Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Wandel der nationalen Frage in der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 34/1973 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 34/1973 Der Wandel der nationalen Frage in der Bundesrepublik Deutschland

Der Wandel der nationalen Frage in der Bundesrepublik Deutschland

Erich Kitzmüller /Heinz Kuby /Lutz Niethammer

/ 64 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Als nationale Frage'ist bisher in der BRD weitgehend die Wiedervereinigung erschienen. Deren Problematik ist durch die neue Ostpolitik nicht etwa nur oberflächlich verschoben worden. Vielmehr entspricht die Auflösung des gesamtdeutschen Traditionskomplexes in konkrete Aufgaben zwischenstaatlicher Politik mit den osteuropäischen Ländern einem langanhaltenden Meinungstrend in der Bevölkerung der BRD. Die nationale Tradition des Deutschen Reiches ist bei der Masse der Bevölkerung entpolitisiert und hat einer noch wenig artikulierten Bi-nationalisierung im Sinne staats-gesellschaftlicher Integration der BRD (und langsamer auch der DDR) Platz gemacht. Die konkreten Bedürfnisse der Menschen, die besonders engen Kontakt zu Bürgern der DDR pflegen, weisen den Weg der kleinen Schritte. Ältere Vertriebene stehen jetzt jedoch teilweise in einer Bewußtseinskrise, weil die nationalen Illusionen zerronnen sind. Demgegenüber stellt sich auch für die BRD immer dringlicher eine neue — dem öffentlichen Bewußtsein bisher weitgehend entgangene — , nationale Frage': nämlich der Widerspruch zwischen der einzelstaatlichen Organisation politischer Vermittlung, ökonomischer Steuerung und demokratischer Teilnahme einerseits und der zunehmenden transnationalen Verflechtung der ökonomischen Leitsektoren anderseits, geballt im Kernbereich der Europäischen Gemeinschaft. Diese erleichtert unter der Bedingung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts die transnationale Kapitalkonzentration und Unternehmensorganisation. In den derzeitigen kapitalistischen Gesellschaften, die wesentlich durch die Optimierung des ökonomischen Wachstums integriert werden, ist dieser Prozeß zwanghaft und nur um einen hohen politischen und ökonomischen Preis umkehrbar geworden. Er ist soweit fortgeschritten, daß er die nationalstaatlichen Lenkungs-und Vermittlungssysteme in ihrer Wirksamkeit zunehmend einschränkt, zugleich damit auch die nur in diesem Rahmen gegebene parlamentarisch-demokratische Teilhabe. Auf der anderen Seite verlangt er jedoch gemeinschaftsweite, autoritative Lenkungs-und Ordnungssysteme, die sich nur in krisenhaften Auseinandersetzungen aus dem derzeitigen Vereinbarungsgeflecht der Nationalstaaten in der Europäischen Gemeinschaft werden bilden können. Die außerordentlichen Schwierigkeiten dieser politischen Umbildung lassen sich an der stockenden Entwicklung der Wirtschafts-und Währungsunion ablesen, die nur ein erstes Element des neuen Lenkungsapparats wäre. Noch größer sind die Probleme einer Transnationalisierung der politischen Vermittlungsfunktion der Staaten. Während der Übergangsperiode werden die politischen Institutionen und mit ihnen die durch sie stabilisierte gesellschaftliche Ordnung auch für demokratische Einwirkungen veränderbar, wenn die Lohnabhängigen ebenso wie schon das Kapital zu wirksamer transnationaler Organisation finden. An der „Gastarbeiter" -Frage läßt sich heute schon sowohl der Zwang zur Transnationalisierung der Produktionsfaktoren als auch ihr entdemokratisierender Effekt im Rahmen der derzeitigen gesellschaftlichen und staatlichen Struktur in Europa erkennen. Die Möglichkeiten einer transnationalen Organisation und Einflußnahme der großen Mehrheit der Europäer sind noch keineswegs ausgeschöpft, ja kaum erkannt. Zwar wirken ihr allgemein eine Tendenz zur weiteren Schichtendifferenzierung innerhalb der Lohnabhängigen sowie in der BRD ein Wiederaufleben nationaler Ideologien in den Mittelschichten entgegen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch eine latende Bereitschaft zur transnationalen Solidarität und — unter der Bedingung eines relativen Tiefststandes xenophober und antikommunistischer Ideologien — werden in einer zunehmenden Polarisierung politischer Einstellungen teilweise die Konturen eines neuen, noch nicht mobilisierten Klassenbewußtseins sichtbar.

