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Führung und Dynamik von Arbeitsgruppen in Schule und Betrieb | APuZ 44/1971 | bpb.de

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APuZ 44/1971 Artikel 1 Jugend in den Veränderungen unserer Welt Ein Vortest über Schülereinstellungen zum Politikunterricht Die Untersucher möchten ihnen bei dieser Gelegenheit für ihr Entgegenkommen danken. Darstellung der Schülermeinungen und psychologische Folgerungen Führung und Dynamik von Arbeitsgruppen in Schule und Betrieb

Führung und Dynamik von Arbeitsgruppen in Schule und Betrieb

Hans Rosenkranz

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Es wird die Frage aufgeworfen, was die Gruppendynamik zur Betriebs-und Schulpädagogik beizutragen vermag. Es werden einige Bereiche (Gruppenprozeß, Motivationsund Rollenstruktur in Gruppen) der Gruppendynamik mit Hilfe von Modellen beschrieben und darauf hin untersucht, ob sie durch geeignete Maßnahmen zur Führung und Organisation verändert werden können. Als Beispiele sind Gruppen in Schulen und Wirtschaftsbetrieben gewählt. Es wird die These vertreten, daß die Änderung der Dynamik von Gruppen in wünschenswerte Richtung möglich ist. Sie kann durch bewußte Interventionen erreicht werden, muß aber durch die Planung der Organisation von Schulen und Betrieben unterstützt werden.

Bildung und Führung in unserer Zeit sind wesentliche Determinanten gesellschaftlich-kulturellen Wandels. Sie beeinflussen den kulturellen und gesellschaftlichen Lebensstil und werden auch selbst in ihrer methodischen Konzeption vom sozio-kulturellen Wandel geprägt. Einfluß und Erwartungen des sozio-kulturellen Systems spiegeln sich in folgenden Entwicklungstendenzen des schulischen und betrieblichen Bildungssystems wieder:

1. Berufsbildung gewinnt in der sogenannten Allgemeinbildung mehr Raum.

2. Idee und Praxis eines partizipativen, auf Zusammenarbeit und Aktivierung der Mitglieder gerichteten Führungsstils setzen sich langsam aber zunehmend gegenüber hierarchisch-autokratisch betonten Formen der Führung und Bildung durch.

3. Neben Methoden der Bildung und Führung, die auf den kognitiven Lernbereich gerichtet sind und hauptsächlich der Vermittlung von Wissen dienen (z. B.der Programmierte Unterricht), werden solche entwickelt, die die Gleichzeitigkeit rationalen und emotionalen Lernens fördern (z. B. Methoden zur Qualifizierung sozialen Verhaltens).

Als eine weitere Folge gesellschaftlichen Wandels kann angesehen werden, daß neben Familie und Schule u. a. Volkshochschulen, Rundfunk und Fernsehen, Gewerkschaften und Unternehmerverbände Bildungs-und pädagogische Führungsaufgaben übernehmen. Sie stellen dem gestiegenen Bildungsbedürfnis ein Angebot an Bildungsmöglichkeiten gegenüber und bieten den überforderten, traditionellen Bildungsinstitutionen Familie und Schule Ergänzung und Hilfe an. Als einflußreicher Faktor im gesellschaftlichen System verdienen die Bemühungen der Wirtschaftsbetriebe um die Berufs-und Wirtschaftserziehung ihrer Angehörigen besonderes Interesse.

Uber ihre rein ökonomische Funktion hinaus erfüllen heute die Wirtschaftsbetriebe einen ganzen Katalog pädagogischer Aufgaben: z. B. Lehrlingsbildung oder die Bildung der Führungskräfte. Immer mehr setzt sich auch in Wirtschaftsbetrieben die Auffassung durch, daß Betriebserziehung nicht nur ein wesentlicher Kostenfaktor ist, sondern vornehmlich eine pädagogische Aufgabe, die der Qualifizierung der Persönlichkeit zu dienen hat. Die Auffassungen der betrieblichen Praxis und die Theorie der Wirtschaftspädagogik nähern sich einander an-In der Theorie wird überwiegend betont, daß unter Wirtschafts-und Betriebserziehung nicht etwa eine Erziehung für oder gegen die Wirtschaft oder den Betrieb zu verstehen ist, sondern Erziehung in der wirtschaftlichen und betrieblichen Situation.

In eiper Welt, in der die Wirtschaft und das Wirtschaften zu beherrschenden Lebensfaktoren geworden sind, kann es aber nicht angehen, daß lediglich Wirtschaftsbetriebe Wirtschaftserziehung betrieben. Neben den beruflichen Schulen wird daher immer mehr auch von den sogenannten allgemeinbildenden Schulen wirtschaftliches Lehrgut übernommen. Allgemeinbildung ohne Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge ist nicht mehr möglich. Nicht zuletzt hat dieser Gedanke auch bei den verschiedenen im Detail noch umstrittenen Konzeptionen zur Arbeitslehre in der Hauptschule Pate gestanden. Die Schule wie der Wirtschaftsbetrieb sind auch soziale Institutionen. Beide stellen das empirische Feld für die Wirtschaftspädagogik und auch für die Sozialpädagogik dar. Wirtschaftliches Verhalten in Schule und Betrieb hat eine soziale Seite ebenso wie soziales Verhalten ökonomische Aspekte aufzuweisen hat. Er erscheint daher im Sinne einer interdisziplinären Problemforschung ein gerechtfertigtes, ja notwendiges Unterfangen zu sein, Erfahrungen aus der Gruppendynamik und Gruppenerziehung darauf hin zu untersuchen, was sie zur Führung und Erziehung des wirtschaftenden Menschen in Schule und Wirtschaftsbetrieb beizutragen vermögen. Arbeitsgruppen, auf die das Thema dieses Beitrags abgestellt ist, kommen sowohl. im Wirtschaftsbetrieb als auch in der Schule vor. Betriebliche Arbeitsgruppen sind ihrem Ziel nach auf einen ökonomischen Arbeitserfolg gerichtet. Dieser Erfolg kann ebenso im Erstellen eines Werkstückes wie im Treffen einer Entscheidung bestehen. Das Ziel einer Arbeitsgruppe in der Schule ist primär ein Lernerfolg, nämlich der Erwerb von Wissen, Veränderung des Verhaltens und Qualifizierung des Charakters. Man könnte die schulischen Arbeitsgruppen daher auch Lerngruppen nennen. Wenn dieser Lernerfolg aber vornehmlich durch Gruppenselbsttätigkeit erreicht wird, wie es einem Prinzip des Gruppenunterrichts entspricht, verdienen auch Lerngruppen in der Schule die Bezeichnung Arbeitsgruppen. Die Idee der Arbeit als Voraussetzung jeden aktiven Lernens hat schon der sogenannten Arbeitsschulbewegung um Georg Kerschensteiner ihren Namen gegeben. Der Arbeitserfolg der betrieblichen Arbeitsgruppe ist ebenfalls von der Lern-und Entscheidungsfähigkeit der Gruppe abhängig. Betrachtet man eine Gruppe als selbstlernendes soziales System im Sinne der kybernetischen Systemtheorie, so ist auch hier die Bezeichnung Lerngruppe angebracht.

