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Die Fairness -ein Bildungsprinzip? | APuZ 4/1973 | bpb.de

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APuZ 4/1973 Vermögenspolitik -Instrument zur Systemstabilisierung oder Systemüberwindung ? Die Fairness -ein Bildungsprinzip?

Die Fairness -ein Bildungsprinzip?

Hermann Röhrs

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In breiten Kreisen der Öffentlichkeit werden die Begriffe Fairness und Fairplay in Analogie zur Sportwirklichkeit angewandt. Unter dieser Voraussetzung erscheint eine Klärung dessen, was unter Fairness und Fairplay zu verstehen ist, notwendig zu sein. Vor allem ist die Erörterung der Frage wichtig, wie eine faire Grundeinstellung im Rahmen des Sports entfaltet werden kann und unter solchen Voraussetzungen eine Übertragbarkeit auf andere Lebensbereiche möglich ist. Fairness und Fairplay sind indessen nicht schon das Ergebnis einer bloßen Teilhabe am Sport. Ohne zusätzliche (selbst-) erzieherische Motivation kann der Sport nur situativ, aber keineswegs planmäßig zur Entfaltung einer fairen Grundhaltung beitragen. Ethisch orientierte Verhaltensweisen bedürfen gerade im Sport — soweit sie sich verdichten sollen zu einer jederzeit gemeinsinnig definierbaren und konkretisierbaren Fairness — der situativen Erhellung, die Grundsätzliches heraushebt und paradigmatische Gestaltungsweisen beschreibt. Erst wenn der Sport auf dem Fundament einer sportlichen Grundbildung als Bildungselement einmündet in den individuellen Lebensplan und integrativer Bestandteil der Daseinsgestaltung wird, können auch die Grundregeln des Fairplay hineinwirken in die verschiedenen Lebensbereiche.

Fairness und Fair-play

In breiten Kreisen der Öffentlichkeit wird gegenwärtig zunehmend die Erfahrung gemacht, daß zwischen der philosophisch begründeten Schulethik und der sittlichen Lebenspraxis ein empfindsamer Gegensatz besteht. Die Gründe sind nicht zuletzt darin zu suchen, daß die ethischen Maximen in ihrer Abstraktheit nicht immer eine ausreichende Gestaltungskraft für die wechselnden Situationen der Alltäglichkeit entfalten. Angesichts dieser Entwicklung werden Begriffe wie Fairness und Fair-play häufig bevorzugt, weil sie, unabhängig vom philosophischen Stellenwert, eine Verhaltensweise kennzeichnen und eine bestimmte Haltung im Alltagsleben nahezu-legen scheinen.

Zur Lösung der Aufgaben in dem komplizierten Gefüge der industriellen Gesellschaft wollen nicht nur die kodifizierten Normen der Verfassung eingehalten werden, sondern in erster Linie auch die ungeschriebenen Gesetze der Fairness und ihre Umsetzung in Fairplay. Auf diesem Hintergrund sind die Begriffe Fairness und Fair-play in Analogie zur Sportwirklichkeit sowohl im geistig-kulturellen Leben als auch in der politischen Auseinandersetzung zu Maßstäben geworden, mit denen Verhaltensweisen bewertet werden, ohne daß durch eine voraufgehende Klärung die Kriterien erhellt wurden, die der jeweiligen Stellungnahme zugrunde zu legen sind.

Unter Fairness ist dem Wortsinn nach die Redlichkeit, Billigkeit, Gerechtigkeit, Unparteilichkeit in der individuellen Grundeinstellung zu verstehen. Analog meint das Fairplay eine Spielhaltung, die die agonale Situation partnerschaftlich versteht und das Gelingen des Spielgeschehens höher einschätzt als Sieg oder Niederlage. Die Verwirklichung der höchsten Tugend, die Niederlage gelassen bei voller Würdigung des Siegers zu tragen, ist immer dann schwierig und auch problematisch, wenn unfaire Mittel den Ausschlag geben