Nationalstaat ohne Nationalökonomie? (Teil II)

Tabelle 4: Ausländische Arbeiter und Angestellte in der BRD

Diese Studie beschäftigt sich in zwei aufeinanderfolgenden Teilen mit dem Prozeß der nationalen Integration in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sowie ihrer gleichzeitigen Infragestellung im Hinblick auf die sich ausbildende transnationale Ökonomie im Rahmen der EWG. Dieser letzte Aspekt wird in der gegenwärtigen Diskussion unter dem Stichwort „multinationale Konzerne“ zumeist als ein primär ökonomisches Thema behandelt, wohingegen die Autoren nachdrücklich auf die vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen aufmerksam machen. Sie tun das in einer Weise, die sowohl in ihrer Diktion - die zugleich eine politische ist - als auch vor allem in ihrem theoretischen Ansatz und der sozioökonomischen Analyse wie ebenso in ihren Schlußfolgerungen Widerspruch provozieren wird. Die Redaktion sieht es jedoch als eine ihrer Aufgaben an, auch über den Status quo der allgemeinen Übereinstimmung hinaus notwendige Perspektiven zu publizieren. Diese Auffassung schließt die Veröffentlichung kontroverser Stellungnahmen selbstverständlich mit ein.

Tabelle 9: Klassenbewußtsein und Nationalgefühl

Die politischen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland haben bisher zwei widersprüchlichen Grundanforderungen überdurchschnittlich entsprochen: Sie förderten die Konzentrierung und großräumige Entwicklung der Unternehmen und Kapitalien und sicherten zugleich die Loyalität und Zustimmung der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik, zuerst unter Führung der Christdemokraten, dann von den Sozialliberalen modernisiert, war eine wesentliche Bedingung für den Aufstieg zur staatlichen Normalität. Das schnelle ökonomische Wachstum, das die BRD zur ersten Wirtschaftsmacht Europas machte, ist ja von der Politik nicht zu trennen. Politik nach außen: die Weichenstellung zum atlantischen Block und zur westeuropäischen Integration; und Politik nach innen: die Rekonsolidierung der Eigentums-und Machtverhältnisse, die in der Zerrüttung des Staates im Kriegsende zur Dis-

VI. Der Nationalstaat als Steuerungsund Vermittlungsapparat wird unwirksam

Tabelle 5: Ausgewählte Ausländerquoten (bezogen auf alle jeweiligen abhängig Erwerbs tätigen in 0/o)

Position standen; Schaffung einer Wirtschaftsordnung, in der die Verfüger über großes Kapital weithin frei operieren und profitieren können; schließlich die Absicherung der kapitalistischen Wirtschaftsweise durch stärkeres Eingreifen staatlicher Organe und nicht zuletzt durch eine vergleichsweise konflikt-arme, ja fast reibungslose „Sozialpartnerschaft" zwischen Unternehmern und Gewerkschaften.

Tabelle 10:

Die Ausbildung der Progreßfachleute (der Wissenschaftler und Techniker) wird öffentlich finanziert und gefördert. Der Staat begünstigt die Selbstfinanzierung der Unternehmungen und den darin enthaltenen Aufwand für technologische Entwicklung; er finanziert darüber hinaus durch öffentliche Käufe oder auch direkt die privatwirtschaftlich organisierte Forschung und Entwicklung Vor allem kann der Staat sich der Aufgabe nicht entziehen, den Wirtschaftsprozeß im Ganzen sowohl zu initiieren wie zu stabilisieren. Nahezu jede Staatstätigkeit dient zumindest teilweise diesem Zweck (konjunkturelle Be-deutung der öffentlichen Ausgaben; Ausrichtung der politischen Parteien auf Wachstum und Stabilität als Erfolgsmaßstab). Die politische Garantie für Wachstum und — relative — Stabilität ist die Voraussetzung für private Progreßsteuerung (unternehmerische Entscheidung über die Entwicklung neuer Waren, neuer Produktions-und Vermarktungstechniken) und für private Nutzung des so gesteuerten industriellen und zivilisatorischen Progresses. Die politische Sicherung des ökonomischen Progresses kann allerdings nicht mit den wirtschaftspolitischen Instrumenten allein geleistet werden. Diese Instrumente können ja nur wirksam gebraucht werden, wenn „innerer Friede" gewährleistet ist — der Hauptzweck jedes Staates. Zur Sicherung des inneren Friedens bedarf es neben den formalen Einrichtungen, die in Verfassungsurkunden konstituiert sind, eines vielfältig verzweigten, funktionell spezialisierten politischen Apparats, des Zusammenwirkens verschiedenartigster gesellschaftlicher Mächte. In der BRD haben die formalen politischen Einrichtungen nur selten bisher Mühe gehabt, für die Regulierung und Dämpfung von Konflikten zu sorgen. Stärker als diese Leistungen und auch als staatlich organisierte Sozialentschädigungen haben die gleichsam vorpolitischen Sozialisationsund Disziplinierungsanstalten (Familie, Schulen, Bundeswehr, die überwiegend auf Hierarchie und fremdbestimmte „Leistung" ausgerichtete Betriebsorganisation u. ä.) zur Vermeidung oder Ablenkung von Konflikten beigetragen. Wirtschaftspolitik hat für die konkurrierenden politischen Gruppen in der BRD eher noch größere Bedeutung als für vergleichbare Nachbarländer. Das überdurchschnittliche Wachstum hat die reale politische Verfassung entscheidend geprägt. Anstatt die Erfahrung des Faschismus und seiner Ursachen durch gesellschaftliche Veränderungen praktisch aufzuarbeiten, wurde „Vergangenheit bewältigt", d. h. durch Produktionsund Konsumleistungen weithin verdrängt Die Wachstumsleistung hat Selbstbewußtsein erzeugt, auch weltweite Anerkennung, die rückwirkend solches Selbstbewußtsein stabilisiert. Wachstumsmaximierung jeglicher Art erscheint ja noch immer als ein universell gültiger Maßstab, und im Wachstum halten die Deutschen europäischen Rekord. Nicht nur Wachstum der Produktion , sondern auch des Massenkonsums sondern auch des Massenkonsums 118). Die gleichsam selbstverständlich gewordene Massenloyalität drückt sich u. a. darin aus, daß eine Alternative zum bestehenden Gesellschaftssystem in der Machtstruktur der BRD bisher keine Rolle spielte Sie hebt die BRD von älteren und traditionsgefestigteren Nationalstaaten Europas deutlich ab. Die über den Konsum vermittelte Loyalität ist jedoch mit einem hohen Preis erkauft: Die Konsumbürger werden durch die andauernde industrielle Bearbeitung und Verwertung ihrer Bewußtseinstätigkeit (Massenmedien und Werbewirtschaft sind unter den Spitzenreitern des Wachstums) an der Entfaltung jener Fähigkeiten gehindert, die politisches Handeln erst ermöglichen und die im alten Leitbild politischer Bildung, dem „citoyen", vorausgesetzt wurden. Dazu zählen die Fähigkeiten, die gesellschaftlichen Beziehungen schöpferisch umzugestalten, intensiv und auch öffentlich zu kommunizieren und solidarisch zu handeln. Diese Qualitäten, ohnedies in der deutschen Tradition schwach entwickelt und verkrüppelt, fanden im Wirtschaftswunder-Aufschwung nicht eben den besten Nährboden. Zwar haben in den letzten Jahren die Bewegungen unter Studenten und Schülern, aber auch Bürgerinitiativen und nicht zuletzt politische Aktionsgruppen neben den Parteien neue politische Erfahrungen und Fähigkeiten verbreitet, so daß man von einer weitergehenden Politisierung und einem Rückgang der politischen Apathie sprechen kann. Für die meisten Menschen beschränkt sich die Politisierung bis jetzt jedoch überwiegend auf die Anteilnahme an vorgegebenen politischen Institutionen mittels vorgeformter Verhaltensmuster (etwa Wahlbeteiligung, unverbindliche Meinungsbildung unter Einfluß der Massenmedien u. ä.). Die Bereitschaft, sich in Verteilungskonflikten zu engagieren (Lohnforderungen und Empfindlichkeit für höhere Lebenskosten; größere Aufmerksamkeit gegenüber den öffentlichen Aufgaben), scheint hingegen gewachsen, nicht aber auch die Bereitschaft, Gestaltungskonflikte durchzuhalten (wer soll über die Verwendung städtischen Bodens bestimmen, wer über Betriebsablauf und Unternehmenszweck? u. ä.). Der Grund dafür ist vor allem darin zu finden, daß die meisten Menschen von der konkreten Erfahrung der ökonomischen Dynamik absichtsvoll und legal ausgeschlossen bleiben: jener Dynamik, die in Planung und Ausbreitung der transnationalen Unternehmungen mit größter Beschleunigung auftritt und als industrieller und technologischer Progreß alle sozialen Verhältnisse mit sich reißt. Diesen Progreß (die Qualität neuer Produkte, neuer Produktions-und Umsetzverfahren, die Qualität der gesellschaftlich erzeugten Welt) selbstverantwortlich und solidarisch zu gestalten, ist den meisten Menschen nicht einmal als Spiel der Phantasie vertraut, geschweige als politisches Vorhaben zugänglich. Ihnen bleibt nur, ihren individuellen Lebensplan den Chancen anzupassen, die der fremdgesteuerte ökonomische Progreß für sie bereit hält und dem sie dafür sich ausliefern

