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Lehrlinge und Politik Beobachtungen im Rhein-Main-Gebiet | APuZ 41/1970 | bpb.de

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APuZ 41/1970 Lehrlinge und Politik Beobachtungen im Rhein-Main-Gebiet

Lehrlinge und Politik Beobachtungen im Rhein-Main-Gebiet

Klaus Hendrich

/ 120 Minuten zu lesen

Eingangsfrage: Rote Panter'vor den Fabriktoren?

I. II. III. Eingangsfrage: Beiträge zur Politisierung SDS-Erben auf neuen Wegen Die braven Unruhe durch Unsicherheiten von Quintessenz und Abschlußfrage: Lehrlingen Aufsässigen: Lehrlinge in Fabriktoren? 1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2. 3. 4. INHALT „Rote Lehrlingsbildung? Panter" vor den „Politisierung der , Unbefangenen'durch die gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit" Frontstellungen gegen Betriebsräte „Betriebsnähe" als Zauberwort? „Die Gewerkschaften haben den Lehrling entdeckt"

Partner und ungebeפֿÃ

In den häufigen Flugblatt-Schauern, die auf Betriebe, Berufsschulen und Fußgängerverkehrszentren von Frankfurt am Main seit Monaten niedergehen, nimmt der Name , Rote Panter'symbolischen Klang an — ebenso wie bei den wieder zunehmenden Demonstrationen oder in Gesprächen unter Gewerkschaftlern und Studenten, Lehrlingen und Schülern, Journalisten und interessierten Bürgern.

Dieser Name einer politischen Gruppe steht als Symbol für die Aktivitäten unter Lehrlingen, für die fantasie-und beziehungsvolle Vielfalt ihrer Gruppierungen und nicht zuletzt auch für ihre studentischen Gründer:

Die , Roten Panter'sind eine der vielen SDS-Gründungen, in denen Studenten gemeinsam mit Lehrlingen versuchen, langfristige Überzeugungs-und Politisierungskampagnen in Betriebe und Berufsschulen hineinzutragen.

Ganz ähnlichen Symbolcharakter hat in Darmstadt die Abkürzung SAG (für . Sozialistische Arbeitergruppe') oder in Mainz der Name einer Straße, in der eine weitere Gruppierung unter wechselnder Firmierung ihr Domizil hat. So hat es den Anschein, als würden in absehbarer Zeit den revoltierenden Studenten von 1968 die von ihnen mitbeeinflußten Lehrlinge mit Rebellion folgen. Tatsächlich machen sich diese jungen Menschen in letzter Zeit überall in der Öffentlichkeit bemerkbar, so daß im Laufe des Jahres 1969 in der Presse Formulierungen auftauchten wie „Aufstand der Lehrlinge?" oder „Lehrlingsunruhen".

Solchen Alarmsignalen stehen die zutreffenden Hinweise vieler Verantwortlicher aus Berufsbildung und Wirtschaft gegenüber, daß ja nur winzige Minderheiten unter den Lehrlingen politisch engagiert seien. Die Zunahme politischer Aktivitäten unter jungen Arbeitnehmern ist gleichwohl unbestritten und fordert die Frage nach ihren vermutlichen Ursachen heraus.

Beiträge zu einer Antwort hierauf versucht die vorliegende Darstellung. Die zugrunde liegenden Beobachtungen beschränken sich zumeist auf das Industriegebiet Rhein-Main und können deshalb nur als Beispiele gelten.

Mehr symptomatischen Stellenwert nehmen die verwendeten Äußerungen zur Politisierung junger Berufstätiger und allgemein zur Betriebsarbeit außerparlamentarischer Oppositionsgruppen ein.

I. Beiträge zur Politisierung von Lehrlingen

Aktionen und Unruhen unter Lehrlingen können heute nicht als vorübergehende Naturereignisse gesehen werden — so wenig wie Proteste von Schülern und Studenten. Diese Erscheinungen gehören offenbar zu einer Bewegung, die sich emanzipatorisch versteht und spontan entstanden ist. In einem Land, dessen Bewohnern Churchill den Vorwurf machte, die Autokratie anzuhimmeln, mag eine säkulare Emanzipationswelle als Reaktion auf Kaiser und Hitler durchaus verständlich sein.

Auslöser dieser Bewegung waren sicherlich Enttäuschungen über ausgebliebene Struktur-verbesserungen im Ausbildungswesen. 1. „Politisierung der . Unbefangenen'durch die gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit"

Dieser Titel einer Selbstdarstellung neuer Ansätze in der Gewerkschaftsjugend kann als typisch gelten für Konsequenzen aus langen, vergeblichen Reformbemühungen. Eine Handvoll gewerkschaftlicher Jugendleiter der IG Chemie begann damit, in Hessen lange vor den Studentenunruhen kritische Bewußtseinsbildung mit jungen Berufstätigen zu betreiben. Neben dem Zeitpunkt (1962/63) ist die Gewichtung dieser neuen Jugendbildungsarbeit bemerkenswert: Man legte den größten Wert auf Übereinstimmung von Zielsetzung und Methodik, schaffte deshalb z. B. Referate ab und fand methodische Formen der Bildungs-arbeit, die sich inzwischen durchgesetzt haben als Ausdruck weitgehender Selbstbestimmung. Einer der Mitbegründer dieser Arbeit schreibt dazu: „Als pädagogisches Ziel galt die Vermittlung der Erkenntnis, daß durch kritisches Denken und Diskutieren alle geltenden Normen in Frage gestellt werden können, und daß man ein kritisches Leben führen muß, wenn man gesellschaftliche Verhältnisse kontrollieren oder umgestalten will. . . . Alles weitere kann den Jugendlichen selbst überlassen bleiben. Nur so ist gewährleistet, daß überhaupt neue Ideen, eine neue Dynamik, Veränderungen in den Gewerkschaften selbst und schließlich im gesellschaftspolitischen Bereich möglich werden!"

Der Inhalt dieser gesellschaftskritischen Jugendbildung neuer Art wurde nach den ersten Erfahrungen 1964 als , Stufenbildungsplan'systematisiert und später mit Teilveränderungen von den Gewerkschaften Metall und OTV sowie ab 1967 vom DGB Hessen übernommen. Im Wechsel von einwöchigen Lehrgängen und Wochenendtagungen versuchen Gewerkschaftsjugendsekretäre, ehrenamtliche junge Gewerkschaftler und Studenten, in Teams kontinuierlich die folgenden Gebiete mit den Teilnehmern zu behandeln:

Stufe I: Der einzelne in der Gesellschaft, Stufe II: Demokratie und Herrschaft, Stufe III: Status quo oder politische Veränderung, Stufe IV: Gesellschaftstheorie und gewerkschaftliche Praxis.

Zur letzten Stufe gehört jeweils die selbständige, praxisbezogene Entwicklung von Aktionsmodellen, die dann in Gegenwart hauptamtlicher Gewerkschafter auf ihre Verwendbarkeit diskutiert werden.

In einer ausführlichen Erläuterung der Absichten des Stufenbildungsplanes heißt es unter der einleitenden Überschrift „Arbeitende Jugend und Bildung": „Das Idealbild unserer Erziehung ist der gescheite und anpassungsfähige Funktionär, der alle ihm übertragenen Aufgaben willig und gewissenhaft erledigt und nicht allzu viele Fragen stellt. . . . Die . Skeptische Generation'(Schelsky) ist stillschweigend in eine . Generation der Unbefangenen'(Blücher) umbenannt worden. . . .

Den Prozeß der Demokratisierung voranzutreiben, ist deshalb das .. . Ziel der . .. Gewerkschaften. Politische Bildung hat ein erster Schritt in diese Richtung zu sein, indem sie über die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse aufklärt und so die Mentalität des Status quo durchbricht. . . . Dies leistet nicht eine flammende Rede über die klassenlose Gesellschaft, sondern etwa die kritische Analyse der Bild-Zeitung. . . . Bildung hat dann emanzipatorischen Charakter, sie darf ihn auch dort nicht verlieren, wo es darauf ankommt, funktionales Wissen (etwa Kenntnisse im Arbeitsrecht) zu vermitteln."

Die Zielsetzung der Stufenbildungsarbeit, in diesem Sinne eine allmähliche Politisierung junger Gewerkschaftler zu erreichen, führte schon vor Beginn der Studentenrevolte zur Heranbildung eines kleinen, aber nicht mehr zu ignorierenden Potentials kritischer junger Leute in Betrieben und Gewerkschaften. Vielleicht hätte sich ihr Drang zu politischem Engagement durchaus positiv für die Gewerkschaftsarbeit nützen lassen, wenn dafür die erforderlichen hauptamtlichen Kräfte als ständige Gesprächspartner vorhanden gewesen wären. Doch unter dem Eindruck des Mitglieder-rückganges ebenso wie von Auswirkungen der Wirtschaftsflaute von 1966/67 betroffen, baute der DGB die Fachsekretäre unterhalb der Landesbezirksebene ab. Seit 1967 wurden deshalb 37 Jugendsekretäre „eingespart", was sich nicht nur in einer spürbaren Schwächung der Organisation auswirkte.

Vielmehr mußten gerade die politisierten Minderheiten in der Gewerkschaftsjugend sich nun von ihrem Verband allein gelassen fühlen, zumal die Jugend dort keinerlei Mitbestimmung hat. So konzentrierte sich bald ein wachsender Widerstand junger Gewerkschaftler angesichts fehlender Einwirkungsmöglichkeiten in dem von ihnen nunmehr feindlich betrachteten „Apparat" auf die Hauptfiguren westdeutscher Betriebsverfassung, die zwischen Gewerkschaften und Unternehmern stehen: auf viele Betriebsräte.

Frontstellung gegen Betriebsräte Die Eigentümlichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes stellen den Betriebsrat bekanntlich mitten in das Interessengeflecht von Arbeitgeber-und Arbeitnehmerorganisationen sowie Tarifen hinein (§ 49, I BetrVerfG), erlegen ihm aber gleichzeitig unbedingte Friedens-pflicht auf (§ 49, II BetrVerfG). Daraus „... ergibt sich, daß der Betriebsrat als gewählter Vertreter der Arbeitnehmerinteressen der legitimierte Gesprächspartner des Arbeitgebers und kein Organ der Gewerkschaft ist", woran jetzt wieder die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) in ihren Vorschlägen zum Ausbau der Betriebsverfassung erinnert hat

Diese Stellung sichert dem Betriebsrat selbst in gewerkschaftlich durchorganisierten Betrieben eine Unabhängigkeit von der Gewerkschaft, die er bei gutem Einsatz für die Belange der Belegschaft zu einer starken Machtposition (und damit manchmal auch zu einer Lebensstellung) ausbauen kann.

Nimmt man die Unkündbarkeit hinzu, wird der Ausdruck „Pseudobeamtentum" für Betriebsratstätigkeit bei aller polemischen Überspitzung verständlich, die Max von der Grün in seiner jüngsten Darstellung über „Die wilden Streiks" anwendet

Auf der anderen Seite wird kaum ein Betriebsrat in Industrieunternehmen anders als über gewerkschaftliche Ausbildung, Stützung und Betriebspräsenz gewählt werden. Deshalb und auch zur Rückendeckung gegenüber manchen Betriebsleitungen halten die meisten Betriebsräte ständigen Kontakt zu ihrer Gewerkschaft und arbeiten auch, in recht unterschiedlichem Ausmaß, dort weiter mit. Das kann freilich dazu führen, daß manch ein Gewerkschaftssekretär fast zum ausführenden Organ jener Handvoll Betriebsratsmitglieder wird, von deren Wahl als ehrenamtliche Vorstandsmitglieder seine Existenz abhängt.

Hieraus ergibt sich schon beinahe eine Tradition an Frontstellungen gegen Betriebsräte — für das Rhein-Main-Gebiet vor allem in der chemischen Großindustrie. Eine Frontlinie verläuft zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft — überbrückt von vielen pragmatischen Über-gängen, unterbrochen von manchem Gemeinschaftsbunker im Interesse der Belegschaft —, eine andere Front zwischen Betriebsrat und kritischen jungen Kollegen. Deren Möglichkeiten im Betrieb sind in beinahe jeder Hinsicht so sehr vom Wohlwollen entweder der Geschäftsleitung oder aber des Betriebsrates abhängig, daß die BDA in ihren erwähnten Ausbauvorschlägen zur Betriebsverfassung das Kümmerdasein der Jugendvertretung im Betrieb aufgreift und Besserung anregt.

Um so mehr läßt sich vorstellen, wie junge Gewerkschaftler vor zwei, drei Jahren ihre politisch motivierten Änderungsvorstellungen innerbetrieblich oft als Kampf gegen den Betriebsrat betrieben — selbst dann, wenn sie die Unternehmensleitung angreifen wollten. Das mußte dann natürlich die Spannungen mit den Gewerkschaften erhöhen, und zwar gleich doppelt: Betriebsräte beschwerten sich verständlicherweise zunächst bei Gewerkschaftssekretären und -vorständen über die Haltung der Jugend, die nun aber ihrerseits dem „Apparat" die Unterstützung des Betriebsrates vorwarf bzw. auf jeden Fall unterstellte. Weitaus stärker sind die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten seit Jahren belastet vom Auseinanderklaffen zwischen Tarif-und Effektivlöhnen. Die Differenz soll mittlerweile 30 °/o und mehr betragen. Sie ergibt sich aus betrieblichen Zulagen, die stets allein mit dem Betriebsrat ausgehandelt werden und deshalb nicht Tarifbestandteile sind. Für die Unternehmen sind solche Zulagen legitime Instrumente der Lohnpolitik. Für die Gewerkschaften müssen sie als Entfremdung von ihren Mitgliedern und Machtteilung mit den Betriebsräten wirken. Umgekehrt stehen Belegschaften Betriebsräte wie aber auch ohne gewerkschaftliche Unterstützung allein dem guten Willen der Unternehmen gegenüber, wenn bei längerer Dauer von Tarifen unversehens Gewinnsituationen eintreten: Ge -günstige Die werkschaften sind an die Laufzeit der Tarifverträge gebunden und können (und wollen) auch in noch so ertragsgünstigen Lagen nicht vertragsbrüchig werden.

In einer solchen Situation kam es zu den wilden Streiks des Herbstes 1969 im Saarland, im Ruhrgebiet und in Norddeutschland. Spätestens seit dieser spontanen Stärkung des Selbstbewußtseins vieler Arbeitnehmer scheinen die Gewerkschaften jetzt neue Strategien zu entwickeln, die wie ein Nachziehen gegenüber den Zielen gewerkschaftlicher Jugendbildungsarbeit anmuten können: Angestrebt wird offensichtlich die Politisierung . Unbefangener'auch unter den älteren Arbeitnehmern. Dazu dient auch die von IG Metall und IG Chemie geforderte Verstärkung der Schulungsarbeit. Zugleich scheinen einige Bestandteile dieser neueren Strategien geeignet zu sein, langfristige Verbesserungen an den skizzierten „Fronten" zwischen Betriebsräten einerseits, Gewerkschaften und Jugend in den Betrieben andererseits herbeizuführen. Schließlich kann damit auch eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Gewerkschaftsjugend und „Apparat" erreicht werden, vielleicht auf einer neuen, gemeinsamen Linie gesellschaftspolitischen Wollens. „Betriebsnähe" als Zauberwort?

Wurde das Bild des Betriebsrates bewußt überzeichnet, um bestimmte Konflikte zu verdeutlichen, so muß jetzt daran erinnert werden, wie der Alltag dieser Männer und Frauen aussieht. Nur so wird klar, weshalb mancher Betriebsrat sich in vielen prekären Situationen allein gelassen sieht und von daher schon des längeren gegenüber der Gewerkschaft den gleichen Vorwurf der Betriebs-und Praxisferne erhebt wie kritische Junggewerkschaftler oder mancher Unternehmer. Schlaglichtartig schien diese Kritik durch die wilden Streiks bewiesen.

Seither werden einige wesentliche Komponenten beim Vorgehen der Gewerkschaften deutlich, die allesamt auf den Generalnenner „Betriebsnähe" gebracht werden können und damit als Unterstützung der Politisierungsbemühungen in der Gewerkschaftsjugend wirken:

Im Spätsommer 1969 einigten sich die IG Metall und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall darauf, gewerkschaftliche Vertrauensleute tariflich im Betrieb zu schützen, analog zum gesetzlichen Schutz der Betriebsräte. Dazu sagte ein Rundfunkkommentator: „Der gesellschaftspolitisch größte Effekt . . .des neuen Tarifabkommens scheint ... in der vertraglichen Vereinbarung eines Schutzes für die gewerkschaftlichen Vertrauensleute im Betrieb zu liegen. Denn damit haben die metallindustriellen Arbeitgeber entgegen der Tendenz des Betriebsverfassungsgesetzes die Präsenz der Gewerkschaften im Betrieb anerkannt."

Die Bedeutung dieses Schrittes erwies sich schon wenige Wochen später bei den spontanen Streiks. So unterschiedlich das Verhalten der Betriebsräte von den Streikenden beurteilt wurde (Ablehnung in Kiel, Akklamation in Dortmund), so wichtig war das entschlossene Auftreten von Vertrauensleuten. Die Honorierung erfolgte dann bei den Vertrauensleute-wahlen der Metallbetriebe im Februar 1970, wo die selbstbewußter gewordenen Arbeiter in erster Linie die wirklich praxisnahen Kollegen wählten. Natürlich stehen mit ihnen den hauptamtlichen Funktionären auch viel kritischere Gewerkschaftler gegenüber. Gleichzeitig verfügt der Apparat durch sie aber auch über bedeutend mehr Einfluß im Betrieb und erhält von den Vertrauensleuten direktere Informationen aus den Betrieben.

Im November 1969 forderten Mitglieder der Gesamtbetriebsräte der Automobilfirmen Opel und Ford die künftige Beteiligung von Betriebsräten und -Vertrauensleuten an der Tarifpolitik mit Hilfe von Öffnungsklauseln. Diese Klauseln sollen die Tarife öffnen für die Möglichkeit, daß auch während ihrer Laufzeit* betriebliche Lohnerhöhungen oder Zulagen von den Belegschaftsvertretern ausgehandelt werden können, wenn die Ertragslage einzelner Unternehmen das möglich erscheinen läßt. Damit würden sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeberverbände teilweise überflüssig, die Belegschaften jedoch in bisher unbekanntem Ausmaß für lohn-, sozial-und gesellschaftspolitische Ziele aktivierbar werden. Die Spitzen der Tarifparteien reagieren bisher sehr zurückhaltend auf diese Forderung. Immerhin ging die Tarifpolitik der nächsten Monate weiter darauf aus, seitens der Gewerkschaften betriebs-und gesellschaftspolitische Ziele mit einzubeziehen. Das wurde am deutlichsten bei der Forderung der IG Chemie im Frühjahr 1970, durch betriebsnahe Tarife deren Gestaltung zu demokratisieren. Die betrieblichen Vertrauensleute sollten nach diesen Vorstellungen eigene Tarifkommissionen für jeden Betrieb wählen, die dann Betriebstarife auszuhandeln hätten. Gegenüber den Offnungsklauseln wäre eine solche Regelung noch weitergehender und sollte die Arbeitnehmer absichern vor der Streichung wesentlicher Lohnbestandteile in ertragsarmen Zeiten. Zugleich wäre damit der Einfluß der Betriebsräte gemindert worden, die ja bisher derartige außertarifliche Zulagen mit der Geschäftsleitung allein aushandeln konnten.

Im Mai 1970 scheiterte dieser Ansatz betriebs -naher Tarifpolitik. Die Hauptursache dafür war die mangelnde Bereitschaft der meisten Betriebsräte in der Tarifkommission, sich selber und die von ihnen vertretenen Belegschaften stärker für Firmentarife einzusetzen, bis hin zur Vorbereitung von Streikmaßnahmen. Im Gegensatz zu ihnen scheint das Gros der Vertrauensleute wie die Gewerkschaft Chemie mehr zu einem Arbeitskampf geneigt zu haben. Kurz darauf erreichte die IG Metall vertraglich eine konzerneinheitliche Lohnregelung für die Adam Opel ÄG als Vorstufe zum Unternehmenstarif.

Die Konsequenzen aus den Meinungsverschiedenheiten in der IG Chemie aber können eine Tendenz verstärken, die sich andeutet: Rückbesinnung auf das noch kleine, kritische Potential junger Gewerkschaftler, die aus der neuen Jugendbildungsarbeit hervorgegangen sind. Denn hier ist zu finden, was von Betriebsräten und einem großen Teil der Arbeitnehmerschaft abgelehnt wird: Bereitschaft zu politischem Engagement gerade auch im Betrieb, verbunden mit Sachwissen und agitatorischen Fähigkeiten auf dem Hintergrund einer festen Überzeugung von der Notwendigkeit „systemverändernder Reformen".

Im Zusammenhang mit einer solchen möglichen Rückbesinnung steht zweifellos die andere, sehr viel deutlichere Tendenz der zunehmenden Besserung des Verhältnisses zwischen den Gewerkschaftsorganisationen und ihrer Jugend.

„Die Gewerkschaften haben den Lehrling entdeckt"

Derartige ironische Bemerkungen sind seit Ende 1969 von manchem Gewerkschaftsjugendsekretär und ehrenamtlichen Mitarbeiter zu hören. Sie signalisieren eine geänderte Einstellung der Gewerkschaftsvorstände auch gegenüber den gesellschaftspolitischen Forderungen der Gewerkschaftsjugend.

Noch beim Auftreten des DGB-Vorstandsmitglieds W. Reuther auf der letzten DGB-Bundesjugendkonferenz im November 1968 gab es lautstarke Proteste gegen seine Äußerung, die Gewerkschaften sähen es nicht als ihre Hauptaufgabe an, die Gesellschaftsordnung zu verändern. Wesentlich tiefergehende Kritik enthielt die Berichterstattung über diesen Kongreß in der DGB-Jugendillustrierten . aufwärts": „Bei Durchsicht der Anträge konnte man sich nicht der bitteren Erkenntnis verschließen, daß viele Anträge, wie z. B. die auf besseren Schutz der Personal-Jugendvertreter Betriebs-und und die Forderung nach einem modernen und sozialen Berufsausbildungsgesetz, seit Jahren immer wiederkehren. . . . Aber die Jugend will nun zur Durchsetzung energischer werden."

Das angekündigte „energische" Drängen war aber nicht nur begründet im jahrelangen, vergeblichen Warten auf Reformen und in der schon erwähnten Enttäuschung über personelle Sparmaßnahmen, die den größten Teil der Gruppenarbeit in der Gewerkschaftsjugend bereits zu diesem Zeitpunkt lahmgelegt hatten Hinzu kam in dieser Situation — Ende 1968 — der starke Initiativdruck auf junge Gewerkschaftler, der von den Studenten ausgegangen war. Hatte doch das unkonventionelle Vorgehen der APO in wenigen Monaten weit mehr Aufmerksamkeit für nötige Veränderungen erbracht als die Gewerkschaften in mehr als einem Jahrzehnt erreichten.

Die Ungeduld wesentlicher Teile der Gewerkschaftsjugend war deshalb kaum noch zu zügeln. In jenen Monaten ging denn auch eine Minderheit nicht der schlechtesten Junggewerkschaftler in studentische und andere APO-Gruppen über, wo sie z. T. noch heute aktiv ist (s. nächsten Abschnitt).

Andere Oppositionelle verblieben zwar in ihren Gewerkschaften, sorgten aber dort und eine Zeitlang fast regelmäßig bei öffentlichen Gewerkschaftsveranstaltungen für Unruhe, so z. B. während der Mai-Kundgebungen 1969 in Frankfurt und Darmstadt. Spätestens diese Störungen haben für viele führende Funktionäre das Signal gegeben, sich wieder etwas mehr um den eigenen Nachwuchs zu kümmern, seine berechtigt erscheinenden Forderungen zu übernehmen und schließlich auch politisch die lange Zeit geübte Zurückhaltung teilweise aufzugeben. Offenbar mochten sie nicht länger für ihr besonnenes Auftreten und Abwiegeln während der Frühjahrsunruhen von 1968 als Retter der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen geschmäht werden, zumal sie inzwischen in der Lohnpolitik die gleiche Zurückhaltung mit starkem Verlust an Ansehen in der gesamten Mitgliedschaft hatten bezahlen müssen, was ja nicht nur in den spontanen Streiks des Septembers 1969 zum Ausdruck kam. Besonnenheit freilich bleibt offenbar bis heute auch bei der angedeuteten Kursänderung vorherrschend. Das erwies sich auch im Sommer 1969, als die DGB-Jugend zunächst einen Protestmarsch nach Bonn wegen der ihr unzureichend erscheinenden Vorlage des neuen Berufsbildungsgesetzes im Bundestag plante und dann auf Betreiben der Gewerkschaftsspitzen mit einer Massenkundgebung in Köln vorlieb-nehmen mußte.

Zu den Vorbereitungen dieser Kampagne „Für ein besseres Berufsbildungsgesetz" gehörte ein Faltblatt des DGB-Bundesvorstandes, dessen Titel die Mahner-Rolle der westdeutschen Gewerkschaften dokumentiert: „Heute -die Stu denten — morgen die Lehrlinge?" Im gleichen Sinn distanzierte sich das DGB-Vorstandsmitglied Franz Woschech als Sprecher -der Abtei lung Jugend auf einer Pressekonferenz im April 1970 von solchen Lehrlings-Aktionen, die zwar aus oft berechtigtem Anlaß entstünden, aber „zu Aggressionen gegen die Gesellschaft" führten

Gleichzeitig erweist sich das Jahr 1970 aber schon jetzt als eine Phase gesteigerter jugend-politischer Aktivitäten der Gewerkschaften. Dafür nur einige wesentliche Belege:

Das Streikrecht für Lehrlinge bekräftigte die Rechtsabteilung des DGB im Dezember 1969 „. . . in einer Untersuchung . . ., die von den Jugendvertretungen der Gewerkschaften in Auftrag gegeben wurde. Die Überprüfung steht im Zusammenhang mit der gewerkschaftlichen Aktivierung der Lehrlinge."

Tarifverträge für Lehrlinge forderten Sekretäre der IG Metall fast gleichzeitig im März 1970 in Essen und Frankfurt; in Essen wurde unter Gewerkschafts-Ägide eine Projektgruppe „Tarifverträge für Auszubildende" gegründet.

Im Juni gelang der IG Chemie in Rheinland-Pfalz der Abschluß des ersten Lehrlingstarifes, der zudem von Junggewerkschaftlern allein mit den Arbeitgebern ausgehandelt wurde.

Die Inanspruchnahme des tariflichen Vertrauensleute-Schutzes für Jugendliche regte im März ein Frankfurter Jugendsekretär mit der Aufforderung an, bei den bevorstehenden Vertrauensleutewahlen in Metallbetrieben jetzt auch sogenannte Jugendvertrauensleute zu wählen. Er begründet das deutlich: „Betriebsrat und Jugendvertretung sind Organe der Betriebsverfassung, sie können ihre Aktivitäten nur im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes . . . entwickeln. Vertrauensleute haben rein gewerkschaftliche Funktionen. . . . Sie sind Organe an der Basis der Organisation."

An der gleichen Stelle wird eine „Gesamtstrategie der gewerkschaftlichen Jugendarbeit"

von der Berliner Jugendvertretung der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen gefordert. Teile eines dazugehörigen „jugendpolitischen Sofortprogramms" sollen u. a.

sein: „Sammeln von Informationen über Vorgänge in Schulen und Betrieben, . . . Bewußtseinsbildung durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit."

Gerade die letzten Vorschläge muten für Berlin nahezu umstürzlerisch an, nachdem eine Fragebogenaktion zur Einholung betrieblicher Informationen um die Jahreswende 1967/68, getragen vom damaligen „Gewerkschaftlichen Arbeitskreis im Republikanischen Club", große Unruhe und strikte Ablehnung nicht nur in Kreisen der Arbeitgeber, sondern auch beim Westberliner DGB hervorgerufen hatte Die Abteilung Jugend des DGB-Bundesvorstands veröffentlichte in der hauseigenen Monatsschrift „Solidarität", Ausgabe April/Mai, einen 35seitigen „Sonderteil Bessere Jugendvertreterrechte". Darin sind nicht nur Stellungnahmen und eine Synopse von Betriebsverfassungsgesetz und sieben Novellierungsvorschlägen von Parteien und Arbeitnehmerver-bänden, einschließlich CDA, enthalten, sondern auch recht konkrete Forderungen an Arbeitgeber und Bundestag.

Diese Forderungen sind vom DGB-Bundesvorstand vollinhaltlich übernommen und vom Vorstandsmitglied Woschech bei der DGB-Jugend-veranstaltung im Hamburger Auditorium Maximum am 30. April 1970 verkündet worden: „— Teilnahme und Stimmrecht der Jugendvertreter im Betriebsrat, — Kündigungsschutz wie bei den Betriebsräten, — vierteljährliche Jugendversammlungen, — eigene Sprechstunden — Freistellung durch den Betrieb (für Jugendvertreter, K. H.)

— ... — Bildung einer Jugendvertretung, auch wenn es keinen Betriebsrat gibt, z. B.

in typischen Ausbildungsbetrieben oder Abteilungen großer Werke . .."

Solche und weitere Forderungen im Rahmen der jetzt offenbar in Bewegung geratenen Jugendpolitik der Gewerkschaften zielen insgesamt zweifellos in die Richtung einer zunehmenden Politisierung junger Arbeitnehmer.

Die abwehrende Haltung der Arbeitgeberseite dazu macht z. B.der Geschäftsführer des Deutschen Industrieinstituts, Günter Triesch, in einem Leitartikel unter dem Rubrum „Gesellschaftsordnung" deutlich: „Die Betriebe und Unternehmungen werden stärker zum Spannungsfeld politischer und gesellschaftlicher Kräfte. . . . Dabei sind es nicht nur die radikalen Kräfte, die diese Bestrebungen fördern, auch die Entwürfe von DGB und SPD zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes gehen davon aus, . . . die Friedenspflicht einzuschränken . . .; die Frontstellung zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Belegschaft soll stärker herausgearbeitet werden. Gleichzeitig ist eine verstärkte Aktivität der Betriebsgruppen politischer Parteien zu beobachten. . .. Diese Entwicklung zeigt, welche Gefahren entstehen, wenn die Entpolitisierung des Betriebes . . . eingeschränkt oder aufgehoben werden sollte." 2. Partner und ungebetene Gäste der Gewerkschaften Mit unvermeidlicher Willkür sollen hierunter Gruppierungen erwähnt werden, die z. T. merklich an einer Politisierung von Lehrlingen mitwirken. Für alle diese höchst unterschiedlichen und oft kontroversen Aktivitäten gelten im übrigen nur zwei Merkmale: sie sind ohne die beschriebene Lehrlingsarbeit der Gewerkschaften nicht denkbar, und sie arbeiten ohne studentische Initiativen und Leitung.

