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Zu den kritischen Anmerkungen Georg-Wilhelm Zickenheimers | APuZ 40/1970 | bpb.de

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APuZ 40/1970 7. März 1936 Studie zum außenpolitischen Führungsstil Hitlers Versäumte Chance?! Kritische Anmerkungen zu Jürgen Weber: Das sowjetische Wiedervereinigungangebot vom 10. März 1952 Zu den kritischen Anmerkungen Georg-Wilhelm Zickenheimers

Zu den kritischen Anmerkungen Georg-Wilhelm Zickenheimers

Jürgen Weber

/ 11 Minuten zu lesen

Im Abschnitt „Freie Wahlen" kommt Jürgen Weber zum Kern seiner Argumentation, wenn er gegen Klaus Erdmenger schreibt: „Das Problem der freien Wahlen ist nicht im Vorfeld politischer Entscheidungen angesiedelt . . , sondern es berührt das politische Selbstverständnis des deutschen Volkes." Noch deutlicher wird der Satz: „Ein Verzicht auf freie Wahlen wäre der Selbstentäußerung des demokratischen Gemeinwesens der Bundesrepublik gleichgekommen." Damit zeigt Weber deutlich die Grenzen seiner Einsichten auf, denn der entscheidende Punkt in der innenpolitischen Diskussion in der Bundesrepublik bezog sich ja darauf, ob es sinnvoll sei zu fordern: Zuerst freie Wahlen! Sollte Weber allerdings der Auffassung sein, daß die Bundesrepublik sich überhaupt nicht hätte in Frage stellen dürfen, dann müßte er den Begriff „Provisorium" Bundesrepublik kritisch beleuchten.

Am Schluß seiner Darstellung gibt Weber der Hoffnung Ausdruck, daß Hermann Pünder nicht recht behalten möge, der meint: „ehe sich nicht die Archive der Kabinette öffnen", werde die Frage streitig bleiben, „ob damit nicht eine Sternstunde deutscher Nachkriegsgeschichte vertan worden sei" Ich würde vorsichtiger urteilen und sagen, vielleicht wird sich dann diese Streitfrage lösen lassen, die heute nur noch akademischen Charakter zu haben scheint, eine Gewißheit hätte es nur gegeben, wenn die tragenden Gruppen der westdeutschen Politik und ihr Repräsentant den Test auf die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Angebote angeregt hätten.

Jede Untersuchung eines politischen Ereignisses der unmittelbaren Vergangenheit, das nur diplomatische Aktion blieb, ohne greifbare Spuren zu hinterlassen, an dem sich aber seit jeher divergierende innen-und außenpolitische Ordnungsvorstellungen brachen, gerät leicht in den Verdacht, mit wissenschaftlicher Verbrämung in diesem Meinungsstreit Partei ergreifen zu wollen. Ganz besonders gilt dies für die Diskussion der mit dem Wiedervereinigungsangebot Stalins im Jahre 1952 zusammenhängenden Problematik. Denn hier legt der historische Einzelfall den Kern der grundsätzlichen außenpolitischen Fragen der Bundesrepublik bloß, deren schließlich getroffene Entscheidung einerseits — wie dies bei jeder originär politischen, das heißt mehrere Wege eröffnenden Frage der Fall ist — umstritten war, andererseits bis zur Gegenwart nachwirkt. Es ging uns jedoch nicht um Rechtfertigung oder Verurteilung vergangener politischer Entscheidungen, sondern allein um die Überprüfung eines vieldiskutierten politischen Ereignisses nach Maßgabe der heute verfügbaren Kenntnisse.

Gerade weil es sich um das unerfüllt gebliebene Hauptanliegen der Deutschen seit 1945 — die Wiedervereinigung — handelt, schleichen sich in die Diskussion oft unbemerkt Emotionen ein, die den Maßstab des Urteils beeinflussen und die damals (1952) gegebenen politischen Voraussetzungen mit den heutigen Verhältnissen verwechseln oder sie doch nicht genügend scharf von ihnen abgrenzen. Die Forderung nach dem eindeutigen Beweis für die in der Stalinnote enthaltenen bzw. nichtenthaltenen Chancen übersteigt das, was wissenschaftlich möglich ist. Bewiesen, im Sinne von rekonstruiert, kann nämlich im politischen Bereich nur das Ereignis werden, das einen konkreten, die Umwelt irgendwie gestaltenden Niederschlag gefunden hat. Eine Untersuchung, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, kann daher keine „letzten Beweise" zutage fördern, sondern muß danach streben, den Stellenwert des Angebots im damaligen Koordinatensystem der politischen Möglichkeiten aufzufinden. Nicht was denkbar ist, ist dabei von Interesse, sondern nur das, was in der damaligen Situation sichtbar war und sinnvollerweise als existent angenommen werden konnte.

