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Vom Vielparteiensystem zur Blockbildung. Das französische Parteiensystem | APuZ 9/1973 | bpb.de

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APuZ 9/1973 Vom Vielparteiensystem zur Blockbildung. Das französische Parteiensystem Das Splitting — ein wahltaktisches Medium der Liberalen?

Vom Vielparteiensystem zur Blockbildung. Das französische Parteiensystem

Udo Kempf

/ 49 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die im März 1973 in Frankreich stattfindenden Wahlen gewinnen nicht allein durch die ungewissen Siegeschancen der heutigen Mehrheit besonderes Interesse, sondern vor allem durch die sich zum erstenmal so eindeutig manifestierte Polarisation in zwei Blöcke: eine Mitte-Rechts-und eine Linksunion. Diese Konzentration des französischen Parteien-systems ist eine der interessantesten Entwicklungen der V. Republik. Ermöglicht wurde diese Änderung der politischen Landschaft einmal durch den Rückgriff auf die absolute Mehrheitswahl und zum anderen durch die Schaffung der gaullistischen Partei U. D. R., der es zum erstenmal in der französischen Geschichte gelang, die absolute Mehrheit zu erringen und 14 Jahre lang ununterbrochen den Premierminister aus ihren Reihen zu stellen. Frankreichs Linke hatte diesem Konzentrationsprozeß im bürgerlichen Lager zunächst nichts Gleichwertiges gegenüberzustellen. Erst die Präsidentschaftswahl von 1965 überwand die seit den vierziger Jahren bestehende Abneigung zwischen Sozialisten und Kommunisten und ermöglichte die Kandidatur des gemeinsamen Links-Kandidaten Francois Mitterand. Nach Erfolgen bei den Nationalwahlen 1967 mußte die Linke auf Grund der Mai-Unruhen und der Streiks ein Jahr später empfindliche Verluste hinnehmen. Jedoch förderte diese Wahlniederlage bei den Linksparteien und bei den mit ihnen sympathisierenden Gewerkschaften die Einsicht, daß nur ein festes Bündnis zwischen allen Formationen der klassischen französischen Linken eine echte Alternative zu den Gaullisten bietet. Die Gaullisten, bisher stete Förderer einer solchen Konzentrationsbewegung, die den Franzosen nur die Wahl zwischen einer kommunistischen oder gaullistischen Regierung erlauben sollte, stehen der nun unter Mitterand eingetretenen Entwicklung ziemlich ratlos gegenüber; sie hoffen einerseits auf die noch immer unbestreitbare Autorität und das Prestige des verfassungsrechtlich neutralen Staatspräsidenten, der realiter aber der wirkliche Führer der U. D. R. ist, und andererseits auf eine Koalition (und damit Integration) der Reformateurs, deren Ziel, eine „dritte Kraft" zwischen den beiden Blöcken zu schaffen, vorerst zumindest illusorisch bleiben dürfte.

Einleitung

Michael Harscheidt Das Splitting — ein wahltaktisches Medium der Liberalen? S. 27

Eine Analyse des französischen Parteiensystems muß kurz vor den Wahlen zur Nationalversammlung den für die heutige Entwicklung so fundamentalen Ausspruch des langjährigen Kulturministers und engsten Gefährten de Gaulles, Andre Malraux, „zwischen uns (den Gaullisten) und den Kommunisten wird der französische Wähler bald ein Nichts vorfinden" einbeziehen, um der innerhalb von 14 Jahren erfolgten Wandlung des Parteien-systems gerecht zu werden.

Zwar haben die bisherigen vier Wahlen Malraux' düstere Prophezeiung nur zum Teil bestätigt, andererseits zeigen aber die Ereignisse der letzten Monate seit Veröffentlichung des gemeinsamen Programms der P. C. F. und der Sozialisten eine unabwendbare Entwicklung vom Vielparteiensystem der dritten und vierten Republik zu einem auf zwei Blöcke polarisierten Gefüge, das sich um die Gunst der Wähler bemüht. In den Wahlen vom Juni 1968 vereinigten die drei größten Parteien 80 % der abgegebenen Stimmen auf sich, während die drei restlichen, unter ihnen Frankreichs älteste Partei, die 1901 gegründeten Radikalsozialisten, nur minimale Prozentsätze erringen konnten. Vergleicht man diese Zahlen mit Ergebnissen der IV. Republik, so zeigen sie am besten den eingetretenen Wandel: 1956 fielen auf die drei größten Formationen nur 50 °/o der Stimmen; sechs oder — je nach Klassifizierung — neun Gruppierungen mußten die übrigen Stimmen unter sich aufteilen.

Diese Polarisierung, die seit dem Ende des Algerienkrieges 1962 die gesamte Parteien-konstellation erfaßt hat und sich nicht nur auf die „neuen bzw. jungen" Parteien der Regierungskoalition, sondern auch auf die vier traditionellen Parteien erstreckt, kennzeichnet das heutige Parteiensystem Frankreichs. Unlösbar verbunden mit dieser Entwicklung ist neben der Verschiebung des traditionellen Gleichgewichts zwischen Legislative und Exekutive, das sich in der III. und IV. Republik immer eindeutig zugunsten des Parlaments neigte, in der V. Republik aber durch Hinzu-fügung einer dritten Komponente, des omnipotenten Staatspräsidenten ein Übergewicht der Exekutive schuf, der Rückgriff auf das romanische Mehrheitswahlsystem 3a). Wäre in der heutigen Republik weiterhin nach der seit 1945 gebräuchlichen Verhältniswahl abgestimmt worden, hätte sich eine völlig andere Sitzverteilung ergeben. Hinzu tritt eine Umwälzung der sozio-ökonomischen Struktur, die sich am deutlichsten in der Abnahme der in der Landwirtschaft Tätigen (von 27, 5% [1954] auf 15, 3% [1968]) und in der Bildung neuer großer Industriezentren in Savoyen (Grenoble), der Bretagne (Le Mans) und des Südwestens (Bordeaux, Lacq) zeigt.

Die wahlgeographische Bedeutung dieser Veränderungen äußert sich vor allem in einer Verschiebung der traditionellen Hochburgen: Wählten in der IV. Republik die Industriegebiete in der Regel sozialistisch, die ländlichen Regionen konservativ, so erzielten die Gaullisten in den letzten Jahren vor allem auf Kosten der Sozialisten und auch Kommunisten in den aufstrebenden neuen Industriezentren und in Paris enorme Stimmgewinne, während die ländlichen Zonen südlich der Loire überdurchschnittlich viele Abgeordnete der „Linken" ins Palais Bourbon entsandten.

All diese Komponenten haben dazu beigetra gen, das zersplitterte Parteiengefüge der Vor und Nachkriegszeit auf einige wenige zu re duzieren und gleichzeitig eine „Umerziehung'

des Wählers zu bewirken, der nach den vor liegenden Analysen nicht mehr bereit zu seir scheint, Splitterparteien oder ausgesprochenen Protestparteien (wie den Poujadisten ode Rechtsextremisten) seine Stimme zu geben sondern sich für einen der zwei (oder drei) in sich verhältnismäßig heterogenen Blöcke entscheidet. Daß dieses Wählerverhalten durch die dominierende Person General de Gaulles entscheidend beeinflußt wurde, braucht nicht ausdrücklich hervorgehoben zu werden, denn ein positives oder negatives Votum für den Staatspräsidenten — ob in einem Referendum oder in der Präsidentschaftswahl — band die Wähler in der Regel auch an die Parteien, die seine Politik in der Nationalversammlung gut-hießen oder ablehnten.

Die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien

Abkürzungsverzeichnis

Der Begriff „Partei“ blieb in den französischen Verfassungen im Gegensatz zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland weitgehend unberücksichtigt; auch ein Parteiengesetz besteht nicht. Zu Beginn der IV. Republik beabsichtigten die S. F. I. O. und das M. R. P., ein Parteienstatut verabschieden zu lassen, das die Rolle der Parteien im Staat, ihre innerparteiliche Demokratie und Offenlegung der Finanzen beinhalten sollte. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an der mangelnden Zustimmung der übrigen Parteien, die sich einerseits gegen ein Aufdecken ihrer finanziellen Zuwendungen (so die Konservativen und die Radikalsozialisten) und andererseits gegen eine Kodifizierung der „innerparteilichen Demokratie" (so die Kommunisten) wandten. Diese „unheilvolle" Allianz brachte somit den Vorschlag zu Fall und verhinderte dadurch auch eine Aufnahme eines entsprechenden Artikels in die Verfassung.

Auch der damalige Ministerpräsident Charles de Gaulle sprach sich gegen ein solches Statut aus und gab kurz nach seinem Rücktritt

in der berühmten Rede von Bayeux, ohne die die Verfassung und auch die Verfassungswirklichkeit der V. Republik nicht verstanden werden kann, seinem Widerwillen gegen die Parteien Ausdruck: „Die (gegenwärtige Welt-) Lage läßt nicht zu, daß wir in unsere eigenen politischen Kämpfe einen Faktor leidenschaftlicher Unruhe hineinbringen. Kurz, die Rivalität der Parteien ist bei uns grundsätzlicher Natur; sie stellt immer alles in Frage, und sie verliert nur allzuoft die höheren Interessen des Landes aus den Augen . . . Abei für die Zukunft unseres Landes und der Demokratie ist es unerläßlich, daß unsere Institutionen dieser Tatsache Rechnung tragen, indem sie . .. das Prestige und die Autorität des Staates erhalten, um so zu erreichen, daß die Gesetze Kredit und die Regierungen Kohäsion besitzen

De Gaulle sah vor allem in den ständigen Kabinettskrisen ein Versagen der politischen Parteien, das schließlich in der Kapitulation vor der deutschen Wehrmacht und der Errichtung einer autokratischen Herrschaft durch Marschall Petain mündete. Für ihn bestand die einzige Lösung, den Staat vor ewigen Parteiquerelen zu schützen, in der Schaffung eines von den Parteien unabhängigen Staats-präsidenten, „aus dem exekutive Gewalt hervorgehen muß" und der als „Schiedsrichter über allen politischen Schwankungen steht".

Paradoxerweise enthält jedoch als erste die Verfassung von 1958 einen Hinweis auf die politischen Parteien: „Die Parteien und politischen Gruppen wirken bei den Wahlentscheidungen mit; ihre Bildung und die Ausübung ihrer Tätigkeit erfolgen frei. Sie haben die Grundsätze der nationalen Souveränität und der Demokratie zu beachten" (Art. 4). Es lag wohl in der Absicht der Verfassungsväter, auf diese Weise die Rechte der Parteien eher einzuschränken als auszuweiten und ihnen ein beschränktes Betätigungsfeld zuzuweisen und zu garantieren, ohne ihnen damit in irgendeiner Weise eine Monopolstellung verschaffen zu wollen Dies wird vor allem im Wahlgesetz von 1964 deutlich, daß den Parteien keinerlei Mitwirkung bei der Kandidatennominierung überträgt. Wahlvorschläge können nur von den Kandidaten selbst eingereicht werden (Art. L. 154), wobei es gleich-

Abkürzungsverzeichnis R. P. F. Rassemblement du Peuple Franais U. N. R. Union pour la Nouvelle Republique U. D. R. Union des Democrates pour la Republique R. I. Republicains Independants C. N. I. P. Centre National des Independants et Paysans M. R. P. Mouvement Republicain Populaire P. D. M. Progres et Democratie Moderne C. D. P. Centre Democratie et Progres S. F. I. O. Section Franaise de l'Internationale Ouvriere F. G. D. S.

Federation de la Gauche Democrate et Socialiste P. S. Parti Socialiste P. S. U. Parti Socialiste Unifie P. C. F.

Parti Communiste Franais C. G. T. Confederation Generale du Travail C. F. D. T.

Confederation Franaise Dmocratique du Travail gültig ist, ob sie Parteimitglieder sind oder nicht.

