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Zur Theorie des Imperialismus | APuZ 23/1971 | bpb.de

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APuZ 23/1971 Zur Theorie des Imperialismus Der Nationalitätenkonflikt in Kanada

Zur Theorie des Imperialismus

Winfried Baumgart

/ 19 Minuten zu lesen

Die Literatur über den Imperialismus, seine Erscheinungsformen wie über seine Ursachen, ist Legion Eine zureichende umfassende Deutung steht noch aus und wird wohl kaum gefunden werden.

Im folgenden wird unter Imperialismus die außereuropäische Expansion der europäischen Mächte vom Beginn der 1880er Jahre bis zum Ersten Weltkrieg verstanden. Die bisher von der Forschung entwickelten Versuche zur Erklärung dieses Phänomens der europäischen Geschichte sollen in vier Gruppen zusammengefaßt werden: 1. in die ökonomische, die sozialökonomische, 3. die sozialpsychologische und 4. die traditionelle politische Imperialismustheorie. Jedem Abschnitt werden ein paar kritische Bemerkungen beigegeben. 1. Keine der heute noch vertretenen Imperialismustheorien vermag den Einfluß zu leugnen, der von der Kritik des Engländers John A. Hobson ausgegangen ist, wie dieser sie in seinem 1902 erschienen Buch „Imperialism. A Study" 2) vorgebracht hat. Hobson machte durch sein Werk vor allem die sog. „Unterkonsumtionstheorie" populär, die er als seine größte geistige Leistung ansah. Im Grunde nur eine andere Version der Marxschen „Mehr-wertlehre", besagt sie, daß der Konsum der Industriegesellschaft mit der steigenden Pro-duktivität der Arbeit und der dadurch anschwellenden Produktion nicht Schritt halte. Diese Diskrepanz führe zu einer Überproduktion und zu einer Bildung überschüssigen Kapitals, das mit Gewalt nach außen dränge und die entscheidende Triebkraft des Imperialismus darstelle. Indem Hobson bekannte Topoi der älteren englischen Kolonialkritik übernahm, versuchte er nachzuweisen, daß die Expansion nach Übersee nur besonderen Interessengruppen zugute komme, der Nation insgesamt jedoch schade. In seiner Antwort auf die Frage „cui bono?" erscheinen als die alleinigen Nutznießer des Imperialismus nicht nur wie ehedem Waffenfabrikanten, Schiffsbauer, Angehörige von Flotte und Heer und die Kolonialbürokratie, sondern vor allem der Investor. Er sei der Parasit der Gesellschaft, weil er um höherer Profite willen sein überschüssiges Kapital nicht in England, sondern in Ubersee anlege. Diese kleine Gruppe von Finanzkönigen sei es, deren Winken der Politiker letztlich folge.

Kurt Jürgensen Der Nationalitätenkonflikt in Kanada .. S. 13

Hobson faßte den also nur partikularen Interessen dienenden Imperialismus nicht als unausweichliche Folge der Probleme der industriellen Produktion auf; er war vielmehr der Meinung, daß die Einkommensverteilung reformiert werden könne, indem man die Kaufkraft der Arbeiterschaft durch höhere Gewinnbeteiligung an der industriellen Produktion hebe. Damit hat Hobson die Alternative So-Abdruck einer Probevorlesung, gehalten am 21. Dezember 1970 vor der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, versehen mit den wichtigsten Belegen. zialreform oder Imperialismus klar erkannt und formuliert. Er hat durch den Hinweis auf die Expansionsfähigkeit des Binnenmarktes auch die von Politikern immer wieder zur Rechtfertigung ihrer imperialistischen Politik gebrauchte Argumentation, daß Kolonial-erwerb zur Absatzsteigerung und zur Kapitalanlage lebensnotwendig sei, in Frage gestellt.

In dieser Lösung des Problems unterschied sich der Liberale Hobson von den neomarxistischen Imperialismustheoretikern seiner Generation, besonders von Lenin, die gleichwohl in der Analyse der imperialistischen Politik dem englischen Publizisten folgten. In Lenins 1916 in der Schweiz entstandenen Schrift „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" ist, was sowjetrussische Interpreten heute verschweigen, keiner der wesentlichen Gedanken originell. Lenin betonte wie Hobson und Hilferding die Rolle, die das Finanz-kapital, der Kapitalexport und der Kampf um Rohstoffquellen im Imperialismus innehaben. Wesentlich war ihm die Monopolbildung, die durch die zunehmende Konzentration der Produktion und des Kapitals erfolgt sei. Internationale monopolistische Gruppen teilten die Welt untereinander auf, bis die letzten Regionen unter die Herrschaft der imperialistischen Staaten gelangt seien. An diesem Schlußpunkt entzündeten sich Kriege innerhalb des imperialistischen Lagers zur Neuverteilung der Räume, diese führten zur proletarischen Revolution, zur Entstehung sozialistischer Staaten, das heißt zum Ende des Imperialismus.

