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Grundsatzfragen einer zukunftsorientierten Wachstumspolitik | APuZ 19/1972 | bpb.de

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APuZ 19/1972 Grundsatzfragen einer zukunftsorientierten Wachstumspolitik

Grundsatzfragen einer zukunftsorientierten Wachstumspolitik

Werner Glastetter

/ 71 Minuten zu lesen

I. Ausgangstatbestände

Abbildung 1

Die Zielsetzungen des Wachstums Gustav Schlotterer unterscheidet zwei Kraftströme, die in den letzten zweihundert Jahren „tief in das Dasein der Völker eingegriffen" haben: das Streben nach Machtpolitik und das Streben nach Wohlstand 1). Wenn wir einmal das erste Problem beiseite lassen, so artikuliert sich in dem zweiten Aspekt sehr deutlich ein 'Wachstums-und Fortschrittsbewußtsein, das in einer entscheidenden Weise die wirtsdiaftspolitischen — und darüber hinaus die gesellschaftspolitischen — Bedingungen und Entwicklungen geprägt hat und sie heute mehr denn je prägt. Das Wachstumsbewußtsein stellt den „Ausdruck eines allgemeinen Entwicklungstrends" dar Es bestimmt nicht nur die wissenschaftlichen Fragestellungen der modernen Nationalökonomie, sondern hat auch einen unmittelbaren Niederschlag im wirtschaftspolitischen Zielkatalog — etwa im Stabilitäts-und Wachstumsgesetz der Bundesrepublik — gefunden.

Die Selbstverständlichkeit, mit der sich dieses Wachstumsbewußtsein etabliert hat, täuscht freilich vielfach über die Tatsache hinweg, daß man dem bestehenden Wachstumsprozeß selbst doch eigentlich recht skeptisch gegenüberzustehen scheint. Erich Preiser findet sich in einer „einigermaßen merkwürdigen Situation, nach der Rechtfertigung einer Politik suchen zu müssen, der ich selbst mit großer Skepsis gegenüberstehe" Thalheim warnt davor, „es zu einem Idol zu machen .... und als Selbstzweck zu betrachten" Schiller stellt schließlich fest, daß das wirtschaftliche Wachstum „keineswegs so ohne weiteres ein selbstverständlicher, von allen vorbehaltlos anerkannter Wert" sei, und folgert daraus, daß wir es uns mit der Frage: , Wozu Wachstum?'nicht mit einem vagen Hinweis auf einen wünschenswerten Lebensstandard zu leicht machen dürfen

Hier zeichnet sich ein erstes — und vielleicht entscheidendes — Problem ab: Was einerseits als selbstverständlich dargestellt wird, wird andererseits argwöhnisch betrachtet. Hinter diesem Argwohn verbirgt sich offensichtlich die Frage, ob auf der Grundlage des bestehenden Wachstumsprozesses wirklich jene Ergebnisse erzielt werden, die man sich davon erhofft. Gewiß steht außer Zweifel, daß — etwa in der Bundesrepublik — in der Nachkriegszeit (1950 bis 1970) ein sehr dynamischer Wachstumsprozeß stattgefunden hat: a) Das nominale Bruttosozialprodukt hat sich in den zwei Jahrzehnten mehr als versechsfacht. Selbst wenn man davon ausgeht, daß diese Entwicklung in dem gleichen Zeitraum von einer durchschnittlichen Preissteigerung von knapp 90 v. H. begleitet war, bedeutet dies dennoch eine reale Erhöhung um das 3, 5fache. Unter ergänzender Berücksichtigung einer Steigerung der Wohnbevölkerung um ca. 25 v, H. von etwa 50 Millionen (1950) auf etwa 62 Millionen (1970) stieg das reale Sozialprodukt pro Kopf um fast das Dreifache.

b) Das Volkseinkommen betrug 1970 nahezu das 6, 5fache gegenüber 1950. Dabei zeigt sich ein gewisser Unterschied in der Verteilung. Während das Einkommen aus unselbständiger Arbeit im gleichen Zeitraum sich mehr als versiebenfacht hat, haben die Seibständigeneinkommen 1970 etwa das Fünffache des Wertes von 1950 erreicht. Im allgemeinen wird daraus der Anstieg der sogenannten Lohnquote’ abgeleitet (Anteil der Unselbständigeneinkommen am Volkseinkommen), der global gesehen durchaus stattgefunden hat.

c) Unter Berücksichtigung der Erwerbstätigen-struktur verschiebt sich aber das Bild. Insgesamt ist die Zahl der Erwerbstätigen gegenüber 1950 (ca. 21 Millionen) um 6 Millionen bis 1970 gestiegen. Gleichzeitig ist aber die Zahl der Unselbständigen um knapp 8 Millionen auf 22, 4 Millionen gestiegen, während die Zahl der Selbständigen um knapp 2 Millionen auf 4, 8 Millionen gesunken ist. Damit stieg das Pro-Kopf-Einkommen der Unselbständigen nur um das knapp fünffache, während 1970 das Pro-Kopf-Einkommen der Selbständigen gegenüber 1950 um nahezu das siebenfache wuchs. westlichen Es soll nun im folgenden nicht darum gehen, diese sehr globalen Ergebnisse weiter zu detaillieren und zu analysieren. Insbesondere erlaubt diese Entwicklung noch keine exakten Schlüsse hinsichtlich der tatsächlichen Verteilungssituation, weil sie vor allem das Problem der sogenannten Querverteilung — Einkommen der Unselbständigen aus Vermögen (z. B. Sparkapitalzinsen) — ignoriert. Wichtiger erscheint vorab aber die Feststellung, daß das Sozialprodukt — und die daraus fließenden Einkommen — eine ungeheuere Auftriebs-dynamik erfahren haben, wobei die Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland einmal als repräsentativ für die Entwicklung in einigen Volkswirtschaften hochindustrialisiertenstehen sollen. Und dennoch zeigt sich eigentümlicherweise dieses Unbehagen, obwohl man weiß oder zumindest zu wissen glaubt, daß der Wachstumsprozeß inzwischen zur Grundbedingung einer stabilen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung geworden ist, Läßt man einmal die rein politische Motivation beiseite, wonach — je weniger der Krieg als Mittel in der Auseinandersetzung der großen (westlichen und östlichen) Gesellschaftssysteme angesehen werden kann — die Wachstumsraten des Sozialprodukts zu einem Indikator der Überlegenheit des einen oder anderen Gesellschaftssytems werden, so liegt nach vorherrschender Überzeugung dem Wachstum eine doppelte Zielsetzung zugrunde: a) Der Wachstumsprozeß wird einmal zum Selbstzweck (= Ziel) erklärt. Man geht davon aus, daß die Menschen mit einer natur-bedingten Knappheit der Güter konfrontiert sind, die es zu manipulieren, d. h. arbeitsteilig zu überwinden gilt. Das Wachstumsziel diene insofern einer laufenden materiellen Besser-stellung des Individuums im Sinne einer Steigerung des Lebensstandards. Hierin wird ein direkter Zusammenhang mit dem Phänomen der Wohlstandssteigerung hergestellt. Darüber hinaus wird noch ein indirekter Zusammenhang hergestellt, als man davon ausgeht, daß mit steigendem Wohlstand dem Kriterium der individuellen Wahlfreiheit verstärkt Rechnung getragen werde, d. h., das Individuum stehe immer weniger unter dem Zwang der Existenzsicherung. Wachstum sei ein Mittel zur Wohlstandssteigerung und trage damit indirekt zur Freiheitsmehrung bei.

a) Der Wachstumsprozeß wird zum zweiten als Instrument (= Mittel) gesehen. Man vertritt die These, daß auch die anderen wichtigen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen nur noch im Rahmen eines Wachstumsprozesses realisierbar sind: Dies gelte für alle Fragen der Konjunkturstabilität (nur im Wachstum seien Preisstabilität und Vollbeschäftigung zu sichern), der Verteilungsgerechtigkeit (nur das Wachstum und der damit steigende Lebensstandard mildere den Kampf der sozialen Gruppen um das Sozialprodukt und schaffe gleichzeitig die Voraussetzungen für eine gerechtere Verteilung) und eines ausgewogenen Verhältnisses von privatem und öffentlichem Güterangebot (nur das Wachstum ermögliche eine zunehmend bessere Kollektivgüterversorgung, ohne den bisherigen Lebensstandard zu vermindern).

Dieser kurze Motivationskatalog müßte eigentlich deutlich machen, wie plausibel es doch im Grunde ist, das wirtschaftliche Wachstum zur conditio sine qua non der gesellschaftlichen Entwicklung zu machen.

Doch so plausibel die These ist, daß wir Wachstum brauchen, weil man „wirtschaftliches Wachstum in steigenden Lebensstandard umsetzen kann" so kommt in dieser These unübersehbar zum Ausdruck, daß . Wachstum'und . Lebensstandard'keineswegs identisch sind, sondern daß hierfür ein Umsetzungsprozeß erforderlich ist. Insoweit wird das bereits angesprochene Unbehagen deutlich. Mit der Forderung nach Wachstum ist weder etwas entschieden noch zugunsten einer Wohlstands-mehrung gewonnen, wenn nicht uno actu dieser Umsetzungsprozeß auch sichergestellt wird. Nur unter dieser Bedingung rechtfertigt sich der Wachstumsprozeß und wird zur Notwendigkeit. Je deutlicher sich aber ein Unbehagen gegenüber dem bestehenden Wachstumsprozeß entwickelt, desto mehr richtet es sich offensichtlich nicht gegen das Wachstum an sich, sondern konzentriert sich auf die Frage, ob der notwendige Umsetzungsprozeß überhaupt sichergestellt ist. Das Problem freilich ist: Wird diese Frage überhaupt gestellt?

2. Die Bedingungen des Wachstums Wenn eingangs darauf verwiesen wurde, daß das Wachstumsbewußtsein auf eine 200jährige Geschichte zurückblickt, so läßt sich dies leicht literaturhistorisch belegen. Im Jahre 1776 erschien das Buch des schottischen Moral-philosophen und Nationalökonomen Adam Smith: „Untersuchungen über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes", mit dem er — von einigen Vorläufern einmal abgesehen — nicht nur das System der sogenannten englischen Klassik begründete. Vielmehr wird hierin die Geburtsstunde der Nationalökonomie überhaupt gesehen. Ob dies zu Recht geschieht, braucht hier ebensowenig zu interessieren wie der Inhalt des Buches im einzelnen. Viel wichtiger erscheint, daß hier erstmals zwei Grundthesen herausgestellt werden, die — bei allen Modifikationen —-die Argumentation bis in unsere Gegenwart prägen sollten: a) Ziel einer Wirtschaftspolitik ist die Steigerung des Volkswohlstandes im Sinne der Gütervermehrung. Mit dieser Zielbedingung wandte sich Smith insbesondere gegen die merkantilistische Konzeption der Wirtschaftspolitik, bei der die Bereicherung der Fürsten-kasse ausschlaggebendes Gewicht hatte.

b) Bedingung einer Steigerung des Volks-wohlstandes ist die individuelle Freiheit im Sinne von Privateigentum und Privatinitiative. Mit dieser Ordnungsbedingung wandte sich Smith insbesondere gegen die vom Absolutismus hergeleitete Konzeption der staatlichen Bevormundung.

„Wachstum’ und . Marktwirtschaft'bildeten insofern von Anfang an jene beiden Grundpfeiler der Argumentation, die sich in ihrer Synthese bis heute erhalten hat. Sicher gab es von Anfang an kritische Stimmen, die zu alternativen Lehrgebäuden entwickelt wurden: a) So knüpfte u. a. Karl Marx an dem Problem der sozialen Gerechtigkeit an mit seiner These, daß in einem solchen System aufgrund bestehender Machtstrukturen die Verteilung eher ungerechter als gerechter werde.

b) So wies u. a. Adolph Wagner auf das Problem des sozialen Gleichgewichtes hin mit seiner These, daß in einem solchen System aufgrund vorherrschender Privatautonomie ein ausgewogenes Angebot von privaten und öffentlichen Gütern nicht zu erreichen sei.

c) So machte schließlich John Maynard Keynes auf das Problem der sozialen Sicherheit aufmerksam mit seiner These, daß ein solches System aufgrund seiner Instabilität nicht unbedingt imstande sei, die Vollbeschäftigung zu garantieren.

Man wird nicht sagen können, daß diese kritischen Stimmen völlig ohne Relevanz geblieben sind. Schon früh hat man erkannt, daß dieses System durch eine staatliche Wirtschaftspolitik flankiert werden müsse, um soziale Mindeststandards (Arbeitsschutz, Existenzminimum, Sozialpolitik), Kollektivgüterversorgung (Infrastruktur) und Vollbeschäftigung (konjunkturpolitische Globalsteuerung) einigermaßen sicherzustellen. Aber am Grundprinzip des Systems — der Synthese von wachstumspolitischen Zielbedingungen und marktwirtschaftlichen Ordnungsbedingungen — vermochte die Kritik nichts zu ändern. Angesichts der generellen Armut schienen , Wachstum' und — im Hinblick auf das neue Liberalismusverständnis — , Marktwirtschaft' der zentrale Lösungsansatz. Und so setzte das ein, was Rostow den „großen Umsturz im Leben der modernen Gesellschaften" nennt Eine neue (Privat-) Unternehmerklasse machte sich den Nachfragesog zunutze, investierte immer wieder die Gewinne und lenkte den dynamisch wachsenden Investitionsstrom nach von ihr entwickelten Rentabilitätskriterien unter Nutzung bestehender Rohstoffquellen und laufend verbesserten Produktionsmethoden. Eng verbunden da-mit war die Umwertung traditioneller Gesellschaftsnormen Im Vordergrund stand der neuentdeckte Kreislauf: Produktion — Einkommen — Nachfrage — Gewinne — Investition — Produktion, in den die Unternehmer-klasse einerseits hineingezwungen wurde (nur in der laufenden Produktivitätssteigerung lag im Konkurrenzkampf die Überlebenschance), den sie andererseits gleichzeitig trug. Es war vor allem der Schumpetersche Pionierunternehmer, der sich (theoretisch) durch die Konzeption und (praktisch) durch die gesamtgesellschaftliche Effizienz bestätigt fühlen konnte. Nicht zuletzt verband sich hier die These von der Unproduktivität des Staates mit dem politischen Selbstbewußtsein des neuentstandenen Bürgertums, das sich als Träger des Fortschritts empfand und daraus das Recht ableitete, von staatlichen Eingriffen und Besteuerungen nicht behindert zu werden.

Die weitere Entwicklung ist bekannt. Diese Konzeption löste nicht nur das aus, was als . industrielle Revolution' in die Geschichte Einzug hielt. Sie prägte auch die weitere Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, die — etwa bezogen auf die konkrete Situation der Bundesrepublik -— in der doch recht naiven Formel des , Wirtschaftswunders' ihren Niederschlag fand. Freilich ist damit die an sich naheliegende Frage (s. o.), ob eine solche Entwicklung mit einer gesamtgesellschaftlichen Wohlstandssteigerung identifiziert werden kann bzw. ob der hierfür erforderliche Umsetzungsprozeß sichergestellt ist, nicht beantwortet — ja sie ist noch nicht einmal gestellt. Wenn aber Thalheim die These vertritt, daß Wachstum nur dann ein verbindliches Ziel sein könne, wenn damit „die Voraussetzungen der menschlichen Existenz" verbessert werden so erfordert dies eine Beantwortung dieser Frage, konkreter: eine Inhaltsbestimmung des Wachstumszieles. Nun bedarf es keiner weiteren Überlegungen, daß in einer Zeit, in der das Kriterium der Rationalität vor Emotionen und Dogmatismen den Vorrang genießen sollte, es in erster Linie Aufgabe der Wissenschaft wäre, diese Frage zu stellen und in den Grenzen ihrer Möglichkeiten zu beantworten. Damit ist aber nichts anderes als jene Wachstumstheorie angesprochen, die seit etwa drei Jahrzehnten in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion gerückt ist und seither eine Vielzahl von Modellansätzen entwickelt hat, die heute kaum noch überschaubar sind. Es kann nun an dieser Stelle nicht darum gehen, diese Entwicklung im Detail nachzuzeichnen Wichtiger erscheint die Herausarbeitung einiger Grund-aspekte. Nach Bombach ist der Gegenstand der Wachstumstheorie „die Erforschung der Gesetze, die die langfristige Entwicklung des Sozialproduktes und seiner Hauptkomponenten bestimmen" Nach Hoffmann bedeutet dies, daß die Wachstumstheorie zwei Fragen zu beantworten habe. Einmal: Wodurch wird der Wachstumsprozeß als solcher bewegt? Zum anderen: Welche Bedingungen sind erforderlich, um den Wachstumsprozeß stabil zu halten, d. h., um zu verhindern, daß er in eine Inflation ausufert bzw. in eine Depression abgleitet

Knüpfen wir zur Beantwortung dieser Fragen an die bereits aufgezeigte politische und soziologische Bedingungskonstellation an, so wird der Ansatzpunkt — nämlich die privatwirtschaftlichen Investitionen — zur zwingenden Konsequenz: Die Investitionstätigkeit ist „die entscheidende Voraussetzung für das Wachstum der Wirtschaft" Dabei wird von einem doppelten Aspekt der Investitionstätigkeit ausgegangen: — Einerseits werden durch die Investitionen (seien esRationalisierungs-oderErweiterungsinvestitionen) neue Kapazitäten geschaffen: Dieser sogenannte , Kapazitätseffekt' stellt — als Angebotserhöhung — den direkten Wachstumseffekt der Investitionstätigkeit dar.

— Andererseits werden durch die Investitionen (im Rahmen des Herstellungsprozesses) neue Einkommen geschaffen, die die neu entstandenen Kapazitäten auch auslasten: Dieser sogenannte , Einkommenseffekt' stellt — als Nachfrageerhöhung — den indirekten Wachstumseffekt der Investitionstätigkeit dar.

Bei der Gegenüberstellung von Kapazitätsund Einkommenseffekt und unter ergänzender Berücksichtigung der marktwirtschaftlichen Bedingungen bedarf es keiner weiteren detaillierten Analyse, um zu erkennen, daß die privaten Investitionen in der Tat als Kulminationspunkt des Wachstumsprozesses herausgestellt werden. Es genügt dann, darauf hinzuwirken, daß in jeder Periode Einkommens-und Kapazitätseffekt sich eben gerade ausgleichen. Denn dann ist nicht nur das Wachstum an sich sichergestellt. Vor allem sind auch die Stabilitätsbedingungen erfüllt: Entsprechen sich die beiden Effekte, kommt es weder zu einer Inflation (Kapazitätsüberbeanspruchung) noch zu einer Depression (Kapazitätsunterauslastung). Wenn es also gelingt, den privatwirtschaftlichen Investitionsprozeß von Periode zu Periode sicherzustellen, dann trägt sich dieses System, daß durch die beiden Grundpfeiler Wachstum plus Marktwirtschaft geprägt ist, eigentlich von selbst. So einfach müßte dies dann sein.