In diesen Ausführungen soll hauptsächlich auf die kleinen Gruppen in Schule und Betrieb Bezug genommen werden. Hoffstätter und Tack charakterisieren die kleine Gruppe folgendermaßen: „Zu einer Gruppe gehört, daß man sich kennt, daß die Mitglieder Kontakt miteinander haben, sich gegenseitig verständigen und ihr Verhalten wechselseitig beeinflussen und aufeinander abstimmen." Die Beschränkung auf kleine Gruppen erlaubt, bis zu einem gewissen Grade Gesetzmäßigkeiten der Gruppen-dynamik herauszustellen, wie sie sowohl für Gruppen im Betrieb wie auch in der Schule gelten können. Andererseits ist es notwendig, die Erkenntnisse über den gruppendynamischen Prozeß unter jeweiligen Bedingungen zu differenzieren. Folgende drei Hauptkrite. rien können das Geschehen in der Gruppe beeinflussen und nach verschiedenen Richtungen variieren

1. Die Person des Führers, seine Eigenschaften, Erfahrungen und Einstellungen, sein Alter und seine Vorbildung.

2. Die Persönlichkeiten der Gruppenmitglie.

der, ihre Eigenschaften, Erfahrungen und Einstellungen, ihre Erwartungen in bezug auf die Gruppe und den Führer, ihr Alter und ihre Vorbildung. 3. Die spezifische Situation, in der sich die Gruppe befindet (Arbeits-, Lernsituationen, Betrieb, Schule u. a.), die Gruppenaufgabe, das Gruppenziel, die Gruppengröße und andere Bedingungen.

Diese Faktoren beeinflussen nicht nur in hohem Maße den Gruppenprozeß, sondern bestimmen auch wesentlich die Konsequenzen, die sich für die Führung von Gruppen aus der Gruppendynamik ergeben.

Als erster hat Kurt Lewin den Begriff Gruppendynamik verwendet. Er wollte jene Kräfte und Prozesse charakterisieren, die bei der Entwicklung einer Gruppe und der Änderung von Gruppenstrukturen unter dem Einfluß verschiedener Variablen entstehen. Kurt Lewin hat mit seiner Feldtheorie der Gruppe nicht nur einen theoretischen Ansatz geboten, sondern auch den empirischen Wert dieser Theorie an eigenen Untersuchungen bestätigt. Er hat damit den Grundstein für die wissenschaftliche Disziplin der Gruppendynamik gelegt, die nach seinem Tode unter dem Einfluß der empirischen Gruppenpsychologie, der Gruppen-psychotherapie und der Gruppenpädagogik weiterentwickelt wurde.

In diesem Beitrag seien exemplarisch an der Entwicklung des Verhaltensprozesses in Gruppen und an einem Rollenmodell einige schulund betriebspädagogische Konsequenzen der Gruppendynamik aufgezeigt.

1. Der Gruppenprozeß

Stellt man sich — wie der amerikanische Gruppenpädagoge Miles — den individuellen Verhaltensprozeß in Gruppen in Form eines Kreises folgendermaßen vor, so ergibt sich für jedes Gruppenmitglied eine Folge fortlaufender Verhaltenskreise:

Kommen zwei oder mehrere Menschen zu einem Lern-oder Arbeitszweck erstmals zusammen, so wird noch nicht von einer Gruppe gesprochen. Eine Gruppe bildet sich erst all-mählich, wenn genügend Zeit und eine passende Gelegenheit vorhanden sind. Beobachtet man das Verhalten potentieller Gruppenmit glieder, so läßt sich feststellen, daß jedes Gruppenmitglied einige typische Verhaltens-phasen durchläuft. Aus der Korrespondenz oder Ungleichheit der Verhaltensphasen der Gruppenmitglieder entstehen der Grüppenprozeß und jene Bewegungen, die als dynamisch gekennzeichnet sind. Die Anfangsphase wird von den Gruppenpsychologen häufig chaotische Phase oder Konfliktphase genannt. Ein Beispiel dafür wäre der Beginn eines Festes, bei dem sich anfangs die Gäste noch recht reserviert geben und bei detn in der ersten Stunde keine Stimmung aufkommen will. Jeder Lehrer kennt die Situation der ersten Stunde in einer neugebildeten Klasse — eine Situation, in der viel erreicht, aber auch viel falsch gemacht werden kann, weil in diesem ersten Stadium die Klasse noch hellhörig, verunsichert und strukturierbar Ist. Auch bei der Neuzusammenstellung von Arbeitsgruppen in Betrieben findet sich ein erstes Stadium, in dem die Arbeit keinen Spaß zu machen scheint. Wenn sich diese Phase auch nicht unbedingt als chaotische oder konfliktäre zeigen muß, so ist sie doch meistens gekennzeichnet durch eine heimliche Unzufriedenheit und allgemeine Unsicherheit. Anfangs ist jeder unsicher darüber, ob die eigenen Erwartungen von der künftigen Gruppe erfüllt werden und ob die Erwartungen, die wiederum durch die Gruppenaufgabe und die neuen Gruppengefährten an den einzelnen herangetragen werden, auch erfüllbar sind Denn jedes Gruppenmitglied bringt durch Erziehung und vorausgegangene Erfahrungen Erwartungen mit in die Gruppe. Diese Unsicherheitsphase, die oftmals bis zu einer Identitätskrise reichen kann, wird von Brocher folgendermaßen erklärt: Die Gruppen-mitglieder „erproben ihre Beziehungen zueinander, versuchen ihre Interessen durchzusetzen, kämpfen um ihren Status (und) um die künftige Rangfolge und bieten ihre bisherige Kenntnis an. Die Beziehungen wechseln zwischen Abhängigkeitsgefühl und Unabhängigkeitswünschen, bis die Unvermeidbarkeit der Interdependenz, die wechselseitige Abhängigkeit voneinander, begriffen und angenommen ist." Manchmal wird diese Phase auch als prägruppal bezeichnet, das heißt, man will sie noch nicht dem eigentlichen Gruppenprozeß eingliedern und betrachtet sie als ein Vorstadium. Die Unzufriedenheit und die offensichtlich bestehende Spannung erklärt man aus einer latent vorhandenen Führungsabsicht der Teilnehmer, zumindest aber aus der Absicht, sich selbst in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu setzen. Da das Gelingen noch ungewiß ist, kommt es zu Unsicherheit, manchmal auch zu Konflikten.