Trotz dieser rechtlichen Bestimmung fällt den Parteien die entscheidende Rolle bei der Investitur zu, weil fast alle Bewerber erst nach Aufstellung durch eine Partei ihre Kandidatur erklären. Formell handelt es sich also um eine selbständige Bewerbung des Kandidaten, die materiell jedoch ein Wahlvorgang seiner Partei ist

Die Regierungsparteien

Tabelle 1:

a) Die Union des Democrates pour la Rpublique (U. D. R.)

a War es in der IV. Republik weder einer Rechts-noch Linkspartei gelungen, bei den Wahlen eine arbeitsfähige Mehrheit zu errin-gen, änderte sich die für die Nachkriegsrepublik so verhängnisvolle Konstellation grundlegend durch das gleichzeitig mit der neuen Verfassung verabschiedete Wahlgesetz, der Übernahme des Präsidentenamtes durch Gegebunden, sondern kann die Nominierungen autokratisch vornehmen. Vgl. hierzu Udo Kempf, Mechanismen einer zentralen Steuerung der -Kan didatenaufstellung in der gaullistischen UNR. Eine Fallstudie anhand der Wahlen zur Nationalversammlung 1967 und 1968, in: Zeitschrift für Politik, 19. Jg„ H. 4, 1972, S. 365 ff. neral de Gaulle und der Gründung der gaullistischen Partei U. D. R.

Diese Partei, die sich unmittelbar nach de Gaulles Rückkehr an die Macht in erstaunlicher Kürze konstituierte kann als die einzig „neue" Parteigründung der V. Republik angesehen werden, die sich vor allem durch ihren — für französische Verhältnisse — erstaunlich langanhaltenden Erfolg auszeichnet und bisher erfolgreicher der tragende Pfeiler einer Regierungskoalition gewesen ist als irgendeine andere Formation in der französischen Geschichte.

Als sie wenige Wochen nach ihrer Gründung im ersten Wahlgang über 20 0/0 der Stimmen und ca. 40% der Sitze in der Nationalversammlung errang, profitierte sie einmal von den Stimmen der Wechselwähler, die in den vergangenen Wahlen für andere Ad-hoc-Parteien (z. B. die Poujadisten) gestimmt hatten, diese Formationen jedoch jeweils nur einmal unterstützten; zum anderen verhalf die damals unbestreitbare Autorität des Generals seinen in der U. D. R. zusammengeschlossenen Anhängern zu einem „Schwalbenschwanz“ -Effekt, denn die Wähler, die kurz zuvor de Gaulles Referendum unterstützt hatten, sahen keinen Grund, seiner Partei ihre Zustimmung zu verweigern. (Daß diese Entwicklung maßgeblich durch die Mehrheitswahl ermöglicht wurde, wird an anderer Stelle eingehender erörtert.) Von nun an konnte die U. D. R. in jeder Parlamentswahl ihren Stimmenanteil weiter aus-bauen (siehe Tabelle 1), bis sie und ihre Koalitionspartner (Unabhängige Republikaner und einige Zentrumskanditaten) 1968 46% der abgegebenen Stimmen bzw. 36 % der Wahlberechtigten auf sich vereinigen konnten — ein Erfolg, den keine französische Partei jemals erreichte.

Für diese Entwicklung ist die soziale Schichtung und regionale Verteilung der gaullistischen Stimmen in den diversen Wahlen höchst aufschlußreich: Zunächst auf die traditionell konservativ wählenden Regionen des Nordostens und -Westens beschränkt, konnte die Partei bei den folgenden Wahlen vor allem Stimmgewinne südlich der Loire und im Südosten erzielen und die dortigen Hochburgen der Linken erheblich dezimieren. Eroberte sie in den ersten Parlamentswahlen hauptsächlich die Mandate etlicher städtischer Wahlgebiete, die stärker vom sozialen Aufschwung der späten fünfziger Jahre profitiert hatten, gelang es der U. D. R. in der Folgezeit, auch in industriell unterentwickelten Zonen beträchtliche Gewinne zu erzielen. Da die Zahl der Stimmenthaltungen in den einzelnen Wahlen sehr schwankt, ist es äußerst schwierig festzustellen, wie viele Stimmen die Gaullisten den Linksparteien abnehmen konnten; Ehrmanns Angaben von ca. 15 % aller für die U. D. R. abgegebenen Stimmzettel bestätigen diese Vermutungen wohl am besten

Die meisten gaullistischen Wähler stammen aus dem städtischen oder ländlichen Mittelstand; im Mai 1968 jedoch votierten unter den Ereignissen des Streiks und der Studentenunruhen zum erstenmal mehr Arbeiter und Rentner für die gaullistischen Kandidaten als für die kommunistischen und sozialistischen

Ob für diese Entwicklung die mittlerweile seit 1967 eingeleiteten sozialen Maßnahmen mitentscheidend waren, ist fraglich; vielmehr ist dieser in der französischen Parlamentsgeschichte einmalige Erfolg neben den genann-ten noch weiteren Motiven zuzuschreiben: der Angst vor dem totalen Chaos und der noch immer vorhandenen Autorität des Generals, die auch seiner Partei zugute kommen mußte.

De Gaulle hat sich nie als Parteivorsitzender der U. D. R. betrachtet. Im Gegenteil: 1958 verbot er sogar der neugegründeten Partei, seinen Namen auch nur als Adjektiv zu benutzen. Seine Aversion gegen alle politischen Parteien wurde durch das Debakel des Rassemblement du Peuple Franais (R. P. F.) noch verstärkt, das er 1947 gegründet hatte, um die Institutionen der IV. Republik anzugreifen. Nach ihren ersten Erfolgen bei Kommunalwahlen und den Parlamentswahlen von 1951 zerstritt sich die Parteiführung jedoch über eine Beteiligung am Kabinett Pinay, und es gelang de Gaulle nicht, seine Anhänger von der Übernahme einiger Ministersessel abzuhalten. Kurz danach erlitt das R. P. F. empfindliche Niederlagen bei einigen Kommunalwahlen und verschwand bei den letzten Parlamentswahlen der IV. Republik 1956 völlig von der Bildfläche. Als es 1958 nach dem Machtwechsel erforderlich wurde, gaullistisches Gedankengut auch im Parlament zu vertreten, gründeten die engsten Mitarbeiter des Generals aus der Zeit der Resistance und des R. P. F. die neue Partei, die sich völlig mit de Gaulles innen-und außenpolitischen Ideen identifizierte, was zu ihren Wahlsiegen 1958 und 1962 führte.

Um eine Wiederholung des Zerfalls der neuen gaullistischen Partei zu vermeiden, bedurfte es vor allem einer strikt eingehaltenen Disziplin bei ihren Parlamentsabgeordneten. Dies führte zu Beginn der sechziger Jahre zu einem heftigen Eklat zwischen der Parteiführung und einigen der engsten Mitarbeiter des Generals in der Nachkriegszeit, die sich der Algerienpolitik der Regierung widersetzten, und endete mit deren Parteiausschluß. Ihr anschließender Versuch, als Unabhängige zu kandidieren, schlug völlig fehl und entmutigte in der Folgezeit sämtliche Sezessionsabsichten gaullistischer Abgeordneter.

Diskussionen über die Parteiprogramme oder ideologische Fragen wurden nur sehr selten zwischen der relativ kleinen Parteispitze und den unteren Ebenen geführt. Auf Grund der in den Gründerjahren erfolgten völligen Personalisierung der Partei mit dem Staatspräsidenten wurde dessen Konzept von der „grandeur" Frankreichs zum Leitmotiv der gaullistischen Bewegung; es erlaubte der Partei immer, darüber zu entscheiden, welchen Weg man einschlagen wollte, wenn politische Alternativen auftauchten. Zwar ist de Gaulles Konzept von „grandeur" als antiquiert und für die heutigen internationalen Beziehungen als hinderlich klassifiziert worden, jedoch wird hierbei nur zu oft übersehen, daß die „grandeur" fast ausschließlich der Innenpolitik diente: dazu bestimmt, den Stolz und den Glauben an Frankreichs politische Macht zu erhöhen, nützte sie dem Staatspräsidenten vor allem als ideologisches Mittel gegen Zwietracht und Uneinigkeit im eigenen Lager. Nachdem die III. Republik 1940 so unwürdig zusammengebrochen war und die IV. Europas „kranken Mann" symbolisierte, betrachtete es de Gaulle als vordringliche Aufgabe, das Selbstbewußtsein der Franzosen zu heben — notfalls mit Hilfe eines exaltierten Nationalismus, der nicht zu Unrecht die Nachbarländer schockierte. Der überwältigenden Masse der Franzosen — gleich welcher Partei — schmeichelten seine Aufrufe und Ermahnungen und waren für die Mehrheit der gaullistischen Wähler bei den ersten beiden Parlamentswahlen Anlaß genug, für die U. D. R. zu votieren.

In den Anfangsjahren war General de Gaulle praktisch ihr eigentlicher Parteivorsitzender, obwohl es formell nie ein solches Amt gegeben hat und die Führungsgruppe um den engen Vertrauten (und späteren heftigsten Widersacher) de Gaulles, Jacques Soustelle, sich erst nach langen Diskussionen mit einem Pseudo-Vorsitzenden, dem Generalsekretär, zufriedengab. Dieser muß allerdings das absolute Vertrauen des Staatspräsidenten besitzen, um als notwendiges Koordinationsorgan zwischen Elysee-Palast und dem Sitz der Parteileitung in der Rue de Lille fungieren zu können.

Auch der seit 1969 amtierende Staatspräsident Georges Pompidou hat allen Bestrebungen, auf dem letzten Parteitag der U. D. R. in Straßburg einen Parteivorsitzenden zu wählen, energisch widersprochen und in einem Brief an die Delegierten — so wurde zumindest nach außen seiner durch die Verfassung implizierten Neutralität Rechnung getragen — darauf hingewiesen, daß die U. D. R. eine „Bewegung" (mouvement) und keine „Partei" (parti) wie die übrigen darstellt; ihre Aufgabe bestehe in der bedingungslosen Unterstützung des Staatspräsidenten, da dieser ihr einziger „inspirateur" ist, während der Premierminister nur ihr „animateur", der Generalsekretär ausschließlich ihr „organisateur" ist

Eine solche Hierarchie läßt dem Staatschef bei der Auswahl seines Premierministers völlig freie Hand und erlaubt es ihm, diesen — wie der Wechsel von Jacques Chaban-Delmas zu Pierre Messmer verdeutlicht — den politischen Umständen entsprechend auszuwechseln, ohne gleichzeitig die Organisation seiner Partei zu beeinträchtigen; außerdem wird durch diese Regelung das Amt des Premierministers nicht automatisch zum Erbhof einer einzigen Partei innerhalb der Regierungskoalition. Das ermöglichte es de Gaulle bis zu seiner Wiederwahl 1965, alle Versuche seiner Parteifreunde zu unterdrücken, die Bewegung zu einer modern strukturierten und geführten Partei der Mitte zu entwickeln; für ihn war die U. D. R. nicht mehr als ein notwendiges Übel, das er für die Unterstützung seiner politischen Ziele im Parlament benötigte. Die höheren Stufen der Parteihierarchie waren ausnahmslos mit einer Oligarchie besetzt, deren Mitglieder seit etlichen Jahren zu de Gaulles engerem und engsten Freundeskreis aus den Tagen des „freien Frankreich", der unmittelbaren Nachkriegszeit oder der R. P. F. -Episode zählten

Dadurch scharten sich Mitarbeiter verschiedenster politischer Richtungen — von der äußersten Linken wie Andre Malraux, Rene Capitant und der Schriftsteller David Rousset bis zur extremen Rechten — um den General. Sie schufen mit der neuen Partei ein recht heterogenes Gebilde, denn die Beziehungen, die sie untereinander verbanden, bestanden anfangs hauptsächlich in ihrer persönlichen Loyalität gegenüber dem General, dem sie bis auf die unerbittlichen Streiter für ein Algerie Francaise unentwegt ihre Treue bekundeten und dadurch den Grundstein für den Nachgaullismus legten, der sich nun nicht mehr auf die Person des Generals, sondern ausschließlich auf die von ihm geprägte Partei stützen kann. Dieser Wandel ist vor allem das Verdienst des zweiten Premierministers und heutigen Staatspräsidenten, Georges Pompidou, der zu Beginn seiner Karriere keinerlei „gaullistische Tradition" aufzuweisen hatte. Er leitete nach den für de Gaulle enttäuschenden Präsidentschaftswählen von 1965 die zweite Phase der U. D. R. ein, indem er aus dieser Abstimmung Konsequenzen zog, um ein sich abzeichnendes Debakel bei den im Frühjahr 1967 stattfindenden Wahlen zu verhindern: Er sah ein Fortbestehen der U. D. R. nach einem voraussehbaren Abschied des Generals von der Politik ausschließlich in einer besser organisierten Partei, die fähig ist, diesen Wechsel im höchsten Amt der Republik zu überstehen und somit ein überleben des Gaullismus ohne de Gaulle zu gewährleisten.