Freilich: die (scheinbare) Klarheit und Plausibilität der Gedankenführung trügt. Wenn Bombach — immerhin einer der führenden Vertreter der wachstumstheoretischen Forschung — zu dem Ergebnis gelangt, daß die auf dieser Grundlage entwickelten Modelle „eher vom Kernproblem der Wachstumstheorie weggeführt" haben so wird hier eine Skepsis zum Ausdruck gebracht, die nachdenklich stimmen sollte.

Knüpfen wir noch einmal an dem Modellansatz an — wonach die Investition sowohl die notwendige (Kapazitätseffekt) als auch die hinreichende (Einkommenseffekt) Bedingung des Wachstums darstellt —, so kommt man bei einer etwas tiefergehenden Analyse zu der Erkenntnis, daß diese Betrachtungsweise einen zentralen Tatbestand einschließt: Der wirtschaftliche Prozeß ist als ein stationärer Zustand gar nicht mehr denkbar; er muß sich vielmehr als ein Wachstumsprozeß , ad infinitum'fortsetzen, wenn keine Gleichgewichtsstörungen in Kauf genommen werden sollen. Diese These, wonach die Wirtschaft nur noch im Wachstum . funktioniert', steht heute faktisch im Mittelpunkt von sämtlichen wirtschaftstheoretischen und wirtschaftspolitischen Überlegungen. Ihre Begründung ist theoretisch an sich recht einfach und einleuchtend. Geht man einmal davon aus, daß in einer Volkswirtschaft in einer Periode (etwa einem Jahr) neben der Produktion von Konsumgütern bestimmte Investitionen durchgeführt werden, so entstehen in dieser Periode einerseits neue Produktionskapazitäten (etwa: mehr Vorräte, mehr Maschinen, mehr Lagerhallen etc.), andererseits zusätzliche Einkommen (Löhne, Gehälter, Gewinne etc.), die aus der Erstellung der Konsum-und Investitionsgüterproduktion resultieren. Diese Einkommen können nun teils verbraucht, teils gespart werden. Entspricht in dieser Periode jener Teil des Einkommens, der für den Verbrauch bestimmt ist, etwa dem Produktionsvolumen der Konsumgüterproduktion, so ist die Stabilität sichergestellt. Denn der geplante Konsumgüterabsatz wird gerade realisiert bzw.dem (nicht konsumierbaren) Investitionsgüterbestand stehen (auch in dieser Periode nicht für den Konsum bestimmte) Sparkapitalien gegenüber. Es kommt weder zu Unterauslastungen (Gefahr der Arbeitslosigkeit)

noch zu Uberbeanspruchungeri der Kapazität (Gefahr der Preissteigerungen).

Nun ist es unmittelbar einsichtig, daß es in einer Volkswirtschaft sehr schwer ist, die Identität der entsprechenden Volumina herbeizuführen. Denn die Entscheidung, ob Konsum-oder Investitionsgüter hergestellt werden bzw.

ob das Einkommen gespart oder verbraucht wird, ist weitgehend der individuellen Autonomie der privaten Unternehmen bzw.der privaten Haushalte überantwortet. So ist ohnehin nicht ganz auszuschließen, daß von Zeit zu Zeit bestimmte konjunkturelle Wechsellagen bestehen, bei denen es zwei Möglichkeiten gibt:

— Entweder es wird mehr an Konsumgütern nachgefragt als angeboten: Dies hat zur Konsequenz, daß das Investitionsvolumen größer als das Sparvolumen ist, was — sofern die Produktion nicht kurzfristig gesteigert werden kann — dann wiederum konjunkturelle Uberhitzungserscheinungen (Preissteigerungen) zur Folge hat.

— Oder aber es wird weniger an Konsumgütern nachgefragt als angeboten. Dies hat zur Konsequenz, daß das Investitionsvolumen kleiner als das Sparvolumen ist, was dann wiederum — sofern mangelnde Kapazitätsauslastung zu stark auf die Rentabilität drückt —-konjunkturelle Depressionserscheinungen (Arbeitslosigkeit) zur Folge hat.

Diese konjunkturellen Wechsellagen sind zunächst ein kurzlristiges konjunkturpolitisches Problem, das mit globalen Nachfragesteuerungen, insbesondere mit der Kredit-und Fiskalpolitik, zu bewältigen versucht wird. Dieses Problem braucht hier zunächst und in erster Linie nicht zu interessieren, d. h., es kann einmal hypothetisch als lösbar unterstellt werden. Wichtiger erscheint hier der dahinterstehende Wachstumszwang. Er wird sofort deutlich, wenn wir die Argumentation einen Schritt weiterführen. Denn der Wirtschaftsprozeß ist ja ein kontinuierlicher Prozeß und nicht mit einer Periode beendet. In der folgenden Periode muß nun davon ausgegangen werden, daß die in der ersten Periode geschaffenen Produktionskapazitäten (von bestimmten nutzungsbedingten Ausfallserscheinungen einmal abgesehen) nach wie vor bestehen, ohne daß automatisch auch die zur Auslastung erforderlichen Zusatzeinkommen geschaffen sind. Denn sie entstanden ja nur einmal — nämlich bei der Erstellung dieser Kapazitäten in der zurückliegenden Periode.

Diese Ausgangslage der neuen Periode führt zu der Erkenntnis, daß in dieser Periode neue Zusatzeinkommen geschaffen werden müssen. Diese Notwendigkeit eröffnet theoretisch die folgende Alternative:

a) Die Zusatzeinkommen resultieren aus der ausschließlichen Erhöhung der Konsumgüter-produktion. Diese Möglichkeit könnte zwar — zumindest zum Teil — vom Expansionszwang befreien. Es entsteht aber sofort die Frage, ob sie überhaupt als realistisch unterstellt werden kann. Das ist zu bezweifeln, da viele Kapital-und Arbeitskraftkapazitäten gar nicht so rasch auf die Konsumgüterproduktion umgelenkt werden können. Aber selbst wenn dies möglich wäre, hätte diese Alternative zur Konsequenz, daß künftige Investionen unterblieben mit der Folge, daß die Volkswirtschaft in eine Stagnation ausmündete. Da dies darüber hinaus bedeuten würde, daß mit fehlenden Investitionen auch der künftige technische Fortschritt (und mit ihm die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes) gefährdet wäre, scheidet diese Möglichkeit nach herrschender und überzeugender Auffassung aus, b) Dann bleibt aber (ebenfalls nach herrschender Auffassung) nur die andere Möglichkeit, nämlich daß die Zusatzeinkommen erneut aus zusätzlichen Investitionen in dieser neuen Periode geschaffen werden. So bleibt der Investitionsprozeß sichergestellt und gleichzeitig werden die erforderlichen Einkommen geschaffen, um die Zusatzkapazitäten aus der zurückliegenden Periode auszulasten, ohne daß eine Umstrukturierung der Ressourcen in Richtung einer vermehrten Konsumgüterproduktion erforderlich ist. Allerdings mit einer Konsequenz: Diese Zusatzinvestitionen haben in der nächsten Periode erneut einen Kapazitätseffekt, d. h., es bedarf in der dritten Periode erneut der Schaffung von Zusatzeinkommen. Wir stehen wieder vor der aufgezeigten Alternative; und wird diese wiederum dahin gehend entschieden, daß die erforderlichen Zusatzeinkommen aus weiteren Investitionen entstehen sollen, so hat dies von Periode zu Periode immer wieder die gleichen Konsequenzen: Es bedarf immer wieder eines neuen Investitionsstoßes.

Mit der herausgestellten Alternative und der Entscheidung zugunsten der zweiten Möglichkeit wird jetzt deutlich, warum der privatwirtschaftliche Investitionsprozeß zur zentralen Bedingung des Wirtschaftsprozesses gemacht wird und warum davon ausgegangen wird, daß er Wachstums-und Stabilitätsbedingungen in sich vereinigt. Doch so plausibel diese Erkenntnis der Wachstumstheorie auch sein mag, sie schließt zwei Konsequenzen ein:

a) Die Analyse ist rein prozeßbezogen, wobei sie impliziert, daß dieser Prozeß — einmal ausgelöst — ein Weiterschreiten förmlich . erzwingt', eben in der Form immer wieder zusätzlicher Investitionsstöße. Ist dieser gedankliche Ausgangspunkt einmal eingenommen, kann von dem erreichten Niveau des Kapazitätspotentials abstrahiert werden. Denn interessant sind allein die Zuwadisraten des Kapazitäts-und Einkommenseffektes der von Periode zu Periode steigenden Zusatzinvestitionen, konkreter: die Frage, ob diese Zuwachsraten die Gleichgewichtsbedingungen erfüllen. Daraus folgt aber: Die konjunktur-politische Fragestellung, d. h. die Frage nach den Bedingungen dieses Gleichgewichts, bleibt erhalten. Doch es fällt auf, daß dieses Problem unabhängig von dem tatsächlich ereichten Niveau analysiert wird (das ja ausgeklammert ist), also unabhängig von der empirischen Ausgangslage. Die Frage ist aber doch naheliegend, ob — je nach erreichtem Niveau — die Wachstums-und Stabilitätsbedingungen sich nicht vielleicht gewandelt haben könnten. Doch diese Frage wird schon gar nicht mehr gestellt. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß die Analyse der Wachstums-und Stabilitätsbedingungen (ohne Einbeziehung des Entwicklungsniveaus) gar nicht mehr empirischer, sondern nur noch logischer — besser: tautologischer — Natur ist. Eine solche Analyse hat gar keinen Bezug mehr zur konkreten Wirklichkeit, mit der Konsequenz, daß diese theoretische Erkenntnis die sich selbst gestellten Fragen — nämlich wodurch trägt sich der Prozeß und wodurch wird er stabilisiert — nicht mehr empirisch überprüfbar und damit wirtschaftspolitisch verwertbar beantworten kann. Wir erhalten als erste Konsequenz, daß die methodische Einseitigkeit, d. h. die Abstraktion vom Entwicklungsniveau, es der Theorie bereits unmöglich macht, die engere Frage nach den konjunktur-politisch relevanten Gleichgewichtsbedingungen, die sich sich selbst gestellt hat, zu beantworten. b) Die Analyse ist darüber hinaus völlig wertfrei entwickelt. Mit der Abstraktion von dem erreichten Entwicklungsniveau einer Volkswirtschaft und mit der gleichzeitigen Heraus-stellung des Zwangscharakters des Prozesses verbietet sich förmlich die weiterreichende Frage, die insofern erst die eigentliche wachstumspolitische Fragestellung darstellt, ob ein so konzipierter Wachstumsprozeß — konkreter: die immer wieder als notwendig herausgestellten Investitionsstöße — überhaupt noch wirtschafts-und gesellschaftspolitisch sinnvoll ist. Die beiden Fragen, ob ein solcher Wachstumsprozeß überhaupt noch in eine Wohlstandssteigerung umzusetzen ist oder ob er eher geeignet sein könnte,negativ zu bewertende auszulösen, bleiben unerörtert. Sie sind im Grunde uninteressant, weil es ja immer weitergehen , muß‘. Mit diesem vorgegebenen Zwangscharakter befreit sich die Nationalökonomie von jeder Verpflichtung, die wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Konsequenzen ihres theoretischen Konzepts zu prüfen — ja überhaupt die Frage danach zu stellen. Die Analyse — und damit auch die Gestaltung — des Wachstumsprozesses reduziert sich auf einen rein technokratischen Charakter mit dem Ziel: der Wachstumsprozeß muß sichergestellt werden, unabhängig davon, ob er überhaupt noch sinnvoll ist. Wir erhalten als zweite Konsequenz, daß die methodische Einseitigkeit schließlich dazu führt, daß die weiterreichende Frage nach dem Sinngehalt des Wachstumsprozesses gar nicht mehr gestellt wird.

Zusammenfassend ergibt sich: Die engere (konjunkturpolitisch relevante) Frage wird nicht hinreichend überzeugend beantwortet; die weiterreichende (wachstumspolitisch relevante) Frage wird gar nicht erst gestellt. Das ist das wissenschaftliche Rüstzeug der aktuellen wachstumspolitischen Konzeption (über die daraus resultierende Problematik vgl. noch später), und es kann im Grunde nicht überraschen, daß schon frühzeitig sowohl die methodologische Problematik als auch die wirtschaftspolitische Unbrauchbarkeit hervorgehoben und diskutiert wurden. Diese methodischen Probleme können an dieser Stelle unerörtert bleiben. Wichtiger erscheint ganz einfach dies: Die Inhaltsbestimmung des vielbeschworenen Wachstumszieles fehlt bei gesellschaftspolitisch Nebeneffekte der wissenschaftlichen Analyse des Wachstumsprozesses. Statt dessen hat die Wissenschaft jene gefährliche These von der . Zwangsläufigkeit'entwickelt, wonach es ohne Wachstum und die hierfür bestimmenden Investitionen eben , nicht mehr geht.'Mit dieser These konnte sich zwar das bestehende System — die Synthese aus Wachstum plus Marktwirtschaft — bestätigt fühlen. Es war freilich eine Bestätigung, die nicht mehr durch die sachlichen Bedingungen abgedeckt war.

3. Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen

Nachdem die wissenschaftliche Forschung keinen brauchbaren Ansatz für eine zielgerichtete Analyse des Wachstumsprozesses entwickelt hat, kann es im Grunde nicht überraschen, daß auch in der wirtschaftspolitischen Praxis das entstand, was Galbraith als die Vorrangstellung der Produktion bezeichnet, wobei zwar in regelmäßigen Abständen an die geistigen Werte des Lebens erinnert, in letzter Konsequenz die Produktion aber doch mit dem Vernünftigen identifiziert werde Mit anderen Worten, auch die Praxis unterliegt dem Bewußtsein, daß es nur darauf ankomme, „daß es überhaupt immer weitergeht und daß der Weg nicht nach oben in die Inflation oder nach unten in eine Stagnation führt" Unverkennbar übernimmt die Praxis das theoretische Konzept: „Die Vergrößerung der Kapazitäten im Zuge der Steigerung des Volkseinkommens und zugleich als Voraussetzung für die Zunahme des Sozialprodukts erscheint daher als wesentliches Ziel der Wirtschaftspolitik" Damit ist die entscheidende Zielbedingung angesprochen. Die Konsequenz ist naheliegend: Wenn man davon ausgeht, daß — erstens — die vorhandenen Mittel knapp sind, daß — zweitens — die vorhandenen Mittel entweder dem Konsum oder der Investition zufließen können, daß aber —-drittens — nur die Investition die notwendige und hinreichende Wachstumsbedingung darstellt, so ergibt sich daraus mit zwingender Eindeutigkeit eine wirtschaitspolitische Doppelaufgabe

— Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind so einzusetzen, daß Investition und Kapitalbildüng gefördert werden, damit Wachstum überhaupt entsteht.

— Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind so einzusetzen, daß in einem entsprechenden Umfange Sparkapital gebildet wird, damit Wachstum im Gleichgewicht entsteht

Auf den ersten Blick sind damit die wirtschaftspolitischen Konsequenzen des Wachstumszieles klar vorgegeben. Bei näherer Betrachtung verflüchtigt sich diese Klarheit sehr rasch.

Zunächst wird man Vosgerau unbedingt recht geben müssen, wenn er meint, daß eine rationale Wachstumspolitik überhaupt nur dann möglich ist, wenn über das Wachstumsziel hinreichend genaue Vorstellungen bestehen Im allgemeinen wird nun versucht, dieser Forderung dadurch Rechnung zu tragen, daß man das Wachstumsziel mit einem konkretisierenden Adjektiv versieht. Das Ergebnis freilich ist nicht sehr überzeugend Die meisten Begriffskonstruktionen — . gesund', . vernünftig', . angemessen', . befriedigend', , rasdi'— sind völlig untauglich, weil ihnen jeder konkrete Inhalt fehlt. Nur drei Begriffe lassen sich einigermaßen konkretisieren: a) , Natürliches' Wachstum: Es bedeutet, daß der Absorptionsfähigkeit einer Volkswirtschaft gewisse exogen bedingte obere Grenzen gesetzt sind: Bevölkerungswachstum, technisches Wissen, Gesellschaftsstruktur. Eine solche Argumentation geht davon aus, daß in einer bestimmten Situation nur eine Wachstumsrate in einer bestimmten Höhe erreichbar ist. — Aber diese Zielsetzung ist hinsichtlich ihrer wirtschaftspolitischen Anwendung insofern unbrauchbar, als sie nichts darüber aussagt, ob nun diese Obergrenze überhaupt angestrebt oder ob — unter Beeinflussung der exogenen Faktoren — die Wachstumsrate darüber hinaus sogar gesteigert werden soll. Der Begriff konkretisiert zwar, determiniert aber keine wirtschaftspolitische Handlungsmaxime. b) , Gleichgewichtiges' Wachtum: Diese Zielsetzung geht davon aus, daß nur eine Wachstumsrate angestrebt werden soll, die die konjunkturelleStabilität sichert, d. h. sowohl Inflation als auch Stagnation vermeidet. So plausibel diese Zielformulierung auch sein mag, macht sie doch deutlich, daß das Wachstums-ziel hinter dem Ziel der konjunkturellen Stabilität zurücktritt. Dieses verliert seinen eigenständigen Charakter, d. h. die Wachstumspolitik erschöpft sich hier in einer Konjunkturpolitik, die nur darauf ausgerichtet ist, Konjunkturschwankungen zu vermeiden, nicht aber ein bestimmtes Wachstumsziel zu erreichen.

c) Optimales Wachstum'. Hier wird im allgemeinen neben der konjunkturellen Stabilisierung noch als weitere Bedingung unterstellt, daß eine Wachstumspolitik die Erhaltung einer treiheitlichen Gesellschaftsordnung und einer sozialen Verteilungsgerechtigkeit gewährleisten muß. Eine solche Definition schließt — zumindest theoretisch — eine Wachstumsrate aus, die die Zielsetzung der sozialen Gerechtigkeit und die Ordnungsbedingung einer Marktwirtschaft verletzt.

Konfrontieren wir diese drei Definitionen mit den in der praktischen Wirtschaftspolitik herrschenden Vorstellungen, so zeigt sich — etwa bezogen auf die konkrete Situation in der Bundesrepublik Deutschland — eine Kombination aller drei Definitionen. Es wird eine Wachstumsrate angestrebt, die — mit einem realen Wachstum des Bruttoinlandsprodukt (unter den gegenwärtig gegebenen gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten) von etwa 4 bis 4, 5 v. H. erreichbar erscheint, — mit den Zielen der Preisstabilität, der Vollbeschäftigung und des außenwirtschaftlichen Gleichgewichtes vereinbar ist, — mit dem Grundprinzip der marktwirtschaftlichen Ordnung vereinbar ist, d. h. die erreicht werden kann, ohne dieses Grundprinzip zu verletzen.