In einer zweiten Phase versucht man Informationen über die neuen Partner zu gewinnen. Man diagnostiziert sich, schließt aus der Ähnlichkeit in Mimik, Gestik, aus der beginnenden Kommunikation auf den anderen, nimmt Gefühlsbeziehungen auf, projiziert eigene Einstellungen und legt sich eine Rolle zurecht. Meist ist es eine Rolle, mit der man in ähnlichen Situationen schon Erfolg gehabt hat und von der man sich einen Führungsanspruch innerhalb der Gruppe auszurechnen vermag. In Anlehnung an die Stufen des individuellen Entscheidungsprozesses kann diese Phase auch als Stadium der Informationsbeschaffung bezeichnet werden, in der neues Verhalten vorbereitet wird.

Sind genügend Informationen beschafft, Verhaltens-Alternativen gebildet und auch ein Entschluß getroffen worden, so wird das neue Verhalten in einer dritten Phase nunmehr ausgeübt. Dies geschieht in einem fortlaufenden Prozeß emotionaler und kognitiver Anpassung, in einem Prozeß von personaler Identifizierung oder Distanzierung.

Die vierte Phase leitet einen Rückkoppelungseffekt ein. Denn hier befaßt sich der einzelne mit dem Erfolg seines ausgeübten Verhaltens. Er sucht nach einem Beweiserlebnis, das gewöhnlich wie jeder Kontroll-und Prüfungsvorgang mit Unsicherheit verbunden ist. Vierte und erste Phase gehen damit oftmals ineinander über. Gleichsam zwischengeschaltet ist aber noch eine weitere Phase des Integrierens, die für den Lern-und Erziehungsvorgang von besonderer Bedeutung ist.

Sind die Erwartungen des Gruppenmitgliedes erfüllt, glaubt man Erfolg gehabt zu haben, wird das Verhalten bestärkt, wird die Rolle gleichsam als Thema mit Variationen weitergespielt. Ebensogut können bei negativem Beweiserlebnis Verhaltensweisen extinguiert werden. Am Schluß jedes modellhaften Verhaltenskreises steht also das Integrieren . von Erkenntnissen. Die Persönlichkeit wird geformt, der Charakter geprägt. Das gesamte menschliche Leben, nicht nur das in Gruppen, kann in fortlaufenden Verhaltens-und Entscheidungskreisen gesehen werden. So hat einmal Rainer Maria Rilke in einem Gedicht gesagt: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Digge ziehn, ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn." Die Gruppenmitglieder beeinflussen sich gegenseitig im Verhalten. Jedes Mitglied erreicht ein bestimmtes Verhaltensniveau. Extrovertierte, kontaktfreudige Mitglieder werden sich schneller anpassen, auf die anderen Teilnehmer eingehen und infolgedessen eine größere Chance haben, eine Führungsposition in der Gruppe zu erringen. Auch die anderen Mitglieder versuchen sich nun aus Prestigegründen anzupassen, nehmen Kontakte mit ihnen sympathischen oder beeinflußbar erscheinenden Partnern auf oder sie nehmen eine Oppositionshaltung ein. Durch fortlaufendes Interagieren und durch die Möglichkeit zu Kontakten ist auch, wie in der sogenannten Homansregel betont wird, eine größere Chance zur Aufnahme von Sympathiebeziehungen gegeben. Sie sind ausschlaggebend für das Entstehen eines Wir-Bewußtseins, das als Kennzeichen einer kleinen Gruppe überhaupt betrachtet werden kann. Der Gruppenprozeß wird also bestimmt aus dem Kommunikationsprozeß, dem Prozeß gegenseitigen Kenntnisempfangens und Kenntnisgebens.

In einem späteren Stadium entstehen aus der Kommunikation Gruppennormen und Gruppenideale. Sie sind die Kriterien für ein gewachsenes Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe, für die Entwicklung von Wirbewußtsein. Die Gruppe will sich durch eine Reihe von oftmals recht unwichtig erscheinenden Merkmalen und Tätigkeiten von anderen Gruppen abheben. Man läßt sich die Haare lang wachsen, zieht sich die gleichen Pullover an, raucht die gleiche Zigarettenmarke, trifft sich in den Pausen auf dem Schulhof oder im Betrieb an besonderen Plätzen und entwickelt einen Gruppenjargon. Diese Dinge lassen sich überall beobachten, wo Menschen öfters zusammenkommen.

