem aus dem Grunde einer der geschichtlichen Entwicklung immanenten Zwangsläufigkeit zur höheren Vernunftform des monarchischen Einheitsstaates fort."

Bereits 1866 hatte Otto von Gierke den ersten Band seines „Deutschen Genossenschaftsrechts" veröffentlicht Er hatte darin die Genossenschaftsidee, eine Vorstufe des Föderalismus, freigelegt. 1880 machte er auf Althusius aufmerksam wobei er. wie bereits skizziert, dessen Beitrag zur Entstehung föderativer Auffassungen vortrug. Sein Hinweis blieb jedoch ohne Auswirkung. Die Vertreter des staatsrechtlichen Föderalismus hielten historische Reminiszenzen für nicht veranlaßt. Die Anhänger eines allgemeinen Föderalismus zeigten sich daran zunächst nicht interessiert.

Ohne geschichtliche Abstützung wurde zwar immer mehr vom Föderalismus gesprochen, — seine Kenntnis blieb jedoch unzulänglich.

Ein Schüler Otto von Gierkes, Hugo Preuß, legte 1889 seine Habilitationsschrift „Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften" vor. In ihr bekannte sich der nachmalige Schöpfer der Weimarer Verfassung zu einer organischen Staatsanschauung, — die Idee sowohl des Staates als auch des Rechts sei notwendig mit dem Vorhandensein einer menschlichen Gemeinschaft gegeben. Er machte vor allem auf die Rechte der kleinen Körperschaften aufmerksam. Die Beziehungen der Glieder zum Ganzen verstand er als ein gegenseitiges Verhältnis: „Wie die Herrschaft. . .

aus dem Verhältnis eines organischen Ganzen zu seinen Teilen entspringt, so entspringen aus eben diesem Verhältnis Rechte der Teile gegen den Gesamtorganismus." An anderer Stelle betonte Preuß: „Auch der Staat hat gegenüber den ihm eingegliederten Einzel-und Gesamtpersonen Pflichten. Der stufenförmige Aufbau von den Gemeinden über die Einzelstaaten zum Reich bringt es mit sich, daß die niedrigeren Organismen jeweils eine doppelte Funktion aufweisen: einerseits — und in erster Linie — erfüllen sie ihren eigenen Lebenskreis, andererseits betätigen sie sich als Organe des übergeordneten Organismus." Auf diese Weise interpretierte Preuß das Nebeneinander von „eigenem" und „übertragenem"

Wirkungskreis im geltenden Kommunalrecht:

„Eine solche Doppelfunktion spricht er aber nicht nur der Gemeinde, sondern auch dem Gliedstaat des Reiches zu, ja in Ansätzen sogar selbst dem Reich gegenüber der internationalen Völkergemeinschaft." Die eigentümliche Konstruktion des Deutschen Reiches veranlaßte Preuß, den überlieferten Souveränitätsbegriff als absolutistisch abzulehnen.

Den Unterschied zwischen Reich und Einzelstaaten einerseits, sowie den einfachen Gemeinden und ihren höheren Zusammenfassungen in Kreise und Provinzen andererseits stellte er mit Hilfe des Kriteriums der Gebiets-hoheit fest, das nach seiner Meinung dem modernen Souveränitätsbegriff nahe kam und sowohl auf das Reich wie auf die Einzelstaaten /anzuwenden war. Erörterungen dieser Art trugen zwar zur Klärung des Begriffes des Föderalismus bei, reichten jedoch nicht über den Kreis der politisch und fachlich Interessierten hinaus. Das Verständnis des Föderalismus förderten sie nur wenig, obwohl der Begriff Bestandteil der politischen Sprache wurde. 1907 veröffentlichte Heinrich Triepel seine Untersuchung „Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche" Er versuchte nicht nur die inzwischen eingetretene Situation zu beschreiben, — er bemühte sich vor allem, die seit 1871 erfolgten Veränderungen der Begriffe föderativ, unitaristisch und bundesstaatlich darzulegen. Er betonte: „Für uns handelt es sich indessen bei den Worten unitaristisch und föderalistisch um Begriffe, die beide einen besonderen Gegensatz zum Begriff bundesstaatlich enthalten sollen. Von diesem Standpunkte aus ist unitarisch im Gegensatz zu bundesstaatlich eine Institution, die dem Einzelstaate entspricht. Im Bundesstaate ist unitarisch eine Einrichtung, die sich, allein betrachtet, wie die Einrichtung eines Einheitsstaates ausnimmt, weil die Verfassung bei ihr die Existenz der Gliedstaaten als besonderer politischer Körper vergißt und die Natur des zusammengesetzten Staates verleugnet. Wer von der Zukunft fordert, daß sie diese Nichtachtung staatlichen Sonderdaseins auf viele oder gar auf alle Gebiete des staatlichen Lebens ausdehnt, ist Unitarier. Die letzte Forderung des Unitarismus ist die Ersetzung des Bundesstaates durch den Einheitsstaat. Dagegen ist föderalistisch oder föderativ im Gegensatz zu bundesstaatlich eine Einrichtung, die dem Staatenbunde entspricht. Im Bundesstaate ist föderalistisch eine Einrichtung, die das Staatliche des Bundesstaats beiseite setzt, die, isoliert betrachtet, wie die Einrichtung eines Staatenbundes aussieht-. Dem Staatenbunde charakteristisch ist aber einmal, daß er als bloßer Verein von Staaten keine obrigkeitliche Gewalt über deren Untertanen besitzt, vielmehr die wirkliche Staatsgewalt nur von den verbündeten Staaten je für ihren Bereich üben läßt und ferner wird in einem Staaten-verein der Wille der Gesamtheit in allen wichtigen Beziehungen von solchen Organen gebildet, die von den Einzelstaaten, und zwar möglichst von allen gleichmäßig, bestellt sind: von Tagsatzungen, Bundesversammlungen, Kongressen."

Diese Begriffsbestimmungen zeigen eine Veränderung der Vorstellungen an, die z. B. Treitschke 1874 über den Föderalismus geäußert hatte. Föderalismus meinte in der zweiten Hälfte des kaiserlichen Deutschen Reiches mehr und mehr Wahrnehmung der Interessen der Gliedstaaten gegenüber dem Bundesstaat und schließlich diese selbst. Während Föderation im Augenblick der Reichsgründung gleichzusetzen war mit Bundesstaat und damit mit der Struktur des Deutschen Reiches, hatte sich der Begriff gewandelt und beschränkt auf die Beziehungen zwischen Gliedstaaten und Gesamtstaat. Nicht mehr das Deutsche Reich wurde jetzt als Föderation verstanden, die Beziehungen zwischen dem Reich und den Ländern sollten föderativ sein, — dieses Verständnis des Begriffes Föderalismus hatte zwangsläufig Konsequenzen: Den Befürwortern einer starken Reichsgewalt waren die Vertreter einer starken Gewalt der Gliedstaaten suspekt. Sie übertrugen ihre Ablehnung auf den Begriff, den die Verfechter des staatlichen Charakters der Gliedstaaten benützten, auf den Föderalismus. Es kam abermals zu einer Einengung des begrifflichen Inhalts, auf Grund derer die Bestrebungen um die Erhaltung der Eigenstaatlichkeit der Gliedstaaten als Föderalismus verstanden wurden. Wer Föderalismus sagte, meinte die unverminderte Stärke der Gliedstaaten im Gegensatz zum Reich. Wer Zentralismus oder Unitarismus sagte, wünschte eine starke, durch niemand und nichts gehinderte Reichsgewalt. Bei dieser Konfrontation ging die Tatsache verloren, daß Föderalismus die Bundesstaatsidee als solche meinte. Zwangsläufig geriet diese Version des Föderalismus in Gegensatz sowohl zu den in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz vertretenen Auffassungen, als auch zu den politischen, sozialen und philosophischen Vorstellungen über den Föderalismus. Seine Verbreitung verwirrte sein Erscheinungsbild.

VII. Politische, soziale und philosophische Ideologisierung des Föderalismus

Die Gepflogenheit der Staatsrechtslehrer, die Bezeichnung Bundesstaat als Signifikation des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches zu benützen und dessen innere Struktur als ein Spannungsverhältnis zwischen Unitarismus und Föderalismus zu bestimmen, hielt Politiker, Publizisten und Philosophen nicht davon ab, eigene Auffassungen über den Föderalismus zu vertreten und zu entwickeln.

Zum föderativen Prinzip bekannten sich vor allem die Vertreter nationaler, konfessioneller und politischer Minderheiten, — Katholiken, Welfen und Polen. Das Engagement für den Föderalismus der als „Reichsfeinde" deklarierten Gruppen führte zu einer Diskreditierung des Föderalismus: Der Auffassung von „Reichsfeinden" haftete zwangsläufig der Geruch von Reichsfeindschaft an.

Die Verbundenheit mit Österreich als der Schutzmacht des Katholizismus und die Abneigung gegen Preußen als den Schirmherr der reformatorischen Bekenntnisse begünstigten die im deutschen Katholizismus vorhandenen Neigungen zum Föderalismus, weshalb sich die politischen Zusammenschlüsse deutscher Katholiken schließlich leidenschaftlich dazu bekannten. In der organisatorischen Vorstufe der Deutschen Zentrumspartei, in der „Katholischen Fraktion" des preußischen Abgeordnetenhauses, sprach sich vor allem Hermann von Mallinckrodt (1821 — 1874) mit großer Entschiedenheit für den Föderalismus aus Als während des Krieges zwischen Österreich einerseits und Italien und Frankreich andererseits 1859 Preußen sich neutral verhielt, verteidigte er die Sache Österreichs, weil es „bloß seinen Hausfrieden gegen die Agitation, seinen . Länderbesitz gegen die Vergrößerungssucht seiner Nachbarn wahrt und Verträge verteidigt, auf denen der gesamte völkerrechtliche Besitzstand Europas beruht". Nach der Annexion norddeutscher Staaten durch Preußen im Jahre 1866 erklärte von Mallinckrodt, er könne die Hannoveraner, das Prinzip des Föderalismus und die Wahrheit nicht im Stiche lassen. Am 12. März 1867 hielt er im Norddeutschen Reichstag eine berühmt gewordene Rede, die in der Feststellung gipfelte, der Satz „Gerechtigkeit ist das Fundament der Reiche"

finde sich keineswegs an der Wiege des Norddeutschen Bundes. „Preußen war", führte Mallinckrodt aus, „nicht gedrängt zum Kriege. Seit Jahren war seine Politik unzweifelhaft beflissen, jede Lebenstätigkeit des Deutschen Bundes im Keime zu ersticken, um dadurch in den Augen der Nation die Bedeutung dieses Bundes um so sicherer zu untergraben. Es war Preußen nicht in der Defensive gegen den Bund, sondern umgekehrt, der Bund und Österreich waren in der Defensive gegen das unberechtigte und eigenmächtige Vorgehen Preußens in den Herzogtümern. Vor dem Kriege herrschte nicht nur in den europäischen Ländern, nicht nur in den außerpreußischen deutschen Landen, sondern auch in Preußen selbst von der Saar bis nach Memel, und von der Hütte bis zum Palast die Überzeugung vor, daß die Aggression und das Unrecht auf preußischer Seite sei. . . . Ich halte fest an dem Recht um der ewigen Gerechtigkeit willen; ich folgere aus den Siegen nicht, daß der Sieger recht hat. . . Ich kenne nur einen Maßstab des Rechtes, und halte fest an dem Glauben, daß die Gesetze der Gerechtigkeit nicht bloß für die Privatpersonen gegeben sind, sondern ebensowohl für die Diplomaten und für die Staatsmänner. ... Im Jahre 1850 wollte man recht eigentlich den Bundesstaat und man konnte ihn wollen, weil es an ebenbürtigen Gliedern nicht fehlte. Im Jahre 1867 will man im Grunde nichts, als das eigentliche alte Preußen, nur mit etwas breiteren Schultern, etwas stärkerer Taille und einem leichten deutschen Rock. Etwas wesentlich anderes wie den Einheitsstaat kann man nicht wollen, sonst hätte man die Lande Hannover und Hessen nicht annektieren dürfen. Ich unterscheide zwischen deutschem Geist und preußischem Geist. Wenn man von deutscher Mannigfaltigkeit, von deutscher Freiheit spricht, so sind das Begriffe, die jedermann leicht faßt. Spricht man von preußischer Mannigfaltigkeit, die ist nicht da. Spricht man von preußischer Freiheit, die ist von jungem Datum und hält mitunter ein Schläfchen. Redet man aber von preußischer Ordnung, Disziplin, von preußischer Uniform; das versteht jedes Kind. Ich bin weit entfernt, nach der einen oder der anderen Seite einen Vorwurf zu machen; ich halte all diese Dinge für vollständig berechtigt, den Eigentümlichkeiten und dem ganzen geschichtlichen Entwicklungsgang der verschiedenen Teile Deutschlands entsprechend. Allein ich ziehe daraus den Schluß, daß eine gesunde Entwicklung die Berücksichtigung beider Geistesrichtungen zur wesentlichen Vorbedingung hat, und solche gleichartige Berücksichtigung ist nach meiner Auffassung nur möglich in dem eigentlichen Bundesstaat, dagegen in dem Einheitsstaat nicht. In dem Einheitsstaat unter der dominierenden Leitung Alt-Preußens wird der preußische Geist sich in einer Weise geltend-und fühlbar machen, daß er aus den westlichen Landesteilen und vollends aus den südlichen eine Reaktion des deutschen Geistes hervorruft und einen sehr bedenklichen Gegensatz in dem inneren Staatsleben weckt, einen Gegensatz, welcher in einem Militärregiment auf der einen Seite und auf der anderen Seite in revolutionären Bestrebungen Gestalt gewinnen wird; das eine wie das andere zum entschiedensten Nachteile wirklicher wahrer bürgerlicher Freiheit. Gleichwohl treiben wir dem Einheitsstaate unverkennbar entgegen."

An der Gründung des Zentrums als politische Vertretung der Katholiken im außerösterreichischen Deutschland maßgebend beteiligt, setzte sich Mallinckrodt für die Aufnahme des Bekenntnisses zum föderativen Prinzip in den programmatischen Erklärungen ein. Er fand dabei bereitwillige Unterstützung und Zustimmung, da alle außerösterreichischen Katholiken, soweit sie kirchlich engagiert und politisch interessiert waren, in der Verwirklichung einer föderativen Struktur einen Schutz gegen die preußische Übermacht, die für sie identisch war mit der Präponderanz der nichtkatholischen Kirchen, sahen.

Der Münsterer Programmentwurf vom 14. Juni 1870 war das Ergebnis der Soester Konferenzen 1869/70, in denen die Gründung des Zentrums erörtert und beschlossen wurde. Er sprach sich mit unmißverständlicher Eindeutigkeit für eine föderative Gliederung Deutschlands aus: „Das Vaterland der Deutschen ist Deutschland. Aber wie die Nation reich gegliedert ist in den Volksstämmen des Nordens und Südens, des Westens und Ostens, so war auch Deutschland nie ein zentralisierter Einheitsstaat, sondern ein vielgestaltiges Reich, dessen Glieder nach ihrer Eigenart sich ausgestalten möchten und in Mannigfaltigkeit zu reicher Blüte des Geisteslebens und der Kultur sich entfaltet haben. Die Uniform des Einheitsstaates und die nivellierende Herrschaft eines allregierenden Zentrums widerstrebt dem Volksgeiste. Gleichwohl drängen Parteitendenzen die bisherige Entwicklung des Norddeutschen Bundes zum Einheitsstaate. Der Mangel fester Grenzen zwischen den Befugnissen des Bundes und den Rechten der Einzelstaaten bedroht im äußersten Maße jede Selbständigkeit der Bundesglieder. Er macht die staatliche Existenz-der kleineren zur bloßen Zeitfrage; er lockert nicht minder die Grundlagen und das Gefüge des preußischen Staates, unseres engeren Vaterlandes; er stellt alle Garantien der preußischen Verfassung ins Ungewisse; er macht obendrein den süddeutschen Staaten einen Eintritt in den Bund vollkommen unmöglich." Der Programmentwurf forderte, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, da sie die Entfaltung eines Bundes-staates, „in welchem alle Glieder und Stämme sich wohl und glücklich fühlen können", verhindere

Das auf dem Wahlaufruf von Peter Reichensperger basierende „Essener Programm" vom 30. Juni 1870 forderte die „Bewahrung des im Bundesvertrag und in der Bundesversammlung festgestellten föderativen Charakters des Norddeutschen Bundes gegenüber allen auf Einführung des zentralisierten Einheitsstaates gerichteten, mit der wahren Freiheit und der eigenartigen Entwicklung des großen deutschen Vaterlandes unverträglichen Parteibestrebungen"

Das Soester Wahlprogramm vom 28. Oktober 1870 verlangte „für das ganze deutsche Vaterland einen Bundesstaat, der im Notwendigen die Einheit schafft, in allem übrigen aber die Unabhängigkeit und freie Selbstbestimmung der Bundesländer sowie deren verfassungsmäßige Rechte unangetastet läßt"

Der Bischof von Mainz, Wilhelm Eman -el Freiherr von Ketteier (1811— 1877), der sich in gleicher Weise zu sozialen und zu verfassungsrechtlichen Fragen äußerte, befürwortete in dem von ihm 1871 verfaßten Programmentwurf „Die Katholiken im Deutschen Reich" die Erhaltung individueller und genossenschaftlicher Freiheit: „Ein Deutsches Reich fordert deutsche Verfassungsformen auf allen Gebieten nicht nur der Reichs-und Landesverfassung, sondern auch der ganzen gesellschaftlichen Verfassung des Volkes für alle seine Bedürfnisse; korporative Organisation im Gegensatz zu den mechanischen Verfassungsfor-men des Liberalismus; Selbstverwaltung im Gegensatz zur reinen Beamtenherrschaft." Das Ende März 1871 von der ersten Zentrums-fraktion des Deutschen Reichstags angenommene Programm nannte als ersten von drei Grundsätzen: „Der Grundcharakter des Reiches als eines Bundesstaates soll gewahrt, demgemäß den Bestrebungen, welche auf eine Änderung des föderativen Charakters der Reichsverfassung abzielen, entgegengewirkt und von der Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der einzelnen Staaten in allen inneren Angelegenheiten nicht mehr geopfert werden, als die Interessen des Ganzen es unabweislich fordern."

Das Zentrum als politische Vertretung der deutschen Katholiken hielt an diesen Auffassungen seiner Gründungsphase bis 1918 beinahe unverändert fest, weshalb es als Hort föderativer Gesinnungen galt. Daß der politische Katholizismus sich für den Föderalismus einsetzte, bremste zwar die Entwicklung zum dezentralisierten Einheitsstaat, belastete jedoch den Föderalismus in den Augen der Gegner des Zentrums. Diese betrachteten die Parteinahme des Zentrums für den Föderalismus als einen Versuch, die Entwicklung zu einem nach innen und außen starken Einheitsstaat aus konfessionellen Gründen zu verhindern. Die Aversion gegen das Zentrum übertrug sich auf die von ihm vertretene Forderung nach Erhaltung der föderativen Reichsstruktur.

In gleicher Weise, jedoch nicht gleich wirksam, sprachen sich die in den Reichstag bzw. in das preußische Abgeordnetenhaus gewählten Welfen und Polen aus. Vor allem die Welfen setzten sich für die Ausbildung einer föderativen Struktur Preußens ein. Die von der am 31. Dezember 1869 gegründeten Deutsch-hannoverschen Partei in den Reichstag entsandten Abgeordneten schlossen sich, obwohl meist evangelisch, als Hospitanten dem Zentrum an, weil sie mit diesem in der Vertretung des föderativen Prinzips übereinstimmten und weil der Sprecher und Führer des Zentrums, Ludwig Windthorst, als ehemaliger Justizminister von Hannover die Zusammenarbeit ermöglichte. Mallinckrodt stellte bereits 1867 fest: „Windthorst ist sehr echt und sehr bedeutend und sehr tätig und eine Brücke zur Verbindung mit großdeutschen nichtkatholischen Elementen." Die Empfindungen der Welfen gegenüber dem neuen Deutschen Reich brachte der Historiker Onno Klopp zum Ausdruck: „Das alte Kaisertum, ruhend auf der Idee des Rechtes, war viele Jahrhunderte lang ein Segen der Völker: das neue Kaisertum des Schwertes würde, so kurz immerhin sein Bestehen sein dürfte, ein Fluch der Völker sein."