Ich kann meinem Kritiker nur zustimmen, wenn er am Schluß seiner Ausführungen meint, daß es eine Gewißheit in der hier behandelten Frage nur dann gegeben hätte, wenn das sowjetische Angebot in Verhandlungen getestet worden wäre. Allerdings ist gerade die Hauptthese meiner Arbeit, daß es nicht im Interesse der westdeutschen Außenpolitik gelegen hätte, solche Verhandlungen anzuregen, weil viele gewichtige, von mir ausführlich dargelegte Tatsachen und Argumente dagegen sprachen, das erst mühsam errungene Vertrauenskapital bei den Westmächten durch die Unterbrechung der EVG-Vertragsverhandlungen und eine doppelgleisige Politik aufs Spiel zu setzen. Risiko und Chance sind zwei Kategorien in der Politik, die stets gegeneinander abzuwägen sind, bevor eine Entscheidung verantwortungsbewußt gefällt wird. Es reicht eben nicht, nur Gutes zu wollen und die „edle Gesinnung" unter Beweis zu stellen, darüber aber die kalkulierbaren Folgen des Handelns zu übergehen. Die Gefahr, daß die Bundesrepublik nach erfolglosen Verhandlungen bündnislos zwischen zwei Stühlen gesessen hätte, ist keine apologetische Gedankenkonstruktion, sondern eine Tatsache, die in der damaligen Zeit eindeutig gegeben war, wie zeitgenössische Stellungnahmen westlicher Politiker beweisen. Vor allem Frankreich, aber auch England und die USA erinnerten sich nur allzu gut an den Rapallo-Vertrag (1922) zwischen der Sowjetunion und Deutschland und an den Hitler-Stalin-Pakt (1939). Es ist völlig unerheblich, ob solche Befürchtungen in der veränderten Situation von 1952 noch sinnvoll waren; sie hatten einfach politisches Gewicht innerhalb der Entscheidungszentren der Westmächte und wirkten wie eine Art psychologische Sperre, die es auf seifen der Bundesrepublik in Rechnung zu stellen galt.

Daß noch im Jahre 1970 angesichts der Deutschlandpolitik der Bundesregierung, vereinzelt zwar nur und im ganzen unerheblich, solche Befürchtungen laut werden können, vermag in etwa eine Vorstellung davon zu geben, wie das westliche Ausland 1952 reagiert hätte, wenn die Bundesregierung die Westmächte gedrängt hätte, die Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis zunächst einmal in der Schwebe zu lassen, um die ungewissen sowjetischen Absichten erst einmal überprüfen zu können. Bei dieser Überlegung kann ganz außer acht gelassen werden, ob es dem politischen Urteil und Vorurteil Adenauers überhaupt entsprochen hätte, einen solchen Schritt zu unternehmen; es geht uns nicht um den Politiker Adenauer, sondern um die der damaligen politischen Lage angemessene Entscheidung. Die Tatsache eines wachen Mißtrauens im Westen gegenüber möglichen bundesrepublikanischen Aktionen, die seine seit 1947/48 verfolgte Politik der Stärkung Westeuropas einschließlich Westdeutschlands in Frage gestellt hätte, ist nicht wegzudiskutieren und wird nur erhärtet, wenn ein guter Kenner der amerikanischen Politik unlängst über die amerikanische Presse schrieb: „Bemerkenswert an ihren Analysen ist, daß eigentlich zum erstenmal nach dem Krieg der Rapallo-Komplex aus den Kommentaren verschwunden ist, der lange als Trauma das Bewußtsein der Amerikaner belastete."