Die geschilderten Normen und Gewohnheiten ergeben sich aus der formalen Organisation der Schule oder des Betriebes, haben aber sehr häufig informalen Charakter. Wie in vielen Experimenten und Beobachtungen gezeigt wurde, nehmen sie großen Einfluß auf die Arbeits-und Lernleistung der Gruppe und gewinnen für die Führung von Gruppen daher eine große Bedeutung. Es kann gelten, daß bei erhöhter Aktivität der Gruppe auch höhere Verhaltensniveaustufen in der Gruppe erreicht werden, die sich auf die Qualität der Gruppenentscheidungen auswirken.

Aufgabe eines formalen Führers, sei es in der Schule der Lehrer oder im Betrieb der Meister, müßte es daher sein, die Aktivität und Kommunikation in der Gruppe zu fördern, alles zu vermeiden, was einen dynamisch ablaufenden Gruppenprozeß stören könnte, vielmehr nach Mitteln und Wegen für eine qualifizierte und kooperative Kontaktaufnahme der Gruppen-angehörigen zu suchen. Er hat damit auch die Chance, die normsetzenden Funktionen der Gruppe in eine wünschenswerte Richtung zu lenken. Seine Tätigkeit darf aber nicht dahin ausarten, zu viel Anpassung von den Teilnehmern zu verlangen. Denn um wirklich phantasievoll arbeiten zu können, ist ein unterschiedliches Maß an Ideen und Verhaltenskapazitäten notwendig. Von Natur aus sind diese unterschiedlichen Anlagen auch gegeben. Es ist der Kunst des Führers anheim-gestellt, nur soviel Anpassung von den einzelnen zu fordern, wie es zum Erreichen des Gruppenzieles unumgänglich notwendig ist. Je mehr Raum er der freien Bewegung in der Gruppe zu geben vermag, je mehr er seine Gruppe zu aktivieren und mobilisieren versteht, desto eher kann sich auch die Individualität seiner Gruppenangehörigen in einer guten Leistung auswirken.

2. Motive sozialen Verhaltens in Gruppen

Tüchtiger Beliebter Q. A Führer Mitläufer Q ------------------>(G) ß > Außenseiter o Gegner Sündenbock

Bei der Führung von Arbeitsgruppen genügt es nicht, das Verhalten der Gruppenmitglieder zu registrieren und durch eigenes Verhalten zu beeinflussen. Das wäre eine zu mechanistische Auffassung von Führung. Mit der Frage und ihrer Beantwortung nach dem Warum, also nach den Motiven dieses Verhaltens, wird ein besseres Verständnis und daraus die Berücksichtigung individueller Interessen möglich. Erst dann kann der Führer seine Motivierungsaufgabe im Sinne des oben angeführten Zieles erfolgversprechend wahrnehmen.

Die Tiefenpsychologie bietet eine Erklärung für die Frage nach der Motivation sozialen Verhaltens. Sie stützt sich dabei auf die Konzeption Sigmund Freuds, der die Wichtigkeit früher Kindheitserfahrungen im Sozialisationsprozeß betont. Jedes Kind entwickelt sich in der Regel in einer Familie, die den Prototyp einer kleinen Primärgruppe darstellt und die auch gewisse Affinität zum Charakter einer informalen Gruppe trägt. Die frühen Erfahrungen in der Familie oder der Ersatzinstitution, in der das Kind heranwächst, bestimmen ent-scheidend das spätere Sozialverhalten. Der Wahrheitsgehalt dieser These ist heute weitgehend bestätigt. Als Belege sind die Folgen des Hospitalismus, die Berichte über verwilderte Kinder und schließlich auch das ernste Problem der Unterrepräsentierung von Arbeiterkindern an Gymnasien und Hochschulen an-zuführen. „Aus den ersten menschlichen Kommunikationserfahrungen" im Umgang mit Mutter, Vater und Geschwistern", so sagt Brocher, „entstehen letztlich Urvertrauen und Urmißtrauen" mit allen ihren Konsequenzen für die Gesellschaft. Aus den kleinen Gruppen der Familie, der Spielgruppe, der Jugendgruppe wächst das Kind und der Jugendliche nur allmählich und unter Schwierigkeiten in die größeren Ordnungseinheiten des Berufes und Betriebes hinein, da diese meist von abstrakter, formaler und unpersönlicher Natur sind. Beim Eintritt in eine neue Gruppe wiederholen sich unbewußt die in der Familie erlernten sozialen Beziehungen Brocher sagt weiter: „Beim Eintritt in eine neue Gruppe wiederholt sich unbewußt das Modell der frühen Sozialbeziehungen so lange, bis eine befriedigende und angstfreie Kommunikationsmöglichkeit der Gruppenmitglieder untereinander und gegenüber dem Gruppenleiter gefunden ist. Der entscheidende Anteil der Dynamik besteht nun gerade darin, daß sich für jedes Gruppenmitglied in der Kommunikation mit den anderen bestimmte Aspekte ursprünglicher Objektbeziehungen und -erfahrungen wiederholen."

Wenn man die erste Streßsituation beim Eintritt in die Gruppe überwunden und in einem sieten Wechsel von Identifizierung, Projektion und Distanzierung eine Rolle übernommen hat, dann wird häufig die Gruppe selbst als schützende Mutter aufgefaßt, der Gruppenführer als Vater, mit dem man sich identifiziert oder zu dem man in Opposition tritt'schließlich werden die Gruppenmitglieder als Geschwister betrachtet, zu denen man Sympathie-oder Aversionsgefühle aufnimmt und mit denen man konkurriert. Auf diesen Vorgang lassen sich die meisten Motive sozialen Handelns in Gruppen zurückführen, z. B. die widerstreitenden Bedürfnisse des Identitätswunsches und des Unabhängigkeitsstrebens, das Schutzbedürfnis und auch die Angstgefühle der chaotischen Phase.