Ihre Haltung gegenüber den Gewerkschaften ist dabei höchst uneinheitlich, ob sie nun in oder neben ihnen, für oder gegen sie agieren mögen — manchmal in wechselnden Phasen sogar in allen diesen Positionen nacheinander oder durcheinander. Ihre Beiträge zur Politisierung junger Berufstätiger im Rhein-Main-Gebiet dürfen deshalb aber nicht unterschätzt werden.

Die SDAJ — loyale Kommunisten?

Im Gegensatz zu den „Spartakus" -Hochschulgruppen betont die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) stets ihre Unabhängigkeit von der DKP. Gegründet wurde diese Organisation in Essen am 5. Mai 1968 — dem 150. Geburtstag von Karl Marx, wie sie selber stolz vermerkt. Freilich half der SDAJ die darin zum Ausdruck gebrachte Berufung auf eine Tradition im Gründungsjahr herzlich wenig: sie wurde im Rhein-Main-Gebiet nicht zur Kenntnis genommen und konnte sich in jener Zeit der von revolutionären Studenten beeinflußten Aktionen nirgendwo durchsetzen.

Das lag vor allem an der gemäßigten Grundhaltung, zu der sich die SDAJ von Anfang an im betonten Gegensatz zu Revolutionären aller Richtungen bekannte. Sie scheint damit, entsprechend der Linie der DKP, langfristig auf Ruhe, Ordnung und gute Nachbarschaft zu „anderen demokratischen Organisationen" auf Arbeitnehmerseite hinzuarbeiten, wie ihr Bundesvorsitzender Priemer auf dem 2. Bundeskongreß im Dezember 1969 in Dortmund es ausdrückte. Eindeutig verpflichtete er die Mitglieder: „Die Stärkung der Arbeiterjugend im Betrieb erfordert...den Kampf um die Stärkung der Gewerkschaftsorganisation. ... In ihr muß jeder Genosse mitwirken."

Die geforderte Mitwirkung in den Gewerkschaften ist seit 1969 im Industrieraum Frankfurt gelegentlich zu bemerken. Stets bemühen sich die SDAJler dabei um strikteste Loyalität zu Beschlüssen und Absichten der Gewerkschaften. In den Betrieben erweist sich die SDAJ dabei wendiger als manche Gewerkschaftler, weil sie nicht wie diese auf Betriebsräte Rücksicht zu nehmen braucht, die in ihrer oft unpolitischen und gelegentlich vor lauter Pragmatismus korrumpiert wirkenden Art für jugendpolitische Forderungen wenig übrig haben.

Interessant ist hierbei der auffällige Unterschied zu den wenigen Betriebsräten, die nicht nur solche und andere politischen Absichten der Gewerkschaften unterstützen, sondern dabei auch oft viel stärkeren Rückhalt in der Belegschaft haben. Dieser Typus des Betriebsrates ist nämlich häufig Kommunist und hat sich in den zwei Jahrzehnten gewerkschaftlicher Betriebsarbeit als guter und zuverlässiger Verbündeter erwiesen, der nie versucht, ein eigenes Parteiinteresse mit Hilfe der Gewerkschaft durchzusetzen. Es liegt auf der Hand, daß die SDAJ in solchen — zahlenmäßig wenigen — Betriebsräten zusätzliche Unterstützung finden.

Auch bei überbetrieblicher Arbeit kann die kleine Mitgliedschaft der SDAJ oft reagibler und rascher handeln als der Gewerkschaftsapparat. Dazu scheint eine gute Organisation, freilich auch die straffe Lenkung beizutragen. Auf diese Weise hat es die SDAJ binnen etwa eineinhalb Jahren verstanden, ihre zahlenmäßige Schwäche ebenso zu kompensieren wie ihre ideologische Fixierung. Hier nämlich kann sie nicht flexibel sein, und nicht umsonst forderte der Bundesvorsitzende Priemer in dem erwähnten Referat mehr und intensivere ideologische Schulung, „. . . um zu Fragen der USA, der CSSR, zu China, zu Trotzki, Marcuse und anderen Stellung nehmen zu können" Solch eine Festlegung auf die SED-Linie tut der SDAJ denn auch im Klima der theoretisch beschlagenen APO-Gruppierungen des Rhein-Main-Gebietes manchen Abbruch. Auch andere politisch Interessierte können die SDAJ kaum ernst nehmen, solange von ihr alle strittigen Fragen der Gesellschaftspolitik im Zweifel mit einer Anerkennung der DDR als gelöst erklärt werden.

Immerhin tut diese Barriere den Aktivitäten der SDAJ keinen Abbruch. Dabei ist sie stets darauf bedacht, möglichst oft und möglichst merklich mit „demokratischen Organisationen" zu koalieren, die in der Tat demokratisch sind und darüber hinaus Ansehen genießen. Das gilt für die Loyalität gegenüber Gewerkschaften ebenso wie für gemeinsame Aktionen mit Jungsozialisten und Jungdemokraten (z. B. 1969 für Herabsetzung des Wahlalters in Frankfurt) oder mit ASTA und SHB der Universität Frankfurt (im Mai 1970 gegen die US-Intervention in Kambodscha in Frankfurt). Bemerkenswert wird bei solchen und anderen Gelegenheiten die offensichtlich gute Finanzbasis der SDAJ (Qualität von gedruckten Flugblättern).

Sie wird mit einem hohen Spendenaufkommen begründet.

Für die nächste Zukunft läßt sich vermuten, daß die SDAJ im Rhein-Main-Gebiet keine große Rolle spielen, aber stets präsent sein wird. Dafür sind folgende Gründe zu nennen: Die betrieblichen Aktivitäten sind ohne Gewerkschaften nicht allein zu betreiben. Alle Loyalität wird aber nicht die schlechten Erfahrungen der Gewerkschaften aus der Welt schaffen können, die sie mit Kommunisten in der Bundesrepublik und schon in der Weimarer Republik gemacht haben. Deshalb werden Gewerkschaften und andere betriebsbezogene Institutionen wohl stets aufmerksam bleiben. überbetriebliche Aktionen können aufgrund des geringen Mitgliederpotentials nur höchst selten allein von der SDAJ durchgeführt werden. Bei Koalitionen hat sie aber zumeist die schwächste Position und muß daher eigene Intentionen in aller Regel zurückstellen.

Auf jugendpolitischem Gebiet sieht sich die SDAJ parallel dazu nur dort geduldet, wo sie loyal bleibt. So scheint ihre Aufnahme in den Bundesjugendring und in manche regionalen Jugendringe bevorzustehen. Eine Profilierung wird ihr aber schwerfallen, nachdem nicht nur die Gewerkschaftsjugendpolitik gegenüber den letzten Jahren offensiver geworden ist.

Politische Alternativen schließlich hat die SDAJ infolge ihrer Bindung an DKP und SED überhaupt nicht zu bieten, so daß sie für die meisten jungen Arbeitnehmer inattraktiv bleiben dürfte, die doch heute den DDR-„Sozialismus“ genauso strikt ablehnen wie den BRD„Kapitalismus".

Der Beschluß des SPD-Vorstands vom November 1969, jede Betätigung für die SDAJ als unvereinbar mit der SPD-Mitgliedschaft anzusehen, und auch die neue, offensive Haltung der Jungsozialisten verweisen die SDAJ darum auf einige Dauer in die Ecke interessanter, aber einflußloser Sondererscheinungen.

Lehrlinge als neue Zielgruppe der Jungsozialisten Frankfurt am Main ist eines der Zentren linksgerichteter Aktionen. Als einer der Mittelpunkte von „JUSO" -Aktivitäten hingegen spielen hier ideologische Fragen eine untergeordnete Rolle. Ganz im Gegenteil weist auch das neue Arbeitsfeld Betriebe — Ausbildungsfragen die gleiche pragmatische Signatur auf, die für die Jungsozialisten seit 1969 in all ihren Aktivitäten typisch ist, ohne dabei eine deutliche gesellschaftspolitische Zielsetzung aus den Augen zu verlieren.

Pragmatisch wendete sich eine Flugblattaktion der Jungsozialistfen in einem Großbetrieb südlich von Wiesbaden im Frühjahr gegen überalterte Ausbildungsräume dieses Unternehmens. Gesellschaftspolitisch überdeutlich sagte der Bundesvorsitzende Voigt im selben Zeitraum bei einer Veranstaltung in Limburg, die stärkste APO in der Bundesrepublik bestehe nicht in der Jugend, sondern im Unternehmertum. Ziel müsse deshalb die Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben sein

Ebenfalls im gleichen Zeitraum fand ein Gespräch zwischen dem Bundesjugendausschuß des DGB und dem Bundesvorstand der Jungsozialisten in Bonn statt. Dabei betonten die Gewerkschaftsvertreter, in den Münchener Beschlüssen JUSO ihr die um der sei Bemühen Vertretung von Arbeitnehmerinteressen deutlich geworden. Die Jungsozialistenvertreter sich die erklärten, in der SPD für Ausweitung der Rechte der Jugendvertreter im Zuge der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes auch weiterhin einsetzen zu wollen

So hat denn die selbstironische Bemerkung manch eines der SPD nahestehenden Gewerkschaftlers in den letzten Monaten realen Hintergrund, wonach nicht nur die Gewerkschaften den Lehrling, sondern jetzt auch die JUSO den Arbeitnehmer entdeckt haben. Diese Tendenz macht sich ebenfalls bemerkbar in der gezielten Mitgliederwerbung der Jungsozialisten des Bezirks Hessen-Süd. Mit dieser Akzentsetzung scheinen sie auch durchaus Erfolgschancen zu haben. Denn zweifellos sind sie mit ihrem Linksdrall seit etwa einem Jahr für viele politisch interessierte junge Berufstätige attraktiv geworden, die von der ideologisch zumeist überfrachteten und in der praktischen Arbeit zerstrittenen APO im Rhein-Main-Gebiet enttäuscht sind.

Ein besonderes Schwergewicht haben Spezialisten der JUSO auf Bundesebene inzwischen auch auf die Behandlung beruflicher Ausbildungsprobleme gelegt. Im sogenannten Hamburger „Modell für eine demokratische Berufsausbildung" wird u. a. gefordert, daß Ausbildung inhaltlich demokratisch sein sollte, „. . . das heißt den einzelnen befähigen, . . . daraus Aktionswissen abzuleiten und . . .demokratische Verhaltensnormen und Aktionsformen praktisch erfahrbar (zu) machen . . .".

Diese abstrakte Formulierung wird erläutert mit folgender Darstellung: „Die momentane antidemokratische Unternehmens-und Betriebsverfassung findet in der betrieblichen Ausbildung das entsprechende Instrument. Die Verweigerung jeglicher Mitbestimmung . . .der Lohnabhängigen seitens der Unternehmer findet ihre logische Vorform in einer Lehre, deren . . . Hauptinhalt die Einübung des Lehrlings in die antidemokratische Sozialstruktur des Betriebes ist."

Aber auch zur Organisation (hier gleich alternativ) und zur Finanzierung einer demokratischen Berufsausbildung in der BRD entwickelt das Hamburger Modell der JUSO genaue Vorstellungen. So soll das gesamte Berufsbildungswesen entweder dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung oder den Landeskultusministerien unterstellt werden. Diese auf jeden Fall staatliche Ausbildungsverwaltung übernimmt die Aufgaben Kammern der und wird finanziert von einem Ausbildungsfond, der aus Zwangsbeiträgen der Unternehmen (gemessen nach der Lohnsummenhöhe) und staatlichen Mitteln gespeist wird Dieses Modell wird seit Anfang 1970 in den Jung-sozialisten-Gruppen diskutiert; für den Herbst dieses Jahres ist eine Art Lehrlingskongreß auf Bundesebene geplant.

Zusammengenommen ist hier eine Bewegung zu registrieren, die mit dem Anspruch der Demokratisierung von Betrieben und Ausbildung zur Politisierung von Lehrlingen und jungen Arbeitnehmern stark beitragen kann.

Interessant ist deshalb ein Kommentar von Unternehmerseite mit der Überschrift „Eine Sofort-Aufgabe für junge Unternehmer": „Der Marxismus formiert sich in der Bundesrepublik. In der sogenannten APO, in roten Zellen wirtschaftsund sozialwissenschaftlicher Fakultäten, in den Betrieben, mit geschickter Hand von der DKP vorerst behutsam gelenkt . . ., in den Reihen der Jungtürken der SPD, also der Jungsozialisten. ... Es wäre eine gute Sache, würden sich die zahlreichen Arbeitskreise der jungen Unternehmer und Juniorenkreise aktiv schon jetzt mit ihren nicht nur ideologischen Kontrahenten auseinander-setzen, sie in die Betriebe einladen . . . und mit ihnen diskutieren. — Hier liegt eine politische Aufgabe für junge Unternehmer an."

Symbol der Selbstorganisation, kritischer Jung-arbeiter: Die SAG in Darmstadt Auf diese Gruppierung trifft noch mehr als bei den bisher erwähnten beiden politischen Ju-gendorganisationen zu, daß sie ohne die Gewerkschaften nicht denkbar ist — zugleich aber ist sie zeitweise auch deren Gegenspieler in Darmstadt gewesen. Begonnen hat die Formierung dieser informellen Gruppe bei regelmäßigen abendlichen Treffen von ehemaligen Teilnehmern der gewerkschaftlichen Stufenbildungsarbeit.

Einige dieser jungen Leute wollten die erhaltenen Anregungen zur kontinuierlichen Weiterarbeit und Weiterbildung nützen. Sie müssen dieses Vorhanben recht ernsthaft und langfristig betrieben haben, denn ihre Industriegewerkschaft Chemie stellte ihnen dafür Räumlichkeiten und gelegentlich auch Fachleute zur Verfügung, und bei der Kontinuität der Zusammenkünfte ergab sich die informelle Bezeichnung „Donnerstag-Club".

Sicher nicht ganz unbeeinflußt von den Frühjahrsunruhen 1968 entwickelte sich in der Gruppe die Überzeugung, daß den theoretischen Erkenntnissen nun auch praktische Aktionen folgen müßten, um die Gesellschaft zu revolutionieren. Damit wollte man am Ort, in Darmstadt, beginnen.

Es ist nicht bekannt geworden, ob dafür konkrete Planungen ausgearbeitet wurden. Die Gewerkschaft distanzierte sich jedenfalls schon von der Absicht dazu. Deshalb richteten sich dann die ersten Aktionen, durch die diese Gruppierung bekannt wurde, gegen die eigene Ziehmutter: die Gewerkschaft.

Heimatlos geworden, fand man in dem inzwischen gegründeten Republikanischen Club Darmstadt ein Domizil und einen Verbündeten, benannte sich zwecks Verdeutlichung des eigenen Profils der politischen Absichten „Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG) und wurde aktiv. Im Frühsommer 1968 beteiligten sich SAG-Mitglieder bei den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze, u. a. auch vor Betrieben. Die Nutzlosigkeit dieser Proteste mag dann eine gewisse Erbitterung gegen die Gewerkschaften hervorgerufen oder bestärkt haben, denn ein politischer Generalstreick wurde ja von ihnen abgelehnt.

Wegen der turbulenten Ereignisse des Sommers 1968, als sich auch die SAG in zahlreichen Aktionen in Darmstadt engagierte, kamen die jungen Leute wohl erst im Laufe des Winters 1968/69 dazu, langfristig auch gegen die Gewerkschaften eine spektakuläre Aktion vorzubereiten. Dazu wurde ein symbolischer Tag ausersehen, der 1. Mai, der dem Anschein nach in der gesamten APO noch bis 1970 fast wie ein Fetisch angesehen wurde: An diesem ureigensten Feiertag der Gewerkschaften wollte man ihnen zeigen, wie sehr sie sich nach Ansicht der jungen Rebellen von ihren Zielen entfernt hatten. In Darmstadt wurde 1969 zu diesem Zweck eine „Sozialistische Maikundgebung" durchgeführt — parallel und bewußt konkurrierend zur gewerkschaftlichen, traditionellen Maifeier. Zu den wichtigsten Trägern der Gegenkundgebung gehörte die SAG. Es muß eine großartige Bestätigung für diese jungen Leute gewesen sein, als ihre Gegenkundgebung besseren Besuch fand als die Maifeier des DGB, weil diese herkömmlich aufgezogen und deshalb wenig attraktiv war.

Höchstwahrscheinlich wäre dieser Erfolg der SAG, mit dem sie zugleich einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, von den Gewerkschaften hingenommen und schon gar nicht hochgespielt worden, wenn sich nicht herausgestellt hätte, daß eine junge Dame als SAG-Mitglied Flugblätter für die „Sozialistische Maikundgebung" ausgerechnet im Gewerkschaftsbüro hergestellt hatte, wo sie als Schreibkraft beruflich tätig war.

Somit war die Gewerkschaft zu eindeutigem Reagieren gezwungen und entließ das junge Mädchen. Dagegen nun protestierte die SAG in einer Aktion vor dem Gebäude der Hauptverwaltung der betreffenden Gewerkschaft, der IG Chemie, in Hannover. Mit diesem Protest gelangte der Name SAG dann auch in die überregionale Presse und Öffentlichkeit.

Dem Anschein nach hat die SAG nach solcher Publizität (im Sommer 1969) aber auch ein neues Verhältnis zur Gewerkschaft gefunden, und diese Art von Läuterung ist wohl mindestens ebenso bemerkenswert und vielleicht typisch wie die beachtlichen Ergebnisse, die diese Handvoll junger Menschen bis dahin erzielten — Ergebnisse freilich, die sicherlich eher dem Gruppenbewußtsein nützten als ihren politischen Zielen auf dem Wege zu einem nicht näher beschriebenen Sozialismus. Bemerkenswert ist die offenkundige Einsicht der SAG Darmstadt, daß sie ohne oder gar gegen die Gewerkschaften in den Betrieben so gut wie nichts ausrichtet; aber auch, daß sie der Tatsache, daß erstmalig in der Firmengeschichte eines renommierten chemischen Groß-betriebes in Darmstadt ein Direktor in der Betriebsversammlung ausgepfiffen wurde, nachdem ihm zwei SAG-Mitglieder als Betriebsangehörige entgegengetreten waren, wenig Bedeutung beimißt. Nach einem Winter der Selbstbesinnung und theoretischen Arbeit hat es den Anschein, als würde die SAG ihre Linie darin verfolgen, gewerkschaftlich in Betrieben aktiv zu bleiben (SAG-Mitglieder gehören zur gewählten Betriebsjugendvertretung des größten Unternehmens in Darmstadt), zugleich aber als politische Gruppe unabhängig zu bleiben. Damit ist sie zu einem Vorbild der Selbstorganisation junger Arbeitnehmer geworden.

Trotzkis „Junge Garde" in Frankfurt am Main Weltrevolution unter Führung einer neuen, internationalen Arbeiterpartei sowie eindeutigen Klassenkampf in den Industrieländern erstrebt die IV. Internationale der „revolutionären Marxisten (Trotzkisten)". Für die Bundesrepublik sollen diese Ziele vornehmlich durch Umfunktionieren der gewerkschaftlichen Vorhaben in Richtung Klassenkampf verfolgt werden. Deshalb agitiert der kleine Kreis westdeutscher Trotzkisten gegen jegliche Form der Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmerorganisationen einerseits und Staat bzw. Arbeitgebern andererseits.

In Frankfurt verteilte die „Gruppe IAK", so genannt nach dem Trotzkisten-Organ „Internationale Arbeiterkorrespondenz", im Oktober 1969 Flugblätter vor einer Vertreterversammlung der IG Metall, auf der Otto Brenner über das wichtige Thema „Die Gewerkschaften nach der Bundestagswahl" referierte. Auf diesen Flugblättern mahnten die Trotzkisten: „Drei Jahre Konzertierte Aktion haben die Lebenshaltungskosten ständig erhöht. . . . Fordert deshalb mit uns auf dieser Vertreterversammlung von der Gewerkschaftsführung den sofortigen Austritt aus der Konzertierten Aktion!"

Pauschaler und noch eindeutiger heißt es in einer Veröffentlichung der Trotzkisten: „Gegenüber der Sozialdemokratie, welche . . . Teile der Arbeiterklasse in ihrer Zusammenarbeit mit Unternehmern und Staat an die herrschende Klasse — die Bourgeoisie — bindet, vertreten wir die Einheit des Kampfes der Arbeiterklasse und der Jugend, indem wir von SPD und Gewerkschaften den Bruch mit der herrschenden Klasse verlangen."

Damit wird recht deutlich die Gegenposition zu den kommunistischen Parteien Westeuropas abgesteckt, die denn auch als Handlanger des Kreml und als Stalinisten angeprangert werden. Gesellschaftspolitische Chancen solch einer Absetzung von der Linie der vorhandenen KP sind freilich nur in Frankreich zu sehen, wo die trotzkistischen Kräfte die Interessen von Arbeitnehmern mitunter entschlosse22) ner gegen das Establishment zu vertreten scheinen als die auf Ruhe und Freundlichkeit erpichte KPF, so z. B. am Jahresanfang bei dem großen Streik in den Flugzeugwerken Sud-Aviation. Die Trotzkisten in Frankreich sind allerdings auch sehr viel zahlreicher als in der BRD — und nicht im entferntesten so sektiererisch. Diese Tendenz zeigte sich in Frankfurt auch bei der aus der IAK hervorgegangenen „Gruppe junger Revolutionäre (GJR)", die sich seit Anfang 1970 „Junge Garde" nennt.

Ansatzpunkt dieser Jung-Trotzkisten war die gewerkschaftliche Jugendarbeit. Hier versuchten sie seit Herbst 1969 in massiertem Einsatz, erste Bollwerke der Weltrevolution zu errichten. Dabei wurde ausgegangen von der Ansicht: „Nur wenn die Jugendlichen die Isolierung in . . . Betrieb, Universität und Schule überwinden, ist es ihnen möglich, auf breitester Basis gegen die Entqualifizierung von Bildung und Ausbildung zu kämpfen."

Um eine derartige Solidarisierung junger Leute über ihre Primärinteressen, über Sprachbarrieren und Vorurteile hinweg zu erreichen, verfaßten die Trotzkisten zunächst einen offenen Brief an Gewerkschaftseinrichtungen in Frankfurt, in dem eine „Zentrale Versammlung der Jugend aller Bereiche" gefordert wurde. Mit dieser unrealistischen, bald darauf auch auf der DGB-Kreisjugenddelegiertenkonferenz im November vorgetragenen Forderung bewiesen die „Jungen Revolutionäre" einmal mehr, wie sehr sie ihre weltrevolutionären Vorstellungen über reale Möglichkeiten stellen. Allerdings bewiesen sie im Winter 1969/70 bei den ihrem Vorgehen folgenden Auseinandersetzungen in Führungsgremien der DGB-Jugendarbeit auch viel taktisches Geschick. Damit wußten sie eine Zeitlang bestimmte Vorhaben bzw. Beschlüsse zu blokkieren. Mit größter Selbstverständlichkeit griffen sie auch andere DGB-Aktionen an, während sie gleichzeitig in denselben Gewerkschaften weiterhin Einfluß anstrebten. Alle Geschäftsordnungsraffinessen jedoch halfen der „Jungen Garde" zum Schluß nicht mehr: sie wurde ausgebootet.

Ihre Aktivität hat dieser Prozeß freilich nicht beeinträchtigt. Nach wie vor arbeiten sie gegen Gewerkschaften und studentisch geführte Betriebs-und Lehrlingsgruppen ebenso wie gegen die orthodoxen Kommunisten und ihre Jugendorganisation SDAJ. Gerade den Jung-kommunisten gegenüber zeigen sie wohl ihre besondere Stärke, nämlich eine antistalinistische, fundierte Theorie — und ihre besondere Schwäche, eben den mangelnden Realitäts23) sinn. Inwieweit er auch in plakativen Forderungen der Trotzkisten zum Ausdruck kommt, bleibt offen: Ende 1969 verlangten sie 1000 DM Nettolohn und 4 Wochen Urlaub als Minimum für jedermann sowie alleinige Kontrolle der Berufsausbildung durch die Gewerkschaft. Anfang Mai 1970 wurden in einem Flugblatt der „Jungen Garde" 500 DM Lehrlingsentgelt und zentrale Lehrwerkstätten außerhalb der Betriebe unter Gewerkschaftskontrolle gefordert.

Ein „Sozialistisches Arbeiter-und Lehrlings-zentrum" in Mainz Diese anspruchsvolle Bezeichnung mit der irritierenden Abkürzung SALZ, zuerst wohl in Berlin geprägt, nehmen wesentlich mehr politische Gruppen zwischen Hamburg und dem Ruhrgebiet als im Rhein-Main-Gebiet für sich in Anspruch.

In Mainz sorgte ein SALZ für Aufmerksamkeit durch Flugblätter, die sich anfangs auszeichneten durch eine brisante Mischung von Obszönitäten und rüden Angriffen auf die Kapitalisten. In der gleichen Zeit, Ende 1969, waren Flugblätter in verschiedenen Betrieben auch eine Form politischer Aktivität einer anderen Gruppe in Mainz, die aber sehr viel effektvoller ansetzte. So gab es eine Flugblattaktion in einem Großbetrieb, die die Belegschaft auf die Modalitäten der Festsetzung, Auszahlung und Höhe des Weihnachtsgeldes aufmerksam machte.

Unter der Überschrift „Keine , milde Gabe mehr — höheres Weihnachtsgeld muß her!" wies eines der verschiedenen Flugblätter zunächst eine Übersicht aus, in der die Höhe der Weihnachtsgratifikationen von zehn großen Betrieben in Mainz angegeben war, gestaffelt nach Betriebszugehörigkeit. Diesem kommentarlosen Anreiz zum Vergleichen (die Unterschiede waren beträchtlich) folgte die Agitation, die am Ende unter Hinweis auf gleiches Verhalten in bestimmten Großbetrieben in Mannheim und Hannover einen Streik um Erhöhungen des Weihnachtsgeldes als letztes Mittel nannte.

Gestreikt wurde zwar nicht in Mainz, aber Unruhe in Betrieben und Druck auf die Gewerkschaften erreichten die jungen Leute schon, die mit diesen Flugblättern bekannt wurden. Es handelt sich bei ihnen um eine Wohngemeinschaft, die einmal als „Kommune 11" firmierte, auf Flugblättern unter der Bezeichnung „Sozialistische Arbeiterbasisgruppe" auftrat und bei Kundigen in Betrieben und Gewerkschaften inzwischen mit dem Namen jener Straße belegt wurde, in der die Gruppe wohnt.

Ihre Beziehungen zum SALZ sind nicht eindeutig. Was die „Arbeiterbasisgruppe" vom SALZ vor allen Dingen unterscheidet, sind ihre vielfältigen Aktivitäten innerhalb mindestens eines größeren Betriebes, und hier besonders unter Lehrlingen und jungen Betriebsangehörigen. Insofern läßt sich hier am ehesten von einem sich sozialistisch verstehenden „Arbeiter-und Lehrlings-Zentrum" in Mainz sprechen.

Verbindungen zu Lehrlingen erhielten die Aktivisten der „Arbeiterbasisgruppe" am Arbeitsplatz und in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. 1968 versuchten sie, ihre Politisierungsbestrebungen in beiden Bereichen zu koordinieren, indem sie gewerkschaftlich engagiert blieben und betriebliche Vorhaben, z. B. die selbständige Gestaltung der Jugendversammlung in einem chemischen Großbetrieb, mit den Gewerkschaften vorher absprachen und sich auf diese Weise eine Absicherung schufen.

Umgekehrt arbeiteten sie in einem gewerkschaftlichen Jugendkreis und bei der Jugendbildungsarbeit mit.

Im Winter 1969/70 zeigten sie jedoch immer stärker die Neigung so mancher junger Oppositioneller. auch die Gewerkschaften in der BRD als „Systemhalter" zu bekämpfen. Das geschah in Mainz vor allem durch unrealistische Forderungen, die in einer Sprache gehalten waren, die viele Gewerkschaftsmitglieder schockieren mußte und wahrscheinlich auch sollte. Auf diese Weise wurde die Trennung von der Gewerkschaftsarbeit beschleunigt. Bisheriger Höhepunkt des Auseinanderstrebens war das Scheitern der jungen Leute beim Versuch, für den 1. Mai 1970 eine Umfunktionierung der gewerkschaftlichen Veranstaltung in eine Demonstration für Lehrlinge zu erreichen. Sie reagierten mit dem Vorwurf, die Gewerkschaften wollten sich absichtlich nicht für die Belange der Lehrlinge einsetzen. Seither sind „Arbeiterbasisgruppe" vnd SALZ, einzige APO-Gruppierung unter Arbeitnehmern in Mainz, auf Kampagnen und „Überzeugungsarbeit" außerhalb des DGB beschränkt. 3. Politisierung durch Publizierung Zwischen Artikeln über „schülerrevolte in der provinz", über Stadtteilbasisgruppen und „Architekturkommune", zwischen Inseraten von Verlagen und politischen Buchhandlungen oder Kleinanzeigen wie „Projektgruppe . Nahverkehr'sucht Fahrradspender — Räder sollen rot angestrichen und gratis zur Verfügung gestellt werden ..." finden sich auch Beiträge über „Unternehmer — rationalisierte Ausbeutung" und „Gewerkschaften — bürokratische Scheiße", „Berufsschüler in der IG Chemie".

Zusammengestellt von einer „Projektgruppe Information und Kommunikation" erschienen solche Beiträge zur Politisierung junger Berufstätiger freilich nur kurze Zeit in Frankfurt im Frühjahr 1969 in der „KOOPERATIVE, antiautoritäre Wochenzeitung der befreiten Gebiete".

Die Wirkungen solcher Publikationen auf Berufsschüler und Lehrlinge mag gering veranschlagt werden, ebenso wie die der vielen Flugblätter, besonders in einigen Berufsschulen. Es bleibt aber die Frage, inwieweit bei einzelnen jungen Leuten der Stellenwert von Veröffentlichungen, und das heißt ja meistens auch von Informationen über betriebliche, schulische, gewerkschaftliche und andere Interna, in ihr Bewußtsein kommt angesichts der manchmal recht interessanten Einzelheiten. Diese Überlegung zeigt aber nur einen Aspekt möglicher Politisierungsbeiträge durch Publikationen auf. Ein anderer Aspekt ist die solidarisierende Wirkung von Berichten etwa über Streiks oder Lehrlingsaktionen. Ohne Zweifel kann hiervon eine Stärkung, bei vielen überhaupt erst die Erzeugung von „Wir-Gefühlen" bis hin zur Unifikation ausgehen Erst an dritter Stelle kann derjenige Effekt genannt werden, der den vielen Produzenten politischer Flugschriften vielleicht der wichtigste ist: Agitation und „Aufklärung". Diese Wirkung erzielen hingegen am effektivsten andere Formen von Kommunikation und Berichterstattung, beispielsweise die „Veröffentlichung" bestimmter Mängel in Ausbildungsbetrieben, sei es nun durch Demonstration, durch Pressekonferenz oder öffentliches Hearing. Erst hier nämlich läßt sich von Öffentlichkeitsarbeit sprechen, weil nur durch Einschaltung .der Massenmedien eine breitere Öffentlichkeit Kenntnis erhält von Gegebenheiten, Absichten und Interessen, so daß eine Meinungsbildung etwa zugunsten „der armen Lehrlinge" erst dann einsetzen kann.