Engagierte Föderalisten lehnten es ab, das Deutsche Reich als Bundes-oder Föderativ-staat zu bezeichnen; sie brachten dafür mehrere Begründungen vor. Vor allem verwiesen sie auf die Hegemonialstellung Preußens, die nach ihrer Ansicht die Entwicklung des Deutschen Reiches zum Bundesstaat und die Entfaltung des Föderalismus verhinderte, Sie erklärten die in Übung kommende Bezeichnung „Hegemonialer Bundesstaat" als einen Widerspruch in sich, weshalb sie die Verwendung der Bezeichnungen Föderalismus, Föderativ-staat und föderativ für die verfassungsrechtliche und strukturelle Bestimmung des Deutschen Reiches für unangebracht hielten. In der Verteidigung eines integral verstandenen Föderalismus bildete sich eine unorganisierte Bewegung vorwiegend aus politischen Schriftstellern, die die verfassungsrechtliche Einengung des Föderalismus leidenschaftlich ablehnten. \ Blind für die Imponderabilien der deutschen Politik durch seinen Haß auf Bismarck übte Konstantin Frantz scharfe Kritik sowohl am Norddeutschen Bund als auch am Deutschen Reich. Er verstand die Gestaltung der Verfassung des Norddeutschen Bundes als „hegemonistisch" und „zentralistisch-militärisch"; er nannte sie „pseudo-föderativ". Die Struktur der Verfassung des Deutschen Reiches widersprach den von ihm vertretenen ganzdeutschen föderativen und universalistischen Gedankengängen. Er äußerte die Befürchtung, das Deutsche Reich schließe jede Aussicht auf eine Verwirklichung derselben aus und verurteile das Deutschtum zur Verkümmerung im nationalen Egoismus und vulgären Staatsbegriff. Für Konstantin Frantz gab es keinen Zweifel darüber, daß das Deutsche Reich keinen Bestand haben werde. Er betrachtete es als die Vorstufe einer noch größeren Katastrophe und als Übergangserscheinung zu einem auf diesen Zusammenbruch folgenden neuen, freien, wahrhaft föderativ organisierten und wiedervereinigten Deutschland. Nachdem er 1873 seinen Wohnsitz von Berlin nach Blasewitz bei Dresden verlegt hatte, beschäftigte er sich in ländlicher Abgeschiedenheit mit historisch-verfassungsrechtlichen Studien und publizistischen Arbeiten. In zahllosen Zeitungsund Zeitschriften-aufsätzen und in selbständigen Schriften erhob er scharfe Kritik an dem, was er den „Bismarckianismus" nannte.

Durch den 1875 veröffentlichten „Aufruf zur Begründung einer föderativen Partei" versuchte sich Konstantin Frantz als Gründer einer auf den Föderalismus seiner Vorstellung verpflichteten politischen Gruppierung. Er organisierte die im Herbst 1875 in Prag abgehaltene Versammlung, die gerne als „Föderalistenkongreß" bezeichnet wird. Sie galt der dem Werk Bismarcks verpflichteten öffentlichen Meinung des Deutschen Reiches als eine Verschwörung gegen den deutschen Nationalstaat. Frantz sah sich sowohl wegen der Kritik an seinen Bestrebungen als auch der Erfolglosigkeit der von ihm angeregten Partei-gründung gezwungen, sich auf seine literarische Tätigkeit zurückzuziehen. In dem Maße, in dem sich auch die gegenüber Bismarck kritisch oder abwartend eingestellten Teile in das Deutsche Reich integrierten, verloren seine Warnungen und Beschwörungen an Überzeugungskraft. Verachtet und vergessen starb er am 3. Mai 1891 in Blasewitz.

Zwischen 1911 und 1913 erschien in Kassel eine kleine Monatsschrift „Das ganze Deutschland", die sich um die Verbreitung seiner Ideen mühte. Aus ihrem Leserkreis entstand ein Zusammenschluß föderalistisch orientierter Männer, die die Neubelebung der Vorstellungen von Frantz als ihre Aufgabe ansahen.

Fast alle Vertreter und Werber eines integralen und ideologisierten Föderalismus teilten das Schicksal von Konstantin Frantz. Sie wurden zwar von einem kleinen Kreis Interessierter zur Kenntnis genommen, hatten jedoch keinen Einfluß auf die Bildung der öffentlichen Meinung und auf die Gestaltung der politischen Verhältnisse. Die an der äußersten Peripherie der politischen Entwicklung angesiedelten Warner und Mahner wurden trotz ihrer Einflußlosigkeit nicht müde, ihre Theorien zu entwickeln und vorzutragen. Ihre Ziele waren hochgesteckt, ihre Einwirkung, wie bereits bemerkt, jedoch gering. Diese Feststellung gilt vor allem für Lord John Emmerich Edward Acton(-Dalberg). Sie gilt eingeschränkt auch für Karl Freiherr von Vogelsang.

Lord John Emmerich Edward Acton(-Dalberg), 1834 in Neapel geboren, 1902 in Tegernsee gestorben, kam 1850 zum Studium nach München. Er wurde Schüler und Vertrauter des Kirchenhistorikers Ignaz von Döllinger, dessen Rehabilitierung nach dem II. Vatikanischen Konzil bereits mehrmals angekündigt wurde. Acton vertrat seine kirchenpolitischen Ansichten. Sechzigjährig wurde er zum „Re-gius Professor" in Cambridge ernannt, wo er durch Rezeption der historisch-kritischen Methode zum Begründer der modernen historischen Schule von Cambridge wurde. In seinen staatsphilosophischen Schriften befaßte sich Acton ausführlich mit der Funktion des Föderalismus. Ulrich Noack, der drei Untersuchungen über Acton vorlegte, machte auch auf seine Einstellung zum Föderalismus aufmerksam.

Ausgangspunkt der Interpretation des Föderalismus durch Acton war die bereits im November 1861 getroffene Erkenntnis: „Amerika hat nicht das Problem gelöst, Demokratie mit Freiheit zu versöhnen, denn es hat nicht die Macht mit dem Recht versöhnt." Acton vertrat die Auffassung, die wirksamste Beschränkung der Demokratie, ja die eigentlich natürliche und wahre Hemmung einer aboluten Demokratie sei das föderalistische System, das die Zentralregierung begrenzt durch die vorbehaltenen Befugnisse der Einzelstaaten und die Staatsregierungen begrenzt durch die Befugnisse, die sie abgetreten haben. Die Rechte der Einzelstaaten bedeuten zugleich die Vollendung und Beschränkung der Demokratie: „Denn das föderative System duldet nicht, daß die Demokratie irgendwo in ihrer Fülle existiert." Von dieser an den Föderalismus gestellten Aufgabe her sah Acton den „wesentlichsten Charakterzug eines föderalistischen Regierungssystems" in dem Umstand, daß es durch Teilung und Verteilung der Souveränität die vollkommenste Einschränkung gegen einen Exzeß der Macht und die wirksamste aller bekannten Sicherungen der Freiheit schafft. Für den Fall, daß eine so weitgehende Ausgestaltung des Föderalismus nicht möglich oder ratsam ist, befürwortete Acton, unter allen Umständen am Prinzip der lokalen Selbstverwaltung festzuhalten. Er sprach sich für die Forderung nach Dezentralisation, nach lokalen Freiheiten und Rechten und nach Einschränkung der überwiegenden Aktivität der Zentralregierung aus. Im föderalistischen System sah er die einzige Methode, um nicht nur die Majorität, sondern auch die Macht des Volkes als Ganzes zu beherrschen. Er betonte dabei, das föderalistische System sei von allen Einschränkungen der Demokratie diejenige Methode, die der Demokratie am meisten kongenial ist. Sie biete die stärkste Basis für eine zweite Kammer, in welcher die wesentliche Sicherheit der Freiheit in jeder echten Demokratie gefunden worden sei. Bestimmend für die Entscheidung Actons für den Föderalismus war seine Sorge um die Freiheit. Da alle seine Bestrebungen der Sicherheit der Freiheit galten, sprach er sich nachdrücklich für das föderative Prinzip aus, weil er in ihm das geeignetste Mittel sah, Macht zu teilen. Die Teilung der Macht betrachtete er als die Voraussetzung der Freiheit. Er bemerkte in diesem Zusammenhang: „Demokratie tendiert nach Vereinheitlichung der Macht." und fügte hinzu:

„Angesichts der anwachsenden Demokratie ist ein begrenzter Föderalismus die eine mögliche Hemmung gegen Konzentration und Zentralismus." Als wahren Republikanismus verstand er das Prinzip der Selbstverwaltung im Ganzen und in Teilen: „In einem ausgedehnten Land kann es nur überwiegen durch die Vereinigung verschiedener unabhängiger Gemeinwesen in einer einzigen Konföderation, oder, in anderen Worten, eine große Demokratie muß die Selbstregierung entweder der Einheit opfern oder sie durch den Föderalismus bewahren "

Diese Überlegungen betonen die machthemmende, weil machtteilende Funktion des Föderalismus. Acton diagnostizierte in der Demokratie den Trend zum Unitarismus und Zentralismus, wodurch er die Freiheit des einzelnen und der menschlichen Gesellungen gefährdet sah. Als das geeignetste Mittel dagegen hielt er das föderative System, dem er die Aufgabe zuwies, Machtkonzentration in der Demokratie zu verhindern. Die Furcht vor der absoluten und absolutistischen Demokratie bestimmte ihn, sich für Sicherungen der Freiheit einzusetzen. Als die beste verstand er den Föderalismus.

Diese Gedanken von Lord Acton wurden sowohl in Großbritannien als vor allem auf dem europäischen Kontinent nur einem sehr kleinen Kreis von Interessierten zugängig. Sie hatten so gut wie keinen Einfluß auf die Entwicklung föderativer Institutionen und föderalistischer Tendenzen in Deutschland. Sie eröffnen jedoch entscheidende Aspekte für das Verständnis und für die Anwendung des Föderalismus, indem sie vor allem auf dessen Fähigkeit, Macht durch Teilung und Verteilung unter Kontrolle zu halten, verweisen. Sie befürworten eine Demokratisierung der Macht in der Demokratie, indem sie Machtkonzentration durch Machtteilung und -Verteilung verhindern. Das Problem der Massenstaaten.

Volksherrschaft und persönliche Freiheit in harmonische Übereinstimmung zu bringen, löste Acton durch die Empfehlung, die Demokratie durch Föderalismus auszusteuern. Das innere Gleichgewicht, dessen gerade die Demokratie bedarf, kann nach seiner Auffassung nur durch die Anwendung des föderativen Prinzips erreicht werden. Föderalismus ist für ihn nicht in erster Linie die Teilung der Staats-souveränität zwischen einem Gesamtstaat und Einzelstaaten, nicht das Zusammenwirken von zunächst autonomen Kantonen in einem Bundesstaat und auch nicht das sehr eigenwillige Verhältnis zwischen einem von einer Hegemonialmacht geführten Gesamtstaat und Gliedstaaten — Föderalismus ist für ihn die Gestaltung der Infrastruktur der Demokratie. Diese wird nur dann vor einer Entartung zur absoluten und absolutistischen Demokratie bewahrt, wenn sie eine föderative Infrastruktur entwickelt. Diese schützt die Freiheit des einzelnen und bewahrt die Gemeinschaft vor einem Machtmißbrauch.

Ausgangspunkt der Hinwendung von Karl Freiherr von Vogelsang zum Föderalismus war seine Forderung nach einer umfassenden Sozialreform. Vogelsang, als Sohn einer preußischen Offiziersfamilie am 3. September 1818 in Liegnitz geboren, studierte zunächst Rechts-wissenschaften. Er widmete sich in München und Innsbruck historischen und theologischen Studien. Nach dem Übertritt zur katholischen Kirche gab er das Familiengut Alt-Gutendorf bei Marlow in Mecklenburg auf und ließ sich schließlich in Österreich nieder. Als Publizist wurde er zum vornehmsten Repräsentanten eines konservativen Antikapitalismus Vogelsang verstand den von ihm propagierten Idealstaat als eine soziale Pyramide mit einem König als höchster gesellschaftlicher Spitze. Er fordert eine horizontale Gliederung der Gesellschaft in Klassen und eine vertikale in Berufsstände. Genossenschaften der Berufsstände, die ihre Angelegenheiten selbst verwalten und autonome Selbstbestimmung ausüben, sollten das Parlament der Zukunft bilden, da die nach fachlichen Gesichtspunkten erwählten autonomen Vorstände der Genossenschaften die naturgemäßen Volksvertreter seien. Seine Auffassungen zeigen wirklichkeitsferne Züge. Es geht ihm nicht um die Beschreibung des bestehenden Zustandes, es geht ihm auch nicht einmal um seine Veränderung, es geht ihm in erster Linie um die Vorstellung eines Leitbildes. Weil er sich von einer differenzierten Gesellschaft eine Heilung erwartet, bekennt er sich auch zu dem dabei benötigten Gliederungsprinzip, dem Föderalismus, dessen Verständnis bei Vogelsang gesellschaftspolitisch bedingt ist. 1867 schrieb er im Wiener „Vaterland": „Der Föderalismus ist die Selbstbestimmung, welche von der Familie an in der Gemeinde, dem Bezirk, dann dem historisch abgeschlossenen Lande jeder territorialen Einheit gesichert ist und nur die Aufgaben, welche die beschränkte Einheit nicht zu erfüllen vermag, jeder höheren, endlich dem Reich überläßt." Der Staat wird als die Firmierung der Gesellschaft betrachtet, weshalb die Aufmerksamkeit den Strukturen nicht des Staates, sondern der Gesellschaft gewidmet ist. Die gesellschaftspolitische Verankerung föderativer Ansichten Vogelsangs ist bemerkenswert, weil sie in einer Zeitspanne und in einer Umwelt entwickelt wurden, die eine Föderalisierung als eine Überlebenschance des Nationalitätenstaates der Habsburger betrachteten.

Introvertiert waren stets die Diskussionen, die über Möglichkeiten und Formen des Föderalismus in der Schweiz geführt wurden. Die Eidgenossen betrachteten ihre Erörterungen darüber als innere Angelegenheiten. Sie hatten deshalb nicht die Absicht, ihre Gedanken und Vorstellungen über die Grenzen ihres Landes hinauszutragen. Die Nachbarn der Schweiz respektierten diese Einstellung. Auch sie betrachteten die eidgenössischen Diskussionen über den Föderalismus als Vorgänge der Schweizer Innenpolitik, — ein Umstand, der erklärt, warum der Beitrag der Schweiz zum Verständnis des Föderalismus im Deutschen Reich unbedeutend blieb. Diese Feststellung gilt auch für die Ideen, die der Schweizer Rechtshistoriker Philipp Anton von Segesser von Brunegg (1817— 1888), der Führer der Katholisch-Konservativen, der als Nationalrat und Regierungsrat des Kantons Luzern entscheidenden Anteil an der Ausgestaltung des Schweizer Bundesstaates hatte, entwickelte In einer am 26. Januar 1872 veröffentlichten Adresse über die Artikel 84, 88 und 89 des Entwurfs der Bundesverfassung wandte sich Segesser an das Schweizer Volk. Er versicherte: „Ich liebe die Demokratie, aber es gibt noch etwas, das ich mehr liebe als die Demokratie, und das ist die Freiheit, die schweizerische Freiheit. Ohne Freiheit gibt es keine Schweiz, wenn auch das Territorium bleibt. Die Freiheit aber wird uns erhalten durch die föderative Verfassung und die föderative Verfassung kann nur erhalten bleiben durch die Gleichberechtigung der Faktoren der Bundesgewalt." Segesser übte im Anschluß beispielhafte Kritik an der auf den Prinzipien der Französischen Revolution beruhenden Formaldemokratie: „Es gibt", führte er aus, „eine absolutistische und eine freiheitliche Demokratie. Sie haben die absolutistische Demokratie gesehen in der Form des französischen Kaisertums, sie sehen sie aber theoretisch in allen unseren Kantons-verfassungen niedergelegt, in der absoluten Machtvollkommenheit der Majoritäten; und je mehr der Begriff des Staates alle Seiten des Lebens absorbiert, desto absoluter wird die Macht der Demokratie werden. Nun haben wir einen Moderator dieser absoluten Gewalt in der föderalistischen Verfassung des Bundes, wir haben die Bundesgewalt, welche die Minderheiten, die Einzelnen in den Kantonen vor den Übergriffen der Majoritäten schützt, ihre Freiheit aufrecht erhält. Wir haben diese Institution nicht erfunden. Sie ist auf uns her-abgekommen von unseren Vätern, gleichsam als ein Geschenk der Vorsehung, das die Freiheit unseres Landes seit Jahrhunderten gewahrt hat. Und wir sollten diese föderative Verfassung wegwerfen, zerstören und die absolutistische Demokratie eines Einheitsstaates an ihre Stelle setzen?" In einem über die Artikel 48 und 49 des Entwurfs der Bundesverfassung geschriebenen Artikel führte Segesser diese Ansichten fort: „Je mehr sich die Verfassung unseres Bundes dem Einheitsstaat nähert, desto mehr wird es notwendig sein, gegenüber dem reinen Begriff der zentralen Staatsgewalt die Freiheit mit positiven Garantien zu umgeben. Je mehr die Zwischenstufen des Kantons, der Gemeinde, in welcher das In-dividuum seinen natürlichen Halt hatte, gleichsam eine Verstärkung seiner Individualität fand, an selbständiger Bedeutung verlieren, desto hilfloser steht der Bürger mit all seinen papierenen Grundrechten der Staatsgewalt, der Verkörperung der einfachen Volksmehrheit, gegenüber; desto mehr wird es auf jeder Stufe notwendig sein, die absolute Staatsgewalt in ihre Gebiete einzuschränken." Segesser verstand den Föderalismus als ein Mittel, um nicht nur die Selbständigkeit der Kantone, sondern vor allem die Freiheit des einzelnen Bürgers zu erhalten, und als eine Möglichkeit, die Individualdemokratie gegenüber der mehr und mehr um sich greifenden Kollektivdemokratie zu verteidigen.

Diese Erwägungen, Gedanken, Vorstellungen und Forderungen kamen, wie bereits bemerkt, über einen kleinen Kreis von Interessierten nicht hinaus. Nur wenige Zeitungen und Zeitschriften gaben Publizisten, die sich zu einem doktrinären Föderalismus bekannten, die Möglichkeit, ihre Ansichten vorzutragen. Dadurch blieb das Verständnis des weitergreifenden Föderalismus beschränkt, — es wurde gleichzeitig identifiziert mit den politischen Auffassungen und Einstellungen dieser Gruppen. Der Föderalismus als philosophisch-politisches Phänomen hatte am Ausgang der Epoche des 19. Jahrhunderts verfassungsrechtliche Interpreten, die den Begriff einengten und genau umschrieben, ideologisch bestimmte Anhänger, die das Prinzip als Heilmittel für die Schäden von Staat und Gesellschaft priesen, und Kritiker, die Erhaltung und Ausbau des Strukturelements als unzumutbaren Anachronismus erklärten.

Am 27. April 1912 veröffentlichte Vizeadmiral a. D. P. E. Hoffmann in der von Theodor Heuss redigierten Zeitschrift „März" eine Glosse „Föderalismus", den er als die Richtung der inneren Politik bezeichnete, „die den Schwerpunkt des Reichsgedankens in das Bundesverhältnis der deutschen Fürsten legt, im Gegensatz zum Unitarismus, der Tendenz zunehmender reichs-staatlicher Entwicklung" Exemplarisch für eine weit verbreitete Auffassung fügte der abgemusterte Seemann hinzu: „Der Föderalismus hat immer seinen Nährboden in dem Mißtrauen der Regierungen zum Reichstag gefunden, — daß diesem neuen Reichstag die Regierungen ganz besonderes Mißtrauen entgegenbringen, liegt auf der Hand." Hoffmann spielte damit auf die Reichstagswahlen vom 12. Januar 1912 an, bei denen die SPD 34, 8 von Hundert der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hatte und mit 110 Mandaten die stärkste Fraktion stellte. Polemisch sprach er von einem „staatlichen Frühlingsstrauße frischer Blüten des Föderalismus". Im Anschluß daran bemerkte er: „Föderalismus bedeutet Bildung des Reiches zum Staatenbund, bedeutet Schwächung des nationalen Gedankens und Schwächung des Kaisertums; alles Zukunftsträume des konfessionellen Zentrum, der Polen, Welfen usw. Allem solchen muß die öffentliche Meinung, die ein starkes, einiges Reich nach außen und nach innen verlangt, mit Eifer entgegentreten. Man tröste sich nicht mit dem Gedanken, daß Preußen sich selbst aufgeben würde, wenn es den Föderalismus begünstigte. Die preußischen Konservativen verlangen gar nicht nach Unitarismus im Reich. Ihnen ist eine straffe preußische Hegemonie viel lieber. Der geeignete Liberalismus allein hat den Willen, und hoffentlich auch das moralische Schwergewicht bei den Fürsten des Reiches, dem Föderalismus entgegenzutreten."