Bis zu den März-Wahlen 1967 war die U. D. R. hauptsächlich auf einen Ministerkreis und eine Parlamentsgruppe reduziert; es mangelte ihr vor allem auf den unteren Ebenen an verantwortungsbewußten Funktionären, die in den Regionen und Departements die Politik der Führungsgruppe wirkungsvoll unterstützten. Die außerordentlich knappe Mehrheit der Regierungskoalition von einer Stimme nach den Parlamentswahlen 1967 verdeutlichte die Notwendigkeit einer längst überfälligen Transformation. Da sich der Premierminister unter Mitarbeit Robert Poujades dieser Aufgabe besonders intensiv widmete, konnte es nicht ausbleiben, daß er allmählich zum Führer der gaullistischen Bewegung arrivierte.

In den folgenden Wochen vollzog sich — außerhalb des normalen Weges einer Reform der Parteisatzung — eine tiefgreifende Umstrukturierung der Organisation, die später dem Parteitag in Lille zur Bestätigung vorgelegt wurde: Der seit 1962 amtierende Generalsekretär Jacques Baumel wurde durch fünf „nationale Sekretäre" ersetzt die sich jede Woche in Anwesenheit Roger Freys, Minister für die Beziehungen zum Parlament, und der Präsidenten der beiden gaullistischen Gruppen in der Nationalversammlung und im Senat unter dem Vorsitz Pompidous versammelten. Alle vierzehn Tage traf sich das Gremium außerdem mit dem neugeschaffenen, 26 Mitglieder zählenden Exekutivbüro. Ziel der neuen Organisationform war, der Partei einen direkten und regelmäßigen Zugang zum Premierminister zu ermöglichen und sie gleichzeitig aus der bisher geübten absoluten Personifizierung mit dem Staatspräsidenten zu lösen; sie sollte sich also den Wählern als eigenständige Institution und als Sammlungsbewegung der Mitte und der Rechten präsentieren. Außerdem gab diese Taktik dem Premierminister eine Einflußmöglichkeit auf die Partei, wie er sie bisher noch nicht ausgeübt hatte.

Das für eine moderne Partei entworfene Organisationskonzept stieß auf dem Parteitag in Lille (24. -26. 11. 1967) zunächst bei den orthodoxen Gaullisten auf Ablehnung, da sie ihren Einfluß geschmälert sahen. Gleichzeitig wurde zum erstenmal in der Geschichte der Partei die Forderung nach mehr innerparteilicher Demokratie (in allen französischen Parteien außer der sozialistischen ein kaum bekanntes Postulat) laut: Man verlangte die sofortige und unmittelbare Wahl des Generalsekretärs durch den Patteikonvent; erst nach heftigen Debatten wurde der Antrag wieder zurückgezogen, und man billigte den Kompromiß, den Generalsekretär vom Zentralkomitee wählen zu lassen.

Die in Lille beschlossenen wichtigsten Neuerungen waren: a) das Bureau executif, das vom Zentralkomitee gewählt wird und dessen 28 Mitglieder (nur neun, u. a.der Premier und ein Minister, gehören ihm ex officio an) die alte Commission politique ersetzten, die auf Grund der zahlreichen ex officio-Mitglied-schäften weder repräsentativ noch aktiv war; b) die Neustrukturierung der Partei auf unterer Ebene, denn nun bildet nicht mehr das Departement, sondern der den Parteimitgliedern stärker verbundene Wahlkreis die neue Organisationsbasis. Gleichzeitig konstituierte sich die U. D. R. auf der Ebene der 21 Regionen und warb dort mit Schulungs-und Informationskursen; so konnte sie die Mitgliederzahl innerhalb von 10 Jahren von 80 000 auf ca. 180 000 steigern — eine für französische Verhältnisse beachtliche Zahl; c) Schaffung eines leistungsfähigen Mitarbeiterstabes für den Generalsekretär, der anstelle der bisherigen autoritär geführten Verwaltung die U. D. R. durch Teamwork effektiver gestalten und vor allem die Beziehungen zu den außer-parlamentarischen gaullistischen Gruppen pflegen sollte.

Dieser im November 1967 eingeleitete Wandel der U. D. R. wird vielleicht an einigen äußeren Zeichen besonders deutlich: dominierten auf den bisherigen Emblemen und Plakaten der Partei vor allem das Portrait de Gaulles und das Lothringer Kreuz, so sind diese Symbole bis auf die Trikolore völlig verschwunden. Seit diesem Parteitag „nahm die U. D. R. mehr und mehr die Charakteristika einer sogenannten modernen , Allerwelts-Partei'an. Für Parteien dieser Art besteht das vordringlichste Ziel in einer möglichst großen Wählerschaft und einem unmittelbaren Wahlerfolg" umreißt Ehrmann treffend diese Entwicklung. Wie erfolgreich die Taktik der gaullistischen Parteiführung war, nach den durch die Person de Gaulles bedingten Anfangserfolgen der Partei neue Wählerschichten zuzuführen, die weniger dem General als seiner Bewegung ihre Stimme geben, verdeutlicht Tabelle 2: Mit jeder Wahl hat sich die Schere zwischen dem Gaullismus de Gaulles und dem seiner Partei immer mehr geschlossen. Die Wahlen im Juni 1968 waren ein eindeutiger Triumph des Premierminister und nicht des Staatspräsidenten, der Pompidou anschließend durch seinen farblosen Außenminister Couve de Murville ersetzte.

Pompidous Sieg verdeutlicht auch, warum de Gaulle knapp ein Jahr später seine Popularität und Autorität durch ein Referendum über die Regionalisierung unter Beweis stellen wollte. Aber die ewige Warnung vor einem drohenden Chaos bei seinem möglichen Rücktritt verfing dieses Mal bei der Wählerschaft nicht mehr, da sich Pompidou als Ersatz für die Übernahme des Präsidentenamtes empfohlen hatte

Somit beginnt die dritte Phase der U. D. R. mit dem Wechsel an der Spitze des Staates. Seit dem Rücktritt de Gaulles sah sich die Partei Schwierigkeiten gegenüber, die auch andere vergleichbaren Parteien bei einem Führungswechsel zu durchstehen haben; in diesem besonderen Fall lagen die Kontinuitäts-Schwierigkeiten aber vor allem in den historischen Ursprüngen der U. D. R. De Gaulle, der zwar ein Band gemeinsamer Loyalität für seine ziemlich unterschiedliche Gefolgschaft geschaffen hatte, besaß jedoch nie (hatte es auch immer strikt abgelehnt) eine so dominierende Position in der Partei wie z. B. Adenauer bei der CDU oder Disraeli bei den britischen Konservativen. Folglich können Führungswechsel oder wie in diesem Fall Führungskrisen in den sogenannten „Allerweltsparteien" zu zwei Erscheinungsformen führen: Entweder brechen sie auseinander und ihre diversen Flügel bilden notfalls noch eine lockere Fraktionsgemeinschaft, oder es gelingt der Führungsgruppe, die Partei trotz der vorhandenen Schwierigkeiten zusammenzuhalten und ihr somit die dominierende Funktion innerhalb der Regierungskoalition zu bewahren. Es ist Ehrmann zuzustimmen, wenn er diese Entwicklung mit der bei den italienischen Christdemokraten und teilweise mit der bei den amerikanischen Parteien vergleicht. „In der Vergangenheit hatten die französischen Konservativen nie eine solche Wahl, da sie nie über die (zur Regierungsbildung notwendige) Mehrheit verfügten und deshalb wenig Grund sahen, die Überzeugung (oder die Karriere) des einzelnen Politikers auf dem Altar der Parteidisziplin zu opfern."

Aus den genannten Gründen hielten sich die von etlichen Beobachtern erwarteten (und erhofften) Differenzen zwischen de Gaulles Epigonen in Grenzen, ohne jedoch von Staats-präsident Pompidou unterschätzt zu werden. Zwei Flügel formierten sich innerhalb der U. D. R. und beriefen sich mit ihren Aktionen immer wieder auf die Lehren des nach Colombey-les-deux-Eglises retirierten Generals: Die „Getreuesten der Getreuen" sammelten sich um den Abgeordneten (und jetzigen Postminister) Hubert Germain und gründeten die „Action et Presence du Gaullisme", eine Vereinigung, die die wahren Ideale und die unverfälschte Politik des Generals (was immer sie auch darunter verstehen mögen) gegenüber den neuen, liberalen Männern um Jacques Chaban-Delmas gewahrt wissen wollte. Diese orthodoxe Gruppe konnte de Gaulles Niederlage im April 1969 nicht verwinden und machte Pompidou den Vorwurf, mit seiner Rede in Rom den Staatspräsidenten verraten zu haben. Einer ihrer Wortführer, der jetzige Armeeminister und erste Premier der V. Republik, Michel Debre, wandte sich mehrfach gegen die von Pompidou und Chaban-Delmas seit Juni 1969 eingeleitete Öffnung zu den Zentristen hin und warnte vor allem gegen eine den Vorstellungen de Gaulles zuwiderlaufende Integration Europas.

Gelang es Staatspräsident Pompidou und seinem äußerst fähigen Premier zunächst, solche Aktionen unbeachtet zu lassen und die längst überfälligen Operationen am de Gaulleschen Erbe (Franc-Abwertung, Erweiterung der EWG) vorzunehmen, mußte der Nachfolger kurz vor der kommenden Wahl dem Druck der Orthodoxen nachgeben und seinen liberalen, mehr an Kooperation mit Unternehmern und Gewerkschaften als an einem intensiven Kontakt mit den Parlamentariern interessierten Chaban-Delmas fallenlassen, um ihn durch den farblosen, aber streng orthodoxen Gralshüter des Gaullismus, Pierre Messmer, zu ersetzen. Wandte sich auch die Fronde innerhalb der gaullistischen Partei zunächst weniger gegen den Premier, der noch kurz vor seiner Entlassung einen Mißtrauensantrag der Opposition glänzend pariert hatte, so richtete sich das Mißtrauen der gaullistischen Parlamentsfraktion vor allem gegen den Mitarbeiterstab Chabans, der zum größten Teil aus Männern ohne gaullistische Tradition beB stand Als dann im April 1972 das Referendum über die Erweiterung der EWG nur eine Wahlbeteiligung von 60, 4% zeigte und die Gefahr der Abwanderung der bisherigen gaullistischen Wähler nicht ausgeschlossen werden konnte, entschloß sich Pompidou zu dem genannten Kabinettsrevirement, um vor allem die konservativen orthodoxen Kräfte des Gaullismus wieder stärker an sich zu binden.

Aber nicht nur dieser Flügel gewann an Einfluß, sondern auch die „Linksgaullisten", die 1962 mit ihrer selbständigen Fraktion, der Union Democratique du Travail, in der U. D. R. aufgingen und anschließend zur Bedeutungslosigkeit herabsanken. Besonders in diesem Flügel befanden sich die wenigen gaullistischen Nonkonformisten; zwar sind die meisten von ihnen entweder verstorben wie Rene Capitant oder sitzen wie der Vater der „Participation" (s. u.), Louis Vallon, als Unabhängige in der Nationalversammlung; ihr brillantester Sprecher jedoch, der frühere Erziehungsminister Edgar Faure (ihm gelang die Hochschulreform), wurde mit dem Arbeits-und Sozialministerium betraut, um mit Hilfe eines soeben entworfenen neuen „Contract Social" die bisher gaullistisch wählenden Arbeitnehmerschichten auch weiterhin an die U. D. R. zu binden — eine auch für Faure fast unmögliche Aufgabe, da der größte Teil dieser Wähler 1968 nur durch den Aufstand der Studenten in die Arme der Gaullisten getrieben wurde. Ob sich also das Gewicht dieses Flügels der Gaullisten erhöhen wird, hängt weitgehend vom Ausgang der Parlamentswahlen ab. Ende Juli 1971 beschloß Faure, mit den drei wichtigsten linksgaullistischen Gruppierungen den linken Flügel innerhalb der Majorite zu stärken; er schuf sich damit eine neue po-politische Hausmacht, die auch für Gruppen außerhalb der jetzigen Regierungskoalition attraktiv erscheint.