Bei genauerer Betrachtung wird das Wachstumsziel zwar eingrenzenden Bedingungen unterstellt — Realisierbarkeit, Stabilität, Marktwirtschaft —, ohne daß aber das Wachstumsziel als eigenständiges Ziel formuliert oder konkretisiert wird. Was bleibt, ist die lapidare Feststellung: „Immerhin besteht Einigkeit darin, daß wir alle Wachtum wollen" — eine nicht eben überzeugende Ziel-formulierung, die damit auch keine Grundlage für den Einsatz wachstumspolitischer Maßnahmen bietet. über die Frage der mangelnden Determiniertheit hinaus kompliziert sich die wachstums-politische Problematik noch zusätzlich, wenn die dritte eingrenzende Bedingung — die Aufrechterhaltung der marktwirtschaftlichen Ordnung — konsequent in Rechnung gestellt wird. Folgende Alternative zeichnet sich ab:

— Der Staat übernimmt die Verantwortung für die Realisierung einer bestimmten Wachstumsrate. Konkret bedeutet dies, daß er über den Teil des Sozialprodukts, der für die Real-Kapitalbildung (Investitionen) bestimmt ist, verfügt und den Rest dem Konsum zuführt. Hier wird also eindeutig die Marktwirtschaft als Ordnungsbedingung dem Wachstumsziel nachgeordnet, d. h., das Existenzminimum der Bevölkerung — in welcher Höhe auch immer — wird vorgeschrieben.

— Das Ordnungsprinzip der Marktwirtschaft genießt Priorität. D. h., wenn auch ca. 40 v. H.des Sozialprodukts nicht mehr direkt über den Marktmechanismus gelenkt werden und auch mit Hilfe der Globalsteuerung (Geld-, Fiskal-, Außenwirtschaftspolitik) die individuellen Dispositionen zusätzlich zu beeinflussen versucht wird, bleibt die Dispositionsfreiheit im Grundsatz erhalten, damit aber auch die individuelle Entscheidung, welche Teile in den Konsum und welche Teile in die Investition fließen.

Die Gegenüberstellung macht eines deutlich: Der Hinweis, daß auch die Marktwirtschaft positive Wachstumseffekte habe befreit nicht von der klaren Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Alternative. Diese klare Entscheidung fehlt aber. Auf der einen Seite zeichnet sich zwar eine Entwicklung ab, die dem Wachstumsziel ein gewisses Gewicht zubilligt auf der anderen Seite distanziert man sich aber sehr deutlich von allen Bestrebungen, einer Wachstumsforcierung — und sei sie auch noch so effizient — individuelle Freiheitsspielräume zu opfern So wichtig und unmittelbar einsichtig gerade die letztere Feststellung auch ist, sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit bereits eine gewisse Unsicherheit vorprogrammiert ist. Diese findet etwa in der Argumentation . von Preiser einen deutlichen Niederschlag: „Was aber die wirtschaftspolitische Praxis betrifft, so kommt alles darauf an, ob man das Wachstum der Wirtschaft als Tatsache nimmt oder als Programm." Im letzten Falle ist Wachstum ein Ziel, und die Wachstumspolitik gewänne — im Sinne der ersten Alternative — eine eigenständige Dimension: im ersten Falle ist Wachstum das Ergebnis eines im Prinzip freien Marktprozesses, und die Wachstumspolitik ist — im Sinne der zweiten Alternative — nicht mehr als eine global gesteuerte, nichtsdestoweniger aber hinsichtlich des Wachstums ziellose Konjunkturpolitik. Diese letztere Argumentation überwiegt eindeutig, Wenn Erich Schneider fordert, durch die Globalsteuerung ein die Expansion förderndes Klima zu schaffen, stellt er doch unmißverständlich fest: In einer freien Marktwirtschaft „kann es der Natur der Sache nach keine Wachstumspolitik geben" Und Preiser löst sich aus der begrifflichen Unvereinbarkeit — . Tatsache'bzw. . Programm'— dadurch, daß er Wachstum „lieber Bedingung" nennen möchte Nun bedarf es keines Nachweises, daß mit Begriffen kein wirtschaftspolitisches Programm zu entwickeln ist. Noch wichtiger scheint es aber, drei Konsequenzen herauszustellen, die sich aus dieser Widersprüchlichkeit — und ihrer Scheinlösung — unmittelbar ableiten lassen:

a) Das Wachstumsziel wird aus dem eigentlichen wirtschaftspolitischen Zielkatalog herausgenommen und als , ziel‘-politische Bedingung neben die , ordnungs‘-politische Bedingung der Marktwirtschaft gestellt. Beide werden als nicht weiter diskutierte Grundvoraussetzungen dargestellt.

b) Der eigentliche Zielkatalog reduziert sich auf die konjunkturellen Stabilitäts-bzw. Gleichgewichtsbedingungen (Preisstabilität, Vollbeschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht), die konkretisierbar und damit operationalisierbar sind und darüber hinaus beiden Grundvoraussetzungen entsprechen.

c) Mit der Ausschaltung des Wachstumszieles entfällt die Notwendigkeit seiner qualitativen Interpretation. Man stabilisiert einen Trend, indem man versucht, den Investitionsprozeß nach den Gleichgewichtsbedingungen sicherzustellen, ohne von Sinn und Ziel dieses Trends eine konkrete Vorstellung zu haben.

Was die Wissenschaft vorgezeichnet hat (s. o.), hat die Praxis nachvollzogen — eine Zweigleisigkeit, die für die weiteren Überlegungen noch von entscheidender Bedeutung ist.

II. Probleme

Bruttosozialprodukt — in jeweiligen Preisen — in Preisen von 1962 Volkseinkommen (in jeweiligen Preisen)

davon:

1. Das Problem der volkswirtschaftlichen Entwicklungsstufe Ein generelles Unbehagen über den gegenwärtigen Wachstumsprozeß, eine Wissenschaft, die bei seiner Analyse zunehmend unzureichend erscheint, eine Politik, die sich darauf beschränkt, einen Trend ohne hinreichende Vorstellungen über sein inhaltliches Ziel zu stabilisieren — diese Aspekte kennzeichnen die gegenwärtige wachstumspolitische Konzeption. Nun besteht eine rationale wirtschaftspolitische Konzeption nach herrschender Auf-* fassung in einer widerspruchsfreien Kombination von , Zielen', Grundsätzen'und . Maßnahmen', die schließlich auf die . Kennzeichnung der konkreten Lage'zugeschnitten sein müssen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, der Wirklichkeit nicht gerecht zu werden. Greift man dieses Kriterium auf, so zeigt sich zwar durchaus eine gewisse widerspruchsfreie Kombination: Die Ziele (konjukturelle Gleichgewichtsbedingungen) sind mit den Grundsatzbedingungen (Wachstum/Marktwirtschaft) vereinbar, und die Maßnahmen (konjunkturpolitische Globalsteuerung) sind auf die beiden Aspekte zugeschnitten. Nicht ganz zu Unrecht spricht man inzwischen in der Wirtschaftspolitik von einer Synthese zwischen -Walter Eucken, der die entscheidenden Grundlagen für die Lehre vom ORDO-Liberalismus gelegt hat, wonach der Staat die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen festlegt, ohne in die individuelle Dispositionsfreiheit einzugreifen, und — John Maynard Keynes, der die entscheidenden Grundlagen für die Erkenntnis einer Konjunktur-und Vollbeschäftigungspolitik gelegt hat, für die inzwischen der Staat verantwortlich ist, weil sie dem Markt nicht überlassen bleiben kann.

So einsichtig diese Synthese und damit die widerspruchsfreie Kombination erscheint, zeigt sich doch das Fehlen einer Kennzeichnung der konkreten Lage. Wenn Preiser die These vertritt, daß über die Angemessenheit einer Wachstumsrate „die Entwicklungsstufe und der allgemeine Zustand der jeweiligen Volkswirtschaft" entscheide so ist dem nur zuzustimmen. Doch gerade die Niveauanalyse ist — wie zu zeigen versucht wurde — sowohl aus der wissenschaftlichen als auch aus der praktischen Diskussion ausgeschaltet.

Alles spricht aber dafür, daß gerade die Entwicklungsstufe zu einem Dreh-und Angelpunkt einer zukunftsorientierten Wachstumspolitik wird. Nicht umsonst weist Müller-Armack auf die Notwendigkeit hin, „die Aufgaben der Sozialen Marktwirtschaft weiter zu ziehen in einer zweiten Phase ihrer Entwicklung. , Ganz offensichtlich wird hier die Möglichkeit angedeutet, daß sich die Entwicklungsstufe hochindustrialisierter westlicher Volkswirtschaften in einer entscheidenden Weise qualitativ verändert hat. Bislang kennzeichnen sowohl Wissenschaft als auch Praxis die bestehende Situation mit einem nach wie vor kontinuierlich ansteigenden Konsum-und Investitionsbedürfnis, also mit dem berühmten . Knappheitstheorem', woraus dann durchaus konsequent gefolgert wird, daß die Konsumsteigerung mit einer Wohlstandssteigerung identifiziert werden kann und hieraus gleichzeitig die Notwendigkeit der Investitionssteigerung abzuleiten ist. Eine qualitative Veränderung der Entwicklungsstufe würde aber eben diese Kennzeichnung in Frage stellen. Das Problem, das sich hier unmittelbar anschließt, ist die Frage, wie diese Entwicklungs-stufe zu charakterisieren ist. Wie Molitor berichtet, haben bei einer Umfrage 1958 in den USA 50 führende Nationalökonomen — neben Problemen der Inflation, Raumordnung, Entwicklungshilfe etc. — vor allem das Problem einer entstehenden Überflußgesellschaft in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen (und Befürchtungen) gerückt Nun ist der Begriff des Überflusses ein sehr gefährlicher — da allzu leicht mißverständlicher — Begriff, weil er Paradiesvorstellungen suggeriert, aus denen gefolgert werden kann, daß künftig auf Wachstum verzichtet werden könnte Wenn es nun auch darum nicht gehen kann, so befreit dies nicht von der Notwendigkeit, die Entwicklungsstufe näher — und vor allem detaillierter — zu analysieren, als dies mit der genannten Knappheitsthese geschieht. Was erforderlich ist, ist die Entwicklung bestimmter Kriterien, mit deren Hilfe die Entwicklungsstufe gekennzeichnet werden kann.

Ein solcher Versuch wurde in der — vom Planungsstab beim Bundeskanzleramt in Auftrag gegebenen — prognos-Studie unternommen Die Autoren unterscheiden drei Entwicklungsstufen einer Volkswirtschaft:

a) Phase 1 wird dadurch gekennzeichnet, daß sowohl die gesamtgesellschaftlichen Ziele (Beseitigung der Massenarmut) unmittelbar gegeben als auch die zur Verfügung stehenden Mittel (Arbeitskräfte, Rohstoffe, Boden, technisches Wissen) , im Überfluß'vorhanden sind. Wachstumspolitik heißt hier: Lösung des Allokationsproblems, d. h.der rationalen Zuordnung vorhandener Mittel auf gegebene Ziele. Diese Lösung bedarf der Entwicklung produktionssteigernder Umwege (= Investition) und erfolgt am zweckmäßigsten auf der Grundlage der individuellen Initiative (Konsumenten-und Produzentenfreiheit), durch staatliche Maßnahmen flankiert, die sich darauf beschränken, den Wettbewerb zu schaffen bzw. zu sichern (Wettbewerbspolitik), den Markt-ablauf zu stabilisieren (Konjunkturpolitik) und seine sozialen Härten zu korrigieren (Sozialpolitik). b) Phase 2 wird dadurch gekennzeichnet, daß die gesamtgesellschaftlichen Ziele nach wie vor gegeben sind, das Mittelreservoir sich aber zu erschöpfen beginnt. In dieser Phase kann sich eine rationale Wachstumspolitik nicht mehr auf die Lösung des Allokationsproblems beschränken, weil es nicht mehr genügt, Mittel zuzuordnen, wenn diese erst produziert werden müssen. Insofern reicht es auch nicht mehr aus, einfach den Investitionsprozeß sicherzustellen. Vielmehr müssen erst Vorbedingungendes weiteren Wachstums geschaffen werden: Ausbau der Infrastruktur, Förderung der Forschung, Entwicklung des Bildungswesens. Werden diese Bedingungen auf der Grundlage des bisherigen Systems — Privatinitiative und flankierende Maßnahmen — erfüllt, kann es beibehalten werden. Wenn nicht, erhält die Wachstumspolitik eine neue Dimension: Zu der Allokationspolitik tritt die Politik der Mittelproduktion. c) Phase 3 wird schließlich dadurch gekennzeichnet, daß sich jetzt nicht nur das Mittelreservoir zu erschöpfen beginnt. Vielmehr bilden sich partielle Mangel-und Sättigungserscheinungen heraus. Das bestehende System hält an jenen Zwecken fest, die nach privatwirtschaftlichen Rentabilitätsgesichtspunkten gestaltbar und kalkulierbar sind (selbst wenn es zu bestimmten Nachfragemanipulationen greifen muß), und läuft dabei Gefahr, andere für die Gesellschaft entscheidende Ziele zu vernachlässigen. In dieser Phase kann sich eine Wachstumspolitik nicht mehr darauf beschränken, die Probleme der Allokation und Mittelproduktion zu lösen. Wenn die Kombination von Privatinitiative und flankierenden Maßnahmen nicht ausreicht, die Mittel von Sättigungs-auf Mangelbereiche umzulenken, gewinnt die Wachstumspolitik eine weitere — dritte — Dimension: selbst Ziele zu setzen und die Mittel so zu steuern, daß Notstände, die der Konsumenten-bzw. Produzentensouveränität entzogen sind, beseitigt werden.

Ein solches Phasenschema wirft als erstes die methodische Frage auf, ob es überhaupt möglich und sinnvoll ist, die historische Entwicklung angesichts ihrer ganzen Komplexität in ein solches Schema zu zwängen. Diese Frage braucht hier nicht vertieft zu werden. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß dieses Schema nicht im Sinne klar abgegrenzter (und abgrenzbarer) Zeitabläufe interpretiert werden darf, bei denen die Problemstellungen ihren Charakter völlig wandeln. Die Interpretation kann nur in Richtung einer schwerpunktmäßigen Erweiterung der Problemstellung erfolgen. Konkret heißt dies: Auch in Phase 3 bleiben die Probleme der Allokation und Mittelmehrung bestehen, nur sie schöpfen die Notwendigkeiten einer Wachstumspolitik nicht mehr aus.

Wichtiger erscheint als zweites die praktische Frage nach der tatsächlichen Standortbestimmung. Die Beantwortung dieser Frage hat nicht nur eine diagnostische, sondern eine eminent politische Bedeutung, weil sie Umfang und In-halt der Wachstumspolitik bestimmt. Bei der Beantwortung dieser Frage wird man mit Sicherheit vorweg davon ausgehen können, daß einige hochindustrialisierte Volkswirtschaften die erste Stufe verlassen haben Daß dies bereits ein bezeichnendes Bild auf die gegenwärtige wachstumstheoretische und -politische Konzeption wirft, die weitgehend auf der Grundlage der ersten Phase argumentiert, sei nur am Rande vermerkt.

Erheblich schwieriger läßt sich die Frage beantworten, ob ein Übergang in die dritte Phase erfolgt ist oder nicht, d. h., ob wir partielle Sättigungserscheinungen zu verzeichnen haben. Zugegebenermaßen ist die Frage sehr schwer zu beantworten, weil die Beurteilungskriterien nicht völlig von subjektiven Erwägungen freizuhalten sind. Insofern ist eine gewisse Unsicherheit verständlich Sie befreit aber nicht von der Notwendigkeit, eine Antwort auf die Frage zu geben.

Schumpeter hat nun die bekannte Prognose aufgestellt: „Würde der Kapitalismus seine frühere Leistung wärend eines weiteren hal-ben Jahrhunderts von 1928 an wiederholen, so würde dies mit allem, was nach heutigem Standard Armut genannt werden könnte, auch in den untersten Schichten der Bevölkerung, abgesehen von pathologischen Fällen, aufräumen." Neumark glaubt, daß sich die Schumpetersche Prognose noch in einem kürzeren Zeitraum vollziehen werde Kröll betrachtet die Schumpeterschen Voraussetzungen bereits als übererfüllt ; der amerikanische Nationalökonom und Nobelpreisträger Samuelson entdeckt in der amerikanischen Wirtschaft typische Probleme, die mit der Überflußsituation entstanden sind Diese Meinungsäußerungen — sie ließen sich noch beliebig erweitern — gehen alle in die gleiche Richtung. Es geht nicht um die nur sehr willkürlich zu treffende Feststellung, ob und welche Güter . unnötigen Luxus'darstellen oder noch zu einem . notwendigen Lebensstandard’ zu zählen sind. Wichtiger erscheint die Herausstellung dreier Aspekte

a) Im Zuge des immer wieder beschworenen und aufgrund der Synthese von Wachstum und Marktwirtschaft primär auf die Privatwirtschaft zugeschnittenen Investitionsprozesses ist in hochentwickelten Volkswirtschaften bereits eine riesige Produktionskapazität geschaffen, die, solange die Investitionsneigung im Mittelpunkt bleibt, immer noch weiter zu wachsen droht. Soll ein volkswirtschaftlicher Zusammenbruch vermieden werden, ist eine in gleichem Umfang wachsende Nachfrage zu ihrer Auslastung erforderlich. In Zeiten genereller Massenarmut kann dies als selbstverständlich unterstellt werden. In der Gegenwart beginnt die Auslastung offensichtlich erstmals zu einem echten Problem zu werden. b) Einige Kriterien (Bevölkerungsvermehrung, weitere Lebensstandarderhöhung, vor allem über neue Konsumgüterstrukturen) lassen es durchaus möglich erscheinen, daß das Auslastungsproblem noch einige Zeit hinausgeschoben werden kann. Andere Kriterien (Verzicht auf Vollauslastung, neue Verkaufsstrategien, Werbungsintensivierung) machen aber unübersehbar deutlich, daß die Läsung des Auslastungsproblems zunehmend schwerer wird. Es geht hier nicht darum, bestimmte Werbetaktiken moralisch zu werten oder über ihren Erfolg in der Zukunft zu spekulieren. Entscheidend ist ganz einfach der Tatbestand selbst, daß Nachfrage nicht mehr so unbedingt auf automatisch gegebenen originären Bedarf aufbauen kann, sondern erst systematisch . produziert'werden muß, um überhaupt noch den Prozeß aufrechtzuerhalten. c) Aus der Gegenüberstellung dieser beiden Kriterien zeichnet sich der spezifische Charakter der gegenwärtigen Entwicklungsstufe ab: Die auf den Bereich der Privatwirtschaft zugeschnittene Relation zwischen Produktionskapazitätund originärem Bedarf hat sich in weiten Bereichen in ihrem Beziehungsverhältnis umgekehrt. Nicht mehr der Bedarf ist unbegrenzt gegeben und die Allokation im Sinne der Produktionskapazitätssteigerung das Problem, sondern umgekehrt: Die Kapazitäten sind gegeben und die Bedarfsschaffung wird zum Problem. Die Einbeziehung der konkreten Analyse der Entwicklungsstufe zeigt insofern deutlich gewandelteAusgangsbedingungen. Ob diese Bedingungen . Überfluß'-, . Wohlstands'-oder . Verschwendungs'wirtschaft genannt werden, ist nicht viel mehr als eine Frage der Wortwahl. Entscheidend ist der dahinterstehende Tatbestand. Vor dem Hintergrund dieses Tatbestandes zeigen sich die Probleme der gegenwärtigen Wachstumskonzeption in einem neuen Licht.