In dieser von Rosa Luxemburg übernommenen „Zusammenbruchstheorie" unterschied sich, wie angedeutet, Lenin wesentlich von Hobson. Während dieser seine Erkenntnisse dazu verwandte, die Notwendigkeit sozialer Reformen im eigenen Lande vor jedermanns Augen zu führen, um das Grundübel der „Unterkonsumtion" auszumerzen und den Imperialismus daher überflüssig zu machen, setzte jener den Imperialismus, das heißt Monopolkapitalismus, mit der letzten unausbleiblichen Stufe im Wachstum der kapitalistischen Gesellschaft gleich. Hobson war ein Arzt, der eine Kur verschrieb; Lenin ein Prophet, der die Katastrophe voraussagte.

Lenins Imperialismus-Interpretation wird heute noch vertreten, nicht nur weil sie zum Dogma erstarrt ist, sondern weil sie eine geradlaufende und scheinbar überzeugende Erklärung für ein schier unentwirrbares Problem anbietet. Solange man sie nicht mühseliger historischer Verifizierung unterzieht, bleibt ihre Überzeugungskraft bestehen. Indem Hobson und Lenin jedoch die unbezweifelbare territoriale Ausbreitung der europäischen Staaten in Übersee mit der ebenso unbezweifelbaren Zunahme des europäischen Kapitalexports in ursächlichen Zusammenhang brachten, vollzogen sie trotzdem einen logischen Salto mortale.

Wie steht es mit den historischen Tatsachen? Nur die wichtigsten seien hier angeführt Die hohe Zeit des überseeischen Territorial-erwerbs ist das Jahrzehnt zwischen 1880 und 1890. Hier liegen die ersten, die chronologischen Schwierigkeiten. Wenn die Haupttriebkraft des Imperialismus der Drang nach Kapitalexport gewesen sein soll, so muß der Kapitalexport in diesen Jahren am kräftigsten erfolgt sein. Doch Lenin setzte den Beginn der Vorherrschaft des Finanzkapitals am deutschen Beispiel, an dem er sich in erster Linie orientierte, auf ungefähr 1900 an. Nun war in Deutschland zwar der Prozeß der Monopolbildung beim Finanzkapital und in der Industrie tatsächlich weit fortgeschritten, doch läßt sich weder in England noch in Frankreich — von anderen Fällen zu schweigen — eine Herrschaft des Monopolkapitals feststellen. Ähnlich ergeht es der Theorie, wenn man den vermeintlichen geographischen Zusammenhang zwischen Kapitalexport und Kolonial-erwerb untersucht. Die genaue Plazierung der europäischen Überseeinvestitionen, die zur Zeit der Formulierung der Theorie allerdings kaum bekannt war, macht es heute klar, daß eine geographische Korrelation zwischen Kapitalexport und der Bildung neuer Kolonien nicht oder in den allermeisten Fällen nicht bestanden hat. Das englische Auslandskapital wurde entweder in schon bestehenden Kolonien oder Dominien (wie Kanada, Australien, Indien) oder in unabhängigen Staaten (wie den USA, Argentinien, China) angelegt. Das französische Kapital, das besonders kräftig nach 1890 exportiert wurde, gelangte nach Ruß-land, in den Balkan und die Iberische Halbinsel. Deutschland schickte nur einen winzigen Bruchteil seines Kapitals in seine Kolonien.