In dieser, für das Mißverständnis des Föderalismus in Deutschland bis zum gegenwärtigen Augenblick typischen Auffassung politisch interessierter Zeitgenossen kam zum Ausdruck, daß Föderalismus als Synonym für Reichsverdrossenheit, ja Reichsfeindschaft verstanden wurde. Nicht die Teilung der Souveränität zwischen Bundesgewalt und Gliedstaaten und auch nicht die innere Struktur des Deutschen Reiches wurden als föderativ angesehen, — der Föderalismus galt als der Unterschlupf der politischen Kräfte, die bestrebt waren, die Größe des Reiches zu verhindern, indem sie die Zentralgewalt des Reiches einschränkten. Der Föderalismus zog sich zwangsläufig Unwillen und Ablehnung der nicht wenigen zu, die vom falschen Glanz des Reiches fasziniert waren. Sie schenkten den Feststellungen geringe Beachtung, die der schwedische Historiker Rudolf Kjellen, Hauptschöpfer der an Friedrich Ratzel (1844— 1904) anknüpfenden „Geopolitik" in seiner 1914 erschienenen Studie „Die Großmächte der Gegenwart" bei der Beschreibung der Staatsstruktur des zaristischen Rußland traf: „Soweit bis jetzt die Erfahrung reicht, gibt es nur zwei haltbare Formen für die politische Organisation eines Kaiserreiches: Cäsarismus, das Prinzip des alten Rom, oder Föderalismus, das Prinzip der neuen Welt."

VIII. Föderative Strukturen in 'Osterreich-Ungarn, Kanada und Südafrika

Im Zeitpunkt der Konstituierung des Norddeutschen Bundes, der Vorstufe des deutschen Nationalstaates, als Bundesstaat sui generis und der Diskussion einer Verfassungsreform des Schweizer Bundesstaates kam es zu föderativen Gestaltungen zunächst in Osterreich-Ungarn und in Kanada und später in Südafrika. Der „Ausgleich" zwischen Kaiser Franz Joseph und Ungarn enthielt föderative Elemente und Faktoren, die die Diskussion über eine Föderalisierung des Vielvölkerstaates der Habsburger nachhaltig beeinflußten. In Kanada kam es zu einer Umgestaltung der inneren Staatsstruktur, da Großbritannien bestrebt war, die Versäumnisse und Fehlentscheidungen zu unterlassen, die 1776 zum Abfall der späteren Vereinigten Staaten von Amerika vom britischen Mutterland geführt hatten. Österreich trug schwer an den Folgen der Niederlagen, die es 1859 im Kampf gegen Frankreich und Italien und 1866 im Kampf gegen Preußen erlitten hatte. Die militärischen Anstrengungen hatten die finanziellen Möglichkeiten des Landes erschöpft. Die Entscheidung von Königgrätz hatte die Ohnmacht der Großmacht Österreich aller Welt vor Augen geführt. Die Ungarn nutzten diese Situation zur Erreichung des Zieles, das sie bereits in der Revolution 1848/49 verfolgt hatten, zur Verselbständigung ihres Staatswesens. Das vom Kaiser berufene Ausgleichskomitee beschleunigte seine Verhandlungen. Das Ergebnis war eine Verwirklichung der Vorstellungen, die der ungarische Politiker Franz von Deäk vertreten hatte. Der österreichische Einheitsstaat wurde aufgelöst. An die Stelle der Zentralregierung in Wien traten drei Regierungen: die österreichische für „die im Reichs-rate vertretenen Königreiche und Länder", die ungarische für Ungarn und die österreichisch-ungarische für gemeinsame Angelegenheiten. Den drei Regierungen entsprachen drei Vertretungen: der österreichische Reichsrat, der Ungarische Reichstag und die sogenannten Delegationen, die aus je 60 Mitglieder des Reichsrates und Reichstages zur Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten bestanden. Gemeinsame Angelegenheiten waren die Außenpolitik, die Militärangelegenheiten und die Reichsfinanzen. Österreich trug 70, seit 1907 63, 4 Prozent, Ungarn 30, seit 1907 36, 6 Prozent der gemeinsamen Lasten des Gesamtstaates. Der in zwei Hälften — Zisleithanien = Österreich, Transleithanien = Ungarn — aufgeteilte

Staat hieß nicht mehr Österreich, sondern Österreich-Ungarn.

Die Ansichten über die politischen Auswirkungen des „Ausgleichs" sind bis zum gegenwärtigen Augenblick geteilt. Hermann Gsteu verweist darauf, daß der Befriedung der Ungarn die Unzufriedenheit der Slawen, die die gleichen Rechte forderten, folgte: „Der Ausdruck ihrer Verstimmung ist jene . Pilgerfahrt nach Moskau', welche die Vertreter der Tschechen, Kroaten, Slowenen, Slowaken und Ruthenen nach Rußlands Hauptstadt unternahmen. Der Besuch galt angeblich der Besichtigung der völkerkundlichen Ausstellung, in Wirklichkeit aber der Erörterung allslawischer Fragen." Rudolf Wierer reklamiert in seiner material-reichen Untersuchung „Der Föderalismus im Donauraum" den Ausgleich für den Nachweis föderativer Vorstellungen in Österreich-Ungarn, indem er betont, daß der Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn durch die Föderalisten, die Vertreter unterschiedlicher Formen territorialer oder regionaler Selbständigkeit, vorbereitet und ermöglicht wurde, und gleichzeitig auf die Auswirkungen des „Ausgleichs" für die innere Verfassungsstruktur des außerungarischen Teiles der Monarchie verweist: Im „Ausgleich" übernahm Kaiser Franz Joseph die Verpflichtung, die nichtungarische Reichshälfte verfassungsmäßig zu regieren. Das Gesetz betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung vom '21. Dezember 1867 brachte eine teilweise Verwirklichung föderativer Vorstellungen und Forderungen Österreich mußte sich zu dem Ausgleich mit Ungarn, der es in zwei separierte und sich verselbständigende Reichshälften zerlegte und den Prozeß seiner Auflösung in Nationalstaaten zugleich beschleunigte, verstehen, da es alle Anregungen, Empfehlungen und Forderungen abgelehnt hatte, den Wiener Zentralismus durch einen gemäßigten Föderalismus zu ersetzen. Rudolf Wierer sieht die Chance dazu vor der Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 für bemerkenswert, danach picht für ausgeschlossen an. Weil sich Österreich einer dem Willen und den Wünschen seiner Nationen entgegenkommenden Föderalisierung widersetzte, mußte es sich mit einer Teilung abfinden. Da jedoch damit nur das Problem der Beziehungen zwischen dem ungarischen Volk und den nichtungarischen Völkern der Krone der Habsburger gelöst war, entwickelte sich im Anschluß an den Ausgleich eine breite und tiefschichtige Diskussion über föderative Lösungen der inneren Staatsstruktur Österreichs. Alle Staatsrechtslehrer und zahllose Publizisten lieferten Vorschläge und Beiträge zu dem Problem, eine den besonderen Gegebenheiten des Nationalitätenstaates entsprechende föderative Struktur zu entwickeln. Die bereits erwähnte Studie von Rudolf Wierer gibt darüber erschöpfend Aufschluß. Sie zeigt, wie sehr föderative Auffassungen die innenpolitische Diskussion Österreichs zwischen 1867 und 1918 beeinflußten und durchdrangen. Gemeinsam war den meisten Empfehlungen die Überzeugung, nur eine der Gemengelage der Nationen entsprechende föderative Struktur sei in der Lage, das nationale Selbständigkeitsstreben anzuhalten. Die Bezeichnungen, deren sich die Entwürfe und Empfehlungen bedienten, waren unterschiedlicher Art. Sie sprachen nicht immer von Föderalismus, sondern sehr häufig von Autonomie und autonomen Gebieten. Der Sozialist Karl Renner, 1918— 1920 Staats-kanzler, 1945— 1950 Präsident der Republik Österreich, veröffentlichte unter dem Pseudonym Rudolf Springer 1906 eine Untersuchung über „Grundlagen und Entwicklungsziele der österreichisch-ungarischen Monarchie", in der er als erste unerläßliche Aufgabe der Neugestaltung der Reichsverfassung eine Schaffung der zweckmäßigen Lokalverwaltung vorsah Er begründete diese Forderung: „Wir brauchen eine moderne Lokalverwaltung. Wie merkwürdig es ist — wir haben nicht einmal den Begriff von einer solchen, nicht einmal das politische Schlagwort der . Lokalverwaltung', wir kennen nur die Gemeinde und die erste Instanz der Staatsverwaltung — davon aber, daß die Bevölkerung eines Gaues, Kantons, eines Kreises, einer Grafschaft (Komitat) sich wirklich und ohne ständisch-bürokratischen Schwindel, wie er in Ungarn geübt wird, selbst regieren kann, in ihren lokalen Angelegenheiten, davon haben wir keine Ahnung. Und doch ist eine wahre, verständige Vorsorge für das wirtschaftliche, sanitäre und kulturelle Wohl der Massen ohne eine solche demokratische Lokalverwaltung undenkbar." Als zweite Aufgabe einer Reichsreform bezeichnete Springer-Renner die zweimalige Organisation der Bevölkerung, „territorial und national". Die Föderation, die geschaffen werden solle, müsse eine zweidimensionale sein. Die deutsche „Nationaluniversität", ein von den Siebenbürger Sachsen auf Österreich übertragener Ausdruck, solle alle deutsche Gaue, die tschechische „Nationaluniversität" alle tschechischen Kreise usw. umfassen, während die Territorien eine gebietsmäßige Erfassung und Gliederung vornehmen sollen. „Die Nation wird dem übernationalen Staat untergeordnet, der übernationale Staat bleibt jedoch auf die Verwaltung der militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Belange des Gemeinschaftslebens beschränkt, dagegen übernimmt die staatsähnliche Nation die Verwaltung der nationalen und kulturellen Belange des Staates." Renner sah in der Abgrenzung der Verwaltungssprengel nach der Sprachgrenze die Durchführung des Prinzips der Herrschaft und der Macht. Daher konnte seiner Ansicht nach das territoriale Prinzip nicht die Gleichberechtigung und die rechtliche Freiheit der Nationen gewährleisten. Er war überzeugt, daß das höchste Maß nationaler Einheit sowie politischer Freiheit und nationaler, rechtlicher Gleichheit nur im „internationalen Staatenstaat" zu verwirklichen sei In diesen Vorstellungen schlugen föderative Ansichten durch. Ziel der Überlegungen Renners war jedoch nicht ein integraler Bundesstaat, sondern eine Struktur der Donaumonarchie, die ihre Erhaltung gewährleistete. Alle Diskussionen über die Umstrukturierung der Donaumonarchie der Habsburger weisen in unterschiedlichem Umfang föderative Gedanken aus. Zwischen den extremen Lösungsvorstellungen der Durchsetzung der Herrschaft eines Volkes oder der Auflösung des Staates der Habsburger in Einzelstaaten gab es eine Unzahl differenzierter Vorschläge, Pläne, Modelle, die zwangsläufig föderative Formen entwickelten, weil nur mit Hilfe föderativer Strukturen Lösungen angeboten werden konnten. Für die Bestimmung der föderativen Idee sind die zahllosen Vorschläge nicht wertlos, auch wenn sie in erster Linie darauf ausgingen, die zentrifugalen Kräfte der vierzehn Nationalitäten zu beherrschen. Die Frage, ob ein föderierter Staat 1918 Überlebenschancen gehabt hätte, überschreitet die Grenze von der Wirklichkeit zur Spekulation. Sie stößt zwangsläufig auf das Leitbild der Schweiz, das unter anderen und ungünstigeren Voraussetzungen in der Donaumonarchie hätte nachgeahmt werden müssen.

Ein Jahr vor ihrem Untergang — 1917 — übergab Ignaz Seipel, 1922 bis 1924 und 1927 bis 1929 Bundeskanzler der Republik Österreich, „Gedanken zur österreichischen Verfassungsreform" der Öffentlichkeit. In ihnen beschäftigte er sich auch mit der Alternative „Zentralismus oder Föderalismus" in bezug auf Osterreich-Ungarn Seipel versicherte: „Wenn von den Möglichkeiten der Verfassungsreform gesprochen wird, hört man immer wieder drei Schlagworte: Zentralismus, Föderalismus und Autonomie." Uber den Zentralismus sagte Seipel: „Der Zentralismus betrachtet den Gesamtstaat als das Primäre; die Kronländer sind ihm nichts als mehr oder weniger bevorrechtete Provinzen des einen unteilbaren Staates. Wenn ihnen gewisse Agenden der Staatshoheit zu eigener Verwaltung überlassen werden, so ist das eine Konzession des Einheitsstaates an seine Teile, die ihren Seinsgrund ausschließlich in der Verleihung von Seiten der Zentralgewalt hat." Anschließend bestimmte Seipel den Föderalismus, indem er ausführte: „Der Föderalismus geht umgekehrt von der Anschauung aus, daß die Träger der Staatsgewalt eigentlich die Länder oder aber die Nationen seien; je nachdem reden wir von einem staatlichen oder einem nationalen Föderalismus." Schließlich befaßte er sich mit dem Begriff Autonomie. „Das System der Autonomie oder Selbstverwaltung steht den beiden andern nicht als gleichartiges Glied einer und derselben logischen Reihe gegenüber. Sowohl ein zentralistisch als ein föderalistisch aufgebauter Staat können ihren Teilen mehr oder minder reiche Autonomien einräumen und gleichzeitig in anderer Beziehung versagen, wie wir es zum Beispiel soeben an der Dezemberverfassung von 1867 gesehen haben. Föderalismus und Autonomie werden oft für dasselbe gehalten, aber völlig mit Unrecht. Die Autonomie ist schon gegeben, wenn der Staat in diesem oder jenem Belange auf die Ausübung seiner Gesetzgebungsund Verwaltungstätigkeit durch seine eigenen Organe verzichtet und so den Ländern, Gemeinden, Nationen, Genossenschaften usw. einen eigenen Wirkungskreis schafft. An die Konzeption und den Aufbau des Staates rührt sie nicht. Der Föderalismus dagegen . leugnet den Einheitsstaat zugunsten eines Bundesstaates. Er nimmt für die großen Glieder des Staätes Selbststaatlichkeit in Anspruch." In der Beantwortung der Frage, welche Aussichten Zentralismus und Föderalismus in Österreich haben, kam Seipel zu der Auffassung, weder der Zentralismus noch der Föderalismus werde Österreich die Gesundung bringen. Weder das eine noch das andere stelle an sich das Recht dar, weshalb auch weder das eine noch das andere als Unrecht gebrandmarkt werden dürfe. Die Frage, „ob Zentralismus oder Föderalismus", werde durch Übereinkommen zu lösen sein. Jedes Übereinkommen fordere jedoch von allen Beteiligten Opfer als Preis für die Vorteile, die es ihnen bringe. Eine Verfassungsreform, die automatisch alle Wünsche aller befriedigt, sei unmöglich, nicht so eine Verfassungsreform, die allen Gerechtigkeit widerfahren läßt. Den Weg zur Gerechtigkeit weise das letzte der drei angeführten Schlagworte, die Autonomie.

Die Ausführungen von Ignaz Seipel verdienen insofern besondere Erwähnung, weil immer wieder die Behauptung anzutreffen ist, eine Föderalisierung Osterreich-Ungarns hätte sein Ende aufgehalten. Seipel vertrat im Höhepunkt der Bemühungen um die Erhaltung der Donaumonarchie die Überzeugung, daß weder Föderalismus noch Zentralismus an sich in der Lage seien, die vielfältigen Probleme des Staates mit vierzehn Nationalitäten zu lösen. Er hielt die Autonomie der Nationen dafür geeignet; er widersprach damit der oft leicht-hin geäußerten Ansicht, der Föderalismus hätte ein „Wunder an der Donau" bewirkt.

Im Jahre 1867, in dem der Norddeutsche Bund konstituiert und durch den „Ausgleich" Österreichs in zwei Reichshälften zerlegt wurde, gewährte Großbritannien Kanada eine Verfassung, die dem Land eine Selbstregierung brachte. Kanada war im Verlauf des 19. Jahrhunderts in den immer stärker werdenden Sog der Entfaltung der Vereinigten Staaten von Amerika geraten. Es entstanden diesseits und jenseits der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada Anschlußbewegungen, die sich für eine politische Einheit des nordamerikanischen Subkontinents aussprachen. Ihre Überzeugungskraft ließ in dem Maße nach, in dem sich Nord-und Südstaaten über die Negersklavenfrage entzweiten. Der Sieg der Nordstaaten belebte das politische Bewußtsein der Vereinigten Staaten von Amerika. Als diese im März 1867 Alaska von Ruß-land kauften, glaubte sich Kanada in einem „magnetischen Einkreisungsring der Vereinigten Staaten". Die Möglichkeit eines Anschlusses Kanadas an die Vereinigten Staaten zeichnete sich ab, — Großbritannien handelte unverzüglich, indem es dem „Dominion Kanada" einer Selbstregierung gab, die später allgemein als Dominionstatus bezeichnet wurde. Sein Wesen bestand darin, daß die Regierung durch einen persönlichen Vertreter des Königs, den Generalgouverneur, wahrgenommen wurde. Ihm stand eine parlamentarisch verantwortliche Regierung mit einem Ministerpräsidenten zur Verfügung. Ein nach dem Zwei-Kammer-System in Repräsentantenhaus und Senat geteiltes Parlament nahm die Befugnisse des Parlaments zu London wahr. Die Dominionverfassung Kanadas ist die Verfassung eines Bundesstaates, der nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika organisiert wurde. Die Provinzen erhielten Staatscharakter, — sie wurden Gliedstaaten, führten jedoch weiterhin die Bezeichnung Provinzen. Durch diese Struktur gelang es, Unterschiede, die die Einheit des Landes gefährdeten, zu überbrükken: Die Nachfahren französischer Einwanderer sprechen französisch und bekennen sich zum katholischen Glauben; sie pflegen alt-französisches Brauchtum und zeichnen sich durch einen Kinderreichtum aus. Sie stehen den Nachfahren der aus Großbritannien stammenden Einwanderer gegenüber. Durch eine föderative Ordnung gelang es, eine Verschärfung der Spannungen zwischen beiden Volks-gruppen zu vermeiden.

In seiner Untersuchung „Föderative Regierung" vertritt K. C. Wheare die Auffassung, Kanada habe 1867 eine quasi-föderative Verfassung erhalten. Er begründet dieses Urteil durch Hinweise auf „unitarische Elemente in einer sonst streng föderativen Verfassungsform". Das Ergebnis seiner Untersuchung faßte er in dem Urteil zusammen: „Das föderative Prinzip ist daher aus der kanadischen Verfassung nicht völlig entfernt. Vielmehr findet es in ihr einen wichtigen Platz. Wenn wir uns jedoch genau an das Verfassungsrecht halten, so ist kaum zu erkennen, ob man sie eine föderative Verfassung mit beträchtlichen unitarischen Abweichungen oder eine unitarische Verfassung mit beträchtlichen föderativen Modifikationen nennen sollte. Es würde nach meiner Ansicht das föderative Prinzip zu sehr beanspruchen, sie als eine föderative Verfassung zu bezeichnen, ohne einen einschränkenden Zusatz zu machen."

Im Jahre 1910 schlossen sich die vier britischen Kolonien Kap der guten Hoffnung, Natal, Oranjefreistaat und Transvaal zur Südafrikanischen Union zusammen. Von 1899 bis 1902 hatten die beiden burischen Staaten Transvaal und Oranjefreistaat gegen Großbritannien Krieg geführt, den sie verloren. Sie wurden zunächst Kolonien. 1909 gab Großbritannien der in Gründung befindlichen Südafrikanischen Union eine „Dominionsverfassung", die der Verfassung Kanadas nachgebildet wurde. Sie sollte der Aussöhnung zwischen Briten und Buren und der Integration des Staates dienen.

Wird Föderalismus als Machtverteilung zwischen Bundesgewalt und Gliedstaaten bestimmt, wie es K. C. Wheare unternimmt, war die Verfassungsstruktur der Südafrikanischen Union ebenfalls quasi-föderativ. Es bleibt offen, ob von einem föderativ aufgelockerten Unitarismus oder von einem unitaristisch bestimmten Föderalismus gesprochen werden muß, — eine Frage, deren Beantwortung sich nach den Kriterien der Beurteilung richtet.

Sowohl der „Ausgleich" zwischen Österreich und Ungarn als auch die nach dem Vorbild der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika gestalteten Verfassungen von Kanada und der Südafrikanischen Union zeigen die weitere Ausbreitung des föderativen Prinzips an, das jeweils in einer den Gegebenheiten des Landes angepaßten Form in Erscheinung tritt. Da trotz erheblicher Unterschiede diese Verfassungsstrukturen als föderativ verstanden und bezeichnet werden, verwischen sich die Konturen des Begriffes Föderalismus weiter, — eine Beobachtung, die zu der Behauptung veranlaßt, jedes Volk würde, wenn es sich dazu entschließt, seine eigene Form des Föderalismus entwickeln. Bei einer Schematisierung des Begriffes Föderalismus besteht die Notwendigkeit, von quasi-föderativen Verfassungen und Regierungen zu sprechen. Unterbleibt eine eng bezogene Bestimmung, läßt sich der Begriff Föderalismus auf unterschiedlich strukturierte Staatsverfassungen anwenden, — was auch in der Regel geschieht.