2. Das Problem der Identifikation von Wachstum und Wohlstand

Eduard Heimann meinte einmal: „Technisch betrachtet sind Expansion vom Elend zum Sättigungspunkt und Expansion über den Sättigungspunkt hinaus in mehr und mehr Sinnlosigkeit hinein ein und derselbe Vorgang; sozial und menschlich betrachtet aber sind es zwei ganz und gar verschiedene Dinge.“ Und Bombach — anknüpfend an das Phänomen partieller Sättigungserscheinungen — kommt zu dem Ergebnis, daß sich hier „sinnvolles" in „fragwürdiges" Wachstum wandeln könnte Strümpei schließlich berichtet davon, daß neuerdings in den USA eine Stabsabteilung innerhalb des Weißen Hauses sich mit der Erarbeitung nationaler Ziele bzw.der Entwicklung sozialer Indikatoren befaßt, ausgehend von der Erkenntnis, daß die Gleichsetzung wachsender Produktionsziffern mit gesellschaftlichem Fortschritt zunehmend fragwürdiger werde Hier artikuliert sich unüberhörbar das eingangs erwähnte Unbehagen. Es ist die Sinnlosigkeit eines Prozesses, der auch heute noch als die conditio sine qua non un-serer gesellschaftlichen Entwicklung beschworen wird Man könnte hier vordergründig einwenden, daß dies ein sozialphilosophisches oder psychologisches Phänomen sei und insofern die Grenzen der ökonomischen Betrachtung im engeren Sinne sprenge So hart dies klingen mag: dieser Einwand ist schlechthin unsinnig. Man kann nicht ökonomische Konzeptionen entwickeln und vor den Problemen, die sie hervorrufen, die Augen verschließen, um an einer nun einmal bestehenden Konzeption festhalten zu können. Insofern ist das Problem einer mangelnden Identifikationsmöglichkeitvon Wachstum und Wohlstand ein Problem der Wachstumskonzeption und nicht mehr von dieser isolierbar, wenn sie nicht an Glaubwürdigkeit verlieren will.

Nun wird im Wachstum — wie gezeigt — nicht nur ein direkter Zusammenhang zum Wohlstand hergestellt (über den materiellen Lebensstandard) , sondern auch ein indirekter Zusammenhang (über das Kriterium der Freiheitsmehrung). Doch dieses Junktim ist mindestens in gleichem Umfang fragwürdig. Vor allem drei Aspekte verdienen eine Erwähnung: a) Eduard Spranger meinte einmal, daß, wenn das Ergebnis des bestehenden Kulturablaufes noch Freiheit genannt werde, so sei eine andere Freiheit gemeint, als jene, „die in metaphysischer Tiefe der Person zu suchen ist" übertragen auf den Wachstumsprozeß bedeutet dies, daß es gar keine Alternative zu dem Expansionsprozeß zu geben scheint (wie im Zusammenhang mit den kurzen theoretischen Überlegungen zu zeigen versucht wurde), weil ja bekanntlich die Wirtschaft nur noch im Wachstum funktionieren’ kann: „Der Zwang ist in die physische Struktur unserer Industriewelt eingebaut" Hier wird bereits ein erster — logisch bedingter -— Widerspruch der These von der Freiheitsmehrung sichtbar: Der Wachstumsprozeß schafft nicht mehr Freiheiten, sondern baut im Gegenteil Freiheit ab, da er in seiner bestehenden Form zu einem Zwangsprozeß geworden ist. b) Dieser Zwangscharakter hat weitere Konsequenzen im Hinblick auf jene vielgepriesene Konsiimentensouveränität, die vielfach neben der unternehmerischen Dispositionsfreiheit als Beweis für die Freiheitsrechte in einer Marktwirtschaft herangezogen wird. Diese Konsumentensouveränität ist in ihrer reinen Legal-definition zweifelsohne gegeben, da die Freiheit des Konsumenten — von wenigen Ausnahmen abgesehen — nicht durch Gesetz eingeschränkt ist. Die Frage freilich ist, ob diese Legaldefinition ausreicht, wenn Lilienstern lapidar feststellt, daß in einer konsumbetonten Wirtschaft, bei der es auf den Markterfolg ankomme, der einzelne nun einmal „in einen bestimmten Standard" eingefügt werde Heimann sieht im Verbraucher nur noch „ein Zubehör des rein technischen Apparates sich erweiternder kommerzieller Produktion" Das Problem spitzt sich auf die bekannte Frage zu, ob und inwieweit der Konsument heute manipulierbar ist und auch manipuliert wird. Diese Frage ist gewiß umstritten, und ihre Analyse würde den hier gezeigten Rahmen sprengen. Wichtiger erscheint dies: Wenn Cassel zu dem Ergebnis gelangt, daß — mit Ausnahme des Dienstleistungssektors und der Auftragsproduktion im Handwerk — dem Unternehmer gar nichts anderes mehr übrig bleibe, „als die aktive Rolle im marktwirtschaftlichen Prozeß zu übernehmen", was dazu führen könne, daß die formal unangetastete Konsumfreiheit materiell eingeschränkt werde so ergibt sich nur eine Schlußfolgerung: Es geht gar nicht mehr um ethische Wertungen der Manipulierungsversuche, ebensowenig wie um Spekulationen über ihren Erfolg, allein entscheidend ist die Tatsache, daß es — in wel-cher Form auch immer — gelingen muß, das Auslastungsproblem zu lösen und die Tragfähigkeit des ganzen Prozesses zu gewährleisten. Die echte Konsumentensouveränität schließt die freie Entscheidung darüber ein, ob das Einkommen gespart oder konsumiert wird und wofür es konsumiert wird. Diese Entscheidung wäre — angesichts partieller Sättigungserscheinungen — zu gefährlich; sie muß förmlich eingegrenzt werden: „So wenig ist der Markt der Ort der Freiheit"

c) Diese eingegrenzten Freiheiten werden noch deutlicher sichtbar, wenn ergänzend die Konsequenzen in der Wettbewerbsstruktur herangezogen werden. Hier zeichnet sich ein unaufhaltsamer Trend zur Konzentration (Monopolisierung, Kartellisierung, Oligopolisierung) ab, dessen Verminderung (z. B. durch Fusionskontrollen) man sich —-eigenartigerweise unter Berufung auf die marktwirtschaftliche Dispositionsfreiheit — bislang erfolgreich entgegengestellt hat. Schätzungen ergeben, daß, wenn dieser Trend sich fortsetzt, im Jahre 1980 der Markt der westlichen Industrieländer von ca. 200— 300 Großkonzernen beherrscht wird Vielfach wird die These vertreten — die in ihrer einseitigen Form sicher nicht zutrifft, im großen und ganzen aber doch ein hohes Maß an Plausibilität für sich in Anspruch nehmen darf —, daß dieser Konzentrationsprozeß unter ökonomischen Effizienzgesichtspunkten unverkennbare positive Wachstumseffekte hat, in deren Interesse man ihn in Kauf zu nehmen bereit ist Freilich: an diesem Punkt angelangt, wird die Argumentationskette ein drittes Mal fragwürdig. Man akzeptiert die Konzentration im Interesse der Wachstumseffekte; über deren Interpretation als Wohlstandsmehrung erhofft man sich davon eine individuelle Freiheitsmehrung — und muß gleichzeitig erkennen, daß die Konzentration die Freiheit nicht mehr mehrt, sondern abbaut. Dies gilt nicht nur deshalb, weil ein Großkonzern heute schon in der Lage ist — wie die Erfahrung mit der Konjunkturpolitik zeigt —, die amtliche (demokratisch kontrollierbare) Wirtschaftspolitik in einer nichtkontrollierbaren Form zu unterlaufen, sondern vor allem sowohl im Hinblick auf die Ausschaltung von Klein-und Mittelbetrieben (deren Dispositionsfreiheit entfällt) als auch im Hinblick auf den Konsumenten (der bei einem monopolistischen oder oligopolistisch manipulierten Angebot keine Wahlfreiheit mehr hat, sondern auf eine reine Annahme-Ablehnung-Alternative beschränkt ist). Schließlich kann nicht übersehen werden, daß — wie die Verteilungstheorie eindeutig nachgewiesen hat — die Konzentration auch noch Einfluß auf die Verteilung des Volkseinkommens auf Gewinne und Arbeitnehmereinkommen hat, wobei sich mit zunehmendem Konzentrationsgrad eine Gewinnbegünstigung verbindet.

Alle drei Kriterien — die Zwangsläufigkeit des Prozesses, die Ausschaltung der Konsumentensouveränität und die Konzentrationstendenz — zeigen ein gemeinsames Ergebnis: Der Wachstumsprozeß erhöht nicht den individuellen Freiheitsgrad, sondern er baut ihn partiell ab. Insofern scheitert nicht nur die direkte (materielle) Identifikation mit dem Wohlstand (im Sinne der Lebensstandarderhöhung), sondern auch die indirekte (immaterielle) Identifikation (im Sinne der Freiheitsmehrung). Mit der Einbeziehung der Entwicklungsstufe hochindustrialisierter Volkswirtschaften in die Analyse, und damit unter Beachtung partieller privatwirtschaftlicher Sättigungsphänomene, ist eine derartige Identifikation nicht mehr möglich. Doch damit sind die Probleme der bestehenden Wachstumskonzeption noch nicht ausgeschöpft.

3. Das Problem der sozialen Nebenwirkungen Bekanntlich ist nun die gegenwärtig bestehende Marktwirtschaft mit dem Adjektiv . sozial'versehen. Sinnvollerweise kann damit nichts anderes gemeint sein, als daß der im Rahmen einer Marktwirtschaft ablaufende Wirtschaftsprozeß in einem umfassenden Sinne . sozial'sein, d. h. nicht ausschließlich dem Kriterium der ökonomischen Effizienz unterliegen sollte. Nun fällt vorweg eines auf: In der herrschenden Wachstumskonzeption — sei es im Sinne der theoretischen Erfassung oder der praktischen Gestaltung — sind diese restriktiven Nebenbedingungen nicht genannt. Es geht hier nur um die konjunkturelle Stabilisierung eines stetigen Wachstumsprozesses unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Vordergründig wird hier im allgemeinen entgegengehalten, daß die sozialen Ziele — Sicherheit, Gerechtigkeit, Gleichgewicht — nur im Rahmen eines Wachstumsprozesses und nicht gegen ihn zu verwirklichen sind. Bevor diese These etwas näher untersucht wird, muß noch einmal auf den Angelpunkt der herr-17 sehenden Wachstumskonzeption — die Sicherstellung der privatwirtschaftlichen Investitionsbereitschaft als Grundbedingung des Wachstumsprozesses — zurückgegriffen werden. Dabei ist davon auszugehen, daß, ohne auf die Vielzahl möglicher Motive für die Durchführung von Investitionen an dieser Stelle einzugehen, eine privatwirtschaftliche Investition grundsätzlich nur dann durchgeführt wird, wenn auf lange Sicht die Rentabilität der Investition sichergestellt ist Der Grundsatz ist also die privatwirtschaftliche Rentabilität, unabhängig davon, ob es sich um einen Eigentümer-Unternehmer handelt (der seine Gewinnsituation vor Augen hat) oder um den angestellten Vorstand einer Aktiengesellschaft (der auf lange Sicht die Dividendenzahlungen sicherstellen muß). Vor dem Hintergrund dieses Grundsatzes gewinnen nun die drei genannten sozialen Ziele einen sehr eindeutigen Stellenwert.

a) Das Problem der . sozialen Sicherheit' ist zweifach zu sehen: Sicherung der Existenz (Arbeitsplatz) und Sicherung der Vermögensverhältnisse (Preisstabilität). Hier handelt es sich um eine Zielsetzung, die nicht nur unbestritten ist, sondern die vor allem im Zielkatalog der herrschenden Wachstumskonzeption ihren direkten Niederschlag gefunden hat. Auch hier wird zunächst die Grundthese vertreten, daß diese Zielsetzung nur noch im Rahmen des Wachstumspfozesses erreicht werden kann.

Doch schon einer etwas näheren Prüfung hält diese These nicht mehr so recht stand. Preiser befürchtet, daß eine Wohlstandsgesellschaft für Inflations-und Stagnationsgefahren „anfälliger" seiB j Samuelson sieht konjunkturelle Probleme, wie sie insbesondere mit dem Überfluß aufkommen Schiller betont schließlich — angesichts der Tatsache, daß wir an der Schwelle zu „jener neuen Uberflußgesellschäft" stehen — die Notwendigkeit, daß sich die Konjunkturpolitik neuen Bedingungen stellen müsse Was also bislang von Theorie und Praxis erfolgreich verdrängt wurde, gewinnt zentrale Relevanz: die Entwicklungsstufe einer Volkswirtschaft. Es kann hier nicht darum gehen, ein vollständiges Konjunkturmodell zu entwickeln. Wichtiger erscheint die Herausarbeitung einiger grundlegender Tatbestände Diese Tatbestände sind darin zu sehen, daß jetzt zwei Faktoren Zusammentreffen: einmal das zunehmend schwerer werdende Auslastungsproblem, zum anderen der Grundsatz der privatwirtschaftlichen Rentabilität.

Geht man nun davon aus, daß das Gewinnvolumen von drei Komponenten bestimmt wird •— nämlich von den Einstandskosten, den Verkaufspreisen und den verkauften Men-gen —, so ergibt sich in Hinblick auf das Auslastungsproblem, daß die Mengenkomponente immer unsicherer wird. Die beiden anderen Einflußkomponenten gewinnen zunehmend an Gewicht. Die Konsequenzen gehen in zwei Richtungen:

Einmal in Richtung jenes Phänomens, das inzwischen zu einem der umstrittensten Diskussionspunkte geworden ist, nämlich der . schleichendenInflation'. Eine Fülle von Theorien wurde darüber entwickelt; sie brauchen hier nicht zu interessieren. Wichtig ist allein die Tatsache, daß der Wachstumsprozeß von den Investitionen und die Investitionen von den Gewinnen abhängig gemacht werden. Je weniger diese aber wiederum über entsprechende Mengensteigerungen sichergestellt werden können, desto mehr muß ein so konzipiertes System Preiszugeständnisse machen. Mehr und mehr wird die Preissteigerung zum , Preis'für die Aufrechterhaltung des Wachtumsprozesses. Unter Zugrundelegung der volkswirtschaftlichen Entwicklungsstufe führt kein Weg an der Tatsache vorbei, daß der Wachstumsprozeß die Preisstabilität — und damit den realen Wertbestand von Sparvolumina, ein wichtiger Teilaspekt der sozialen Sicherheit — nicht gewährleistet, sondern eher gefährdet, völlig unabhängig von der Tatsache, daß diese Entwicklung durch die Konzentrationstendenz (Fehlen des Wettbewerbsdruckes) noch begünstigt wird. So wird eine auf Preisstabilität ausgerichtete Konjunkturpolitik mit logischer Folgerichtigkeit ineffizient. Denn sowohl eine Politik der Angebotserhöhung als auch der Nachfragedrosselung verschärft die Auslastungsproblematik noch mehr.

Die zweite Konsequenz betrifft das Problem der Arbeitsplatzsicherheit. Dieses Problem wird dann klarer, wenn wir den gerade angedeuteten Prozeß einen wichtigen Schritt weiterverfolgen. In den Mittelpunkt der konjunkturpolitischen Überlegungen tritt nämlich mit zunehmenden Preissteigerungen die Überzeugung, daß man einer solchen Entwicklung trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten Einhalt gebieten müsse. Will man aber nicht mehr zulassen, daß die Rentabilität über die Preissteigerungen sichergestellt wird, bleibt nur die Kostensenkung. Da aber unter den gegebenen Systembedingungen eine Kostensenkung bei den Vorprodukten nicht in Frage kommen kann (weil dies dort einer Preissenkung entspräche), bleiben in erster Linie die Lohnkosten pro Produktionseinheit. Da ein Druck auf die Lohnkostenanteile nur bei geschwächten Gewerkschaften effizient ist, muß die Voraussetzung für eine solche Schwächung ins Kalkül einbezogen werden können: nämlich die Unterbeschäftigung Die Folge davon ist, daß ein Wachstumsprozeß, der auf die Investitionsund damit auf die Rentabilitätssicherung angewiesen ist, auch die Arbeitsplatzsicherheit — den zweiten Teilaspekt der sozialen Sicherheit — nicht mehr automatisch gewährleistet, sondern vielmehr in gewissen Zeitabständen gefährdet.

Beide Konsequenzen zusammengenommen erlauben aber noch zwei weitere Schlußfolgerungen. Einmal: daß das konjunkturpolitische Instrumentarium der Globalsteuerung kaum noch in der Lage ist, eine Stabilisierung des Wachstumsprozesses im Sinne einer gleichzeitigen Vermeidung von Inflation und Stagnation herbeizuführen, weil die Rentabilität der Investition ja sichergestellt werden muß; und dies scheint mit zunehmendem Ausfall der Mengenkonjunktur nur noch über Preiszugeständnisse oder partielle Stabilisierungskrisen möglich. Hier wird die Immobilität der Konjunkturpolitikdeutlich. Aber dies ist noch nicht einmal das ganze Problem. Je höher der volkswirtschaftliche Entwicklungsstand ist und partielle Sättigungserscheinungen relevant werden, desto größer wird die Notwendigkeit, die Rentabilitätssicherung gleichzeitig durch Preiszugeständnisse und Beschäftigungsdruck (im Interesse der Kostensenkung) zu gewährleisten. Die Parallelität von Inflation und Arbeitslosigkeit — jenes gefürchtete Phänomen der Stagflation, das sich bezeichnenderweise in den USA schon abzeichnete — zeigt dann die Hilflosigkeit der konjunkturpolitischen Steuerungsmöglichkeiten definitiv

Es konnten nur einige Akzente zu dem Problem der . sozialen Sicherheit'gesetzt werden. Sie haben aber gezeigt, daß dieses Problem im Rahmen des bestehenden Wachstumsprozesses

— entgegen allen Behauptungen — nicht zu lösen ist, sondern in seiner Lösung eher erschwert wird.

b) Das Problem der . sozialen Gerechtigkeit', wohl eine der ältesten wirtschaftspolitischen Streitfragen, zeigt schon im Ansatz eine gewisse Widersprüchlichkeit. So wird dieses Ziel einerseits als ein unbestrittenes gesellschaftspolitisches Ziel anerkannt; andererseits fällt es aber auf, daß es nicht in den Zielkatalog des wachstumspolitischen Konzepts aufgenommen ist. Auch der Sachverständigenrat wird nicht verpflichtet, seine wirtschaftspolitischen Alternativempfehlungen unter Beachtung dieses Zieles abzugeben. Der Grund hierfür muß darin gesehen werden, daß hier ebenfalls die These in den Vordergrund gerückt wird, wonach auch dieses Ziel nicht gegen oder außerhalb, sondern nur im Rahmen des wirtschaftlichen Wachstumsprozesses zu erreichen ist, daß es dann also genügt, den Wachstumsprozeß sicherzustellen.