Damit wird nicht, wie mein Kritiker an anderer Stelle meint, der „Schwarze Peter" den Siegermächten zugeschoben, sondern damit wird nur auf eine wichtige Determinante der damaligen Außenpolitik der Bundesrepublik hingewiesen und ihre Bedeutung gebührend ins Blickfeld gerückt. Der Handlungsspielraum der Bundesrepublik war gering, und die Notwendigkeit, unwägbare Risiken zu vermeiden, war groß. Daß unter dieser Prämisse die Wiedervereinigung nur Postulat blieb, ist schmerzlich, ohne jedoch die naheliegende Schlußfolgerung zu rechtfertigen, daß eine Neutralitätspolitik hätte getrieben werden müssen. Zwar hatte die damals von der Bundesregierung und den Westmächten gepflegte Attraktionstheorie, wonach ein starker Westen und eine wirtschaftlich gesunde Bundesrepublik die Sowjetunion dazu veranlassen könnte, die DDR fallenzulassen und nach einem für Deutschland günstigen Ausgleich zu suchen, etwas Verführerisches, weil sie die Forderung nach Wiedervereinigung mit der Politik der Westintegration verband. Doch sie war irreal und entsprach einem gefährlichen Wunschdenken. Die berechtigte Kritik an der solchermaßen präsentierten Interpretation ihrer Außenpolitik durch die damalige Regierung ist jedoch im konkreten Fall der Sowjetnote kein Argument gegen unsere Darstellung der Möglichkeiten bundesrepublikanischer Politik zu jenem Zeitpunkt. In der Tat konnte sich die Bundesrepublik nicht einfach in Frage stellen. Dafür sorgten schon die außerhalb wirkenden Bedingungen des weltpolitischen, vom Ost-West-Konflikt dominierten Systems, aber auch das eigene Selbstverständnis, das mein Kritiker offenbar für nicht so wesentlich hält, weil er die „Grenzen" meiner „Einsicht" dann konstatiert, wenn auf die freien Wahlen als Ausdruck demokratischer Selbstbestimmung hingewiesen wird.

Es ist natürlich eine Frage des politischen Selbstverständnisses, ob der Einheit der Vorrang vor der Freiheit eingeräumt werden soll oder nicht. An dieser prinzipiellen Entscheidung kann niemand vorbei. Die damalige politische Lage war so geartet, daß der Verzicht auf die Notwendigkeit freier Wahlen in der Hoffnung, damit zunächst jenseits aller ideologischen und machtpolitischen Gegensätze die Einheit Deutschlands wenigstens äußerlich herstellen und sie schließlich später nachholen zu können, mit einem zu hohen Risiko belastet gewesen wäre. Dies gilt im Hinblick auf die denkbaren westlichen Reaktionen, aber auch bezüglich der demokratisch legitimierten und gesicherten Freiheit der Bürger der Bundesrepublik, es sei denn, man hätte diese Freiheit bewußt als Einsatz in diesem gewagten Spiel mit ungewissem Ausgang einsetzen sollen. Es darf nicht übersehen werden, daß die Erfahrung der systematischen und schrittweisen Ausschaltung prowestlicher Politiker aus den ursprünglichen Regierungen der Staaten Ost-europas — besonders in Polen und in der Tschechoslowakei — zur damaligen Zeit als ein warnendes Beispiel für ein ähnliches Experiment in Deutschland erscheinen mußte. Dieses Wagnis hätte die Bundesrepublik ohne Gefahr nur dann eingehen können, wenn es ihr jederzeit möglich gewesen wäre, bei einer analogen Entwicklung in einem provisorischen Gesamtdeutschland sofort in den Schutz des westlichen Bündnisses zurückzukehren. Nichts spricht jedoch für diese Möglichkeit im Jahre 1952.

Der Vorwurf der „Schwarz-Weiß-Malerei" am Anfang der Ausführungen meines Kritikers ist nicht stichhaltig. Es ist keineswegs ein „starres" und „unversöhnliches" Bild sowjetischer Nachkriegspolitik, wenn die sowjetische Haltung während der Konferenzen zwischen 1945 und 1947 als intransigent bezeichnet wird, die schließlich dazu beigetragen hat, daß die Westalliierten den Gedanken eines Weststaates ins Auge faßten. Natürlich war die sowjetische Diplomatie nicht auf eine einzige Lösung der deutschen Frage „programmiert", sondern bereit, je nach den sich bietenden Gelegenheiten die eine oder andere Alternative zu verfolgen, um die eigenen Interessen zu verwirklichen. Ihr Festhalten an den hohen Reparationsforderungen, die die Selbstversorgung des besiegten Staates stark in Mitleidenschaft gezogen hätte und eine zusätzliche Bürde für die USA gewesen wäre, ihre Weigerung, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, ihre Forderung nach Einflußnahme auf das Ruhrgebiet und die in ihrer Besatzungszone durchgeführten wirtschaftlichen und politischen Veränderungen entsprachen zwar durchaus einem verständlichen sowjetischen Interesse, das aber zu wenig Rücksicht auf das seiner Partner nahm, als daß weiterhin eine Zusammenarbeit fruchtbar gewesen wäre.