Tabelle 10:

Die reale Verfassung der BRD ist daher nur mit großen Einschränkungen aus dem Grundgesetz abzulesen Politische Macht fällt den Gruppen zu, die Wachstum und Stabilität repräsentieren. Für alle politischen Parteien wird es deshalb zur Hauptaufgabe, die Wachstumsmaschine systemgerecht zu verwalten, besser als die Konkurrenten 1. Der gemeinsame Boden ist die stillschweigende Übereinstimmung der Praktiker im ökonomischen Ziel größtmöglichen Wachstums im Rahmen der liberalkapitalistischen Wirtschafts-und Verfassungsordnung. In diesem Rahmen entscheidet über Erfolg oder Mißerfolg der systemrichtige Gebrauch der staatlichen Instrumente zur Steuerung der Konjunktur.

Aber diese Instrumente, mit deren Hilfe Wachstum und Massenloyalität erzeugt wurden, greifen immer weniger. Dieser so erfolgreiche Quasi-Nationalstaat hat keine eigene ökonomische Basis mehr. Just in den Jahren, da den Deutschen dünken möchte, die BRD sei ein Staat wie andere auch, das staatliche Provisorium sei endlich zu Ende, beginnen die ökonomischen Bedingungen nationalstaatlicher Politik unwiderruflich zu schwinden. Mit den nationalstaatlichen Institutionen werden auch die Machtverhältnisse und die gesellschaftspolitische Ordnung veränderbar. Können denn die Institutionen der BRD weiterhin den ökonomischen Kreislauf so beeinflussen, daß die beruhigenden Warenzuweisungen (Löhne und andere Entschädigungen, z. B. Sozialaufwand) weiter fließen, wenn zugleich ausschlaggebende Entscheidungen über den Progreß nicht mehr in der BRD und nicht mehr mit Wirkung auf die BRD allein zustande kommen Und wie sollen die Institutionen der BRD ihre Beruhigungsfunktion weiter ausfüllen, wenn der Progreß zugleich die Mobilisierung der Menschen erfordert? Die Mobilisierung für den von der Kapitalverwertung angetriebenen Zyklus: Produktion — Konsum kommt nicht ohne angststabilisierte Statushierarchie aus, ohne soziale Polarisierung zwischen den knappen Spezialaualifizierten und den tendenziell für die Produktion Überflüssigen. Das eine Hauptmittel zur Beruhigung, die immer neu angepaßten oder gar erhöhten Stillhalte-und Mobilisierungsprämien (Massenlöhne, „Scheinlöhne" und andere Sozialentschädigungen), steht nicht nach Belieben zur Verfügung, weil die Unternehmungen diese Kosten (Lohnsumme plus um-verteilte Steuern) zu minimieren trachten. Die transnationale Verflechtung wird es bald völlig unmöglich machen, im nationalen Alleingang Löhne und Sozialkosten überdurchschnittlich zu erhöhen.

Hinzu kommt aber vor allem das wahrscheinliche Anschwellen von Forderungen und Ansprüchen, die nicht mehr verläßlich durch Warenversprechen eingelullt werden können. Nicht zufällig zeigen sich die Unternehmens-leitungen und ihre politischen Vertreter, so nachgiebig sie sich oft in Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften geben, entschlossen unnachgiebig gegenüber Forderungen nach Zugang der Arbeiter zu den Informationen des Managements und nach Selbst-organisation in den Betrieben (vgl. die Diskussionen um das Betriebsverfassungsgesetz).

Sollten solche Forderungen sich häufen, könnten die politischen Institutionen der BRD Ruhe wahrscheinlich nur gewaltsam erzwingen. Jedoch ist verschärfte Repression ein überaus riskantes und schwer zu dosierendes Mittel der sozialen Beruhigung. Sie widerspricht dem in der BRD langhin so erfolgreichen Verfahren, die „Teilnahme" aller durch Aufpeitschen einer warenfixierten Begehrlichkeit zu erreichen, was sich als wirksamste Form der Entpolitisierung erwiesen hat. Diese Entpolitisierung würde durch ein Ausgreifen gewaltsamer Staatsintervention möglicherweise rückgängig gemacht.