Wir wissen seit kurzem auch sehr genau, daß dies keineswegs auf Initiative der Bank-und Geschäftswelt, sondern unter staatlichem Druck geschah Rußland, Italien und Japan — Staaten, die auch nach marxistischer Anschauung imperialistische Politik betrieben haben — waren arme Länder, die Kapital nicht nur nicht zu exportieren hatten, sondern es im Gegenteil — was bei Rußland am deutlichsten zu beobachten ist — importieren mußten. Selbst in den ganz wenigen Fällen, wo bei oberflächlicher Betrachtung der postulierte Zusammenhang offensichtlich zu sein scheint, liegen in Wirklichkeit andere Gründe für den Territorial-erwerb vor. Der ägyptische Khedive wurde von England weniger zur Garantie der Aktien-teilhabe an der Suezkanal-Gesellschaft als vielmehr aus dem politisch-strategischen Motiv der Sicherung der Verbindung nach Indien gestützt. Tunesien wurde von Frankreich in Besitz genommen, um die Sicherheit Algeriens zu erhöhen und vor allem um der Übernahme durch Italien zuvorzukommen. Die Vulkan-und Koralleninseln der Südsee (die Fidschi-Inseln usw.) wurden besetzt, nicht weil durch Ausstreuen von Kapital die Bäume, das heißt die Kokospalmen in diesen Treibhäusern in den Himmel zu wachsen versprachen, sondern weil die Anarchie unter den Eingeborenen nur die Alternative zwischen Abzug und Annexion übrigließ. 2. Mit wesentlich differenzierterem theoretischen Rüstzeug und mit dem Anspruch, Theorie und historische Wirklichkeit endlich zur Deckung gebracht, gleichsam das „Missing link" in der Kette der bisherigen Theorien gefunden zu haben, ist jüngst von dem Berliner Politologen Hans-Ulrich Wehler unter massivem Einsatz moderner Kommunikationsmittel die These vom Sozialimperialismus aufgestellt worden Wehler analysiert in erster Linie den deutschen Imperialismus unter Bismarck, beansprucht jedoch die Geltung seiner „kritischen Theorie", wie er sie nennt, auch für die nichtdeutschen Erscheinungsformen des okzidentalen Imperialismus. Nach Wehler übte der deutsche Imperialismus unter Bismarck im wesentlichen drei Funktionen aus: a) In wirtschaftspolitischer Hinsicht sei er Bestandteil der staatlich geförderten Außenhandelspolitik und zugleich einer Konjunkturpolitik gewesen, mit deren Hilfe der heranwachsende Interventionsstaat dem expansiven System des Hochkapitalismus Wachstumsstörungen und Absatzschwierigkeiten zu ersparen strebte. Bismarck habe dabei unter der Einsicht in die Gewalt von Sachzwängen — Sachzwängen einer ständig expandierenden Wirtschaft — gehandelt. b) Auf dem Gebiet der Innenpolitik habe der Imperialismus als Integrationsmittel in einem „klassenzerrissenen Nationalstaat" gedient. Der 1883/85 hochschäumende Kolonialenthusiasmus in Deutschland sei, wie etwa auch der Antisemitismus oder die Anglophobie jener Jahre, eine Form des Eskapismus gewesen, also der Versuch, aus der „Versumpfung" — ein zeitgenössisches Schlagwort — und der Misere des deutschen Lebens herauszukommen. Bismarck sei 1884 auf der Welle des „Kolonialrausches" geschwommen, um die Reichstagswahlen des Jahres — ähnlich wie 1879 mit dem „Roten Gespenst" — zu „manipulieren". c) Gesellschaftspolitisch habe Bismarck diesen Sozialimperialismus zur Verteidigung der traditionellen Sozial-und Machtstruktur des preußisch-deutschen Staates eingesetzt, zur Erhaltung des gesellschaftlichen Status quo, zur „Blockierung" des Emanzipationsund Demokratisierungsprozesses in der industriellen Gesellschaft Deutschlands.

Die Kritik hat an verschiedenen Stellen anzusetzen. Ich will nur drei Punkte herausgreifen. Was zunächst den Wert von Wehlers „kritischer Theorie" betrifft, so ist er vorab in einem der von ihm aufgestellten Kriterien äußerst zweifelhaft. Es ist methodisch unzulässig, Bismarcks Sozialimperialismus — selbst unter der Voraussetzung, daß man ihn als adäquate Erklärung für die deutschen Verhältnisse akzeptiert — gleichsam zu internationalisieren, indem man anhand einiger Zitatfetzen den englischen, französischen und amerikanischen Imperialismus — vom russischen, japanischen, belgischen, italienischen usw. ganz zu schweigen — als Ausprägungen eines und desselben Phänomens ansieht Der Beweis dieser Behauptung setzt jeweils eine eingehende Analyse voraus, die Wehler nicht geliefert hat. Die bisherigen Ergebnisse der umfangreichen internationalen Imperialismusforschung lassen eine Übertragung des Begriffs des deutschen Imperialismus in Form des Sozialimperialismus auf andere Länder nicht oder doch nicht ohne weiteres zu.

Von zentraler Bedeutung für Wehlers These ist sein Imperialismusbegriff. Er ist einerseits zu weit gefaßt und läßt sich daher fast beliebig aufblähen, anderseits ist er zu eng und einseitig. Wehler definiert Imperialismus als „diejenige direkte-formelle und indirekte-in-formelle Herrschaft [... ], welche die okzidentalen Industriestaaten unter dem Drude der Industrialisierung mit ihren spezifischen ökonomischen, sozialen und politischen Problemen und dank ihrer vielseitigen Überlegenheit über die weniger entwickelten Regionen der Erde ausgebreitet haben" Es erscheint mir jedoch gefährlich, den von der englischen Imperialismusforschung an der einzigartigen Erscheinung des mittelviktorianischen Empire entwickelten, heute noch umstrittenen Begriff des „informal empire" auf nichtenglische Verhältnisse zu übertragen. Der Verflüchtigung des Begriffsinhalts wäre dann Tür und Tor geöffnet, und als Imperialismus wäre jede Art wirtschaftlicher Expansion eines Industriestaates zu bezeichnen, nicht nur im 19., sondern auch im gesamten bisherigen Verlauf des 20. Jahrhunderts.