IX. Das Deutsche Reich als dezentralisierter Einheitsstaat

1. Strukturen des Reichsunitarismus 1919— 1933

Im Herbst 1914 brachte der bayerische Ministerpräsident Georg Graf von Hertling gegenüber dem württembergischen Gesandten in München, Moser, die Befürchtung zum Ausdruck, daß „die patriotische Welle, die in so erfreulicher Weise jetzt durch das Reich geht, sich in eine unitarische verwandle" Der Erste Weltkrieg wirkte zunächst im Sinne eines emotionell überhöhten Unitarismus: Das deutsche Feldheer trat als einheitliche Kriegs-macht unter den Oberbefehl des Obersten Kriegsherrn. Die notwendigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen wurden mit Schwerpunkt in Preußen reichseinheitlich durchgeführt. Dem Reich wurden 1916 weitere direkte Steuern zugebilligt, — der Reichsgedanke setzte sich auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft endgültig durch. Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen wurde allgemein anerkannt, die Form ihrer Durchführung bei längerer Dauer des Krieges stärker die Krie kritisiert. Je Belastungen des -ges sowohl für das Feldheer als auch für die Heimat wurden, um so stärker wurde die Zunahme von Strömungen unterschiedlicher Herkunft und Zielsetzung, die als föderative Ansichten oder föderalistische Tendenzen bezeichnet wurden. Unruhe über die der Front und Heimat aufgebürdeten Lasten, Sorgen über die Entwicklung des Krieges und Zweifel in die Zukunft des Reiches schufen eine kriegsbedingte Aufnahmebereitschaft für föderative Vorstellungen, die an die bei der Reichsgründung 1870/71 vorgebrachten Bedenken erinnerten, sich auf die Kritik an dem von Bismarck geschaffenen kleindeutschen Nationalstaat beriefen oder Auffässungen föderalistischer Publizisten Wiedergaben. Beispielhaft ist der Aufsatz, den Friedrich Wilhelm Foerster über „Bismarcks Werk im Lichte der großdeutschen Kritik" im Januar-Heft 1916 der „Friedens-Warte" veröffentlichte; er rief bei der Fakultät Foersters, der Philosophischen Fakultät der Universität München, Widerspruch her-vor 243a). Der 100. Geburtstag von Konstantin Frantz am 12. September 1917 war für zahlreiche Publizisten Grund, sich seiner Gedanken zu erinnern, wobei die Sorge über die augenblickliche Lage des Deutschen Reiches das Bekenntnis zu dem widersprüchlichen Gedankengut von Konstantin Frantz überwog.

Daß föderative Vorstellungen und föderalistische Gesinnungen in dem Augenblick virulent wurden, in dem das Bismarcksche Reich um seine Behauptung rang, ist zwar erklärbar, hat jedoch den dem Föderalismus anhaftenden Makel mangelnder nationaler Zuverlässigkeit erheblich vergrößert. Das Auseinanderrücken der durch die „Ideen von 1914" vorübergehend harmonisierten Gruppen unterschiedlicher, ja gegensätzlicher politischer Auffassungen setzte nicht nur eine militante Rechte und eine radikale Linke, sondern auch eine föderalistische Gruppe frei, die den Föderalismus, so wie sie ihn verstand, als ein Mittel zur Rettung Deutschlands ausgab.

Der Föderalismus geriet zwangsläufig in die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen über die Zukunft Deutschlands. Er war in Deutschland niemals wertfrei, wurde jetzt jedoch eine von vielen politischen Auffassungen, die zwar neue Anhänger fand, jedoch gleichzeitig auf entschiedene Ablehnung stieß. Daß z. B. bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und in Bukarest Bayern offiziell vertreten war, wurde als „Ausgeburt des Föderalismus" von der deutschen Öffentlichkeit unwillig zur Kenntnis genommen.

Ein Teil der Anhänger des Föderalismus lehnte die allgemein erhobenen Forderungen nach Demokratisierung und Parlamentarisierung ab, ein anderer Teil forderte weitgehende Föderalisierung, Demokratisierung und Parlamentarisierung, — einen radikalen Umbau der territorialen und politischen Struktur des Deutschen Reiches: Die Gestaltungsmöglichkeit des Föderalismus war dadurch geschwächt. Die am 28. Oktober 1918 zum Abschluß gebrachte Neugestaltung der Verfassungsstruktur des Reiches beseitigte die verfassungsrechtliche Überlegenheit des Bundes-rates, der seinen Platz dem Reichstag überlassen mußte. In dieser Veränderung, die eine Vorentscheidung für die in der Weimarer Verfassung festgelegte Verfassungsstruktur darstellt, sahen die Anhänger des Föderalismus einen Sieg des verhaßten Zentralismus, die Zentralisten jubelten über die dem Föderalismus zugefügte Niederlage. Beide übersahen, daß Föderalismus und Parlamentarismus keine Gegensätze sind, wie das Beispiel der klassischen Bundesstaaten, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweiz, unwiderlegbar beweist.

Als im Winter 1918/19 die Alternative Räte-system oder parlamentarische Demokratie zugunsten der parlamentarischen Demokratie entschieden war, hieß eine weitere, die deutsche Auseinandersetzung bewegende Alternative: Zentralismus oder Föderalismus. Die meisten Verfechter einer parlamentarischen Demokratie hielten nach der Revolution vom 9. November 1918 die Gelegenheit für gekommen, einen von dynastischen Belastungen freien und einheitlichen Volksstaat zu errichten. Sie hatten keine Bedenken, sich als „Unitarier" oder „Zentralisten" bezeichnen zu lassen. Die Föderalisten dagegen glaubten, die Situation erlaube die Beseitigung des Übergewichtes Preußens, wodurch der hegemoniale Bundesstaat beseitigt und die Voraussetzungen für eine den wahren Interessen des deutschen Volkes entsprechende Föderalisierung geschaffen werden könnten. Beide Ansichten gerieten in den Strudel der politischen Ereignisse und der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen.

Von Friedrich Ebert mit der Vorbereitung des Entwurfes einer neuen Reichsverfassung beauftragt, dachte Hugo Preuss zunächst an eine Aufteilung Preußens. Er mußte diese Absicht aufgeben, da die Parteien, die die Weimarer Koalition bildeten, eine Erhaltung Preußens zumindest im gegenwärtigen Augenblick für notwendig hielten. Die Problematik, mit der Bismarck so schwer gerungen, und die die innerpolitische Entwicklung zwischen 1871 und 1914 entscheidend beeinflußt hatte, blieb erhalten. Die Gliedstaaten nutzten geschickt die föderalistische Welle, die durch das Reich ging, konnten jedoch nicht die Annahme der vom bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner gestellten Forderung erreichen, daß die von der Nationalversammlung zu beschließende Reichsverfassung erst durch die Zustimmung der Einzelstaaten Gesetzeskraft erlangen sollte.

Die Mehrheit der am 6. Februar 1919 in Weimar zusammengetretenen Nationalversammlung war unitarisch gesinnt. Sie wurde in zahlreichen Erklärungen und Veröffentlichungen in dieser Haltung bestätigt. Konrad Adenauer schrieb am 25. Juli 1919 an Reichsmini-ster Erzberger, er würde es begrüßen, wenn Deutschland ein „unitarischer Staat mit starker Zentralgewalt und verhältnismäßig großen Reichsprovinzen" würde. In der Nationalversammlung kam es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten, die als Kontroversen zwischen Unitarismus und Föderalismus bezeichnet wurden. Das Ergebnis dieses, alle Entscheidungen überlagerten Konfliktes war das Zurückdrängen föderalistischer Elemente in der Reichsverfassung. Die Stellung des Reichsrates, der den Bundesrat ablöste, und die Gestaltung des Finanzausgleichs zwischen dem Reich und den Ländern bewiesen exemplarisch die eingetretenen Veränderungen. In der zweiten Lesung des Entwurfes der Reichsverfassung am 2. Juli 1919 ging der Abgeordnete Conrad Haußmann als Vorsitzender und Berichterstatter des Verfassungsausschusses auf die, wie er sagte, „große Frage" ein, die die nachfolgenden Debatten beherrschen werde, so wie sie den Ausschuß beherrscht hat, „nicht über die Staatsform, welche gegeben und entschieden ist, sondern über die Frage: Einheitsstaat oder Bundesstaat. Der organisch große Unterschied zwischen der jetzigen Verfassung und der bisherigen ist, daß der . Bundesrat'nicht mehr Zentralpunkt der Reichspolitik und der verbündeten Regierungen ist, wie er es gewesen ist. Es ist ein einschneidender Schritt auf dem Wege zum Einheitsstaat gemacht worden, darüber muß sich jeder klar sein. Dieser Schritt ist von allen Parteien gemacht worden. Das ist das Wichtige, was hervorgetreten ist. Der dynamische Druck der schweren Zeit erlaubt es nicht, die schöne Freiheit individueller Vielgestaltigkeit in den Einzelstaaten so zu üben und geltend zu machen, wie das früher möglich gewesen ist. Aber über den großen theoretischen und prinzipiellen Gegensätzen, die die beiden Fragen, Föderativstaat und Einheitsstaat, mit Recht immer wieder auslösen, müssen wir uns — ob wir es begrüßen oder nicht — gestehen, daß auf vielen Einzelgebieten die einheitliche Gesetzgebung und Verwaltung eine unabwendbare Notwendigkeit gewesen ist. Die Reichs-eisenbahnen mußten geschaffen werden samt der Reichspost, die Reichsabgaben müssen das Reich zu Steuern, zur Zahlung der unerhörten Gesamtschulden bevollmächtigen, die Wasserstraßen in einheitlicher Bewirtschaftung erwiesen sich als fast unvermeidlich, und eine Reichswehr ist gleichfalls unumgänglich not-wendig. Damit haben wir auf so bedeutenden Gebieten eine tatsächliche Einheitlichkeit — sei es als notwendiges Übel, sei es als erwünschten Zustand; in der Sympathie können sich die Meinungen nach wie vor gegenüberstehen —, daß gegenüber der Herstellung der Einhei’lichkeit auf diesen großen Gebieten die übrigen Fragen an praktischer Bedeutung weit zurücktreten." Als höchstes Gebot nannte Haußmann die „größte Wirtschaftlichkeit", betonte jedoch, der Ausschuß sei nicht so weit gegangen, eine organische staatliche Verbindung mit den Einzelstaaten überhaupt zu beseitigen, er habe vielmehr das Institut bestätigt, welches künftig den Namen Reichsrat trägt, und damit den Sinn für die geschichtliche Entwicklung und die lebendigen Bedürfnisse des Gesamtstaates zum Ausdruck gebracht. Dieser Reichsrat solle aber weder eine erste oder zweite Kammer sein noch ein Parlament oder ein Staatenhaus, sondern ein Kollegium zur Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches. Der Reichsrat — von allen Parteien der Nationalversammlung als notwendiges und zweckmäßiges Organ anerkannt — sei sowohl eine Einrichtung des Reiches als auch ein Organ der Gesamtheit der Länder mit staatsrechtlich vollständiger Doppelstellung. Hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Stellung sei der Reichsrat ein Faktor, der die Tätigkeit der Reichsregierung teils helfend, teils hemmend begleitete und der die Aufgabe habe, die einzelstaatlichen Interessen bei der Reichsleitung zur Geltung zu bringen

Der über den Reichsrat zustande gekommene Kompromiß befriedigte nicht. Einem Teil der Nationalversammlung war der Reichsrat eine äußerst überflüssige Einrichtung. Preußen fühlte sich durch die Schaffung des Reichs-rates entrechtet, da es die im Bundesrat behauptete überragende Stellung verlor. Zudem wurde beschlossen, daß die Hälfte der preußischen Stimmen nicht von der Mehrheit vertreten werde, sondern nach näherer Bestimmung eines Landesgesetzes den Provinzen zufallen soll, die damit im Reichsrat neben die 17 Länder als Quasi-Länder mit eigenem Stimmrecht treten. Die ursprüngliche Absicht, Preußen aufzuteilen und seine Provinzen in den Rang von Ländern zu erheben, lebte in dieser Bestimmung fort. Die nichtpreußischen Länder waren mit dem Reichsrat unzufrieden, weil ihnen der Einfluß auf die Reichspolitik, den sie mittels des Bundesrates hatten, genommen wurde. Der Reichsrat erwies sich als ungeeignet, einen bestimmenden Einfluß auf die Reichspolitik zu nehmen, — obwohl Hugo Preuss in der Nationalversammlung von einer „Generationenfolge", einer geraden Entwicklungslinie vom permanenten Reichstag des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation über den Frankfurter Bundestag zum Bundesrat des Norddeutschen Bundes und des kaiserlichen Deutschen Reiches und von da zum Staatenausschuß der Übergangsperiode bis zum Reichsrat in'der in die Reichsverfassung aufgenommenen Form sprach. In der Zusammensetzung stimmten Bundesrat und Reichsrat überein. Beide waren eine ständige Delegiertenkonferenz sämtlicher Landesregierungen, doch hatte der Reichsrat nur einen Bruchteil der Rechte und Möglichkeiten, die dem Bundesrat zur Verfügung standen, weshalb sich die meisten Länder, vor allem Bayern, mit dem Reichsrat nicht einverstanden erklärten.

Die „Denkschrift der bayerischen Staatsregierung auf Umgestaltung der Weimarer Verfassung" vom 4. Januar 1924 stellte klagend und anklagend fest: „In der Weimarer Verfassung hat sich ein dem Bismarckschen Föderalismus entgegengesetzter unitarischer Geist ausgewirkt, und zwar hat das Reich seinen Bundesstaat beibehalten, aber das Verhältnis zwischen dem Reich und den Gliedstaaten hat sich wesentlich geändert. Die Bundesglieder haben von ihren staatlichen Rechten so viel an das Reich abgeben müssen und dieses hat den Umkreis seiner Zuständigkeit auf Kosten der Einzelstaaten so sehr erweitert, daß bei ihnen von wirklichen Staaten kaum gesprochen werden kann. Unter dem Namen Länder sind die Bundesstaaten zu einem Mittelding zwischen Staat und gehobenen Selbstverwaltungskörpern degradiert worden. Den Ländern ist zwar ihr politischer Apparat — Regierung und Landtag — geblieben, aber dieser Apparat kann nicht mehr das leisten, was das Staats-volk von ihm erwartet." Die Denkschrift kam zu dem Ergebnis: „Die neue Lebensform des Reiches hat sich als unfruchtbar erwiesen. Die Einzelstaaten haben durch den Unitarismus und Zentralismus der Weimarer Verfassung an Lebenskraft mehr eingebüßt, als das Reich gewonnen hat. Während früher das Reich mehr war als die Summe seiner Teile, ist heute eher das Gegenteil der Fall. Die Reichsfreudigkeit nat daher in bedenklichem Maße gelitten. Was als Klammer für das neue Reich gedacht war, hat sich als Sprengpulver erwiesen."

Diese Auffassung veranlaßte die Verfasser der bayerischen Denkschrift, eine teilweise Wiedereinsetzung des Reichsrates in die Rechte des Bundesrates zu fordern. Die Diskussion darüber führte in die mühsamen und schließlich ergebnislosen Auseinandersetzungen um eine allgemeine Reichsreform, bei deren Durchführung die erklärten Anhänger des Föderalismus die Möglichkeit sahen, die in der Reichsverfassung vom 11. August 1919 erfolgte Festlegung des Deutschen Reiches als eines dezentralisierten Einheitsstaates rückgängig zu machen. Während zwei Generationen früher die von Bismarck geschaffene föderative Struktur des Deutschen Reiches als pseudoföderativ angesehen wurde, galt sie in den Verhandlungen über eine Reichsreform als ein föderatives Optimum, das zu erreichen nicht nur wünschenswert, sondern existentiell sei. Die darauf gerichteten Bemühungen strebten eine modifizierte Wiederherstellung des Bundesrates anstelle des politisch wirkungslosen Reichsrates und auch eine Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Reich und Ländern an.

Auch in der Finanzverfassung des Deutschen Reiches hatten sich, wie bereits dargelegt, unitarische Tendenzen durchgesetzt, da sich das bei der Reichsgründung geschaffene System der Matrikularbeiträge zur Aufbringung des Finanzbedarfes des Reiches als ungeeignet erwiesen hatte. Da sein Versuch, das System der Matrikularbeiträge durch ein einheitliches Reichssteuersystem zu ersetzen, erfolglos war, begnügte sich Bismarck mit einer Steigerung der Einnahmen des Reiches, sah sich aus wirtschaftspolitischen Gründen jedoch gezwungen, das System der Matrikularbeiträge als ständige Einrichtung der Reichsverfassung anzunehmen. Seine Nachfolger unterstützten die Bemühungen, dem Reich Anteil an den direkten Steuern zu erstreiten, hatten dabei jedoch erst 1906/07 Erfolg. Erst 1913 wurden dem Reich Einnahmen aus direkten Steuern, aus der einmaligen Erhebung eines Wehrbeitrages und aus der laufend erhobenen Besitzsteuer zugebilligt. Die finanziellen Anforderungen des Krieges führten 1916 zur Errichtung von Reichssteuern, vornehmlich von Kriegsabgaben und der Umsatzsteuer, — da jedoch das Reich keine ausreichende Kompetenz besaß, kam es nicht zu einer umfassenden Kriegsgewinnbesteuerung. Die Finanzierung des Ersten Weltkrieges mußte das Reich mit völlig unzulänglichen Mitteln bestreiten, wodurch das Ansteigen der Reichsschuld von 5 Milliarden Mark im Jahre 1914 auf fast 149 Milliarden Mark im Jahre 1918 begünstigt wurde.

Sowohl die Unzuträglichkeiten des zuletzt nicht mehr überschaubaren Finanzausgleichs zwischen dem Reich und den Gliedstaaten als auch die Erkenntnisse und Erfahrungen des Krieges bestimmten die Weimarer Nationalversammlung, im Rahmen der Verfassungsberatungen eine grundlegende Reform der Finanzverfassung vorzunehmen. Durch den Wegfall der Dynastien war die Möglichkeit, als notwendig erwiesene Vereinheitlichungen durchzuführen, entscheidend verbessert. Der Zwang dazu war unbestritten, da die äußeren und inneren Kriegslasten eine Zusammenfassung und Ausschöpfung der Steuerkraft des Deutschen Reiches unerläßlich machten. Diese Situation schuf die Voraussetzung für den Aufbau eines umfassenden Reichssteuersystems, zu dem das Reich auf Grund der ihm in der Reichsverfassung zugesprochenen Finanz-hoheit berechtigt und verpflichtet war. Die Erzbergersche Finanzreiorm führte zur Neuregelung des materiellen Steuerrechts. Einkommen-und Körperschaftssteuer, Erbschaftssteuer und Grunderwerbund Umsatzsteuer wurden Reichssteuern. Bei dem Verbrauch-und Verkehrssteuersystem erhielt das Reich das Übergewicht. Eine Reichsverwaltung wurde zunächst für Zölle und Verbrauchs-steuern eingeführt. Sie wurde durch das Gesetz über die Finanzverwaltung auf alle Reichssteuern ausgedehnt. Zur Begründung wurde erklärt, daß die Höhe der von der deutschen Volkswirtschaft zu tragenden Steuerlast die Notwendigkeit bestärke, die steuerlichen Anforderungen gleichmäßig und gerecht zu verteilen und daß die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht allein durch eine zentrale Gesetzgebung gewährleistet werden könnte, sondern auch eine einheitliche, gebietsmäßigen politischen Einflüssen unzugängliche Fach-verwaltung forderte.