Die politischen Institutionen geraten in einen Zielkonflikt. Eine Politik hoher Warenzuweisungen (Löhne und andere Entschädigungen)

an die breite Mehrheit, obwohl geeignet zur sozialen Beruhigung, riskiert, daß die Profite sinken, die Kapitalbildung sich verlangsamt oder gar Kapital abwandert". Dies ist mit den Interessen der ökonomischen Machtzentren, die auf den Wettbewerb in einem westeuropäischen Zusammenhang eingestellt sind, nicht vereinbar und könnte zur . englischen Krankheit'führen: gewerkschaftliche Erfolge bei gesamtwirtschaftlicher Stagflation mit dem Ergebnis real stagnierenden Lebensstandards und verstärkter Unruhe und Krisen-anfälligkeit Vor dieser Schwierigkeit ist abzusehen, k sich die politisch-ökonomischen Optionen i n der und für die BRD gabeln: hier der Versuch, mit erhöhten Stillhalteprämien, Anreizen für Zwangssparen und Ablenkung auf entscheidungsferne Mitgestaltung (neue Spielwiesen in Betrieb und Politik)

und daneben mit offen gewaltsamer Unterdrückung jeder radikalen Opposition, die qualitativ die Entscheidungsstruktur und damit die Qualität des Progresses ändern will, dennoch die Stillhaltefunktion mit der Mobilisierungsfunktion systemgerecht zu vereinigen; dort Versuche zur qualitativen Veränderung der Machtstruktur in Wirtschaft und Staat. Abzusehen ist, daß beide Versuche nicht in der BRD isoliert zum Erfolg kommen.

Die Sachzwänge des politischen Geschäfts und jene des Progresses decken sich im Nationalstaat nicht mehr. Das Territorium der BRD bleibt gleich, aber die Entscheidungsstruktur der Unternehmungen greift über sie hinaus, ebenso die qualifizierte Arbeit. Hier der Zwang, im Rahmen der Verfassung Macht zu bilden, zu behaupten und anzuwenden, was nur auf dem Territorium der BRD angeht. Dort der Zwang, jenseits der Grenzen die Bedingungen zu beeinflussen, denen aller Progreß auch in der BRD unterworfen ist.

VII. Ein gegenwärtiges Beispiel künftiger Gefahren: Import von Arbeit als politisches Problem

Tabelle 6: Die Arbeitsamtsbezirke mit überdurchschnittlicher Ausländerquote

Ein besonders aktuelles Beispiel für den entdemokratisierenden Effekt des Widerspruchs zwischen transnationaler Ökonomie und politischer Nationalstaatlichkeit bietet der Zu-strom ausländischer Arbeiter in die BRD. Die- Problem ist in den 60er Jahren herangereift, durch die Verdoppelung der Zahl der sog. Gastarbeiter in der BRD zwischen 1968 und 1972 sprunghaft angewachsen und läßt eine weitere Verschärfung in den nächsten Jahren erwarten. Es besteht darin, daJ die politische Symmetrie in der BRD dadurch gewahrt wird, daß bei anhaltendem wirtschaftlichen Wachstum die sozialen Umschichtungs folgen der Konzentration und strukturellen Modernisierung der Industrie für die einheimische Gesellschaft durch Import eines nicht wahlberechtigten Subproletariats eingedämmt werden. Während in letzter Zeit die Schulprobleme und das Wohnungselend der ausländischen Arbeiterfamilien zunehmend in den Massenmedien besprochen werden, sind die Dimensionen dieses sozio-politischen Problems der Öffentlichkeit kaum bewußt; An-sätze zu seiner Lösung sucht man vergebens Dabei ließen sich leicht für Anhänger jeglicher politischer Observanz stimulierende Schlagzeilen aus diesem Fragenkreis gewinnen, wie etwa: Vielvölkerstaat Deutschses — Gastarbeiter helfen Strau — Jeder 4. Arbeiter in Süddeutschland ohne Wahlrecht — Islamischer Arbeitskreis in der CDU? Bevor wir die Faktoren analysieren, die das Ausländerproblem zum Dilemma national-staatlicher Demokratie machen, seien einige Grundtatsachen in Erinnerung bzw. überhaupt zu Bewußtsein gebracht