Einseitig und problematisch erscheint mir schließlich auch Wehlers Bewertung der wirtschaftlichen Trendperiode von 1873 bis 1896 zu sein. Wehler orientiert sich zu eng an dem Vokabular der zeitgenössischen Quellen und der ihr folgenden Forschung. Der von England herrührende, auf die genannte Trendperiode angewandte Begriff der „Großen Depression" vermittelt heute jedoch ein unhistorisch einfarbiges Bild, weil er unverwischbar von dem durch und durch schwarzen Bild der Weltwirtschaftskrise von 1929 gefärbt erscheint. Wehler selbst zieht letztere — vor allem als methodologische Rechtfertigung für den Ausgangspunkt seiner „kritischen Theorie" — für sein Vorgehen auch direkt heran Doch für die Ausbildung des Imperialismusbegriffs wichtiger als die Feststellung der Gemeinsamkeiten beider Phänomene ist die Betonung ihrer Unterschiede. So hat Wehler es vermieden, von seinem Vorbild Hans Rosenberg die grundlegende Einsicht zu übernehmen, daß die Wirtschaftskrise nach 1873 in erster Linie eine Krise der reichen und nicht — wie auch 1929 ff. mit der Massenarbeitslosigkeit — der armen Leute gewesen ist; daß sich nicht nur die Nominal-, sondern auch die Reallöhne der Arbeiter kontinuierlich verbessert haben daß sich mithin die zunehmende Unruhe unter den Arbeitern nicht aus ihrer ökonomischen Verschlechterung, sondern aus einer materiellen Verbesserung ableiten läßt — eine Erscheinung, die uns in unserer heutigen Zeit psychologisch ohne weiteres verständlich ist. Aus dem gleichen Grunde scheint mir auch die Verwendung von Begriffen wie Wachstumsstörungen, Schockwirkungen, Trauma usw. geeignet, den Gesamteindruck — wieder im Gegensatz zu 1929 — zu verfälschen. Ursache und Wirkung werden nur zu leicht ins Gegenteil verkehrt. Denn die eigentliche Störung war die Konjunkturüberhitzung vor 1873, die sog. Krise danach war, aufs ganze gesehen, gar kein Abknicken, sondern ein Abflachen der Konjunkturkurve. Es ist daher von diesem Standpunkt aus gerechtfertigt, die wirtschaftliche „Krise“ als Selbstreinigung und Selbstgesundung eines überstürzt angelaufenen Prozesses zu sehen. Die „Große Depression" erweist sich somit als ein Mythos, denn an der langfristigen Aufwärtsbewegung des Gesamt-umfangs der damaligen Industrieproduktion besteht heute kein Zweifel mehr. In dieser Sicht erscheint der ganze Komplex des „Sozialimperalismus" in einem anderen Lichte; er reicht für eine Erklärung des Kolonialrausches in Deutschland 1883/85 nicht aus.

Die dritte, sozialpsychologische Theorie des Imperialismus ist eigentlich keine streng logisch aufgebaute, klar umgrenzte Gedanken-konstruktion, sondern ein umfangreicher Motivkomplex, den es aus den Tiefen der National-und Sozialpsychologie oder, um einen allgemeineren Begriff zu nehmen, aus dem Zeitgeist herauszuheben gilt.

Joseph Schumpeter hat Imperialismus als Ausdruck einer kriegerischen Sozialstruktur aufgefaßt, die mit dem Wesen des Kapitalismus, der an sich friedlich sei, nichts notwendig gemein habe. Imperialismus sieht er überall dort in der Geschichte verwirklicht, wo in einem Gemeinwesen die Kriegerkaste dominiere und ihre Daseinsberechtigung in ständigem Kampf gegen äußere Gewalten erblicke. Als die klassischen Beispiele eines derart verstandenen Imperialismus zieht er die Expansionsbewegungen der ägyptischen, assyrischen, persischen, arabisch-mohammedanischen Krieger-gesellschaften und in der abendländischen Welt besonders den absolutistischen Fürsten-staat heran. Der moderne Imperialismus sei ein Restbestand solcher vergangenen Zeiten — ein Atavismus, der in die Gegenwart handlungsbestimmend hineinwirke. Schumpeter glaubt — ich zitiere aus seiner 1919 erschienenen Schrift „Zur Soziologie der Imperialismen" —, „daß die in dieser Lage ferner Vergangenheiten erworbenen psychischen Dispositionen und sozialen Strukturen, einmal da und festgeworden, sich lange noch erhalten und fortwirken, nachdem sie ihren Sinn und ihre Funktion der Lebenserhaltung verloren haben". Wie Kriege in bestimmten Epochen der Geschichte des Kriegführens halber vom Zaun gebrochen worden seien, so werde imperialistische Expansion des Expandierens halber betrieben. Den Imperialismus definiert Schumpeter deshalb als „die objektlose Disposition eines Staates zu gewaltsamer Expansion ohne angebbare Grenze".

Abgesehen von den zahlreichen Schwierigkeiten, die sich bieten, wenn man an eine empirische Nachprüfung dieser Theorie geht, hat sie immerhin den Wert, daß sie grundsätzlich auf das Irrationale in dem Vorgang der europäischen Ubersee-Expansion hinweist. Es ist methodisch gewiß nicht leicht, die kaum wägbaren psychologischen Ingredienzen des Imperialismus zu analysieren und vor allem ihren Einfluß auf die handelnden Staatsmänner herauszuschälen. Doch die Bedeutung folgender Thesen dürfte im allgemeinen nicht zu bestreiten sein.