Doch auch diese These wirkt bei etwas genauererer Betrachtung nicht sehr überzeugend. Wenngleich ebenso wie beim Problem der konjunkturellen Stabilisierung auch hier nicht die ganze Entwicklung der Verteilungstheorie mit ihren Details nachgezeichnet werden kann, genügen doch einige grundsätzliche Überlegungen, um das Problematische dieser These deutlich werden zu lassen.

Zunächst fällt auf, daß man sich bemüht, dieses Problem möglichst aus der Diskussion auszuklammem: Sei es, daß man darauf verweist, daß das Ziel einer sozialen Gerechtigkeit gar nicht mit einer hinreichenden Objektivität definiert werden kann; sei es, daß man hervorhebt, daß im Zuge der allgemeinen Wohlstandserhöhung das Problem seinen sozialen Stachel verloren habe; oder sei es schließlich, daß man die These vertritt, daß das Verteilungsproblem heute primär eine Frage gesellschaftlicherBedingungen (Rasse, Alter, Krankheit, Familienstand, Bildung etc.) sei und insofern aus der wirtschaftspolitischen Diskussion ausgeklammert werden könne. Diese Argumentation wirkt insofern von vornherein fadenscheinig, als sie zu überspielen sucht, daß sich am Tatbestand, auf den die Forderung abstellt — nämlich einer sozial ungerechten

Einkommensund Vennögensverteilung —, nichts geändert hat, auch nicht in der modernen Wohlstandsgesellschaft Ja es wird so-gar vielfach die Vermutung geäußert, daß eine Reihe von Faktoren — insbesondere die Konzentrationstendenz — darauf hinwirken, die Verteilung eher noch auf Kosten der Arbeitnehmer zu verschlechtern Die Existenz des Problems der Verteilungsgerechtigkeit bleibt also bestehen.

Doch an diesem Punkt erhebt sich wieder die Frage nach dem Verhältnis dieser Forderung zum Wachstumsziel. Liefmann-Keil weist deutlich darauf hin, daß ein Zielkonflikt bestehe zwischen der produktionspolitischen Aufgabe einer höchstmöglichen Versorgung und dem verteilungspolitischen Aspekt einer bestmöglichen Verteilung, und das bedeutet: Dem Kriterium der sozialen Gerechtigkeit „sind Grenzen gesetzt" Der Zielkonflikt wird also zugunsten des Wachstums entschieden. Föhl macht in diesem Zusammenhang eine sehr interessante Bemerkung: Das Wachstum des Sozialprodukts werde durch „zeitweisen Verzicht auf soziale Gerechtigkeit erkauft" An dieser Feststellung erscheint der Begriff . zeitweise'am bemerkenswertesten. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die These, daß in der Zukunft einmal dem Kriterium der sozialen Gerechtigkeit — eben über das Wachstum der Wirtschaft — Rechnung getragen wird, weshalb sich aber verbiete, das Wachstum jetzt schon zu gefährden. Konkret heißt dies nichts anderes, als daß in einem Wachstumsprozeß die Investitionen nicht dadurch gefährdet werden dürfen, daß die Gewinne durch Änderungen in der bestehenden Einkommens-und Vermögensverteilung tangiert werden. Dieser Grundsatz durchzieht nahezu alle verteilungspolitischen Teilaspekte. In der Sozialpolitik sieht man inzwischen die Gefahr, daß sie sich auf eine horizontale Nivellierung, d. h. auf eine Nivellierung der Verteilung nicht zwischen, sondern innerhalb der Klassen reduziert Uber die Lohnpolitik sieht man auch keine Möglichkeiten mehr, eine Einkommens-

Umverteilung zu bewirken, da sie auf der Grundlage rein konjunktureller Erwägungen auf die Produktivitätsorientierung reduziert wird, die aber nachweislich die Verteilungsquoten konstant läßt. Und das gleiche gilt für die Vermögenspolitik, die nur auf der Basis des Sozialproduktswachstums konzipierbar erscheint und insofern ebenfalls primär den Investitionsprozeß sicherstellen soll

Wenn Ortlieb feststellt, daß sich die Wachstumsleistung der Nachkriegszeit mit einer „asozialen Restauration" verband so könnte man dem entgegenhalten, daß — wenn eine Wachstumsleistung erforderlich ist, die den Lebensstandard aller erhöht — verteilungspolitische Disproportionalitäten nun einmal in Kauf genommen werden müssen. Aber das ist nicht das Problem. Dies zeigt sich in einer eindeutigen logischen Widersprüchlichkeit: Man geht von einer Wachstumskonzeption aus, von der man einerseits erhofft, daß sie das Problem der sozialen Gerechtigkeit löst, und konstruiert sie so, daß sie der Lösung des Problems faktisch entgegensteht. Dann bleibt nur Resignation bzw. die unbewiesene Spekulation, daß sich der Konflikt irgendwann in der Zukunft löst. So wenig bleibt in Wahrheit von der These, daß nur im Wachstum das Ziel der sozialen Gerechtigkeit lösbar ist. c) Das Problem des sozialen Gleichgewichtes' stellt schließlich den dritten Teilaspekt der sozialen Frage dar. Er konkretisiert sich in der Forderung, daß eine Volkswirtschaft ein ausgewogenes Verhältnis zwischen privatem und öffentlichem Güterangebot brauche, ausgehend

von der Erkenntnis, daß aufgrund mangelnder Rentabilität, hoher Finanzierungslasten etc. letzteres von der Privatwirtschaft nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Auch diese Forderung — wenngleich als integrativer Bestandteil gesellschaftspolitischer Grundziele anerkannt — zeigt deutliche Parallelen zum zweiten sozialen Teilaspekt: Sie taucht nicht expressis verbis im wachstumspolitischen Zielkatalog auf. Statt dessen wird sie ebenfalls auf die —-inzwischen nun schon hinreichend bekannte — Formel reduziert, daß nur ein sichergestellter Wachstumsprozeß diese Forderung erfüllen könne.

Doch auch hier zeigt eine gründlichere Prüfung die Fragwürdigkeit der These. Vorab macht man eine bemerkenswerte Feststellung. Die Wissenschaft tut sich bis in unsere Gegenwart sehr schwer, diese im Grundsatz anerkannte Problematik analytisch überhaupt in den Griff zu bekommen. Man diskutiert zwar das Problem der staatlichen Aktivität im Sinne der Bereitstellung öffentlicher Güter, reduziert aber die Analyse auf zwei Teilaspekte: einmal, inwieweit diese Aktivität einen Beitrag leisten kann zur kurzfristigen Konjunkturstabilisierung;zum anderen, inwieweit diese Aktivität einen Beitrag leisten kann zur langfristigen Wachstumsforcierung. Dahinter steht

nichts anderes als erneut die Überzeugung, daß es vor allem langfristig auf den Unternehmer ankomme, weil er nun einmal den „Motor für das Wachstum" darstelle Dies hat dann aber eine naheliegende zweifache Konsequenz: Die Investitionsbereitschaft darf nicht durch Steuererhöhungen (zur Finanzierung der Kollektivaufgaben) gefährdet werden; und ferner hat der Einsatz der Mittel bei der Zurverfügungstellung von Kollektivgütern so zu erfolgen, daß er nicht nur ganz generell positive Wachstumseffekte hat sondern daß er vor allem auf die Bedürfnisse der privaten Investoren zugeschnitten ist Entwicklung der bestehende Wachstumsprozeß die hinreichenden Voraussetzungen bietet, um das anstehende Problem zu lösen.

Einige kurze Überlegungen dürften deutlich machen, daß schließlich auch diese Frage sehr skeptisch zu beurteilen ist. Dies gilt nicht allein deshalb, weil der bestehende Wachstumsprozeß die private Investitionstätigkeit in den Vordergrund stellt, von wo her sich schon alles verbietet, was deren Rentabilität (etwa: Steuererhöhung zur Finanzierung von Kollektivgütern) in Frage stellen könnte. Hinzu kommt noch als weiteres, daß unter den bestehenden Ordnungsbedingungen der Marktwirtschaft nicht ein öffentliches Dekret, sondern der Marktpreis die Aufgabe hat, die volkswirtschaftlichen Ressourcen (Arbeit, Boden, Kapital, technisches Wissen) zu lenken. Diese Funktion kann er aber nur dort übernehmen, wo eben diese Ressourcen kalkulierbar (und vor allem rentabel) eingesetzt werden können. Eine solche Voraussetzung schließt aber das öffentliche Güterangebot (Infrastruktur, Gesundheitswesen, Ausbildung) nicht ein, sondern — wenn man von der Ausnahme der privatwirtschaftlich betriebenen Grundlagenforschung einmal absieht — zu einem überwiegenden Teil aus. Und von daher ist dann der letzte Punkt in der ganzen Argumentationskette sehr naheliegend:

Man kann heute nicht mehr sagen, daß die erwähnten Probleme nicht gesehen werden. Die Unterversorgung ist allzu offensichtlich. Doch an dieser Stelle greift schließlich der letzte Punkt ein. Wenn der Marktpreis als Steuerungselement versagt, müßte ein anderes Lenkungsinstrument gesucht werden, das jenseits der marktwirtschaftlichen Willensbildung liegt, das insofern zu einer politisch-administrativen Ein drittes Mal zeigt sich, wie, trotz prinzipieller wird und das System bedroht Es Anerkennung, das Problem des sozialen sind nicht allein die Steuern, von denen man Gleichgewichts der Wachstumsforcierung untergeordnet Rentabilität gefährdet sieht. Es ist das Bewußtsein, wird. Ebenso wie bei den Fragen daß hier jenseits der individuellen der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit verliert entschieden werden muß; es ist das auch das soziale Gleichgewicht seinen tiefverwurzelte Mißtrauen, das einen höheren Charakter als eine eigenständige Kategorie. Staatsanteil mit Kollektivismus und Diktatur Es wird nur insoweit relevant, als es das identifiziert. Und von hier aus ist es dann nur Wachstum nicht hemmt bzw. dieses fördert: noch ein kleiner Schritt zu der Überzeugung, gewissermaßen wird der Kultusminister zum dann doch lieber alles , beim alten'zu lassen, „Erfüllungsgehilfen des Wachstumspolitikers" beim herkömmlichen Wachstumsprozeß. . Die Frage, die in diesem Zusammenhang Dieser bietet dann aber aus sich heraus dann wieder zu stellen ist, betrifft er-neut Ansatzpunkt mehr für die These, daß die bekannte These, ob in der weiteren* Wachstum die entscheidende Vorbedingung für die Herstellung eines sozialen Gleichgewichts bildet. Auch sie erweist sich als eine unbewiesene Zukunftsspekulation, wenn der notwendige Umstrukturierungsprozeß außerhalb des Marktmechanismus fehlt.

Erst vor wenigen Monaten stellte Schiller fest: „Im Vordergrund der Wirtschaftspolitik der , Ära Erhard'stand der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft und die Integration un-serer Volkswirtschaft in den Prozeß der weltweiten Arbeitsteilung. Einen großen Kuchen zu backen, erschien zunächst wichtiger, als einen kleinen Kuchen gerecht zu verteilen. Diese Phase des Aufbaus liegt hinter uns. In der weiteren Entwicklung kommt sozialer Gerechtigkeit und inneren Reformen steigende Bedeutung zu." Diese Feststellung ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert:

— Einmal kommt hier deutlich zum Ausdruck, daß das Problem der Entwicklungsstufe zunehmende Relevanz gewinnt. Sie auszuklammern und sich darauf zu beschränken, den Wachstumsprozeß zu stabilisieren, geht mehr und mehr an den Aufgaben, die heute gestellt sind vorbei.

— Es kommt ferner zum Ausdruck, daß die sozialen Nebeneffekte nicht positiv (wie es eigentlich der These entspräche, daß die sozialen Ziele nur im Wachstumsprozeß zu erreichen sind), sondern negativ zu beurteilen sind. Dies wurde zwar — angesichts der Wachstumsnotwendigkeit auf zurückliegenden Entwicklungsstufen — in Kauf genommen; sie müssen jetzt aber zu einer eigenständigen Kategorie werden.

Die Frage, die sich dann aber stellt, ist, ob die bestehende Synthese von Wachstum (als Zielbedingung) und Marktwirtschaft (als Ordnungsbedingung) aus sich heraus imstande ist, jene Bedingungen zu schaffen, auf deren Grundlage die neuen Aufgaben angegangen werden können, d. h. hier: Welche Konsequenzen ergeben sich angesichts der Ausgangstatbestände (I) und ihren Problemen (II)?

III. Konsequenzen

Bruttosozialprodukt und Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland *)

1. Der wissenschaftliche Beitrag Ein kritischer Blick in unsere politische Tageswirklichkeit müßte auch dem Uneinsichtigsten klarmachen, daß die Stabilität unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung zunehmend gefährdet ist. Die Agitation radikaler Gruppen erscheint hierfür freilich weniger Ursache als Symptom. Eine entscheidende Ursache hierfür ist vielmehr die Tatsache, daß neue Aufgaben entstanden sind, deren Bewältigung zur „Schicksalsfrage einer Gesellschaft freier Menschen" wird — Aufgaben aber, deren konsequente Erfüllung die bestehende Wachstumskonzeption in Frage stellen könnte. Riesman spricht nicht umsonst von der Suche nach einer neuen „Herausforderung", nachdem die alten Herausforderungen — nämlich die Knappheit im Rahmen des bestehenden Konzepts — ihre Wirksamkeit verloren haben Heimann spricht die Konsequenzen klar aus: Wir stehen heute vor der Alternative, „entweder auf der Straße unserer bisherigen Triumphe fortzufahren und uns dabei mehr und mehr auf die Reklame Krücken der zu stützen oder das Sy-stem so umzubauen, daß wir dem Expansionszwang entgehen. ... Die Produktion hängt von der Nachfrage ab, und diese erfordert Umbau, bevor die Reklame versagt"

Wenn Heimann von einer . Alternative'spricht, so kommt hierin ein Gesichtspunkt zum Ausdruck, den es vorab festzuhalten gilt: Die Suche nach der neuen Herausforderung läßt sich nicht im geschichtsdialektischen Sinne interpretieren, d. h. als notwendige Entwicklungsphase des Spätkapitalismus. Wohl zu Recht stellt Ortlieb fest, daß zu einem „Stilwandel" die Menschen erst fähig sind, wenn sie durch eine „echte Existenznot" gezwungen werden, wovon wir allerdings „trotz aller Wirrnis noch weit entfernt sind" Die aus der bisherigen Entwicklung zu folgernden Konsequenzen sind also nicht wissenschaftlich ableitbar — eine These, die vielfach von marxistischen Geschichtsdialektikern vertreten wird — sondern haben primär den Charakter einer politischen Forderung. Doch dies ist nur eine Seite des Problems. Wenn Egner feststellt, daß wir von einer uns bisher unbekannten wirtschaftlichen Lage überrascht worden sind, ohne zu wissen, wie man damit fertig wird und wel-ehe Anforderungen dadurch gestellt werden so zeigt dies deutlich die Notwendigkeit, diese neuenAnforderungen kritisch zu prüfen—auch ohne geschichtsdialektischen Anspruch —, um die Gefahren, die aus der konkreten Situation entstehen können, auch wirklich zu erkennen.