Läßt sich das Ergebnis politischer Mobilisierung junger Berufstätiger durch die verschiedenen Arten von Publizierung auch kaum eindeutig nachweisen, so sollen hier doch wenigstens einige Beispiele für solche Beiträge zur Politisierung erwähnt werden, die über die Tagesbedeutung von Flugblättern hinauszugehen scheinen.

Betriebszeitungen und Lehrlinge Nur in Ausnahmefällen kann vermutet werden, daß sich Lehrlinge für betriebs-und gewerkschaftspolitische Themen wie Aufsichtsratswahlen, Tarifverhandlungen, Lohngruppenunterschiede zwischen Frauen und Männern oder Zeitnahmeverfahren interessieren. Lehrlinge haben auch zumeist einen zu geringen Überblick, um Beiträge zu Firmengeschäftsberichten oder Arbeitsschutzfragen für ihren betrieblichen Alltag konkretisieren zu können. Solche Themen aber füllen den größten Teil von politischen Betriebszeitungen, wie man sie in vielen größeren Unternehmen kennt; gelegentlich gibt es sogar in einer Firma mehrere, wie z. B. die DKP-Betriebsgrup-penzeitung „Der Farbwerker" und daneben den „Rotfabriker. Arbeiterzeitung der Farbwerke Hoechst", herausgegeben von der Betriebsgruppe Höchst der SAG in Frankfurt (über sie wird im nächsten Abschnitt berichtet). Deshalb scheiden diese Typen betriebs-bezogener Polit-Zeitungen sicherlich bei der Beeinflussung von Lehrlingen aus.

Anders geht die „Sozialistische Betriebskorrespondenz" vor, die seit Anfang 1970 in Offenbach erscheint. Hier wird nicht nur über solche betrieblichen Vorkommnisse berichtet, die politisch von überörtlicher Bedeutung sind, wie etwa über spontane Streiks oder über Hintergründe und Auswirkungen des Konfliktes zwischen Betriebsräten der Klöckner-Hütte in Bremen und der IG Metall. Versucht wird auch, Informationen in die umgekehrte Richtung, also in die Betriebe zu lenken, indem allen Betriebszeitungen die Übernahme von Beiträgen aus der „Sozialistischen Betriebskorrespondenz" gestattet wird. Dazu eignen sich besonders interne Berichte und Informationen sowie allgemein interessierende Artikel. Als Beispiel dafür bietet die Juni-Ausgabe den Wortlaut der Rede eines Vertrauensmannes der IG Chemie auf der Vertrauensleutekonferenz im März 1970 in Frankfurt als „. . . ein Modell für die innergewerkschaftliche Auseinandersetzung . . . mit den verbürokratisierten und den Arbeiterinteressen weitgehendst entfremdeten Gewerkschaftsführungen und Betriebsräten" Die gleiche Ausgabe enthält unter der Überschrift „Die Kapitalisten haben das Wort" ausführliche „Betriebliche Streikabwehrmaßnahmen", die ohne Quellenangabe von Arbeitgeberseite stammen sollen.

In ähnlicher Weise wird in dieser Korrespondenz auch über Mietwucher oder Lehrlings-probleme geschrieben, so daß von diesem Pe-riodikum schon eher eine politisierende Wirkung auf junge Arbeitnehmer ausgehen könnte. Sie ist überdies in der ganzen BRD verbreitet und scheint einen Redaktionsstab gutinformierter und engagierter Betriebsräte zu besitzen.

Als besondere Attraktion schließlich liegt jeder Ausgabe je eine andere Betriebszeitung von Großunternehmen im Original bei; bisher der „Mitmischer" von Klöckner, Bremen, das „Plakat" von Daimler Benz, Untertürkheim und Sindelfingen, sowie Informationen über einen Musterprozeß, den die Firma Karmann gegen die Verwendung von Firmennamen in Betriebszeitungen oppositioneller Gruppen führt.

Einen anderen Ansatz zu überbetrieblich interessanter Publizierung in politischer Absicht zeigt im Frühjahr 1970 in Frankfurt „Roter Mai. Zeitung der Sozialistischen Arbeitergruppen (SAG)“. In einem Artikel dieser Zeitung heißt es unter der Fragestellung „Warum konnten die Lehrlinge noch keinen dauerhaften Erfolg im Kampf für ihre Interessen erzielen?": „Ein Grund dafür ist, daß die Lehrlinge, die bisher voneinander isoliert in den einzelnen Betrieben kämpften, kaum etwas über die Kämpfe anderer Lehrlinge wissen ... Die mangelnde Verbindung zwischen den einzelnen Betrieben kann nur durch eine überbetriebliche Organisierung der Lehrlinge gelöst werden. Die Funktionäre in den Gewerkschaftsapparaten, die eine solche Verbindung herstellen könnten, sind . . . nicht fähig, die unternehmerfreundliche Politik ihrer SPD-Freunde in der Regierung anzugreifen. .. . Auf Betriebsebene . . .setzen sich die Betriebs-und Personalräte nur selten für die Angelegenheiten der Lehrlinge ein. Die fühlen sich ja kaum gegenüber den älteren Kollegen verantwortlich, durch deren Stimme sie immerhin ihr Pöstchen erhalten. Gegenüber den Lehrlingen sehen sie gar keine Verpflichtungen mehr. . . . Die älteren Kollegen . . . geben den Lehrlingen die miesen Arbeiten, sie befehlen und stauchen sie zusammen, besser als der Unternehmer das könnte. Das geschieht nicht aus Böswilligkeit . . . Wie soll ein älterer Kollege einem Lehrling eine komplizierte Arbeit erklären, wenn er unter Zeitdruck steht? Sollen die älteren Kollegen selbst putzen, ihre Arbeitsleistung verringern und einen Teil ihres Lohnes riskieren? Da ist es einfacher, . ..den Druck ... an die Lehrlinge weiterzugeben. ... Die Lehrlinge Arbeiter müssen und die die . . . Verbindung zwischen ihren verschiedenen Interessen erkennen. Die Spaltung zwischen älteren Kollegen und Lehrlingen fördert allein den Profit des Unternehmers!"

Gegenüber solchen Solidarisierungs-Appellen zur Schaffung überbetrieblicher, aber außerge-

werkschaftlicher Zusammenschlüsse von Lehrlingen, womöglich gemeinsam mit politisch „erweckten" Arbeitern, muten Versuche von Lehrlingszeitungen in Einzelfirmen fast wie Eintagsfliegen an.

So erschien z. B. im Frühjahr 1970 anläßlich personeller Schwierigkeiten in der gewerblichen Ausbildung eines Elektro-Großbetriebes in Frankfurt eine Lehrlingszeitung mit dem gesucht symbolischen Titel „Nothing". Besonders aktive Jugendsprecher stellten darin bestimmte Aspekte der Ausbildung zur Diskussion, ohne jedoch Analysen wie den zitierten Artikel aus der SAG-Zeitung „Roter Mai" zur Grundlage einer überbetrieblichen Strategie zu machen. Einen Effekt freilich erreichten die jungen Leute mit ihrer Lehrlingszeitung: Der Rundfunk brachte in einer Reportage für Jugendliche Schilderungen aus und über „Nothing", womit eine „Veröffentlichung" im eigentlichen Sinne herbeigeführt wurde

Unternehmen im Sog der Öffentlichkeit Das Arbeitsgericht Frankfurt bestätigte 1969 die fristlose Entlassung eines Laborantenlehrlings, weil er sich in Betrieb und Firmenwohnheim „bewußt gegen die bestehende Ordnung auflehnte" Das Arbeitsgericht Darmstadt hob die fristlose Entlassung eines 20jährigen Laboranten auf, der sich auf dem Betriebsgelände an Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze beteiligt hatte. Begründet wurde der Freispruch „mit seinem Recht, auch gegen sein eigenes Unternehmen zu demonstrieren"

Wichtig für die Beteiligten dieser beiden Prozesse und für deren Beiträge zur Politisierung junger Berufstätiger erscheint nicht nur der Widerspruch in den Urteilen der beiden Gerichte, die innerhalb weniger Monate gefällt wurden, relevant ist für politische Nachwirkungen das Interesse der Öffentlichkeit. Genau darum geht es in den zahlreich gewordenen Vorhaben, ob sie nun von den Gewerkschaften getragen werden wie der wöchentliche „Jour fixe" der Gewerkschaftsjugend in Hamburg (seit Herbst 1969) und eine ähnliche Einrichtung im gewerkschaftlichen Jugendclub U 68 in Frankfurt, das „Lehrlingscenter" (seit Mai 1970), ob die SDAJ Fragebogenaktionen an Berufsschulen des Ruhrgebietes durchführt, ob der Hessische Rundfunk seit Oktober 1969 in monatlichem Abstand eine Jugendfunk-Sendereihe „Junge Leute im Betrieb" mit Reportagen aus einzelnen Betrieben und anschließender Diskussion zwischen deren Jugendvertretern und Ausbildungs-Verantwortlichen bringt, ob „Rote Panter" in Frankfurt (und andere Gruppen anderswo) Freisprechungsfeiern zu stören versuchen, ob bei einer solchen Feier in ganz besonderer Weise ein Eklat von einigen der Freigesprochenen herbeigeführt werden kann wie von Siemens-Lehrlingen in München — stets ist ein meinungsbildender Effekt in der Öffentlichkeit beabsichtigt, oft auch erreicht. Die Unternehmen scheinen in dieser Lage einem doppelten Dilemma gegenüberzustehen bzw. manchmal ausgeliefert zu sein. Die erste Schwierigkeit ergibt sich für sie aus einem Wandel von Ansichten über das, was privat und was öffentlich sein soll. Mit dem früher selbstverständlichen Standpunkt, daß hinter den Fabriktoren ein privatrechtlich abgesicherter Eigenbereich beginne, der Betriebsfremden versperrt bleibt und Betriebsangehörige zu Schweigen über die dort ablaufenden Prozesse verpflichtet, ist spätestens seit Praktizierung von Arbeitsrecht und Tätigwerden starker Einheitsgewerkschaften nach 1945 de facto nicht mehr als für die Öffentlichkeit akzeptabler Norm zu rechnen.

Immerhin bedeutete diese Entwicklung aber auch keine „Veröffentlichung" von sozialen Betriebsgeschehnissen als Selbstverständlichkeit. Diese Tendenz zur Interessierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit für die Verhältnisse in ganz bestimmten Bereichen der Gesellschaft hat wohl erst die Studentenrebellion in der BRD hervorgerufen. Seither können sich z. B. Gewerkschaften oder politische Betriebsgruppen diesen Trend zunutze machen — obwohl gerade die Gewerkschaften sich deutlich von den Formen studentischer „Öffentlichkeitsarbeit" distanziert haben. Für bessere, in der Öffentlichkeit akzeptierte Formen haben sie ja auch die erforderlichen Mittel und die organisatorischen Voraussetzungen. So hat es den Anschein, als müßten sich die Betriebsleitungen auf lange Sicht immer mehr mit einer Art zunehmender sozialer Sensibilität der Öffentlichkeit auseinandersetzen, indem sie bestimmte betriebliche Maßnahmen nicht nur für die künftige Bilanz, sondern auch nach außen vertreten müssen.

Bei der Vertretung unternehmenspolitischer Ansichten und Entscheidungen nach außen aber wird ein zweites Dilemma deutlich. Seit vielen Jahren bemühen sich besonders größere Firmen um einen guten Klang ihres Namens in der Öffentlichkeit. Eigene Public-Relations-Abteilungen sind damit befaßt, sogar noch Stellenangebote mit der Werbung für die Güte des Unternehmens, seiner Sozialleistungen und des Betriebsklimas auszustatten. Beim „Tag der offenen Tür" darf sogar jeder Interessierte einmal durch eigenen Augenschein Beweise für die Qualität von fachlichen, sozialen und anderen Einrichtungen zur Kenntnis nehmen. Die meisten Geschäftsleitungen bemühen sich darüber hinaus um ein gutes Verhältnis zur Tagespresse, ja auch zu Gewerkschaftssekretären.

Um so auffälliger muß dann jedesmal die strikte Zurückhaltung wirken, wenn Konfliktfälle des gleichen Betriebes nach außen dringen. Das ruft den Eindruck hervor, als würde eine riesige, schalldichte Plastikhülle um die gleiche Baustelle gezogen, in deren Umzäunung die Bauleitung absichtlich hat Schaufenster aussparen lassen, damit sich jedermann über die beeindruckenden technischen Leistungen bei dem Bauvorhaben überzeugen kann. Die Folge dieser kontroversen Haltung mancher Unternehmen ist die Provozierung besonders von kleineren und wendigen Oppositionsgruppen, sich immer wieder neue Tricks ausdenken, um dennoch Öffentlichkeit herzustellen. In diesem Licht kann ein schlecht abgezogenes Flugblatt auf billigem Papier oft einen großen Konzern in Verlegenheit bringen. Die Parallele zur Ängstlichkeit vor Publizierung auf anderen Gebieten drängt sich hier auf, die z. B. die New Yorker Börse argumentieren läßt, deshalb könnten deutsche Aktien nicht gehandelt werden. Die Kehrseite einer konfliktverschweigenden PR-Arbeit aber ist die Stärkung einer „Gegenöffentlichkeit", die aus dem dichter werdenden Geflecht unterschiedlicher politischer Homespun-Periodika besteht. Uber ihren Stellenwert in der BRD und damit auch über ihre vermutliche Bedeutung bei der Politisierung junger Berufstätiger heißt es im Vorspann zum „apo adreßbuch '69/70": „Die Solidarität steigt, wenn die Kommunikation sich verstärkt . . . Eine dezentral operierende, aber miteinander häufig kommunizierende, widersprüchliche, aber ihre Widersprüche rational aufarbeitende Oppositionsbewegung ist unter den gegenwärtigen Bedingungen schwer zu zerschlagen." 4. Politische Klubs im Rhein-Main-Gebiet Häufig mit ganz anderen Motivationen gegründet, ging vor allem in den Jahren 1968 und 1969 politische Arbeit von und mit Lehrlingen auch von politischen Klubs aus. Ziele und Selbstverständnis dieser Treffpunkte junger Erwachsener sind und waren dabei aber ebenso unterschiedlich wie ihre Entwicklungen, von denen hier nur einige als Beispiele erwähnt werden.

Modell „Club Voltaire" (CV)

Sehr bewußt wählten junge Leute in Frankfurt Ende 1962 den Namen Voltaires bei der Gründung ihres Klubs. In seinem Sinne wollten sie Toleranz und Aufklärung durch Austausch verschiedener Ansichten üben. Die Offenheit für alle Richtungen verbot einseitige Festlegung. Getreu dem großen Vorbild lag außerdem ein Hauptakzent auf der Verbindung politischer Themen mit ästhetischen Formen, ausgedrückt im Namenszusatz „Politisch-literarischer Club".

Die hauptsächlichen Kennzeichen für die Arbeit dieses Typus von politischem Klub sind zu sehen in der Selbstverwaltung einschließlich beachtlicher ehrenamtlicher Pflichten der Mitglieder; in der Ausarbeitung fester Programme mit Bildungscharakter (in Klub-atmosphäre); in der Bestimmung dieser Atmosphäre durch die Mitgliederstruktur (etwa je ein Viertel Schüler, Studenten, Angestellte und Lehrlinge; kaum Arbeiter); in der Förderung der Klubarbeit durch öffentliche Mittel sowie durch andere Unterstützung seitens der städtischen Jugendpflege; endlich in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins als Träger von Klub und Ausschank.

Die bürgerliche Grundeinstellung dieser Art politischer Klubarbeit wird schlaglichtartig erhellt vom Motiv eines Anschlags auf den CV Frankfurt: Im November 1967 warfen vier Rok-ker Molotow-Cocktails in die Klubräume, weil man ihnen wegen ihrer abenteuerlichen Aufmachung kein Bier hatte ausschenken wollen. Solche gutbürgerlichen Schranken wurden freilich im Verlaufe des stürmischen Jahres 1968 bald weggefegt, als auch der CV ein Ort harter Auseinandersetzungen wurde, getragen hauptsächlich vom SDS. Seinen Forumscharakter allerdings konnte der Club auch damals wahren, weil er die Kontinuität seiner für politische Diskussionen geschaffenen Einheit von Ruf, Räumen mit Service und Interessenten einzubringen vermochte. Spezielle Lehrlings-arbeit entstand 1968 nur ansatzweise in einer Arbeitsgruppe.

Inzwischen ist auch im CV wieder Ruhe und Rückbesinnung auf die ursprünglichen Ziele eingetreten, verschärft freilich, wie überall, von der irreversiblen gesellschaftskritischen Grundhaltung, die mit der Rebellion der Studenten aufgebrochen ist.

Eine völlig andere Entwicklung bei etwa gleichem Beginn zeigte sich im Club Voltaire in Wiesbaden. Die Merkmale der anfänglichen Arbeit im Dezember 1967 wurden in einem „Arbeitspapier zur Neukonzipierung eines Club Voltaire" vom Juni 1969 charakterisiert „. . . als Sammelbecken’ aller Linken, die Liberalen eingeschlossen, und als gutbürgerliches Diskussionszentrum, als Stammtischersatz . ..", was „. . .den damaligen provinziellen Verhältnissen in Wiesbaden angemessen war (womit wiederum nicht gesagt werden sollte, daß der provinzielle Charakter der Bewegung in Wiesbaden überwunden sei)."

Auch hier trat eine Änderung mit den politischen Wirkungen der Studentenunruhen ein. Neben dem nur teilweise verjüngten Mitgliederstamm bildeten sich Arbeitskreise und Projektgruppen, die Aktivitäten nach außen trugen, vor allem in Kampagnen gegen den Wehrdienst. Diese aktiven jungen Leute wollten die formale Mitgliedschaft nicht erwerben, wenn der Club nicht seine Struktur änderte. Anstelle von mehr oder minder aktiven, aber allein stimmberechtigten Mitgliedern sollten künftig nur gewählte und abwählbare Delegierte der Basis-und Projektgruppen die Mitgliedschaft erhalten. Sie würden dann einen Delegiertenrat bilden, der aus seinen Reihen den Vorstand zu wählen hätte.

Auch während dieser Periode heftiger interner Organisations-und Zieldebatten erhielt der CV Wiesbaden noch Zuschüsse der öffentlichen Hand, weil er die Rechtsform des e. V. beibehielt und Veranstaltungsaktivitäten nachweisen konnte.

Unter den Mitgliedern bzw. Mitarbeitern dominierten Lehrlinge, junge Arbeiter und Angestellte gegenüber Schülern und wenigen Studenten. Überhaupt legten sie wenig Wert auf die Mitwirkung von Studenten, sei es als Individuen, sei es als Mitglieder studentischer Organisationen. Zum SDS bestanden lockere, mehr freund-nachbarschaftliche Beziehungen. Dessenungeachtet stellte das Arbeitspapier für den CV fest: „Ziel ... ist nicht die Schaffung eines , Diskussionforums'etc., sondern die Entwicklung und Praktizierung effektiver Kampfmaßnahmen zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse."

Dazu kam der Club freilich nicht mehr: er löste sich Anfang 1970 auf. Einzelne Gruppen jedoch arbeiten unorganisiert oder bei gleichzeitiger Kooperation mit gewerkschaftlichen Jugend-kreisen weiter. Beteiligt sind überwiegend junge Arbeiter und vor allem Lehrlinge. Geht es ihnen seit dem letzten Winter vorwiegend um theoretische und Bewußtseinsbildung, so haben sie doch nicht die Absicht aufgegeben, auch in Betrieben wirksam zu werden.

Modell „Republikanischer Club" (RC)

In Berlin riefen 1966 elf prominente „Linke", darunter der FDP-Vorsitzende Borm, zur Sammlung Oppositioneller an einem Ort ohne „Vereinsmeierei und institutionelle Betriebsamkeit" auf. Im Frühjahr 1967 wurde daraufhin der „Republikanische Club e. V." gegründet. Seine Mitglieder sind laut Satzung „. . . als Teil der politischen Linken . . .den in Deutschland schwach entwickelten republikanischen Traditionen verpflichtet".

Von vornherein versteht sich also diese Art von politischem Klub richtunggebunden. Das gleiche gilt für die 1968 entstandenen Republikanischen Clubs in Mainz, Darmstadt, Hanau, Frankfurt-Höchst, Bad Homburg u. a. Ein Teil dieser Klubs hat sich inzwischen aufgelöst oder ist wie z. B. in Mainz ganz auf studentische Belange ausgerichtet. Ein Unikum im Sinne des Wortes stellt der „Sozialistische Club" in Frankfurt dar. Bei seiner Gründung gab es zunächst eine Debatte darüber, ob er ebenfalls „republikanisch" zu nennen sei. Dafür plädierte z. B.der linksorientierte unabhängige Kabarettist Rudolf Rolfs mit dem Argument, daß im Falle einer sozialistischen Firmierung die Arbeiter davon abgestoßen würden. Doch er wurde überstimmt; u. a. hielt ihm Daniel Cohn-Bendit in der damals (16. Dezember 1968) noch typischen, illusionären Einstellung des SDS entgegen, die Arbeiter seien ohnehin nicht durch einen Club, sondern allein mit Aktionen mobiliserbar.

Interessant war in dieser Gründungsnacht auch das Votum des DKP-Vorstandsmitgliedes Ellen Weber gegen die Benennung „sozialistisch". Adorno-Schüler Oskar Negt entlarvte es als taktischen Schachzug, mit dem eine für Kommunisten unerwünschte Sozialismus-Konkurrenz verhindert werden sollte. Das gelang nicht, denn die dominierenden SDS-Anhänger konnten eine Abstimmungsmehrheit für die Firmierung „Sozialistischer Club" und für die vorläufige Annahme einer Satzung sowie eines Aktionsvorstandes erzielen.

Von gewichtigen Aktionen dieses SC ist nichts bekanntgeworden; das Satzungskriterium der Offenheit und Zugänglichkeit für jedermann wird freilich auch kaum praktiziert.

Belangvoll für die Politisierung von Lehrlingen im Raum Frankfurt scheint allein ein einziges SC-Vorhaben zu sein. Das ist die — un-geplante — Weiterführung von Aktivitäten der „Pojektgruppe Betriebe im Sozialistischen Club" durch die „Sozialistischen Arbeitergruppen (SAG)" in Frankfurt (s. dazu nächsten Teil).

Das einzige lokal funktionierende Zentrum linker Kommunikation und Koordinierung im ganzen Rhein-Main-Gebiet, in seiner Absicht und Wirkung freilich örtlich beschränkt bleibend, scheint der RC Darmstadt zu sein. Obschon seit seiner Gründung finanziell am Rande der Agonie existierend, bietet dieser Klub Angehörigen aller Strömungen eine Heimstatt. Hier treffen sich neben Schülern und Studenten auch junge Gewerkschaftler und Lehrlinge; politische Schülergruppen sind ebenso vertreten wie linke Studentenassoziationen der Technischen Hochschule. Man tauscht Informationen über die Verhältnisse an Schulen, an der TH, in Betrieben und anderswo aus, betreibt theoretische Reflexionen und bereitet gruppenweise Aktionen vor. Bisher größter Erfolg dabei war die Verhinderung einer NPD-

Großkundgebung in Darmstadt im September 1969. Der Polizeipräsident verbot diese Kundgebung, nachdem von seifen des RC ihre Sprengung öffentlich angekündigt worden war.

Auch andere Veranstaltungen des Bundestags-wahlkampfes im Raum Darmstadt wurden vom Klub besucht, agitiert und manche gestört.

Lehrlingsbezogene Arbeit hat im RC Darmstadt Tradition, war er doch, wie berichtet, auch Heimstatt für die Darmstädter SAG. Es ist nicht bekanntgeworden, ob auch jene zehn Lehrlinge eines Kaufhauses zu den Clubbesuchern gehörten, die 1969 mit offenem Diebstahl gegen ihre Ausbeutung protestieren wollten und daraufhin entlassen wurden. Es hat allerdings nicht den Anschein, als ob sie im RC zu solch einer unsinnigen Handlung angestiftet worden sind, deren unabwendbare Konsequenzen sie allein tragen mußten; denn das Ausmaß von Solidarität, das als geltende Norm in diesem Club zu herrschen scheint, könnte einen derartigen Plan nicht zulassen.

Die gleiche Solidarität läßt freilich seit Anfang 1970 kaum noch interne Informationen und Vorhaben nach außen dringen, so daß über Lehrlings-und Betriebsarbeit des RC nichts mehr bekanntgeworden ist.

Vermutungen zur Zukunft politischer Klubs Das plötzliche Entstehen zahlreicher politischer Klubs kann ebenso wie die spontane Entfaltung einer außerparlamentarischen Opposition nicht ohne die Parlaments-, ja Demokra19 tieverdrossenheit in der Bundesrepublik erklärt werden — obgleich diese Tendenzen nur zu einem Teil jene Bewegungen verständlich machen.

Dazu sagte Ernst Fraenkel schon Anfang 1966: „Anläßlich der Bundestagswahl des Jahres 1965 machte sich ein weit verbreitetes vages politisches Unbehagen geltend, das in einer nur unscharf artikulierten Kritik an dem Bonner parlamentarischen Betrieb in Erscheinung trat . . . Dem parlamentarischen Kurzschluß der Zeit vor 1933 ist die parlamentarische Langeweile nach 1945 gefolgt . . (so) daß mangels ausreichender Spannungen der Parlamentarismus einzutrocknen droht. . . . Die neu-deutsche Parlamentsverdrossenheit kann nur überwunden werden, wenn die Parteien und Gruppen von innen belebt werden . .

Statt dessen aber schlossen sich zumindest die Parteien nach außen ab, weshalb der Politologe Horst Heimann feststellte: „Bis zur Bildung der Großen Koalition konnten die Wähler zwar noch entscheiden, welche Partei in der Bundesrepublik die Politik machen durfte; aber bei den politisch Interessierten . . . entstand der Eindruck, daß sich die . . . Politik in wichtigen Fragen immer mehr unter Ausschluß der Öffentlichkeit allein in den Führungsgremien der Parteien vollzog."

Vollends enttäuschend mußte dann der Wegfall einer potenten Opposition wirken, wie das mit der Bildung der Großen Koalition geschah. Der „Arbeitskreis Sozialistische Strategie im RC Hamburg" meint dazu nicht zu Unrecht: „Die mit der Enttäuschung gewonnene Distanz drückte sich im Begriff , Außerparlamentarische Opposition'aus, der aber negativ an den Parlamentarismus fixiert blieb. Große Koalition löste Gründungen aus (RC) mit den Konzepten, enttäuschte Liberale aufzunehmen und radikaldemokratische Aktionen so konsequent durchzuführen, daß sie die Notwendigkeit der Sprengung des Systems sinnfällig machen . . . (sollte)"

Damit ist die eine Hauptfunktion politischer Klubs während der Blütezeit der APO angesprochen: Reflexion, Diskussion und Koordination politischer Aktionen zur Ingangsetzung einer gesellschaftlichen Dynamik, für die jeglicher Impuls seitens der dazu Gewählten in Parlament und Regierung auszubleiben schien.

Für politische Klubs fordert deshalb das schon erwähnte „Arbeitspapier zur Neukonzipierung eines Clubs Voltaire" in Wiesbaden: „Für die Bewegung (= APO, K. H.) kann der Club eine Funktion haben, wenn sie als Stützpunktfunktion verstanden wird . . . Das bedeutet eine prinzipielle Verbesserung der gegenseitigen Information und Kommunikation über die Koordination der Arbeit der Basis-und Projekt-

gruppen mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und Räume."

Zugleich aber zeigte der Wiesbadener Klub wie viele andere in den innerorganisatorischen Experimenten eine zweite Hauptfunktion von politischen Klubs: Schaffung von Modellen bürokratie-und herrschaftsfreier Selbstorganisation engagierter junger Deutscher, die nach ihrem Selbstverständnis eher einer Demokratie entsprachen als die vorhandenen Strukturen in der BRD. Im CV Wiesbaden sollte das Modell stark rätedemokratische Züge tragen. Damit ist ein Symptom erwähnt, das in den letzten Jahren häufiger zu beobachten gewesen ist und von Rene Ahlberg gerafft so erklärt wird:

„Auch die nur wenig aufgehellten Prozesse im Zusammenhang mit der rapiden Entwicklung einer entfalteten Industriegesellschaft in der Bundesrepublik haben extremistischen Theorien Auftrieb verschafft und den Verdacht bestärkt, daß die parlamentarische Demokratie unter diesen Entwicklungsbedingungen historisch überholt sei und neuen Formen der . . . gesellschaftlichen Organisation weichen müsse. ... Auf der Suche nach historisch noch un-verbrauchten politischen Alternativen zur bestehenden Demokratie in der Bundesrepublik bot sich . . . das Modell der Räte als eine revolutionäre und radikaldemokratische Organisationsform an, . . . (das) sehr bald den Charakter einer politischen Heilslehre angenommen hat. Der Glaube an die erlösende Kraft der Räteorganisation . . . motiviert dann das subjektive Rechtsbewußtsein derjenigen, die die Anwendung von Gewalt gegen die bestehende Demokratie für legitim halten."

Politische Klubs als Motoren und Träger solcher und anderer Modelle eines neuen Demokratieverständnisses scheinen heute aber keine Zukunft mehr in der BRD zu haben. Denn abgesehen von zahlreichen Selbstauslösungen können sie ihre Funktionen offenbar aufgrund fehlender Ziele nicht mehr wahrnehmen: Die Konzeption, als Stützpunkte für gesellschaftsverändernde oder zumindest be-wußtseinsbildende Aktionen zu dienen, ist mit der fehlenden Resonanz in der Bevölkerung ebenso hinfällig geworden wie die ganze APO; Parlamentsverdrossenheit und Kritik an politischem Immobilismus früherer Bundesregierungen sind einer spannungsreichen Polarisierung nach den letzten Bundestagswahlen von 1969 gewichen, die nicht nur einen Machtwechsel und neue Politik gebracht haben, sondern auch eine starke Opposition; die modell-bildende Funktion in Richtung radikaldemokratischer Selbstorganisation schließlich mußte als Fart pour Fart mit dem Schwinden inhaltlicher Ziele für solch neue Organisationsformen in sich zusammen-bzw. automatisch wegfallen. So blieb denn nur eine Alternative, die , freilich von den meisten Klubs abgelehnt wird: die Rückkehr zum politischen Diskussionsforum. Der Club Voltaire in Frankfurt ist diesen Weg bewußt und anscheinend begründet gegangen; die meisten anderen Klubs fallen der Auflösung anheim. Mehr Zukunft scheinen andere Modelle der Selbstorganisation zu haben: die Basisgruppen.