Das Motiv, das in jeder Nation die imperialistische Politik direkt oder indirekt ausgelöst hat, ist „eine jeweils besondere nationale Lage" (Th. Schieder). Das Jahr 1870/71 bildet in diesem Zusammenhang eine Zäsur. Brun-schwig hat vor zehn Jahren nachzuweisen versucht, daß Frankreich durch die Niederlage gegenüber Deutschland zu forcierter überseeischer Expansion getrieben worden sei Das Bedürfnis nach nationaler Rehabilitierung habe sich darin zunächst weitgehend befrie-digt. In den Äußerungen prominenter Sprechet der Nation würden stets dieselben Themen angeschlagen: Rehabilitierung des besiegten Frankreich, Übernahme einer zivilisatorischen Mission, Ausweitung des Handels, koloniale Expansion. Das in den Jahrzehnten nach 1870/1871 vorherrschende imperialistische , Klima'sei von den geographischen Gesellschaften, nicht von Industrie-und Handelskreisen vorbereitet worden. Ihnen falle in der Entstehung imperialistischer Gesinnung und der Organisierung einer Kolonialbewegung im Volke eine wichtige Rolle zu. Namen wie Jules Ferry und Eugene Etienne genügen für den Hinweis, daß solche imperialistischen Auffassungen an den Schalthebeln der Politik dann unmittelbar wirksam wurden. Ähnliche Überlegungen ließen sich für England und Deutschland, aber auch für Italien anstellen.

Imperialistische Politik setzt also eine imperialistische Gesinnung voraus, „ein Denken, das die Ausdehnung über die Welt für notwendig und wünschenswert hält und in ihr einen schicksalhaften Auftrag der Europäer sieht“

Ein unübersehbares Element in diesem Bewußtsein ist der Sozialdarwinismus. Er war eine Popularphilosophie von heute schwer faßbarem Einfluß. Ihn gilt es einmal im politischen Entscheidungsprozeß umfassend nadizuweisen 18a). Nicht nur ganze Wissenschaftszweige gerieten in seinen Sog (wie die Soziologie); der Machtkampf der Gruppen (ich erinnere an Schlagworte wie „Kampf ums Dasein", „überleben des Stärkeren") wurde allgemein als ein Grundgesetz der Menschheitsgeschichte angesehen. Seine Verbindung zum Imperialismus ist sofort einsichtig: Er rechtfertigte die rücksichtslose Behandlung der „niederen Rassen" und die Nichtachtung oder Zerstörung der in den Kolonien vorgefundenen andersartigen Kultur-und Sozialformen. Daß er nicht ohne Einfluß auf den handelnden Politiker (besonders in England) war, zeigt das Beispiel Salisburys, der von den „dying nations" sprach; zeigt schließlich die Generation Wilhelms II., Theodore Roosevelts, Crispis, Leopolds II.

Selbstverständlich wurde der Sozialdarwinismus auch als herrschend in den Beziehungen der europäischen Völker untereinander anerkannt und erklärt daher zu einem guten Teil die Übersteigerung des Nationalismus und des Prestigebedürfnisses der einzelnen Kolonialmächte. (Man denke nur an den Sport oder, wenn man will, den Kult des Flaggenhissens — damals auf irgendeinem Südsee-Atoll oder in einer Wüsten-Oase, heute in einem Mondkrater.) Schließlich gehören in diesen Zusammenhang auch Urtriebe des Menschen wie Forschergeist, Eroberungsdrang und Abenteurerlust der Kolonialpioniere — Phänomene, die unabdingbare Voraussetzungen für den okzidentalen Imperialismus gewesen sind, mit Monopolkapitalismus oder „Sozialimperialismus" aber kaum etwas zu tun haben. Nur mit den mächtigen Geistesströmungen der Zeit läßt sich der Einfluß des größenwahnsinnigen Carl Peters auf die öffentliche Meinung in Deutschland, lassen sich das hiero-phantische Gebaren um den Leichnam eines David Livingstone, das Zittern fast einer ganzen Nation um den totgeglaubten Emin Pascha und die schrillen Töne der „gelben Presse" nach der Tragödie Gordons vor Khartum hinreichend erklären.

Die Eroberung der meisten nach 1880 noch bestehenden weißen Flecken auf der Erde bis hin zum Südpolargebiet ist nicht ohne national-und sozialpsychologische Faktoren wie Kompensationsbedürfnis, Prestigeverlangen, Rivalität und elementaren Forscherdrang auszudeuten. Der Faktor der Rivalität führt uns zu unserem vierten und letzten Erklärungsversuch des Imperialismus, dem politisch-historischen. Er ergibt sich aus der unverkennbaren Kontinuität der europäischen Kolonialgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert Vertreter der ökonomischen und sozialökonomischen Imperialismustheorie sehen im klassischen Imperialismus eine qualitativ neuartige Erscheinung, die scharf von der vorimperialistischen Zeit zu trennen sei. In ihrer Argumentation können sie sich stets auf ihre industrialisierungsbezogene Begriffsbestimmung zurückziehen. Gegenüber solch kurzatmigem Denken und Argumentieren ist an der überragenden Bedeutung der historischen Kontinuität für die Erklärung des Imperialismus festzuhalten.