Die entsprechenden Bestimmungen der Reichsverfassung vom 11. August 1919 und die darauf beruhende Erzbergersche Finanz-und Steuerreform schufen ein umfassendes Reichs-finanzsystem das dem Reich eine eindeutige Präponderanz gegenüber den Ländern gab, wodurch es in die Lage versetzt wurde, die Steuereinnahmen seinem jeweiligen Finanzbedarf anzupassen. Die Länder verloren zum größten Teil die Ertragshoheit über die ihnen bisher zur Ausschöpfung überlassenen Steuern; ihnen verblieben neben einigen kleineren Steuern vom Vermögensverkehr im wesentlichen nur die Realsteuern, die sie mit den Gemeinden und Gemeindeverbänden teilen mußten. Diese Einnahmen reichten nicht aus, die Aufgaben der Länder zu finanzieren, — ein Finanzausgleich war abermals veranlaßt. Seine Gestaltung unterschied sich wesentlich vom Charakter des Finanzausgleichs zwischen 1871 und 1918. Damals finanzierten die Gliedstaaten das Reich. Zwischen 1919 und 1933 finanzierte das Reich die Länder, wodurch es unmittelbaren Einfluß auf die Haushaltung der Länder erhielt. Das System der Matriku-larbeiträge der Gliedstaaten wurde abgelöst vom System der Reichsüberweisungen. Das Gesetz vom 23. Juni 1923, das an die Stelle des Landessteuergesetzes vom 30. März 1920 trat, regelte als Finanzausgleichsgesetz die finanziellen Wechselbeziehungen zwischen Reich, Ländern und Gemeinden. Das Reich mußte, wollte es seiner Verantwortung für eine angemessene Finanzausstattung der Länder nachkommen, Sorge dafür tragen, daß jedes einzelne Land aus den ihm zustehenden Einnahmen seinen notwendigen Finanzbedarf decken konnte. Es hatte dabei die unterschiedliche Finanzkraft der einzelnen Länder zu berücksichtigen, obwohl es auf Grund der hohen finanziellen Anforderungen den Ländern nur zur Deckung ihrer unabweisbaren Ausgaben Überweisungen zukommen lassen konnte. Die Aufgabe, jedem Land nicht das Gleiche, sondern das jeweils Benötigte zuzuteilen, machte das politische Problem des Finanzausgleichs aus. Er wurde erschwert bis zum Herbst 1923 durch inflationistischen Währungsverfall und von 1930 an durch die Auswirkungen der deflationistischen Finanzpolitik der Reichsregierung während der Wirtschaftskrise. Die Notwendigkeit, den Finanzausgleich den rasch ändernden Verhältnissen anzupassen, führte zu starken Modifikationen, die eine ruhige und weitsichtige Finanzpolitik nicht ermöglichten. Dieser Umstand veranlaßte Reich und

Länder zu Besprechungen und Verhandlungen mit dem Ziele, den Ländern ausreichende finanzielle Bewegungsfreiheit und Selbstverantwortung zu gewähren. Ansätze dazu waren erst erreicht, als die Wirtschaftskrise jede finanzpolitische Vereinbarung in Frage stellte. Ein besonderes Problem stellte der — horizontale — Finanzausgleich unter den Ländern dar. Auch die Bemühungen um seine Lösung gerieten schließlich in den Strudel der Wirtschaftskrise.

Der Staat von Weimar ging zu Ende, ohne daß eine endgültige Regelung des vertikalen und horizontalen Finanzausgleichs erreicht worden war. Die Anhänger des Einheitsstaates machten für die finanzpolitischen Schwierigkeiten die nach ihrer Meinung übersetzte Verwaltungsstruktur verantwortlich. Sie bezeichneten einen möglichst einheitlich organisierten Einheitsstaat als billiger, wogegen die Anhänger eines föderativ organisierten Staates Bedenken und vor allem Zahlen vorbrachten. In der Diskussion über den „billigeren Einheitsstaat" kam die Unzufriedenheit über die Form des Finanzausgleichs zum Ausdruck.

So kompliziert auch der Finanzausgleich zwischen 1919 und 1933 war, — die Zuweisung der Finanzhoheit an das Reich in der Reichsverfassung vom 11. August 1919 erlaubte dem Reich, ihn sehr schnell und sehr beweglich den jeweiligen finanzwirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. In diesem Umstand sahen die Gegner der Finanzhoheit des Reiches jedoch keine Entschädigung dafür, daß die „Länder Kostgänger des Reiches" waren. Die zum größten Teil unter Ausschluß der Öffentlichkeit darüber geführte Diskussion bediente sich der Bezeichnungen Föderalismus, Unitarismus und Zentralismus und verwies auch auf die zwischen 1871 und 1918 geltende Regelung. Die Parteigänger des Unitarismus stießen sich an den Fragmenten der föderativen Reichs-struktur, die Anhänger des Föderalismus sprachen vom Ende der stammesmäßigen Individualität und der Gefährdung des Reiches. Geschichtliche, politische, wirtschaftliche und finanzielle Vorstellungen und Forderungen durchdrangen sich dabei.

Die Reichsverfassung vom 11. August 1919 war ein Kompromiß, an dem niemand Gefallen fand. Zwar war das Reich vereinheitlicht, — die politischen und administrativen Strukturen der Fürstenstaaten bestanden jedoch fort, das Problem Preußen war nicht gelöst, die Stellung der Länder entscheidend geschwächt, der Finanzausgleich unbefriedigt gelöst. Der „Krieg der Nachkriegszeit", die innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen 1919 und 1923 ließen die Mängel der Reichsstruktur sichtbar in Erscheinung treten. Den Vorstoß des Bayerischen Gesamtstaatsministeriums vom 4. Januar 1924 übe? eine stärkere Berücksichtigung föderativer Elemente beantworteten die Befürworter des Einheitsstaates mit der Forderung, die 1919 verschobenen Entscheidungen nachzuholen. Aus der dadurch entfachten Kontroverse entwickelte sich der vielschichtige Vorgang „Reichsreform", der zwangsläufig zu einer Belebung und Verschärfung der latenten Meinungsverschiedenheit über Föderalismus einerseits und Unitarismus und Zentralismus andererseits führte. Die Anhänger des Föderalismus betrachteten die Stellung des Reichs-rats und die Gestaltung des Finanzausgleichs als Siege eines unbeschränkten Zentralismus. Sie beschworen dagegen den von ihnen vertretenen Föderalismus, von dem sie die Stärkung der Länder gegenüber dem Reich erhofften. Sie bewegten sich damit auf der Linie des Verständnisses des Föderalismus, so wie es bis 1914 entwickelt worden war: Föderalismus, — das war der Anspruch der Gliedstaaten oder Länder gegenüber dem Gesamtstaat oder Reich. Föderalismus, — das war nicht die Gesamtheit einer bundesstaatlichen Ordnung, sondern nur ein Teil, der Charakter der Beziehungen zwischen Gesamtstaat oder Reich und Gliedstaaten oder Ländern.

2. Publizistische und staatsrechtliche Deutungen des Föderalismus .

Die Veränderung der verfassungsrechtlichen Verhältnisse, der Grundtatsachen der Politik, stellte nach 1919 die Beziehungen zwischen dem Reich und den Ländern zur Diskussion und belebte die bereits im Gange befindliche Erörterung über den Föderalismus. Aus der Erwägung der Staatsrechtslehrer wurde eine Streitfrage der Politiker. Aber auch Historiker, Soziologen, Theologen, Philosophen und Publizisten meldeten sich zu Wort. Die bereits während des Krieges eingeleitete Konstantin-Frantz-Renaissance ging weiter.

In einem anonym veröffentlichten Aufsatz polemisierte Wilhelm Hausenstein im Frühjahr 1919 gegen den Begriff „Vereinheitlichung". Er erklärte ein Jahr später seine Darlegungen als ein „Programm des Föderalismus für Deutschland". Hausenstein wandte sich gegen „Vereinheitlichung" und „Verreichlichung". Er verwarf den Gedanken an eine Zentralisation. Er räumte zwar ein, daß die Idee der Zentralisation an sich nicht unmöglich sei, betonte jedoch, daß die Zeit der Zentralisation in Deutschland vorbei sei: „Zentralisation, deren Apparat läuft (aber auch nichts als läuft), bis er endlich in einer irrsinnigen Verwirrung der Transmissionen krepiert, wenn jenes schicksalhafte Detail eintritt, das auch der intensivste Zentralisator nicht berechnen kann. Tritt es aber ein (und es tritt jedesmal ein), dann geht es sofort dem Ganzen ans Leben.

Wir haben genug!" In seinem Aufsatz „Föderalismus" betonte Hausenstein, der Föderalismus, den er meine, sei mehr als ein kasuistisches Programm. Er sagte, der Föderalismus, an den er denke, sei „ein absolutes gesellschaftliches Axiom. Dies Axiom bleibt. Es bleibt gegenüber aller zentralistischen Doktrin und Geschäftigkeit vom deutschen Groß-kapitalismus bis zur höchst mäßig begabten Intransigenz der äußersten Linken, deren Unitarismus so wenig wie der ihres Widerparts begriffen hat, um was es sich für ein menschliches Deutschland handeln muß." Im Anschluß daran setzte er sich mit der dreifachen Kompromittierung des Föderalismus in Bayern auseinander: „Gab es in Bayern aber Föderalismus, so war er durch die stockfleckige Politikasterie eines professionellen bajuwarischen Provinzialismus von vornherein kompromittiert." Hausenstein sah den Föderalismus in Bayern kompromittiert durch eine von allen guten Geistern verlassene Fremdenpolitik, die der Mentalität eines mittelalterlichen Mautwärters Ehre machen würde, durch eine hinterwäldlerische „Selbstschutzbewegung" und alle ihre Nebenzüge und durch seine pangermanistischen und militärischen Hintergründe (womit Hausenstein die explosive politische Lage Bayerns nach dem Kapp-Putsch apostrophierte). Hart aber richtig attackierte Hausen-stein das, was man im bayerischen Milieu 1920 und später Föderalismus nannte: „Es ist der Föderalismus der in Bayern resorbierten preußischen und gesamtdeutschen Restauration. Es ist die Föderation der Legitimisten. Es ist im besten Fall eine Verwandlung des Deutschen Reiches aus einem legitimistischen Großpreußen in ein noch legitimistischeres Großbayern. . .. Föderalismus in Bayern; er ist das Stich-blatt des in Bayern dank einer chancenreichen Zweideutigkeit der Situation gelungenen kap-pistischen Staatsstreichs." Mit unheimlichem Spott sagte Hausenstein zum Abschluß: „Es wäre ein Witz der Weltgeschichte denkbar. Alle Dialektik rächt sich. Wie nun, wenn der bayerische Föderalismus eines Tages all-deutsch wird. Wenn die Spitzwegdemokratie den Stahlhelm überstülpt? Die Linien sind angelegt; die Perspektive ist offen."

In seinen beiden Aufsätzen versuchte Hausenstein, den Föderalismus gegenüber der Bedrängung durch Berlin, wo die Not der Situation benutzt würde, um erstmals „Vereinheitlichung" und „ Verreichlichung" zu predigen und zu praktizieren, und gegen den Mißbrauch in Bayern, wo militärische und politische Landsknechte die bayerischen Vorbehalte gegenüber der Reichsverfassung als willkommene Hinterhangstellung ihres Kampfes gegen den Staat von Weimar benutzten, in Schutz zu nehmen.

Als Staatsrechtslehrer und Politiker unternahm es 1923 Konrad Beyerle, Professor für Rechtsgeschichte an der Universität München und von 1919 bis 1924 Mitglied der Nationalversammlung und des Reichstags, den sachlichen Inhalt und die verfassungsrechtliche Bedeutung des Begriffes „Föderalismus" darzulegen. Er führte dabei aus: „Bundesstaat ist eine staatsrechtliche Denkform für die Erfassung zusammengesetzter Staatsgebilde, deren Teile Staatscharakter tragen. Föderalismus ist die grundsätzliche Einstellung politischer Art, die diese zusammengesetzten Staatsgebilde als solche erhalten, sie vor dem Aufgehen im Einheitsstaat bewahren will. Föderalismus ist aber für uns Deutsche nicht nur eine theoretische Grundrichtung politischer Art, ist vielmehr ein höchst realer Weg der deutschen Verfassungspolitik. Das Problem ist da und wirkt sich alle Tage aus. Die geltende deutsche Staatsverfassung trägt nun einmal bundesstaatlichen Charakter. Bund und Einheitsstaat im Grundsätzlichen sind theoretische Extreme, sind begriffliche Maßstäbe, denen die stets im Flusse befindliche Wirklichkeit nur geschichtlich bedingte Ausgestaltungen gegenüberstellt. Es gibt keine ewige Staatsordnung. Wie wissen heute, daß von den politischen Strebungen des Föderalismus und des Unitarismus ohne Unterlaß die Schwungkraft großer Ideen ausgeht. Beide sind staats-ethische Idealbilder von starker Werbekraft, sind für uns darum jedenfalls viel mehr als bloße Denkbehelfe bei der Darstellung komplizierter Staatswirklichkeit. Föderalismus und Unitarismus ringen um die Seele des Bundes-staates. Bewegt von den lebendigen Kräften der Politik, ist der Bundesstaat ein Mittelding zwischen den Tendenzen des Föderalismus und des Unitarismus. Er ist in jedem Falle ein Gebilde reifer Staatskunst mit dem Ziele, auseinanderstrebende Elemente einem höheren Ganzen, dem Gesamtstaat, der Reichseinheit, unterzuordnen. Daher vereinigt der Bundesstaat Institutionen von föderalistischem Charakter mit solchen, die dem Einheitsstaat entnommen sind."

Als Ergebnis seiner Bemühungen um die Festlegung des Begriffes stellte Beyerle fest: „Der Föderalismus ist das Widerspiel unitaristischer Staatsbetrachtung. Die Geschichte lehrt, wie wandlungs-und anpassungsfähig der Begriff Föderalismus an sich ist; daher das Schillernde in diesem Worte. Seine Formen und Symbole können wechseln, die Lebenskraft der föderalistischen Idee überdauert sie. Die Vereinigung nordamerikanischer Kolonien zur Union hat den Föderalismus zuerst zu prägnantem Ausdruck gebracht und in das neuzeitliche Verfassungsleben eingeführt. Im Deutschen Bund übernahm ihn die deutsche Politik als Leitgedanken zur Lösung der deutschen Verfassungsfrage. Geistvolle Schriftsteller haben Theorien des Föderalismus im Sinne eines politischen Hochzieles ausgebaut. Auch die jüngste Staatsromantik, die in ihrer Wirklichkeitsflucht die Zukunft aus dem Gedankenarsenal der Vergangenheit holen will, hat sich seiner bemächtigt. Sie ist dabei nicht der Gefahr entgangen, sich in Allgemeinheiten zu verlieren. Hat es ja sogar in Süddeutschland nicht an Stimmen gefehlt, die den Föderalismus vom christkatholischen Standpunkt aus als religiöse Forderung schlechthin aufstellten." Diesen Ansichten widersprach der Historiker Wilhelm Mommsen ein Jahr später, 1924, in seinem Aufsatz „Unitarismus und Föderalismus in Deutschland", in dem er die Ansicht vertrat, der Föderalismus sei überholt: „Man kann also sagen, daß das föderalistische Prinzip schon heute nicht mehr eine unerschütterliche Lebenserscheinung des deutschen Volkes ist, zum mindestens nicht in dem Maße, wie das häufig behauptet wird, und daß es jedenfalls eine außerordentlich starke Übertreibung bedeutet, wenn man meint, ein Rühren an dem Föderalismus werde schwere und bedrohliche Gefahren für das nationale Lebensgefühl unseres Volkes hervorrufen. Damit soll nun aber keineswegs gesagt werden, daß der Wille zu stärkerem Unitarismus, der freilich bei seinen Anhängern lebendiger zum Ausdruck kommen müßte, als das vielfach der Fall ist, nun zu irgendwelchen überstürzten Verfassungsmaßnahmen führen soll und muß. Ganz im Gegenteil. Es wurde bereits darauf hingewiesen, wie wenig die Formen und die Bestimmungen der Verfassung hier an den wirklichen realen Tatsachen etwas ändern können. Gewiß ist eine Rückwärtsrevidierung der Reichsverfassung im föderalistischen Sinne zu verwerfen, womit sich ein Abbau überspannter zentralistischer Bürokratie, die mit der Verfassung nichts zu tun hat, natürlich vereinigen ließe."

Im gleichen Jahre meldeten sich die Staatsrechtslehrer zu Wort. Im Mittelpunkt der Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Jena am 14. /15. April 1924 standen zwei Fragestellungen: „Der deutsche Föderalismus" und „Die Diktatur des Reichs-präsidenten". Die beiden Referate über den ersten Beratungsgegenstand hielten Prof. Dr. Gerhard Anschütz (Heidelberg) und Privatdozent Dr. Karl Bilfinger (Stuttgart). -Gerhard Anschütz begann seine Darlegungen zum Thema „Der deutsche 'Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" mit der Feststellung: „Konstruktive Untersuchungen über den Begriff , Föderalismus’ sind nutzlos, wenn man dabei nicht stets zugleich auch den Gegenbegriff, den des Unitarismus im Auge behält. Nur auf der Folie dieses Gegen-begriffes läßt sich der Begriff Föderalismus klarstellen und umgekehrt. Bei stärkster Vereinfachung der beiden Begriffe läßt sich sagen: 1. Beide Begriffe setzen den Oberbegriff des Bundesstaates voraus; 2. Föderalismus und Unitarismus sind Gestaltungsmöglichkeiten, Gestaltungstypen des Bundesstaates." Anschütz begnügte sich im historischen Teil seiner Darlegung mit der Erwähnung des vom Wiener Kongreß geschaffenen Deutschen Bundes, den er als die Verkörperung der extremen Spielart des Föderalismus bezeichnete. Er erbat die Zustimmung seiner Zuhörer für die Ansicht, daß der reine und extreme Föderalismus in einem unüberbrückbaren und unversöhnlichen Gegensatz zum Gedanken der nationalen Einheit steht: „Den reinen Föderalismus wollen, heißt den Staatenbund wollen, und den Staatenbund wollen, heißt die nationale Einheit nicht wollen." Anschütz wandte sich darauf dem kaiserlichen und dem republikanischen Deutschen Reich zu, deren Verfassungsstruktur er nach Elementen des, wie er sagte, „deutschen Föderalismus" untersuchte. Er trat dabei scharf vor allem den Forderungen entgegen, die die,, Wiedereinführung eines dem Reichstag gleichberechtigten föderativen Organs nach dem Vorbild des früheren Bundesrates" begehrten

Karl Bilfinger eröffnete seine Darlegungen zu dem gleichen Thema — „Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" — mit der Bemerkung: „In den geistigen Strömungen des 19. Jahrhunderts erscheint, in dunklen Umrissen etwa seit den Befreiungskriegen sich abzeichnend, der deutsche Föderalismus als eine Gruppe von mehr oder weniger voneinander abweichenden Ideen, Projekten, die deutsche Frage zu lösen auf dem Wege einer . föderativen Staatsverfassung', wie Paul Pfizer 1831 in Tübingen schrieb: Es gereicht dem schwäbischen Dichter zur Ehre, daß er diese Verfassung sich gleich als eine , kraftvolle'gedacht hat'." Anschütz versicherte zwar, die föderalistische Beträchtung sei auch eine historische, begnügte sich jedoch ebenfalls mit der Erörterung der Verfassungsstrukturen des Deutschen Reiches nach den Reichsverfassungen vom 16. April 1871 und 11. August 1919. Er bemerkte dazu, der deutsche Föderalismus trage in sich, wie schon das Wort andeute, das historische Element des hündischen Gedankens, aber nicht im Sinne romantischer oder auch einheitszersetzender Vorstellungen, sondern er wolle diese eben noch nicht ausgelotete hündische Tradition, mit welcher er als einem politischen Faktor rechne, in den Dienst der Einheitsidee stellen. Der aktive Föderalismus diene dem Interessenausgleich der deutschen Staaten unter sich und gegenüber dem Ganzen. Bilfinger erwähnte Alexis de Tocqueville; Konstantin Frantz und Konrad Beyerle, beschäftigte sich jedoch vorwiegend mit den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten des kaiserlichen und republikanischen Deutschen Reiches. Beide Verhältnisse unterzog er einer kritischen Untersuchung, wobei er besonderen Wert auf den ausgleichenden und zeitlich begrenzten Charakter des Föderalismus in Deutschland legte

Diese Deutungsversuche des Föderalismus bilden den Hintergrund für die in zunehmendem Maße die innenpolitische Bühne beherrschenden Auseinandersetzungen zwischen dem Reich und den Ländern, die durch die neue Verfassungsstruktur ausgelöst wurden. Der Bundesrat war untergegangen, — Preußen hatte jedoch im Reich nach wie vor eine bestimmende Stellung. Bayern, das Mühe hatte, zwischen gegensätzlichen Entwicklungen zu sich selbst zu finden, betrachtete die neu geschaffene Reichsstruktur als unzureichend, weil sie den Ländern nicht den ihnen gebührenden Entfaltungsraum gewähre. Die Aversion Bayerns gegen das republikanische Reich bot vielen Gegnern der parlamentarischen Demokratie Unterschlupf. In Bayern selbst entwickelte sich die Vorstellung, die von Bismarck geschaffenen Beziehungen zwischen dem Reich und den Gliedstaaten stelle ein Optimum dar., weshalb ihre Wiederherstellung mit allen Mitteln anzustreben sei. 1870/71 hatten bayerische Politiker und Publizisten im Namen des Föderalismus die von 'Bismarck geschaffene Reichsstruktur verworfen. Nach 1919 sah eine neue Generation bayerischer Politiker und Publizisten in dieser Reichsstruktur das Maximum an föderativer Struktur in Deutschland. Sie übersah dabei, daß die Bismarcksche Reichsverfassung sowohl eine Hegemonialmacht — Preußen —• als auch einen privilegierten Gliedstaat — Bayern — kannte.