II. SDS-Erben auf neuen Wegen

Kurz vor der Selbstauslösung des SDS im März 1970 schrieb Frank Wolff über die Zukunft der revolutionären Bestrebungen politisch aktiver Studenten: „, Von selbst'wird sich ungefähr folgendes ergeben: Gruppierungen gleichen Praxisbereiches (wie z. B. BMW-Gruppe München und Harzer Gruppen Berlin) tauschen Informationen aus und führen gemeinsame Diskussionen; gelegentlich berufen selbsternannte Initiativgruppen zentrale Seminare ein. . .; daneben werden theoretische Kontroversen vorwiegend publizistisch ausgetragen . .. die Zeit der . informellen Kader', wie sie den Protest-und Widerstandsaktionen entsprachen . . ., ist vorbei"

Etwas deutlicher kündigte Ende März 1970 das ehemalige SDS-Bundesvorstandsmitglied Udo Knapp an: . eine proletarische Kampforganisation . . . wird maßgeblich auf Erfahrungen beruhen müssen, die . . .dezentralisiert, in der konkreten Praxis einzelner Gruppen, gemacht werden müssen. ... In der Durchführung gemeinsamer Aktionen konstituieren sich für den Kampf des Proletariats parteiliche Kerne aus Studenten, Schülern, Lehrlingen und jungen Arbeitern."

Die Gründung solcher Gruppen ist längst geschehen; zumindest im Industrieraum Frankfurt spüren Betriebe und Berufsschulen ihre Aktivitäten. Damit scheint sich nach dem Scheitern anarchistischer Massen-und Gewaltaktionen allmählich zu realisieren, was Rudi Dutschke Anfang 1968, noch vor dem Beginn der bundesweiten Studentenrebellion, zukunftsicher prophezeite: „Unsere historisch richtige Beschränkung auf die Arbeit in der Universität darf nicht fetischisiert werden. Eine revolutionäre Dialektik der richtigen Übergänge muß den . langen Marsch durch die Institutionen'als eine praktisch-kritische Tätigkeit in allen ge-sellschaftlichen Bereichen begreifen ... In den Industriebetrieben bilden sich die ersten autonomen Basisgruppen, die . . . die autoritären Zwänge der Hierarchie der Betriebsstruktur zu bekämpfen versuchen."

Dieser strategische Ansatz ist inzwischen weiterentwickelt worden. In einer „Analyse der antiautoritären Bewegung" vom Sommer 1970 heißt es dazu: „Statt in der Kritik globaler, gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge sich zu erschöpfen, beginnt die aaB (= antiautoritäre Bewegung, K. H.) ihre sozialistische Arbeit — in der Orientierung an den Bedürfnissen — konkret auf dem Weg über das sachliche Interesse an der eigenen Berufstätigkeit. Dieser Ansatz ist ... für jeden möglich, als Politisierung unmittelbarer Interessen allgemein verständlich und ermöglicht die politische Zusammenarbeit von Angehörigen verschiedener Klassen am Arbeitsplatz. . . . (Es sollen) nicht mehr . Massen'schlechthin erreicht werden . . ., sondern . Zielgruppen'besonders des Ausbildungssektors (Studenten, Lehrlinge, Schüler), denn die Politisierung von Jugendlichen ist effektiver, die Ausbildungsmisere kennzeichnet gegenwärtig das System (nicht ökonomische Not) und in allen Industrie-gesellschaften wächst die Bedeutung der Ausbildung." Zu dieser Strategie gehört für den Raum Frankfurt außerdem die enge Verbindung des Vorgehens bei Lehrlingen und bei Arbeitern, ansetzend zumeist im gleichen Betrieb. Solche Bemühung um arbeitnehmerbezogene Politisierung muß zunächst verwundern, weil es sich bei den Initiatoren ja um Studenten, häufig Sozialwissenschaftler mit esoterischer Fachterminologie handelt. Derartige Sprach-barrieren trennten die gleichen Studenten bei den gleichen Bemühungen vor zwei Jahren von der Arbeiterschaft, und was an gutem Willen zur Solidarisierung bei einzelnen Arbeitern und Gewerkschaftlern übrigblieb, wurde von der Arroganz der die Welt durch sofortige Revolution zu verbessern entschlossenen Studenten rasch beiseite gefegt.

Wer diesen Effekt im Frühjahr und Sommer 1968 in Frankfurt miterlebte, etwa gelegentlich einer der Massenzusammenkünfte von Studenten und Berufstätigen, der mag heute den Erfolg studentischer Betriebspolitisierung von vornherein bezeifeln. Und doch gilt es diesen Trend zu registrieren, denn die jetzt noch aktiven Studentengruppen vollziehen bei sich, was sie noch vor einem Jahr stets nur von den anderen verlangten: einen beachtenswerten Lernprozeß.

Sie sind jederzeit bereit, begangene Fehler einzugestehen, und bemühen sich selbstkritisch um deren künftige Vermeidung. Sie sind — wie zitiert — von den hehren Höhen globaler Gesellschaftskritik herabgestiegen zur mühseligen Kleinarbeit von brockenweiser Informationssammlung zwecks Aufzeigen konkreter, einzelner Mißstände etwa in der betrieblichen Praxis beruflicher Ausbildung. Dabei bemühen sie sich überwiegend, allgemein-verständlich zu formulieren und sind, was im Winter 1969/70 in Frankfurt typisch schien, stark interessiert an einem mehrmonatigen Job als Hilfsarbeiter, um Milieu und Alltags-nöte einfacher Arbeiter am eigenen Leibe zu erfahren und von dieser Art von Wissen her mit Arbeitnehmern solidarisch zu reden und zu handeln.

Vielleicht gehört zu diesem beachtlichen Wandel in der Einstellung revolutionärer Studenten auch der geänderte Stellenwert der Sexualität: War noch 1969 in Diskussionen mit jungen Berufstätigen und oft auch auf Flugblättern ein schockierendes Sex-Vokabular für sehr viele Revolutionsanhänger typisch, so ist diese theoretisch wohlbegründete Verhaltensweise seit Anfang 1970 nicht mehr zu spüren. Insgesamt kann somit vielleicht vom Beginn einer neuen Phase studentischer Bemühungen um gesellschaftliche „Strukturveränderungen" gesprochen werden. 1. Betriebsgruppenarbeit Ganz am Rande der damals sehr dynamischen Bemühungen um geeignete Ansätze zur Bewußtseinsveränderung der Bevölkerung vermittels spektakulärer Aktionen entstand beim SDS in Frankfurt Anfang 1968 eine Betriebsprojektgruppe. Im Gegensatz zu den Basis-gruppen wurden Projektgruppen vor allem bei solchen Vorhaben gegründet, bei denen die konkrete „Basis" für theoretische Reflexionen und praktische Aktionen erst geschaffen werden sollte.

Die SDS-Betriebsprojektgruppe erschöpfte sich bald in reinem Theoretisieren und blieb deshalb im Trubel der Frühjahrsunruhen und des heißen Sommers 1968 mit all ihren Nachwirkungen eine unbedeutende Randerscheinung.

Im Wintersemester 1968/69 erfolgte dann offenbar auch in Frankfurt eine Reaktivierung der Absicht, in Betrieben an den Gewerkschaften vorbei politische Bewußtseinsbildung zu betreiben. Gleiche Bestrebungen versuchte der SDS wohl auch in anderen Industriezentren zu realisieren. So äußerte Rheinhart Wolff, seinerzeit Sonderbeauftragter des SDS-Bundes-Vorstandes, im Mai 1969 in einem Gespräch mit Werner Höfer: „ ... in Westberlin . . . bei der AEG-Turbine . . . gingen im Frühjahr über 2000 Arbeiter spontan auf die Straße vor das Werk, um gegen Verlagerungspläne zu protestieren, und zwar mit dem Ruf: , Jetzt machen wir es so wie die Studenten!'In diesem Werk gibt es eine Betriebsbasisgruppe sozialistischer Arbeiter. Diese Arbeiter führen selbsttätig fort, was Studenten an sozialistischer Kritik am kapitalistischen Produktionsprozeß . . . ansatzweise formuliert haben. Eine ähnliche Arbeit gibt es in Frankfurt, Heidelberg, in München und im Ruhrgebiet."

Neben der Bestätigung, daß der SDS spätestens seit dieser Zeit auch eine Politisierungskampagne in Betrieben begonnen hatte, enthalten Wolffs Angaben — etwas versteckt — zwei Hinweise auf die Art dieser Betriebs-arbeit. Erwähnt wird zunächst die Betriebsbasisgruppe als Organisationsform. Damit ist jene Form der Selbstorganisation angesprochen, die in Berlin im Zusammenhang mit den Studentenunruhen entstand. Basisgruppen befassen sich theoretisch mit bestimmten Bereichen zum Zweck ihrer gleichzeitigen praktischen Umgestaltung. So wurden z. B. an Universitäten Basisgruppen Germanistik und Medizin gegründet, um die vorhandene Organisation der Fakultäten durch bessere zu ersetzen, die größeren Lerneffekt ermöglichen sollten. Es gab aber auch Basisgruppen Springer-Aktion, Kindergärten, Flugblattdruck u. v. a. Die Arbeit der Basisgruppen soll antiautoritär geschehen. Deshalb wird auch bewußt darauf verzichtet, Modelle zu schaffen. Vielmehr soll jede neue Gruppe zur Entfaltung ihrer eigenen Schöpfer-kräfte bei der Bewältigung der selbstgestellten Aufgaben genötigt werden. Dieses Prinzip ist an der Vielfalt verschiedenartigen Vorgehens von Betriebsbasisgruppen allein in Frankfurt sehr deutlich erkennbar, irritiert freilich auch manchen Beobachter bis hin zu der falschen Schlußfolgerung, solche Vielfalt sei unkoordinierte Spontaneität und deshalb mit Sicherheit Anzeichen der Erfolglosigkeit. Wenn Reinhart Wolff allerdings meinte, „die Arbeiter führen selbsttätig fort, was Studenten . . . formuliert haben", so war das eine starke Überschätzung. Damit kommt nun der zweite Hinweis, bezogen auf die damalige Strategie des SDS für Betriebsarbeit:

Beabsichtigt war die Gewinnung politisch aktivierbarer Arbeitnehmer, die innerbetrieblich in kleinen Gruppen tätig werden sollten. Ihr Ansatz mußte eine „gute Gewerkschaftsarbeit außerhalb der Gewerkschaften" sein, das heißt das Engagement für die Belegschaft über jenes Mittelmaß hinaus, das bis etwa 1969 in der Tat für viele Routiniers unter Betriebsräten und Gewerkschaftssekretären kennzeichnend war. Deshalb konnte es aussichtsreich für den SDS erscheinen, daß die aktiven Minderheiten ihrer Betriebsgruppen, getragen vom Vertrauen der apathischen Mehrheiten von Betriebsangehörigen, allmählich in wichtige Positionen der Betriebsverfassung und Betriebsgewerkschaftsarbeit Eingang finden würden.

Von dort aus hätte dann das sozialpolitische Engagement natürlich sehr viel effektiver ausgestaltet werden können. Dabei sollte aber — in Abhebung von den gleichen traditionellen Bestrebungen der Gewerkschaften — auch die politische Bewußtseinsbildung im Betrieb entwickelt werden, etwa durch Hinweise auf so verstandene Strukturmängel der kapitalistischen Produktionsund Verteilungsmechanismen. Auf diesem Wege sollten Verständnis, Bereitschaft und Mitwirkung bei radikalen Strukturänderungen erreicht werden.

Diese in einigen Teilen an kommunistische Betriebsarbeit erinnernde Konzeption konnte in der skizzierten Art bisher offenbar nicht realisiert werden, weil sich 1969 teils unvorhersehbare, teils auch von Außenstehenden vermutete „Hindernisse" bei der Arbeiterschaft zeigten. Drei der am wichtigsten erscheinenden sind hier anzudeuten: 1. Unvermutet demonstrierten westdeutsche Arbeiter bei den spontanen Streiks im Früh-herbst 1969 ein neuentstandenes Selbstbewußtsein, mit dem weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften, weder Politiker noch der SDS gerechnet hatten. In diesem stärker gewordenen Selbstgefühl konnten die Arbeiter auch im Rhein-Main-Gebiet kaum an einer von außen initiierten Politisierung interessiert sein.

2. Zumindest für die Studenten unerwartet, entwickelte ein Teil der Gewerkschaften 1969 größere Aktivität in den Betrieben, neue Strategien und auch stärkere Politisierungsbereitschaft. Das mußte einerseits der Streikbewegung entgegenkommen, wurde andererseits aber auch von ihr mitbewirkt (s. ersten Teil). Für die allmählich anwachsende Minderheit von Arbeitnehmern in mittleren Lebens-jahren, die jüngstens im schroffen Gegensatz zu ihren eher opportunistisch eingestellten älteren, aber auch zu den mehr umstürzlerisch eingestellten jungen Kollegen Ansätze politischen Interesses und Engagements zeigen, bedeute diese Öffnung der Gewerkschaften die ihnen adäquate Möglichkeit zur Mitwirkung. Damit dürfte dies Potential den Bemühungen der SDS-Betriebsgruppenarbeit auch verschlossen bleiben. Eine Konsequenz hieraus könnte die stärkere Hinwendung zur Lehrlingsarbeit sein.

3. Schließlich scheinen die studentischen Bemühungen im Verlauf des Jahres 1969 erneut bewiesen zu haben, was von vielen Seiten schon früher vermutet und beobachtet worden ist, nämlich die hoffnungslose Isolierung links-stehender Arbeitnehmer ohne Gewerkschaftsbindung in den Betrieben. Aus diesem Grund haben die Betriebsbasisgruppen seit Anfang 1970 offenbar einen Funktionswechsel vorgenommen-Hatten die Basisgruppen in der ursprünglichen Konzeption mehr die Aufgabe theoretischer Reflexion dessen, was die in Betrieben arbeitenden Gruppenmitglieder von ihrer praktischen Arbeit berichteten, um daraus taktische Folgerungen zu ziehen, so scheinen nun die Basisgruppen Aktionen vorzubereiten und mehr von außen an Betriebsangehörige heranzutragen, während innerbetrieblich Tätige mehr auf Informationssammlung beschränkt bleiben, nicht mehr als einzelne oder Gruppe mit linksradikalen Ambitionen in Erscheinung treten und damit ihre Isolierung vermeiden können.

Bestärkt wurden die hier engagierten Studenten vielleicht in dieser neuerlichen Strategie vom Ausbleiben jeglicher Erfolge und vom endlichen Versanden der wohl letzten gemein-samen Absicht der SDS-Betriebsprojektgruppe: Ende 1969 beschloß man, sich konzentriert der Politisierungsarbeit in den beiden größten Betrieben des Rhein-Main-Gebietes zu widmen, den Farbwerken Hoechst in Frankfurt und den Adam-Opel-Autowerken in Rüsselsheim. Dort gab es bereits einen kleinen Kreis politisch aktiver Lehrlinge, die „Arbeitsgemeinschaft demokratischer Opel-Lehrlinge" (ADOL), zu der seit ihrer Gründung im Mai 1969 bereits Beziehungen bestanden. Hier wollten nun einige der namhaften, in der Studentenrebellion führend aufgetretenen SDS-Leute eine Aktivierung versuchen. Doch kam im Verlaufe des Winters 1969/70 zunächst nicht mehr heraus eine intensive als theoretische Arbeit mit der Handvoll junger Berufstätiger, teils mit, teils gegen den Rat der SDS-Führer. Inzwischen ist auch dieser Ansatz versickert; von anderen Aktivitäten der ADOL war bis Sommer 1970 nichts zu vernehmen.

Die andere Restgruppe hingegen, in der die Mitarbeit von prominenten SDS-Mitgliedern nicht bekannt ist, orientierte sich offensichtlich sehr bald an den wenigen verbleibenden Möglichkeiten einer Politisierungsarbeit auf lange Sicht, zog bestimmte Konsequenzen, koalierte und fusionierte schließlich mit anderen Grüppchen, Richtungen und Einzelpersonen zur derzeit einzig ernst zu nehmenden APO-Betriebsarbeit in Frankfurt, zur SAG.

Die führenden SDS-Prominenten gründeten im Frühjahr 1970, kurz vor der Auflösung des SDS, eine Auffanggruppe für enthusiasmierte Lehrlinge, Schüler und Studenten, für die der ebenso romantische wie bezugsvolle Name „Rote Panter" gewählt wurde. Diese kleine Schar trat bei größeren öffentlichen Demonstrationen gelegentlich in Erscheinung und verteilte auch hier und da Flugblätter, so z. B. bei der Freisprechungsfeier der IHK sowie bei Protesten gegen die US-Intervention in Kambodscha. Uber ernsthafte Betriebsaktivitäten ist jedoch nichts bekannt, so daß gesagt wird, die Gruppe verwechsle wohl Karl Marx mit Karl May. 2. Die „Sozialistischen Arbeitergruppen"

(SAG) in Frankfurt am Main Zu den wenigen gelungenen Experimenten der Selbstorganisation junger Revolutionäre im Rhein-Main-Gebiet gehört offensichtlich der Kern der „Sozialistischen Arbeitergruppen" in Frankfurt. Dazu gehören vor allem auch Lehrlinge und junge Berufstätige, und ihre Bemühungen beziehen eine Politisierung von Lehrlingen stark mit ein, ohne sie von der „Bewußtseinsarbeit" in Betrieben isoliert zu verfolgen. Entstanden sind die SAG am Jahresanfang 1970, schon vor der offiziellen Selbstauslösung des SDS, aus der Einsicht in die Notwendigkeit, entweder mit anderen revolutionär Gesinnten eng zu kooperieren oder aber jede Betriebsarbeit für die nächsten Jahre aufzugeben. Deshalb wäre es falsch, die SAG einfach als eine spezielle Nachfolgeerscheinung des SDS anzusehen. Vielmehr scheinen recht unterschiedliche Richtungen der Linken in die SAG eingegangen zu sein, ohne daß man die SDS-Krankheit paralytischer Fraktionskämpfe übernommen hätte. Bindend für alle ist wohl das gemeinsame Fernziel der Revolutionierung durch Bewußtseinsänderung, über dessen langwierige und äußerst schwierige Realisierung sich keiner der SAG-Angehörigen Illusionen zu machen scheint.

Zu ihrem Weg und Ziel äußerte die SAG-Zeitung „Roter Mai" unter dem Titel „unsere Position": „. . . Die Vollbeschäftigung ist mit sinnloser Verschwendung, Hunger und Krieg verbunden. . . . Der westdeutsche Kapitalismus profitiert von eigenen hohen Rüstungsausgaben und von der Rüstungskonjunktur der USA. . . . Die Länder, die sich heute sozialistisch nennen, sind keine Alternative zum Kapitalismus, denn . . . daß der Staat über die Produktionsmittel verfügt, heißt noch lange nicht, daß dort Sozialismus besteht. Denn wem gehört der Staat, wer macht die Pläne und wer fällt politische Entscheidungen? Nicht demokratisch gewählte Organe der Arbeiterklasse, sondern eine autoritäre und diktatorische Partei-

und Staatsbürokratie. Die herrschenden Klassen in beiden Systemen müssen von einer revolutionären Arbeiterbewegung gestürzt werden. . . . Die ersten Schritte dazu müssen schon heute gemacht werden. Vor allem in den Betrieben. Dort gilt es, die tagtäglichen Interessen der Arbeiter gegen die Kapitalisten zu verteidigen, die immer wieder versuchen werden, den Arbeitern ihre Lohnpfennige abzuknappen und sie gesteigerter Ausbeutung mit neuen Methoden zu unterwerfen. . . . Die Gewerkschaftsbürokratie leistet seit Jahren . . . keinen Widerstand. Sie paßt sich an. . . . Deswegen wird der Kampf gegen die Willkür der Kapitalisten auch immer ein Kampf gegen den versteinerten Apparat der Gewerkschaftsbürokratie sein. Die SAG ist nicht antigewerkschaftlich: Die . . . Gewerkschaften müssen, soweit das noch geht, ständig von unten aus den Betrieben unter Druck gesetzt und vorangetrieben werden. Aber der Kampf für die Befreiung der ganzen Arbeiterklasse kann auf der Betriebsebene allein nicht erfolgreich ge-führt werden. . . Deshalb müssen sich die klassenbewußten Arbeiter auch schon heute in politischen Gruppen organisieren, um politische Aktionen zu planen und durchzuführen . . . Die SAG versucht, den Arbeitern bei diesen Anfängen des Kampfes um . . . die Befreiung der gesamten Gesellschaft praktisch und organisatorisch zu helfen ..."

Dieser Zielsetzung bemüht sich die SAG-Aktivität zu entsprechen, indem zunächst am Jahresanfang Flugblattaktionen in bzw. vor zwei räumlich eng benachbarten, in der Branche dagegen unterschiedlichen größeren Unternehmen sehr gezielt bestimmte Probleme dieser Werke ansprachen, z. B. Kantinenessenspreise und -portionsgrößen, Grundlagen neuer Akkordsysteme, Rauchverbot für Lehrlinge auch nach der Arbeitszeit innerhalb einer Bann-meile von 1, 5 km um den Betrieb u. a., wobei jede Sachfrage mit einem Appell beschlossen wurde, z. B.: „Schluß machen mit den Eingriffen ins Privatleben! Schluß machen mit unbezahlten Überstunden und ausbildungsfremden Tätigkeiten für Lehrlinge! Lehrlinge, organisiert eine Lehrlingsversammlung!"

Im April 1970 erschien in einem größeren Chemiebetrieb die erste Nummer einer Betriebszeitung der SAG, die mit dem Namen „Rote Informationen" absichtlich den Titel der offiziellen Werkszeitung parodiert. Besonders interessant aber ist der Vorspann, in dem es heißt, die Werkszeitung „. . . wird von der Geschäftsleitung geschrieben, um die Belegschaft in einer Wolke von Sozialpartnerschaft einzulullen. Die , Roten Informationen'. . . sollen sich zu einer Zeitung entwickeln, die von . . . Kollegen für die Kollegen gemacht wird. Hier soll klar ausgesprochen werden, was faul ist und wie das geändert werden kann. ... Es ist die ehemalige . Projektgruppe Betriebe', die jetzt unter neuem Namen diese Zeitung . . . herausgibt."

Damit wird eine weitere Wurzel der SAG sichtbar, die sich übrigens noch 1969 in einem Flugblatt deutlich von der Betriebsgruppenarbeit des SDS distanzierte.

Es handelt sich um die „Projektgruppe Betriebe im Sozialistischen Club", die seit dem Frühjahr 1969 besonders in diesem einen chemischen Großbetrieb agitierte. Systematisch wurde versucht, einzelne tatsächliche oder vermeintliche Mißstände aufzugreifen. Später gab es Treffen in einer betriebsnahe gelegenen Gastwirtschaft und Ansätze zu einer Basis-gruppe in der Wohngegend um den Betrieb. Argumentation und Polemik richteten sich freilich eher gegen Versäumnisse von Betriebsrat und Gewerkschaft als gegen die Geschäftsleitung.

Für Lehrlinge wurde die Tätigkeit der Projekt-gruppe interessant, als sie die informell schon länger bekannte Nachricht verbreitete, daß ein Ausbilder vor mehr als Jahresfrist seine Lehrlinge gegen geringes Entgelt beim Bau seines Eigenheims hatte helfen lassen.

Inzwischen in den SAG aufgegangen, kann diese Gruppe nun für Lehrlinge ein spezielles Flugblatt verbreiten helfen, in dem es heißt: „In den Betrieben kämpfen die Lehrlinge dagegen, daß sie . . . regelmäßig Hilfs-und Dreckarbeiten und stupide Produktionsarbeiten im Betrieb und unsinnige Verwaltungsarbeiten im Büro machen müssen; daß sie für diese Arbeiten noch nicht einmal den gleichen Lohn wie erwachsene Arbeiter und Angestellte bekommen; daß sie in ihrer Freizeit schön-färberische Berichte anfertigen müssen, weil die wirklichen Ausbildungsverhältnisse nicht an die Öffentlichkeit dringen dürfen .. .

Der Berufsschulunterricht ist eine würdige Ergänzung dieser betrieblichen Berufsausbildung: technologisch veraltet, langweilig und höchstens 6— 10 Stunden in der Woche . . .

Das Interesse der Unternehmer ist ... nicht allein darauf gerichtet, aus den Lehrlingen während der Lehrzeit möglichst viel Gewinn herauszuholen. . . . Die großen Unternehmen . . . bilden . . . die Lehrlinge nur so , gut'aus, daß sie anschließend zu niedrigen Löhnen und Gehältern in das eigene Unternehmen gesteckt werden können. . . . Der sog. , Krupp-Plan'zeigt diese Absicht der Unternehmer beispielhaft. . . . Das Interesse der Lehrlinge an einer guten Ausbildung zählt überhaupt nicht.

Regierung und Parlament unterstützen mit dem neuen Berufsbildungsgesetz derartige Pläne zur Verschlechterung der Ausbildung, weil das Gesetz die unbegrenzte Verkürzung der Berufsausbildung erlaubt (§ 26, 6 .

Die Gewerkschaften machen zwar hin und wieder Verbesserungsvorschläge für die Berufsausbildung, aber andererseits tun sie nichts für die Durchsetzung dieser Vorschläge. Sie sind nicht bereit, die Unzufriedenheit der Lehrlinge zu organisieren. ..."

In ähnlicher Weise wenden sich die SAG-Be-triebszeitungen und Flugblätter auch an andere Zielgruppen mit ganz konkreten Angriffen. Das letzte Beispiel dafür waren Stellungnahmen vor, während und nach den Tarifverhandlungen in der Chemischen Industrie Hessens (s. erster Teil). Auch dabei kam jene Aggressivität gegen die Gewerkschaften zum Ausdruck, die zu den bekanntgewordenen Protesten und Aktionen gegen die gewerkschaft-25 liehe Feier am Vorabend des 1. Mai 1970 in der Frankfurter Paulskirche geführt hat.

Zur Ausschaltung von Störungen wie bei den beiden vorangegangenen Maiveranstaltungen von 1968 und 1969 wollte der DGB in Frankfurt diesmal auf eine Großkundgebung verzichten und statt dessen eine geschlossene Veranstaltung in der Paulskirche durchführen. Gerade diese Absicht rief jedoch den Protest aller politischen Arbeitnehmer-Gruppierungen hervor. In seltener Eintracht demonstrierten sie vor der Paulskirche — mit Ausnahme der SDAJ, die getreu ihrer gewerkschaftsstützenden Linie ihre Vertreter als loyale Gewerkschaftsmitglieder in der geschlossenen Veranstaltung sitzen hatte.

Die Proteste gegen das „Funktionärs-Festival", wie einige Demonstranten es nannten, zeigten freilich ebenso wie die Sprechchöre jener wenigen, denen der Zugang zum Festakt gelungen war, die Widersprüchlichkeit in der Einstellung der Arbeitnehmer-APO, die auch für die SAG typisch zu sein scheint. Denn gerade bei der Maifeier 1970 äußerte der offizielle Redner, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Erich Frister, eine bisher noch nicht gehörte Selbstkritik gewerkschaftlicher Politik und Einstellung. Er sagte stellenweise genau das gleiche, wie es die SAG in der Selbstdarstellung ihrer Ziele dar-legte, so z. B.: „Der Ausgebeutete kann seine Lage . . . gar nicht erkennen . . ., weil ihm Methoden dieser Art noch als Tugenden . verkauft’ werden. So werden Leute gepriesen, die fast nur durch Rücksichtslosigkeit und auf Kosten anderer hochgekommen sind. . . . Wenn die Gewerkschaften . . . mehr sein wollen als ein besserer Versicherungsverein., dann darf sich die Solidarität nicht mehr auf Gefühlen gründen, sondern auf Einsicht, Erfahrung, Vernunft und Verstand — eine Solidarität auf höherem Niveau."

Weshalb die SAG in Frankfurt — ganz im Gegensatz zur namensgleichen, nur älteren und kleineren Gruppe in Darmstadt — mit Verve gegen Unternehmer und Gewerkschaften gleichzeitig anrennt, bleibt beim Wandel gewerkschaftlicher Einstellung im letzten Jahr für den Außenstehenden unklar.

Die Tätigkeiten der SAG haben trotz ihrer Mehrfrontenstrategie in den wenigen Monaten ihres Bestehens beachtliche Ausmaße angenommen. Verwunderlich erscheint vör allem, auf welche Weise sie all jene Informationen aus den verschiedenen Betrieben erhalten, die sie dann zum Ansatz ihrer Agitation und Aufklärung machen können. Wahrscheinlich gilt für ihre Arbeitsweise die grobe Arbeitsteilung nach der erwähnten neueren Konzeption früherer SDS-Betriebsgruppen: In den Betrieben versuchen einzelne Berufstätige, Informationen zu sammeln, vermeiden aber ihre Isolierung und treffen sich nur außerhalb der Arbeitszeit mit Gleichgesinnten und den Gruppenmitgliedern aus anderen Betrieben und Berufen. Bei solchen Zusammenkünften werden dann Aktionen beraten und vorbereitet. 3. Stadtteilbasisgruppen in Berufsschulen und Jugendheimen Im Sommer 1968 beschloß der SDS in Frankfurt, nach dem Scheitern betriebsnaher Bewußtseinsarbeit während der Studentenrebellion einen strategischen Neuansatz bei jenen jungen Berufstätigen zu versuchen, die von den Studenten wenigstens zu Protesthaltungen animiert worden waren. Die organisatorische Form dafür sollten Basisgruppen mit lokal begrenzten Arbeitsgebieten sein. Dazu heißt es in einem Bericht mehrerer dieser Gruppen vom Herbst 1969: „Die Stadtteilbasisgruppen setzen politisch in der Freizeitsphäre an. Ihr langfristiges Ziel bleibt jedoch die Rückkehr in die Produktionssphäre. Die Betriebsarbeit kann in großem Stil erst wieder ausgenommen werden, wenn eine längerfristige Mobilisierung von Lehrlingen . . . stattgefunden und neue Voraussetzungen geschaffen hat."