Insgesamt ist es Pompidou seit der Übernahme der Präsidentschaft trotz dieser verschärften Flügelbildungen gelungen, die Partei an sich zu binden und zusammenzuhalten, da sich außer ihm keine Führungs-Alternative anbietet und sich fast alle, die sich als Gaullisten bezeichnen, wohl oder übel hinter ihn gestellt haben. Seine seit Juni 1969 eingeleitete Öffnung zur Mitte wird zwar von den „Jakobinern" unter Michel Debre nicht gutgeheißen, aber auf Grund der sich immer stärker festigenden Opposition als notwendiges Übel betrachtet. Auch eine mangelhafte Präsenz gaullistischer Kader in den Stadt-und Regionalversammlungen die das bisher ausschließliche Interesse der Partei an den überregionalen Institutionen demonstriert, zwingt die gaullistische Bewegung, sich verstärkt um den jetzigen Staatspräsidenten zu scharen. Die taktischen Umgruppierungen innerhalb der Regierung und der dreimalige Wechsel des Generalsekretärs der U. D. R. innerhalb von 18 Monaten verdeutlicht eine wohl hauptsächlich durch die bevorstehende Wahl bedingte Rückbesinnung der gaullistischen Führungsspitze auf die traditionellen gaullistischen Ideale; dies brachte Pompidou bei der Einweihung des monumentalen de Gaulle-Denkmals in Colombey-les-deux-Eglises deutlich zum Ausdruck.

Es mehren sich jedoch vor allem unter den jüngeren Abgeordneten, die auf Grund ihres Alters keinerlei Beziehungen zum Mythos des traditionellen Gaullismus der Kriegs-und Nachkriegsepoche besitzen, die Forderungen, den Kult um den in letzter Zeit besonders von Debre und Messmer beschworenen toten „Gott" abzubauen und die im März stattfindenden ersten Wahlen seit seinem Tod zum Start eines Neo-Gaullismus zu benutzen. Alain Peyrefittes Entscheidung, aus diesem Kreis junger Technokraten eine Art Brain-Trust um sich zu versammeln der sich vor allem mit einer Zukunftsperspektive der Bewegung beschäftigten soll, geht eindeutig auf eine Direktive des Staatspräsidenten zurück, der sich durch die sich immer mehr abzeichnende Konfrontation eines Mitte-Rechts-Blocks und eines Linksblocks nicht länger auf die in der Verfassung verankerte Position „eines Schiedsrichters über den Parteien" beschränken kann, sondern schon bald anstelle seiner inoffiziellen und nur indirekt wahrgenommenen Funktion eines Parteivorsitzenden die Rolle eines effektiven Führers der Mehrheitspartei übernehmen wird und muß.

b) Die Unabhängigen Republikaner

Bezeichnet Jean Charlot die U. D. R. als die „Mehrheit innerhalb der Majorite" 25a), so sind die Republicains Independants (R. I.) unter ihrem Parteivorsitzenden Valery Giscard d'Estaing als „Minderheit innerhalb der Majorite" zu verstehen, was sie seit 1966 besonders durch ihre Taktik des „oui, mais" zum Ausdruck bringen.

Gegründet wurde diese Partei 1962, als sich 30 unabhängige Abgeordnete, die bis dahin jeweils mit den Gaullisten gestimmt hatten, von ihrer Fraktion Centre National des Independants (C. N. I. P.) lossagten und eine eigene Partei schufen. Versuche einflußreicher Gaullisten, diese Gruppe in die U. D. R. zu integrieren, wurden von dem brillanten jungen Führer dieser mit 33 Abgeordneten aus den Wahlen von 1962 hervorgehenden Partei abgewehrt. Ihre Unabhängigkeit innerhalb der Majorite setzten die Unabhängigen Republikaner vor allem bei der Kandidatennominierung bei den vergangenen Wahlen und auch bei der kommenden durch: Pompidous 1967 und 1968 erhobene Forderung nach einem Einheitskandidaten der Majorite wurde erst nach zähen, für die R. I. erfolgreichen Verhandlungen über die Abtretung sicherer Wahlkreise 25)

zugestanden. Auch bei den soeben abgeschlossenen Gesprächen über eine gemeinsame Kandidatenliste konnten sich die Gaullisten nicht völlig durchsetzen und mußten den R. I. in 67 Fällen eine „Mehrfach-Investitur" (d. h. im ersten Wahlgang stoßen ein Gaullist und ein R. I. aufeinander) zugestehen.

Dem Parteivorsitzenden Giscard d'Estaing, schon von 1963 bis 1966 Minister in der Rue de Rivoli und seit 1969 zum zweiten Mal Wirtschafts-und Finanzminister, gelang es, innerhalb weniger Jahre die Partei praktisch aus dem Nichts aufzubauen. Durch sein Koalitionsbündnis mit den Gaullisten, das trotz des viel zitierten „oui, mais" nie ernsthaft erschüttert wurde, steigerte sich die Zahl der R. I. -Abgeordneten kontinuierlich von 33 (1962) auf 62 (1968). Ist die U. D. R. eine reine Massenpartei, so verstehen sich die R. I. als Honoratiorenpartei, die sich ausschließlich auf örtliche Notabein stützt. Hier sehen sie ihre größte Chance durch den ständigen Ausbau ihrer „Klubs" in den diversen Departements, Bürgermeister und unabhängige Departementsräte für sich zu gewinnen, um im lokalen politischen Leben der für sie interessanten Wahlkreise Fuß zu fassen. Die Strategie, mit der Generalsekretär Michel Poniatowski die Republicains Independants organisiert hat, zeigt deutlich das Bestreben, eine moderne Partei zu schaffen, die sich vor allem auf eine solide lokale Basis stützen kann — ein Faktor, der den Gaullisten fehlt.

Ihr politisches Programm ist „liberaler, offener und europäischer" als das gaullistische: Innenpolitisch verlangen sie einen verstärkten „Dialog" zwischen Exekutive und Legislative, außenpolitisch wird ihre Forderung nach einem auch politisch geeinten Europa immer lauter; wirtschaftspolitisch verfechten sie einen klassischen Liberalismus, der die staatlichen Interventionen auf ein Minimum beschränkt. Da es diesem Programm aber vor allem an Präzision fehlt, kann man sich nur schwer vorstellen, wie die R. I. mit ihm zur Mehrheit innerhalb der Majorite gelangen wollen — ein Wunschdenken, das sie bisher noch nicht aufgegeben haben. Bisher jedenfalls wurden die politischen Grundsatzentscheidungen innerhalb der Regierungskoalition eindeutig von Georges Pompidou und seiner gaullistischen Fraktion bestimmt. Dies wird auch von den R. I. nicht bestritten, und es scheint ihnen momentan zu genügen, mit einem bewußt unpräzis gehaltenen Programm-vokabular einige essentielle Elemente der klassischen Mitte-Rechts-Parteien aufzuzeiB gen, um sich für eine größere Koalition als die bestehende in der „Reserve zu halten". Hätten sich die Anhänger Giscard d'Estaings im Juni 1969 bei der Neuwahl des Staatspräsidenten der Stimme enthalten (was ihnen zwei Monate vorher Giscard bei dem Referendum über die Regionalisierung empfohlen hatte), so wäre es um Pompidous Wahl nicht gut bestellt gewesen, denn ihre Stimmen brachten ihm die notwendige Mehrheit.

Seit jenen Tagen gehören die R. I. unverbrüchlich zu Pompidous Koalition. Trotzdem hat Giscard d’Estaing sein ehrgeiziges Ziel nicht aufgegeben, eines Tages für das Amt des Staatspräsidenten zu kandidieren — ein Plan, den er schon für 1972 ins Auge gefaßt hatte, wäre es nicht durch de Gaulles Rücktritt zu vorgezogenen Wahlen gekommen. Giscard d'Estaings heutige Strategie wurde einige Monate vor der Wahl zur Nationalversammlung in einer programmatischen Rede vor dem 7. Kongreß der „Clubs Perspectives et Ralits" seiner Partei, deutlich: Einerseits betonte er ausdrücklich die Treue seiner Parteifreunde gegenüber Staatspräsident Pompidou, andererseits forderte er unverblümt eine stärkere Öffnung der jetzigen Koalition nach den Wahlen: „Natürlich ist das jetzige Regierungsbündnis keinesfalls als geschlossen anzusehen. Wenn andere Kräfte und Politiker gewillt sind, eindeutig die Vereinbarungen, die das Bindemittel für die heutige Koalition bilden, zu teilen, finden sie ohne Feindschaft und Probleme ihren Platz in einer erweiterten Mannschaft." Somit betrachtet er es als Hauptaufgabe der R. I., in den nächsten Monaten „die Politik der (aktuellen) Mehrheit mehr zur Mitte hin (vers le centre) zu ziehen."

Sollten die Gaullisten im März empfindliche Verluste — was wahrscheinlich ist — erleiden und die absolute Mehrheit einbüßen, kann der Staatspräsident ohne Hilfe der R. I. keine neue gaullistisch orientierte Regierung bilden. In einem solchen Fall böte sich Giscard d’Estaing als Premierminister einer erweiterten Koalition an, die um die bisher oppositioneilen Zentristen verstärkt werden könnte. Als Kompromißkandidat ist er für alle Tendenzen des jetzigen Regierungslagers, aber auch für die antigaullistischen „Bourgeois" akzeptabel.

c) Das Centre Democratie et Progres

Der kleinste Partner innerhalb der Koalition stieß erst nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 1969 zum Regierungslager. Seit den letzten Parlamentswahlen senden die bis Juli 1969 zur Fraktionsgemeinschaft „Progres et Democratie Moderne" (P. D. M.) zusammengeschlossenen Überreste der einst größten bürgerlichen Parteien in der IV. Republik, Mouvement Republicain Populaire (M. R. P.) und C. N. I. P., deren Wählerschaft fast ausschließlich zu den Gaullisten und R. I. übergewechselt ist, 33 Abgeordnete ins Palais Bourbon, unter ihnen einige konservative und liberale Abgeordnete, die als „Unabhängige" ihre Wahlkreise erobert hatten.

Zwei der bekanntesten Mitglieder des P. D. M., die Senatoren Jean Lecanuet und Alain Poher, versuchten 1965 und 1969 vergeblich, durch Kandidatur für das höchste Amt im Staat dem Zentrum seine frühere Bedeutung zurückzugewinnen. Ihre Niederlagen beschleunigten jedoch nur die Desintegration dieser Partei, sofern man hier überhaupt von „Partei" sprechen kann, da die Gruppe ihre Mitglieder weder an ein bestimmtes Programm bindet noch Fraktionsdisziplin bei Abstimmungen verlangt. In der Regel votierten die Zentrums-Abgeordneten gegen die Politik de Gaulles, dessen autokratischer Regierungsstil diesen Honoratioren im Sinne klassisch-liberalen Parlamentsverständnisses zuwider war. Erst sein Rücktritt ließ sie ihre Rolle neu überdenken und führte bei der Neuwahl des Präsidenten zu einer Teilung des P. D. M.: die eine Gruppe um Lecanuet verharrte in Opposition und unterstützte ihren Parteifreund und Senatspräsidenten Alain Poher, die andere um den Vorsitzenden der Zentrumsfraktion, Jacques Duhamel, forderte ihre Wähler auf, für Pompidou zu stimmen. Als nach der Wahl Chaban-Delmas sein Kabinett bildete, traten auf Grund der durch die Präsidentschaftswahl bedingten „Öffnung" drei führende Politiker des P. D. M. in die neue Regierung und übernahmen das Justiz(Pleven), das Arbeits-(Fontanet, jetzt Erziehung) und das Landwirtschaftsministerium (Duhamel, jetzt kulturelle Angelegenheiten). Auch die meisten Abgeordneten des P. D. M. votierten fortan für die Regierung und bildeten am 4. Juli 1969 das „Centre Democratie et Progres", das aber nach wie vor ausgezeichnete Kontakte zum oppositionellen Rest des P. D. M. pflegt.