Die BRD ist der extremste Fall jener hochindustrialisierten Länder Mittel-, Westund Nordeuropas, die ihren Bedarf an unqualifizierter Arbeit durch Importe aus dem Mittelmeergebiet befriedigen. Soweit es die in der EWG nicht einheitlich geführten Statistiken erkennen lassen, kommen in die BRD allein mehr als anderthalb mal soviele ausländische Arbeiter als in alle übrigen EWG-Länder zusammen: Am 30. 9. 1972 waren es offiziell 2 354 200 was unter Einrechnung der teilweise mitgebrachten Familienangehörigen und der illegal Eingereisten einem Zuzug von weit über 3, 5 Mill. Ausländern entsprechen dürfte. Den größten Anteil stellen die vier südeuropäischen Militärdiktaturen Türkei (allein 511 600), Griechenland, Spanien und Portugal mit 44 °/o, außerdem Jugoslawien mit 20% und Italien mit 17 %; aus den Ländern der erweiterten EWG, Italien eingeschlossen, kommt dagegen noch nicht einmal ein Viertel der ausländischen Arbeiter in der BRD. Die Rückwanderungsquote ist in den letzten Jahren beständig gefallen (1972: ca. 15%); die Masse der ausländischen Arbeiter ist seit dem ersten Zuzug in der BRD geblieben. Schon 1968 waren die männlichen Italiener durchschnittlich 41/2 Jahre in der BRD, die Spanier 5 und die Türken 31/2 Da sich mittlerweile die Gesamtzahl der ausländischen Arbeiter mehr als verdoppelt hat, dürften diese Durchschnittswerte zwar nur unwesentlich gestiegen sein, würden jedoch ein falsches Bild ergeben, da den Neuzugewanderten ein wachsender großer Anteil mit einer Aufenthaltsdauer von 6, 8, 10 und mehr Jahren gegenübersteht, der alle Merkmale einer Einwanderung aufweist. Ohnehin wollen nach Umfragen 90 % der . Gastarbeiter'längere Zeit in der BRD bleiben Jedenfalls ist derzeit jeder 15. Einwohner der BRD und jeder 10. abhängig Erwerbstätige hierzulande Ausländer. In Baden-Württemberg gilt dies sogar für jeden 5. abhängig Erwerbstätigen oder beinahe jeden 3. Arbeiter. Allgemein ist die Ausländerquote regional und branchen-mäßig außerordentlich verschieden. Sie weist ein deutliches Süd-Nord-Gefälle auf und ist keineswegs in den traditionellen Industrierevieren (Ruhr, Niederrhein, Saar), sondern in den neuen, halburbanisierten Wachstumsgebieten am höchsten. Die Ausländer sind fast durchgängig in ungelernter oder angelernter, sehr viel seltener in qualifizierter Handarbeit beschäftigt und konzentrieren sich am stärksten im Baugewerbe (Ausländerquote 1971: 22, 4%), Gaststättengewerbe (19, 1 %), der metall-(14, 8%) und sonstigen verarbeitenden (insbesondere Teilen der chemischen) Industrie (13, 7 %) also in schmutzigen und gesundheitsgefährdenden, monotonen und dienenden Beschäftigungen.