Um indessen von vornherein eine realistische Deutung zu sichern, muß zum Ausdruck kommen, daß Fairness und Fair-play nicht schon das Ergebnis einer bloßen Teilhabe an Sport und Leibesübung sein können. Entscheidend ist die Art der (selbst-) erzieherischen Motivation hinsichtlich einer personalen Erprobung und Bewährung. Bei der Auslegung ist außerdem zu beachten, daß die Begriffe Fairness und Fair-play durch die Übertragung auf die Verhaltensweisen im nichtsportlichen Bereich sowie durch deren Rückwirkung auf die Sportwelt eine Wandlung erfahren haben. Daher ist die wiederholt ausgesprochene Warnung vor einer unverbindlichen Ausweitung bis zur Überdehnung zu beachten.

Viele der angestrebten begrifflichen Parallelen zur Ritterlichkeit und zur Noblesse tragen ihre Grenzen von vornherein in der anders gearteten Wortgeschichte und in dem unterschiedlich strukturierten Wirklichkeitsbereich, den es zu kennzeichnen gilt und der im Sport als Als-ob-Kampf durch den fiktiven Charakter gekennzeichnet ist. Gerade der spielerische Grundzug des sportlichen Wettkampfs erlaubt das reflektierende Einüben von Fairness und Fair-play, weil sich der Ernstcharakter jeweils ausklammern läßt. Unter diesen Voraussetzungen wird die Fairness in ihrer Grundbedeutung als rechtes und regelgerechtes Spielen, das dem Gegner gegenüber auf Chancengleichheit und Achtung bedacht ist, entwicklungsgemäß zu entfalten sein, denn jede Altersstufe hat ihr eigenes Verhältnis zur Ritterlichkeit.

Fairness und Fair-play sind konstitutive Begriffe für ein umgreifendes Sportethos. Sie haben als regulative Ideen bestimmenden Charakter, deren Wirkkraft sich durchaus an der geistigen Grundeinstellung der Sport-treibenden abschätzen läßt Der Fairness muß eine Fair-mindedness entsprechen, die als personalisierte geistige Grundeinstellung erst die Gewähr dafür bietet, daß das Fairplay etwa in den Mannschaftskampfspielen nicht als bloßer Gestus darauf abgestellt ist, den Gegner über den harten Kern zu täuschen und um die Gunst der Zuschauer zu werben.

Unter dem Einfluß des Fair-play bleibt im Wettkampf trotz der harten Auseinandersetzung der spielerische Grundzug gewahrt. Nur soweit die Fairness den agonalen Handlungsablauf bestimmt, ist die freie Sphäre des Spiels gesichert, die die Verwirklichung der Menschenbildung möglich macht. Insofern sind Fairness, Spiel und Bildung auf Wechselseitigkeit angelegt, in der die Bewährung des einen die Verwirklichung des anderen ist

Die Problematik der Übertragbarkeit

Was mit den Begriffen Fairness und Fair-play angedeutet ist, läuft also auf eine ethisch motivierte Grundhaltung im sportlichen Geschehen hinaus und lebt von dem Glauben an die Übertragbarkeit auf die allgemeinen Verhaltensformen. Eingeschränkt wird diese Erwartung durch die vielen Beispiele von Sportlern, die weder im sportlichen Bereich noch im allgemeinen Verhalten die mit dem Begriff Fairness angedeuteten Tugenden zeigen. Dennoch läßt sich mit diesen Beispielen eher verdeutlichen, daß die Realisierung der Fairness nicht in erster Linie von der sportlichen Leistung oder der Dauer der Aktivität abhängig ist, sondern vor allem von der geistigen Grundhaltung und der Art, wie der Sport zu einem Teilelement der Lebensgestaltung wird. Unter dieser Voraussetzung ist allerdings das Engagement und der Grad der Bewährung in einigen typischen Bereichen entscheidend für jene personale Prägung, die die Fairness zu einer konstitutiven Grundeinstellung überhaupt werden läßt.