Ihrem seit 1965 verfochtenen Ziel, gegen die Polarisierung im französischen Parteiensy

Das Linksbündnis

Tabelle 2:

a) Die Parti-Socialiste

Das am 26. Juni 1972 veröffentlichte gemeinsame Programm der kommunistischen und der sozialistischen Partei kann als das in letzter Zeit bedeutendste Ereignis für den Konzentrationsprozeß innerhalb des Parteienwesens angesehen werden, da sich zum erstenmal seit Bildung der Volksfront unter Leon Blum im Jahre 1936 die beiden wichtigsten Linksparteien nach langjährigen Diskussionen auf eine gemeinsame Strategie nicht nur für den Prozeß der Wahlen durch Aufstellung gemeinsamer Kandidaten, sondern auch auf ein Regierungsprogramm geeinigt haben, das sie im Falle eines Wahlsieges realisieren wollen. Für den Abschluß dieses Aktionsprogramms waren zwei Entwicklungsstufen von grundlegender Bedeutung: 1. die Kandidatur Francois Mitterands für das Präsidentenamt 1965 und 2. die Mai-Ereignisse von 1968 und ihre Ausstrahlungen auf die Gewerkschaften und deren Beziehungen zu den Linksparteien.

Hatten noch 1958 die Führer der 1905 gegründeten S. F. I. O. (Section Francaise de I'Internationale Ouvriere) de Gaulles Machtübernahme begrüßt und waren in sein Ubergangskabinett eingetreten, so änderte sich die Haltung der Sozialisten seit dem Referendum über die Einführung der Volkswahl für den stem zu kämpfen und eine „dritte Kraft" zu schaffen, hat sich nach Eintritt in die Koalition die Mehrheit der Zentristen versagt; die gemeinsame Nominierung der Koalitionskandidaten für die kommende Wahl unterstreicht ihre intensive Verflechtung mit der U. D. R. und den R. I., von denen sie sich immer weniger unterscheiden. Ein baldiges Aufgehen in der U.

D. R. dürfte wahrscheinlich sein, sofern die Gaullisten bei der bevorstehenden Abstimmung keine allzu empfindliche Niederlage erleiden. Nur im Senat und auf lokaler Ebene werden sich die Zentristen auch weiterhin behaupten, da die indirekten Wahlen zur zweiten Kammer Honoratioren aus ländlichen Gebieten überdurchschnittliche Chancen einräumen.

Staatspräsidenten grundlegend. Denn die Billigung dieses Referendums von 1962 verdeutlichte nun allen Parteiformationen, daß die V. Republik nicht bloß Übergangscharakter besaß und man nach Beendigung des Algerienkrieges wieder zu den traditionellen Formen eines repräsentativen Systems zurückkehren würde. Vor allem die sozialistische Parteiführung erkannte, daß die nunmehrige Wahl des Präsidenten durch das Volk eine Neugruppierung innerhalb des Vielparteiensystems erforderte, wollte man dem gaullistisch-bürgerlichen Block eine effiziente Alternative gegenüberstellen.

Die drei Jahre später stattfindenden ersten Präsidentschaftswahlen boten eine Chance, die gesamte nicht-kommunistische Linke zu einer straff organisierten Föderation unter dem Sozialistischen Bürgermeister von Marseille, Gaston Defferre, zusammenzufassen. Dieser Versuch schlug jedoch fehl, da sich insbesondere die Radikalsozialistische Parteioligarchie dem geplanten gemeinsamen „Föderationspräsidium" widersetzte.

Wenige Monate vor der Wahl gelang es aber dem Führer einiger sozialistischer Klubs, Francois Mitterand, die Linksparteien zu ei-nem recht lockeren Wahlbündnis zu bewegen, ohne gleichzeitig eine Fusion aller nichtkommunistischen Gruppierungen zu fordern. Sein Vorschlag wurde um so bereitwilliger akzeptiert, da Mitterand über keinerlei eigene „Hausmacht" verfügte und somit die alten Parteiführer nicht aus ihren Ämtern verdrängen konnte; außerdem überzeugte er die kommunistische Parteiführung von der Notwendigkeit eines einheitlichen Kandidaten der gesamten Linken, ohne daß gleichzeitig Absprachen über sein politisches Programm nach einem eventuellen Sieg getroffen wurden.

So stand General de Gaulle eine geschlossene Front der Linksparteien gegenüber, die ihn zu einem seinem Prestige abträglichen zweiten Wahlgang nötigte, da ein Teil der bürgerlichen Wähler im ersten Wahlakt den Zentrumskandidaten Jean Lecanuet unterstützte (vgl. Tab. 3).

Nach seinem Erfolg gegen den alten und neuen Staatspräsidenten gelang es Mitterand, die Links-Koalition zu einer arbeitsfähigen Federation de la Gauche Democrate et Socialiste (F. G. D. S.) auszubauen, der sich neben der S. F. I. O. die Radikalsozialisten und etliche sozialistische Klubs anschlossen. Diese neue sozialistische Formation konnte sich (und kann es auch heute noch, vgl. Tab. 1) auf 18 bis 22 Prozent der Wählerschaft stützen; ihre Wähler kommen hauptsächlich aus der Beamtenschaft (vor allem Lehrer), dem kleineren Mittelstand, aus Teilen der Arbeiterschaft und Landwirtschaft.

Vordergründiges Ziel der F. G. D. S. war eine intensive Vorbereitung der im März 1967 stattfindenden Parlamentswahlen, um mit Hilfe des Erfolges bei der Präsidentschaftswahl die Zahl der sozialistischen Abgeordneten beträchtlich zu erhöhen. Da das französische Mehrheitswahlsystem mit seinen zwei Wahlgängen bisher ausschließlich den Gaullisten und ihren bürgerlichen Koalitionspartnern zugute gekommen war und auf Grund von einigen Absprachen im zweiten Wahlgang ein Stimmensplitting des bürgerlichen Blocks vermieden wurde, mußte die Linke eine ähnliche Strategie ausarbeiten: Kommunisten und F. G. D. S. schlossen — ebenso wie ein Jahr später — ein Aktionsbündnis, in dem sie sich verpflichteten, ihre Wähler aufzufordern, im zweiten Wahlgang jeweils nur für den bestplaciertesten Linkskandidaten zu stimmen, wodurch die Mandatszahl der kommunistischen und sozialistischen Abgeordneten sprunghaft anstieg.

Dieser Erfolg führte bei den noch eigenständigen Formationen der Förderation zu dem Wunsch, die selbständigen Parteien der Sozialisten und Radikalsozialisten zu einer einzigen sozialistischen Parteiorganisation zu verschmelzen. Eine solche Neugruppierung der nicht-kommunistischen Linken hätte die Attraktivität der F. G. D. S. für neue, vor allem jugendliche Wählerschichten entschieden erhöht und deren Ablehnung den bisherigen Parteien gegenüber vermindert.

Mitterands Versuch wurde jedoch durch die Mai-Ereignisse und die anschließenden Wahlen zunichte gemacht, und die F. G. D. S. zerbrach an ihren inneren Rivalitäten; daraufhin legte Mitterand den Vorsitz nieder und zog sich völlig aus der Parteiarbeit zurück. De Gaulles Rücktritt und die folgenden Neuwahlen verdeutlichten das Dilemma, in dem sich die gesamte Linke befand: nicht weniger als vier Kandidaten wurden nominiert. Die sozialistischen Wähler gaben ihrem Kandidaten Gaston Defferre nur 5°/o Stimmen; zwei Drittel von ihnen mußten also für den Kommunisten Duclos und den liberalen Alain Poher gestimmt haben.

Defferres eindeutige Niederlage machte der Parteiführung deutlich, daß ohne die Kommunisten keine echte Alternative zu den Gaullisten denkbar ist. Daraufhin setzte eine deutliche Umorientierung innerhalb der sozialistischen Partei ein. Auf dem Parteikongreß im Juli 1969 gewann der linke Parteiflügel um Alain Savary die Mehrheit; gleichzeitig trat der langjährige Parteivorsitzende Guy Mollet zurück und empfahl Savary als seinen Nachfolger. Als Konsequenz aus den Mai-Unruhen und auf Druck der gewerkschaftlich organisierten Mitglieder des Parteivorstandes sprach sich der Kongreß gegen jede weitere Allianz mit bürgerlichen Parteien aus und befürwortete die Aufnahme von umfassenden Verhandlungen mit der kommunistischen Partei. Diese Vorgespräche begannen noch im selben Jahr und sollten zu einem politischen Übereinkommen für die „Errichtung eines neuen Regimes der wirtschaftlichen und so-B zialen Demokratie und den Übergang zum Sozialismus" führen.

Innerhalb der in „Parti Socialiste" umgenannten Partei ging der Konsolidierungsprozeß weiter: auf dem Parteikongreß in Epinay-sur-Seine (Juni 1971) gelang es Franois Mitterand, neuer Parteivorsitzender zu werden. Damit waren die Weichen für eine weitete Zusammenarbeit mit der P. C. F. gestellt, denn Mitterand hatte auf dem Parteitag unmißverständlich erklärt, daß er für die kommenden Wahlen nicht nur eine lose Wahlabsprache mit den Kommunisten anstrebe, sondern ein im Falle eines Wahlsieges beide Parteien bindendes Abkommen, in dem die Ziele der Koalitionspartner eindeutig definiert werden.

Mitterand, der keinesfalls auf die noch fortbestehenden Verbindungen zu den linken Radikalsozialisten und den republikanischen Clubs verzichten wollte, war es deshalb völlig klar, daß ein gemeinsames Regierungsprogramm, so wie es die P. C. F. im Oktober 1971 veröffentlichte, die Wahlchancen eines Links-blocks zunichte machen müßte, da ohne Stimmenzufluß aus der linksliberalen Wähler-schicht die neue Volksfront auf keine Mehrheit hoffen konnte. Deshalb wurde zunächst ein neues Programm für die Parti Socialiste erarbeitet, das zwar zahlreiche Parallelen zum kommunistischen Papier enthielt, in wichtigen ökonomischen, politischen und verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen aber die unterschiedlichen Auffassungen markierte. Trotzdem akzeptierte die P. C. F. dieses Programm als Grundlage für den auszuarbeitenden gemeinsamen Aktionsentwurf der im Juni 1972 veröffentlicht und von beiden Parteien akzeptiert wurde.

Frangois Mitterand kann dieses Manifest als klaren Sieg seiner Verhandlungsführung und der mittlerweile stark konsolidierten Partei ansehen, da sich die P. C. F. zu erstaunlichen Konzessionen (siehe unten) bereitfinden mußte. Vor allem aber stellte die gewandelte sozialistische Partei ihre Anziehungskraft als Kern eines neugebildeten Blocks gegenüber den Gaullisten unter Beweis, dessen Attrakti-vität nicht nur für die extreme, sondern auch für die gemäßigte Linke interessant erscheint, wie der Beitritt der linken Radikalsozialisten unter Robert Fabre (siehe unten) demonstriert.

b) Die Parti Communiste Frangais

Als „kommunistisches Dilemma deütet Joseph Rovan die Situation, in der sich die kommunistische Partei Frankreichs seit Beginn der V. Republik befindet. In der Tat ist es für viele Betrachter erstaunlich, welche Zugeständnisse die P. C. F. ihren sozialistischen Verhandlungspartnern machte. Dies trifft weniger für die — oft vage formulierten — Ziele auf wirtschaftlichem oder sicherheitspolitischem Gebiet zu als vielmehr auf die Verpflichtung einer gemeinsamen Regierung unter einem sozialistischen Premierminister und auf die Stellung der politischen Parteien. Zum erstenmal bekennt sich eine westeuropäische kommunistische Partei zur Parteienpluralität, die „als eine wesentliche Voraussetzung für die freie Ausübung des Wahlrechts" angesehen wird, und gleichzeitig auch zum „Recht der Opposition, eine neue Mehrheit (in der Nationalversammlung) für sich zu gewinnen". Dies impliziert, daß „die Mehrheits-wie die Oppositionsparteien die durch die allgemeinen Wahlen (nach der Verhältniswahl!) gefällte Entscheidung anerkennen müssen". In einem solchen Fall würde also die Volksfront-Regierung zurücktreten und „ihren Kampf in der Opposition fortführen" — ein für das kommunistische Demokratieverständnis revolutionierendes Zugeständnis, hinter dem die übrigen in Aussicht gefaßten Reformen der Verfassung weit zurücktreten und von untergeordneter Bedeutung sind, wenn man den nicht leichten Weg einer Verfassungsrevision bedenkt Zu dieser Kompromißbereitschaft und Zusammenarbeit mit der sozialistischen Partei wurde die P. C. F. hauptsächlich durch die Mai-Ereignisse und deren Folgen bezwungen, da einige Gruppen und Grüppchen der extremen . Linken („les Gauchistes") seit jenen Wochen das kapitalistische System der V. Republik im Namen eines Marxismus bekämpfen, den die P. C. F. bis zu den Mai-Tagen ausschließlich für sich beanspruchen konnte, so daß die Gefahr, links überholt zu werden, sich für die Funktionäre bis dahin nicht stellte. Durch ihre hervorragenden Leistungen während der deutschen Besetzung, ihre konstruktive Mitarbeit in den ersten Nachkriegskabinetten und ihr systemkonformes Verhalten während der Staatskrise im Frühjahr 1958 hatte sich die kommunistische Partei zu einem Element der „Ordnung" entwickelt, das sich auf große Teile der Arbeiterschaft, der kleinen Bauern, der Intelligenz und auch des unteren Mittelstandes stützen und in allen Wahlen seit Kriegsende durchschnittlich 20 % bis 25 °/o der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnte; dabei haben ihr die ausschließliche Ausrichtung nach Moskau und das Schweigen zu den Vorgängen in Budapest und Prag kaum geschadet. Ihre Stellung im politischen Leben der verschiedenen französischen Republiken (gegründet wurde die P. C. F. 1921) ist nicht zuletzt auch durch ihre außergewöhnlich gute Arbeit und Kooperation mit anderen Parteien in vielen Mittel-und Großstädten auf administrativem Gebiet bedingt.