Unmittelbar nach der Herbstkrise 1923, am 4. Januar 1924, legte das Bayerische Gesamtstaatsministerium die bereits erwähnte Denkschrift über eine föderalistische Revision der Weimarer Verfassung vor. Karl Schwend räumt ein, daß der Zeitpunkt für die Erarbeitung und die Veröffentlichung dieser Denkschrift ungünstig war, da der Putsch vom 8. /9. November 1923 die politische Szene Münchens schlagartig erhellt hatte. „Was Bayern an politischem Gewicht in den letzten Jahren gewonnen hatte, wurde dadurch zunächst nahezu zunichte gemacht. Die Novemberereignisse bedeuteten für die Sache des Föderalismus auf bayerischem Boden einen schweren Schlag, da sie seine Idee verdunkelten und verzerrten. Der Föderalismus war diskreditiert durch das, was im Land des Föderalismus möglich geworden war. Es rächte sich, daß man es zugelassen hatte, Föderalismus und Nationalismus miteinander zu vermengen." Das Bayerische Gesamtstaatsministerium begnügte sich nicht mit dieser Denkschrift, es überreichte Ende Januar 1926 der Reichsregierung ein zweites Memorandum, in dem es die wichtigsten Klagepunkte der letzten Zeit aufführte Die Wiederbelebung föderalistischer Vorstellungen während des Ersten Weltkrieges und die wachsende Unzufriedenheit mit der durch die Weimarer Verfassung geschaffenen Reichs-struktur begünstigten die Ausbreitung föderativer Auffassungen, die organisatorische Zusammenschlüsse von Anhängern des integralen Föderalismus zur Folge hatten, denen freilich sektiererischer Geruch anhaftete. Eine Vielzahl von Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren warb für das föderative Prinzip, ohne dieses näher zu bestimmen, — ein Umstand, der dazu führte, daß die öffentliche Meinung das Bekenntnis zum Föderalismus mit dem Unbehagen am Reich republikanischer Observanz gleichsetzte. Vor allem tat sich Bayern in der Vertretung föderativer Vorstellungen hervor. Da seine Politik zwischen 1918 und 1923 beständig mit der Reichs-politik kollidierte, erlitt der föderative Gedanke eine weißblaue Einfärbung, die ihm nicht zum Vorteil gereichte. Bayern war nicht in der Lage, die radikalen Kräfte, die sich vornehmlich in München sammelten und zum Sturm gegen die Republik aufriefen, unter Kontrolle zu halten. Seine Argumentation gegen die Reichsverfassung geriet in den Verdacht partikularistischer Bestrebungen, weshalb der von Bayern vertretene Föderalismus als eine Spielart des Partikalarismus angesehen wurde. Innerhalb der bayerischen Föderalisten gab es große Unterschiede, die nicht nur Stammes-und landsmannschaftlich, son256) dem auch ideologisch bedingt waren. Den Vertretern des etatistischen Reichsföderalismus, die eine Wiederherstellung der zwischen 1871 und 1918 bestehenden Reichsstruktur als die optimale Version des Föderalismus in Deutschland bezeichneten, standen die Befürworter eines integralen Föderalismus gegenüber, die den etatistischen Föderalismus, so wie er von Bayern vertreten wurde, als eine föderative Mißgeburt erklärten und vor allem, im Sinne von Konstantin Frantz, eine übereinstimmende, föderative Durchgliederung und Gestaltung des Deutschen Reiches forderten. Die Letztgenannten erhielten Unterstützung von außer-bayerischen Föderalisten, die vor allem im Rheinland, in Hannover und in Sachsen in Erscheinung traten. Begegnungen und Gespräche führten 1924 zur Gründung des „Reichs-und Heimatbundes deutscher Katholiken", der zusammen mit evangelischen Vertretern des Föderalismus die „Reichsarbeitsgemeinschaft deutscher Föderalisten" bildete. Im „Reichsbund deutscher Katholiken" wirkte unter anderem Benedikt Schmittmann

Dem am 4. August 1872 in Düsseldorf geborenen Juristen Schmittmann wurde die Begegnung mit den Vorstellungen von Konstantin Frantz zur Bestimmung. Er versuchte beim staatlichen Wiederaufbau nach 1918 die Ansichten sowohl von Konstantin Frantz als auch der Gründergeneration des Zentrums zu verwirklichen, stieß jedoch in seiner Partei, der Deutschen Zentrumspartei, auf Widerspruch, da sich diese mehr und mehr zu einem dezentralisierten Einheitsstaat bekannte, überzeugt, daß sowohl die geschichtliche Entwicklung als auch die finanzielle Anforderung den Über-gang vom Bundesstaat zum Einheitsstaat verlange. Als Ordinarius der wiederbegründeten Universität Köln beschäftigte sich Schmittmann mit sozialpolitischen Fragestellungen und mit Untersuchungen über das föderative Prinzip.

Er legte besonderen Wert auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufgaben der sogenannten Zwischenglieder zwischen dem einzelnen und dem Staat, befürwortete gegen Hegemonie und Partikularismus eine wirksame, politische Gewaltenteilung durch „gleichberechtigte und möglichst gleichwertige Gliedstaaten" und forderte für die Einigung und den Frieden der Völker die Unterordnung der Staaten und die Überordnung des Völker-rechts. Schmittmanns Föderalismus wird als christlich und darum als personalistisch charakterisiert. Er vertritt den Vorrang des Volkes gegenüber dem Staat und den Vorrang der Völkergemeinschaft vor dem einzelnen Volk.

In Vorträgen, Aufsätzen und Studien legte Schmittmann seine Auffassungen nieder. Er wurde zum Mittelpunkt des rheinischen Föderalismus, der sich bewußt von dem etatistisch orientierten bayerischen Föderalismus absetzte. Um ihn scharten sich Gesinnungsgenossen und Anhänger; so vertraten C. O. von Soden, E. Michel, H. Kunze Versionen des Schmittmannschen Föderalismus. Sie fanden für ihre bisweilen sehr eigenwilligen Ansichten zwar interessierte Zuhörer, jedoch keine einflußreiche Gefolgschaft. Sie galten der Mehrheit als politische Sektierer, die nicht ernst genommen wurden. Die Geringschätzung, die ihnen entgegengebracht wurde, galt verständlicherweise auch ihrer Ansicht vom Föderalismus. Von der Auffassung bestimmt, daß sich ihre Anschauungen als richtig erweisen und deshalb auch durchsetzen würden, begnügten sich die Werber der föderativen Idee mit der Verbreitung ihrer Vorstellungen und mit der Vorbereitung von Gesprächen und Verhandlungen über die Neugestaltung des Reiches. Wegen seiner föderalistischen Gesinnung des Separatismus verdächtigt, verlor Benedikt Schmittmann 1933 seinen Lehrstuhl. Am 1. September 1939 erneut inhaftiert, wurde er am 13. September 1939 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet. Seine föderalistischen Vorstellungen hatten keine Ausstrahlung und Nachwirkung.

3. Die Initiative über die Reichsreform als ein Dialog über die Alternative Unitarismus/Zentralismus oder Föderalismus

Die von Bayern erhobenen Forderungen auf Umgestaltung der Reichsverfassung, die Erfahrungen mit dem durch die Weimarer Verfassung geschaffenen Regierungssystem und die föderalistischen Diskussionen flossen in der Ansicht zusammen, es sollten Gespräche über eine Anpassung der Reichsstruktur an die wirtschaftlichen Bedürfnisse, verwaltungsmäßigen Erkenntnisse und geschichtlichen Gegebenheiten, soweit sie noch lebendig waren, versucht werden. Der bayerische Ministerpräsident Heinrich Held machte im Februar 1925 Reichs-kanzler Hans Luther bei einem Besuch in München den Vorschlag, in Verhandlungen über die das Verhältnis zwischen Reich und Länder berührenden Fragen einzutreten. Diese Diskussion, die vorübergehend einen breiten Raum in der öffentlichen Meinung des Deutschen Reiches einnahm, lief unter dem Stichwort Reichsrelorm Sie führte zwangsläufig zu einer Vitalisierung der Kontroverse über Unitarismus, Zentralismus und Föderalismus. Ihre Aufgabe war, die Probleme zu lösen, die in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung entweder ausgeklammert, weil ihre Erledigung nicht möglich erschien, oder nicht erkannt worden waren. Im einzelnen sprach die Diskussion über eine „Reichsreform" folgende drei Probleme an: 1. die Frage Preußens; 2. die Gestaltung der Reichsgewalt; 3.den Charakter der Beziehungen zwischen Reich und Ländern.

Reichsregierung, Reichstag, Reichsrat, Länder-regierungen, Landtage, Parteien, Wirtschaftsorganisationen und wissenschaftliche Institute meldeten sich in dieser Auseinandersetzung zu Wort, die schließlich für den einzelnen nicht mehr überschaubar war. Unter der dadurch veranlaßten Verwirrung litt zwangsläufig der Begriff Föderalismus, der erneut als Vertretung eines Parteistandpunktes erschien. Der Versuch, an die Stelle der Alternative Zentralismus/Unitarismus oder Föderalismus die Alternative Zentralisation oder Dezentralisation zu setzen, scheiterte, obwohl das letztgenannte Begriffspaar die Problematik der Kontroverse präzis ansprach. Eine Flut von Publikationen, die sich mit den zur Diskussion gestellten Fragen auseinandersetzten, ging über die deutsche Öffentlichkeit hinweg, ohne daß deren Kenntnis über das Problem des Föderalismus dadurch größer wurde. Da Bayern sich als das Land des Föderalismus ausgab und seine Forderungen im Namen des Föderalismus erhob, kam es zu einer Zwangs-identifikation von Bayern und Föderalismus, was dem Verständnis des Föderalismus nicht nützlich war, da die bayerischen Ansichten nicht immer ausdrückten, was sie eigentlich wollten und oft Bayern meinten, wenn sie Föderalismus sagten, — eine Problematik, die in der publizistischen Auseinandersetzung zwischen Karl Schwend einerseits und Benedikt Schmittmann, Johannes Rathje, Hans Kluge und C. A. von Pentz andererseits sichtbar wurde.

Im Januar 1927 veröffentlichte Karl Schwend, politischer und publizistischer Berater des bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held, „Süddeutsche Gedanken über die Weiterentwicklung des deutschen Staates" Seine historischen Erwägungen faßte er in der Feststellung zusammen, daß das Bismarcksche Reich, gemessen an der Größe der Reichs-idee, eine sehr große und sehr bittere Unvollkommenheit war und das republikanische Reich ein Staat der inneren und äußeren Unvollkommenheit und Unausgeglichenheit ist. Die Entscheidung gehe darum, ob das Deutsche Reich Bundesstaat bleiben oder Einheitsstaat werden solle. Ausführlich ging er auf die preußische Frage ein, die er als den Kern der deutschen Frage und des ganzen föderalistischen Problems bezeichnete. Nach Darlegung der drei hauptsächlichen Möglichkeiten ihrer Lösung behandelte er ausführlich die Lage der süddeutschen Staaten, die er weder als hoffnungs-noch als aussichtslos bezeichnete. In diesem Zusammenhang versicherte er: „Das föderalistische Staatsprinzip, dem die Zukunft gehört, ist nicht das Staatsprinzip jener Zeiten, wo die einzelnen deutschen Staaten im Kampf gegen die Reichsidee die volle staatliche Souveränität hatten, sondern das aufbauende föderalistische Staatsprinzip führt zum Reiche hin, will den Reichsgedanken stärken und ihn vor den Gefahren, die in einer zu starken Zentralisierung liegen, bewahren." Seine Haltung zum preußischen Problem faßte er in der Bemerkung zusammen: „Mag die Entwicklung im Norden gehen, wie sie will, die Länder des deutschen Südens wollen und müssen Bundesstaaten bleiben nicht nur um ihres eigenen Lebensgesetzes willen, sondern um des Reiches willen, das unter keinen Umständen seinen bundesstaatlichen Charakter verlieren darf, so unvollkommen auch dieser deutsche Bundesstaat in seiner kleindeutsch-großpreußischen Beschränkung auch sein mag."

Die in München erscheinende „Allgemeine Rundschau" nahm die von Schwend zum Ausdruck gebrachte Indifferenz gegenüber dem preußischen Problem zum Anlaß, Stellungnahmen engagierter Föderalisten zu veröffentlichen

Benedikt Schmittmann bedauerte, daß Schwend „den zutreffenden Grundsatz von der Notwendigkeit eines gegliederten lebensstarken Unterbaues nur auf Süddeutschland anwendet", indem er zu bedenken gab: „Wenn das Reich wirklich organischer Glieder bedarf, um zu voller Kraft emporzuwachsen, dann müssen wir folgegerecht für das ganze Reich eine solche Untergliederung verlangen." Er verwies auf die Gefahr, daß „im Wege parteipolitischer Kompromisse der versteinerte Föderalismus'des Bismarck-Reiches eine weitere Verewigung erfährt: Preußen und Bayern konservieren sich gegenseitig; mit allem, was dazwischen liegt, werden sie schon fertig. Daraus kann aber kein Reich erwachsen, dem ein organisch gegliederter, lebensstarker Unterbau Kraft zuströmt". Schmittmann sprach anschließend die Situation des Rheinlandes an: „Die im Reichs-und Heimatbund deutscher Katholiken zusammengeschlossenen Föderalisten verlangen deshalb, gestützt auf Artikel 18 der Reichsverfassung, daß das Rheinland aus der Vormundschaft Preußens entlassen wird, daß ihm Autonomie und Selbstverwaltung gleich der der süddeutschen Staaten zugebilligt werden." Das Problem Preußen verstand Schmittmann als das größte Hindernis einer föderativen Durchgestaltung des Deutschen Reiches, weshalb er die bayerische Unterstützung einer Stärkung Preußens bedauerte: „Wenn diese innere Kräfteverlagerung nach Berlin durch eine Aufgliederung Preußens behoben ist, werden Einheitsstaatler und Bundesstaatler, Zentralisten und Föderalisten, Unitaristen und Partikularisten merken, daß sie alle in ihrer Art, wenn auch zum Teil unbewußt, nur ankämpften gegen das eine Problem Preußen, das mit seiner tatsächlichen Übermacht ständig jede innere Harmonie bedroht und den natürlichen Kräfteausgleich verhindert." Johannes Rathje beklagte als Sprecher der niedersächsischen Föderalisten die Ausführungen Schwends, die er als Expektorationen eines Bündnisses zwischen preußischem und bayerischem Partikularismus in der deutschen Reichs-politik verstand: „Der Artikel Karl Schwends mit seiner geschichtlichen Kapitulation vor dem Staate Preußen mutet uns gerade heute um so seltsamer an, weil weit über die engeren Kreise des deutschen Föderalismus hinaus die Überwindung eben dieses Preußens als die Voraussetzung jeder politischen und wirtschaftlichen Gesundung Deutschlands angesehen wird. Man soll hier auch nicht seine Augen vor großen Wandlungen im Lager des soge-nannten Unitarismus verschließen. Unitarismus ist nicht gleichbedeutend mit Zentralismus." Rathje bedauerte, daß die Gesinnungsfreunde von Karl Schwend es ablehnten, aus „ihrer bayerischen Isolierung herauszutreten" und in Theorie und Praxis sich mit den anderen deut-sehen Föderalisten zusammenzufinden. Wenn eine Verständigung der Föderalisten in Deutschland erreicht würde, gäbe es keine Meinungsverschiedenheiten mehr über die Ansicht, daß der Staat Preußen, so wie er besteht, verschwinden muß. Für die Föderalisten in Sachsen brachte Plans Kluge die Genugtuung über die scharfe Zurechtweisung zum Ausdruck, die Karl Schwend denen erteilte, „die die föderalistische Bewegung mit dem Odium der Reichsfeindschaft belasten möchten". Er erinnerte daran, daß auch nach Ansichten der Demokraten die Weimarer Verfassung auf labiler Grundlage ruhe, weshalb er eine Stärkung des Bundesstaatsgedankens begrüßte. Auch er bezweifelte die Richtigkeit der Absicht, die geforderte Reform insofern zu teilen, daß zwar die politischen Verhältnisse in Nord-und Mitteldeutschland verändert werden, die politischen Gegebenheiten in Süddeutschland aber unverändert bleiben sollten. Eine solche Entwicklung führe zum Sieg des Unitarismus in Nord-und Mitteldeutschland, der den Untergang des bundesstaatlichen Systems für das ganze Reich bedinge. Kluge zitierte Heinrich Triepel: „Die bundesstaatliche Periode des modernen Großstaates ist noch nicht vorüber" und versicherte, „nur als Bundesstaat sei das angestrebte Großdeutschland vorstellbar." Er machte mit dieser Bemerkung auf die Tatsache aufmerksam, daß die mejsten Anhänger eines integralen Föderalismus forderten, die auf dem Schlachtfeld von Königgrätz (3. Juli 1866) vollzogene Teilung Deutschlands in den österreichischen und den außerösterreichischen Teil rückgängig zu machen, da sie in Österreich nicht nur einen unerläßlichen Bestandteil des größeren Deutschlands, sondern auch ein Gegengewicht für die bundesstaatliche Hegemonialmacht Preußen sahen.

C. A. von Pentz skizzierte in seiner Zuschrift den Stand der föderalistischen Bewegung in Mecklenburg, wobei er bemerkte, eine eigentliche föderalistische Bewegung von nennenswerter Bedeutung gebe es nicht. Existent seien partikularistische Gedankengänge, die jedoch der Ausbreitung des echten Föderalismus hindernd im Wege stünden. Er begeisterte sich für das „leuchtende Ideal der alten deutschen Reichsidee, die der großpreußischen Idee widerstrebe". Im übrigen bekannte er sich zu der Auffassung von Karl Schwend: „Wir wollen ein starkes Reich, wir wollen ein Reich mit wirklicher Reichsgewalt", wobei er bemerkte, daß die Föderalisten in Norddeutschland sich für die Reichsidee entschieden hätten. Weil auch sie eine föderative Gesamtgliederung als unerläßlich ansähen, würden sie die Ansichten Schwends über eine unterschiedliche Behandlung von Nord-und Mitteldeutschland einerseits und Süddeutschland andererseits entschieden zurückweisen.

Einige Wochen später äußerte sich Karl Schwend in der Zeitschrift „Der deutsche Süden" zu den zu seinem Aufsatz abgegebenen Stellungnahmen Er zeigte sich nicht überrascht, daß der Schmittmannsche Kreis, der den „Reichsund Heimatbund deutscher Katholiken" und die „Reichsarbeitsgemeinschaft der Föderalisten" bestimme, einem süddeutschen Föderalisten skeptische Ansichten über eine Zerschlagung des preußischen Staates verarge. Er betonte, es sei ihm nicht um die konsequente Entwicklung der föderalistischen Ideologie gegangen, sondern um die Beantwortung der für die süddeutschen Länder so brennenden Gegenwartsfrage, „ob sie angesichts jener offenkundigen großpreußischen Entwicklungstendenzen im Norden, die ohne Zweifel einer wahrhaft föderalistischen Gliederung des deutschen Staates abträgig sind, an ihrer weiteren Existenz als Gliedstaaten mit bundesstaatli-chen Selbständigkeiten, verzweifeln müssen". Schwend beschäftigte sich mit jeder einzelnen Zuschrift, wobei er Bedenken über die politische Überzeugungs-und Durchschlagskraft der organisierten Föderalisten anmeldete. Seine Zweifel an eine Aufteilung Preußens in einzelne Bundesstaaten rechtfertigte er mit dem Hinweis auf starke Kräfte, die die Erhaltung Preußens forderten. In dieser Situation sah er den Grund für die Verteidigung der Existenz der süddeutschen Staaten, wobei er aufschlußreiche Bemerkungen über die Interdependenz zwischen Partikularismus und Föderalismus in der verfassungsrechtlichen Entwicklung des Deutschen Reiches machte: „Diejenigen Föderalisten, die uns in Bayern so gerne partikularistische Befangenheit nachsagen, mögen nie ganz vergessen, daß es die partikularen Kräfte waren, die den deutschen Bundesstaat geschaffen haben. Ein Föderalismus, der aus Scheu vor einem in Mißkredit geratenen Begriff dieses partikularistische Element des Reichs völlig negieren zu müssen glaubt, läuft Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren und einem akademischen und literarischen Föderalismus zuliebe schließlich doch Wegbereiter eines unitarischen deutschen Staates zu werden."

Diskussionen dieser Art machten das Dilemma des Verständnisses des Föderalismus transparent. Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse und der psychologischen Einstellungen sprach sich Bayern für einen pragmatischen Föderalismus aus, dabei von der Absicht geleitet, einer Unifizierung, die gleichbedeutend war mit einer endgültigen Provinzialisierung, zu entgehen und durch die 1918/19 unterbliebene territorial-politische Bereinigung in Nord-und Mitteldeutschland Preußen in einer Weise zu vergrößern, daß politische und administrative Notwendigkeiten seine Föderalisierung erzwangen. Die Anhänger des integralen Föderalismus lehnten solche Erwägungen als nicht unbedenkliche Spekulationen ab und forderten eine konsequente Föderalisierung des Deutschen Reiches.