Obwohl die Motive für die Bildung und den Erwerb von Kolonien in den vier Jahrhunderten seit den ersten portugiesischen Entdeckungen außerordentlich vielschichtig sind, kann man sie in zwei allgemeine Kategorien zusammenfassen. Zuerst einmal gab es das rein wirtschaftliche Motiv, das Ziel, einen für das Mutterland gewinnbringenden Handel in Gang zu setzen; eine Kolonie wurde gleichsam als Milchkuh angesehen. Typischer Ausdruck die-ses Bestrebens war die Faktorei, die zumeist an der Küste der fremden Kontinente entstand. Diese Handelsniederlassung hatte die Tendenz, sich ins Hinterland auszudehnen, sofern Gründe militärischer Sicherheit, der Schutz der Eingeborenen in den Grenzräumen oder die Notwendigkeit besserer Verwaltung es erforderten.

Der fließende Übergang zur zweiten Kategorie von Beweggründen für Kolonialerwerb wird hieran bereits deutlich. Für die Merkantilstaaten des 17. Jahrhunderts — und das trifft in ganz besonderem Maße auf Frankreich zu — waren Gewinn und Erhaltung politischer Macht und Größe ebenso wichtig wie die Si-

cherung wirtschaftlicher Vorteile. Im 18 Jahrhundert ist Kolonialpolitik großenteils der Reflex des Hegemoniekampfes zwischen England und Frankreich. Der Kampf um die territoriale Vorherrschaft in Indien und Nordamerika war mehr das Ergebnis politischer als rein wirtschaftlicher Rivalität. Die Entscheidung Englands von 1763, Kanada für das blühende Guadeloupe einzutauschen, mag als Hinweis für den Primat der Politik genügen.

Daß im 19. Jahrhundert bis in die siebziger Jahre der Freihandel die Beziehungen der europäischen Mächte zu den Kolonien, das heißt vor allem zum Britischen Empire kennzeichnet (England wurde mit einem „aufgeblasenen Quäker" verglichen „rubbing his hands at the roaring trade") und daß in England ein anti-imperiales Bewußtsein herrschte, mag der Grund dafür gewesen sein, daß Hobson und seine Epigonen die Diskontinuität zwischen dem imperialistischen Zeitalter und der Epoche davor so scharf hervorhoben. Doch in Wirklichkeit war nur ein kurzfristiger Wechsel in den Methoden überseeischer Reichsbildung eingetreten Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts zeugt von einer Rückkehr zur antagonistischen Expansion des 18. Jahrhunderts. Imperialistische Politik ist insofern, als Fortsetzung der europäischen Großmächtepolitik, kein neuartiges Phänomen. Und diese antagonistische Struktur des Imperialismus ist keine beiläufige, „sondern eine fundamentale Erscheinung" (Th. Schieder). Nur der Kreis der Konkurrenten wurde jetzt größer. Dieser Umstand erklärt besser als alles andere die Beschleunigung, ja Hektik der imperialistischen Expansionsbewegung, die durch den schon zeitgenössischen Ausdruck „scramble" treffend gekennzeichnet ist, der sowohl „Wettlauf, aber halsbrecherischer, als auch „Balgerei, Rauferei" bedeutet. Man kann sagen, daß überseeischer Territorialerwerb spätestens seit 1885, nachdem durch die Einrichtung internationaler Konferenzen eine diplomatische Kolonialbörse, auf der man Kolonien handelte, geschaffen worden war, in erster Linie durch den Faktor der Mächterivalität zustande gekommen ist, durch das ständige Spiel des Preavenire, durch einen „preclusive imperialism" — ich erinnere an Fashoda, die ernsteste Krise der Kolonialpolitik. Im Gegensatz zu Hobson erkennt man somit, daß gerade die Existenz der verschiedenen bislang als lästig empfundenen „pressure groups" als diplomatische Trumpfkarte verwendet wurde, ließen sie sich doch als willkommene Rechtfertigung für koloniale Ansprüche gebrauchen. Hinzu trat dann bald als mächtige Wirkkraft der mystische Glaube an den Wert eines überseeischen Reiches, ein Glaube, den man nur schwer in Hülle und Kern wird zergliedern können.