Unter diesen Voraussetzungen wäre es wichtig, den Lebensweg bedeutender Sportler zu analysieren. Es fehlt nicht an Beispielen, die zeigen, wie unmittelbar die sportlich bewährte Fairness prägend einzugehen vermag in die Lebensgestaltung. Dieser Bewährungsprozeß und seine Übertragbarkeit ist nicht an bestimmte Sportarten gebunden; wichtig ist einzig und allein der Grad existentieller Motiva-tion. Als exemplarische Beispiele wären hier Repräsentanten verschiedener Sportarten, wie Emil Zatopek, Max Schmeling, Stanley-Mathews, Jesse Owens, Gottfried von Cramm, Mary Peters, Janis Lusis, zu nennen. Zweifellos kann eine Einordnung auf Grund unterschiedlichster Motive angefochten werden, zumal sich das eine oder andere Persönlichkeitsmerkmal infragestellend herauslösen läßt.

Was mit der Nennung einiger Namen angedeutet werden sollte, ist eine Hypothese, die besagt, daß eine exemplarisch gestaltete Sportpraxis, unter der Voraussetzung bewußter Pflege der sportlichen Tugenden, die Lebenshaltung ganz entscheidend durch eine faire Grundeinstellung prägen kann. Die Klärung dieser Hypothese ist nur durch ein Forschungsprogramm möglich, das unter Nutzung empirischer Methoden — insbesondere auch der biographischen Methode im Zusammenhang mit Längsschnittuntersuchungen — eine repräsentative Population hinsichtlich des Einflusses unterschiedlicher Erfahrungen der sportlichen Laufbahn auf die Lebenshaltung und -bewährung untersucht.

Im Hinblick auf die dominante Lebenseinstellung wäre aufzuweisen, ob und in welchem Ausmaß das Verhaltensprofil unter dem Einfluß des im Sport beispielhaft erfahrenen Fair-play gewonnen wurde. Die sich daran anschließende Frage ist, ob auch bei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als Repräsentanten der Politik, der Wissenschaft, der Industrie eine bewußt erfahrene sportliche Vergangenheit das erlebte Fair-play nachwirken läßt in dem oft ganz auf Rationalität und Effizienz abgestimmten Tätigkeitsbereich.

Im Grunde handelt es sich um eine Einstellung, die die Anwaltschaft für eine gerechte Form der Lebensgestaltung übernommen hat und diese Aufgabe ohne große Worte beispielhaft zu gestalten versucht. Soweit diese Haltung klar ausgeprägt ist, findet sie ihre volle Rechtfertigung in sich selber und bedarf keiner Bestätigung von außen. Ihre größte Gefahr besteht weniger in der Notwendigkeit, daß sie sich immer erneut bewähren muß, als in der Tatsache ihrer Ungeschütztheit gegenüber dem Ausgespieltwerden von einer geschickten und cleveren Lebenseinstellung, die das partielle Verletzen der Fairness zum Unterpfand ihres Erfolgskonzepts gemacht hat.

Fairness besagt mehr als formale Korrektheit oder bloße Anständigkeit. Ein formal korrektes Verhalten, das demonstrativ genau die vorgeschriebenen Regeln innehält, kann dennoch bewußt oder unbewußt zu einer nachhaltigen Schädigung anderer führen, weil die Regeln nicht unter Wahrung berechtigter Interessen des anderen, sondern lediglich formal zum eigenen Vorteil ausgelegt werden. Fairness durchbricht durch eine offene und kooperative Form unmittelbarer Kommunikation die klug gesetzten Grenzen formaler Korrektheit; sie kann daher mit formalisierenden Argumenten leicht als Distanzlosigkeit verdächtigt werden.