Der Gruppenführer sollte die Gefahren und Möglichkeiten erkennen, die sich aus dieser individuellen Motivationsstruktur der Gruppenmitglieder ergeben. Er hat die Möglichkeit, die Motive, Bedürfnisse und Interessen der Gruppenmitglieder in den Dienst der Führung zu stellen. Nimmt er die Motivierungsfunktion nicht wahr, so begibt er sich eines wichtigen und wirkungsvollen Führungsmittels. Motiviert er aber nur aus eigensüchtigen oder institutionspragmatischen Gründen, wird er seinen beiden vornehmsten Führungsautgaben nicht voll gerecht, nämlich die Gruppenmitglieder leistungsfähig und zufrieden zu machen. Das gilt für die Schule ebenso wie für den Wirtschaftsbetrieb.

3. Die Rollenstruktur der Gruppe

Einzelne Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder verfestigen sich im Verlauf des Gruppenprozesses. Sie werden durch tatsächliche oder nur scheinbare Erfolge bestätigt. Nach einiger Zeit werden sie zur Gewohnheit. Werden Verhaltensweisen öfter wiederholt, stellen sich die Gruppenmitglieder aufeinander ein. So erwartet man zum Beispiel von dem einen, daß er durch Witze-Erzählen die Gruppe belustigt. Fügt er sich diesen Erwartungen, übernimmt er die Rolle des Gruppenclowns oder Hofnarrens, in die er machmal geradezu hineingedrängt wird. Vom Führer erwartet man, daß er die besten Ideen zur Lösung der Gruppenprobleme mitbringt, daß er sich mehr als die anderen an die Gruppennormen hält. In Notsituationen erwartet man von ihm gelassenes Auftreten und hilfreiches Handeln. Gruppenrollen entstehen im Zusammenspiel von individueller Veranlagung und den Erwartungen der Gruppe. In der Diskrepanz zwischen diesen beiden Polen zeigt sich das Hauptproblem der Rollenstruktur in der Gruppe.

Der Mensch in der Gruppe ist nicht nur, wie Dahrendorf in seinem Homo-sociologicus-Modell annimmt, durch die Erwartungen der Gesellschaft vorprogrammiert, sondern bringt wesentliche eigene Anschauungen, Anlagen, Wünsche und auch individuelle Erwartungen mit. Will man ihn nicht vergewaltigen, so müs sen auch seine Individualvorstellungen mitberücksichtigt werden. Hierin zeigen sich bereits auch die pädagogischen Konsequenzen einer zielorientierten Rollenführung in der Gruppe. So kann es als die Aufgabe einer betrieblichen und schulischen Rollenerziehung angesehen werden, Hilfen zu geben beim Lernen, bei der Ausübung und beim Wechsel von Rollen. Ein methodisches Hilfsmittel der Rollenerziehung ist das Rollenspiel. Das Hineinversetzen, Lernen, üben und Wechseln neuer Rollen wird bei dieser Unterrichts-und Unterweisungsmethode zur Selbstverständlichkeit. Ohne die Fähigkeit, die verschiedenen Rollen, die das Leben erfordert, wahrzunehmen, auszufüllen und situationsangepaßt, aber nicht opportunistisch zu wechseln, hat der moderne Mensch kaum noch Chancen, in einer vom ständigen Wandel getragenen Gesellschaft zu bestehen. Zur Analyse und Systematisierung von Gruppenprozessen werden in den Sozialwissenschaften verschiedene Rollensysteme zugrunde gelegt. Man unterscheidet nach Aufgaben-, Erhaltungs-und Aufbaurollen, nach formalen und informalen Rollen, nach sozialen Rollen im Sinne Dahrendorfs, nach Individual-und Wunschrollen. Einige Grundbeziehungen in der Gruppe werden durch das Rollenmodell deutlich, das Schindler als sozio-dynamische Grundformel bezeichnet. Ergänzt und veranschaulicht durch einige Erfahrungen aus der Führungsforschung gibt dieses Modell Aufschlüsse über dynamische Prozesse in betrieblichen und schulischen Gruppen:

Schindler bezeichnet die Position des Führers mit a. Diese Führungsposition hat je nach Art und Situation der Gruppe verschiedenen Charakter und besondere Orientierung. In der Regel teilt sich die Führungsposition in zwei Führungsrollen, die von den beiden wichtigsten Führungsaufgaben her verständlich werden. Es bildet sich ein sogenannter Führungsdual, wie Hofstätter dieses Phänomen bezeichnet. Als Erscheinung mit einigem Erfahrungswert hat man den Führungsdual in der Führungsorganisation verschiedener Staaten berücksichtigt — z. B. in der Bundesrepublik durch das Führungspaar Bundeskanzler-Bundespräsident, in England durch den Premierminister und die Königin. Bundeskanzler bzw. Premierminister verfolgen als formale Führer die Regierungsgeschäfte; Bundespräsident bzw. Königin erfüllen Repräsentationsaufgaben. Auch in Wirtschaftsbetrieben und Schulen findet man einen ähnlich gelagerten Führungsdual. Formal wird in Betrieben von Meistern, Vorarbeitern, Abteilungsleitern und Vorständen geführt, in der Schule von Rektoren und Lehrern.

• Der formale Führer ist durch Organisation und das Zielsystem der Institution angehalten, vor-w egend die leistungs-und zielorientierte Lokomotionsfunktion in der Gruppe wahr-zunehmen. Seine Rolle ist die des „leistungsorientierten Tüchtigen“ (in dem Schaubild als a 1 bezeichnet). Im Extremfall wird er von den Gruppenmitgliedern als Streber — auch als „ekelhafter Könner" — empfunden. Manchmal wird er verdächtigt, die Gruppe an den Betrieb zu verkaufen, wenn er sich in den Augen der Gruppenmitglieder zu betriebs-loyal verhält. Auch in der Schulklasse kennt man diese Einstellung. So kann sich der Lehrer sein Führerimage verderben, wenn er sich auf seine Autorität kraft Amtes, auf die Autorität des Rektors oder der Schule beruft. Diese Reaktionen werden verständlich, wenn man berücksichtigt, daß sich die Gruppenmitglieder in der Regel nicht voll mit den vom Tüchtigen angestrebten Leistungzielen identifizieren. Man nimmt ihm seine Antreiberei und seine Gleichgültigkeit gegenüber den Sonderinteressen der Mitglieder übel