Diese Überlegung erlaubt die Schlußfolgerung, daß es sich hier zunächst um ein Erkenntnisproblem handelt, wobei in erster Linie die Wissenschaft aufgerufen ist, einen Beitrag zu leisten, um wieder glaubwürdig zu werden. Nicht umsonst sind gegenwärtig die Universitäten zu einem Kulminationspunkt jenes gesellschaftspolitischen Unbehagens geworden. Doch noch zeichnet sich sehr wenig ab, was auf diesem Gebiet als grundlegende wissenschaftliche Weiterentwicklung interpretiert

werden könnte. Erich Preiser glaubt eigentümlicherweise — trotz der Probleme, die er durchaus sieht — nicht, daß die Wohlstandsgesellschaft den Nationalökonomen zu einer „völligen Neuorientierung“ zwinge Dies scheint noch immer die überwiegende Meinung zu sein Galbraith sieht in der Wissenschaft das Bemühen, sich die Kontinuität einer gewissenDenkstruktur zu bewahren, die dann zu einem gewissen geistigen Elitedenken führe, was eine Diskussion über die Grundpfeiler ihres Lehrgebäudes nicht mehr erlaube Diese Grundpfeiler stützen sich auf die zentrale methodologische Annahme, daß sich die Wissenschaft von ethischen und politischen Wertungen freizuhalten habe. Nun ist zwar unbestritten, daß Werte nie wissenschaftlich . beweisbar', sondern nur das Ergebnis von Glaubens-und Uberzeugungsinhalten sind. Dennoch ist es mehr und mehr umstritten, ob sich die Wissenschaft diese Enklave der Wertfreiheit überhaupt noch bewahren kann. Denn dieses methodische Vorgehen hat entscheidende Konsequenzen: a) Zielpolitisch geht die Wissenschaft nach wie vor von dem Theorem der Mittelknappheit aus und reduziert ihre Analyse auf die Frage, wie die Knappheit optimal überwunden werden kann. Der Mangel eines solchen methodischen Ansatzes ist insoweit nicht darin zu sehen, daß man von der Mittelknappheit ausgeht (alles andere käme naiven Paradiesvorstellungen gleich), sondern daß man der Zieldiskussion: , Effizienzsteigerung wozu?'ausweicht. Damit ist es nicht mehr möglich (interessengebundene) Zielinhalte und (von gesellschaftlichen Machtstrukturen abhängige) Zielfindungsprozesse zu analysieren. Sie werden eben als gegeben hingenommen.

b) Ordnungspolitisch geht die Wissenschaft nach wie vor von der individuellen Dispositionsfreiheitaus und reduziert ihre Fragestellung auf die Analyse solcher Prozeßabläufe, wie sie unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gegeben sind. Auch hier liegt der Mangel des Ansatzes nicht darin, daß man von dem Grundsatz der individuellen Freiheit ausgeht (alles andere käme diktatorisch-kollektivistischen Vorstellungen gleich), sondern daß man der Ordnungsdiskussion ausweicht. Damit übersieht man aber, daß individuelles Handeln nur in einem gesellschaftlichen Verbund erfolgt. Insofern ist es nicht mehr möglich zu analysieren, ob diese marktwirtschaftlichen Prozeßabläufe wirklich noch dem Kriterium der individuellen Freiheit gerecht werden. Dies wird eben unterstellt. c) Diese zweifache Selbstbeschränkung, die nur noch glaubt, die Frage prüfen zu dürfen, wie Gütermengen unter vorgegebenen Zielund Ordnungsbedingungen vermehrt werden können, wird damit zu einer reinen Technokratie. In dieser Form ist die Wissenschaft — ohne es vielfach zu wissen — gar nicht mehr wertfrei, weil sie bewußt oder unbewußt zur Konservierung bestehender und interessengebundener Wertsetzungen beiträgt bzw. keine Möglichkeit hat zu verhindern, daß sie zur Durchsetzung von Interessen mißbraucht wird

Ortlieb sieht in der bestehenden Wissenschaft eine „blinde Kraft, die sich sogar schwertat, wenigstens nachträglich ihren gesellschaftli-dien Interpretationspflichten zu genügen" Dies zu erkennen, muß die Aufgabe der Wissenschaft sein. Denn nur dann kann sie einen Beitrag zu einer zukunftsorientierten Wachstumspolitik leisten und damit nicht zuletzt einen Beitrag zu einer neuen Stabilität unserer Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung. Dieser Beitrag ist zweifach zu sehen.

a) Einmal, indem die Zielinhalte in die wissenschaftliche Analyse ’ einbezogen werden. Das bedeutet konkret, daß es nicht mehr genügt, an einem globalen Knappheitstheorem festzuhalten, um daraus in logischer Exaktheit Gesetze abzuleiten. Die Frage nach den Stabilitätsbedingungen des Wachstums muß um die Frage nach den Wachstumszielen erweitert werden

b) Zum anderen, indem die Ordnungsbedingungen in die wissenschaftliche Analyse mit einbezogen werden. Das bedeutet konkret, daß es nicht mehr ausreicht, einfach an den marktwirtschaftlichen Bedingungen festzuhalten, um daraus Gesetzmäßigkeiten zu entwickeln. Abgeleitet aus den formulierten Zielsetzungen muß die Frage geprüft werden, welche konkrete Ordnungsform gleichzeitig den Grundsätzen eines demokratischen Willensbildungsprozesses und den formulierten Zielinhalten entspricht

Diese zweifache Erweiterung der wissenschaftlichen Fragestellung ist die erste Konsequenz für eine zukunftsorientierte Wachstumspolitik. Heimann vertritt die These, daß ein Umbau der bestehenden wachstumspolitischen Konzeption nichtnur prinzipiell die Aufgabe ha-ben müßte, den Wachstumsprozeß von dem Expansionszwang zu lösen. Vielmehr müßten die „vorhandene Struktur und ihr Betrieb unter ein anderes Gesetz gestellt werden, indem sie auf besondere Ziele ausgerichtet und entsprechend langfristigen Kontrollen unterworfen werden" Hier wird unmittelbar deutlich, daß jene beiden Kriterien, die die wissenschaftliche Weiterentwicklung bestimmen soll-ten, auch eine unmittelbare praktisch-politische Relevanz haben: die Zielformulierung und ihre ordnungspolitische Gestaltung.

2. Die politischen Schlußfolgerungen (Zielproblematik)

Gehen wir von der Feststellung aus, daß die hochindustrialisierten Nationen eine Entwicklungsstufe erreicht haben, die die Setzung von gesamtgesellschaftlichen Zielen erforderlich macht, so ist eine solche Zielformulierung nicht mehr nur noch eine Frage des wissenschaftlichen Selbstverständnisses, sondern auch ein notwendiges Erfordernis der praktischen Wirtschaftspolitik. Das hat zwei Konsequenzen:

a) Die Wirtschaftspolitik muß auf ihre „finalen Ziele“ zurückgeführt werden Konkret bedeutet dies, daß sie sich nicht mehr mit dem Wachstum als einfache Zielhypothese begnügen darf, sondern sich mit der Frage auseinandersetzen muß, in welchen Bereichen mit welchen Konsequenzen Wachstum noch sinnvoll erscheint. Mit Sicherheit wird die wachstumspolitische Konzeption damit schwieriger, weil sie nicht mehr den monokausalen Zuschnitt hat Aber dies ändert nichts an der Notwendigkeit, daß das Wachstumsziel restriktiven Nebenbedingungen unterstellt werden muß.

b) Die Rückführung der Wachstumskonzeption auf ihre eigentlichen Zielsetzungen bedeutet darüber hinaus, daß sich die Wirtschaftspolitik nicht mehr auf eine rein konjunkturpolitische Steuerung des Wachstumsprozesses beschränken kann, indem sie das Wachstum als . Bedingung' unterstellt und sich nur darauf konzentriert, Inflation bzw. Stagnation zu vermeiden. Wohl zu Recht betrachtet es Mötteli als einen gefährlichen Trugschluß, zu glauben, daß die Marktwirtschaft ihre Bewährungsprobe nur mit dem „Rüstzeug der modernen Konjunkturpolitik" bestehen könne Beide Konsequenzen sind im Grunde zwei Seiten der gleichen Medaille: Die Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik müssen angesichts unserer inzwischen erreichten Entwicklungsstufe umfassender sein, d. h., sie dürfen sich nicht nur auf die Sicherstellung eines gleichgewichtigen Wachstumsprozesses konzentrieren. Dies kann aber konkret nichts anderes bedeuten, als daß der privatwirtschaftliche Investitionsprozeßnicht mehr als Angelpunkt tabuisiert werden darf, sondern — da eine Rechtfertigung aus sich heraus, im Sinne der Identifikation mit einer Wohlstandserhöhung, nicht mehr möglich ist — gesamtgesellschaftlichenZielsetzungen unterworfen werden muß. Diese . Unterwerfung' muß zur Folge haben, daß die sozialen Kriterien der Sicherheit, Gerechtigkeit und des Gleichgewichtes nicht mehr diesem Investitionsprozeß nachgeordnet, sondern gleichgeordnet werden — auch wenn bestehende Interessenlagen der Investoren, die bislang einseitig gefördert wurden, Einbußen erleiden und die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate etwas niedriger sein sollte.

In der praktisch-politischen Diskussion zeichnet sich zwar im Grundsatz die Einsicht in diese neuen Problemstellungen ab; doch noch spricht nichts dafür, daß man mit dieser Einsicht wirklich ernst machen will: — Der Sachverständigenrat (in seiner Eigenschaft als Gremium wissenschaftlicher Politikberatung) deutete in seinem vierten Jahresgutachten erstmals an, daß veränderte Aufgaben auf die Wirtschaft zukommen könnten und daß das Sozialprodukt keinen Indikator für das Wohlstandsniveau abgeben könne Diese Hinweise bleiben aber Leerformeln, wenn der Rat auf eine Interpretation dieser Ziele dann doch verzichtet und am Sozialproduktwachstum festhält um „Raum für gesellschaftspolitische Wertungen" zu lassen Zwar spricht er im jüngsten Gutachten diese Problematik erneut an gibt aber ebenfalls nur eine Grundsatzerklärung ab, während im Gutachten selbst eindeutig auf der Grundlage der überkommenen Wachstumskonzeption argumentiert wird. — Die konzertierte Aktion (in ihrer Eigenschaft als interessenpluralistisches Beratungsgremium) hat offensichtlich die hier entstehende Problematik ebenfalls bereits gesehen. Wie Molsberger berichtet, sind 1967 die Teilnehmer an der konzertierten Aktion zu der Feststellung gelangt, daß im Rahmen der konzertierten Aktion auch ordnungs-und gesellschaftspolitische Fragen diskutiert werden müßten. Diese Überlegung wurde damals insbesondere von den Gewerkschaften unterstützt. Aber unter dem Einfluß der Arbeitgeberseite wurden diese Fragen dann doch wieder aus der Diskussion ausgeklammert, d. h., die Diskussion auf rein konjunkturpolitische Fragen eingegrenzt Diese Entwicklung ist nicht nur insoweit interessant, als auch dieses Gremium auf die überkommene Konzeption einschwenkte, sie zeigt vor allem, wem diese Konzeption in erster Linie nützt.

Angesichts kann es im daß dieser zweifachen Entwicklung Grunde nicht sonderlich überraschen, auch die amtliche Wirtschaftspolitikvon dieser Basis noch nicht gelöst hat. Auch hier fehlt es inzwischen nicht an Grundsatzüberlegungen — und zwar sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene —, doch wo das Programm konkreter wird, beschränkt man sich auf die herkömmliche Wachstumskonzeption

Wenn man insofern konstatieren muß, daß sich die praktische Wirtschaftspolitik — ebenso wie die Wissenschaft — noch nicht bereitfinden konnte, Ansätze zu einer zukunftsorientierten Wachstumskonzeption (i. S. einer inhaltlich angereicherten Zielkonzeption) zu entwickeln, so fällt es eigentlich schwer anzunehmen, daß dies einfach auf mangelnde Einsicht zurückzuführen ist. Die Absage an den sogenannten Wachstumsfetischismusist zu einer allseits anerkannten Formel ebenso geworden, wie sich das Bewußtsein zunehmend verstärkt, daß die drei genannten sozialen Nebenbedingungen dem bestehenden Prozeß nicht mehr einfach untergeordnet werden dürfen, wenn die Stabilität unserer Gesellschaftsordnung auf die Dauer nicht Schaden nehmen soll.

b) Ordnungsproblematik Der Grund für das Fehlen einer zukunftsorientierten Wachstumskonzeption muß vielmehr in der marktwirtschaftlichen Ordnungsbedingung gesucht werden, die bekanntlich — neben der wachstumspolitischen Zielbedingung — den zweiten Grundpfeiler der Argumentation darstellt. Nun scheint sich auch hier analog zum Wachstumsziel — rein vordergründig betrachtet — die Dogmatik in der Argumentation zu verlieren. Es fällt insbesondere auf, daß man einzusehen beginnt, daß gerade angesichts der erreichten volkswirtschaftlichen Entwicklungsstufe der marktwirtschaftliche (Selbst-) Steuerungsmechanismus zunehmend versagt und durch eine planvolle Wirtschaftspolitik ergänzt werden muß Dabei wird — wie die bisherige Argumentation gezeigt hat, völlig zu Recht — gerade der privatwirtschaftliche Investitionsprozeß als entscheidender Zielpunkt einer solchen Planungsnotwendigkeit erkannt

Die Frage, die sich daran anknüpft, ist dann aber die, welches Gewicht diese Grundsatzerklärungen haben. Sie führt zu einer kurzen Analyse jener , neuen Wirtschaftspolitik', die sich vor wenigen Jahren in der Bundesrepublik unter dem Begriff der sogenannten marktwirtschaftlichen Globalsteuerung etabliert hat. Diese läßt sich durch drei Tatbestände charakterisieren:

a) Die neue Wirtschaftspolitik baut einerseits auf dem Marktmechanismus auf, unterstellt diesen aber einer Globalsteuerung. Das bedeutet: Die Mikrorelationen (einzelwirtschaftliche Entscheidungen) bleiben der Selbststeuerung überlassen; die Makroziele (gesamtwirtschaftliche Ergebnisse) werden im Niveau ge-plant 5. Bei dieser Kombination fällt sofort eine bestimmte Widersprüchlichkeit auf. Eine solche Kombination ließe sich nur realisieren, wenn die (freiwilligen) Einzelentscheidungen tatsächlich zu dem (geplanten) Gesamtergebnis führten. Ist dies nicht der Fall, stellt sich sofort das Problem der Uber-bzw. Unterordnung. Wird das Gesamtergebnis quantifiziert (z. B. bestimmte Investitionsquoten) und übergeordnet, bedeutet dies, daß der Staat die Einzelentscheidungen diesem Gesamtergebnis anpassen muß und damit zu einer detaillierten Produktions-und Investitionsplanung übergeht Hier wäre das marktwirtschaftliche Ordnungsprinzip tatsächlich aufgehoben.

b) Das tatsächliche Beziehungsverhältnis ist freilich gerade umgekehrt. Die im Niveau geplanten gesamtwirtschaftlichen Ziele haben keinen (die Einzelwirtschaften verpflichtenden) . imperativen', sondern nur einen (die Einzelwirtschaften informierenden) . indikativen'Charakter. Sie stellen sogenannte unverbindliche Orientierungsziele dar Dabei wird der direkte Zwang durch die indirekte 'Verhaltensbeeinflussung ersetzt. Gerade in einer Verhaltensbeeinflussung durch die Information sieht Körner die gesellschaftliche Dimension dieser neuen Wirtschaftspolitik, muß aber an gleicher Stelle zugestehen, daß dies eine Unverbindlichkeit impliziert: „Jeder kann sich zwar angesprochen, muß sich aber nicht betroffen fühlen." Vielfach wird befürchtet (oder gehofft), daß sich durch den Druck einer entsprechend informierten öffentlichen Meinung, trotz der formalrechtlich unverbindlichen Orientierungsdaten, doch ein bestimmtes imperatives Element entwickelt Bislang deutet nichts darauf hin, daß diese Erwartung berechtigt ist.

c) Ändert insofern der Iniormationscharakter der Globalsteuerung im Grundsatz noch nichts an der marktwirtschaftlichen Ordnungsbedingung, so kompliziert sich auf den ersten Blick etwas das Problem, wenn man ergänzend berücksichtigt, daß die Erreichung der Globalziele nicht nur generell über die Offentlichkeitsinformation, sondern speziell über eine „kooperative Verhaltensabstimmung" im Rah-men der sogenannten konzertierten Aktion sichergestellt werden soll Konkret hieße dies: Im Rahmen der konzertierten Aktion würden die Ziele zwischen Staat und beteiligten Sozialpartnern ausgehandelt. Sie wären dann aber verbindlich, d. h., die gesamtwirtschaftlichen Globalziele wären nicht mehr ein Ergebnis des Marktmechanismus, sondern diesem vorgegeben. Erst an diesem Punkt wäre die Substanz der marktwirtschaftlichen Grundbedingung qualitativ verändert. Vielfach werden solche Entwicklungstendenzen befürchtet Doch die tatsächliche Entwicklung widerspricht dem eindeutig. Körner weist darauf hin, daß auch die kooperative Verhaltensabstimmung völlig auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhe Molsberger stellt fest, daß es durch die konzertierte Aktion keinen „ordnungspolitischen Erdrutsch" gegeben habe; noch sei nichts geschehen, „das die Marktwirtschaft verändert hätte" Nach Hoppmann müßte eine konzertierte Aktion, wenn sie gegen die marktwirtschaftlichen Grundbedingungen verstoßen würde, zunächst Ziele formulieren, die über § 1 des Stabilitätsgesetzes (Wachstum unter Gleichgewichtsbedingungen) hinausgehen; sodann mußte sie die Wirtschaftspolitik vorformen und schließlich Sanktionen für nicht-projektionskonformes Verhalten vorsehen In der Praxis sind alle drei Bedingungen nicht erfüllt.

Die drei Tatbestände machen zusammengefaßt sichtbar, daß weder die Einführung der Globalsteuerung als solche noch der Informationsgehalt der Orientierungsdaten noch schließlich die Institutionalisierung an der Substanz der marktwirtschaitlichen Bedingung et-was geändert haben. Hier zeigt sich eine geradezu verhängnisvolle Synthese zwischen den herausgestellten Ziel-und Ordnungsbedingungen. Man weiß nicht nur um die Problematik des Bruttosozialproduktkonzepts als Wohlstandsindikator, sondern auch um seine negativen sozialen Nebenwirkungen. Doch man weiß gleichzeitig, daß eine darüber hinausgehende Zielformulierung — wenn sie nicht nur deklamatorischen Charakter haben soll — die marktwirtschaftliche Grundbedingung qualitativ verändern muß. Da man aber dies widerum nicht will, verzichtet man von vornherein auf die Zielformulierung. So bleibt — analog der Forderung nach einer umfassenderen Zielformulierung — auch die These, daß eine Volkswirtschaft, die die jetzige Entwicklungsstufe erreicht hat, mehr an Planung brauche, eine ebenfalls deklamatorische Leerformel. Wider besseres Wissen beschwört man die befreiende Kraft der Marktwirtschaft (obwohl sie inzwischen eher zur Unfreiheit tendiert), betont ihre hohe ökonomische Effizienz (obwohl die Identifikation mit Wohlstand längst problematisch geworden ist) und hofft darauf, daß sie so flexibel ist, daß auch die sozialen Ziele erreichbar sind (obwohl das durch die tatsächliche Entwicklung eindeutig widerlegt ist).

Ob freilich auf der Basis von Glaube und Hoffnung eine zukunftsorientierte Wachstumskonzeption entwickelt werden kann, muß bezweifelt werden. Wenn dies aber bezweifelt wird und daraus die Notwendigkeit einer materiellen Zielformulierung abgeleitet wird, die über das Wachstumsziel hinausgeht und soziale Nebenbedingungen einschließt, dann muß diese zielpolitische Weiterentwicklung als notwendiges Pendant auch zu einer ordnungspolitischen Weiterentwicklung führen. Diese Weiterentwicklung muß in einer dreifachen Richtung gesehen werden:

a) Mötteli stellt zu Recht die Frage, ob sich die Liberalen im Hinblick auf den Status quo nicht „in vermehrtem Maße um eine Reform der Demokratie bemühen müßten" und Gahlen folgert daraus eine „neue Interpretation" des Liberalismus, der die Wirtschaft durch eine Kombination von Ordnungs-und Prozeßpolitik „konsequent nach gesellschaftlichen Zielvor-Stellungen gestaltet" Die verbindliche Ziel-formulierung ist die erste Konsequenz einer ordnungspolitischen Bedingung.

b) Daraus folgt zwangsläufig eine Neuinterpretation des marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus, der nicht mehr als ein Wert an sich, sondern als eine „mögliche Organisationstechnik“ gesehen werden muß Dies kann nicht dahin gehend interpretiert werden, daß an die Stelle des marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus eine — mit Sicherheit ineffizientere — dirigistische Detailplanung treten soll. Es bedeutet aber, daß die Marktwirtschaft ihren prinzipiellen Charakter zugunsten eines instrumentalen Charakters verliert, was im Interesse gesamtwirtschaftlicher Zielsetzungen auch eine marktinkonforme Wirtschaftspolitik möglich macht, die dann partiell den marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus außer Kraft setzt.

c) Die verbindliche Zielformulierung einerseits und ihre praktische Durchsetzung andererseits (u. U. außerhalb und gegen den marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus) machen es notwendig, daß eine Ordnungsform gefunden wird, Voraussetzungen die keine dafür bietet, daß die demokratische Grundform unserer Gesellschaftsordnung in Frage gestellt wird. Der Ordnungsform muß vielmehr die „Selbstbestimmung des Individuums" zugrunde liegen Das bedeutet konkret: Wenn Institutionen mit wirtschaftspolitischer Macht ausgestattet werden, muß diese Macht institutionalisierten demokratischen Kontrollmechanismen unterstellt werden, um einen Machtmißbrauch zu verhindern.