Unter Berücksichtigung dieser Abgrenzungsversuche könnte der Eindruck entstehen, daß die Fairness nicht ohne weiteres mit dem diplomatischen Verhalten. oder gar mit einer politisch überzeugten Grundeinstellung vereinbar sei. Soweit unter Politik die Gestaltung kriegerischer Aktionen mit zivilen Mitteln verstanden wird, ist die Fairness in der Tat ein gefährdendes Element, das die rücksichtslose Ausschöpfung aller Möglichkeiten hemmt. Wird Politik indessen als der ernsthafte Versuch betrachtet, Konflikte im Dienst einer friedvollen Entwicklung kooperativ zu lösen, so ist nur durch eine faire Grundhaltung ein dauerhafter Erfolg zur internationalen Sicherung des Friedensgedankens zu erreichen. Ohne die verbindliche Direktive des Fair-play wird die Politik allzu leicht zu einem Mittel der Selbstdurchsetzung — sei es personal, national oder international. Soweit die Fairness andererseits nicht getragen ist von einem politischen Konzept, verliert sie an Wirkungskraft und gleitet leicht ab in die Formen des Miteinanderauskommens, die nicht Teil eines klaren Lebenskonzepts sind und kein politisches Selbstverständnis voraussetzen.

Auf Grund ihres Bedeutungsgehalts und ihrer Geltungsbreite ist die Fairness zu den Formen der einfachen Sittlichkeit zu zählen Wenn sie in dieser Hinsicht bisher keine grundsätz-liche Erhellung erfahren hat, so ist das vor allem darum bedauerlich, weil gerade die Fairness als sittliche Verhaltensweise — soweit eine Klärung ihrer inhaltlichen Anforderungen und deren personale Auswirkungen gelingt — in einer säkularisierten Welt sehr viel Anziehungskraft auf junge Menschen ausüben könnte.

Die Fairness im Rahmen eines Bildungskonzepts

Die sportliche Aktivitäten können zu einem ergänzenden Bewährungsfeld für sittliche, soziale und politische Einsichten werden, die indessen vorher angebahnt und während der Aktivierungsphase jeweils bewußt gemacht sein wollen. Daß der Sport immer wieder von verschiedenen ideologischen Positionen in zweckentfremdender Weise okkupiert wird, ist ein Anzeichen dafür, daß sein Bildungssinn noch nicht bündig genug erschlossen und sein curricularer Ort nicht in pädagogisch begründeter Form bestimmt wurde.

Erziehung und Bildung sind zu ihrem Gelingen aufeinander angewiesen. Dennoch gibt es Erscheinungsformen der Bildung ohne Erzogensein und eine Erziehung, der der krö-sende Abschluß geistiger Bildung fehlt. Im Grunde sind es Fehlformen, die gerade wegen ihrer Einseitigkeit auf die notwendige Verschränkung beider Faktoren hinweisen. Das gilt ebenso von dem bloßen Erzogensein, dessen leitende Doktrinen nicht tragend eingegangen sind in das lebendige geistige Leben der Person, sondern als äußere konventionelle Hilfskonstruktionen sichtbar bleiben, wie auch von einer rücksichtslosen Intellektualität, die ihre fachliche Souveränität im Speziellen erkauft hat durch den Verzicht auf Takt, Verbindlichkeit und Hilfsbereitschaft. Von dieser Einstellung zeugen viele Formen der Aggressivität, die im Dienste der Selbstdurchsetzung in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft täglich wahrnehmbar sind. Erziehung und Bildung lassen sich aber nicht partiell und situativ ausklinken; soweit sie echt sind, halten sie durch und bestimmen alle Lebenslagen.