Meist vernachlässigt der formale Führer aus Zeitgründen seine zweite wichtige Führungsaufgabe: die Kohäsionsfunktion Es entsteht daher häufig eine zweite informale Führerrolle, die des „personorientierten Beliebten". Er appelliert an die Gefühle der Mitglieder, „sorgt für den Zusammenhalt der Gruppe (und) gleicht interne Spannungen aus" Für ihn stehen die Interessen der Gruppenmitglieder im Vordergrund; er kann ihnen auch entgegenkommen, da er zeitlich nicht so stark belastet ist wie der formale Führer. Sein Wirken ist im allgemeinen positiv für die Gruppe. Im Extremfall kann der informale Führer aber auch zu einem „sympathischen Tagenichts" werden. Durch geeignete Führungsmaßnahmen kann er auch für die formalen Ziele der Gruppe aktiviert werden. Mit Hilfe des Soziogrammes läßt sich der beliebte und mutmaßliche informale Bürger in der Gruppe leicht feststellen. Die Vermutung spricht dafür, daß er natürliche Anlagen zur Menschenführung besitzt. Nach entsprechend fachlicher Förderung auf Lehrgängen und Seminaren wird er daher in Betrieben oftmals als formaler Führer eingesetzt. Allerdings geht häufig mit der Ernennung zum formalen Führer die Rolle des Beliebten verloren, besonders, wenn er in der alten Gruppe eingesetzt wird. Die neuen Aufgaben der formalen Führung lassen ihm nicht mehr in dem Maße die

Möglichkeit wie vorher, für den Zusammenhalt und die Sonderinteressen der Gruppen-mitglieder zu sorgen. Nichtsdestoweniger sollte sich ein idealer Führer sowohl leistungsorientiert wie auch personorientiert verhalten. Als Aufgabe der Betriebserziehung wird es angesehen, beide Funktionen bewußt zu machen und zu üben An Schulen nehmen sehr oft die Sportlehrer manchmal auch die Religionslehrer die Vertrauensstellung und informale Führungsrolle des Beliebten ein. Sie sind von ihrem Fach her dazu prädestiniert. Aber auch unter den Schülern selbst sind solche informale Führer zu finden. Welche pädagogische Möglichkeiten sich aus einer solchen Konstellation ergeben, zeigt der amerikanische Spielfilm „Die Saat der Gewalt". In der Kooperation mit dem in-formalen Führer der Klasse sah ein tüchtiger Lehrer in diesem Film den wirkungsvollen Ansatz, eine vollständig verwahrloste Klasse erzieherisch zu beeinflussen. Mit dem Führer als Prestigeträger identifiziert sich der Großteil der Gruppenmitglieder. Durch die Position • wird diese Rolle charakterisiert. Da Y vorwiegend mit dem Führer interagiert, wird er auch häufig als Mitläufer oder Anhänger bezeichnet. Hier schwingt ein negativ abschätzendes Moment mit. Die y-Rolle ist aber nicht nur auf den Gruppenopportunisten, auch Duckmäuser oder Radfahrer genannt, zu beziehen. Sie trifft auch auf den fleißigen, stillen, mehr introvertierten Mitarbeiter zu und umfaßt wie jede Rolle dieses Modells eine Rangskala von positiven und negativen Persönlichkeitsmerkmalen. Fast in jeder Gruppe finden wir einen soge-nannten Sündenbock — im vorliegenden Modell als -Position bezeichnet. Er dient als Blitzableiter für alle Dinge, die in der Gruppe falsch gemacht wurden. Gegen ihn richten sich die aufgestauten Aggressionen der Gruppen-mitglieder. Besonders in einer autoritär geführten Gruppe, in der das Freund-Feind-Verhältnis besonders ausgeprägt ist, findet man oft eine hochentwickelte Sündenbocksuche. Gegen das in diese Sündenbockposition gedrängte Gruppenmitglied wird der von oben kommende Druck weitergegeben. Man verdächtigt den Angstträger • mit dem fiktiven Gegner (G) der Gruppe zu interagieren. Man identifiziert ihn mit diesem Gegner, der gewöhnlich nur in der Einbildung der Gruppen-mitglieder besteht. Aufgabe des Führers in Betrieb und Schule ist es, Sündenbocksituationen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Das wird durch einen kooperativen Führungsstil mög34 lieh, bei dem erwiesenermaßen ein entspanntes, auf sachliche Zusammenarbeit gerichtetes Gruppenklima entsteht. Es ist geradezu erstaunlich, was in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft in bezug auf das pädagogische Problem des Sündenbocks heutzutage noch falsch gemacht wird.

Der sachgerichtete Anteil der Gruppe wird durch die ß-Position repräsentiert, ß steht außerhalb der Gruppe. Er nimmt die Rolle eines fachlichen Beraters und Spezialisten wahr und ist nach Intelligenz und Wissens-niveau dem Führer manchmal sogar überlegen.

Ihm fehlt aber das Durchsetzungsvermögen, der Wille zur Führung und die Fähigkeit zum Engagement und zur Integration in die Gruppe. Seine Rolle ist vergleichbar mit einer Stabs-position im Betrieb.

Die hier aufgezeigten Rollen sind modellhaft als Grundrollen zu verstehen. Das Modell wird je nach betriebs-oder schulspezifischer Situation variieren. Es ist weiterhin in mancherlei Richtung ergänzbar und gewinnt erst durch die jeweilige Modifizierung seinen praktischen betriebs-und schulpädagogischen Nutzwert.

4. Maßnahmen zur Verbesserung der Gruppendynamik

Kennt der Führer oder Erzieher die wichtigsten Komponenten bei der Entwicklung der Gruppe, so kann er durch richtige Maßnahmen den gruppendynamischen Prozeß in wünschenswerter Richtung bis zu einem bestimmten Grade lenken. Wie die Führungsstilexperimente von Lewin, Lippitt und White sowie von dem Ehepaar Tausch u. a. überzeugend gezeigt haben, besteht die Möglichkeit, bewußt und geplant ein Gruppenklima zu schaffen, das Zufriedenheit und Leistung der Gruppen-angehörigen beeinflußt, überwiegend wird heute die Auffassung vertreten, daß ein kooperativ-partnerschaftlicher Führungsstil Mitarbeiter und Schüler zufriedener macht als ein autoritärer. Hinsichtlich der Leistung stellte man in einigen Experimenten kurzfristige Vorteile für den autoritären, langfristig aber eine eindeutige Überlegenheit des kooperativen Führungsstiles fest.