Georg-Wilhelm Zickenheimer ist der Ansicht, es bleibe völlig offen, was unter „politischer Selbstbestimmung" und unter „Gleichberechtigung" als Ziel der Außenpolitik der Bundesrepublik zu verstehen sei. Angesichts des damals für die Bundesrepublik maßgebenden (revidierten) Besatzungsstatuts, das die oberste Gewalt in der Hohen Kommission der drei Westmächte vereinigte, dürften beide Begriffe doch eindeutig als Ausübung der souveränen Rechte eines nach innen wie nach außen völkerrechtlich unabhängigen Staates im Rahmen seiner in freier Entscheidung getroffenen Vertragsverpflichtungen zu verstehen sein.

Auch der Begriff „diplomatisches Scheingefecht" geht meines Erachtens eindeutig aus dem Zusammenhang der Darstellung hervor und bedarf nicht erst der theoretischen Erörterung, wie dies Zickenheimer offenbar für nötig hält. Die Westmächte wollten in Erinnerung an die nach 74 Sitzungen ergebnislos'abgebrochene, in Tagesordnungsfragen versandete Pariser Vorkonferenz (1951) der Vier-Mächte vermeiden, daß am Konferenztisch vordergründig über prozedurale Fragen verhandelt worden wäre, während es in Wirklichkeit der sowjetischen Seite um Zeitgewinn zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in ihrem Sinn gegangen wäre. Um diese Annahme als unbegründet zu zerstreuen, hätte die Sowjetunion ein weniger propagandistisch wirksames als diplomatisch vertrauliches Vorgehen wählen müssen.

Daß sich die Sowjetunion trotz ihres verlokkenden Angebots vorbehielt, die Grenzen der deutschen Souveränität im Friedensvertrag zu ziehen, ergibt sich schon aus ihrer Forderung nach Bündnisfreiheit des deutschen Staates. Ich möchte G. -W. Zickenheimer zustimmen, wenn er meint, daß bereits seit spätestens 1949 ein Zweistaatenkonzept sichtbar war. Ungeachtet dessen findet sich im offiziellen Sprachgebrauch der sowjetischen Diplomatie dieses Zweistaatenkonzept erst seit 1955, während zuvor das verbale Einheitskonzept ausschließlich dominierte.

Wenn Zickenheimer kritisch fragt, ob ein Politiker jemals eine Offerte für bare Münze neh39 men könne und ob nicht jede Offerte einen instrumentalen Charakter habe, das heißt also, ob der besondere Charakter der Sowjetnote erst ausdrücklich betont werden müßte, so ist darauf zu antworten, daß zwar jeder offizielle diplomatische Schritt eines Staates gegenüber einem anderen etwas bezwecken will und, langfristig gesehen, im Sinne des wohlverstandenen Eigeninteresses wirken möchte, daß aber ein großer Unterschied darin besteht, ob dieser Schritt plötzlich erfolgt und unzweideutig auf die Verhinderung einer der anderen Seite unliebsamen und ihrer Vollendung nahen Entwicklung ausgerichtet ist, oder ob sich ein solcher Schritt harmonisch in die bisher praktizierte Politik eines Staates einfügt. Im ersten Fall ist Mißtrauen nur allzu natürlich, während Fall zweiten das bereits bestehende und wiederholt erprobte Vertrauen solche Zweifel gegenstandslos machen kann. Wenn daher vom instrumentalen Charakter der Märznote gesprochen wird, ist an ihren unmittelbaren, dominierenden und sozusagen als Notbremse ersichtlichen Bezug zur westlichen Politik der Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis gedacht.