In vollem Bewußtsein der Problematik des hiermit angesprochenen Fragenkreises sei die These gewagt, daß bestimmte Formen der Aggression, der Konfliktstrategie und nur partiellen Konfliktlösung auf dem Hintergrund leibeserzieherischer Defizite begünstigt werden. Eine Bildung, so lautet der zweite Teil der These, die ergänzend erprobt ist in leibes-erzieherischem Leistungserleben und sportlicher Bewährung, die daher auch kontinuierlich fortwirkende Faktoren des Selbstverständnisses bleiben, vermittelt existentiell anschaulich einen Begriff der Fairness, der vor agonaler Exzentrik in vielen Lebensbereichen schützen kann. So vermag eine ausgewogene Bildung unter Einbeziehung der sportlichen Komponente den Menschen zum Durchstehen wirklicher Krisensituationen zu befähigen. Der Grund ist allerdings in erster Linie in der größeren Gelassenheit und Standfestigkeit zu sehen, die eine konsistente Bildung vermittelt, und weniger in der erhöhten körperlichen Leistungsfähigkeit. Die sich hier stellende Frage gilt der Entwicklung einer fairen Einstellung (im oben umschriebenen Sinn) durch den Sport und der Möglichkeit ihrer Übertragbarkeit auf die weiteren Lebensbereiche. Soviel dürfte einsichtig geworden sein, daß der charakterisierte allgemeine Tugendkanon auch ohne sport-B liehe Bewährung entfaltbar ist, wenngleich es sich dann oft um erzieherische Fügungen handelt, die gegen bzw. trotz der konventionellen Erziehungsformen eintreten. Die durch die integrierende Wirkung des sportlichen Bildungsgangs erwerbbaren spezifischen Eigenschaften sind über die verläßliche und loyale Grundeinstellung hinausgehend die Bereitschaft und Fähigkeit zur kooperativ friedfertigen Lösung auftretender Konflikte. Sie werden ergänzt durch eine Spielfähigkeit und -bereitschaft, die erwirkt, daß die wichtigsten Entscheidungen und Handlungen mit einer gewissen Gelassenheit vorgenommen werden. Begeisterungsfähigkeit, die ganz eingehen läßt in das Spiel, ohne die ursprünglich menschliche Lebensfreude und das Interesse für den anderen zu mindern, sowie eine gesammelte und gefaßte Grundeinstellung hinsichtlich der Folgen und Ergebnisse sind weitere bemerkenswerte Kriterien.

Wenn diese Einstellungen und Verhaltensformen durch den Sport geweckt werden sollen, so ist es erforderlich, daß sie als Ziele der Aktivität bewußt gemacht werden und typische Situationen von Fall zu Fall eine entsprechende Analyse erfahren. Ethisch orientierte Verhaltensweisen bedürfen gerade im Sport — soweit sie sich verdichten sollen zu einer jederzeit gemeinsinnig definierbaren und beispielhaft konkretisierbaren Fairness — der situativen Erhellung, die Grundsätzliches heraushebt und paradigmatische Gestaltungsweisen beschreibt. Dieses Ergebnis läßt sich kaum durch eine zeitweilig absolvierbare Trainerstunde im Reiten, Tennis oder Schwimmen erreichen, wenngleich auf diese Weise unter günstigen Umständen wenigstens ein Sensorium für die erzieherischen Möglichkeiten des Sports geweckt werden kann. Zur Verwirklichung einer fairen Grundeinstellung ist es indessen notwendig, daß der Sport nicht nur unter dem Aspekt der Gesundheitsund Arbeitskraftförderung betrieben wird, sondern als reale erzieherische Bewährungsphase ein integrierender Bestandteil des Bildungskonzepts wird. Daß die Mannschaftsspiele dieser Zielstellung besonders entsprechen, liegt daran, daß die kooperative Einstellung Teil des taktischen Konzepts ist und daher ein Verletzen der Grundregeln des Fair-play jedes Mannschaftsglied jederzeit mittrifft.

Wie in der allgemeinen Erziehungspraxis, so sind die hypothetischen Imperative in Gestalt von Lohn und Strafe, als äußerlich regulierende Maßnahmen, auch im Rahmen der Sportpädagogik, fragwürdige Erziehungsmittel. Dennoch darf nicht verkannt werden, daß gerade die objektivierbaren Maßstäbe für das Fairplay bewußt gemacht werden müssen. Aus diesem Grunde soll auch befürwortend zu der (vielfach umstrittenen) Frage, ob die faire Grundeinstellung im sportlichen Wettkampf ausdrücklich bewertet werden soll, Stellung genommen werden. Sicherlich ist die Verleihung eines Preises für eine besonders faire Haltung darum problematisch, weil zum Grundgesetz des Fair-play gehört, daß es seinen Preis in sich trägt und daher sich selber genug sein kann. Aber andererseits geht auch eine stimulierende Wirkung von der bewußten Her-aushebung aus, die einen erfreulichen Wetteifer auslösen kann, der die hypothetischen Hilfsmaßnahmen rechtfertigt.