Im Herbst 1927 hielt die Reichsregierung des Reichskanzlers Wilhelm Marx die Diskussion über eine Reichsreform für so weit gediehen, daß ihr ihre Transferierung in Beratungen und Verhandlungen angezeigt erschien, weshalb sie zu der „Länderkonferenz" vom 16. bis 18. Februar 1928 in Berlin einlud: „Ihre erste Tagung fand in dem berühmten Kongreßsaal der Reichskanzlei statt, wo genau 50 Jahre vorher Bismarck als der . ehrliche Makler Europas'dem Berliner Kongreß von 1878 vor-gesessen und wo etwas über 9 Jahre zuvor Friedrich Ebert als Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten in der sogenannten Reichs-konferenz die Reichseinheit gerettet hatte" Reichskanzler Wilhelm Marx übernahm selbst den Vorsitz der Beratungen, die die Möglichkeiten einer Reform der Reichs-struktur prüfen sollten. Die. Konferenz war zunächst eine Demonstration der Auffassungen der Reichsregierungen und der Länderregierungen; sie endete mit der Einsetzung eines Verfassungsausschusses, dem vorbereitende Aufgaben übertragen wurden. Indem die Reichsregierung sich an der Diskussion beteiligte, erhielt diese einen offiziellen Charakter, was für zahlreiche Politiker, Professoren und Publizisten Grund war, ihre Vorstellungen sowohl über die Reichsreform als auch über den Dualismus zwischen Unitarismus/Zentralis-mus und Föderalismus darzulegen. Im Mittelpunkt stand die Bewältigung des Problems Preußen. Sein Finanzminister Adolf Höpker-Aschoff griff in seiner Schrift „Deutscher Einheitsstaat/Ein Beitrag zur Rationalisierung der Verwaltung" auf Überlegungen zurück, die bereits in der Frankfurter Paulskirche angestellt worden waren, nämlich Preußen als unmittelbares Reichsland mit dem Reichsganzen zu verschmelzen.

Der von dem ehemaligen Reichskanzler Hans Luther gegründete und geführte „Bund zur Erneuerung des Reiches" legte ein umfassendes Programm „Reich und Länder" vor, das sich vor allem mit dem Verhältnis Preußens zum Reich beschäftigte. Es empfahl, wie Arnold Brecht in seinen Lebenserinnerungen bemerkt, „daß Preußen zu einem , Reichsland'gemacht, d. h. als Bundesstaat beseitigt und unter einem Titel, der von der Regierung des Reichs über Elsaß-Lothringen her in höchst peinlichem Ansehen stand, als Reichsland vom Reich direkt regiert werden sollte. Daß Preußen als Gesamtstaat beseitigt und seine Zentralverwaltung mit der des Reichs vereinigt wurde, entsprach meinen im Mai und Juni vorher vorgelegten Denkschriften". Der an der Erarbeitung der Weimarer Verfassung beteiligte Staatsrechtslehrer Willibald Apelt hatte vorgeschlagen, über „ein verlängertes Preußen" zu einem Einheitsstaat zu kommen; er wünschte, die mit der Gründung des Norddeutschen Bundes unterbrochene Entwicklung des Aufgehens mittlerer und kleinerer nord-und mitteldeutscher Staaten in Preußen fortzusetzen, so daß ein einheitliches Wirtschaftsund Verwaltungsgebiet entstehe, das schließlich die widerstrebenden süddeutschen Staaten erfasse und an sich ziehe. Indem sich Preußen ausbreitete, sollte es zur Übereinstimmung mit dem Deutschen Reich gebracht werden. Die dadurch bedingten Gliederungsprobleme sollten erst in einer zweiten Phase gelöst werden

Apelt wünschte eine Zwangsidentifizierung zwischen Preußen und dem Deutschen Reich in der Absicht, auf diesem Wege zu einer unitarischen Reichsstruktur zu gelangen. Er stieß mit seinen Forderungen auf den Widerstand der süddeutschen Staaten, die jedoch, wie bereits bei den Versailler Verhandlungen im Herbst 1870, keine Einheitsfront bildeten. Zwar stimmten sie in der Forderung ihrer Erhaltung überein, hatten jedoch über die zu verändernde Reichsstruktur unterschiedliche Auffassungen. In Bayern setzte sich die Überzeugung durch, die Rückentwicklung des republikanischen Deutschen Reiches zum hegemonialen Bundesstaat Bismarckscher Provenienz, die in den Denkschriften der bayerischen Staatsregierung gefordert worden war, sei die beste Lösung einer Reichsreform Bayern fand für diese Ansicht weder Beifall noch Parteigänger.

Die Diskussion über eine Reichsreform litt vor allem daran, daß es ihr nicht gelang, die Parteien als Reichsparteien zu interessieren. Die im Reichstag vertretenen Parteien überließen die Auseinandersetzungen zunächst der Reichsregierung und den Länderregierungen, die befürchteten, die weitere Entwicklung werde über sie hinweggehen. Der Reichstag verstand sich in der Mehrheit als Vertretung des Gesamtvolkes, weshalb er keine Veranlassung sah, dem Problem der Reichsreform, soweit es die Zukunft der Länder betraf, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Weder den Länderföderalisten noch den Anhängern eines integralen Föderalismus gelang es, die Fraktionen des Reichtstages von der Effektivität des Föderalismus zu überzeugen. Das entscheidende Problem der Auseinandersetzungen über eine Reichsreform am Vorabend der Staatskrise der Republik von Weimar war die Präponderanz Preußens im Deutschen Reich. Der im Winter 1918/19 unternommene Versuch, Preußen in selbständige Bundesländer oder Reichsprovinzen aufzuteilen, war bekanntlich gescheitert. Auch zehn Jahre später bestand geringe Aussicht, die überragende Stellung Preußens durch seine Aufteilung zu verringern. Die Repräsentanten des republikanischen Preußens waren nicht bereit, einem Aufgehen Preußens im Deutschen Reich oder einer Aufteilung Preußens in selbständige Länder oder Reichsprovinzen zuzustimmen und damit die Voraussetzungen für eine bundesstaatliche Neuordnung Deutschlands zu schaffen. Preußen erstanden sozialdemokratische und katholische Verteidiger, die im Verlauf der Diskussion zu erkennen gaben, daß sie sich einem Aufgehen und einer Aufteilung Preußens versagen würden. Die Verhandlungen und Beratungen der Länderkonferenz und der von dieser eingesetzten Ausschüsse erbrachten eine außerordentlich wertvolle Darstellung der geschichtlichen Entwicklung und der augenblicklichen Situation des Deutschen Reiches, — jedoch keine Ergebnisse.

Der von der Länderkonferenz eingesetzte Verfassungsausschuß, gebildet aus je zehn vom Reich und zehn von den Ländern bestellten Sachverständigen, trat am 4. Mai 1928 zu seiner ersten konstituierenden Sitzung zusammen, bei der auf Antrag von Prof. Gerhard Anschütz beschlossen wurde, zunächst Material über die Beschwerdepunkte und andere Beratungsunterlagen anzufordern. Die daraufhin erstellten Studien und Denkschriften reflektieren nicht nur die Wünsche und Vorstellungen über die Verbesserung der Reichsstruktur, sondern auch die divergierenden Ansichten über die Anwendung föderativer Vorstellungen. 25 Denkschriften lagen vor, als der Verfassungsausschuß am 22. Oktober 1928 zu seiner zweiten Sitzung zusammentrat. Er beschloß die Einsetzung von zwei Unterausschüssen, von denen sich der eine mit Fragen der territorialen Umgestaltung, der andere mit dem Problem der Abgrenzung der Zuständigkeiten von Reich und Ländern befassen sollte. Die Unterausschüsse benannten ihrerseits zwei Gruppen von Berichterstattern, die eine für Organisation, die andere für Zuständigkeit.

Der Vertreter Preußens im Verfassungsausschuß, Ministerialdirektor Arnold Brecht, war der einzige Sachverständige für beide Themenkreise, wodurch er eine Schlüsselstellung erhielt, die ihm erlaubte, bestimmenden Einfluß auf den Fortgang der Beratungen zu nehmen. Er erstattete im Auftrag der Unterausschüsse der dritten Vollsitzung des Verfassungsausschusses am 21. Juni 1930 das Gesamtreferat, in dem er eine Übersicht sowohl über das Organisations-als auch über das Kompetenzproblem gab. Die von ihm unterbreiteten Vorschläge zielten auf eine restlose Beseitigung des Dualismus zwischen Reich und Preußen sowohl in der inneren wie in der mittleren Instanz. Umstritten waren die Beziehungen zu den vier anderen großen Ländern Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden. Die Schlußabstimmung ergab die Annahme der Gesamtvorschläge mit der großen Mehrheit von 15 gegen nur 3 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen. Gegen die Vorschläge stimmten der bayerische Ministerpräsident Held, der Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin, Eschenburg (DNVP), und Reichspostminister Schätzel, wie Held Mitglied der Bayerischen Volkspartei. Der Stimme enthielten sich Thüringen und Hessen. Seine abweichende Haltung begründete Heinrich Held ausführlich. Er betonte dabei: „Die sämtlichen Ländervertreter haben sich auf der Länderkonferenz zur Notwendigkeit einer starken Reichsgewalt bekannt. Eine starke Gewalt des Reiches ist ohne Opfer an der Staatshoheit der Länder nicht denkbar; die Macht der Zentralgewalt im Bundesstaat geht auf Kosten der im Bundesstaat vereinigten Gliedstaaten." Held gab auch zu bedenken: „Der Bundesstaat ist eine andere, aber keine unvollkommenere Staatsform als der Einheitsstaat."

Eine Entschließung des Reichstags vom 24. Juni 1930 forderte die Reichsregierung zur Vorlage eines „Gesetzentwurfes über eine umfassende Reichsreform, insbesondere mit dem Ziel der Beseitigung des Dualismus zwischen Reich und Preußen in einer zweckmäßigen Begrenzung der Zuständigkeit zwischen Reich und Ländern" auf. Der daraufhin unter Bezugnahme auf die Beratungen und Ergebnisse des Verfassungsausschusses der Länderkonferenz erstellte Gesetzentwurf des Reichsministers des Innern lag im Sommer 1931 zur Beratung im Reichskabinett und zur Weiterleitung an die gesetzgebenden Körperschaften vor. Inzwischen befand sich durch die katastrophale Verschärfung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse das Deutsche Reich in einer tödlichen Staatskrise, die das Interesse der öffentlichen Meinung von der Reichsreform ablenkte. Die Divergenzen zwischen dem Präsidialkabinett des Reichskanzlers von Papen und dem preußischen Staatsministerium des Ministerpräsidenten Braun suchte von Papen einseitig für die Reichsregierung zu entscheiden, indem er am 20. Juli 1932 aus politischen Gründen und Zielsetzungen, gestützt auf Artikel 48 der Reichsverfassung, den „Preußenschlag" führte: Auf Antrag der Reichsregierung bestellte Reichspräsident von Hindenburg unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers von Papen diesen zum Reichskommissar für das Land Preußen, der aufgrund der ihm erteilten Vollmacht alle preußischen Minister aus ihren Ämtern entfernte, womit er den größten Verfassungsstreit in der Geschichte des Deutschen Reiches auslöste. Nach Ansicht von Arnold Brecht durchkreuzte Reichskanzler von Papen damit alle Vorarbeiten für eine verfassungsmäßige, das heißt nicht gewaltsame Reichsreform. Die sich daraufhin bildende Front gegen die Reichsregierung besann sich erneut der Möglichkeiten des Föderalismus. Durch die Entsendung von Beauftragten versuchte Franz von Papen die süddeutschen Regierungen zu beruhigen, hatte dabei jedoch keinen Erfolg. Vor allem in Bayern wurde sein Vorgehen gegen Preußen als eine Maßnahme verstanden, die dem Nationalsozialismus den Weg zu ebnen in der Lage sei. Diese Überzeugung veranlaßte den Leiter des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, Staatsrat Fritz Schäffer, im September 1932 die Notwendigkeit einer Verfassungsreform nachdrücklich zu fordern, indem er zu bedenken gab: „Von allen gesetzgebenden Faktoren steht in seiner Autorität unberührt nurmehr der deutsche Reichsrat, die Vertretung der deutschen Länder, da. Die deutschen Länder könnten und müßten heute beweisen, daß sie Grundpfeiler des Deutschen Reiches sind. Es wäre eine große geschichtliche Tat, wenn die deutschen Länder dem deutschen Volke einen Gesetzgebungsvorschlag, der den Weg einer vernünftigen Verfassungsreform zeigt, unterbreiten würden. In einträchtigem Zusammengehen könnten die deutschen Länder einer Verfassungsreform den Weg bereiten, durch welche die gesetzgebenden Körperschaften wieder gesund und arbeitsfähig gemacht werden, die Volksvertretung erhalten, eine starke Führung im Staat ermöglicht, die Grundlagen des Reiches erneuert, der Frieden zwischen Reich und Länder hergestellt, dem Reiche gegeben, was das Reich braucht, der unselige Bürozentralismus in Berlin beendet wird und den Ländern die Zuständigkeiten in klaren Grenzen wieder zurückgegeben werden, die ihnen die Weimarer Verfassung unglücklicherweise genommen hat. In dieser Stunde sollte Deutschland begreifen, warum wir hier in Bayern immer für unser Heimatland und für den bundesstaatlichen Aufbau Deutschlands gekämpft haben."

Diese Worte gingen unter in der von der anhaltenden wirtschaftlichen Krise beherrschten Agonie des Staates von Weimar. Der Lärm bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen vornehmlich der radikalen Parteien übertönte die staatsrechtlichen Überlegungen und Empfehlungen, die die gefährdete Sache der Verfassungsreform zu retten sich bemühten. Darüber kam es zu einer Konfrontation zwischen den föderativen Kräften und den Emotionen nationalsozialistischer Massensuggestion, zu einer Situation, von der Karl Schwend sagte: „Die Sache des Föderalismus war zugleich zur Sache des Antinationalsozialismus und der Gegenwehr gegen die heraufziehende Diktatur geworden."

Da die preußischen Minister die Maßnahme vom 20. Juli 1932 für rechtlich unzulässig hielten, riefen sie den Staatsgerichtshof an. Ihnen schlossen sich die Fraktionen der Sozialdemokratie und des Zentrums des preußischen Landtags und die Regierungen von Baden und Bayern an. Die mündlichen Verhandlungen vom 10. bis zum 14. und vom 17. Oktober 1932 gaben vor allem den Vertretern der Länder die Möglichkeit, sich zu der Problematik der Beziehungen zwischen Reich und Ländern ausführlich zu äußern. Der Vertreter Bayerns, Staatsrat von Jan, setzte sich ausführlich mit dem bundesstaatlichen Charakter des Deutschen Reiches auseinander, wobei er die geschichtliche Entwicklung eingehend beschrieb. Im Rahmen Seines Prozeßvortrages brachte er die bayerische Auffassung zum Ausdruck, die nach dem Zweiten Weltkrieg die bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD) und Hans Ehard (CSU) häufig wiederholten: „Die Länder sind älter, sie sind das Primäre, sie sind die Urzellen, aus denen das Deutsche Reich schließlich entstanden ist. In den Jahren 1866 und 1870 haben die deutschen Länder durch Vertrag einen ewigen Bund geschlossen, indem sie sich zusammengefunden haben, um auf dem Gebiete des Deutschen Reiches schied-270) lich-friedlich miteinander zu wohnen, zu leben und nach außen stark zu sein. Diese Betrachtung ist für uns auch maßgebend nach dem Jahre 1919. Das ist eine Auffassung, wie sie vielleicht von den zahlreichen hier anwesenden Herren von der Staatsrechtswissenschaft, von Universitätsprofessoren, bestritten wird. Ich bin mir dessen wohl bewußt, allein es ist für uns eine politische Unmöglichkeit, von einem anderen Standpunkt auszugehen als von dem vorgetragenen Standpunkt, von dem Standpunkt, daß die Länder gewisse Befugnisse freiwillig zu Gunsten des Reiches aufgegeben haben und daß man auf dieser Basis weiter arbeiten muß auch nach der Reichsverfassung von 1919."

Im Anschluß an diese, die bayerische Auffassung von der Entstehung und dem Charakter der Souveränität des Deutschen Reiches artikulierenden Darlegungen traf Staatsrat von Jan eine von Bayern nach 1919 und nach 1945 vertretene Überzeugung: „Die Länder sind also Staaten, sie sind selbständige Staaten, sie haben eigene Staatsgewalt, sie haben keine abgeleitete Staatsgewalt, sondern primäre Staatsgewalt, die Staatsgewalt ist nur entsprechend dem Charakter des Bundesstaates eine geteilte. Sie ist geteilt in die Reichtsstaatsgewalt und in die Landesstaatsgewalt. Wir haben ein Nebeneinander von Reichsgewalt und Landesstaatsgewalt. Die Länder haben nun ein wesentliches Interesse daran, daß dies Nebeneinander der beiden Staatsgewalten schiedlichfriedlich vor sich geht, daß vor allem ihre Rechte, die sie primär gehabt haben und auf die sie dann freiwillig verzichtet haben, ihnen unverbrüchlich bleiben und daß ihnen nicht mehr davon entzogen wird, als früher nach dem Vertrag, den sie geschlossen haben und jetzt nach der Reichsverfassung, in die sie sich begeben haben, ihnen entzogen werden kann."

Bei der Bestimmung des von ihm gebrauchten Begriffes Landesstaatsgewalt bemerkte Staatsrat von Jan: „Die Landesstaatsgewalt äußert sich im Bundesstaat in zwei Formen. Einmal in dem Selbstbestimmungsrecht der Länder auf eigenem Gebiet und sodann in dem Mitbestimmungsrecht der Länder an der Reichsgewalt, das ihnen als Entschädigung für den freiwilligen Verzicht auf einen Teil ihrer Staatsgewalt durch die Reichsverfassung garantiert ist." Das Mitbestimmungsrecht der Länder sah der Vertreter Bayerns im Reichsrat verkörpert; denn der Reichsrat sei die Vertretung der Länder. Diese könne nicht durch Reichskommissare wahrgenommen werden. Wird ein Land von der Exekution oder von der Diktatur betroffen, müßten die Sitze leer bleiben, die das Land im Reichsrat inne hatte

Der Staatsgerichtshof verkündete am 25. Oktober 1932 seine Entscheidung, die die Verordnung vom 20. Juli 1932 mit der Verfassung teilweise für vereinbar, teilweise für unvereinbar erklärte. Die Entscheidungsgründe stellten fest, daß Artikel 48 Absatz 1 der Reichsverfassung nicht anwendbar, eine Reichsexekution gegen Preußen unzulässig, daß die Amtsenthebung der preußischen Staatsminister nicht rechtens und ihre Verdrängung aus dem Reichsrat unzulässig war. Zu dem letztgenannten Punkt bemerkten die Entscheidungsgründe: „Die Einrichtungen des Reichsrats zielen nach seiner Zusammensetzung und seinen Aufgaben darauf ab, eine Gewähr dafür zu schaffen, daß die besonderen Belange der einzelnen Länder neben denen des Reichs gebührend berücksichtigt werden. Das soll dadurdh erreicht werden, daß dort die Stimmen durch die von der Reichsgewalt unabhängigen Landesregierungen geführt werden. Reichskommissare sind Organe des Reichs und von der Reichsgewalt abhängig. Sie können daher das Land nicht im Reichsrat vertreten. Hiernach geht es nicht an, einen Reichskommissar auch nur vorübergehend als Landesregierung einzusetzen und die verfassungsmäßig bestellten Minister ihrer Ämter zu entheben."

Ungeachtet dieser Auseinandersetzungen unterbreitete Preußen dem Nachfolger von Papens im Amte des Reichskanzlers, Kurt von Schleicher, einen Gesetzentwurf über die Reichsreform Zu seiner Erörterung hatte Reichskanzler von Schleicher jedoch keine Zeit. Da er das Vertrauen des Reichspräsidenten von Hindenburg nicht mehr besaß, mußte er um seine Entlassung einkommen. Sein Nachfolger, Adolf Hitler, löste die Reichsreform auf seine Weise, indem er nicht nur einen Einheitsstaat, sondern auch einen perfekten Zentralstaat totalitärer Observanz schuf.

Die innenpolitische Introvertiertheit zwischen 1930 und 1933 ist Grund dafür, daß die bisher umfassendste Darstellung über den Föderalismus in Deutschland so gut wie unbeachtet blieb. Sobei Mogi veröffentlichte 1931 in London eine zweibändige Untersuchung „The Pro-blem of Federalism" Er schilderte auf 1144 Seiten die Form des griechischen Bundesstaates, beschrieb ausführlich Entwicklung und Entfaltung föderativer Vorstellungen in den Vereinigten Staaten von Amerika, würdigte die Entfaltung föderativer Ideen in Großbritannien und beschäftigte sich danach mit der Geschichte der föderativen Ansichten in Deutschland, der er den weitaus größten Teil seiner Untersuchung, 818 Seiten, widmet. Vor allem bemühte er sich, die staatsrechtlichen Auseinandersetzungen über den Föderalismus seit 1871 eingehend zu beschreiben.