Für dies Vorhaben einer in der Freizeit ansetzenden Mobilisierungskampagne unter Lehrlingen gab es schon im Sommer 1968 ein Modell, die Stadtteilbasisgruppe Bornheim, deren Anfänge bis in den Herbst 1967 zurückreichen. Von ihren ersten Erfahrungen bei der Freizeit-arbeit berichteten Mitglieder dieser Gruppe in der März-Ausgabe der antiautoritären Wochenzeitung . Kooperative', die dann jedoch bald ihr Erscheinen einstellte: „Mit unserer praktischen Arbeit haben wir im Jugendheim Bornheim angefangen, wo alle 14 Tage Beatveranstaltungen stattfinden, haben ... etwas anders getanzt als dort üblich, was schon ziemliches Aufsehen erregt hat. Das haben wir ausgenützt und die Jugendlichen zu uns eingeladen . . . und . . . gehen . . . jetzt wöchentlich donnerstags da hoch und diskutieren mit ihnen. Ab nächste Woche wollen wir einen Sexualitätsarbeitskreis einrichten. Wir hatten schon vorher in der Basisgruppe. . . einen Sexualitätsarbeitskreis über Sexualität und Herrschaft. . . . Aber wir haben festgestellt, daß das Niveau einfach zu hoch war und die Themenstellung zu akademisch."

In der gleichen Publikation werden für die Situation im Frühjahr 1969 fünf ähnlich arbeitende Gruppen in Frankfurt genannt. Darunter befindet sich eine, die einen anderen Ansatz für ihre Aktivitäten suchte, nämlich Arbeit mit Berufsschülern. Darüber berichteten Angehörige dieser Stadtteilbasisgruppe Bok-kenheim im Sommer 1969: „Die Diskussion mit den Schülern und Schülerinnen . . . zeigte die Notwendigkeit, bei ersten Kontakten mit Berufsschülern nicht abstrakt-politisch zu reden. . . . Die Schüler diskutierten nicht aus primär politischem Interesse, sondern primär persönlichem. . . . Vorerst sollte vom Gebrauch der Begriffe Ausbeutung, Arbeitereinheitsfront usw. abgesehen werden. Der Erfolg des Blattes , Wie Gutenbergschüler verschaukelt werden sollen'(ein Flugblatt, K. H.), der sich in der Gründung der zweiten Basisgruppe manifestierte, ist unserer Ansicht nach darauf zurückzuführen, daß nicht irgendwelche Studenten oder vorstudentisierte Lehrlinge sich ihrer blödsinnigen Sprache bedienen, von der sie glauben, daß sie . proletarisch'sei. . . . Abstrakte Aufklärung . . . über Ausbeutung im Betrieb und Verdummung in der Schule ist Mist. . . . Den Anstoß für eine konkrete Beschäftigung mit den Lern-und Ausbildungsbedingungen gab . . . eine Konfliktsituation, die die Notwendigkeit kollektiven Widerstands aufzeigte. . . . (Eine) Fotografenklasse . . . (war) einstimmig für eine Diskussion mit . linken Studenten'während des Sozialkundeunterrichts . . . über die formale Weigerung des Direktors . . ., Hausfriedensbruch und so, kam es zum Konflikt mit den Schulautoritäten. Direktor ; . . bestand bibbernd auf seinem Hausrecht, und als wir nach gegenseitigem Anbrüllen, ein bißchen Verarschung war dabei, seiner . Anordnung'nicht folgten, solidarisierte sich die Klasse mit uns und weigerte sich, in einem anderen Raum den Unterricht zu beginnen. . . . Um die Klasse nicht unnötigen Repressalien auszusetzen, machten wir einen Termin aus (für eine Diskussion mit der Klasse, K. H.). Bevor wir den Bau verließen, gerieten wir noch einmal an den Direktor.

Weil er Angst hatte, ließ er mit sich reden, . . . entschuldigte sich bei den Bullen, die zur Tür reinkamen und uns rausweisen sollten und schickte uns dann zu den Schülern zurück."

Keine Frage, daß ein solches Auftreten Berufs-schülern imponieren kann und sie für die Motivationen der so agierenden Studenten interessiert. Die dann tatsächlich in den Bockenhei-mer Basisgruppen mitarbeitenden Berufsschüler brachten bald ihre studentischen Genossen auf weitere Ansatzpunkte gemeinsamer Arbeit, wovon die Studenten selber berichteten: „Viele Jungarbeiter und Lehrlinge verlangen Zusammenarbeit mit Juristen, um auf Repressalien, die sie auf Grund ihres politischen Engagements von ihren , Lehrherren', Lehrern, Jugendpflegern und Eltern zu erleiden hätten, mit vorerst juristischem Gegendruck antworten zu können. . . . Bei längerfristiger Arbeit sind auch andere universitäre Bereiche für die Lehrlinge wichtig: so erledigen studentische und Lehrlingsgenossen gemeinsam Berufsschulpflichtarbeiten, um somit mehr Spielraum für politisches Engagement zu haben."

Insgesamt gesehen, scheint die Existenz der Stadtteilbasisgruppen in Frankfurt für die nächste Zeit dank der erreichten Resonanz bei jungen Arbeitnehmern gesichert zu sein. Gelegenheiten und Bereiche für Aktionen verschiedenster Art sehen die Gruppen z. B. auch bei Freisprechungsfeiern, in Lehrlingswohnheimen und immer wieder bei der kontinuierlichen Arbeit in unterschiedlichen Räumlichkeiten. Darunter nehmen offenbar die Möglichkeiten von Wohngemeinschaften an Bedeutung zu. Uber diese Form der Selbstorganisation junger Familien, Studenten und junger Berufstätiger ist bisher aber noch zu wenig Erfahrung und Material vorhanden, um Aussagen darüber zu wagen.

Einen aussagekräftigen Erfahrungsbericht über ihre Arbeit konnten hingegen die Mitglieder einiger Stadtteilbasisgruppen in ihrer eingangs erwähnten Darstellung im Herbst 1969 vorlegen, wo es heißt: „Daß Lehrlinge, die in die BG kommen, häufig das Abitur nachholen wollen, kann unter Umständen eine spätere Agitation und Kaderbildung in Betrieben behindern. . . . Denn die Lehrlinge wollen nicht nur ihr Wissen erweitern, sondern auch den Repressionen im Betrieb ausweichen und durch die privilegierte Stellung der Schüler und Studenten ihre Fähigkeiten entfalten. . . . Ein anderer Kreis von Problemen entspringt dem unklaren Wunsch, in der BG unmittelbar Befreiung zu finden. Das äußert sich relativ harmlos darin, daß Genossen glauben, sich ganz nach dem Lustprinzip verhalten zu können, ohne einzusehen, daß die kontinuierliche Arbeit in einer politischen Organisation eine ge-wisse Disziplin verlangt. ... (Es ist) verschiedentlich vorgekommen, daß Lehrlinge, die aus politischen Gründen aus ihrem Betrieb . raus-flogen', sich keine neue Stelle suchten und sich mit Gammeln und Hasch eine Subkultur aufbauten, in der sie dann meist unpolitisch wurden. . . . Wir können den Widerspruch zwischen den individuellen Bedürfnissen nach unmittelbarer Befriedigung und den Notwendigkeiten der revolutionären Arbeit nicht auflösen, nach keiner Seite. Wir müssen ihn in dieser Scheißgesellschaft, aus der wir nicht herausspringen können, ertragen."

Es bleibt zu hoffen, daß sich alle in den Basis-gruppen mitwirkenden jungen Leute über diesen Zwang des Ertragenmüssens von Widersprüchen ganz im Klaren sind. 4. Lehrlingskollektive, Randgruppenarbeit und überregionale Anregungen Besondere Schwierigkeiten ihrer jeweiligen Lage haben Lehrlinge besonders stark im Jahre 1969 im Rhein-Main-Gebiet veranlaßt, aus der bisherigen Umgebung auszubrechen und mit Unterstützung des SDS nach neuen Formen sinnvollen Weiterlebens zu suchen. Seit Anfang des Jahres lösten z. B. Mängel der handwerklichen Ausbildung, oft im Verein mit erzieherischen Fehlgriffen von Lehrmeistern und daraus sich ergebenden Schwierigkeiten daheim, einen Zustrom einzelner Lehrlinge nach Frankfurt aus.

Ihr Ziel war der SDS, weil sie nur noch von ihm glaubten Hilfe erwarten zu können. Sie erhielten auch Unterkunft, Essen, Zuspruch, ideologische Aufklärung besonders mit maoistischer Akzentuierung und mitunter Vermittlung in neue Lehroder Arbeitsstellen. Den Behörden waren diese Umstände bekannt, denn bei der Fahndung nach einzelnen Ausreißern erschien die Polizei in den Wohnungen von SDS-Mitgliedern, weil sie dort Unterschlupf für die Lehrlinge vermutete. Grundlage dieser Erscheinung war zumeist echte Not. An der Spitze der Forderungen dieser jungen Leute standen freie Berufswahl und Wunsch nach guter Ausbildung — neben freier Wahl des Haarschnitts. Der spontane Zulauf der hilfesuchenden Lehrlinge mag beim SDS die Tendenz verstärkt haben, sich auf Gruppen von Unterprivilegierten unserer Gesellschaft zu konzentrieren. Erste Ansätze zu dieser „Randgruppenarbeit" mit Rockern, Fürsorgezöglingen, Strafgefangenen und -entlassenen, Obdachlosen u. a. gab es seitens des SDS schon 1968, nachdem solche Menschen bei APO-Gruppierungen die Hilfe suchten, die sie erfahrungsgemäß in unserer Gesellschaft nur unter Bedingungen erhielten, mit denen sie sich nicht befreunden mochten. Eine Koordinierung der höchst unterschiedlichen Versuche, hier zu helfen, gelang im Trubel der politischen Entwicklung und endlichen Auflösung des SDS offenbar nicht. Einen Erfahrungsaustausch erbrachte immerhin das „Randgruppen-Seminar" des SDS im Februar 1970 in Berlin. Dort ging es aber vor allem auch um ein theoretisches Selbstverständnis dieser Arbeit als Basis zu entwickelnder Strategien. Unabhängig von der Auflösung des SDS, die ja, wie am Beispiel der Arbeiter-und der Basisgruppen gezeigt, keineswegs identisch ist mit einem automatischen Wegfall linker politischer Impulse unter jungen Menschen, könnte die Reform von Strafvollzug und Strafrecht einer Weiterführung der SDS-Randgruppenarbeit den Boden entziehen.

Unter den nach Frankfurt geflüchteten Lehrlingen kam es aber im Sommer 1969 zu einer zeitweiligen Dramatisierung der Entwicklung, als sie auf Anregung und unter Begleitung von maoistisch orientierten Studenten in der Stadtteilbasisgruppe Sachsenhausen daran gingen, einige Fürsorge-Erziehungsheime in Hessen heimzusuchen.

Von den dort angesprochenen Zöglingen schloß sich ein Teil den nach Frankfurt zurückkehrenden Genossen an, wo man zunächst für kurze Zeit eine „Basisgruppe ehemaliger Fürsorgegefangener" und bald die bekanntgewordenen Lehrlingskollektive gründete.

Es fehlt hier der Raum zu einer weiteren Schilderung dieser hochinteressanten, sozialpädagogisch ebenso wie politisch wichtigen Experimente, die inzwischen von einem Trägerverein der Stadt Frankfurt und einer Dienststelle des Evangelischen Gemeindeverbandes Frankfurt betreut werden. Der unter städtischer Obhut stehende größere Teil dieser Lehrlinge gab Anfang 1970 einen ausführlichen Bericht aus seiner Sicht, in dem es abschließend heißt: „Die Aussichten sind jetzt keineswegs mehr rosig. Alle sind erschöpft, gesundheitlich und psychisch. Zur Zeit schützt die Kollektive aber zweierlei: 1. Die Legalität des Projekts zahlt sich voll aus. Der Verein des städtischen Jugendamtes . . . schützt sie z. Z., wimmelt laufend Beschwerden ab, verteidigt die Schwierigkeiten gegenüber dem LWV (= Landeswohlfahrtsverband, der wichtige Zuschüsse gewährt, K. H.). Dies ist insbesondere zwei mitarbeitenden Sozialarbeitern zu verdanken. 2. Ein kleiner Kreis von Jugendlichen und ein paar Berater sind fest entschlossen durchzuhalten, bis die Kollektive Stück für Stück aus dem Dreck heraus sind. Sie wissen, daß . Niederlagen die Mutter des Erfolges'sein können. Insbesondere werden sie zu verhindern wissen, daß der Charakter des Projektes weiter . . . sozialreformerisch bleibt. . . . Dann wäre alles — wie bei allen SDS-Aktivitäten — im Endeffekt eine glorreiche Reformtat!"

Diese jungen Leute scheinen in der Tat auf sozialreformerischem Wege zu sein, und man möchte fast hinzufügen: gottlob.

Ob politisierte Lehrlinge in Kollektiven oder Basisgruppen organisiert sind oder ob sie un-organisiert bei anderen Aktionsoder Diskussionsgruppen mittun — überall sind sie nicht nur den Einflüssen lokaler Aktivitäten ausgesetzt. So können schon jetzt, Mitte 1970, gelegentlich Resonanzen auf die folgenden Forderungen beobachtet werden, die im Herbst 1969 vom „Sozialistischen Arbeiter-und Lehrlings-zentrum" in Westberlin aufgestellt wurden: „ 1. Tarifvertraglich festgesetztes Lehrlingsgehalt von 500 DM 2. Herabsetzung des Mündigkeitsalters auf 18 Jahre 3. Einrichtung von kapitalunabhängigen zentralen Lehrwerkstätten 4. öffentliche und kollektive Prüfung . . .

5. Abwählbarkeit der Ausbilder 6. Prüfungsausschuß unabhängig von der IHK und der Handwerksinnung (Zusammensetzung aus Berufsschullehrern und Facharbeitern)

7. ... 2-bis 3tägiger Berufsschulbesuch in der Woche 8. Kündigungsrecht (für Lehrlinge)

9. Streikrecht (für Lehrlinge)."

Diese Forderungen aufgreifend, kritisierte im Januar 1970 die „Aufbauorganisation für die Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD-AO) in Westberlin das SALZ und bezieht Anregungen zum Aufbau einer linken Jugendorganisation in eine Darstellung künftiger Strategie dieser vierten KPD ein (nach der verbotenen KPD, der neugegründeten DKP und der maoistischen KPD/ML, über die im nächsten Abschnitt einiges berichtet wird).

Unter Federführung der SDS-Altgenossen Semler, Horlemann u. a. heißt es in dem Neun-

Thesen-Papier „Die erste Etappe des Aufbaus der Kommunistischen Partei" unter der The-sen-Uberschrift „ 8. Zur revolutionären Jugendorganisation“ „ 1. Die Forderung , 500 Mark Lehrlingsgehalt’ muß in allen Massenveranstaltungen, Demonstrationen und teach-ins propagiert werden.

2. Unter dieser Forderung müssen spezielle Mobilisierungskampagnen durchgeführt werden (Agitation an Berufsschulen, Lehrlingsheimen . . .).

3. (Es) ... ist zu diskutieren, inwiefern eine überbetriebliche Organisation von Lehrlingen und Jungarbeitern im nationalen Maßstab . . . zentrale Funktion übernehmen kann ....

Voraussetzung sind folgende Aufbauschritte: 1. Aufbau eines zentralen Apparates;

2. Aufbau von Agitationskollektiven; die Arbeit muß bestimmt werden von den Kampfformen: Allgemeine Kampfdemonstration, Aktionen an Innungen, Strafexpeditionen (bei Meistern), Sabotageakte . . ."

Erst die nächste Zukunft kann zeigen, ob derartige Planungen ernst zu nehmen sind. Anders als noch bis Mitte/Ende 1968 jedoch scheint ein kleines, zum Engagement bereites Potential junger Berufstätiger zur Realisierung solcher und anderer Veränderungspläne vorhanden zu sein. 5. „Rote Garden" der KPD/ML Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutterpartei, der 1968 entstandenen KPD/Marxisten-Leninisten (Maoisten), sind deren Jugendgruppen, die „Roten Garden", überwiegend Restbestände der antiautoritären Bewegung, inzwischen angereichert von manchen einzelnen und kleinen Scharen unübersichtlich vieler Observanzen.

Gemeinsam ist den „Roten Garden" mit der KPD/ML vor allem in der Theorie die Verherrlichung konsequenter proletarischer Revolution und deshalb Ablehnung der „revisionistischen" Linie von Sowjetunion, DDR und DKP (Spruch auf Mai-Plakat: „Nieder mit Ulbricht und Brandt — alle Macht in Arbeiter-hand!"); in der Praxis die strenge Disziplin und im Organisatorischen das Kaderprinzip nach Lenin und Stalin.

Mit solchen Maximen mögen die „Jungen Garden" vielleicht in Berlin ein wenig reüssiert haben, wo sie über einige Hundert Anhänger verfügen sollen, zwischen Ulbrichts Mauer und der zerstrittenen Linken. Im Frankfurter Raum dagegen, mit der Vielzahl attraktive Politarbeit betreibenden Gruppen, von denen außer den Trotzkisten keine die Revolution nach dem Vorbild Maos in den nächsten Jahren und durch gewaltsame Aktionen für möglich hält, ernten die wenigen jungen „ML-Leute" (APO-Jargon) nur Spott mit ihren Angeboten.

Selbst Oberschüler lachen, wenn sie vom Primat der strengen Schulung hören, wie sie etwa die „Aktionsgruppe Hannoverscher Lehrlinge (AHL)“ schildert: Damals „ . . . sind auch einige Genossen von den . Roten Garden'zu uns gekommen und haben eine . Theorie'für uns mitgebracht. Diese bestand in dem puristischen Ansatz, jegliche Aktion zu unterlassen und damit zu warten, bis wir ein theoretisch genügend hohes Niveau hätten . . . Umgesetzt bedeutete das, daß . . . die damit anfingen, strategische Texte von Lenin zu lesen."

Gleichfalls überwiegend Spott ruft es hervor, wenn abgewiesene oder ehemalige Mitglieder der „Roten Garde" erzählen, daß sie bis Anfang 1970 monatelang nur dann ausgenommen werden sollten, wenn je ein Student mindestens zwei „echte Arbeiter" als Aufnahme-willige mitbrachte. Dieser Trend im letzten Winter zeigte sich auch bei der Verpflichtung für studentische Mitglieder, mindestens drei Monate im Jahr in Produktionsbetrieben voll-zeitlich zu arbeiten.

Vollends verscherzen mußten sich die ML-Anhänger die Sympathien junger Leute, wenn von einem Fall glaubhaft berichtet wurde, in dem ein Kandidat als Bedingung für seine Aufnahme zuerst die lange Haarpracht kürzen lassen sollte. Wesentlich ernsthaftere Abneigung gegen die „Roten Garden" mögen sich aufgrund der Spaltung der auch in einem chemischen Großbetrieb Frankfurts aktiv gewesenen ML-Leute zu Beginn des Jahres 1970 ergeben haben. Bei diesem Spaltprozeß trennte sich eine „Rote Linie" von einer anderen, die sie die „Schwarze Linie“ beschimpft. Beide Farben sind Symbole: rot für linientreu im Sinne des dogmatischen Maoismus, schwarz für häretisch.

Die Orthodoxen sorgten im Winter für die Durchsetzung des erwähnten Arbeiter-Fetischismus, blieben aber auch nach der Spaltung in betrieblichen Arbeitsansätzen inaktiv.

Für den Betriebsfrieden im herkömmlichen Sinne wesentlich gefährlicher scheinen die „Schwarzen" zu sein, weil sie aktiv bleiben und gelegentlich auch Koalitionen mit anderen Linksgruppen eingehen.

Erwähnenswert unter den ML-Aktivitäten ist schließlich nur noch, daß Studenten dieser Richtung 1969 die Lehrlingskollektive mitbegründeten und die Erziehungsheim-Kampagne initiierten — von den Lehrlingen aufgrund ihrer Haltung „elitäre Lurche" gescholten

Zwischenbilanz: Lehrlinge gegenüber den Politisierungsbemühungen studentischer und anderer Linksgruppen

Die vorliegenden exemplarischen Schilderungen können vielleicht den Eindruck erwecken, als ständen die Lehrlinge und die für sie Verantwortlichen in Betrieben, Berufsschulen, Jugendheimen, Verwaltungen und nicht zuletzt auch in den Elternhäusern des Rhein-Main-Gebietes wehrlos raffinierten Umsturzbestrebungen einer Vielzahl agitatorisch arbeitender Linksgruppen gegenüber — wehrlos vor allem, weil Lehrlinge und Bevölkerungsmehrheit sich loyal an die rechtsstaatlichen Garantien einer freiheitlichen Gesellschaft halten, die von jenen Gruppen skrupellos zu ihrem Sturz ausgenützt werden. Solche und ähnliche Verschwörer-Theorien lassen wesentliche Faktoren außer acht, die das Denken und Streben von Lehrlingen wie von ihren Ausbildern, Lehrern, Eltern und anderen Erziehern heute weit mehr beeinflussen als das änderungsbeflissene

Gruppen und Organisationen vermögen. Deshalb müssen mindestens folgende Überlegungen einbezogen werden, wenn nach der Wirkung der beschriebenen Politisierungsbemühungen unter Lehrlingen gefragt wird:

1. Änderungen im beruflichen Ausbildungswesen werden keineswegs in erster Linie von linksradikalen Gruppierungen der BRD gefordert. Hier gibt es im Gegenteil die extreme Ansicht, man müsse jegliche Reformen verhindern, weil die Lehrlinge nur so zur Einsicht radikaler Strukturänderungen angesichts eigener Misere gebracht werden könnten. Alle Reformen nützten daher dem System, denn sie könnten die Lehrlinge ebenso reibungslos integrieren wie andere sozialpolitische Reformen schon die Arbeiter weitgehend integriert haben. 2. Forderungen, nach Strukturveränderungen und nach Demokratisierung auch von Schule und Betrieb differenzieren am deutlichsten die großen Unterschiede in den Konzeptionen der genannnten Gruppen und Organisationen. Nimmt man als Unterscheidungsmerkmale die unter 1. angedeutete Extremforderung nach Unterlassung jeglicher Reformen zwecks um so sicherer eintretender Revolutionierung durch die Benachteiligten, dann zeigt sich rasch eine Teilung der hier aufgeführten und weiterer Gruppierungen in der BRD in Befürworter und Gegner von Reformen. Die letzteren beschuldigen ja auch prompt die Reformanhänger als „Systemstabilisierer". Wollte man sie in einen Topf mit wirklich subversiven Gruppen werfen, erreichte man damit nur eine Solidarisierung und möglicherweise sogar ein koordiniertes Vorgehen der in sich zerstrittenen Linken. 3. Unabhängig von dieser groben, aber vielleicht nicht unwesentlichen Unterscheidung zeigt die Ablehnung von Reformen ein ungeschichtliches Status-quo-Denken, das die wachsenden Anforderungen an eine freiheitliche Wirtschaftsgesellschaft ebenso ignoriert wie den zunehmenden Konkurrenzdruck der etablierten sozialistischen Staaten und nicht zuletzt auch die lebensnotwendige Unterstützung der Entwicklungsländer. Ablehnung von Reformen auch im Ausbildungswesen bedeutet heute mit anderen Worten nur innergesellschaftliche Stärkung von Revolutionierungstendenzen (s. 1.) und außenpolitische Selbst-aufgabe aus lauter Bequemlichkeit. 4. Schließlich muß beachtet werden, wie sehr die Lehrlinge, aber auch ihre Eltern heute verunsichert sind. Ursachen dafür sind in wirtschaftlichen Strukturänderungen und daraus folgenden Spannungen ebenso zu suchen wie in offenbar gewordenen Widersprüchen zwischen gegensätzlichen politischen, moralischen und weiteren Anforderungen, mit denen viele junge Menschen heute allein nicht fertigwerden können. In dieser Situation mehrfacher Unsicherheiten freilich hat die Studentenrebellion Anstöße und Beispiele gegeben, die heute unter Lehrlingen zu einer Unruhegefahr führen können.

III. Die braven Aufsässigen: Lehrlinge in Unruhe durch Unsicherheiten

„Die kesse Mini-Bardot empörte sich: . Sollen wir vielleicht auch anfangen, Autos umzuwerfen und Fensterscheiben einzuschlagen, ehe der Notstand in den Berufsschulen beseitigt oder auch nur bemerkt wird?

Diese Aussage einer Schülervertreterin vom Februar 1970, vorgebracht in einer stürmischen Diskussion kaufmännischer Berufs-schüler mit kompetenten Schulverwaltungsleuten in Frankfurt, scheint kennzeichnend für die Grundeinstellung der-meisten Lehrlinge zu sein: Sie sind viel selbstbewußter als die Lehrlinge noch vor zwei Jahren — aber sie wenden sich an die . zuständigen Stellen'; sie wollen Verbesserungen — aber keinen Umsturz; sie bejahen auch Aktionen zur Durchsetzung ihrer Forderungen — doch Gewaltanwendung wird abgelehnt. Studenten werden von ihnen deshalb oft noch eher wie Exoten betrachtet — aber im Notfall, etwa der Kündigung durch den Lehrmeister und der darauf folgenden familiären Auseinandersetzung, geht der betroffene Lehrling eher zu „den Studenten" als zur Gewerkschaft.

Insgesamt und ohne Beachtung von Extremfällen können Lehrlinge ab etwa 1970 als brave Aufsässige und unpolitische Kritiker gelten. Dabei waren sie noch auf dem Höhepunkt der Jugendunruhen „die Vernünftigsten", wie ein Berufsschullehrer in Frankfurt im Sommer 1968 zutreffend äußerte.

Die schlimmsten Kennzeichnungen für sie mochten damals von selten ihrer Ausbilder, Eltern und Lehrer den Unmut über Rauchverbote betreffen, das trotzige Tragen langer Haare, Lässigkeit in Kleidung und Auftreten sowie fast gelangweilte Hinnahme alles Gebotenen in Freizeit und Beruf, von Familie und Gesellschaft.

Zugleich aber wurde ihnen in empirischen Untersuchungen attestiert, daß sie ohne weiteres — wenn auch nicht immer begeistert — die Leistung als hauptsächlichen Maßstab im Leben akzeptierten; daß sie sich recht selbständig zeigten, z. B. auch als Verkehrsteilnehmer oder Verbraucher; daß sie Ärger vermieden, ihn vielleicht als unnötige Energieverschwendung ansahen und sich jedenfalls leicht in den wichtigen Lebensbereichen anpaßten Die Anpassungsbereitschaft junger Leute konnte länger als ein Jahrzehnt in der Bundesrepublik als typischstes Verhaltensmerkmal gelten, das freilich für die Öffentlichkeit überdeckt wurde von den Auffälligkeiten im Auftreten von Rockers, Gammlern und Hippies sowie von den bürgerkriegsähnlichen Begleiterscheinungen der Studentenrebellion. Die Anpassungsbereitschaft der übergroßen Mehrheit aber mußte schließlich auch unter Lehrlingen dahinschwinden, nachdem die Belohnungen für dies Wohlverhalten ebenfalls länger als ein Jahrzehnt meist nur Versprechen blieben. Nach dem alten Wort, daß jede Familie und jede Gesellschaft die Jugend hat, die sie verdient, muß eine zunehmende Aufsässigkeit unter Lehrlingen mitgesehen werden als Ergebnis ungewollter, aber wirkungsvoller Versäumnisse. Junge Berufstätige sind heute — nicht nur im Rhein-Main-Gebiet — verunsichert durch eine Reihe von Widersprüchlichkeiten, in die sie ohne ihr Verschulden hineingewachsen sind. 1. Politische Problematik der Lebensalter Die Bewertung eines Menschen wurde früher überwiegend von biologischen Daten bestimmt, z. B. von Alter, Rasse, Geschlecht. Gegenüber solchen , Naturkategorien'gewinnen soziale Faktoren wie Selbständigkeit, Verantwortlichkeit, Leistung und dergleichen immer mehr an Bedeutung. Solange aber beide Kategorien gleichzeitig Geltung behalten, muß das zu Spannungen im Wert-und Bewertungssystem der Gesellschaft führen. Am meisten betroffen von diesen Spannungen scheinen bei uns die Lehrlinge zu sein.

Allgemeine und strikte Leistungsorientierung wird nämlich von ihnen früher und durchgehender verlangt als bei gleichaltrigen Schülern. Leistungsorientierung ist im Beruf zweifellos auch besonders notwendig, damit die Betriebe funktionieren; sie kann und braucht aber das Lebensalter des einzelnen nicht besonders zu berücksichtigen. Gerade dies, nämlich eine Überbetonung des Lebensalters, bestimmt den Status des Lehrlings, während gleichzeitig von ihm altersunabhängig Leistungswillen verlangt wird.

Damit wird für Lehrlinge weitgehend außer acht gelassen, was jede Leistungsorientierung konstituiert: ein Äquivalent für die geforderte Leistung — beim Berufstätigen Arbeitsentgelt und prestigespendender Rang (Status). Zu den materiellen Entschädigungen treten die ideellen hinzu: Auch Anredeformen (Bundeswehr!), Orden, Ehrenurkunden oder öffentliches Lob sind Beispiele für soziale Anerkennung, wie sie überall gezollt wird — oft gezielt als Mittel der , Menschenführung’, manchmal übertrieben.

Wie aber sieht die soziale Anerkennung für die täglich verlangte Leistungsorientierung bei Lehrlingen aus? „In der Lehre Maul halten! Heute auf der Feier auch!" So lautet die Über-schrift eines Flugblattes, das in Frankfurt bei der Freisprechungsfeier im Frühjahr 1970 verteilt wurde. Die Polemik dieser Formulierung ist in der Praxis manches Mal sachlich begründet und mag damit eine Antwort auf die Frage nach sozialer Anerkennung für die Lehrlinge geben. Die Berechtigung hierfür wird auf dem gleichen Flugblatt so nachgewiesen: „Ausbildung ist keine Gnade der Unternehmer, denn wenn wir nicht arbeiten, sind ihre Maschinen Schrott." Das auch hier geforderte Lehrlings-gehalt scheint also nur mehr eine Ausdrucksform des Verlangens nach Anerkennung einer sozialen Gruppe zu sein, die in unserem Land auch wegen ihres Alters traditionell unterbewertet ist.

Gleichzeitig aber erleben dieselben, sich unterprivilegiert fühlenden Lehrlinge einen anderen, lebensalterbedingten Widerspruch, der nun freilich im direkten Gegensatz zum eben angedeuteten Ordnungssystem nach Altersstufen steht: die gegenwärtige Jugendorientierung der Erwachsenenwelt.