Unter dieser Voraussetzung erscheint es nicht nur legitim, sondern geradezu notwendig, daß in den Mannschaftsspielen unfaire Aktionen, die nicht ein Herausstellen rechtfertigen, durch Verwarnungen geahndet werden; sie sollten nach einem Punktsystem gewertet werden und im Wiederholungsfälle eine Sperre nach sich ziehen. Durch international verbindliche Absprachen müßte auf diese Weise gerade in den spektakulären Begegnungen das partielle Verletzen des Fair-play als taktische Maßnahme unterbunden werden. Nur auf diese Weise, verbunden mit einer stärker zensierenden Haltung der Öffentlichkeit, insbesondere von Seiten der Sportpresse, ist zu erreichen, daß die Gesetze der Fairness auch im Rahmen des professionalisierten Sportbetriebs zur Geltung gebracht werden. Da der Spitzensportler für breite Kreise in seinem Verhalten als beispielhaft für die Bildungs35 Wirkung des Sports betrachtet wird, muß das Fair-play gerade in diesem Kreise zur verbindlichen Maxime des Handelns werden.

Dennoch bleibt auch unter diesen Voraussetzungen die Gefahr bestehen, daß die Fairness auf den Sport und seine Aktivitäten begrenzt bleibt — so wie es aufweisbar ist von der Logik des Mathematikers, die auf die mathematischen Operationen bezogen bleiben kann und nicht zur Lebenslogik wird, oder von der weitsichtigen und folgerichtigen Strategie des Schachspielers, deren primärer Erfüllungsort das Schachbrett verkörpert, wenn sie das Ergebnis einer einseitig geförderten Spezialbegabung darstellt; sie vermag dann die Kraft zur Stiftung der entsprechenden Lebensbezüge nicht aufzubringen, weil sie ihre Bewährung zu ausschließlich in der Welt des Schachspiels findet.

Analoges gilt von der sportlichen Fairness — soweit sie nicht über den Prozeß situativer Erhellung und erzieherischer Abstützung eingeht in eine entsprechend gestaltete Lebens-perspektive. Erst wenn der Sport auf dem Fundament einer sportlichen Grundbildung als Bildungselement einmündet in den individuellen Lebensplan und integrativer Bestandteil der Daseinsgestaltung wird, können auch die Grundregeln des Fair-play hineinwirken in die verschiedenen Lebensbereiche. Was in der englischen Sporterziehung im Rahmen der Public Schools durch die Tradition gestiftet wurde, gilt es in wissenschaftlich erhärteter Form curricular zu sichern Dazu müssen in erhöhtem Maße Untersuchungen durchgeführt werden, die die Klärung des Einflusses einer fairen Einstellung sowie die Voraussetzung der Übertragbarkeit zum Ziel haben.

Die Gefahren der Emotionalisierung

Bei allen Vorbehalten gegenüber einer einseitigen Okkupation des Sports für bestimmte Zwecke und Funktionen erscheint unter dem Aspekt des sportlichen Bildungseffekts die Fairness im umschriebenen Sinne als Ergebnis sportlicher Bewährung als ein wichtiges Ziel. Sicherlich sind die Bewegungstherapie in einer den Menschen einseitig beanspruchenden Arbeitswelt, die kompensatorische Konfliktlösung in einer Gesellschaft, die Aggressionen stimuliert, aber nicht abbaut, oder die Lösung der Stress-Gefahren einer einseitigen Leistungsforderung fundamental notwendige Funktionen des Sports, die indessen — soweit sie persönlichkeitsbildend wirken sollen — zusammengehalten werden müßten von der umgreifenden Zielsetzung der Fairness als Bildungsprinzip.