Die ideologischen Erörterungen über den Föderalismus und die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen über seine Verstärkung in der Struktur des republikanischen Deutschen Reiches waren ergebnislos. Sie scheiterten an dem Problem, vor dem Hugo Preuss im Winter 1918/19 kapituliert hatte, — an der Präponderanz Preußens.

Die Beseitigung der Dynastie der Hohenzollern war nicht gleichbedeutend mit der Beseitigung des preußischen Übergewichts. Zwar wurde eine Reichseinheit vom Staatsvolk her postuliert und deklariert, — diese war jedoch nicht in der Lage, wenigstens eine gewisse Harmonisierung der Größe der Länder zu erreichen, was, wie dargelegt, dazu führte, daß sich die süddeutschen Staaten hinter der erneut sichtbar gemachten Mainlinie verteidigten und ihr Desinteresse an der verfassungsrechtlichen Gestaltung des nördlich der Mainlinie gelegenen Teiles des Reiches bekundeten. Zeitgenossen dieser Auseinandersetzungen bezeichneten die schwache Position der bundesstaatlichen Ordnung im Staat von Weimar als einen den Durchbruch der NSDAP zur Macht begünstigenden Faktor. Der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard vertrat in seinem im Januar 1961 veröffentlichten Aufsatz „Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern und der Bundesrat" die Ansicht: „Der Nationalsozialismus hätte es wohl schwerer gehabt, die Macht an sich zu reißen, wenn die Stellung der Länder eine stärkere gewesen wäre und die Länder nicht schon von 1918 bis 1933 zu ausgehöhlten . Kostgängern des Reiches'abgesunken wären." Ehard steht mit dieser nicht ohne weiteres hingenommenen Auffassung nicht allein. Arnold Brecht bezeichnet die Verschiebung der Einbringung des Gesetzentwurfes über die Reichsreform, bis es zu spät war — „bis Papens Gewaltstreich die Hoffnung auf eine friedliche Lösung durchkreuzte und dann mit Hitlers Hilfe endgültig vernichtete" —, als „tödliches Verhängnis für Deutschland", „denn an dem ungelösten Dualismus Reich-Preußen zerbrach die Weimarer Republik. Papens Gewaltakt führte zur Auflösung der verfassungsmäßigen Ordnung, zum unheilbaren Bruch mit den verbitterten Sozialdemokraten und zur Machtübernahme Hitlers" Beiden Urteilen ist die Überzeugung gemeinsam, daß das Fehlen eines Macht verteilenden und damit Macht hemmenden Prinzips, als welches sie den Föderalismus verstehen, den Durchbruch der politischen Kräfte begünstigte, die Unität mit Uniformität verwechselten, weshalb sie nicht zögerten, die vorhandenen und neu entstandenen Mißverständnisse über den Föderalismus zu benutzen, um diesen als Partikularismus und Separatismus zu diffamieren.

Ein abschließender Teil IV folgt. Berichtigung:

Im Beitrag von Günter Bartsch „Revolution und Gegenrevolution in Osteuropa" (III), veröffentlicht in B 37 vom 13. 9. 1969, sind leider auf den Seiten 30— 33 einige russische Personen-und Ortsnamen unrichtig wiedergegeben. Korrekt müßte es — in der vom Autor gewählten Transkriptionsweise — heißen:

Seite 30, linke Spalte, 4. Zeile v. u.: Saratow Seite 31, rechte Spalte, 21. Zeile v. u.: Twardow-skij Seite 32, linke Spalte, 13. Zeile v. u.: und weiter unten auf derselben Seite: Krassnodar Seite 32, rechte Spalte, 1. Zeile v. o. und weiter unten: Nowotscherkassk Seite 32, rechte Spalte, 2. Zeile v. o.: Nowoschachtinsk Der Titel des auf S. 29, 7. Zeile v. o. genannten Werkes von Jewtuschenko lautet richtig: „Babij Jar".

Fussnoten

Fußnoten

  1. R. Ullner, Die Idee des Föderalismus im Jahrzehnt der deutschen Einigungskriege, dargestellt unter besonderer Berücksichtigung des Modells der amerikanischen Verfassung für das deutsche politische Denken, Lübeck und Hamburg 1965.

  2. G. Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung, Beilin 1899, S. 13.

  3. F. Meinecke. Weltbürgertum und Nationalstaat, Hrsg. v. H. Herzfeld. München 19627, S. 422.

  4. H. v. Srbik, Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz, Bd. II., München 19403, S. 333 ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, Stuttgart 1963, S. 257 ff.

  5. H. v. Srbik, Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, 2 Bde., Bd. III, München 1951, S. 33.

  6. H. v. Sybel, über die neueren Darstellungen der deutschen Kaiserzeit, in: F. Schneider (Hrsg.), Universalstaat oder Nationalstaat. Macht und Ende des Ersten deutschen Reiches, Die Streitschriften von Heinrich v. Sybel und Julius Ficker zur deutschen Kaiserpolitik des Mittelalters, Innsbruck 1943-’, S. 1 ff.

  7. W. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, 5 Bde., Bd. 2, Braunschweig 1858, S. V ff.

  8. J. Ficker, Das Deutsche Kaiserreich in seinen universalen und nationalen Beziehungen, in: Schneider, a. a. O., S 19 ff.

  9. H. v. Sybel, Die deutsche Nation und das Kaiserreich, in: Schneider, a. a. O., S. 159 ff.

  10. Nachgedruckt: Schneider, a. a. O., S. 261 ff.

  11. Huber, a. a. O., Bd. 3., S. 384 ff.

  12. Ebenda, S. 393 ff.

  13. W. V. Giesebrecht, Deutsche Reden, Leipzig 1871, S. 55 ff.

  14. The Spectator, 39. Jahrg. (1866), Nr. 737 vom 7. Juli 1866.

  15. Revue des deux mondes, LXIV. Jahrg. (1866), Nr. 516 vom 14. Juli 1866.

  16. H. Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866, 2 Bde, Bd. 2, Stuttgart 18993, S. 512 f.

  17. R. F. Kaindl, Osterreich-Preußen-Deutschland. Deutsche Geschichte in großdeutscher Beleuchtung, Wien und Leipzig 1926, S. 234.

  18. Ebenda, S. 316.

  19. H. v. Treitschke, Zehn Jahre Deutscher Kämpfe 1865— 1874. Schriften zur Tagespolitik, Berlin 1874, S. 134 f.

  20. O. v. Bismarck, Werke in Auswahl, Bd. 3, Darmstadt 1965, S. 798 ff.

  21. O. v. Bismarck, Werke in Auswahl, Bd. 4, Darmstadt 1968, S. 7 f.

  22. Ebenda, S. 8 ff

  23. O. Becker, Bismarcks Ringen um Deutschlands Gestaltung. Heidelberg 1958, S. 255.

  24. Treitschke, a. a Q , S 182.

  25. O. V. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 10, S. 317 ff.

  26. O. v Bismarck, Werke in Auswahl, Bd. 4, Darmstadt 1968, S. 114 ff

  27. Ebenda, S. 138 ff.

  28. J. Ziekursch, Politische Geschichte des neuen Deutschen Kaiserreiches, 3 Bde, Bd. 1: Die Reichs-gründung. Frankfurt/M. 1925, S. 224 f.

  29. F. v. Martitz, Betrachtungen über die Verfassung des Norddeutschen Bundes, Leipzig 1868, S. 1 ff.

  30. H. Schulze, Einleitung in das deutsche Staatsrecht, Leipzig 1867, S. 431 f.

  31. F. Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Zollvereins, Tübingen 1870, S. 13.

  32. Becker, a. a. O, S. 220.

  33. Th. Flathe, Deutsche Reden, 2 Bde, Bd. 2, Leipzig 1894, S. 2 ff.

  34. Treitschke, a. a. O., S 187 ff.

  35. W. E. Freiherr v. Ketteier, Deutschland nach dem Kriege von 1866, März 18673.

  36. Zitiert nach H Preuß, Der deutsche Nationalstaat, Frankfurt/M 1924, S. 41. ''

  37. P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4 Bde., Bd. 1, Tübingen 19115, S. 38.

  38. Ebenda, S. 39.

  39. M. Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung, München und Berlin 1925.

  40. Becker, a. a. O., S. 687 ff.; K. Binding, Die Verfassungen des Norddeutschen Bundes vom 17. April 1867 und des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, Leipzig 18982, S. 68 ff.

  41. Becker, a. a. O„ S. 830 f.

  42. F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat. 7. Ausl. Hrsg. v. H. Herzfeld, München 1962, S. 438 ff.

  43. Vgl. die erschöpfende Aufstellung bei Laband, a. a. Ö., Bd. 1. S. 114 ff.

  44. H. Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, Tübingen 1907, S. 12 f.

  45. H. Geiselberger (Hrsg.), Bayerische Seherstimmen aus dem Jahre 1870/71, Altötting 1946, S. 68 f.

  46. Treitschke, a. a. O., S. 187 ff.

  47. Treitschke, a. a O., S. 348 ff.

  48. Meinecke, a. a. O., S. 426.

  49. Sten. Ber. Reichstag, Bd. 1, S. 298 f.

  50. H. Goldschmidt, „Reichsrat" oder „Bundesrat" in der Reichsverfassunq von 1871, in: Deutsche Juristenzeitung, 36 Jahrg. (1931), Sp. 207 ff.

  51. Meinecke, a. a. O., S. 426.

  52. Triepel, a. a. O., S. 23.

  53. E. Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung. Berlin 1917, S. 36.

  54. Laband, a. a. O., Bd. 1, S. 233.

  55. Lerchenfeld an Hertling, Berlin, 24. Februar 1912, GStA. München, MA. I. Nr. 955.

  56. Huber, a. a. O„ Bd. 3, S. 945 ff.

  57. Eine wissenschaftlich befriedigende Darstellung des Finanzausgleiches zwischen Reich und Gliedstaaten 1871 — 1918 fehlt Vgl. W. Gerloff, Die Finanz-und Zollpolitik des Deutschen Reiches nebst ihren Beziehungen zu Landes-und Gemeindefinanzen von der Gründung des Norddeutschen Bundes bis zur Gegenwart, Jena 1913; J. Popitz, Das Finanzausgleichsproblem in der deutschen Finanzwissenschaft der Vorkriegszeit, in: Finanz-archiv N F. Bd. 1 (1933), S. 394— 438; Huber, a. a. O„ Bd. 3, S. 947 ff.

  58. H. v. Poschinger, Fürst Bismarck und die Parlamentarier. 3 Bde., Bd. I, Berlin 18942, S. 87.

  59. Gerloff, a. a. O„ S. 161 ff.

  60. Gerloff, a. a. O., S. 408 ff.; Huber, a. a. O., Bd. 3, S. 950 ff.

  61. Gerloff, a. a. O., S. 424 ff.; Huber, a. a. O., Bd. 3. S. 953 ff.

  62. G v. Hertling, Erinnerungen aus meinem Leben, 2 Bde., Bd. 2, Kempten und München 1920, S. 26.

  63. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Ausl., Sechster Neudruck. Darmstadt 1959, S. 783 ff.

  64. J Hatschek, Bismarcks Werk in der Reichsverfassung. Tübingen 1906, S. 13.

  65. Triepel, a. a. O., S. 81 ff.

  66. O. Koellreuter, Einzelstaat und Provinz, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 6 (1913), S. 621 ff.

  67. Meinecke, a. a. O., S. 450.

  68. H. Goldschmidt, Das Reich und Preußen im Kampf um die Führung. Berlin 1931, S. 135.

  69. J. Held, System des Verfassungsrechts der monarchischen Staaten Deutschlands mit besonderer Rücksicht auf den Konstitutionalismus, 2 Bde., Würzburg 1856/57.

  70. J. v. Held, Grundzüge des Allgemeinen Staatsrechts oder Institutionen des öffentlichen Rechts, Leipzig 1868.

  71. J. v. Held, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom staatsrechtlichen Standpunkt aus betrachtet, Leipzig 1872.

  72. M. Seydel, Der Bundesstaatsbegriff. Eine staatsrechtliche Untersuchung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 28. Jahrg (1872), S. 185 bis 256.

  73. Brie, a. a. Ö., S. VI.

  74. Treitschke, a. a. O., S. 556— 592.

  75. W. Bußmann, Treitschke. Sein Welt-und Geschichtsbild, Göttinnen 1952, S. 215 ff.

  76. Vgl. Föderalismus I, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 1/68 vorn 3 Januar 1968, S 16 ff.

  77. Vgl. Föderalismus I, a. a. O., S. 22 ff. vom 3. Januar 1968, S 22 ff.

  78. FI. Preuß, Gemeinde. Staat, Reich als Gebiets-körperschaften, Versuch einer deutschen Staats-konstruktion auf Grundlage der Genossenschaftstheorie, Berlin 1889.

  79. Vql. P. Gilg, Die Erneuerung des demokratischen Denkens im Wilhelminischen Deutschland. Eine ideengeschichtliche Studie zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, Wiesbaden 1965, S. 97.

  80. H. Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche. Eine staatsrechtliche und politische Studie, Tübingen 1907.

  81. Ebenda, S. 11 f.

  82. O. Pfülf, Hermann v. Mallinckrodt. Die Geschichte seines Lebens, Freiburq im Breisqau 19012.

  83. Sten. Ber. Nordd. Reichstag, Bd. 1, S. 157 f.

  84. K. Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei, 9 Bde., Bd. 3, Köln 1927, S. 100 ff.

  85. Ebenda, S. HO ff.

  86. Ebenda, S. 113 f.

  87. W E v. Ketteier, Schriften, 2 Bde., Bd 2, München 19242, S 136 ff.

  88. Bachem, a. a. O , Bd. 3, S. 137 f.

  89. Pfülf, a. a. O , S. 273.

  90. W. v. Klopp, Onno Klopp. Leben und Wirken, Hrsg. v. F. Schnabel, München 1950, S. 131.

  91. U. Noack, Geschichtswissenschaft und Wahrheit. Nach den Schriften von John Dalberg-Acton, dem Historiker der Freiheit 1834— 1902, Frankfurt/M. 1935; ders., Kathofizität und Geistesfreiheit. Nach den Schriften von John Dalberg-Acton 1834 bis 1902, Frankfurt/M. 1936; ders., Politik als Sicherung der Freiheit. Nach den Schriften von John Dalberg-Acton, dem Historiker der Freiheit 1834 bis 1902, Frankfurt/M. 1947.

  92. E. Kogon, Karl Emil Freiherr von Vogelsang, in: E. Ritter (Hrsg.), Katholisch-konservatives Erbgut. Eine Auslese für die Gegenwart, Freiburg im Breisgau 1934, S. 351 ff.

  93. Zitiert nach: W. Ferber, Föderalismus, Augsburg 1946, S. 20.

  94. Th. Stirnimann, Zur Staatsauffassung Philipp Anton von Segessers und ihrer geistigen Quellen, Immensee 1942.

  95. A. Ph. v. Segesser, Sammlung kleiner Schriften. Bd. 3: Reden im Schweiz. Nationalrate und staatsrechtliche Abhandlungen (1848— 1878, Bern 1879, S. 319.

  96. Ebenda, S. 361

  97. P. E. Hoffmann, Föderalismus, in: März, 6. Jahrg. (1912), H. 17 v. 27. April 1912, S. 121 ff.

  98. R. Kjellen, Die Großmächte der Gegenwart, Leipzig und Berlin 19157, S. 172 f.

  99. H. Gsteu, Geschichte Österreichs, Innsbruck— Wien, S. 409.

  100. R. Wierer, Der Föderalismus im Donauraum, Graz—Köln 1960, S. 78 ff.

  101. R. Springer (= K. Renner), Grundlagen und Entwicklungsziele der österreichisch-ungarischen Monarchie, Wien—Leipzig 1906.

  102. Wierer, a. a. O., S. 106 ff.; dort auch die unter verschiedenen Pseudonymen erschienenen Veröffentlichungen von Karl Renner.

  103. I. Seipel, Gedanken zur österreichischen Verfassungsreform. Innsbruck 1917, S. 23 ff.

  104. K. C. Wheare, Föderative Regierung, München o. J„ S. 28.

  105. ebd.

  106. F. W. Foerster, Bismarcks Werk im Lichte der großdeutschen Kritik, in: Die Friedens-Warte. XVIII. Jahrg. (1916), S. 1 ff.

  107. Zitiert nach: R. Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917— 1923, S. 266 f., Anm. 24.

  108. Sten. Ber. Reichstag, Bd. 327, S. 1201 ff.

  109. W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, München 1946, S. 216 ff.; J. Held, Der Reichsrat, seine Geschichte, seine Rechte und seine Stellung nach der Reichsverfassung vom 11. August 1919, Regensburg 1926.

  110. Zitiert nach: K. Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur. Beiträge zur bayerischen Frage in der Zeit von 1918 bis 1933, München 1954, S. 320 f.

  111. M. Newcomer, Fiscal Relations of Central and Local Governments in Germany under the Weimar Constitution, in: Political Science Quarterly, Bd. 51 (1936), S. 185 ff.; Kl. Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin 1962, S. 369 ff.

  112. K. Sommer, Der billigere Einheitsstaat, München 1929.

  113. Von einem Süddeutschen (— W. Hausenstein), „Vereinheitlichung", in: Der Neue Merkur, 3. Jahrg. (1919/20), S. 513 ff.

  114. Von einem Süddeutschen (= W. Hausenstein), Föderalismus, in: Der Neue Merkur, 4. Jahrg. (1920/21), 2. Halbbd., S. 561 ff.

  115. K. Beyerle, Föderalismus, in: Festschrift. Felix Porsch zum siebzigsten Geburtstag dargebracht von der Görres-Gesellschaft, Paderborn 1923, S. 128 ff.

  116. W. Mommsen, Unitarismus und Föderalismus in Deutschland, in: Zeitschrift für Politik, XIV. Bd. (1924), S. 193 ff.

  117. G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: Der deutsche Föderalismus. Die Diktatur des Reichs-präsidenten, Referate von G. Anschütz, K. Bilfinger, C. Schmitt und E. Jacobi. Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Jena am 19. und 15. April 1924, Berlin und Leipzig 1924 (Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 1), S. 10 ff.

  118. K. Bilfinger, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: Der deutsche Föderalismus, S. 35 ff.

  119. Schwend, a. a. O., S. 316

  120. Ebenda, S. 338 ff.

  121. A. Lotz, Benedikt Schmittmann. Sein Leben und sein Werk, Frankfurt/M. 1949.

  122. Vgl. die eingehende Darstellung von G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. I: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919— 1930, Berlin 1930.

  123. K. Schwend, Süddeutsche Gedanken über die Weiterentwicklung des deutschen Staates, in: Der Deutsche Süden, 2. Jahrg. (1927), S. 2 ff.

  124. Süd und Nord im deutschen Föderalismus, in: Allgemeine Rundschau, 24. Jahrg. (1927), S. 83 ff.

  125. K. Schwend, Süd und Nord im deutschen Föderalismus, in: Der Deutsche Süden, 2. Jahrg. (1927), S. 73 ff.

  126. H. Pünder, Von Preußen nach Europa. Lebens-erinnerungen, Stuttgart 1968, S. 91 f.

  127. H. Höpker-Aschoff, Deutscher Einheitsstaat. Ein Beitrag zur Rationalisierung der Verwaltung, Berlin 1928.

  128. A. Brecht, Mit der Kraft des Geistes. Lebens-erinnerungen, Zweite Hälfte 1927— 1967, Stuttgart 1967, S. 72.

  129. W. Apelt, Vom Bundesstaat zum Regionalstaat. Betrachtungen zum Gesetzentwurf über den endgültigen Reichswirtschaftsrat, Berlin 1927.

  130. E. Schnitzer, Das Ringen der Regierung Held um die Stellung Bayerns im Reich, Phil. Diss. Erlangen-Nürnberg 1968.

  131. Zitiert nach: Brecht, a. a. O., S. 82.

  132. R. Morsey, Zur Geschichte des „Preußenschlags" am 20. Juli 1932, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 9. Jahrg. (1961), S. 430 ff.

  133. Zitiert nach: Schwend, a. a. O., S. 467.

  134. Schwend, a. a. O., S. 468.

  135. Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof. Stenogrammbericht der Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig vom 10. bis 14. und vom 17. Oktober 1932, Berlin 1933, S. 113 ff.

  136. Ebenda, S. 492 ff.

  137. Wortlaut bei Brecht, a. a. O., S. 95 ff.

  138. S. Mogi, The probiern of federalism. A study in the history of political theory, 2 Vol. London 1931.

  139. H. Ehard, Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern und der Bundesrat, in: Bayerische Verwaltungsblätter, NF. 7. Jahrg. (1961), S. 1 ff.

  140. Brecht, a. a. O., S. 99.

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Ernst Deuerlein, Dr. phil., o. ö. Professor für Geschichte an der Phil. -Theos. Hochschule Dillingen/Donau und an der Universität Erlangen-Nürnberg, geboren 9. September 1918 in Rückersdorf bei Nürnberg.