Der Import von Arbeit ist zwar schon in früheren Expansionsperioden der deutschen Wirtschaft in großem Umfang praktiziert wor-den: Im Wilhelminischen Reich waren es vor allem die Polen und Italiener; in die Rüstungsbetriebe des Dritten Reiches wurden ca. 7 Millionen aus den meisten europäischen Nationen verschleppt. In der Frühgeschichte der BRD trat das Problem jedoch nicht auf, weil in den Vertriebenen ein großes Reservoir an Arbeit für Beschäftigungen aller Art zur Verfügung stand, die während der 50er Jahre durch den Zuzug überwiegend qualifizierter Kräfte aus der DDR ergänzt wurde und die Bildungsinvestitionen trotz rasantem wirtschaftlichem Wachstum gering zu halten erlaubte. In den frühen 60er Jahren, als dieser Zustrom endete, die Masse der proletarisierten Vertriebenen aufgesogen war und ein internationaler Boom die Wachstumsraten der Wiederaufbauperiode annähernd fortsetzte, forcierte die BRD den Import von Arbeit aus Südeuropa. 1961 überstieg die Zahl der ausländischen Arbeiter (1954: 72 900) erstmals die 0, 5-Millionen-Grenze und erreichte nach einer sehr steilen Steigerungskurve 1966 mit 1, 3 Millionen ihren ersten Höhepunkt. In der Rezession verloren etwa 1/4 dieser Arbeiter ihre Arbeitsplätze und wurden als . Konjunkturpuffer'benutzt. Als die Krise durch Export der Arbeitslosigkeit und erhöhte Wachstumsinvektiven überwunden und die Deutschen selbst im Ganzen (außer im Bergbau) mit dem Schrecken davongekommen waren, zog der Import von Arbeit erneut steil an und hat sich zwischen 1968 und 1970 von einer auf zwei Millionen verdoppelt. Seither ist diese Zahl beständig, wenn auch weniger rasant weitergewachsen, trotz gesamtwirtschaftlicher Krisenmomente, zumindest Unsicherheit (vgl. Tab. 4). Äußerlich ist dafür vor allem der auf mittelfristige Sicht sehr ungünstige Altersaufbau der deutschen Erwerbsbevölkerung und ihr absoluter Rückgang verantwortlich, der sich — verstärkt durch Ausdehnung der Ausbildungsund Kürzung der Arbeitszeiten sowie durch Herabsetzung der Altersgrenze — weiterhin in einem starken Bedarf nach Arbeitskräften niederschlagen wird und durch Rationalisierungsmaßnahmen nicht aufgefangen werden kann Steigende Nachfrage nach spezialqualifizierter und unqualifizierter Arbeit kann durchaus Hand in Hand mit der Freisetzung von Arbeitern mit traditionellen Qualifizierungen gehen.

Allerdings ist der Zustrom der Ausländer mit derartigen globalen Aussagen über die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes keineswegs erklärt. Einzelne gesamtwirtschaftliche Analysen haben im Gegenteil Hinweise erbracht, daß auf kurz-und mittelfristige Sicht die volkswirtschaftliche Wertschöpfung der ausländischen Arbeiter die für sie notwendigen öffentlichen Infrastrukturinvestitionen nicht aufwiegt 2. Der Massenimport von Arbeit entspricht keinem abstrakten ökonomischen Sachzwang, sondern einer spezifischen Interessenstruktur, deren wichtigste Faktoren in der BRD die Profitmaximierung des Kapitals und die politische Systemharmonisierung sind, die ihrerseits auf Grund der Bedürfnisse der Bewohner der zurückgebliebenen Randregionen Europas wirksam zu werden vermögen. Diese drei Faktoren werden voraussichtlich auch den weiteren Entwicklungsgang des Arbeitsimports bestimmen — und nicht voluntaristische Einwanderungsregelungen.

Die Anwerbung ausländischer Arbeiter dient in dreifacher Weise der Steigerung der Kapitalerträge. Zunächst ist Überfluß an Arbeit die wichtigste Bedingung für die Begrenzung der Lohnkosten und damit für die Erweiterung der Profitspanne und erhöhtes Wachstum durch verbesserte Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. In der BRD hat trotz der auf sehr geringe Werte gefallenen Arbeitslosigkeit unter Einheimischen — außer in den frühen 60er Jahren — immer eine . industrielle Reservearmee'bestanden, zuerst in Gestalt der Vertriebenen und Flüchtlinge, dann der . Gastarbeiter*. Deshalb sind die deutschen Löhne zwar im allgemeinen Wachstum absolut stark gestiegen, aber im Verhältnis zur Steigerung der Profite bzw.des Bruttosozialprodukts wie auch zu Ländern mit geringeren Arbeitsreserven und langsamerem Wachstum relativ zurückgeblieben. Im Vergleich zu England z. B. haben Arbeiter in Deutschland „eine kleinere Schnitte aus einem größeren Kuchen" bekommen über die relative Lohnsenkung hinaus dient die Konkurrenz durch ausländische Arbeiter auch zur Disziplinierung der Arbeit als solcher, weil die Ausländer auf Grund ihrer entrechteten, bedürftigen und unsicheren Lage zu intensiverer Arbeit bei schlechteren Arbeitsbedingungen bereit sind als es die organisierte Arbeiterschaft des Inlands allein wäre. In dieser Kapitulation des einzelnen bedürftigen Ausländers vor den Bedingungen der Unternehmer liegt auch der dritte Hauptvorteil für das Kapitalinteresse: die Investitionsersparnis in Perioden allgemein starker Expansion. Setzte man nämlich den Faktor Arbeit konstant, müßte das verfügbare Kapital neben der Rationalisierung besonders lohnintensiver und der Erschließung neuer Anlagebereiche auch in solche notwendigen Produktionsbereiche in großem Umfange zur Automatisierung und Humanisierung der Arbeit investiert werden, in denen die Arbeitsbedingungen zu schmutzig und gesundheitsgefährdend, eintönig oder entwürdigend sind, als daß sich noch inländische Arbeiter fänden. Dazu wäre aber häufig (gerade in ohnehin kapitalschwachen und lohnintensiven Branchen) ein sehr hoher und jedenfalls kurzfristig wenig rentabler Kapitalaufwand nötig, während es höhere Profite verspricht, inhumane Arbeitsbedingungen mit ausländischer Arbeit weiterzuschleppen und die Investitionen in neuen Wachstumsbereichen mit hoher Renditewahrscheinlichkeit zu tätigen. Diese Priorität ist zwar langfristig von gesamtgesellschaftlichem Nachteil, verspricht jedoch private Vorteile für die Kapitaleigner auf kurze Sicht — und auf deren Dispositionen beruht das System