Seit der Herrschaft der Gaullisten hat sich zwischen der P. C. F. und den Anhängern des Generals ein merkwürdiges Verhältnis entwickelt, das im Juni 1969 schließlich die Wahl Georges Pompidous zum Staatspräsidenten ermöglichte. Hätte die P. C. F. ihre Anhänger aufgefordert, Alain Poher zu wählen und sich nicht der Stimme zu enthalten (vgl. Tab.

3), so wäre Pompidous Wahl äußerst ungewiß gewesen. Diese stillschweigende Übereinkunft zwischen den beiden Parteien ist in der Hauptsache durch die gaullistische Außenpolitik mit ihrer Distanz zur NATO und den USA bei gleichzeitiger Öffnung nach Osten bedingt. Somit sind die Gaullisten für die P. C. F. „das kleinere Übel", da sich bisher als Alternative nur ein anderer konservativer Block mit atlantischer Ausrichtung anbot. Gleichzeitig war es für die Gaullisten wichtig, dem Wähler die Kommunisten quasi als einzig nennenswerte Oppositionspartei darzustellen, die niemals an die Macht gelangen dürfe, wenn Frankreich nicht „im Chaos versinken solle". Die U. D. R. erhoffte sich von dieser Strategie ein Aufsaugen aller nicht-kommunistisch Wählenden, während sie andererseits für das Wählerpotential der P. C. F. keine unmittelbare Gefahr bedeutete.

Besonders die Ereignisse im Mai/Juni 1968 zeigen, wie sehr sich die P. C. F. zu einer systemerhaltenden Partei entwickelt hat, als sie stärksten Druck auf ihre gewerkschaftlich organisierten Mitglieder ausübte, den wochenlang andauernden Streik zu beenden und damit auch die Gefahr zu bannen, von der äußersten Linken innerhalb der Gewerkschaften überspielt zu werden. Andererseits steht dieser Entwicklung ihre innere autoritäre Struktur entgegen, die sich seit dem Tod des langjährigen Parteivorsitzenden Maurice Thorez auch unter seinen Nachfolgern Waldeck-Rochet und Georges Marchais nicht geändert hat. Bedauerlichstes Beispiel dieses demokratischen Zentralismus ist.der Ausschluß Roger Garaudys erst in jüngster Zeit lassen sich bescheidene Anzeichen für eine interne Liberalisierung erkennen, die nicht zuletzt durch den Annäherungsprozeß an die nichtkommunistische Linke begünstigt wurden.

Die mittlerweile eingenommene Strategie der Kommunisten wird durch die Bildung extremistischer Linksgruppen zunehmend gefährdet, da sie sich gegen den Vorwurf wehren müssen, nach rechts abgedrängt zu werden; außerdem besteht die Gefahr, daß sie ihren Einfluß in den Gewerkschaften einbüßen. Die Gauchisten werfen der P. C. F. wegen ihres Verhaltens gegenüber dem kapitalistischen System vor allem Revisionismus und Verrat an der Arbeiterklasse vor — Argumente, die besonders bei den jugendlichen Arbeitern auf fruchtbaren Boden fallen. Die P. C. F. muß sich also „zur gleichen Zeit sozialdemokratisieren und radikalisieren, verhärten und liberalisieren. Sie muß politische Analysen erstellen, die die prozentuale Reduzierung des Anteils der Industriearbeiterschaft an der Gesamtbevölkerung ebenso einbezieht wie die politische Radikalisierung der Intellektuellen, Lehrer, Studenten und vor allem auch eines wachsenden Teils der abhängigen technischen Mittelstandes, der Kader, Techniker, Ingenieure, sowie der Bauernschaft"

Trotz der an der Basis, und zwar hauptsächlich bei den jugendlichen Mitgliedern, unverkennbaren Radikalisierung, mußte die Parteiführung versuchen, in einer für sie äußerst problematischen ideologischen Schwenkung Kontakte zu den Sozialisten enger zu knüpfen, um somit die langandauernde Isolierung, die bei den Präsidentschaftswählen 1965 nur teilweise abgebaut werden konnte, zu durchbrechen. Denn ohne den nun erfolgten Dialog mit den sozialistischen Partnern und die zumindest theoretische Verpflichtung auf ein Regierungsprogramm, das in erster Linie die Volkssouveränität zu respektieren garantiert, bietet sich für die P. C. F. (und wahrscheinlich auch für die Sozialtisten) in absehbarer Zeit keine Chance, die Regierungsgewalt zu übernehmen. Wie ernst es in Wirklichkeit den Kommunisten ist, mit der nichtkommunistischen Linken zu kooperieren, oder ob nur die Absicht besteht, gemäß Lenins Taktik diese Linke sich unterzuordnen, vermag niemand zu sagen. Die Volksfront unter Leon Blum (1936) und die ersten Nachkriegskabinette haben eine loyale Mitarbeit der kommunistischen Abgeordneten zumindest für kurze Zeit unter Beweis gestellt. Jedoch lassen sich diese Perioden sozialer und politischer Desorganisation mit der heutigen nicht vergleichen. Ihre Rolle als »Parti de l'Ordre", die in den letzten Jahren immer deutlicher erkennbar wurde, wird die P. C. F. auch in der kommenden Legislaturperiode beibehalten wollen, um ihre Anziehungskraft auf weitere Wählerschichten auszudehnen. Die nun getroffene Entscheidung ist sowohl durch ihre innere Evolution als auch durch die Veränderung der internationalen Lage zu verstehen, die eine weitere „Duldung" des gaullistischen Regimes im Interesse Moskaus allmählich überflüssig erscheinen läßt. Andererseits ist die P. C. F. innerhalb der „Union de la Gauche" schon auf Grund ihres Mitglieder-(ca. 300 000) und Wählerpotentials der dominierende Faktor, der sich in syste-müberwindenden Fragen nicht ausschließlich der Politik des möglichen Premierministers Mitterand unterordnen wird.

Georges Marchais umriß auf einer gemeinsamen Wahlveranstaltung der drei Linksparteien die Haltung seiner Partei gegenüber der neuen Entente unmißverständlich: „Für uns bedeutet die Union (der Linken) — mit Rücksicht auf die Partner — Kooperation, um eine Politik zu ermöglichen, die den Interessen der Arbeiter entspricht. Die Union bedeutet keine Fusion zu einer einzigen Partei. Denn Kommunisten, Sozialisten und Radikalsozialisten haben nicht dieselbe Auffassung von der Welt ... und wir denken nicht daran, auf eine einzige unserer Überzeugungen zu verzichten."

c) Die linken Splitterparteien: P. S. U. und Radicaux de Gauche

Die Parti Socialiste Unifie setzt seit ihrer Gründung anfang der sechziger Jahre die alte französiche Tradition fort, eine Splitterpartei zwischen Kommunisten und Sozialisten zu bilden, die beiden gegenüber sehr kritisch eingestellt ist und sich bedeutend militanter als diese in ihren Aktionen verhält; sie bildet quasi den Übergang von der außerparlamentarischen neuen radikalen Linken zu den traditionellen Linksparteien. ZU ihr bekennen sich etliche ehemalige Mitglieder kleinerer sozialistischer und marxistischer Gruppierungen — zeitweilig gehörte auch Pierre Mendes-France der P. S. U. an —, ein Großteil der Pariser Studenten und in letzter Zeit Gewerkschaftler der C. F. D. T. Während der Mai-Ereignisse ergriff sie als einzige Formation für die studentischen Aktionen Partei und verteidigte deren Ziele im folgenden Wahlkampf. Ihr Generalsekretär Michel Rocard, als „Inspecteur des Finances" Mitglied der technokratischen Elite Frankreichs, kandidierte zwar 1969 erfolglos für das Amt des Staatspräsidenten, konnte jedoch immerhin über 800 000 Stimmen auf sich vereinigen. Wenige Monate später konnte er aber bei einer Nachwahl im Departement Yvelines den ehemaligen Premier Couve de Murville im zweiten Wahlgang schlagen und als einziger Abgeordneter der P. S. U. ins Palais Bourbon einziehen. Ihr Einfluß erstreckt sich vor allem auf die Großstädte, in deren Gemeinderäten die Partei sehr aktiv ist, auf die Gewerkschaft C. F. D. T. (siehe unten) und den Studenten-verband U. N. E. F. (Union Nationale des Etudiants Franais), aus dem sich auch der größte Teil ihrer 16 000 Mitglieder rekrutiert. Dadurch wird ihre außerparlamentarische Aktion durch diese Doppelmitgliedschaft erheblich begünstigt, so daß diese intellektuelle ideologische Kaderpartei mit ihrem Programm, eine Gesellschaft zu errichten, in der Sozialismus und Planwirtschaft mit dem Respekt vor politischen Freiheiten versöhnt werden, zahlreiche Kreise des gesellschaftlichen Establishments anspricht. Wenn auch momentan ihre Haltung zum gemeinsamen Regierungsprogrämm der P. C. F. und P. S. nicht eindeutig ist, dürfte sich dies bei einem Wahlsieg der Linken ändern.

Demgegenüber haben sich die linken Radikal-sozialisten geschlossen hinter das Links-Bündnis gestellt. Diese Gruppe der alten traditionsreichen Partei der III. und IV. Republik (gegründet 1901) unter Robert Fabre brach im Frühjahr 1972 mit dem von Jean Jacques Servan-Schreiber geführten Flügel, der sich für eine Zusammenarbeit mit Lecanuets Zentrum aussprach. Praktisch ist der von Fabre repräsentierte Teil bedeutungslos und dürfte nach den Wahlen mit der P. S. fusionieren, mit der er schon Mitte der sechziger Jahre in der F. G. D. S. zusammengearbeitet hatte und nun eine gemeinsame Kandidatenliste aufstellte. d) Die Gewerkschaften Eine Analyse des Parteiensystems ohne Einschluß der gewerkschaftlich organisierten Kräfte bliebe unvollständig; deshalb soll an dieser Stelle die Haltung der beiden größten französischen Gewerkschaften zur Politik der „Union de la Gauche" kurz charakterisiert werden.

Größte Gewerkschaft mit ca. 1, 4 Millionen Mitgliedern ist die C. G. T. (Confederation Generale du Travail). Ihre Funktionäre sind zum großen Teil Mitglieder der P. C. F., so daß der Einfluß der C. G. T. auf die kommunistische Führung außergewöhnlich groß ist, zumal ihr Vorsitzender Georges Seguy Mitglied des Politbüros ist und darauf achtet, daß Partei-und Gewerkschaftsmeinung stets konform sind.

Wie sehr die Partei die C. G. T. braucht, machten besonders die Streiks im Mai 1968 deutlich. Nur mit Hilfe der C. G. T. -Funktionäre konnte die Arbeiterschaft zur Annahme der ausgehandelten Lohnerhöhungen bewogen werden während radikale Gruppierungen die Fortsetzung des Generalstreiks bis zum Sieg der Arbeiterklasse forderten. Demgegenüber erklärte Georges Seguy damals, die G. G. T.sei die „starke, rühige Kraft, die es geschafft hat, die Ordnung im Dienst der Arbeiter wiederherzustellen".