Soweit die Fairness nicht zu einer ideologisierbaren Größe werden soll, muß sie begleitet werden von einer lebendigen Form der Kritik. Die Gefahr, ein Refugium für sensible Naturen zu werden, die die eigene Schwäche in der Selbstdurchsetzung umdeuten in eine unfaire Einstellung der anderen, läßt sich nur bannen durch die Bestimmung objektivierbarer Kriterien, die sich vor der Kritik und Selbstkritik auszuweisen haben. Selbstkritik als Offenlegung und Durchmusterung der eigenen Motivationsbasis und allgemeinen Lebenseinstellung ist zugleich eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung einer fairen Grundhaltung. Sie kann, frei von jeder Emotionalisierung, eine Lebenshaltung stiften, die das Verhältnis zu den Menschen und den gestellten Aufgaben redlich und gerecht gestaltet. Durch die kritische Grundeinstellung gewährt die Fairness eine gewisse Sicherung für sachgerechte Lösungen; die unerbittliche Wahrung der humanen Zusammenhänge feit zugleich vor schlechter Parteilichkeit, die sich im wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Leben so gern als getreuer Wächter der Sachlichkeit ausgibt. Die Fairness läßt sich nur in sachgerechter Aufgabenlösung verwirklichen, die aber immer in erster Linie auch menschengerecht sein wird. Fairness gebietet daher in der härtesten Auseinandersetzung ein Verfahren, das billige Siege ausschließt — soweit sie durch Verletzung der Spielregeln der Sachgerechtigkeit und Menschlichkeit errungen wurden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. The Oxford English Dictionary. Volume IV. Oxford 1933, S. 27 und 29. Die sportlich relevanten Definitionen von Fairness und Fairplay lauten hier: Fairplay: upright conduct in game; equity

  2. Vgl. hierzu den Bericht über die Verleihung des Fairness-Pokals in der englischen Liga bei Hans Lenk, Leistungssport: Ideologie oder Mythos?, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1972, S. 98.

  3. Vgl. Walter Küchler, Sportethos, München 1969, S. 148.

  4. Vgl. Hans Lenk, Werte, Ziele, Wirklichkeit der modernen olympischen Spiele, Schorndorf 19722.

  5. Vgl. die unterschiedlichen Blickweisen in den beiden Studien von Eike Jost, Die Fairness. Untersuchung ihres Ursprungs und Wesensgehalts und ihre Bestimmung als ein pädagogischer Wert-begriff, Hamburg, Phil. Diss. 1970; Benno Wisch-mann, Leistungssport — ein Mittel der Selbsterziehung. Sinn und Zweck sportlichen Hochleistungsstrebens und die Idee der Fairness, Berlin 1971.

  6. Vgl. Hermann Röhrs, Erziehung zum Frieden, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1971.

  7. Otto Friedrich Bollnow, Einfache Sittlichkeit, Göttingen 1947.

  8. Einer der wenigen Versuche, im Rahmen der Schule einen ergänzenden und ausgleichenden Lehrgang für die geistige Bildung zu entwickeln, ist das Konzept von Kurt Hahn, das daher auch in England große Resonanz fand. Vgl. hierzu Hermann Röhrs (Hrsg.), Kurt Hahn. A Life span in Education and Politics. Preface by H. R. H. The Duke of Edinburgh, London 1970.

Weitere Inhalte

Hermann R ö h r s , Dr. phil., geb. 1915 in Hamburg, Professor für Erziehungswissenschaft und Direktor des Erziehungswissenschaftlichen Seminars der Universität Heidelberg sowie der Forschungsstelle für Vergleichende Erziehungswissenschaft; Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Sportbundes und des Sportwissenschaftlichen Kuratoriums. Buchveröffentlichungen: Jean-Jacgues Rousseau. Vision und Wirklichkeit, Heidelberg 1966 2; Schule und Bildung im internationalen Gespräch, Frankfurt/M. 1966; Die Schule und ihre Reform in der gegenwärtigen Gesellschaft, Heidelberg 1967 2; Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Stuttgart 1971 2; Afrika — Bildungsprobleme eines Kontinents, Stuttgart 1970; Friedenspädagogik, Frankfurt/M. 1970; Integrierte Gesamtschule und Comprehensive School (Mitverfasser), Braunschweig 1972 2; Modelle der Schul-und Erziehungsforschung in den USA, Frankfurt/M. 1972; Allgemeine'Erziehungswissenschaft, Weinheim, Berlin, Basel 1973 3.