Ich komme zum Schluß und gestehe, daß ich der zuletzt angedeuteten Erklärungsmöglich-keit den Vorzug vor allen anderen gebe; denn sie bietet die klarste Inhaltsbegrenzung des Imperialismusbegriffes. Versucht man, Imperialismus von politisch-territorialer Kontrolle zu trennen, gerät die historische Substanz ins Schwimmen Früher oder später sind eigentlich alle Imperialismuskritiker an die Schwelle gelangt, von der ab sie zu einer derartigen Eingrenzung des Problems schreiten mußten. Als Hobson eine Theorie des Imperialismus erarbeitete, wandte er sie auf die Annexion riesenhafter Gebiete in Afrika und Asien durdi ein paar europäische Mächte an und auf nichts anderes. Wehler analysiert nach seinen theoretischen Vorannahmen ausführlich die Uberseepolitik Bismarcks, vermag einen echten Zusammenhang zwischen A-priori-Kon-struktion und historischer Analyse jedoch nicht herzustellen. Bei letzterer sind die zahlreichen Fälle, in denen Bismarck auf Kolonialerwerb verzichtete, mindestens ebenso aufschlußreich für die Dominanz machtpolitischer Motive wie der kurze Zeitraum, in dem die deutsche Schutzherrschaft über tropische Urwälder und über Wüsten proklamiert wurde.

Imperialismus sollte m. E. synonym für die politisch-territoriale Aneignung und Angliederung der noch nicht beherrschten Regionen der Welt durch die okzidentalen Mächte gebraucht werden. Wenn man ihn wesentlich anders definiert und Begriffe wie Finanzimperialismus und Sozialimperialismus einführt, gelangt man rasch zur Inflation, das heißt zur Entwertung des Imperialismusbegriffs. Wenn Imperialismus irgendeine vage Form der Einmischung von Geschäftsleuten und Bankiers in die Angelegenheiten eines anderen Landes sein soll oder wenn man ihn als Konflikt-ideologie auffaßt, soll man ihn getrost auf andere Formen von Beeinflussung und Manipulation ausdehnen. Man muß dann aber auch konsequenterweise die Existenz von Erscheinungen wie Kulturimperialismus, Religionsimperialismus, Gesinnungsimperialismus usw. postulieren. Ich persönlich ziehe mit dem amerikanischen Historiker Langer die Verwendung eines meßbaren, handlichen Imperialismusbegriffs seiner Expansion in diesem Sinne vor. Dabei ist es selbstverständlich, daß die Ursachen der imperialistischen Politik zwischen 1880 und 1914 in einem höchst komplexen Wirkungsfeld interdependenter Kräfte liegen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Als letzte knappe Literaturzusammenstellung vgl. die Bibliographie unter dem Artikel „Imperialismus", verfaßt von Helmut Dan Schmidt und Wolfgang J. Mommsen, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. 3, hrsg. v. Claus D. Kernig, Freiburg/Basel/Wien 1969, Spalte 57— 59. Ferner: Imperialismus, hrsg. v. Hans-Ulrich Wehler (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek 37. Geschichte), Köln/Berlin 1970, S. 443— 459. Für die marxistische Seite vgl. die kritische Bibliographie im Artikel „Imperia-lizm" von L. Leont’ev in: Sovetskaja istoriceskaja enciklopedija, Bd. 5, hrsg. v. E. M. Zukov, Moskau 1964, Sp. 815— 817; Artikel „Imperialzm v Rossii" von M. J. Gefter, ebenda, Sp. 822— 823.

  2. London 1902.

  3. Wiederabdruck in: W. I. [Vladimir Il'ic] Lenin, Werke. Bd. 22, Berlin (Ost) 1960, S. 189— 309.

  4. Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital (= Marx-Studien 3), Wien 1910.

  5. Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus, Berlin 1913.

  6. Vgl. dazu u. a. David Kenneth Fieldhouse, Imperialism’: An Historical Revision, in: The Economic History Review 14 (1961) S. 187— 209. — Ders., The Theory of Capitalist Imperialism (= Problems and Perspectives in History), London 1967, besonders S. 187— 194. — Als Kritik an Fieldhouse Überlegungen vgl. Eric Stokes, Late Nineteenth. Century Colonial Expansion and the Attack on the Theory of Economic Imperialism: A Case of Mistaken Identity?, in: The Historical Journal 12 (1969) S. 285— 301. Darin wird nicht die Theorie des ökonomischen Imperialismus rehabilitiert, sondern darauf hingewiesen, daß Lenin neben den ökonomischen Wurzeln auch zahlreiche andere Motive für die Entstehung des Imperialismus nennt un anerkennt.

  7. Eine knappe Auswahl aus der umfangreichen Literatur über die englischen Auslandsinvestitionen bietet Samuel Berrick Saul, The Myth of the Great Depression, 1873— 1896 (= Studies in Economic History), London 1969, S. 56— 62. Wichtig ferner der mit zahlreichen Belegen versehene Aufsatz von Wolfgang J. Mommsen, Nationale und ökonomische Faktoren im britischen Imperialismus vor 1914, in: Historische Zeitschrift 206 (1968) S. 618— 664.

  8. Vgl, das in Anm. 9 genannte Buch, dort besonders S. 235— 238. — Für die deutschen Investitionen in Rußland vgl. jetzt Joachim Mai, Das deutsche Kapital in Rußland 1850— 1894 (= Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 4), Berlin 1970.