Mein Kritiker macht es sich etwas zu leicht, wenn er die Beweiskraft der zitierten Äußerungen der maßgeblichen Politiker der DDR und der östlichen Pressestimmen zu den in der Sowjetnote enthaltenen Angeboten mit der Bemerkung abtut, es müßte erst festgestellt werden, ob es sich um Kommentare für das Inland oder das Ausland gehandelt habe. Die Deutung der kommunistischen Interpreten gibt gerade den verbal gleichlautenden Begriffen in Ost und West erst ihren spezifischen Inhalt. Ihre geäußerten, mit der Note verknüpften Erwartungen können nicht einfach als ideologische Pflichtübungen für irrelevant erklärt werden. Sie bestätigen vielmehr, daß das sowjetische Angebot trotz seiner, oberflächlich gesehen, eingängigen Formulierungen manche Widerhaken enthielt, die allzu interpretationsfähig waren.

Zickenheimer läßt auch nicht den bereits überstrapazierten Vergleich Deutschlands mit Österreich aus. Natürlich ging es der Sowjetunion primär um die Verhinderung der Stärkung des gegnerischen Lagers, als sie versuchte, die Bundesrepublik von einem Westbündnis fernzuhalten. Sie konnte Österreich in Neutralität entlassen, weil sie jederzeit in der Lage ist, dieses strategisch weniger bedeutsame und wirtschaftlich leichtgewichtige Land zu zwingen, den Pfad der Tugend nicht zu verlassen, während sie ihr gleiches Vorhaben im

Falle eines Gesamtdeutschlands nur durch eine ständige und intensive, direkte oder indirekte Überwachung und Einflußnahme hätte verwirklichen können. Dadurch wäre der Unterschied zwischen dem Status eines neutralen Landes und einer sowjetischen Einflußzone allmählich verflossen. Eine unlängst erschienene Untersuchung über Dimensionen neutraler Politik macht dies deutlich: „Neutralisierte Zonen beruhen darauf, daß es beide Konfliktsmächte gleichermaßen vorteilhaft finden, ein bestimmtes Gebiet zwischen ihnen als . Niemandsland'unangetastet zu belassen und ihre Rivalität darauf zu beschränken, eifersüchtig darüber zu wachen, daß die Gegenseite keinen Einfluß in dieser Zone erlange. Das fällt nicht schwer, wo solche Zonen in militärischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht relativ wertlos sind: Wenn jede der beiden Konfliktsparteien weiß, daß das Gebiet für die Gegenseite nur beschränkten Wert hat, so ist beider Gewißheit, daß die andere einen Übergriff nicht versuchen wird, größer, und die Neigung, einem solchen Übergriff durch einen eigenen Vorstoß rasch zuvorzukommen, darum geringer. Trotz großer internationaler Spannungen gelang es 1959, die antarktische Eiswüste militärisch zu neutralisieren. Soll hingegen nicht irgendeine unbesiedelte Einöde, sondern eine eigentliche politische Einheit mit einem bestimmten politischen Willen neutralisiert werden, so erhöht das Vorhandensein eines dritten, nicht berechenbaren politischen Willens auf Seiten der Konfliktsmächte die Neigung zum präventiven Einmarsch in das neutralisierte Gebiet und vermindert dadurch die Überlebenschancen dieser neutralisierten Zone. Neutralisierte Großmächte — etwa ein wiedervereinigtes und neutralisiertes Deutschland — wären darum ein Widerspruch, und auch kleinere Mächte lassen sich nur dann erfolgreich neutralisieren, wenn die Konfliktsmächte auf die Verläßlichkeit der neutralisierten politischen Einheit zählen können. Dieses Element spielt darum bei neutralisierten Kleinstaaten, wie der Schweiz und Österreich, eine wichtige Rolle."

Gerade der akademische Charakter der hier behandelten Streitfrage läßt es geraten sein, den Bereich der Spekulation über „das, was gewesen wäre, wenn" durch logisch begründete und die damaligen politischen Voraussetzungen wohl abwägende Prüfung einzugrenzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ebenda, S. 20.

  2. Ebenda, S. 21.

  3. Ebenda, S. 29.

  4. Joachim Schwellen, Bonns Schlüsselrolle. Wie die Amerikaner Willy Brandts Ostpolitik beurteilen, in: Die Zeit, 13. März 1970, S. 1.

  5. Daniel Frei, Dimensionen neutraler Politik. Ein analytischer Kategorienrahmen, in: Politische Vierteljahresschrift, 10. Jg., 1969, H. 4, S. 630 f.

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