Einige amerikanische Untersuchungen geben interessante Einblicke zum Verhältnis von Leistung und Zufriedenheit in der Gruppe. So besaßen in einem untersuchten Betrieb „von sieben hochproduktiven Teams sechs person-orientierte Vorgesetzte, von zehn geringproduktiven Gruppen aber nur drei. Ähnliche Ergebnisse liegen aus den verschiedensten Arbeitsbereichen vor"

Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, daß auch die Arbeits-und Lernleistung der Gruppe wesentlich von der Zufriedenheit der Gruppen-mitglieder bestimmt ist. Sicherlich haben diese Ergebnisse auch mit dazu beigetragen, daß man heute im allgemeinen in Schule und Wirtschaftsbetrieb einem partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil den Vorzug zu geben geneigt ist.

Kooperative Führungsmaßnahmen versprechen nur dann Erfolg, wenn sie von einer echten demokratischen Überzeugung getragen sind und dem persönlichen Lebensstil des jeweiligen Führers entsprechen. Ferner müßten partnerschaftliche Stilformen, besonders die Grundregeln demokratischer Kommunikation, bei der Lehrerbildung und der Bildung von Führungskräften durch eine entsprechende Methodik erlernt werden. Denn wie sollten sich Führer und Geführte, Lehrer und Schüler sozial-kooperativ verhalten können, wenn nicht solche Verhaltensweisen in der praktischen Situation, also in der Gruppe systematisch geübt werden. Eine Bestätigung für diese Annahme geben in einer empirischen Untersuchung das Ehepaar Tausch Es wurde nachgewiesen, daß bei Lehrer-Studenten durch Vorlesungen über die Problematik der Führungsstile keine Änderung im Ausmaß des Verständnisses für die Kinder erreicht wird. Dagegen war eine signifikante Verhaltensänderung bei Studenten festzustellen, die an einem erziehungs-psychologischen Trainingsseminar teilnahmen, in dem sozial-integrative Sprachäußerungen trainiert wurden. Die Erfahrungen von Tausch hat der Verfasser bei der methodischen Gestaltung von Seminaren an der Höheren Wirtschaftsfachschule und bei Kursen für mittlere Führungskräfte aus der Wirtschaft zu beachten versucht. Die Teilnehmer legten selbst in Gruppenarbeit Merkmalsdimensionen für autoritäres und kooperatives Verhalten fest und übten entsprechende Sprachäußerungen durch Fallstudien und Rollenspiele. Sie hatten die Gelegenheit, in Gruppenarbeit ihr eigenes Verhalten an selbst festgelegten Kriterien zu überprüfen und über Verhaltensänderungen zu entscheiden.

Gruppenarbeit und Gruppenunterricht sind bereits seit der Arbeitsschulbewegung bekannt. Unter dem Einfluß der Gruppendynamik und der Führungsforschung sind in den letzten Jahrzehnten Spezialformen entwickelt worden. Zu diesen Methoden kann u. a. bei entsprechender Gestaltung die Fallmethode, das Plan-und das Rollenspiel gerechnet werden —• didaktische Formen, wie sie aus einer modernen Betriebserziehung nicht mehr wegzudenken sind. Sie lassen sich mit etwas Phantasie in die Form der konventionellen Gruppenarbeit einbauen und ergänzen und runden sie ab. Schon auf der Stufe der Problemfindung bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Aufgabe der Gruppenmitglieder ist es, „aktuelle Probleme an Ort und Stelle zu untersuchen, sich selbst die nötigen Informationen zu verschaffen und in gemeinsamer Arbeit in kleinen Gruppen Lösungen zu erarbeiten" In der Schule ist man auf Simulation der Wirklichkeit angewiesen. Diese kann durch schriftlich angebotene Fälle geschehen. Die Fälle können auch unvollständig sein und sind dann durch Informationsbeschaffungsphasen zu ergänzen. Ihr Vorteil liegt in der starken Motivationswirkung und der damit günstigen Anbahnung des Lernprozesses. „Die Fallmethode ist insbesondere als Vorbereitung auf die bei der Betriebsführung erforderliche Teamarbeit geeignet." Die letzte Stufe ist der Bereich der Verwirklichung, in dem die Ergebnisse der Gruppe nach außen kundgemacht werden. Die Gruppe tritt als Ganzes auf und erläutert und begründet ihre Ergebnisse. Im menschlichen Lernprozeß kann diese Stufe als Gestaltungs-und Übungsstadium angesprochen werden, in dem durch übende Anwendung gesammelte und geordnete Ergebnisse dargestellt werden Die eigentliche Gruppenarbeit innerhalb des Gruppenunterrichts und der -Unterweisung beginnt mit der

Strukturierung der Gruppe, der Verteilung der Aufgaben und Rollen; sie ist gekennzeichnet durch Informationsbeschaffung, durch die Diskussion der Mitglieder, im Aufzeigen von Alternativen und der Anbahnung einer Gruppenentscheidung. Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang die neuere Konzeption des sogenannten gruppendynamischen Seminars bleiben. Sie wurde bei der Suche nach neuen didaktischen Formen für die Erwachsenenbildung nach dem Zweiten Weltkrieg von Kurt Lewin und seinen Mitarbeitern entwickelt. Im Vordergrund stehen pädagogische Zielsetzungen. Vorwiegend in Selbsterfahrungsgruppen soll der einzelne das Zusammenspiel der Kräfte innerhalb der Gruppe besser verstehen lernen. Wird den Teilnehmern die eigene Reaktion und die der Gruppenmitglieder bewußt, kann es zu einer reflektierten, gleichzeitigen Weise rationalen und emotionalen Lernens kommen. Dem einzelnen soll in der Trainingsgruppe und durch sogenanntes Sensitivity-Training geholfen werden, seine personale Identität zu finden und eine reflektierte Verhaltenswirksamkeit bei der Änderung sozialer Gruppen, Strukturen und Institutionen zu erreichen. Wie bei anderen Erziehungsmethoden ist man bei der Frage nach der tatsächlichen Effektivität gruppendynamischer Seminare noch weitgehend auf Vermutungen angewiesen. In Amerika werden heute von den sogenannten National Training Laboratories gruppendynamische Seminare für viele Berufsgruppen angeboten, besonders für helfende Berufe. Ebenfalls in Frankreich und England sind gruppen-dynamische Seminare und Methoden bei der Erziehung in Schule und Betrieb üblich.