Trotz ihrer immer wieder erhobenen Forderung nach Klassenkampf und Überwindung der antagonistischen Klassengegensätze hat sich in den letzten Jahren eine Wandlung vollzogen, die zwar Chaban-Delmas 1969 entworfene „Politique de Concentration" als Klassenkollaboration ablehnt, trotzdem sich aber dem Dialog mit der Regierung und den Arbeitgeberverbänden nicht widersetzt. So sind die 1970 und 1971 zwischen den großen Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden geschlossenen Abkommen über zahlreiche soziale Verbesserungen ein Zeichen für den Abbau der Konfrontation, die Frankreichs soziales Leben jahrzehntelang dominierte. Diese Strategie, die unmittelbarsten ökonomischen Bedürfnisse der Arbeiterschaft zu verbessern, schließt jedoch das Ziel der Gewerkschaften, die totale Aufhebung der gegenwärtigen Produktions-und Besitzverhältnisse nicht aus.

Die seit 1968 geführte bescheidene Kooperation mit Regierung und Arbeitgebern ist von der Basis der C. G. T., vor allein von jugendlichen Arbeitern Und Technikern, heftig kritisiert worden. Ihnen geht es nicht mehr um unmittelbare wirtschaftliche Verbesserungen, sondern vor allem um verstärkte Ausweitung innerbetrieblicher Mitbestimmung und Ausbau der gewerkschaftlichen Rechte. Gerade diese verhältnismäßig kleinen aber sehr aktiven Gruppen entziehen sich der Kontrolle durch die Gewerkschaftsführung und engagieren sich in den sogen. „Groupes d'Action Municipale", in denen „die Grenzen zwischen Reformismus und Revolutionarismus" 40) fließend sind. Somit sieht sich die C. G. T. durch spektakuläre Aktionen oft genötigt, die Basis zu befriedigen und durch Befragung ihrer Mitglieder fließend sind. Somit sieht sich die C. G. T. durch spektakuläre Aktionen oft genötigt, die Basis zu befriedigen und durch Befragung ihrer Mitglieder vor Abschluß wichtiger Tarifvereinbarungen ein Meinungsbild innerhalb der Gewerkschaft zu erstellen.

Das im November 1969 verabschiedete neue umfangreiche Programm deckt sich mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Forderungen fast vollständig mit den Vorstellungen des gemeinsamen Regierungsprogramms der P. S. und P. C. F. und macht den Einfluß der Gewerkschaftsführung bei diesen Verhandlungen deutlich.

Die C. F. D. T. (Confederation Franpaise Dmocratique du Travail), mit ihren ca. 700 000 Mitgliedern die zweitgrößte Gewerkschaft, ist im Grunde heute noch die Gewerkschaftsbewegung des militanten Laienkatholizismus, obwohl das Attribut „christlich" 1964 aus dem Namen getilgt wurde. Für sie gibt es die Probleme der Beziehung zu einer übergeordneten Partei nicht. Ein Teil ihrer Mitglieder unterhält engste Beziehungen zur P. S. U., während ein anderer in der Parti Socialiste organisiert ist wie der bisherige Vorsitzende Eugene Descamps. Dominierten 1968/69 noch die gemäßigten Kräfte innerhalb der C. F. D. T., die eine Annäherung an die reformistischen Vorstellunen der F. O. (Force Ouvriere, der dritten Gewerkschaft mit schätzungsweise 300 000 Anhängern) befürworteten, gewann im Frühjahr 1970 der linke Flügel stärkeren Einfluß. Während der Mai-Ereignisse 1968 hatte er erstmals eine wichtige Rolle gespielt, als er den studentischen Aktionsformen viel aufgeschlossener gegenüberstand als die C. G. T. Räumt die C. G. T.den ökonomischen Verbesserungen der Arbeiterschaft kurzfristig dominierenden Platz ein, sind für die C. F. D. T.

diese Probleme sekundärer Art; ihr vordringliches Interesse gilt der seit 1967 gesetzlich verankerten Selbstverwaltung („Autogestion"), da sie als ein erster Schritt in Richtung auf eine sozialistische und demokratische Gesellschaft von entscheidender Bedeutung angesehen wird. Das 1970 formulierte Programm umreißt die Ziele der C. F. D. T.

folgendermaßen: „ . . . (unsere) Strategie ist eine offene Strategie, die darauf abzielt, durch den Klassenkampf die Errichtung dieser Gesellschaft zu beschleunigen. . .. Der Über-gang von der kapitalistischen Gesellschaft zu dieser Gesellschaft erfordert die Mobilisierung der Gesamtheit der Volkskräfte, denn er verlangt: die Entwicklung der Macht der Arbeiter und ihrer Organisationen in den Unternehmen der Wirtschaft sowie die Herrschaft der ganzen Gesellschaft, also einen qualitativen Sprung, der die Eroberung der politischen Macht auf der Ebene des Staates mit einschließt. . . . Für die C. F. D. T. kann die . . .

Aktion zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft nur das Werk aller sozialistischer Kräfte, einschließlich der P. C. F., sein" 41). In der Politik gegenüber der Regierung und den Arbeitgebern gehen beide Gewerkschaftszentralen konform; jedoch widersetzt sich die C. F. D. T. vor allem dem bürokratischen Apparat der großen Schwester und der zu engen Verflechtung mit der P. C. F. Wohl hauptsächlich aus diesem Grund übt sie in den hochqualifizierten Industrien und Dienstleistungsbetrieben eine größere Attraktivität aus als die C. G. T., die sie auf manchen Gebieten zur unmittelbaren Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen links überholt. Beide Gewerkschaften werden sich auch in Zukunft zu einem immer bedeutenderen Faktor im politischen Leben entwickeln; ihre Verhandlungstaktik ist in den letzten Jahren sowohl in den Planungsbehörden, die die (unverbindlichen) Richtwerte für den jeweiligen Fünfjahresplan ausarbeiten 42), als auch in den Verhandlungen mit der Regierung über Lohnerhöhungen und der erst kürzlich geschaffenen Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer geschmeidiger geworden. Das gemeinsame Regierungsprogramm der Linksparteien wird sicherlich in absehbarer Zeit die schon seit langem geplanten Fusionsgespäche zwischen den beiden Wichtigsten Gewerkschaftszentralen beschleunigen helfen. Somit würde sich nicht nur Frankreichs Parteiensystem verändert haben, sondern ein Ende der bisherigen Zersplitterung der Arbeitnehmervertretung würde das Gewicht ihrer Interessen zunehmend erhöhen. Jede Regierung — ob gaullistisch oder links-sozialistisch — muß an einer solchen Konzentration der Gewerkschaften interessiert sein, die die Aktionen der Basis im alten anarcho-syndikalistischen Geist zu kontrollieren imstande ist.

Die „Reformateurs"

Unter dem Anspruch, Frankreich „zu reformieren und nicht zu revolutionieren" gruppierten sich Anfang 1972 einige zentristische und radikalsozialistische Abgeordnete und Senatoren um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Senator Jean Lecanuet und den Abgeordneten aus Nancy, Jean Jacques Servan-Schreiber. Ziel dieser Gruppe, die nach Abspaltung des auf Kooperation mit der Regierung bedachten Flügels des C. D. P. unter Duhamel auf der einen und Bruch der linken Radikalsozialisten unter Robert Fabre auf der anderen Seite nicht einmal mehr über die zur Fraktionsbildung notwendigen 30 Mandate verfügt, ist die Schaffung oder — besser gesagt — Wiederbelebung einer „dritten Kraft", die die Wähleralternative nicht ausschließlich auf den gaullistischen und sozio-kommunistischen Block beschränken soll.

Als Servan-Schreiber nach seinem spektakulären Sieg in der gaullistischen Hochburg Nancy (1970) ins Generalsekretariat der Radikalsozialisten gewählt wurde und kurz darauf auch den langjährigen Parteivorsitzenden Maurice Faure ablöste, zeichnete sich eine Wendung in der bis dahin linksliberalen Politik zu einer stärker bürgerlich-liberal orientierten Haltung ab, woran Frankreichs älteste Partei schließlich zerbrach. Für den jungen, dynamischen Parteivorsitzenden war diese Trennung des mit den Sozialisten sympathisierenden Flügels nur ein längst überfälliger Schritt. Da das Bündnis mit den Sozialisten 1965 und 1967 keinerlei nennenswerte Erfolge für die Radikalsozialisten gebracht hatte, konnte nur eine eindeutige Schwenkung zum nicht-gaullistischen bürgerlichen Lager der in der IV. und V. Republik so stark dezimierten Partei wieder neue Wählerschichten zuführen.

Somit versuchte Servan-Schreiber, alle bürgerlichen Kräfte außerhalb des gaullistischen Lagers zum „Mouvement Reformateur“ zusammenzufassen. Kern dieser Politik ist das soeben veröffentlichte Programm der Bewegung, dessen Grundgedanken sich folgendermaßen resümieren lassen: 1. Radikale Reform staatlicher Subventionen zugunsten der Bürger, nicht mehr der Aktiengesellschaften, 2. grundsätzliche Reform der öffentlichen Gewalten durch Schaffung regionaler und auch supranationaler Organe; 3. Reform des militärischen Sicherheitssystems durch Kürzung der Mittel für die Force de Frappe und Reintegration in die NATO; 4. Reform sozialer Probleme, um die Chancengleichheit aller zu erhöhen.

Im sozialen Bereich unterscheidet sich dieses Programm kaum von den übrigen bürgerlichen; nur in der Bildung zu schaffender Regionen mit effektiven Selbstverwaltungsorganen und im Ausbau der supranationalen Gremien weicht diese „alternative" von der gaullistischen ab. Seine Attraktivität für bürgerliche Wählergruppen ist nach den letzten Meinungsumfragen unverkennbar und wird manchem mit der jetzigen Regierung unzufriedenen Wähler die Entscheidung im März erleichtern.

Trotz dieser wahrscheinlichen Stimmgewinne und des erfolgten Übertritts von de Gaulles langjährigem Minister Jeanneney, woran sich vergebliche Hoffnungen auf ein Abspalten einzelner gaullistischer Gruppen knüpften, ist es äußerst fraglich, ob Lecanuet und Servan-Schreiber eine „dritte Kraft" oder „Partei der Mitte" aufbauen können. Ihre Versuche, alle liberalen Gruppierungen innerhalb der Regierungskoalition zum Übertritt in ihr Lager zu bewegen, müssen sie in unmittelbare Nähe der Pompidou auch weiterhin verbundenen Republicains Independants rücken, deren Zielvorstellungen sich mit denjenigen der „Reformateurs" nahezu decken. Aber Giscard d'Estaings Partei ist den Kräften der Reformer eindeutig überlegen und dürfte auf sie stärkere Anziehungskraft ausüben als umgekehrt. In einem Interview erläuterte Lecanuet die Haltung seiner Formation zu den beiden Parteiblöcken und machte unmißverständlich deutlich, daß das Mouvement bei der kommenden Wahl auf keinen Fall im zweiten Wahlgang einen Kandidaten der Linken favorisieren wird.

Somit sind also die Möglichkeiten des „Mouvement Reformateur" für eine dritte Kraft äußerst begrenzt, denn die einzig verbleibende Chance für das Zentrum, auch weiterhin im Parlament vertreten zu sein, besteht in einer Kooperation mit der Majorite. Es wird sich also Lecanuet und dem (manchmal exzentrischen) lothringischen Abgeordneten keine andere Alternative bieten, als sich innerhalb des Regierungslagers, wo sie bei knappem

Wahlausgang allerdings das „Zünglein an der Waage" werden können, den Unabhängigen Republikanern anzuschließen. Damit würden sich in dieser möglichen Regierungskoalition deren Gewichte zugunsten der liberalen, reformerisch gesinnten Abgeordneten verschieben, ohne deren Mitarbeit Pompidous neuer Premierminster über keine Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt.

Beide Seiten sind also im März aufeinander angewiesen, wenn sie einen Sieg der „Union de la Gauche" verhindern wollen. Deshalb wird die Majorite im wichtigen zweiten Wahlgang günstig placierte Kandidaten des „Mouvement Reformateur" unterstützen und ihren eigenen Bewerber zurückziehen, um durch ein Splitting der bürgerlichen Stimmen die Linke nicht zu stärken. Auch eine Übernahme gewisser Programmpunkte der Reformer dürfte für die U. D. R. kein unüberwindliches Hindernis bilden, um für weitere fünf Jahre an der Macht zu bleiben. Damit wäre Lecanuets kürzlich gestellte Forderung für einen Eintritt in die jetzige Koalition erfüllt: „Si M. Pompidou accepte de reviser sa politique, alors notre devoir est d'aider ce gouvernement ä reussir." („Wenn Herr Pompidou bereit ist, seine Politik zu revidieren, ist es unsere Pflicht, dieser Regierung zu helfen.")