Jungsein ist zur Norm erhoben worden und wird als Lebensstil realisiert — anders freilich, als der geistige Vater aller neuzeitlichen Jugendbewegungen, Jean-Jacques Rousseau, dies vor 200 Jahren in seinem schwärmerischen Erziehungsroman , Emile'im Sinn hatte. Dort warf er der Gesellschaft vor, die Jugend durch die Erziehung nur zu verderben und forderte deshalb romantisch-verschwommen eine Art Selbsterziehung der Heranwachsenden nach ihrem Gefühl. Heute dagegen verwechselt die Jugendorientierung in vielen Industrieländern biologisch-vergängliche Eigenschaften der Jugend mit sozial-gültigen Normen für jedes Lebensalter. Das zeigt sich nicht nur an der Bekleidungsmode. In der Berufswelt ist z. B. eine rapide Annäherung des Bedeutungsinhaltes von Ausdrücken wie „dynamisch" und „jung" bis hin zur Identität dieser beiden Begriffe zu beobachten. Das drängt die junge Generation oft automatisch in eine unangemessene Überlegenheit und erklärt die Gelassenheit vieler Jugendlicher gegenüber Erwachsenen. Im Berufsleben hat diese ansonsten mitunter komisch erscheinende Mode der Jugendlichkeit oft tragische Folgen, nämlich für ältere Berufstätige, besonders unter den Angestellten. Deren Schicksal nun muß vielen aufgeweckten Lehrlingen systembedingt erscheinen und kann sie zu weitergehenden Überlegungen animieren, die auch von tariflichen Absicherungen kaum aufzuhalten sind. Deren Begründungen seitens der Gewerkschaften wurden 1969 einmal scharf genug formuliert: „In der Bundesrepublik ist der Jugendlichkeitswahn ausgebrochen. Arbeitgeber und Personalchefs importieren aus den USA eine Mentalität, gegen die dort der Gesetzgeber schon einschreiten mußte. Man unterstellt, daß viele ältere Arbeitnehmer allein wegen ihres Alters den Anforderungen des modernen Wirtschaftslebens nicht mehr so gewachsen sind wie ihre jüngeren Kollegen. In den Arbeitslosenquoten der Älteren spiegelt sich dieses Verhalten deutlich wider." Es folgen statistische Angaben

Mag eine Mehrzahl von Lehrlingen sich auch als Nutznießer solchen „Jugendlichkeitswahnes" in der Personalpolitik mancher Unternehmen glücklich preisen: nachdenklich gewordene Minderheiten sehen hierin nur ein weiteres Indiz für die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen. Noch amorph, scheinen sie auch von daher für politische Artikulationen immer mehr präformiert zu sein.

Dabei leiden solche Minderheiten ebenso wie die Mehrheit von Lehrlingen, von Schülern und überhaupt von jungen Menschen unter einer dritten Widersprüchlichkeit im gegenwärtigen Generationengefüge der BRD, die sich aus der Bedeutungsabnahme von Lebens-und Berufserfahrungen der Älteren aufgrund raschen Wandels auf allen Gebieten ergibt. Hierin liegt das einzige Argument für eine Bevorzugung jüngerer Arbeitskräfte, zugleich aber auch die Notwendigkeit für die älteren Generationen, von sich aus weiter und neu zu lernen — und auch überholte Anschauungen aufzugeben. Daran scheint es oft zu hapern. So entsteht für jung und alt an der erlebten Wirklichkeit eine „institutionalisierte Unsicherheit", die Tobias Brecher folgendermaßen erklärt: . . das rapide Tempo des Bedeutungswandels von Situationen, moralischen Normen und Fakten sowie der schnell anwachsende Strom neuer Tatsachen (erschwert) die Vermittlung ausreichender Informationen an die Folgegenerationen. . . Diese relative Unfähigkeit zur Definition der Realität wird einerseits durch den überkommenen Ballast zum Teil völlig irrelevanter . . . Inhalte verstärkt, andererseits aber auch durch die Trägheit, Ambivalenz und Ambiguität der älteren Generationen."

Weil aber die Jugend gerade im Nachkriegs-Deutschland immer wieder erleben muß, daß die Realität anders ist, als sie ihr von Eltern, Lehrern und Vorgesetzten geschildert wurde, scheint ein Defizit an Vertrauen bei vielen Jugendlichen entstanden zu sein, aus dem die zitierte „institutionelle Unsicherheit" hervorgegangen ist. Rechnet man hinzu, daß auf der anderen Seite natürlich viele Angehörige älterer Generationen gerade wegen des raschen Wandels um so mehr dazu neigen, an früheren Denkund Wertvorstellungen festzuhalten, dann erklärt sich bald eine „Neophobie" bei älteren Menschen, die wiederum bei den Jungen zu der Gegenreaktion führt, sich desto eher der Zukunft, dem Neuen und Propheten künftiger Strukturen zu verschreiben

Bei Lehrlingen konkretisiert sich dieser grob skizzierte Erfahrungsvorgang mit seinen altersspezifischen Reaktionen vor allem in zwei Verhaltensweisen, die vielleicht als typisch gelten können: In Beruf und Betrieb bemerken sie bald Unsicherheiten ihrer Ausbilder und Lehrer aufgrund deren teilweise überholter Maßstäbe und/oder Fachkenntnisse. Ausbildungsleiter im Rhein-Main-Gebiet klagen in zunehmendem Maße darüber, daß ihre Ausbilder den intelligenteren Lehrlingen oft theoretisch nicht gewachsen seien, besonders denjenigen mit Fachschulreife. Daraus erklärt sich eine allgemein zu beobachtende Indolenz sehr vieler Lehrlinge etwa ab dem zweiten Lehrjahr. Nur der Prüfungsdruck vermag dann im dritten Lehrjahr oft einen Wiederanstieg der Leistungen zu bewirken. Inwiefern diese typische Indolenz sehr vieler Lehrlinge etwas mit Politik zu tun hat, erhellt aus den sich fast automatisch ergebenden Konsequenzen: Zur allmählichen Beseitigung der angedeuteten Unsicherheiten bei Fachlehrern und Ausbildern ist deren gründliche Aus-und Weiterbildung erforderlich. Träger, Planungen und vor allem Finanzierung solch notwendiger Weiterbildungsvorhaben aber sind ungesichert. Hier liegt eine große Aufgabe, die sicherlich nur im Zusammenwirken von Wirtschaft und Gewerkschaft mit Staat und Wissenschaft gelöst werden kann. Hoffentlich bedarf es dazu nicht erst eines Aufstands von Lehrlingen als Anstoß. Eine zweite typische Verhaltensweise von Lehrlingen als Folge unterschiedlicher Darstellungen der Wirklichkeit von der erlebten Realität und als Folge unterschiedlicher Auffassungen zu den denkbar vielfältigsten Fragen zwischen jung und alt zeigt sich im Bereich der Freizeit, aber auch bei alltäglichen Situationen: Junge Berufstätige neigen bei Meinungsverschiedenheiten mit älteren Leuten bald zur Separierung. In einer oft schweigenden, meist gleichgültigen Distanz zeigen sie den Alteren, daß sie nicht mehr wie die bisherigen Lehrlingsgenerationen daran denken, sich rasch anzupassen, um Ruhe zu haben und Konflikte zu vermeiden. Ihre Distanzierung und Separierung kann auch nicht als Umspielen von Konflikten gedeutet werden, denn wenn diesen jungen Leuten ein Engagement sinnvoll erscheint, gehen sie keinem Konflikt aus dem Weg. Andererseits scheint für sie typisch zu sein, daß sie eben nicht den Protest als ihnen gemäße Haltung pflegen; der Protest ist eher taktisches Mittel bzw. besondere Artikulierungsform in Sondersituationen. Im Normalfall aber lassen sie die Erwachsenen stehen mit der meist unausgesprochen bleibenden Begründung: Mit euch zu rechten hat ja doch keinen Sinn.

Insgesamt darf die soziale und politische Problematik der Lebensalter heute nicht länger als pubertäre Aufsässigkeit oder unrealistisches von Wissenschaftlern abgetan werden. Auch der Hinweis auf mangelnde Reife als Begründung für die Unterbewertung von Lehrlingen wirkt nicht als Argument. Denn abgesehen von der bislang fehlenden Möglichkeit, soziale Reife anders als durch Erbringen von Leistungen zu definieren, bliebe beim Festhalten am Unreife-Einwand nur eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen in der Berufsausbildung: Verlängerung der Vollschulpflicht bis zu einem durchschnittlichen „Reifealter''(17 Jahre? 18 Jahre? 19 Jahre? Wer möchte vielleicht das ohnehin umstrittene Mündigkeitsalter von 21 Jahren als Erreichung sozialer Reife markieren?) — und gleichzeitige Überführung des dualen Ausbildungssystems Lehrbetrieb + Berufsschule in eine Art polytechnischer Schule für jedermann. Lehrlinge brauchte es dann gar nicht mehr zu geben.

Geht man jedoch von der gegebenen Situation der Berufsausbildung aus, dann scheint neben der schon als notwendige Forderung erwähnten und im Berufsbildungsgesetz vorgesehenen Ausbildung der Ausbilder vor allem ein Umdenken in Betrieben, Schulen und Öffentlichkeit im Hinblick auf die Bewertung von Lebensaltern — und damit auch von Lehrlingen — dringend nötig zu Sein.

Werner Loch, ein jüngerer Erziehungswissenschaftler, meint generell, daß ohnehin „.. . in den gegenwärtigen industriellen Gesellschaften die Gültigkeit ...der Machtverteilung unter den Altersgruppen . . . zugunsten der jüngeren Generationen in Bewegung geraten ist und daß der Anspruch der jugendlichen Protestgruppen auf Mitbestimmung nur eine Erscheinungsform dieses allgemeinen Wandels neben anderen ist." 2. Lehrlinge und Autorität Der Bundesvorsitzende der , Jungen Unternehmer'sagte in seiner programmatischen Ansprache auf der Jahresversammlung 1969 dieses Verbandes: „Schüler lind Studenten revoltieren gegen bestehende Ausbildungssysteme, Geistliche stellen jahrhundertealte kirchliche Ordnungen in Frage, politische Parteien müssen erleben, daß ihre Jugendorganisationen sich von ihnen lossagen, sogar Arbeiter aberkennen in wilden Streiks ihren Gewerkschaften den Vertretungsanspruch. Alle diese Ereignisse dokumentieren . . . einen Autoritätsverlust innerhalb der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen, eine Krise in der Führung."

Auf Lehrlinge bezogen, kann diese zusammenfassende Feststellung rasch differenziert werden. Es fällt bei ihnen auf, daß sie in zunehmendem Maß auf bestimmte Formen von Autoritätsansprüchen negativ reagieren, auf andere Formen dagegen positiv. Völlig zu fehlen scheint bei den meisten von ihnen der rein taktische Gebrauch des Vorwurfs, jemand sei „autoritär", der mit der Bedeutung eines Schimpfwortes sich in den letzten Jahren rasch überall dort — auch gerade bei den älteren Generationen — eingebürgert hat, wo die sachliche Begründung von Kritik schuldig geblieben wird. Lehrlinge hingegen können zumeist objektive Gründe für ihre Klagen anführen, so z. B., wenn sie kritisieren, daß mancher Vorgesetzte seine Autorität dazu benützt, um bei Jungen die langen Haare, bei Mädchen die langen Hosen (besonders bei Industrie-und Bankkaufleuten) und bei Jugendlichen allgemein das Rauchen einfach zu verbieten. So banal die Anlässe, so gefährlich scheint der Aufwand damit verbundener Energie-und Prestigeinvestitionen seitens der Vorgesetzten wie der Lehrlinge zu sein. Hier wird nämlich offenbar die Ablehnung von Autorität geradezu herausgefordert, weil sie nicht sachlich legitimiert ist. Zur Verdeutlichung mag das Beispiel einer kleineren Lehrwerkstatt in Wiesbaden dienen, deren Meister seinen Lehrlingen nach wochenlangen, vergeblichen Ermahnungen, sich allesamt die langen Haare stutzen zu lassen, eines Tages kategorisch befahl, bis zum nächsten Morgen müßten alle beim Friseur gewesen sein oder aber ständig einen Kopfschutz tragen. Diese Alternative begründete er mit dem Hinweis auf die gesetzlichen und berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften, ohne eine Diskussion darüber zuzulassen, daß diese Arbeitsschutzmaßnahmen sich nur auf bestimmte Verrichtungen, z. B. das Arbeiten an Bohrmaschinen, beziehen, während die Lehrlinge den größten Teil der Arbeitszeit am Schraubstock oder anderen Maschinen arbeiten.

Am folgenden Morgen erschienen die Lehrlinge „gehorsam" mit den verschiedensten Kopfbedeckungen, vom Feuerwehrhelm über den alten Hut bis zu karnevalistischen Schmuckstücken; die langen Haare hatte sich keiner von ihnen scheren lassen.

Positiv formulieren läßt sich nun aber die differenzierte Reaktion von Lehrlingen auf unterschiedliche Autoritätsansprüche mit den Erfahrungen, die Ausbilder und Lehrer, Eltern und später erst recht Vorgesetzte in Bundeswehr und Betrieb bei der Anerkennung von Sachautoritäten durch die gleichen jungen Berufstätigen haben. Sobald Anordnungen sachlich begründet werden und solange Vorgesetzte auch mit Lehrlingen sachbezogen diskutieren, wird Autorität akzeptiert.

Im täglichen Verlauf betrieblicher Praxis stehen dieser Möglichkeit allerdings so manches Mal organisationsund berufsbezogene Hindernisse entgegen. Solche Schwierigkeiten sollen hier unter drei Aspekten mehr idealtypisch lediglich angedeutet werden:

Die mathematisch-naturwissenschaftliche Denkweise des Technikers impliziert eine Grundvoraussetzung technischen Funktionierens, die auf Sozialverhältnisse nicht übertragen werden kann und dennoch, zumeist völlig unbewußt, auf das betriebliche Miteinander von Menschen übertragen wird, nämlich die Präzision. Menschen können aber nicht funktionieren wie Maschinen. Das müssen die meisten Ingenieure und Techniker mühsam in der Betriebspraxis lernen, nachdem sie doch in ihrer Berufsausbildung gerade auf Pedanterie und Perfektion gedrillt worden sind und überdies von der Erfahrungstatsache bestätigt bekommen haben, daß Präzision erreichbar ist — beim toten Material.

Es darf nicht verwundern, wenn Techniker immer wieder mit größter Selbstverständlichkeit ähnlich präzises Funktionieren bei Menschen erwarten und darüber im Hinblick auf Lehrlinge auch noch übersehen, daß sie nicht nur Menschen sind, sondern überdies die mathematische Logik bei Denkund Arbeitsvorgängen erst noch lernen müssen. Die Einrichtung sozialwissenschaftlicher Lehrstühle an den Technischen Hochschulen, das Fach Sozialkunde an Ingenieurschulen und auch das nun schon jahrzehntelange Mahnen in Ausbildungsstätten für Führungskräfte der Wirtschaft, weniger autoritär mit Menschen im Betrieb umzugehen, haben bislang wenig gefruchtet. Vielleicht hilft eine pädagogische Ausbildung von Vorgesetzten, wenn sie die Gefahr bewußter Manipulationslehre vermeidet (etwa das „social engineering", das in den USA vor den „human relations" in den zwanziger und dreißiger Jahren Mode war).

Neben diesem technisch-naturwissenschaftlichen Aspekt kennen alle Berufe und Betriebe den Aspekt des Kostendenkens und -drucks als Hindernis für sachliche Begründungen und ggf. Diskussionen von Anordnungen, zumal gegenüber Lehrlingen. Der berüchtigte „Rotstift des kaufmännischen Direktors" geistert immer häufiger auch in den Lehrwerkstätten umher, zumal die Kostenrechnung ja nicht nur Material, sondern erst recht auch Zeitbedarf erfaßt — nicht nur in der Produktion. Nun stehen in vielen Ausbildungsbetrieben aber ohnehin zu wenig Ausbilder zur Verfügung, so daß deren Zeit für die Lehrlingsgruppe kaum jemals richtig ausreicht.

Zu den sachlichen Begründungen irgendwelcher Maßnahmen gehören, besonders bei Einsparungen und Rationalisierung von Abläufen, die Kostenüberlegungen oft untrennbar dazu, ganz zu schweigen von der Ablehnung zusätzlicher Mittel für Ausbildungszwecke. Ausbilder, Ausbildungsleiter und oft genug auch Personalchefs und Betriebsrat sehen sich deshalb häufig den Zwängen einer Kosten-kalkulation ausgesetzt, die sie mitunter selber nicht erklären können. Bei den Lehrlingen muß dann der Eindruck entstehen, diese ihre vorgesetzten Bezugspersonen verschanzten sich hinter dem Rotstift des Direktors, um Diskussionen von Maßnahmen zu vermeiden.

Schließlich muß als dritter Aspekt praktischer Hindernisse beim Versuch sachlicher Begründungen von Befehlen die zunehmende Un-35 durchschaubarkeit administrativer Abläufe erwähnt werden. Vielleicht ist diese Art von Hindernissen bei der Entwicklung sachlicher Autoritätsbeziehungen die schlimmste, weil dabei der Anteil von Trägheit, Unlust und anderen Mängeln sehr häufig nicht erkennbar bzw. feststellbar ist.

In den meisten Fällen, in denen Hindernisse der angedeuteten drei sowie weiterer Arten die Sachbegründung von Anordnungen erschweren und ihre Diskussion — zumal mit Lehrlingen — unmöglich machen, zieht sich der Vorgesetzte gegenüber dem Lehrling zurück auf eine Autorität, die er lediglich von seiner Position ableitet, das heißt, er übt unbegründete Herrschaft aus: „So wird’s gemacht, und damit basta!"

In einer solchen, sehr häufig anzutreffenden Haltung manifestiert sich neben einer pädagogischen Hilflosigkeit vor allem auch eine hierarchisch bedingte. Der Ausbilder, der so handelt, zeigt dem Lehrling wieder einmal, daß Lehrlinge in der Betriebshierarchie ganz unten und Ausbilder lediglich eine Stufe darüber stehen. So erleben beide „Partner" diese Ordnung als Tretpyramide, in der der Druck von oben nach unten weitergegeben wird. Leider muß aufgrund aller Beobachtungen vermutet werden, daß diese skizzierten Herrschaftsverhältnisse typisch für eine große Zahl von Ausbildungsbetrieben und damit konstitutiv für die Einstellung vieler Lehrlinge gegenüber Autorität sind — unabhängig von Berufssparte und der Unternehmungen.

Unterstützt wird die unkluge und schädliche Ausübung solcher Art von Herrschaft vom Großteil der Eltern und von vielen Vorgesetzten, ja selbst Betriebsräten. Das geschieht passiv durch Hinnahme wohlbekannter Mängel der beschriebenen Art, aktiv durch deren Legitimierung nach dem Motto: „Wir haben's noch viel schlimmer gehabt in unserer Lehrzeit (Jugend), und Lehrjahre sind eben keine Herren-jahre!" Dahinter steht unbewußt ein überholtes Autoritätsprinzip, von dem Willy Strzelewicz sagt, es sei ...... durch eine Graduierung der Mündigkeit zwischen denjenigen, die da herrschen und führen, und denen, die beherrscht und geführt werden, charakterisiert, das heißt durch eine Graduierung in den Rechten, Pflichten und Verantwortlichkeiten . .

Diese Zuordnung von Rechten, Pflichten und Verantwortlichkeiten erfolgte früher nach al56) tersbedingten Funktionen: Wer spielen und lernen durfte, brauchte als Jugendlicher keine Pflichten und Verantwortung zu übernehmen; wer arbeitend die Existenz der ganzen Familie sicherte, dem standen als Erwachsenen (= Mann!) damit die meisten Pflichten und fast die gesamte Verantwortung, dementsprechend aber auch die meisten Rechte in Familie, Beruf und Gesellschaft zu; und wer schließlich die meisten Erfahrungen aufgrund hohen Alters besaß, konnte als Ratgeber noch eine Reihe von Rechten und Pflichten wahrnehmen.

Eine solche Ordnung baute ihre Autoritätsstruktur nach dieser Verteilung auf, so daß die Jüngsten und für nichts Verantwortlichen den Älteren Gehorsam schuldeten, die dafür vollen Schutz der Jüngeren übernahmen.

Heute dagegen hat auch der kleinste Lehrling schon eine ganze Reihe von Verantwortlichkeiten zu beachten, und nach entsprechender Belehrung kann kein Erwachsener seinen Schutz mehr im Straßenverkehr auf dem Weg zur Arbeit oder bei der Bedienung von Maschinen übernehmen; auch die Ausbilder haben nur mehr die Aufsichtspflicht neben ihren anderen Aufgaben.

Wenn also nach wie vor eine große Zahl von Deutschen eine „Graduierung der Mündigkeit" im Gegensatz zur heutigen Verteilung von Pflichten auch an Lehrlinge nach anachronistischem Muster vornimmt, wird dieser Widerspruch den betroffenen jungen Leuten je länger desto deutlicher ins Bewußtsein kommen. Von einer Autoritätskrise zu sprechen, scheint daher unangebracht; adäquater ist vielleicht eine Formulierung in folgendem Hinweis von Tobias Brocher, geschrieben im Sommer 1968:

„Der Widerstand in der jüngeren Generation — keineswegs nur bei den Studenten — richtet sich . . . gegen die in Tat, Gesinnung und Verhalten konstant wiederholte, entwertende Unmündigkeitserklärung, die . . .den jungen Erwachsenen und den Jugendlichen zum unwissenden Gotteskinde abstempeln möchte."

Und Adolf Portmann zeigt die Konsequenz solcher Unmündigkeitserklärung: „Entscheidend für die heutige Situation ist der Umstand, daß die bestehenden Einrichtungen . . . viel zu sehr immer noch die Fortsetzung . . .der frühen Phase relativer Unmündigkeit (begünstigen) . . ., und das bedeutet in mancher Hinsicht doch ein Zurücksetzen der Reifenden auf die Stufe vor dem Erwachen des Urteils, der Kritik. Es bedeutet . . . das Verfehlen einer we-sentlichen Aufgabe dieser Entwicklungszeit: das Hineinführen in echte Verantwortung." Ein Hinführen zur Verantwortung ist aber nicht möglich bei gleichzeitiger Unmündigkeitserklärung durch autoritären Stil in Betrieb und Ausbildung. Das scheinen inzwischen manche Kräfte in der Wirtschaft erkannt zu haben.

Ein neuer Führungsstil — auch für Lehrlinge?

Die Forderungen der Gewerkschaften und anderer, sich progressiv verstehender gesellschaftlicher Gruppierungen nach Demokratisierung im Betrieb sind bekannt und setzen ein partnerschaftliches Verhältnis auch bei unterschiedlichen Kompetenz-und Weisungsbefugnissen voraus. Für weite Kreise der Arbeitgeber hingegen galt lange unwidersprochen als Leitlinie jenes bekanntgewordene Verdikt des . Industrie-Kuriers'vom 7. Oktober 1965: „Die Demokratisierung der Wirtschaft ist so unsinnig wie eine Demokratisierung der Schulen, der Kasernen oder der Zuchthäuser." Inzwischen gibt es Anzeichen für einen Wandel der Ansichten zum Stil und Prinzip betrieblicher Führung.

Ein Vertreter der gewerblichen Wirtschaft sagte z. B. bei einer Podiumsdiskussion im Frühjahr 1970, veranstaltet von der Arbeitsgemeinschaft der Berufsschülervertretungen in Frankfurt, im Hinblick auf das Spannungsverhältnis von Unmündigkeitserklärung und Forderung von Verantwortlichkeit bei Lehrlingen: „In zunehmendem Maße sind selbständig denkende und verantwortungsbewußt handelnde Mitarbeiter gefragt. Es ist daher vordringlich, schon beim Lehrling ein kritisches Bewußtsein zu schaffen." Das wird freilich nur dort möglich sein, wo im ganzen Betrieb ein Trend besteht, Kritik zu üben und zu ertragen, wo also die Autoritätsbeziehungen auf eine sachliche, rationale Basis gegründet sind.

Dies versucht nach eigenem Anspruch ein neuer Führungsstil, die „Führung im Mitarbeiter-verhältnis", vorgelegt vom Leiter der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg, Prof. Reinhard Höhn. In einer Begründung schreibt er dazu: „Wie will man zu einer in sich funktionsfähigen und krisensicheren Demokratie kommen, wenn Menschen im Beruf, in dem sie den größten Teil ihres tätigen Lebens verbringen, als Untertanen behandelt werden? . . . Ein Unternehmen kann nicht nach . . . parlamentarischen Regeln geführt werden . . . Das bedeutet jedoch nicht, daß es auf dem autoritär-patriarchalischen Führungsprinzip beharren muß." Deutlich wird aus diesen kurzen Hinweisen ebenso wie aus den Mängeln bisheriger Autoritätsausübung in der Lehrausbildung, daß der Stellenwert von Partnerschaft und von Kritik im Betrieb offensichtlich geändert werden muß.

Es wird dem Lehrling vermutlich eher einleuchten, welche Bedeutung und welche Verantwortung das Ertragen sachlich begründeter Kritik haben, wenn er umgekehrt selber Kritik üben darf, die natürlich ebenso sachlich fundiert sein muß. Auf diese Weise läßt sich auch eher ein echtes Verhältnis der Partnerschaft Lernender und Lehrender herausbilden als durch joviales Schulterklopfen, das gleichzeitig jede Kritik des Lernenden ablehnt.

Vielleicht gibt eine neuere Entwicklung in der Bundeswehr ein Beispiel, da doch die technischen und organisatorischen Ordnungsprinzipien sehr vieler Betriebe dem Militär stark ähneln. In der These 4 von , Leutnant 70’ heißt es: „Ich will ein Offizier sein, der das Verhalten eines Vorgesetzten in Frage stellen darf und sein eigenes Verhalten von Untergebenen bzw. von jedermann in Frage stellen läßt . .

In einer kritischen Stellungnahme meinte Generalleutnant a. D. Graf von Baudissin zu dieser These: „Ich bin ganz der Meinung, daß es keine vorgegebenen Amts-Autoritäten mehr geben kann und darf, sondern daß es nur noch Funktions-Autoritäten gibt . . . Der Offizier muß sich in seiner Funktion beweisen. ... Er muß kritisch mitdenken und muß sich in diesem Sinne auch selbst in Frage stellen lassen."

Aber auch in der westdeutschen Wirtschaft selber wird nach neuen Wegen sinnvoller Autoritätsausübung und -begründung im Betrieb gesucht. So stand die Jahrestagung 1969 der . Jungen Unternehmer in der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer E. V. ‘ unter dem Motto „Führen ohne zu herrschen". Auf dieser Tagung wurde der Entwurf einer Unternehmensordnung zur Diskussion gestellt, in dem es im Abschnitt „Führungsgrundsätze" heißt: „Wo jeder Mitarbeiter die Verantwortung für seinen Aufgabenbereich selbst über-nommen hat, ist kein Platz für , Befehl" und . Gehorsam'." Und im Kommentar zu diesem Entwurf heißt es sogar: „Die Überwindung des Arbeitsverhältnisses als Dienstvertrag, der auf Weisung und Gehorsam gegründet ist, kann zu Schwierigkeiten mit der eingefahrenen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte führen, wenn die , Eigenverantwortlichkeit der Arbeitnehmer’ ernst genommen wird. Die sich daiaus möglicherweise ergebenden Entwicklungsprobleme unserer Gesellschaftsordnung nehmen wir bewußt in Kauf." Leider behandelt der knappe Entwurf einer Unternehmensordnung der jungen Unternehmer nicht das Lehrverhältnis. Auch muß natürlich abgewartet werden, inwieweit solche neuen Grundsätze der Autoritätsanwendung im Betrieb realisiert bzw. in der Praxis interpretiert werden. Beachtenswert bleibt der gute Wille, und völlig zutreffend ist die Warnung in einer Ankündigung des Entwurfs: „, Führen, ohne zu herrschen'. Diese Worte hören sich an wie eine Konzession an die APO und zugleich wie ein Versuch, diese . Unterdrückten'und . Entrechteten'mit einem Wortspiel zu düpieren. . . . Auch auf die Gefahr allerhöchsten Unwohlwollens hin, zum Beispiel der BDA oder des BDI, werfe ich bei diesem Thema Vereine, Unternehmen und den Staat samt Strafvollzug und Bundeswehr in einen Topf. Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, Schulen und Universität gehören dazu. . . . Herrschen bedeutet, aus einer überlegenen Rechtsposition heraus seinen Willen auf andere übertragen zu können. Diese Macht wird keine Disziplin mehr erzwingen können. Die Herrscher werden das allerorten spüren."

Diese Mahnung eines Unternehmers gilt ganz besonders auch den Autoritätsverhältnissen gegenüber Lehrlingen. 3. Politische Folgen von Fehlorientierungen in der Wirtschaft Als ein Resümee der jugendsoziologischen Forschungen bis Anfang der sechziger Jahre konnte Ludwig v. Friedeburg Anpassungsbereitschaft wie auch Lässigkeit von Lehrlingen und Jugendlichen 1963 noch erklären als „. . . Integrationstendenz einer Generation, die weder die ökonomische noch die politische Entwicklung . . . ernsthaft für problematisch hält und halten kann, da ihr eigene Erfahrung von Terror und Krieg, Krisen und Massenarbeitslosigkeit mangelt."

Diese Integrationstendenz junger Menschen implizierte aber auch, daß eine lange wirtschaftliche und politische Stabilitätsphase in der Bundesrepublik vielfach ein falsches Sicherheitsbewußtsein hatte entstehen lassen.

Wirtschaftliche Krisen und Fehlentwicklungen der letzten Jahre, insbesondere die Rezession von 1966/67, die zunehmend bedrohlich empfundenen sozialen Folgen von Strukturveränderungen ganzer Branchen und Berufsgruppen und durch die Automation, sowie zuletzt eine neue Inflationsfurcht haben deshalb die meisten Bundesbürger unvorbereitet getroffen. So ist eine zunehmende Hell-hörigkeit bei Arbeitnehmern verständlich, wenn es um die Entwicklung der Konjunktur, aber auch der gesamtwirtschaftlichen Ordnung und Struktur geht. Diese Unsicherheit der Existenzen ihrer Väter läßt seit etwa 1968/69 zum erstenmal in der Nachkriegszeit eine Lehrlingsgeneration recht skeptisch nach Wert und Zukunft der eigenen Ausbildung wie auch der bestehenden Wirtschaftsordnung fragen. Solche Besorgnisse scheinen seither eine Art kollektiver Bewußtseinsentwicklung bewirkt zu haben, die schließlich von einem fatalen Un-gleichgewicht formiert wurde: vom Nebeneinander hervorragender Ausbildungsmöglichkeiten einerseits und vielen völlig unzureichenden Lehrstellen andererseits, von der Unvereinbarkeit steigender fachlicher Anforderungen aufgrund des technischen Fortschritts mit den bekanntgewordenen Mängeln der Berufsausbildung, besonders auch in manchen Berufsschulen. Bei vielen jungen Menschen wird die Unsicherheit über berufliche und wirtschaftliche Aussichten noch verstärkt, weil eine Neigung besteht, das große Stellenangebot in der gegenwärtigen Hochkonjunktur mit echten beruflichen Zukunftschancen zu verwechseln. Politische Folgen dieser wirtschaftlich-beruflich bedingten Verunsicherung können bei Lehrlingen in einem ungleichmäßig verlaufenden Prozeß zunehmender Kritik an den bestehenden Verhältnissen beobachtet werden.