Für die Lehrerbildung, die Erwachsenenbildung sowie für die Bildung von Führungskräften in der Wirtschaft gewinnen diese Seminare in jüngster Zeit auch in Deutschland immer weitere Verbreitung. Alle Maßnahmen zur Verbesserung der Gruppendynamik und zur pädagogisch-methodischen Gestaltung müssen allerdings Stückwerk bleiben, wenn sie nicht getragen werden von einem entsprechenden institutioneilen organisatorischen Rahmen. Die Konzeptionen einer Führung im Mitarbeiter-verhältnis nach dem Harzburger Modell suchen diese gruppendynamischen Erfahrungen in die Praxis der wirtschaftsbetrieblichen Organisation umzusetzen. Die amerikanischen Sozialpsychologen Likert und Argyris und der Deutsche Theodor Scharmann haben Modelle entworfen, die die Gruppen im Betrieb in ihrer wesentlichen Bedeutung für die Organisation berücksichtigen. Sie gehen davon aus, die vorhandenen formalen und informalen Gruppen so in das Betriebsgeschehen einzubauen, daß wünschenswerte Wirkungen für Leistung und Zufriedenheit der Gruppenmitglieder erreicht werden.

Auch für die Schulorganisation ergeben sich notwendige Reformkonsequenzen. So stellt der Sozialpsychologe Ruppert fest, daß unser heutiges Schulklassensystem „alles andere als im echten Sinne ein System von Gruppen" darstellt. Unsere gegenwärtige Schule ist von ihrer Organisation her, vom stoffüberfüllten Lehrplan, der Raumaufteilung und -gestaltung sowie der Klasseneinteilung her noch weitgehend am Frontalunterricht orientiert. Gruppenerziehung erfordert aber einen viel weiteren Raum der freien Bewegung als er beim Frontalunterricht gegeben ist und bedingt daher auch organisatorische Reformen. Peter Petersen hat bereits vor Jahrzehnten in seiner Universitäts-Schule in Jena einen gruppenpädagogischen Stil entwickelt, der in mancher Hinsicht noch heute als modern gelten kann. Mit der Auflösung der starren Jahrgangsklassen hat er bereits Ideen verfolgt, die zur Zeit in modifizierter Form bei der Planung der Gesamtschule wieder auftauchen. Die Gesamtschule bietet mit ihrem Kurs-system eine Chance für die Gruppenerziehung. Ob sie genützt wird, hängt davon ab, ob man in Zukunft geneigt ist, die Schule nicht nur als Vermittlungsstätte von Wissen anzusehen, sondern sie auch als Förderungsstätte sozialen und wirtschaftlichen Verhaltens zu betrachten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. P. R. Hofstätter, W. H. Tack, Menschen im Betrieb, Stuttgart 1967, S. 122.

  2. Vgl. K. Lukaczyk, Zur Theorie der Führerrolle, in: Psychologische Rundschau, Bd. XI, Göttingen 1960.

  3. T. Brocher, Gruppendynamik und Erwachsenenbildung, Braunschweig 1967, S. 30.

  4. Brocher, a. a. O., S. 31.

  5. Vgl. F. Schlieper, Die Gruppe als Erziehungsfakto'r, in: Berufserziehung im Handwerk, VII. Folge, Köln 1964, S. 12.

  6. Brocher, a. a. O.

  7. R. Schindler, Grundprinzipien der Psychodynamik in der Gruppe, in: Psyche 9, 308— 314 (1957/58).

  8. Hofstätter/Tack, a. a. O.

  9. Lukaczyk, a. a. O.

  10. Hofstätter/Tack, a. a. O.

  11. H. Hartmann, Funktionale Autorität, Stuttgart 1964, S. 90.

  12. Lukaczyk, a. a. O.

  13. Hartmann, a. a. O., S. 90.

  14. R. Tausch, A. Tausch, Erziehungspsychologie, Göttingen 1970.

  15. Hofstätter/Tack, a. a. O., S. 65.

  16. Tausch/Tausch, a. a. O.

  17. RKW (Hrsg.), Gruppenarbeit und Produktivität, München 1958, S. 54.

  18. H. M. Schönfeld, Die Führungsbildung im betrieblichen Funktionsgefüge, Wiesbaden 1967, S. 219.

  19. Vgl. Schlieper, a. a. O., S. 96.

  20. P. J. Ruppert, Sozialpsychologie im Raum der Schule, Weinheim, Berlin 1960’.

Weitere Inhalte

Hans Rosenkranz, Dr. oec. publ Diplom-Handelslehrer, 1966 bis 1970 Assistent am Institut für Wirtschafts-und Sozialpädagogik der Universität München. 1970/71 Stipendiat des British Council an der Universität Leeds zum Studium der Gruppendynamik und Organisation Development. Zur Zeit freiberuflicher Organisations-und Trainingsberater. Veröffentlichungen u. a.: Anthropologische u. betriebspädagogische Aspekte der formalen und informalen Organisation der Wirtschaftsbetriebe, Diss. München, 1969; Gruppen in der Hochschulpolitik, in: Gruppendynamik 3/71, Die pädagogische Qualifizierung des Betriebs-ausbilders. Curriculum zur Ausbildung der Ausbilder (im Druck).