Schlußbemerkungen

Das ambitiöse Ziel der Reformer, eine neue Partei der Mitte zu schaffen, dürfte — wie schon alle seit 1965 unternommenen Versuche — fehlschlagen und an Frankreichs auf zwei Blöcke polarisiertem Parteiengefüge vorläufig nichts ändern.

Dies würde allenfalls eintreten, wenn die Linke im März die erforderliche Mehrheit gewinnt. Dann ist ein Zerfall der jetzigen Regierungsparteien nicht mehr auszuschließen, denn die heterogenen Kräfte innerhalb der U. D. R. würden die seit dem Tod de Gaulles ausschließlich durch gemeinsame Machtinteressen geprägte Fraktion auseinandersprengen; Neugruppierungen um Chaban-Delmas, Edgar Faure und Giscard d'Estaings Unabhängige Republikaner würden sich herauskristallisieren und die Gruppe der orthodoxen Gaullisten zurückdrängen; damit könnte gleichzeitig die Chance für eine neue " Partei der Mitte" steigen, die diese nicht-orthodoxen Anhänger des Staatspräsidenten subsumiert.

Wichtiger als Spekulationen hierüber erscheinen im Falle eines sozialistisch-kommunistischen Wahlsieges die von Pompidou auf einer seiner letzten Pressekonferenzen aufgeworfenen verfassungspolitischen Probleme: Unmißverständlich deutete er an, Francois Mitterand nicht zum Premierminister zu ernennen. Er befände sich mit einer solchen Entscheidung völlig im Einklang mit der Ver-fassung, denn Artikel 8 bestimmt, daß ausschließlich der Staatspräsident den Premier ernennt. Einem gaullistischen Minderheitskabinett dürfte anschließend aber von der Nationalversammlung das Mißtrauen ausgesprochen werden. Diese Desavouierung seines Premierministers könnte Pompidou mit der Auflösung des Parlaments beantworten und Neuwahlen ausschreiben. Bestätigen die Wähler dann die bisherige linke Parlamentsmehrheit, steht dem Staatspräsidenten das Dissolutionsrecht erst nach Ablauf eines Jahres wieder zu Verfügung (Art. 12 Satz 4). Ihm bliebe keine andere Wahl als zurückzutreten oder einen sozialistischen Premier zu ernennen, dessen Regierungspolitik er jedoch jederzeit boykottieren kann, da nach Artikel 9 der Staatspräsident den Vorsitz im Ministerrat führt.

An keinem Komplex wird die mangelhafte Ausarbeitung der Verfassung von 1958 deutlicher als in diesem Zusammenhang. Hier zeigt sich besonders klar, wie sehr sie ausschließlich auf die Person des Generals ausgerichtet war. Sollte der jetzige Präsident in dem geschilderten Fall nicht die erforderliche Konsequenz ziehen, auch sein Amt einem vorgezogenen Wählerentscheid zu unterwerfen, zeichnen sich unübersehbare Verfassungskonflikte ab.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Manuskript abgeschlossen im Januar 1973.

  2. Section Frangaise de l'Internationale Ouvriere, Mouvement Republicain Populaire, die Gemäßigten, Parti Communiste Franais.

  3. Vgl. Udo Kempf, Der französische Staatspräsident — Macht ohne Grenzen?, in: Gegenwartskunde, 21. Jg., H. 2, 1972, S. 143 ff. In Frankreich wird nach der romanischen oder absuluten Mehrheitwahl mit zwei Wahlgängen gewählt, die schon die III. Republik (und das deutsche Kaiserreich) kannte. Danach ist das Land in ebenso viele Wahlkreise eingeteilt, wie es Abgeordnete in die Nationalversammlung, das „Palais Bourbon" schickt. Wenn ein Kandidat im ersten Wahlgang mehr als 50 °/o der abgegebenen Stimmen erhält, ist er gewählt. Erzielt kein Kandidat die absolute Mehrheit, findet am folgenden Sonntag eine Stichwähl statt, bei der die einfache Mehrheit genügt. Zwischen diesen beiden Wahlrunden scheiden jene Kandidaten aus, die weniger als 10 Prozent (bis 1966 5 %) der Wahlberechtigten für sich mobilisieren konnten.

  4. Stanley Henig/John Pinder, European Political Parties, London 1969, S. 103.

  5. Am 20. 1. 1946.

  6. Gilbert Ziebura, Die V. Republik. Frankreichs neues Regierungssystem — Eine Quellensammlung, Köln 1960, S. 33.

  7. H. Josef Schröder, Die Kandidatenaufstellung und das Verhältnis des Kandidaten zu seiner Partei in Deutschland und Frankreich, Berlin 1971, S. 41.

  8. Partizipation der Parteimitglieder an der Kandidatenaufstellung, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland durch das Wahlgesetz und das Parteiengesetz kodifiziert ist, kennt in Frankreich nur die Partei Socialiste. Alle übrigen Parteien haben in ihren Satzungen ein „Vorschlagsrecht der departementalen Gruppen" vorgesehen; der Partei-vorstand ist an diese Empfehlungen jedoch nicht

  9. Die gaullistische Partei wechselte seit ihrem Bestehen mehrmals ihren Namen: Zunächst von 1958 an „Union pour la Nouvelle Republique" (UNR), 1967 „Union des Democrates pour la Ve Republique" (UD—Ve), im Mai/Juni 1968 „Union pour la Defense de la Republique" (UDR) und anschließend „Union des Democrates pour la Republique" (UDR). Der besseren Übersicht wegen werden die letztgenannten Initialen im gesamten Text beibehalten.

  10. Vgl. Jean Charlot, L'U. N. R. — Etüde du Pouvoir au Sein d’un Parti Politique, Paris 1967.

  11. Vgl. Henry W. Ehrmann, Politics in France, Boston 19712, S. 228.

  12. Für Einzelheiten vgl. Francois Goguel, Bipolarisation ou Renovation du Centrisme, in: Revue Franaise des Sciences Politiques XVII, 5/1967, S. 927 ff. und: Les Elections Legislatives des 23 et 30 Juin 1968, a. a. O. XVII, 5/1968, S. 852 ff.

  13. Vgl. Le Monde vom 19. 11. 1971, S. 8.

  14. Für Einzelheiten vgl. Jean Charlot, Le Phnomene Gaulliste, Paris 1970, und Pierre Viansson-Ponte, König Karl und sein Hofstaat, Frankfurt 1966.

  15. Vgl. Tabelle 3.

  16. Jean Charbonnel (verantwortlich für die internen Parteiorganisationen), Andre Fanton (Öffentlichkeitsarbeit), Robert Poujade (Wahlen), Jean Taittinger (Finanzen), und Rene Tomasini (Organisationsfragen).

  17. Das Zentralkomitee wird von dem alle zwei Jahre einberufenen Parteitag gewählt; es besteht aus 118 Mitgliedern (April 1968).

  18. Ehrmann, a. a. O., S. 234.

  19. Vgl. Le Monde vom 20. 1. 1969; Pompidou hatte in einer Rede anläßlich eines Privatbesuches in Rom erklärt, daß er jederzeit für die Übernahme des höchsten Amtes im Staat bereitstehe, sollte de Gaulle sich zurückziehen. Darauf erwiderte der General vor seinem Kabinett am 22. 1.: „J'ai le devoir et l’intention de remplir ce mandat jusqu'ä son terme."

  20. Ehrmann, a. a. O., S. 236.

  21. Dies äußerte sich besonders in der am 12. 7. 1971 veröffentlichten Erklärung von fünf der insgesamt sechs Parlamentsausschußvorsitzenden (alle Gaullisten), die in ihrer Substanz eine einzige Anklage gegen die Regierung und vor allem gegen Chaban-Delmas war; besonders wurde beklagt, daß das Parlament über wichtige Absprachen der Sozialpartner, die in einer Art „konzertierter Aktion" unter dem Vorsitz Chabans mehrere Male getagt hatten, nur unzureichend informiert würde.

  22. Die Gaullisten stellen nur 10 °/o der Bürgermeister, während die Sozialisten immerhin 17°/o stellen. Nur 25 von 160 Städten mit über 30 000 Einwohner werden von einer UDR-Majorität regiert; vgl. Ehrmann, a. a. O., S. 238.

  23. Nach dem jungen, dynamischen Robert Poujade, der zum Umweltminister avancierte, wählte das Zentralkomitee Rene Tomasini, einen orthodoxen Gaullisten, zum Generalsekretär, der im Sommer 1972 nach einigen Skandalen durch Alain Peyrefitte ersetzt wurde.

  24. Vgl. Le Monde vom 31. 10. 1972, S. 12.

  25. Der Staatspräsident wird für sieben Jahre direkt vom Volk gewählt. Erhält kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, findet 14 Tage später eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplaciertesten statt.

  26. Vgl. Le Monde vom 5. 12. 1972, S. 6.

  27. Zum Begriff „Partei" vgl. Maurice Duverger, Die politischen Parteien, Tübingen 1959, S. 63 ff.

  28. de Gaulle war 1958 von ca. 80 000 Notabein der Regional-und Lokalparlamente gewählt worden.

  29. Das gemeinsame Regierungsprogramm der Sozialisten und Kommunisten in Frankreich, hrsg. von Werner Goldschmidt, Köln 1972, in: Hefte zu politischen Gegenwartsfragen, H. 4.

  30. Vgl. Joseph Rovan, Frankreich im Nachgaullismus, in: Frankfurter Hefte XXVI/11, 1971, S. 845 ff.

  31. Goldschmidt, a. a. O., S. 50/51.

  32. Vgl. Artikel 89 der Verfassung, nach dem eine Verfassungsänderung zunächst von beiden Häusern des Parlaments gebilligt werden muß und anschließend einem Volksentscheid unterbreitet wird. — Folgende Programmpunkte sind noch zu erwähnen: Einrichtung eines Verfassungsgerichts, Beschneidung der Kompetenzen des Staatspräsidenten, stärkere Machtkompetenzen für das Parlament, Einführung der Verhältniswahl.

  33. Chefideologe der Partei; vgl.sein Werk: Toute la Vrit, Paris 1970, und: Le Grand Tournant du Socialisme, Paris 1969.

  34. Rovan, a. a. O., S. 848.

  35. Vgl. W. I. Lenin, Das Verhältnis der Sozialdemokratie zur Bauernbewegung, in: Ausgewählte Werke Bd. I, S. 540 ff.

  36. Vgl. Le Monde vom 3. /4. 12. 1972, S. 5.

  37. In Frankreich gibt es ungefähr 15, 9 Millionen Arbeitnehmer, von denen etwa 3, 2 Millionen gewerkschaftlich organisiert sind, was einem Organisationsgrad von 2O’/o entspricht.

  38. Vgl. Geotges Sguy, Le Mai et la C. G. T., Paris 1972. Atif die selbstgestellte Frage: „Etions-nous en presence d’une Situation revolutionnaire?" antwortet er: „Pour la grande mässe des travailleurs en lutte, les motifs etaient essentiellement revendicatifs, sociaux, economiques."

  39. J. Rovan, a. a. O., S. 927.

  40. Vgl. die im Expreß, No. 1117, 4— 10 Novembre 1972, S. 15tf., veröffentlichten wichtigsten Auszüge.

  41. Le Monde vom 14. 10. 1972, S. 11.

  42. ) Le Monde vom 14. 10. 1972, S. 11.

  43. ) Vgl. zu dieser Frage u. a. Peter Zürn, Die republikanische Monarchie, München 1965, S. 59 f.

Weitere Inhalte

Udo Kempf, Dr. phil., geb 1943 in Remscheid; studierte in Bonn, Grenoble, Tübingen und Paris Politische Wissenschaften, Französisch und Geschichte, seit 1971 wiss. Assistent am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Veröffentlichungen: Zur Kandidatenaufstellung in Frankreich am Beispiel der Union pour la Nouvelle Republique, Berlin 1973-, Der Französische Staatspräsident — Macht ohne Grenzen?, in: Gegenwartskunde 2/1972; Mechanismen einer zentralen Steuerung der Kandidatenaufstellung in der U. N. R., in: Zeitschrift für Politik 4/1972.