Vor diesem Hintergrund müssen Politisierungsbemühungen unterschiedlichster Gruppierungen, wie sie in dieser Analyse erwähnt worden sind, natürlich anders bewertet werden als bei den gleichgültiger, weil unbesorg ter eingestellten Lehrlingsgenerationen bis etwa zur Mitte der sechziger Jahre.

Auf eine merkwürdige und nicht immer verständliche Weise scheint nun das Verhalten mancher Unternehmer und ihrer Verbandsvertreter den noch immer überwiegend unpolitischen jungen Berufstätigen jenes überzeichnete Bild vom Kapitalismus in der Bundesrepublik zu bestätigen, wie es junge Sozialisten und orthodoxe Kommunisten gern entwerfen und attackieren.

So ist beispielsweise eine Äußerung des früheren Bundeswirtschaftsministers Kurt Schmücker noch bei vielen in Erinnerung, nach der die Rezession von 1966/67 von der Wirtschaft und der damaligen Bundesregierung absichtlich herbeigeführt worden sei. Aufgefrischt wurde diese Erinnerung jetzt wieder durch inflationsund krisenankündigende Äußerungen verschiedener Wirtschaftsvertreter in den ersten Monaten des Jahres 1970 und besonders auch im Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen Bundestagsdebatte am 24. April d. J. Solche ökonomisch nicht immer begründeten Warnungen vermögen die angesprochenen Unsicherheiten nur noch zu verstärken; eine daraus entstehende Angst aber kann vielleicht auch zu einem Bumerang werden, der die marktwirtschaftliche Ordnung BRD der ernsthafter als alle Propaganda. bedroht kommunistische Denn mit einem neuen Jahrzehnt kommen offensichtlich Alternativen neue der Gesellschaftspolitik in unserem Lande auf.

Damit sind keineswegs in erster Linie die al-ten/neuen Vorstellungen der inzwischen wieder etablierten Kommunisten in der BRD gemeint, obschon der Eintritt gutbürgerlich gesonnener Berufstätiger mittleren Alters in die DKP im Rhein-Main-Gebiet zuzunehmen scheint, während die älteren Jahrgänge politische Betätigung nach wie vor als gebrannte Kinder vermeiden und die jungen sehr viel revolutionärer gesonnen sind als sämtliche europäische KP-Richtungen — sofern junge Berufstätige überhaupt Interesse an Politik haben.

Bei den mittleren Generationen hat die Arbeitslosigkeit von 1966/67 ganz offenbar Nachdenken und gelegentlich die erwähnte politische Konsequenz bewirkt. Sie sind deshalb beispielsweise auch immer seltener ansprechbar auf den Anreiz, ein Eigenheim zu bauen, der doch als Integrationsinstrument gerade unter Arbeitern in den fünfziger Jahren Triumphe erlebte. Heute könnten dagegen zusätzlich zur angedeuteten, generellen Skepsis die explodierenden Bau-und Baulandpreise besonders auch jüngere Arbeitnehmer in der Ansicht bestärken, daß Alternativen zur vorhandenen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung erwägenswert seien.

Die jüngste Generation im Wirtschaftsleben, die Lehrlinge, spüren dieses Unbehagen sehr deutlich, zumal es ihnen oft durch eigenes Erleben bestätigt und bestärkt wird.

Die Welle kräftiger Preiserhöhungen seit Ende 1969 z. B. empfindet mancher Lehrling gleich doppelt als Argument für Strukturveränderungen. Auf der einen Seite spürt er direkt bei eigenen Einkäufen und indirekt durch Klagen der Eltern, wie der Verbraucher in einer Marktwirtschaft deren Mechanismen unterworfen ist. Hört er dann, daß auch der Unternehmer den Marktgesetzlichkeiten folgen muß und deshalb in einer Phase gesteigerter Nachfrage nimmt, was er in anderen Situationen am Markt nie erzielen kann, dann verfällt ein junger Mensch leicht aus der ökonomischen in die ethische Argumentation und fragt nach der Gerechtigkeit der Verteilung des von allen erarbeiteten Sozialprodukts.

An diesem Punkt seiner Überlegungen stößt der Lehrling dann vielleicht auf die andere Seite von Preiserhöhungen, von der er nun freilich ebenfalls betroffen sein möchte, nämlich Lohnforderungen als Reaktion. Er meint, was dem älteren Kollegen recht sei und seitens der Unternehmensleitung schon wegen der Arbeitskräfteknappheit gewährt wird, müsse dem Lehrling billig sein. Und rasch bietet sich hier das alte Schlagwort von der Ausbeutung an, der man gleichfalls eine bessere Alternative entgegensetzen müsse.

Diese wenigen Hinweise auf offensichtliche Fehlorientierungen im wirtschaftlichen Bereich müssen hier genügen, um deren politische Folgen in der Bewußtseinsentwicklung von Lehrlingen zu verdeutlichen. Dabei ist das Unbehagen aufgrund ökonomisch bedingter Faktoren ja nur ein Element im allmählich spürbaren Aufbegehren von Lehrlingen, das wohl am ehesten als Unruhe infolge von Unsicherheiten verstanden werden kann. All diese Unsicherheiten und die so begründete Bewegung müssen nun aber im Zusammenhang mit der für den Zusammenhalt jeder Gesellschaft konstitutiven Frage gesehen werden, wofür sich junge Menschen bei uns heute engagieren können. 4. Mangel an Zielen und Vorbildern Lehrlinge finden sich heute wie früher in Betrieb und Gesellschaft am Schluß jeder Rangliste von Bewertung, Behandlung, Bezahlung und oft auch noch Ausbildungsqualität — nur werden sie sich solcher Unterprivilegierung zunehmend bewußt. überwiegend an Politik desinteressiert, sucht ein Großteil von ihnen einen Ausgleich in der Freizeit, ohne ihn immer zu finden. Die meisten Lehrlinge denken im übrigen mehr oder minder übereinstimmend, die Lehrzeit ginge ja auch einmal vorüber. Vielleicht werden sie dann sogar, ebenso wie bisher der allergrößte Prozentsatz von Berufstätigen nach abgeschlossener Ausbildung, den dabei erhaltenen Druck nun ihrerseits an die nachrückenden Lehrlinge weitergeben. Damit wäre voll und ganz dem bisher gewohnten Bild von Generationskonflikten im Berufsleben entsprochen: Die Jüngeren rebellieren so lange gegen die Älteren, bis sie deren Positionen erobert haben, um dann in den gleichen Positionen innerhalb der gleichen Institutionen, auch außerhalb des Berufs, das gleiche Verhalten zu tradieren, das sie vorher bekämpft hatten. Hier nun deutet sich ein beginnender Unterschied bei den heranwachsenden Lehrlingsgenerationen an.

Zunächst scheint der soziale Aufstieg in Beruf und anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht mehr für eine Mehrheit das selbstverständliche Ziel ihres Lebens zu sein. Es gibt vor allem in größeren Industriestädten einzelne und Gruppen junger Berufstätiger, die bei den Eltern, in üblichen möblierten Zimmern oder in Wohngemeinschaften anderen Zielen leben und die Berufstätigkeit überwiegend nur als Mittel zum Lebensunterhalt oder aber als Ansatz für ihr bewußtseinsbildendes Engagement ansehen, ohne daß sie zu einer der im ersten Teil dieser Beobachtungen beschriebenen, politisch agierenden Gruppierungen gehören, und ohne Teilnahme an der Subkultur drogen-orientierter Träumer.

Relevant an den Vorstellungen dieser jungen Menschen ist nicht nur das fleißige Bemühen um eine Selbstverständigung über bessere gesellschaftliche Ziele als die heute und hier vorfindlichen, die sie stets beredt und meist belesen kritisieren. Wichtig sind auch ihre Kontakte und Einflüsse auf andere, auf die vergleichweise „normalen" Lehrlinge und jungen Berufstätigen.

Deshalb läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob oder wie lange solche Vorbilder als Ausnahmeerscheinungen abgetan werden können. Nachdenklich mutet an, daß im Laufe der letzten zwei Jahre ganz „normale" junge Ehen unter diesen jungen Leuten entstanden sind, und daß die Paare und jungen Familien sich bewußt oder unbewußt unter erstaunlich durchgehaltenem Konsumverzicht offenbar eingerichtet haben auf einen langen „Marsch durch die Institutionen". Sie haben viele Freunde; die Kinder finden Aufnahme in antiautoritären Kindergärten, deren vermutlich wichtigste Funktion die permanente Diskussion über Erziehungsziele und -prinzipien sowie begangene Fehler ist.

Als quicklebendige Vorbilder leben sie manchem Lehrling vor, daß es sich nicht lohnt, in den bestehenden Strukturen von Betrieb und Beruf „vorwärtskommen" zu wollen.

Doch auch wo derartige personifizierte Alternativen unter Lehrlingen nicht bekannt sind, entsteht allmählich der Eindruck, als würden junge Arbeitnehmer weniger als früher daran interessiert sein, den gewohnten Kampf gegen Ältere zu führen. Wenn sie kämpfen, scheinen sie nicht in erster Linie Personen und ältere Generationen anzugreifen, sondern vielmehr die von jenen besetzten Positionen in Frage zu stellen. Ganz anders als die Studenten extremer Gruppierungen, etwa im Wintersemester 1968/69 in Frankfurt am Main, verzichten junge Berufstätige völlig auf individuellen Terror gegenüber Inhabern von Herrschaftspositionen. Fast hat es den Anschein, als realisierten einzelne von ihnen damit jene Mahnung Rudi Dutschkes, der in Anlehnung an ein Wort von Marx meinte, gegen solche „austauschbaren Charaktermasken" an zukämpfensei „völlig inadäquat und falsch" Statt dessen, so hat es den Anschein, richten sich unmerklich immer mehr auch unter Lehrlingen nach der Devise, die einer der Anführer der amerikanischen Studenten in der Früh-phase der Jugendrebellion 1964 in Berkeley, Mario Savio, formulierte: „Es ist nicht so wichtig, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, als die Gesellschaft so zu gestalten, daß man in ihr auch einen Platz finden möchte." Selbst wenn die Vermutung unzutreffend ist, daß so mancher junge Berufstätige sich hieran orientiere, muß zum Abschluß dieser Betrachtungen und Beobachtungen gefragt werden, was denn in unserer Gesellschaft der BRD junge Menschen zum sinnvollen Leben in ihr reizen könnte, welchen Zielen sie nacheifern sollten, wo die Vorbilder der berufstätigen Jugend zu finden sind. Daran nämlich läßt sich am Ende prüfen, ob die gegenwärtige Unruhe unter Lehrlingen ernster zu nehmen ist als eine bloße Episode: Lohnt es sich für sie, diese Gesellschaft als die ihre zu akzeptieren, dann 66 assen sich die aufgezeigten Unsicherheiten and ebenso die beschriebenen Politisierungsjestrebungen durch Verbesserungen bald und eicht überwinden.

Ziele der Vätergeneration Anziehungskraft und Stabilität unserer erst 1949 entstandenen bundesrepublikanischen Gesellschaft sind vor allem begründet in den licht zufälligen Erlebnissen ihrer Bewohner während der vorhergegangenen Jahre. Des-alb wissen die meisten erwachsenen Bundespürger bis heute genau eigentlich nur, was sie licht wollen: Sie wollen, wie die Hauptfigur les berühmten Romans „Vom Winde ver-weht", nie wieder Hunger und Entbehrungen, Angst und Not leiden (O'Hara-Effekt)

Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist da-nit aber nur negativ definiert, auch wenn sich daraus leicht das positive Streben nach Wohlstand und Sicherheit ableiten läßt. Denn gerade dieses Verlangen ist stets individual-, nie gemeinschaftsbezogen.

Das Streben nach privatem Glück eignet sich deshalb gut als Schutz des einzelnen gegen imfassende Ansprüche eines totalitären Staaes. In liberaleren Gesellschaften hingegen ann bloßes Wohlstandsstreben eher desintegrierend wirken: jeder ist u. U. nur noch am eigenen Wohl und niemand mehr am Kurs des Ganzen interessiert. Hinzu kommt das schon erwähnte falsche Sicherheitsbewußtsein einer Mehrzahl von Bundesbürgern, das vom tradi-ionellen deutschen Wohlfahrtsbestreben des Staates auch gerade in der BRD noch verstärkt wurde, wie Dahrendorf einmal kritisierte: „Die staatliche Subventions-und Sozialpolitik . . läuft ... nach wie vor darauf hinaus, Menschen an rationalem, modernem Verhalten zu lindern, indem sie an dem Ort, an dem sie einnal sind, unablässig gesichert werden: der Bauer als Bauer in einer immer rückständige-ren Landwirtschaft, der Bergmann als solcher n einem niedergehenden Gewerbe, der Flüchtling als Flüchtling und der Pensionär als solcher. So wird Initiative, freie Betätigung, Mobilität . . . nicht gefördert, sondern ge-

emmt."

Von den bisherigen Lehrlingsgenerationen in der BRD konnte gesagt werden, daß sie die nit Wohlstand und Wohlfahrtspolitik veroundenen Annehmlichkeiten zwar gedanken-* los und kaum sich dafür erkenntlich zeigend, aber doch gern akzeptiert haben.

Heute ist dagegen festzustellen, daß immer mehr Lehrlinge einmal die soziale Marktwirtschaft durch die skizzierten Unsicherheiten ihrer Berufs-und Lebenssituation diskriminiert sehen, zum anderen sogar schon den Wohlstand eher mißbehaglich, wiewohl in gewohntem Umfang hinnehmen. Als Lebensziel scheint er sie nicht mehr so zu vollem Engagement zu animieren wie ihre Eltern.

Kulturpessimisten könnten in diesem Tatbestand eine Übersättigung bestätigt sehen und daraus wieder einmal die Forderung nach Rückkehr zum „einfachen Leben" ableiten. Sie wissen nicht, daß damit das Todesurteil über die Industriegesellschaft gefällt wäre. Sie übersehen aber vor allem, daß ein einfaches Leben in ihrem Sinne jungen Leuten so wenig sinn-gebend erscheint wie bloßes Wohlstandsstreben. Das scheinen freilich nicht nur Kulturpessimisten in unserem Lande zu übersehen, sondern auch eine ganze Reihe maßgeblicher Gruppen und Persönlichkeiten. Darauf weist der katholische Theologe Georg Scherer in einer philosophischen Analyse hin: . die Wohlstandsgesellschaft ... neigt nämlich dazu, den Wohlstand gerade nicht als eine bloße Voraussetzung humaner Existenz anzusehen, sondern vielmehr deren Sinn selbst vom Wohlstand her zu bestimmen. In dieser Wohlstandsideologie vollzieht sich eine groteske Verharmlosung der Problematik menschlichen Daseins. ... Diese Wohlstandsideologie begegnet uns auf Schritt und Tritt in den Reden von Politikern, Parteiprogrammen und den Äußerungen der Massenmedien, vor allem, wenn sie sich der Reklame zur Verfügung stellen. Da wird dann unbesehen Fortschritt mit steigendem Wohlstand gleichgesetzt, der Wohlstand als letztes Ziel aller politischen Maßnahmen ausgegeben, die Konsumangebote bewußt mit der Verwirklichung von Sinn und Glück gleichgesetzt. Bildungspolitische Maßnahmen und Reformen werden dann fast nur unter technokratischen Aspekten gesehen, die ihrerseits mit der Bewahrung und Steigerung des Wohlstands Zusammenhängen."

Solch eine Kritik darf nun freilich ihrerseits nicht übersehen, wieviel auch gerade in der BRD noch zu tun ist für die Realisierung befriedigender Verhältnisse auf den verschiedensten Gebieten. Worum es ihr hauptsächlich geht, ist aber der auch hier relevante Hinweis darauf, daß Wohlstand einerseits zur Sinngebung heute nicht ausreichend ist, andererseits den Blick für andere Aufgaben trübt. Eine solche „Aufklärung" wird nun in zunehmendem Maße auch unter Lehrlingen betrieben. „Vom Wohlstand versaut" ist z. B. auf einem Plakat zu lesen, das einen wohlgenährten Kopf mit Scheuklappen zeigt, in dem nichts anderes den Hirnraum füllt als eine Vielzahl gleichlautender Gedanken, symbolisiert durch die Abkürzung „DM". Unter diesem Porträt des Wohlstandsbürgers steht die Mahnung: „In den Augen von Lateinamerika, Asien, Afrika . .. siehst auch Du so aus." Herausgegeben und vertrieben wird dieses Plakat zusammen mit anderem Aufklärungsmaterial von der CAJ (Junge Christliche Arbeiternehmer), auf deren II. Kongreß in Mainz im Frühjahr 1970 die Delegierten von mehr als zehntausend Mitgliedern und Mitarbeitern dieser katholischen Organisation u. a. forderten, die Gesellschaft'solle die Jugend nicht nur als Verbraucher, sondern auch als Menschen anerkennen. Es sind aber nicht nur konfessionelle Bestrebungen unter jungen Berufstätigen zu verzeichnen, die für die Vätergeneration der Lehrlinge von heute nur zu verständliche Sucht nach Wohlstand zu relativieren. In dieser Absicht treffen sich auch viele andere Bemühungen sonst höchst unterschiedlicher und oft sogar gegensätzlich agierender Gruppierungen und Organisationen, die hier als „Beiträge zur Politisierung von Lehrlingen" beschrieben wurden und unter denen eben nicht so sehr die von Studenten initiierten Gruppen mit einer Breitenwirkung rechnen können, sondern eher die gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit. Unterstützt wird die Relativierung des Wohlstands als Ziel für Gesellschaft und Individuum freilich auch vom Mangel an anderen erstrebenswerten Zielvorstellungen bei der Gründergeneration dieser Gesellschaft.

Ein Zeugnis dafür, wie einfach sich unabsichtlich manch prominenter Vertreter unter den Mitbegründern der BRD die Darstellung heutiger Ziele unserer Gesellschaft macht, gibt ein Aufsatz von Hans Dichgans vom Sommer 1969, in dem es u. a. heißt: „Die Zielvorstellungen unserer Gesellschaft sind Freiheit, Bildung, Wohlstand, Sicherheit und Gerechtigkeit. Die Sprache zwingt dazu, diese Begriffe in eine Reihenfolge zu bringen, aber sie sind ihrer Natur nach gleichwertig. . . . Bestimmte Einschränkungen unserer Freiheit sind unvermeidlich. Unsere Wohlstandsproduktion setzt voraus, daß ein bestimmter Arbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Arbeit planmäßig ausführt. . . . Dieser Zwang ist keineswegs nur auf die niederen Stufen der Produktion beschränkt. Der Bundeskanzler, der Generaldirektor, der leitende Angestellte: sie alle unterstehen einem Zwang, der für sie in der Form des Terminkalenders sichtbar wird. .. . Das ist der Preis, den wir für unseren Wohlstand aufzubringen haben, zu entrichten in Verzicht auf Freiheit. ... Bleibt das Problem der Gerechtigkeit. Man kann die Einkommens-und Vermögensunterschiede in der Bundesrepublik mit Recht kritisieren. Sie gehören jedoch zu unserem Wirtschaftsund Gesellschaftssystem. . . . Der Anreiz, der in dem Gewinnstreben steckt, läßt sich offensichtlich durch kein anderes Mittel gleich wirksam ersetzen . .. Wir müssen uns jedoch ständig um eine gerechte Umverteilung bemühen und tun das auch. .. . Mit unserer Gesellschaftsordnung steht es ebenso wie mit der Demokratie: Gegen beide Systeme läßt sich viel einwenden, aber niemand hat bisher eine bessere Alternative vorschlagen können."

Die angegebenen Ziele Bildung und Sicherheit werden nicht behandelt; die Darstellung der anderen Ziele Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit könnte bei Lehrlingen und jungen Menschen überhaupt als zynisch wirken, was ganz gewiß nicht beabsichtigt ist. So mag es ganz gut sein, daß junge Leute und Berufstätige diesen Aufsatz vermutlich nie lesen werden; er erschien in der Vierteljahresschrift der Evangelischen Akademikerschaft, die sonst ein ausgewogenes und besser fundiertes Bild bietet.

Fragt man aber weiter nach Zielen und Vorbildern für die Jugend, muß man das Fehlen von zündenden politischen Leitideen bemerken, das inzwischen auch von einem Mitarbeiter im Wissenschaftlichen Institut der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgestellt worden ist Interessant ist dabei, daß auch die berufstätige Jugend im Sozialismus der SED keine Alternative sieht.

Suche nach Alternativen Das einzig relevante Engagement junger Leute heute beschrieb Erwin K. Scheuch so: „So sehr Jugend als Zustand glorifiziert wird: Konkret sind Jugendliche ... in erster Linie als Konsumenten nützlich, und hier wiederum Is die am leichtesten mobilisierbare Gruppe är neue Konsumstile und -richtungen." n der Tat finden besonders auch die Lehrlinge i den Angeboten der Freizeitindustrie am besten ihre Vorbilder und eifern ihnen nach -bis zum nächsten Wechsel der Mode in Ge-abe und Kleidung, Ausdrucksweise und Vortschatz. Eben damit aber scheinen sie je inger um so weniger einen wirklichen Sinn u finden und laufen nur mehr aus Gewohneit im bisherigen Geleis weiter. Diese Art on Gleichgültigkeit ist vielleicht typisch für iele junge Berufstätige und wird von Scherer nthropologisch erklärt: „Wenn der Mensch ach dem Sinn fragt, geht es ihm nicht nur um as, was ihn erfüllt oder Hoffnung auf Erfülung weckt, sondern auch um . . . das verbindiche Engagement . . ., weil er nicht wie das ’ier fest in seiner Bestimmung ruht, sondern rst in freier Tat zu sich selbst zu finden at." ie Entwicklung von Möglichkeiten zu solch erbindlichem Engagement zeichnet manche istorische Gesellschaft und manches gegenvärtige System aus; der Mangel daran kann ich als Fehlen von Integrationsmotiven verängnisvoll auswirken.

Jnter Hitler wurden besonders den damals ungen Deutschen Engagements angeboten, de-en begeistertes Eingehen Deutschland und talb Europa zerstörte. Nach diesem Zusamnenbruch engagierten sich die gleichen Gene-ationen beim Wiederaufbau; im übrigen hielt ler Druck stalinistischer Bedrohung die westteutsche Teilgesellschaft von außen zusamnen.

Die Europa-Idee erwies sich als ohnmächtig jegenüber nationalen Interessen; deren spezi-isch deutsche Ausprägung wiederum kann nur ils nationalistischer Selbstbetrug den Frieden n Europa gefährden.

Jnter den sozialistischen Ländern gibt es nach lern 21. August 1968 nicht einmal mehr im motionalen Bereich Möglichkeiten für junge Nestdeutsche, dort Alternativen zu suchen, lie ein Engagement lohnenswert erscheinen assen.

m eigenen Land gibt es keine konservative dee; als konservativ erklärt sich zu Unrecht läufig alles, was lediglich einer unbesehenen Bewahrung des Status quo das Wort redet und damit nur zur Entstehung vieler Mängel und Mißstände gerade auch auf dem Gebiet der Berufsausbildung beigetragen hat, wenn auch sicher ohne Absicht. Die Berufung auf Freiheit und der Appell zu ihrer Verteidigung schließlich ist pervertiert worden zur Phrase.

Das liberale Element in der Bundesrepublik schien ein einziges Mal das Engagement zumindest für junge Unzufriedene lohnenswert zu machen: in der Spiegel-Affäre. Heute ist es auf dem Felde der Gesellschaftspolitik konturloser denn je und gleicht darin der bisherigen Alternative sozialdemokratischer Richtung, die ein alternatives Konzept bisher ja nur in der Außenpolitik zeigt.

Nun wird niemand behaupten wollen, daß sich Lehrlinge mit derartigen Überlegungen auch nur gelegentlich beschäftigen. Sie sind aber die hauptsächlichen Adressaten von Angeboten zum Engagement, und „am Ende wird dasjenige System die Jugend an sich ziehen, das ihr inmitten der immer komplizierteren und abstrakteren Industriegesellschaft die konkreteren und fordernderen Aufgaben stellt, die ihr einen sense of purpose gibt und die Möglichkeit, ihm mit Mitteln nachzugehen, die den Zielen nicht offensichtlich widersprechen." Die Richtigkeit dieses Hinweises, den Hartmut v. Heutig während der Osterunruhen 1968 gab, hat John F. Kennedy vor zehn Jahren in den USA bewiesen, als er erstmalig schon seinen Wahlkampf nicht mit Versprechungen, sondern mit Forderungen bestritt.

Auch Lehrlinge aber bemerken heute sehr wohl die Versäumnisse, die als Begleitung des Wohlstandskultes von ihnen getragen werden müssen. „Es wächst eine Generation heran, die vor der Bedrohung unseres täglichen Atemraumes steht, die um die Gefährdung der Wasserversorgung unserer Städte und der Reinheit der Gewässer weiß. Diese Generation erlebt wachen Sinnes die Ohnmacht derer, welche diese Situation haben entstehen lassen . . .", sagte Adolf Portmann im vergangenen Jahr

Lehrlinge spüren also wie andere Jugendliche mit besserer Schulbildung den Hauptwiderspruch unserer augenblicklichen Lage und ahnen zumindest auch die sich daraus ergebenden Hauptaufgaben, die man ihnen und ihrer Generation eigentlich stellen müßte, anstatt sie in einer Wohlstandsideologie und zu individuellem Aufstiegsstreben zu erziehen: Die Möglichkeiten und Ressourcen unserer Gesell- schäft werden kaum genutzt, um diese Gesellschaft lebenswerter zu gestalten. Der Haupt-widerspruch besteht zwischen den großartigen Chancen industrieller Technik und moderner Forschung einerseits und ihrer oft sinnlosen Anwendung zur „Wohlstandsproduktion"

(Dichgans) oder aber ihres versäumten Einsatzes bei sinnvollen Gemeinschaftsaufgaben andererseits. Selbst dem letzten Lehrling wird dieser Widerspruch auf den verstopften Straßen, in überfüllten Schulen und Krankenhäusern und nicht zuletzt auch an der Praxis der eigenen Ausbildung mit manchen Mängeln deutlich.

Die dumpfe Unruhe unter Lehrlingen beruht also nicht nur auf den aufgezeigten Unsicherheiten, sondern auch auf dem Mangel an Zielvorstellungen, für die sie sich engagieren könnten, während sie doch solche Ziele aufgrund des angedeuteten Hauptwiderspruchs in der Gesamtgesellschaft selber anzugeben in der Lage wären.

Deshalb werden vermutlich auch Lehrlinge in zunehmendem Maße unzufrieden mit den bestehenden Verhältnissen, und das kann sie bei fehlendem Verständnis ihrer erwachsenen Partner und Erzieher sowie der Öffentlichkeit vielleicht auch anfälliger für die beschriebenen Politisierungsbemühungen machen.

Notwendig erscheint daher eine Umorientierung der Erziehung auch von Lehrlingen, die sie befähigt, zur Auflösung des skizzierten und von ihnen immer stärker empfundenen Widerspruchs beizutragen. Dazu meint Adalbert Rang: „Für sie (die Erziehung, K. H.) ginge es nicht mehr nur abstrakt um die Entwicklung sogen. . Kritikfähigkeit'für den zukünftigen . mündigen Staatsbürger', sondern um konkreteres: um die Erziehung zu neuen, anspruchsvolleren Bedürfnissen; um die Erziehung zum Bewußtsein der objektiv vorhandenen Befriedigungsmöglichkeiten solcher Bedürfnisse . . .; um die Erziehung zum Musil'schen , Möglichkeitssinn', zum Bloch'schen antizipierenden Bewußtsein . . . ; um die Erziehung zum Mut des Seiberdenkens; zur Kreativität und Innovationsmöglichkeiten . . . Die Forderungen, daß Auschwitz sich niemals wiederholen dürfe, daß an die Stelle . . .der verkümmerten Befriedigungen die volle, uneingeschränkte Befriedigung aller humanen Bedürfnisse treten müsse -— diese Forderungen mögen in den Ohren der meisten . utopisch'klingen im schlechten, abstrakten Sinne des Wortes. Aber eine Gesellschaft, die auf die konkrete Einlösung dieser Forderungen verzichtet und den für die Herstellung des Gemeinwohls . . . erforderlichen Zusammenhang von Politik und Utopie auflöst, . . . treibt orientierungslos ihrer Selbstauslösung . . . entgegen."

Quintessenz und Abschlußfrage: Politische Lehrlingsbildung?

Zum Schluß dieser Beboachtungen soll versucht werden, die wichtigsten der hier angesprochenen Tendenzen in einem groben Über-blick zusammenzufassen, der auch einige Folgerungen zuläßt. Dabei wird der Gebrauch des vertrauten, wiewohl inkorrekten und beinahe unzumutbar umfassenden Wortes „Lehrlinge" durchgehalten, weil die jetzt korrekte Bezeichnung „Auszubildende" noch zu wenig geläufig erscheint. Ihre womöglich noch umfassenderen Inhalte im Hinblick auf politisch relevante Verhaltensweisen der so Bezeichneten bald einmal zu differenzieren aber kann diese Analyse vielleicht anregen helfen. Lehrlinge scheinen seit wenigen Jahren aus ganz bestimmten Gründen sehr viel weniger brav und anpassungswillig zu sein als in der ganzen Nachkriegszeit bis etwa 1968. Die Angabe dieser Jahreszahl darf aber nicht in die Nähe jener zeitweise beliebten Verschwörer-Theorien führen, nach denen linksradikale Gruppen und Organisationen, insbesondere auch solche vom SDS initiierten, unbedarfte Lehrlinge aufhetzen und mit ihnen zusammen in Betrieben und Berufsschulen Stützpunkte für den Umsturz der bestehenden Verhältnisse errichten. Daß es ähnliche Versuche gibt, wird zusammen mit anderen Politisierungsbemühungen unter Lehrlingen im ersten Teil des Berichtes beschrieben.

Wesentlich und für den Erfolg solcher Bestrebungen ausschlaggebend sind jedoch Widerspi üchlichkeiten, Unsicherheiten und bestimmte Mängel, denen Lehrlinge heute bei uns ausgesetzt sind: Als Jüngste im Betrieb sind Lehrlinge zunächst stark betroffen vom Widerspruch ihrer geringen Bewertung gegenüber den an sie gestellten Anforderungen, besonders z. B. im Hinblick auf Verantwortlichkeit, Leistungsbewußtsein, Selbständigkeit und anderen sozialen Wertmaßstäben, die sie bei der Bedienung von Maschinen ebenso zu beachten haben wie etwa im Straßenverkehr. Sie müssen bedeutend höheren Anforderungen dieser Art gerecht werden als etwa gleich- iltrige Schüler, werden aber geringer bewer-et als diese. Zugleich spüren sie im krassen Gegensatz hierzu eine Jugendlichkeitsorien-ierung als Modeerscheinung unserer Zeit, die hnen gerade im Berufsleben mehr Chancen ibt als manchen Alteren, was oft zu einer . nangemessenen Überlegenheit der Jüngeren (ihren kann.