Die Weiterentwicklung der ordnungspolitischen Bedingung stellt einen integrativen Bestandteil einer zukunftsorientierten Wachstumspolitik dar. Was im Zusammenhang mit der erweiterten Zielformulierung gesagt wurde, dürfte auch hier seine Gültigkeit haben: Die Aufgaben der Wirtschaftspolitik werden komplexer, wenn sie sich nicht mehr darauf beschränken kann, die Erfüllung der gesamtwirtschaftlichen Ziele einem anonymen und nicht kontrollierbaren Marktmechanismus zu überlassen, der nur durch eine indikative Globalsteuerung gelenkt wird. Das wirtschaftspolitische Instrumentarium muß jetzt differenzierter werden; insbesondere gewinnen Struktur-und regionalpolitische Maßnahmen einen völlig neuen Stellenwert.

Ebenfalls wäre nicht auszuschließen, daß der (wirtschafts-) politische Willensbildungsprozeß schwieriger wird, wenn an die Stelle nicht kontrollierbarer und primär nach privatwirtschaftlichen Rentabilitätskriterien kalkulierbarer privater Investitionsentscheidungen eine nach gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen konzipierte und demokratisch kontrollierte Investitionssteuerung tritt. Aber vielleicht ist das der Preis, der einfach bezahlt werden muß, wenn man dem eingangs erwähnten Unbehagen ernsthaft Rechnung tragen will. Wird dies versäumt, ist die Gefahr für eine demokratische Gesellschaftsordnung vielleicht größer als jene, die sich u. U. aus etwas geringeren privatwirtschaftlichen Investitionszuwächsen ergibt. Denn allzu leicht könnte sich jenes -Unbe hagen in ideologischen Dogmatismen artikulieren, die — wie die Praxis zeigt — mindestens ebenso einseitig sind wie die bestehende Wachstums-und Marktwirtschaftsideologie, die Wohlstand und Freiheit verspricht — und im übrigen zufrieden ist, wenn die Volkswirtschaft im nächsten Jahr wieder um einige Prozentpunkte wächst.

3. Rückblick und Ausblick Eine zukunftsorientierte Wachstumskonzeption, wie sie vorausstehend in ihren Grundzügen entwickelt wurde, stellt nichts anderes dar als einen Versuch, aus den — an sich unbestrittenen — gesellschaftspolitischen Anliegen der Gegenwart einige Konsequenzen zu ziehen. Es soll damit ein Beitrag geleistet werden, um von dem sich augenblicklich abzeichnenden dogmatischen Alternativdenken — Kapitalismus versus Kommunismus — frei-zukommen. Denn genau dies scheint dringend geboten. Die beschwörende Formel, die drängenden Probleme dem bestehenden Wachstumsprozeß eben . anzuvertrauen', weil es keine andere akzeptable Alternative gebe, bleibt ebenso fragwürdig wie die Forderung, durch eine totale Vergesellschaftung die Produktionsverhältnisse gewissermaßen , auf den Kopf'zu stellen. Beide sind — im Sinne Eduard Heimanns — soziale Ideologien, die eine historisch begrenzte Aussage zu einem System ausbauen und verabsolutieren. Ein sol-* dies Vorgehen führt nur zur politischen Konfrontation; die tatsächlichen Aufgaben bleiben ungelöst, Doch auch eine Synthese, die beide Ideologien zu relativieren versucht, wird gegenwärtig damit rechnen müssen, auf Widerstand bei den Vertretern der bestehenden Konzeption zu stoßen. Dieser dürfte vor allem zweifach motiviert sein:

— Einmal durch eine immateriell begründete Freiheitsidee, wie sie in bestechender Form bereits vor zwei Jahrhunderten von Wilhelm v. Humboldt zum Ausdruck gebracht wurde:

„Ein Staat, in welchem die Bürger genötigt würden, auch den besten Gesetzen zu folgen, .,. würde immer ein Haufen ernährter Sklaven, nicht eine Vereinigung freier Menschen sein"

— Sodann durch eine materiell begründete Freiheitsidee, wie sie etwa bei Schlotterer durchaus überzeugend zum Ausdruck kommt: Während jahrtausendalte Versuche, inmitten materieller Armut eine friedliche und freie Welt zu schaffen, gescheitert seien, sei es dem industriellen System gelungen — mehr als jede demokratische Idee es je vermochte —, sich dem Ideal einer freien Gesellschaft zu nähern

Gemeinsam ist beiden Ideen ein Fortschritts-und Freiheitsbewußtsein, das nicht nur in jenem bereits zitierten Lehrbuch von Adam Smith seinen Niederschlag gefunden hat, sondern auch noch heute die Argumentation beherrscht. Hier ein Umdenken zu fordern, das so elementare Dinge wie . Wachstum'und . Marktwirtschaft'zwar nicht beseitigen, aber restriktiven Bedingungen unterwerfen will, muß ja den Widerstand förmlich provozieren. Dies allein schon deshalb, weil jeder Versuch, die gegenwärtig bestehenden Grundbedingungen zu relativieren, mit innerer Folgerichtigkeit eine qualitative Veränderung des darauf aufbauenden Systems einschließt.

Die Frage, die sich somit zwangsläufig daran anschließt, ist, ob die beiden herausgestellten Motive hinreichend erscheinen für die Forderung, dann auf eine zukunftsorientierte Wachstumskonzeption zweckmäßigerweise doch verzichten. Mit Sicherheit ist diese Frage mit politischen Wertvorstellungen undverknüpft. Das schließt aber aus, daß sie rational diskutierbar ist. Dies trifft insbesondere zwei Thesen, die in der Argumentation immer wieder herausgestellt werden: a) Die , Interdependenzthese': Walter Eucken, einer der geistigen Väter des ORDO-bzw. Neoliberalismus, forderte, die Lenkung des Wirtschaftsprozesses in Wirtschaftsordnungen durchzuführen, die der menschlichen Freiheit adäquat sind Diese These muß als unbestritten gelten. Freilich wurde sie weiterentwickelt zu der . Interdependenzthese', die besagt, daß eine liberale Wirtschaftsordnung mit einer liberalen Gesellschaftsordnung identisch sei bzw. daß Eingriffe in die liberale Wirtschaftsordnung zwangsläufig zum Abbau der liberalen Gesellschaftsordnung und damit zur Diktatur führten Diese Weiterentwicklung der These ist durch nichts bewiesen. Sie ist im Gegenteil durch die Fakten bereits hinreichend widerlegt: Bisherige Eingriffe in den Wirtschaftsprozeß haben keineswegs zu demokratischem Substanzverlust geführt. Hinzu kommt, daß die Thes den Freiheitsbegriff sehr eng interpretiert — nämlich: frei von staatlichem Zwang — und damit in sich widersprüchlich wird. Denn der enge Freiheitsbegriff bietet keinen logischen Ansatz, Freiheitsbeschränkungen, die von nichtstaatlichen Instanzen ausgehen, Einhalt zu gebieten. Ein solches Einhaltgebieten verstößt aber nicht gegen den demokratischen Freiheitsbegriff, sondern stützt ihn Hier zeigt sich die Dogmatik der Interdependenzthese. Marktwirtschaft und Demokratie sind nicht identisch. Die Marktwirtschaft kann in unkontrollierter Form dazu führen, daß sie nur die Freiheit einiger latent Mächtiger sichert, nicht die Freiheit des Menschen, von der Eucken sprach. Ihre Relativierung muß deshalb keineswegs demokratische Grundprinzipien aufgeben.

b) Die , Konvergenzthese': Diese These besagt, daß sich Tendenzen abzeichnen, wonach die östlichen und westlichen Gesellschaftssysteme konvergieren. Konkret: Der technische und wissenschaftliche Fortschritt, die Rationalisierung der Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik und die dies begleitende sozio-ökonomische Ent-

wicklung führen dazu, daß sich die Systeme mit innerer Folgerichtigkeit angleichen Diese These konnte deshalb entstehen, weil sich der Eindruck verdichtet, daß man im Ostblock die zentrale Wirtschaftsplanung partiell aufgibt und bestimmte Prozeßabläufe unter marktwirt-

schaftliche Bedingungen stellt. Die Frage liegt natürlich nahe, ob, wenn im Westen nun umgekehrt marktwirtschaftliche Grundprinzipien relativiert würden, dann nicht eine entscheidende Voraussetzung für diese Konvergenzthese gegeben wäre. Diese Frage ist grundsätzlich zu verneinen. Wenn auch nicht bestritten werden kann, daß sich im Osten die Konsumfreiheit zunehmend etabliert und mit einer zentralen Planung durchaus vereinbar gestaltet werden kann, stellt Heimann wohl zu Recht fest: Aber Konsumfreiheit ist noch „keine Demokratie“ Der Unterschied zwischen beiden Gesellschaftssystemen liegt also nicht darin, ob marktwirtschaftliche Elemente partiell Platz greifen, was durchaus dazu führen kann, daß die Wirtschaftsabläufe in beiden Systemen technisch vergleichbarer werden. Der entscheidende Unterschied muß darin gesehen werden, ob zentrale Steuerungen des Wirtschaftsprozesses, die die marktwirtschaftlichen Steuerungselemente im Interesse einer optimalen Zielverwirklichung pragmatisch einsetzen, diktatorisch entwickelt oder demokratischen Kontrollmechanismen unterstellt werden. Nur im letzteren Falle ist der Grundsatz einer demokratischen Gesellschaftsordnung gewahrt.

Beide Thesen lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Sie werden benutzt, um vor der Gefahr zu warnen, daß eine Relativierung des marktwirtschaftlichen Prinzips zum Abbau der demokratischen Gesellschaftsordnung führt (Interdependenzthese) bzw. daß unser Gesellschaftssystem sich dem östlichen nähert (Konvergenzthese). Sofern es sich um Befürchtungen handelt, können diesbezügliche Warnungen nicht ernst genug genommen werden. Der Sinn einer zukunftsorientiertenWachstumspolitik kann nicht darin gesehen werden, einen . Haufen gut ernährter Sklaven'zu schaffen. Sofern es sich um die Behauptungen von Zwangsläufigkeiten handelt, werden die The-sen zur unbewiesenen Ideologie. Ein letztes Mal wird deutlich, daß eine zukunftsorientierte Wachstumspolitik einerseits mehr sein muß als eine Politik, die eine die Konjunktur stabilisierende privatwirtschaftliche Investitionsquote sicherstellt, und daß zu diesem Zweck marktwirtschaftliche Grundprinzipien partiell aufgegeben werden müssen. Andererseits muß aber sichergestellt werden, daß der Abbau marktwirtschaftlicher Steuerungselemente zuungunsten planenderInstanzen einhergeht mit dem Einbau demokratischer Legitimation und Kontrollmöglichkeit dieser Instanzen. Nur dann läßt sich eine zukunftsorientierte Wachstumspolitik konzipieren, die den drängenden Sachaufgaben gerecht wird, ohne daß die Demokratie der Preis für die Lösung dieser Aufgaben ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gustav Schlotterer, Politik zwischen Macht und Wohlstand, Mainz 1967, S. 7.

  2. Hans-Jürgen Vosgerau, über optimales wirtschaftliches Wachstum, Basel-Tübingen 1965, S. 4.

  3. Erich Preiser, Wirtschaftspolitik heute, München 1967, S. 149 ff.

  4. Karl C. Thalheim, Beiträge zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung, Berlin 1965, S. 210.

  5. Karl Schiller, Stetiges Wirtschaftswachstum als ökonomische und politische Aufgabe, in: Der Ökonom und die Gesellschaft, Stuttgart 1964, S. 218.

  6. Rudolf Krengel, Warum wir Wachstum brauchen, in: Wirtschaftswoche, Nr. 10, 5. 3. 1971, S. 46.

  7. Walt W. Rostow, Stadien wirtschaftlichen Wachstums, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 22 f.

  8. An die Stelle des unproduktiven Demonstrationskonsums der traditionell-feudalen Gesellschaft trat die produktive Investition.

  9. Thalheim, Beiträge ..., a. a. O., S. 210.

  10. Einen Überblick hierüber vermitteln u. a.: Karlheinz Oppenländer, Die moderne Wachstumstheorie, Berlin-München 1963; Gottfried Bombach, Wirtschaftswachstum, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Bd. 12, Stuttgart-Tübingen-Göttingen 1965; Kurt Elsner, Wachstums-und Konjunkturtheorie, in: Kompendium der Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, Göttingen 1967; Heinz König (Hrsg.), Wachstum und Entwicklung der Wirtschaft, Köln-Berlin 1968.

  11. Bombach, Wirtschaftswachstum, a. a. O., S. 767.

  12. Walther G. Hoffmann, Zur Realitätsbezogenheit wachstumstheoretischer Annahmen, in: Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 92. Jahrgang, Basel 1956, S. 434.

  13. Preiser, a. a. O., S. 118.

  14. Bombach, Wirtschaftswachstum, a. a. O., S. 768.

  15. Hans Albert, Wachstumsmodelle und Realität, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 169, Stuttgart 1958.

  16. Reinhard Blum, Die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaftspolitik und Wirtschaftstheorie, in: Schmöllers Jahrbuch, 89. Jahrgang, Berlin 1969.

  17. John Kenneth Galbraith, Gesellschaft im Überfluß, München-Zürich 1959, S. 136 ff.

  18. Preisen, a. a. O., S. 117.

  19. Walther G. Hoffmann, Vollbeschäftigung als Problem der wachsenden Wirtschaft, in: Die Problematik der Vollbeschäftigung, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NF Band 3, Berlin 1951, S. 34.

  20. Herbert Giersch, Strategien der Wachstumspolitik, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 119. Bd„ Tübingen 1963, S. 244.

  21. Wird zu wenig gespart, bedeutet dies, daß die Konsumnachfrage zu hoch ist und zur Kapazitätsüberbeanspruchung führt (= Inflationsgefahr); wird umgekehrt zu viel gespart, besteht das Problem der Kapazitätsunterauslastung (= Stagnationsgefahr).

  22. Vosgerau, a. a. O., S. 5.

  23. Vgl. dazu im einzelnen: Vosgerau, a. a. 0., S. 5 ff.

  24. Vgl. dazu: Jahreswirtschaftsbericht 1972 der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache VI/3078, Bonn 1972, Ziff. 73 ff. — Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, BGBl. I. S. 582, vom 8. 6. 1967.

  25. Dabei fällt noch auf, daß das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit nicht expressis verbis als einschränkende Bedingung genannt wirdl

  26. Gottfried Bombach, Wirtschaftswachstum und Stabilität, in: Wachstum und Konjunktur, Darmstadt-Opladen 1960, S. 69.

  27. Thalheim, a. a. O„ S. 209.

  28. Fritz-Ullrich Fack, Wandel eines Ministeriums, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 233, 7. Okt. 1967, meint, daß in der Bundesrepublik seit der Übernahme des Wirtschaftsministeriums durch Karl Schiller sich ein Wandel von der Ordnungs-zur Wachstumspolitik vollzogen habe.

  29. Berechnungen haben z. B. ergeben, daß, wenn die USA sowjetische Planungsmethoden übernähmen und 25 v. H.der Konsumgüterproduktion auf die Investitionsgüterproduktion überlenkten, die Wachstumsrate des Sozialproduktes um etwa 50 v. H. gesteigert werden könnte. — Demgegenüber betont Schiller, Stetiges Wirtschaftswachstum ..., a. a. O., S. 229, unmißverständlich die Priorität der privaten (Unternehmer-) Investitionsentscheidungen. Ein Wandel der bestehenden Ordnungspolitik hin zur Wachstumspolitik - wie Fack es vermutet (vgl. Fußnote 28) - fand nicht statt.

  30. Preiser, a. a. O., S. 145.

  31. Erich Schneider, Wirtschaftswachstum und Wirtschaftsordnung, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Band 102, Tübingen 1969, S. 7 f.

  32. Preiser, a. a. O., S. 157.

  33. Theodor Pütz, Die wirtschaftspolitische Konzeption, in: Zur Grundlegung wirtschaftspolitischer Konzeptionen, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NF Band 18, Berlin 1960, S. 11.

  34. Preiser, a. a. O., S. 155.

  35. Alfred Müller-Armack, Der Moralist und der Ökonom, in: ORDO, 21. Band, Düsseldorf-München 1970, S. 28.

  36. Bruno Molitor, Gesellschaft im Überfluß (Bemerkungen zu einer Studie von J. K. Galbraith), in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, 4. Jahr, Tübingen 1959, S. 188.

  37. In diesem Sinne argumentierte erst kürzlich Emil Küng, Der Geist der Konsumgesellschaft, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 543, 21. 11. 1971, S. 19.

  38. Dieter Schröder, Wachstum und Gesellschaftspolitik, prognos-Studie Nr. 4, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1971, S. 185 ff.

  39. Ob die Übergangszeit hier im Ersten Weltkrieg liegt — so prognos —, oder ob man die These vertreten kann, daß auch noch die Situation unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg charakteristisch für die erste Phase ist, ändert an der grundsätzlichen Feststellung nichts.

  40. So wird in der prognos-Studie (Schröder, a. a. 0., S. 189/193/196) innerhalb weniger Seiten einmal die These vertreten, daß sich die hochentwickelten Industrieländer in der zweiten Phase befänden, zum anderen die Vermutung geäußert, daß die dritte Phase für diese Länder kennzeichnend sei. — Eine ähnliche Unsicherheit findet sich bei Rostow, der zwar ein etwas anderes Phasenschema entwickelte, in der Kernfrage jedoch einmal (a. a. 0., S. 26 ff. /112 ff.) davon ausgeht, daß (zumindest für die USA) das Zeitalter des Massenkonsums seinen „logischen Abschluß" gefunden habe, an anderer Stelle (a. a. O., S. 113) wieder glaubt, daß die Ära des Massenkonsums noch keineswegs zum Abschluß gekommen sei.

  41. Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1946, S. 112.