  9. Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus, Köln/Berlin 1969, 1970*. Eine ausführliche Stellungnahme meinerseits zu diesem . politischen’ Buch bringen die Militärgeschichtlichen Mitteilungen Jg. 1971, Heft 2. Als eine der jüngsten Stellungnahmen vgl. George W. F. Hallgarten, War Bismarck ein Imperialist? Die Außenpolitik des Reichsgründers im Licht der Gegenwart, in; Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 22 (1971), S. 257— 265.

  10. Ebenda, S. 26, 116— 120.

  11. Ebenda, S. 23.

  12. Dazu vgl. vor allem John Gallagher/Ronald Robinson, The Imperialism of Free Trade, in: The Economic History Review 6 (1953) S. 1— 15" Ronald Robinson/John Gallagher/Alice Denny, Africa and the Victorians. The Official Mind of Imperialism, London 1961. — Die Hauptthese ihres Buches ist, daß die englische Regierung nicht von Wirtschaftskreisen des Mutterlandes zur Eroberung Ägyptens getrieben worden sei, sondern durch die chaotischen innerpolitischen Verhältnisse des Khe divats, die ein Eingreifen gebieterisch erscheinen ließen, wenn man nicht die Verbindung nach Indien gefährden wollte.

  13. Wehler, Bismarck, S. 32, Anm. 23.

  14. Hans Rosenberg, Große Depression und Bis-marckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin 24), Berlin 1967, S. 42, 43, 47, 50, 54, 87.

  15. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 46 (1919) S. 1— 39, 275— 310. Wiederabdruck in: Joseph A. Schumpeter, Aufsätze zur Soziologie, Tübingen 1953, S. 72— 146. Die beiden folgenden Zitate ebenda, S. 74, 119.

  16. Henri Brunschwig, Mythes et ralits de l’imp-rialisme colonial franais 1871— 1914, Paris 1960, S. 19— 28, 53, 82.

  17. über ihn vgl. jetzt die Studie aus der Schule Rudolf von Albertinis von Herward Sieberg, Eugene Etienne und die französische Kolonialpolitik (1887 bis 1904) (= Beiträge zur Kolonial-und Uberseegeschichte 4), Köln/Opladen 1968.

  18. Theodor Schieder in: Handbuch der europäischen Geschichte. Hrsg. v. Theodor Schieder, Bd. 6. Stuttgart 1968, S. 85. — Schieders Beitrag über den Imperialismus (S. 78— 109) ist eine der besten zusammenfassenden Darstellungen jüngeren Datums. Echter Tradition historischer Wissenschaft verpflichtet, abhold jeder Vereinseitigung in der Suche nach den Ursachen des Imperialismus, steht er in auffallendem Gegensatz zu der militanten Einseitigkeit seines Schülers (!) Wehler. Wehlers Buch ist ein markantes Beispiel, wie politisierte Geschichte betrieben wird, d. h. eine Wissenschaft, die nur dienende Funktion hat, als Vehikel zur Verwirklichung ganz bestimmter gesellschaftlicher Vorstellungen benutzt wird. — Vgl. auch Schieders Beitrag: Imperialismus in alter und neuer Sicht, in. Aus Politik und Zeitgeschichte B 21/60 (25. Mai 1960). Als Zusammenfassung neueren Datums VA auch Wolfgang J. Mommsen, Das Zeitalter des Imperialismus (= Fischer Weltgeschichte 28), Frank furt/M 1969.

  19. Ihn hat, von der Beschäftigung mit der europäischen Kolonisation in Ubersee von ihren Anfängen an bis zur heutigen Zeit herkommend, David Kenneth Fieldhouse in einer kompakten Studie hervorgehoben: Die Kolonialreiche seit dem 18. Jahrhundert (= Fischer Weltgeschichte 29), Frankfurt/M 1965 [Übersetzung aus dem Englischen].

  20. William L. Langer, A Critique of Imperialism. In: Foreign Affairs 14 (Oct. 1935) S. 102— 1i Wiederabdruck in: Ders., Explorations in Criss Papers on International History. Ed. by Carl t. Schorske and Elizabeth Schorske. Cambridge/Mass 1969, S. 167— 184.

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Winfried Baumgart, Dr. phil., Priv. -Doz. für Mittlere und Neuere Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; geb. 1938 in Streckenbach (Schlesien); Studium der Anglistik und Geschichte sowie Dolmetsch-Studium (Engi., Frz., Russ.) an den Universitäten Saarbrücken, Genf und Edinburgh. Veröffentlichungen u. a.: Deutsche Ostpolitik 1918, Wien/München 1966; Bibliographie zum Studium der Neueren Geschichte, Bonn 1969; Brest-Litovsk (= Historische Texte/Neuzeit 6, hrsg. mit K. Repgen), Göttingen 1969; Unternehmen „Schlußstein", Frankfurt 1970; Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution. Aus den Tagebüchern . . . von Alfons Paquet, Wilhelm Groener und Albert Hopman März bis November 1918, Göttingen 1971; Bücherverzeichnis zur deutschen Geschichte. Hilfsmittel — Handbücher — Quellen, Frankfurt 1971; Der Friede von Paris 1856 (im Druck, München/Wien 1971); ferner Aufsätze vornehmlich zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.