Niederum schroff gegensätzlich hierzu spüren ehrlinge aber auf Schritt und Tritt und nicht iur im Betrieb Autoritätsansprüche auf der Grundlage einer überholten „Graduierung der ündigkeit" (Strzelewicz) einerseits und auf-rund anachronistischer „Amtsautorität anstel-e notwendiger Funktionsautorität" (Baudisin) andererseits. Sie reagieren darauf mit zuehmendem Widerstand gegenüber solchen Neisungen, die sachlich nicht legitimiert sind nd deren Diskussion von Vorgesetzten nicht ugelassen wird, wie z. B. Verbote des Tragens anger Haare bei Jungen bzw. langer Hosen ei Mädchen — banale Anlässe für die oft danit verbundenen Investitionen an Energie und restige. ’

Demgegenüber stellen heute auch Unternehner fest, daß sich mit Macht allein nicht län[er Disziplin erzwingen läßt, sondern viel-nehr bereits Lehrlinge die Fähigkeit lernen ollten, Kritik zu üben und zu ertragen, wenn ie begründet ist, damit sie später selbständige ind verantwortliche Berufstätige sein können. 'usammengenommen kann diese Häufung von Nidersprüchen zwischen alten, nur am Lebens-Iter orientierten Maßstäben für soziale Reife nd neuen, soziales Bewähren vorrangig beur-eilenden Maßstäben zu einer wachsenden Unicherheit von Lehrlingen, aber auch Ausbillern und anderen für sie Verantwortlichen ühren. Solche Unsicherheiten stehen im engen usammenhang mit dem Führungsstil in Wirtchaft und Verwaltung, aber zugleich auch mit inem Defizit an Vertrauen junger Menschen egenüber ihren Erziehern und Vorgesetzten, veil sie die Wirklichkeit oft ganz anders erahren müssen, als sie ihnen geschildert wurle, besonders in Deutschland. Dies ergibt sich 1s Folge immer schnellerer Veränderungen, läufig mangelnder Bereitschaft zu ständigem Veu-und Umlernen und der Scheu, eigene ehler Vergangenheit den der Jungen offen inzugestehen.

Jm all diese Probleme Lehrlingen wie Erwachenen deutlich zu machen, bedürfte es einer Art sozialer Allgemeinbildung, wie sie noch aum gelehrt und in den Betrieben nur selten ür Lehrlinge, fast nirgends für ältere Mitarbeier akzeptiert wird. Zumindest für Ausbilder ber sollte sie künftig in Verbindung mit ihrer vom Berufsbildungsgesetz verlangten Eignung überall praktiziert werden. Symptome der skizzierten Unsicherheiten und einer mehr erahnten Unterbewertung bei Lehrlingen sind gegenwärtig die Tendenz zunehmender Kritik an den Verhältnissen, auffälliger Indolenz etwa in der Mitte der Lehrzeit und eine Kanalisierung der Unzufriedenheit in der Forderung nach Gehalt für Lehrlinge.

Eine größere Nähe zu politischen Überlegungen und Konsequenzen ergibt sich aus einem zweiten Faktorenbündel, das bestimmend ist für Unruhe durch Unsicherheiten unter jungen Berufstätigen, bezogen auf ihre beruflich-existenzielle Zukunft im Rahmen unserer Marktwirtschaft.

In einer langen wirtschaftlichen Stabilitätsphase entstand in der BRD offenbar ein falsches Sicherheitsbewußtsein, so daß sehr viele Bundesbürger von Rezession, wirtschaftlichen Strukturveränderungen mit Zwang zum Berufswechsel u. a. ökonomischen Friktionen unerwartet betroffen wurden. Daraus ergab sich in den letzten Jahren eine zunehmende Hell-hörigkeit besonders unter Arbeitnehmern mit einem Akzent des Mißtrauens gegenüber der marktwirtschaftlichen Ordnung. So erklärt sich auch, daß seit der angegebenen Zeitspanne, also etwa ab 1968/69, erstmals seit Kriegsende eine Folge von Lehrlingsgenerationen skeptisch sind angesichts der Angebote von Ausbildung, späterer Berufstätigkeit und der sie tragenden Wirtschaftsordnung.

Stark verschärfend auf solche Skepsis mußten dann die bekanntgewordenen Mängel in der Berufsausbildung wirken, auf die hier nicht weiter eingegangen wird.

Auf diesem Erlebnishintergrund beruflich-ökonomischer Unsicherheiten können freilich die mannigfachen, erwähnten Politisierungsbemühungen nicht mehr ohne weiteres als aussichtslos abgetan werden, zumal sie die eben genannten Unsicherheitsfaktoren genauso geschickt und plausibel als zwangsläufige Ergebnisse eines überlebten Gesellschaftssystems zu deuten wissen wie die vorher erwähnten Unsicherheiten und Widersprüche im Bewertungs-und Autoritätsgefüge.

Unsicherheit gegenüber der Zukunft unserer Wirtschaftsentwicklung und damit verbunden Mißtrauen in das sie begründende Wirtschaftssystem scheinen heute noch gefördert zu werden — paradoxerweise (oder frei nach Marx logischerweise) am meisten von den Säulen eben dieser Wirtschaftsordnung, sei es nun mit unbedachtem Herbeiführen instabiler Wirtschaftssituationen (IOS-Zusammenbruch; Preisanstiegswelle), sei es durch längerfristig nicht begründbare Kassandrarufe. Einem gründlichen Irrtum unterliegt dabei allerdings jeder, der meint, mit Angst-und Panikmache politisch reaktionäre Ziele zu erreichen. Denn diese Generation von Lehrlingen ist nach dem Vorbild der Schüler und Studenten eher geneigt, eine Revolution herbeizuführen als sich durch Angst manipulieren zu lassen, und die Generation ihrer Väter hat in den spontanen Streiks ein neu erwachtes Selbstbewußtsein bewiesen, das sie eher mit ihren Söhnen solidarisieren könnte. Deshalb vermag ein Schüren wirtschaftlich bedingter Furcht heute höchstens zum Bumerang zu werden.

Eine Aufklärung über ökonomische Zusammenhänge müßte also zu der oben geforderten sozialen Allgemeinbildung dazugehören, freilich nicht als billige Apologetik bestehender Strukturen. Das würde die ohnehin kritisch gewordene junge Generation nur noch mißtrauischer werden lassen. Statt dessen erscheint es möglich, gerade auch junge Berufstätige über die erforderliche Offenheit für begründete Kritik an unserer Wirtschaftsordnung zu gewinnen für gemeinsame Strukturveränderungen auf der Basis eines neu anzustrebenden Konsens. Solch eine Möglichkeit zum Engagement setzt natürlich die Bereitschaft für gemeinsam zu erarbeitende Änderungsmodelle in der Wirtschaft voraus; hierin scheint eine Chance für die Arbeitgeberseite zu liegen, die schon im Kleinen im Betrieb teil-realisiert werden kann.

Der Zwang zu einer ähnlichen, reformerischen Entwicklung ergibt sich andererseits aus einem Mangel an Zielen in unserer Gesellschaft, für die junge Berufstätige sich sonst engagieren könnten. — Wohlstand und die Sicherung von Ruhe und Ordnung zu seiner Erhaltung und Vermehrung scheinen für viele junge Leute nicht mehr wie für ihre Eltern das Hauptziel unserer Gesellschaft und des individuellen Aufstiegsstrebens zu sein.

Freiheit wird gerade bei Lehrlingen schon noch als Zielvorstellung angesehen, aber völlig anders interpretiert als bei den Begründern der BRD, nämlich eher als eine Art antiautoritäre Selbstfindung, zu der freilich in den bestehenden gesellschaftlichen Institutionen keine Realisierungsmöglichkeit zu finden ist. So suchen die meisten Jugendlichen heute Ersatzbefriedigungen, wie sie im Freizeitbereich geboten werden. Dabei spüren sie aber deutlicher als ihre eigenen Erzieher, daß Wohlstand nicht der Sinn des Lebens und Hauptziel einer Gesellschaft sein kann, sondern nur mehr deren wichtige Voraussetzung.

Gleichzeitig verspüren auch Lehrlinge in den Versäumnissen und bisher unterbliebenen Sozialinvestitionen für Bildung, Infrastruktur und Umweltschutz einen Hauptwiderspruch in unserem Land: Der sinnlose oder ausbleibende Einsatz der großartigen Möglichkeiten moderner Industrie offenbart sich auch ihnen in schlechten Schulen und Straßen usw., so daß sie zur kritischen Fragestellung an die Verantwortlichen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft immerzu gereizt werden.

Zündende politische Leitideen fehlen; auf einen deutschen J. F. Kennedy warten, hieße törichtem Fatalismus huldigen. So darf denn die Suche nach Alternativen zwischen dem Erlebten und etwa dem sich selber diskreditierenden SED-Sozialismus nicht verwundern, bei der so mancher Lehrling bald auf das Angebot verschiedener Vorbilder auf der politischen Linken stößt.

Insgesamt zeigt sich somit die Lage des Lehrlings vor allem gekennzeichnet vom Hineinwachsen in Widersprüche, die ihn verunsichern müssen, weil sie ihm kaum erklärt werden. Zugleich wächst das Selbstbewußtsein, während seine Partner im Betrieb seiner zunehmenden Kritik eher mit Ratlosigkeit begegnen, sind sie doch selber verunsichert — man denke nur an den ungenügenden, ja oftmals noch völlig ungeklärten Stellenwert von Ausbildung und Ausbildern. Die meisten erwachsenen Verantwortlichen für Lehrlinge in unserem Lande scheinen deshalb noch mehr als in Deutschland zur Tradition des Verschweigens, und wo das nicht hilft, zum Unterdrücken von all den angedeuteten Konflikten und Widersprüchen zu neigen — kraft einer Autorität und Strukturen, die sie damit nur noch schneller untergraben helfen.

Die umrissene Tendenz zur Unruhe durch Unsicherheiten im Bereich der Berufsausbildung trifft nun zusammen mit einer Emanzipationswelle in der Bundesrepublik. Beide Bewegungen könnten sich später vielleicht als säkulare erweisen; für die von den Studenten ausgelöste Emanzipationstendenz zumindest ist festzuhalten, daß sie seit 1848 die erste ist in Deutschland.

Dies Zusammentreffen bleibt nicht ohne Wirkung auf Lehrlinge und wird in seinen Folgen noch verstärkt, wenn der politische Hintergrund des ersten Macht-und Rollenwechsels in unserem jungen Staat als Ergebnis der Bundestagswahl von 1969 beachtet wird. Mag auch das unbeabsichtigte Zusammenwirken der drei wichtigen Geschehnisse bzw. Trends überdeckt werden vom Getriebe des gewohnten Alltags, von Sorgen um Konjunktur und Preise, von jewichtigen außenpolitischen Kontroversen: roch nie, so scheint es, waren Lehrlinge bei ins eher politisierbar als jetzt. Im übertrage-ien Sinne kann darauf eine Warnung ange-wandt werden, die der Vorsitzende des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten an der Universität Bonn im Frühjahr schrieb:

Die Mehrzahl schreckt nun einmal erst auf, wenn politische Auseinandersetzungen auf der Straße ausgetragen werden, Feuer gelegt wird, Scheiben eingeworfen werden. Dies ist auch sine Schlagzeile wert. Keine Schlagzeile wert st aber die Meldung: fleißige DKP-Mitglieder irbeiten und agitieren in der Universität, in Setrieben und in den Gewerkschaften. Dabei war sich jeder . . . darüber im klaren, daß der olinde Aktionismus der SDS-Studenten keine ernst zu nehmende Gefahr für unser Gesellschaftssystem darstellte — ganz im Gegenteil! Wir stehen vor der eigentümlichen Situation, laß die Gesellschaft als Gefahr ansah, was sie objektiv stärkte und einigte, während sie um-jekehrt die wirklich gefährliche Entwicklung iberhaupt nicht zur Kenntnis nimmt." ür das Rhein-Main-Industriegebiet gilt dazu, laß hier nicht gerade die DKP-Aktivitäten als jefährlich, sicherlich aber auch als mitwirkend ei den Politisierungsbemühungen unter jun-jen Berufstätigen anzusprechen sind.

Segen die These einer breitwirkenden Politisierung von Lehrlingen kann zu Recht ange-ührt werden, daß diese jungen Menschen zuallererst unpolitische Hobby-Interessen haben. n der Tat sind sie — in Anlehnung an das er-wähnte Plakat der CAJ -— vom Wohlstand ver-wöhnt. Auch Angehörige gewerblicher Berufe laben Anteil am kollektiven Aufrücken der westdeutschen Arbeiterschaft zum Kleinbürjertum. Gerade hieraus könnte freilich einmal ein Umschlag ins politische Engagement er-

olgen, wie eine ganze Reihe historischer Beispiele in verschiedenen Industrieländern beegt, auch wenn diese Beispiele überwiegend las blinde Engagement für faschistische Bewe-jungen zeigen. Daß die andere Richtung nicht ausgeschlossen werden kann, beweist die so-ziale Herkunft unserer rebellischen Studenten: sie stammen fast ausnahmslos aus gutbürger-. ichen Elternhäusern.

Schwerwiegender erscheint ein anderes Argument, das gegen eine breite Politisierung von Lehrlingen spricht: Sie sind im doppelten Sinne unpolitisch, weil doppelt isoliert. Die eine Isolierung ergibt sich für sie durch ihre Beschränkung auf einen Betrieb und dessen spezifische Verhältnisse. Solange also keine speziellen Lehrlingsorganisationen ins Leben gerufen werden, mangelt es den allermeisten an Möglichkeiten zur Solidarisierung. Eine andere Beschränkung zeigt die zeitliche Begrenzung, in der man Lehrling und somit möglicherweise als Unterprivilegierter an einer Änderung dieses Statuts interessiert ist. Die meisten wiederum scheinen heute noch eher am raschen Ende der Ausbildung, dagegen überhaupt nicht daran interessiert zu sein, Besserungen zu erkämpfen, in deren Genuß erst nachfolgende Lehrlinge kommen. So groß solcher Egoismus und die beiden Formen von Isolierung aber auch sind, eine Minderung dieser Faktoren deutet sich an infolge der im Bericht erwähnten jugendpolitischen Aktivitäten der Gewerkschaften sowie als Folge allmählicher Ausbreitung von Solidaritätsdenken und -handeln, -Demonstrationen für Vietnamesen oder Koreaner bezeugen das ebenso wie Hilfsfonds für spanische Arbeiter oder US-Neger-verbände. Es entwickelt sich möglicherweise ein Ansatz für die Gelegenheit zu selbstlosem Engagement. Hierbei werden nun auch jene geschilderten Vorbilder virulent, die als einzelne und Gruppen ein hartes Leben ohne Wohlstand um politischer Ziele willen gewählt haben, fröhlich und freiwillig, wie man das heute sonst nicht mehr (oder noch nicht) kennt.

Diese privaten Träger politischer Anderungsbemühungen in der BRD zeigen Lehrlingen aber eben nicht nur persönliche Vorbilder ungewohnten Zuschnitts, sie haben auch politische Strategien anzubieten. Ihre Versuche, mit der Verbindung von Agitation bei Lehrlingen und gleichzeitig auch bei deren älteren Arbeitskollegen die Statutsgebundenheit zu überwinden, vermögen vielleicht die eine Art der Isolierung von Lehrlingen auf Dauer ebenso wirksam zu lockern wie ihre überbetrieblichen Treffs, Diskussionen, Kommunikationsmittel und Aktionen die betriebsbezogene Isolierung. Für junge Leute mag dabei neben der Wahrnehmung ihrer Interessen auch die Teilnahme an experimentellen Formen der Selbst-organisation eine Faszination auszuüben, oft im Zusammenhang mit neuen Formen des Gemeinschaftslebens solcher informellen Gruppen.

Die landläufige Unterschätzung derartiger Basisgruppen und Wohngemeinschaften ist häufig unangebrachte Überheblichkeit, die das allgemein beliebte Zerrbild von den unsauberen, rauschgiftsüchtigen, arbeitsscheuen Studenten und Lehrlingen in Basisgruppen impliziert. Mit solchen Vorurteilen verbindet sich oft automatisch ein Verdrängen von Neid ge-genüber dem ungewohnten und meist asketischen Engagement dieser jungen Leute: Ihre Wirksamkeit zumindest sollte nicht unterschätzt werden.

Denn je länger eine Mehrzahl von Unternehmen, Ausbildungsleitern und anderen Verantwortlichen, etwa in den Selbstverwaltungsorgangen der Wirtschaft, Ideen und Initiativen zu neuen Ansätzen der Lehrlingserziehung vermissen lassen, desto besser müssen ja die Forderungen und Aktionen gerade auch solcher Gruppen begründet erscheinen. Eine zusätzliche Legitimierung erfahren sie obendrein durch das erwähnte Verschweigen oder Unterdrük-ken von Konflikten aus Verlegenheit, was die in einem Abschnitt skizzierte „Gegenöffentlichkeit" weiter stärken muß. Und endlich behalten all jene politischen Gruppierungen damit trotz ihrer Schwäche und Zersplitterung den ausschlaggebenden Vorteil überraschenden Vorgehens, ja das Gesetz des Handelns überhaupt in der Hand. Das scheinen sie alle auch genau zu wissen, und sie verbinden diese Chance in jüngster Zeit mit gezielten Ansätzen zur Solidarisierung mit breiteren Bevölkerungsschichten durch Aufgreifen echter Le-ebensinteressen insbesondere der Arbeitnehmer: Nicht nur in Frankfurt sind die Sommermonate 1970 gekennzeichnet von Protestaktionen gegen Mietwucher. Im Rhein-Main-Gebiet waren es im Frühjahr bereits eben jene politischen Gruppen, von den „Roten Pantern" über Studenten bis zu den „Sozialistischen Arbeiter-gruppen", die auch in und vor Betrieben und unter Lehrlingen politische Aktivitäten zeigen, die hier erstmals seit der schon legendär gewordenen Aktion „Roter Punkt" in Hannover gegen Tariferhöhungen der Nahverkehrsbetriebe nun eine Solidarisierung der Bevölkerung mit den Nachfolgegruppen der APO erreichten — weil sie Lebensinteressen der weniger Begüterten mit Nachdruck gegen Eigentümer vertraten (Stellvertreter-These).

Damit haben die verschwindend kleinen Minoritäten dieser Politgruppen weit mehr erreicht als vorübergehende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und für sich selbst eine Bestätigung. Es ist auch ihre Behauptung erwiesen, daß Teile der Bevölkerung über ihre wichtigen Interessen ansprechbar, bald mobilisierbar und endlich auf lange Sicht auch politisierbar sind. Solche Bestätigungen werden zweifellos die Aktivitäten unter jenem Teil der Jugend weiter zunehmen lassen, den man Lehrlinge nennt. Eine politische Lehrlingsarbeit zur Festigung unserer Demokratie erscheint auch deshalb heute dringender denn je. Wie sie allerdings realisiert werden soll in einer Lage, die dem Bund durch höchstrichterlichen Entscheid untersagt, weiterhin politische Bildungsarbeit für diese nicht organisierte Jugend mitzufinanzieren, während weder Bundesländer, noch erst recht Gemeinden in der Lage sind, den hierdurch ab 1971 entstehenden Mittelbedarf auch nur zu mehr als vielleicht zehn Prozent aufzufangen, muß sehr skeptisch stimmen.

Es ruft diese Situation den Eindruck hervor, als sorge unsere Demokratie wieder einmal vor lauter Rechtsstaatlichkeit dafür, daß eine dringende Bildungsaufgabe versäumt wird, die zugleich eine wichtige politische Aufgabe ist. Sicher ist nur, daß eine Politisierung von Lehrlingen damit in verstärktem Maße eigene Wege gehen wird, getreu der Überzeugung der Antiautoritären von der Fähigkeit der Bevölkerung, sich selber zu organisieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Jochen Müller, Ergebnisse der politischen Pädagogik in ihrer Anwendung auf die politische Jugendbildungsarbeit der IG Chemie, in: Heidelberger Blätter, Nr. 11, November 1967, S. 13 ff.

  2. Arbeitende Jugend und Bildung, Hektografie o. V., o. O. (Ffm), o. J., S. 4.

  3. Handelsblatt, 5. 2. 1970.

  4. Hessischer Rundfunk, 1. Progr., 29. 4. 1970.

  5. J. Freitag im Westdeutschen Rundfunk am 2. 8. 1969.

  6. „aufwärts". Illustrierte Zeitschrift für junge Menschen, 21. Jg., Nr. 12, Dezember 1968, S. 8.

  7. Ebenda, S. 6.

  8. „aufwärts", 23. Jg., Nr. 5, Mai 1970, S. 5.

  9. Frankfurter Neue Presse, 9. 12. 1969.

  10. „Solidarität". Monatszeitschrift für gewerkschaftliche Jugendarbeit, 21. Jg., Nr. 3, März 1970, S. 20.

  11. Ebenda, S. 31.

  12. Siehe dpa-Landesdienst Berlin, 19. 1. 1968.

  13. DGB-Nachrichten-Dienst 130/70 v. 30. 4. 1970.

  14. Unternehmerbrief, 20. Jg., Nr. 13, 26. 3. 1970, S. 2.

  15. 2. Bundeskongreß 13. /14. Dezember 1969 Dortmund — SDAJ — Referat des Genossen Rolf Priemer, Sonderdruck o. O., o. J., S. 17.

  16. Ebenda, S. 29.

  17. Frankfurter Rundschau, 27. 4. 1970.

  18. „Solidarität", 21. Jg., Nr. 4/5, April/Mai 1970, S. 77.

  19. „JS-Magazin". Zeitschrift der Jungsozialisten in der SPD, Nr. 1/2, Januar/Februar 1970, S. 5 bzw. S. 7.

  20. Ebenda, S. 8 ff.

  21. „Junge Wirtschaft", 18. Jg., Nr. 3, März 1970, S. 70.

  22. Internationale Arbeiter Korrespondenz, Nr. 25, November 1969, S. 15.

  23. Ebenda, S. 11.

  24. Zum Phänomen der Unifikation s. Peter R. Hofstätter, Gruppendynamik, Hamburg (rde) 19571, S. 88 u. pass.

  25. Sozialistische Betriebskorrespondenz, Nr. 2/70, 1. Juni 1970, S. 4.

  26. Hessischer Rundfunk, Jugendforum, 4. 4. 1970.

  27. Wörtliche Wiedergabe aus der Urteilsbegründung in: Frankfurter Rundschau, 6. 11. 1969.

  28. Frankfurter Rundschau, 8. 3. 1969.

  29. Rolf Schwendter (Hrsg.), apo Adreßbuch '69/70, München-Berlin, S. 14.

  30. Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 19684, S. 69 u. 77 f.

  31. Horst Heimann, Neue Wege des politischen Engagements? in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. 25/69, S. 27.

  32. Arbeitskreis Sozialistische Stragegie (AOK im RC Hamburg), Analyse der antiautoritären Bewegung, in: links. Sozialistische Zeitung, Nr. 13, Juli 1970, S. 26.

  33. Rene Ahlberg, Akademisch • I hrmeinungen und Studentenunruhen in der Bundesrepublik, Freiburg 1970, S. 83.

  34. Frank Wolff, Zur Diskussion um die Auflösung des SDS-Bundesvorstands, in: SC — Info — Sozialistische Correspondenz 36, 7. 3. 1970, S. 18.

  35. „Natürlich können wir noch Eier schmeißen." Interview mit Udo Knapp, in: DER SPIEGEL, 24. Jg., Nr. 14, 30. 3. 1970, S. 106.

  36. Rudi Dutschke, Die geschichtlichen Bedingungen für den internationalen Emanzipationskampf, in: Bergmann/Dutschke/Lefevre/Rabehl, Rebellion der Studenten, Reinbeck 1968, S. 89 f.

  37. Arbeitskreis Sozialistische Strategie, Analyse der antiautoritären Bewegung, a. a. O., S. 31.

  38. Junge Linke — auf dem rechten Weg? in: DIE ZEIT, Nr. 21, 23. 5. 1969.

  39. Vgl. dazu den Artikel des DGB-Vorsitzenden Heinz O. Vetter: Spontane Streiks und Gewerkschaften, in: Welt der Arbeit, 26. 9. 1969.

  40. Zitiert nach dem Bericht: „Drinnen Selbstkritik — draußen gab’s Scherben", in: Frankfurter Rundschau, 1. 5. 1970.

  41. Mitglieder der Stadtteilbasisgruppen Bocken-heim, Bornheim, Niederrad, Nordend: . Frankfurt: Stadtteilbasisgruppen', in: SDS Bundesvorstand (Hrsg.), Info 20. Zur Lehrlingsarbeit, Frankfurt o. J. (1969), S. 11.

  42. „Frankfurt", Artikel o. V., ebenda, S. 15 ff.

  43. „Praktische Arbeit vor blindem Organisieren", Artikel o. V., ebenda, S. 19.

  44. „Frankfurt: Stadtteilbasisgruppen", a. a. O., S. 14.

  45. Lehrlingskollektiv (LK) I/LK II/Teile des LK III und Teile des LK IV/LK V—VI, Vom Kampf gegen Erziehungsheime zum Klassenkampf, in: Sozialistische Correspondenz 36, 7. 3. 1970, S. 15.

  46. Zitiert aus: Agit 883, Nr. 47, 29. 1. 1970, S. 5. 10.

  47. „Hannover: Zur Entwicklung der Lehrlings-gruppe", in: SDS — Info 20, a. a. O., S. 46.

  48. Lehrlingskollektive, Vom Kampf gegen Erziehungsheime . . ., a. a. O., S. 15.

  49. Das Berufsschulsystem ist völlig veraltet, in: Frankfurter Rundschau, 14. 2. 1970.

  50. Vgl. z. B. Ludwig v. Friedeburg (Hrsg.), Jugend in der modernen Gesellschaft, Köln 1963; Viggo Graf Blücher, Die Generation der Unbefangenen, Düsseldorf 1965; Friedhelm Neidhardt, Die junge Generation, Opladen 1967.

  51. Alfred Schmidt, Mit 45 zum alten Eisen?, in: Gewerkschaftspost. Zeitschrift der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik, Nr. 5, Mai 1969.

  52. Tobias Brocher, Revolution oder Innovation?, in: Der Monat, Nr. 239, August 1968, S. 9.

  53. Vgl. Ossip K. Flechtheim, Warum rebellieren die Studenten?, in: Radius, Juni 1968, S. 23.

  54. Werner Loch, Die jugendliche Protestbewegung als 1 stationäre Emanzipation, in: Deutsche Jugend, Juli 1970, S. 305 f.

  55. Peter von Möller, Führen ohne zu herrschen, in: junge wirtschaft, 17. Jg., Nr. 11, November 1969, S. 443.

  56. Willy Strzelewicz, Herrschaft, Autorität und Demokratie, in: Die Mitarbeit, 17. Jg., Nr. 3, August 1968, S. 206.

  57. Tobias Brocher, Revolution oder Innovation?, a. a. O., S. 11.

  58. Adolf Portmann, Manipulation des Menschen als Schicksal und Bedrohung, Zürich 1969, S. 34 f.

  59. Zitiert nach einem Bericht über die Veranstal-

  60. Reinhard Höhn, Von der Notwendigkeit neuer Führungsleitbilder in unserer Wirtschaftsgesellschaft, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, 14. Jg., Tübingen 1969, S. 49.

  61. Entfaltung zur Mündigkeit. Nach einer Tonbandnachschrift zitiert in: Informationen für die Truppe, Nr. 5/1970, S. 497.

  62. Mitbestimmung am Arbeitsplatz — mehr Freiheitsraum in den Unternehmen. Entwurf einer Unternehmensordnung, in: Junge Wirtschaft, 17. Jg., Nr. 12, Dezember 1969, S. 488.

  63. Ebenda, S. 486.

  64. Christian Schuberth, Führen ohne zu herrschen, in: junge wirtschaft, 17. Jg., Nr. 10, Oktober 1969, S. 383.

  65. Ludwig v. Friedeburg, Zum Verhältnis von Jugend und Gesellschaft, in: Ludwig v. Friedeburg (Hrsg.), Jugend in der modernen Gesellschaft, a. a. O„ S. 184.

  66. Heiterkeit in die Revolution bringen. Aus dem Protokoll einer Diskussion mit Ernst Bloch und Rudi Dutschke in Bad Boll, in: DER SPIEGEL, 22. Jg., Nr. 10, 4. 3. 1968, S. 49.

  67. Vgl. Heinz-Dietrich Ortlieb, Glanz und Elend les deutschen Wirtschaftswunders, in: Hans Wer-er Richter (Hrsg.), Bestandsaufnahme, München 1962, S. 275.

  68. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie n Deutschland, München 1965, S. 466.

  69. Georg Scherer, Anthropologische Hintergründe der Jugendrevolte, Essen 1969, S. 25 f.

  70. Hans Dichgans, Wie fördern wir unsere Gesellschaft von innen?, in: Radius, Juni 1969, S. 17 f.

  71. Helmuth Pütz, „Reale Utopien" als politische Integrationsfaktoren in der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/69, S. 27 ff.; vgl. ferner Hendrik Bussiek (Hrsg.), Veränderung der Gesellschaft. Sechs konkrete Utopien, Frankfurt 1970.

  72. Erwin K. Scheuch, Soziologische Aspekte der Jnruhe unter den Studenten, Abschnitt 3.: Die Moilisierbarkeit von Jugendlichen für den „studen-ischen" Protest, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 3 36/68, S. 18.

  73. Georg Scherer, Anthropologische Hinter-jründe ..., a. a. O., S. 17.

  74. Harmut v. Hentig, Wer Flaute sät, wird Sturm ernten, in: DIE ZEIT, 24. 5. 1968.

  75. Adolf Portmann, Die Manipulation des Mensehen .. ., a. a. O., S. 25.

  76. Adalbert Rang, Die Utopie in der Politik, in: Die Mitarbeit, 18. Jg., Nr. 4, November 1969, S. 325 f.

  77. Klaus-Dieter Ziehmann, Die Renaissance der »alten Linken", in: Gesellschaftspolitische Kommentare, 17. Jg., Nr. 5, 1. 3. 1970, S. 54.

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Klaus Hendrich, geb. 1930, Studium der Wirtschaftsund Sozialwissenschaften in Marburg und Hamburg, Leiter der Industriejujendarbeit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.