  42. Fritz Neumark, Steuerpolitik in der Überflußgesellschaft, Berlin 1961, S. 7 f.

  43. Michael Kröll, Problematik der Fülle, in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Band XXVI, Wien-New York 1966, S. 140.

  44. Paul A. Samuelson, Stability and Growth in the American Economy, Stockholm-Göteborg 1963, S. 60.

  45. Aus Platzgründen ist eine detaillierte Argumentation hier nicht möglich. Vgl.deshalb dazu im einzelnen: Werner Glastetter, Wachstumskonzeption und Politische Ökonomie, Köln 1971, S. 21 ff., 188 ff. und insbesondere 208 ff.

  46. Eduard Heimann, Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme, Tübingen 1963, S. 315.

  47. Bombach, Wirtschaftswachstum .... a. a. O., S. 32 f.

  48. Burkhard Strümpei, Soziale Indikatoren — Fieberkurve der Nation, in: Wirtschaftsdienst, 1971/VI, S. 301 ff.

  49. Wenn David Riesman, Wohlstand wofür?, Frankfurt/Main 1966, S. 248, glaubt, noch etwas Schlimmeres als die totale Vernichtung befürchten zu müssen, nämlich „die totale Sinnlosigkeit", und wenn Rostow, a. a. O., S. 115, eine säkulare geistige Stagnation befürchtet und daraus die provozierende Fragestellung ableitet, ob nicht vielleicht „Armut und politische Auseinandersetzungen notwendige Bedingungen für die menschliche Existenz" darstellen, so kann man dies kommentarlos stehen lassen.

  50. W. Arthur Lewis, Die Theorie des wirtschaftlichen Wachstums, Tübingen-Zürich 1956, S. 474, glaubt, Beweise dafür zu haben, daß geistige Störungen in den USA häufiger auftreten als in anderen Ländern und daß die höhere Selbstmordrate „ursächlich mit dem Streben nach weiterem Erfolg in einer bereits reichen Volksgemeinschaft zusammenhängt".

  51. Klaus Rose, Wachstums-und Konjunkturtheorie, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Band 13, Göttingen 1962, S. 217, sieht zwar die Probleme, glaubt aber, daß ihre Einbeziehung in die Analyse „die Grenzen der traditionellen Nationalökonomie" überschreitet. — Man ist versucht zu fragen, ob dies nicht daran liegt, daß die Grenzen zu eng sind.

  52. Eduard Spranger, Leben wir in einer Kulturkrisis?, in: Wo stehen wir heute?, Gütersloh 5) 1962, S. 18.

  53. Heimann, Soziale Theorie ..., a. a. O., S. 314.

  54. Hans Rühle von Lilienstern, Die Industriewirtschaft von morgen, Düsseldorf-Wien 1965, S. 44.

  55. Heimann, Soziale Theorie ..., S. 327 f.

  56. Dieter Cassel, Manipulation des Verbrauchers?, in: Wirtschaftsdienst 1971/IV, S. 218.

  57. Eduard Heimann, Vernunftglaube und Religion in der modernen Gesellschaft, Tübingen 1955, S. 175.

  58. Dieter Grosser (Hrsg.), Konzentration ohne Kontrolle, Köln-Opladen 1969, S. 9 ff.

  59. James-Edward Meade, Planung und Preismechanismus, Bern-Tübingen 1951, S. 65 f: „Ein Monopol ist in solchen Fällen nicht nur unvermeidbar, sondern wünschenswert, wenn maximaler Wohlstand erreicht werden soll". — Ähnlich: Lewis, a. a. O., S. 101.

  60. Gegen diesen Grundsatz spricht also weder die Möglichkeit von Fehlinvestitionen noch die Wahrscheinlichkeit, daß kurzfristige Investitionsprojekte auch unter Inkaufnahme von Verlusten durchgeführt werden (etwa Investitionen, um Marktanteile zu vergrößern, oder Forschungsinvestitionen), um eine langfristige Rentabilität sicherzustellen.

  61. Preiser, a. a. O., S. 108 f.

  62. Samuelson, a. a. O., S. 60.

  63. Karl Schiller, Konjunkturpolitik auf dem Wege zu einer Affluent Society, in: Jahre der Wende, Festgabe für Alex Möller zum 65. Geburtstag, Karlsruhe 1968, S. 61 ff.

  64. über die Einzelheiten der Argumentation: Vgl. Glastetter, a. a. O., S. 250 ff.

  65. So argumentiert unmißverständlich der Sachverständigenrat, wenn er in seinem Sondergutachten, Zur Konjunkturlage im Frühjahr 1970, Bundestagsdrucksache VI/773, Mai 1970, Ziff. 16, Maßnahmen fordert, „die das Risiko eines Beschäftigungsrückganges einschließen, der über eine Normalisierung hinausgeht*.

  66. Wenn der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1970/71, Konjunktur im Umbruch (Risiken und Chancen), Stuttgart-Mainz 1970, Ziff. 10, in der Gleichzeitigkeit inflationärer und rezessiver Tendenzen einen Zielkonflikt sieht, „der mit allgemeinen konjunkturpolitischen Maßnahmen nach aller Erfahrung kurzfristig nicht zu lösen ist*, so wird hier die Hilflosigkeit deutlich.

  67. Preiser, a. a. O., S. 106/177. — Wilhelm Krelle, Verteilungstheorie, Tübingen 1962, S. 250 ff., weist bezeichnenderweise auf die Konstanz der Lohnquote im langfristigen Durchschnitt hin.

  68. Krelle, a. a. O„ S. 260.

  69. Elisabeth Liefmann-Keil, ökonomische Theorie der Sozialpolitik, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1961, S. 6 ff.

  70. Zit. bei: Harald Jürgensen, Bemerkungen zu Wachstums-und Verteilungseffekten privater und öffentlicher Investitionen, in: Wirtschaftskreislauf und Wirtschaftswachstum, Carl Föhl zum 65. Geburtstag, Tübingen 1966, S. 81.

  71. Krelle, a. a. O., S. 290, Liefmann-Keil, a. a. O.,

  72. Bruno Molitor, Vermögensverteilung als wirtschaftspolitisches Problem, Tübingen 1965.

  73. Heinz-Dietrich Ortlieb, Gedanken über den Zerfall unserer Wohlstandsgesellschaft, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, 15. Jahr, Tübingen 1970, S. 22 ff.

  74. Wenn Galbraith, a. a. O., S. Ulf., resignierend feststellt, daß diese Frage praktisch in den Hintergrund gedrängt Ist, so wird man ihm leider Recht geben müssen. — Walther G. Hoffmann, Armut und Reichtum im Wachstumsprozeß, in: Jahrbuch für Sozialwirtschaft, Band 21, Göttingen 1970, S. 3 f., konstatiert recht lapidar, daß der Unterschied zwischen arm und reich immer nur sinnvoll ist in bezug auf das Wachstum, wenn dies auch „unter dem Gesichtspunkt einer sozialen Optik .. . sicher nicht sehr schön" sei. — Die gleiche Resignation findet sich im jüngsten Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1971/72, Bundestagsdrucksache VI/2847, Bonn 1971, Ziff. 347, wenn er ebenfalls recht lapidar feststellt, daß es wenig Sinn habe, über Ge-winne zu rechten, solange man sie für die Finanzierung der Investitionen brauche.

  75. Reimut Jochimsen, Theorie der Infrastruktur, Tübingen 1966, S. 31.

  76. Jürgensen, a. a. O., S. 82.

  77. Lewis, a. a. O., S. 444.

  78. Preiser, a. a. O., S. 160.

  79. Konrad Littmann, Zunehmende Staatstätigkeit und wirtschaftliche Entwicklung, Köln-Opladen 1957, S. 166 f.

  80. Karl Schiller, Auf dem Wege zu einer Sozialen Marktwirtschaft!, in: Wirtschaftsdienst 1971/XII, S. 637.

  81. Carlo Mötteli, Herausforderung der Liberalen, in: ORDO, 21. Band, Düsseldorf-München 1970, S. 49.

  82. Riesman, a. a. O., S. 299.

  83. Heimann, Soziale Theorie ..., a. a. O., S. 321 f.

  84. Heinz-Dietrich Ortlieb, Die erfolgreichen Prügelknaben, in: Wirtschaftsdienst 1971/11, S. 59.

  85. Erich Egner, Die Konsumentengesellschaft — — Wirklichkeit oder Aufgabe?, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 181, Stuttgart 1968, S. 544.

  86. Preiser, a. a. O., S. 91/114.

  87. Dies zeigt sich deutlich etwa in dem Lehrbuch von Josua Werner, Wachstumspolitik, in: Wirtschaftspolitik — Grundlagen und Hauptgebiete III, Stuttgart 1971, das nach der Überzeugung des Herausgebers Theodor Pütz den Stand sog. . gesicherter Erkenntnisse'darstellt: Nach wie vor wird das Pro-Kopf-Wachstum mit der Wohlstandsmehrung identifiziert (a. a. O„ S. 4), das unternehmerische Investitionsverhalten in den Mittelpunkt der Wachstumspolitik gerückt (a. a. O.. S. 10), das Problem der Kapazitätsauslastung bewußt ausgeklammert (a. a. O., S. 12), sowohl die Verteilungsproblematik (a. a. O., S. 33) als auch die Infrastrukturproblematik (a. a. O., S. 68 ff.) primär unter dem Gesichtspunkt der Wachstumsorientierung diskutiert.

  88. Galbraith, a. a. O., S. 15 ff.

  89. Erich Egner, Der Nationalökonom und die Wirklichkeit, in: Schmöllers Jahrbuch, 91. Jahrgang, Berlin 1971, S. 8, sieht die Gefahr einer Entproblematisierung, wenn die Theorie auf die „Quantität der Güterbereitstellung eingeschränkt wird“, weil dies zu einer „Enthumanisierung“ führe, eine technisierte Wirtschaftswissenschaft könne aber mißbraucht, d. h. „ein Instrument der Barbarei“ werden.

  90. Ortlieb, Gedanken ..., a. a. O., S. 30.

  91. Bernhard Gahlen (u. a.), Volkswirtschaftslehre — Eine problemorientierte Einführung, München 1971, S. 12 f., weist darauf hin, daß Vorsicht geboten sei bei Definitionen wie: „Wirtschaften ist Bedürfnisbefriedigung mit Hilfe knapper Mittel"; vorher müsse geklärt werden, „welche und wessen Bedürfnisse und Ziele mit welcher Intensität erfüllt werden sollen. Vom makroökonomischen Standpunkt muß insbesondere nach den Zielen gesellschaftlicher Machtgruppen gefragt werden".

  92. Adolph Lowe, Politische Ökonomik, Frankfurt 1965, S. 154 f., folgert daraus, „daß das Prinzip unbegrenzter Mikroautonomie einem neuen Funktionsprinzip weichen muß".

  93. Heimann, Vernunftglaube .., a. a. O., S. 241.

  94. Gahlen, Volkswirtschaftslehre, a. a. O., S. 72 f.

  95. Nicht ganz zu Unrecht bezeichnet Heiko Körner, Die gesellschaftliche Dimension der Wirtschaftspolitik, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Band 22, Göttingen 1971, S. 2, die Zeit der hohen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten als die goldene, weil wirtschaftspolitisch fast unproblematische Zeit.

  96. Mötteli, a. a. O., S. 46. — Im gleichen Sinne: Hans-Jürgen Schmahl, Globalsteuerung — Zwischenbilanz einer neuen Konjunkturpolitik, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, 16. Jahr, Tübingen 1971, S. 286: „Geht es aber . lediglich’ um die Erhaltung eines gleichgewichtigen Expansionsprozesses, dann häufen sich die Schwierigkeiten, weil andere als konjunkturpolitische Überlegungen dominieren."

  97. Stabilität im Wachstum, Jahresgutachten 1967/68, Stuttgart-Mainz 1967, Ziff. 279 und 288.

  98. Stabilität ..., a. a. O., Ziff. 247.

  99. Stabilität ..., a. a. O„ Ziff. 288.

  100. Jahresgutachten 1971/72, a. a. O., Ziff. 52.

  101. Josef Molsberger, Zwischenbilanz der Konzertierten Aktion, in: ORDO, 21. Band, Düsseldorf-München 1970, S. 176 f.

  102. In ihrem jüngsten Jahreswirtschaftsbericht 1972, a. a. O., Ziff. 7, betrachtet es die Bundesregierung als notwendig, das Bruttosozialproduktkonzept in seiner Problematik als Wohlstandsindikator „einmal vertieft zu behandeln".

  103. Die Sachverständigengruppe für mittelfristige wirtschaftliche Perspektiven der Kommission der Europäischen Gemeinschaften stellt fest, daß die Orientierung an den Stabilitätsbedingungen eine zu enge Vereinfachung ist (vgl.: Perspektiven bis 1975 — Makroökonomische Entwicklung und wirtschaftspolitische Probleme in der Gemeinschaft, Teil I, Brüssel 1971, S. 42 ff.).

  104. Vgl. Perspektiven des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 1985, in: Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland, Vierteljahresbericht III '70. Hier wird ausschließlich auf der Grundlage des sog magischen Vierecks argumentiert

  105. Prelser, a. a. O., S. 115, stellt fest, daß eine Wohlstandsgesellschaft eher mehr als weniger Planung brauche. — Ähnlich stellt Karl Schiller, Marktwirtschaftliche Globalsteuerung, in: Der Volkswirt, Nr. 51/52, 23. Dezember 1966, S. 62 ff., fest, daß unter den Bedingungen einer „affluent society" die bisherigen wirtschaftspolitischen Instrumente nicht oder nur noch schlecht funktionieren.

  106. Molitor, Gesellschaft .... a. a. O., S. 198, meint, daß der Ausbau der staatlichen Aktivität nie dringender war als in „dieser Transformationsperiode des Kapitalismus", wobei das Ziel dieser Aktivität sein müsse, „auf das Investitionsgewicht Einfluß zu nehmen und die Industrielle Struktur zu reformieren, um die Dynamik der Entwicklung ordnend in den Griff zu bekommen“.

  107. Schmahl, a. a. O., S. 272.

  108. Ernst Dürr, Alternativen der Globalsteuerung und ihre Konsequenzen für die Wirtschaftsordnung, in: Ifo-Stüdien, 16. Jahrgang, Berlin-München 1970, S. 79.

  109. Schiller, Marktwirtschaftliche ..., a. a. O., S. 62 ff.

  110. Körner, a. a. O., S. 5 f.

  111. Vor allem könnte man diesen Druck zusätzlich von einer mit der entsprechenden wissenschaftlichen Autorität versehenen und „neutralen" Beratungsinstanz, wie es etwa der Sachverständigenrat darstellt, erwarten. Doch auch diese Erwartung trügt. Ohne auf die Konstruktion des Rates hier eingehen zu wollen, genügt schon der Hinweis, daß er zunächst gar keine gezielten Empfehlungen abgeben, sondern nür alternativ argumentieren darf. Hinzu kommt, daß ein Druck von den Gutachten noch weniger zu erwarten ist, wenn unterschiedliche Meinungen in den Gutachten vertreten werden (wie dies in der zurückliegenden Zeit mehrfach der Fall war). Schließlich darf nicht übersehen werden, daß (trotz Grundsatzerklärungen) die Ratsgutachten noch ganz auf der Grundlage der herrschenden Wachstumskonzeption erstellt werden. Es fehlt ja noch völlig eine gesamtwirtschaftliche Zielsetzung, die dann nach Veröffentlichung — über die öffentliche Meinung — politisch relevant sein könnte.

  112. Körner, a. a. O., S. 7.

  113. Vgl. die Auseinandersetzung mit der Kritik von Biedenkopf (Molsberger, a. a. O., S. 167 ff.). — Audi die Argumentation bei Hans Heinrich Rupp, Konzertierte Aktion und freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie, in: Konzertierte Aktion — Kritische Beiträge zu einem Experiment, Frankfurt/Main 1971, S. 3 ff., geht in die gleiche Richtung: Man befürchtet in der konzertierten Aktion eine Art Nebenregierung, die der Parlamentskontrolle entzogen ist und gleichzeitig die Parlamentsrechte vermindert.

  114. Körner, a. a. O., S. 7.

  115. Molsberger, a. a. O., S. 183.

  116. Erich Hoppmann, Konzertierte Aktion und der . Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung', in: Konzertierte Aktion — Kritische Beiträge zu einem Experiment, Frankfurt/Main 1971, S. 285/312.

  117. Mötteli, a. a. O., S. 49.

  118. Bernhard Gahlen, Hat die Soziale Marktwirtschaft versagt?, in: Wirtschaftswoche, Nr. 4, 22. 1. 1971, S. 32 ff.

  119. Bruno Molitor, Marktwirtschaft — nur eine Organisationstechnik, in: Wirtschaftswoche, Nr. 5, 29. 1. 1971, S. 36 f,

  120. Artur Woll, Die Wettbewerbsordnung ist das demokratischste Lenkungsinstrument, in: Wirtschaftswoche, Nr. 3, 15. 1. 1971, S. 37 ff.

  121. Eduard Heimann, Soziale Ideologien und soziale Reform, in: Hamburger Jahrbuch für Wirt-Schafts-und Gesellschaftspolitik, 16. Jahr, Tübingen 1971, S. 334 ff.

  122. Wilhelm von Humboldt, Die Grenzen des Staates, nach einer Schrift von 1791, Frankfurt 1947, S. 79.

  123. Schlotterer, a. a. O„ S. 15 ff.

  124. Walter Eucken, Das ordnungspolitische Problem, in: ORDO, 1. Band, Opladen 1948, S. 77.

  125. F. A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, Erlenbach-Zürich, o. J.

  126. Ein typisches Beispiel ist das Konzentrationsproblem: Unter Berufung auf marktwirtschaftliche 122Prinzipien werden Bemühungen unterlaufen, die Konzentration abzubauen bzw. ihren Mißbrauch zu verhindern. Was dann aber noch .frei'bleibt, sind die Konzerne -— nicht kleine Zuliefererbetriebe (die in eine Abhängigkeit geraten) oder die Konsumenten (die monopolistischen Preispraktiken ausgeliefert sind). Hier wird die Einseitigkeit des neoliberalen Freiheitsbegriffs deutlich.

  127. Vgl. zu dieser Argumentation: Paul K. Hensel, Strukturgegensätze oder Angleichungstendenzen der Wirtschafts-und Gesellschaftssysteme von Ost und West, in: ORDO, 12. Band, Düsseldorf-München 1961. — Heiko Körner, Hypothesen über die Konvergenz von Wirtschaftssystemen als Ausdruck aktueller Tendenzen in der Theorie der Wirtschaftspolitik, in: Schmöllers Jahrbuch, 90. Jahrgang 1970.

  128. Eduard Heimann, Wirtschaftssysteme und Gesellschaftssysteme, Tübingen 1954, S. 49.

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