Der Staat ist kein . idealer Gesamtkapitalist'

in dem Sinne, daß er dieser Verrottung der Produktionsbedingungen in bestimmten Branchen und der inneren Ungleichmäßigkeit der wirtschaftlichen Strukturentwicklung wirksam steuern könnte. Denn die staatliche Politik reagiert nicht auf ein abstraktes Gesamt-bedürfnis, sondern auf konkrete Interessen, und zwar im parlamentarischen System insbesondere solche, die das Wahlverhalten nachhaltig beeinflussen können. Schon weil die ausländischen Arbeiter in diesem Zusammenhang eine quantite negligeable sind, hat die Politik der Bundesregierung in den letzten zehn Jahren dem Kapitalinteresse in der Frage der Arbeitsimporte weitestgehend entsprochen. So hat der Staat etwa die Anwerbung und Selektion der Arbeiter in den Herkunftsländern übernommen und neuerdings verstärkt er auch die zur Integration notwendigen Infrastrukturinvestitionen Dies geschah nicht einfach, weil die Regierungen industriehörig gewesen wären, sondern weil die Arbeitsimporte die politische Priorität hohen Wirtschaftswachstums bei Vollbeschäftigung ermöglichten und auch für viele Arbeiter als Aufstiegschance individuell erfahrbar gemacht und schließlich die sozialen Umschichtungen im Inland entschärft haben. Das politische Interesse am Arbeitsimport entsprang also vorwiegend der Möglichkeit der System-harmonisierung. Auch hier sind insbesondere drei Zusammenhänge erwähnenswert.

Zunächst erlaubt die ausländische Reservearmee an Arbeitskräften, die negativen Folgen der Konjunkturzyklen in der kapitalistischen Gesellschaft weitgehend vom inländischen Wähler dadurch abzuhalten, daß konjunktur-bedingte Arbeitslosigkeit mehrheitlich exportiert wird, indem ein Teil der Ausländer mit der Arbeit auch die Aufenthaltsgenehmigung verliert. Künstliche Mobilität und Flexibilität des Arbeitsmarktes sind vielfach als wesentliche Ziele der Ausländerbeschäftigung bestimmt worden Dieser Zusammenhang ist in einer besonderen Form zum ersten Mal in der Rezession 1966— 68 wirksam geworden und hat zur Milderung der politischen Auswirkungen der Krise in der BRD maßgeblich beigetragen. Die Folgen für die betroffenen Arbeiter, ihre Familien sowie die Zahlungsbilanz und Sozialbudgets der Herkunftsländer liegen auf der Hand.

Indessen ist nur der geringere Teil der ausländischen Arbeiter . Konjunkturpuffer'; ihre Mehrheit hingegen ist ein langfristig notwendiger Strukturbestandteil unserer Gesellschaft geworden. Dies hängt damit zusammen, daß sie produktionsnotwendige Arbeitsplätze an der Basis der Arbeitsprestigehierarchie — die nicht immer auch die am schlechtesten bezahlten sein müssen — einnehmen, auf dem Bau, am Fließband, bei der Müllabfuhr, in der Küche, bei der Kunststoffverarbeitung, neuerdings auch vermehrt in unterentwickelten Erwerbszweigen wie der Holzverarbeitung, im Bergbau und in der Landwirtschaft. Dieser Prozeß ist nicht einfach — wie in Appellen an die Arbeitsdisziplin der Deutschen (unterstrichen mit dem Ruf nach der geplanten Rezession) oft unterstellt wird — ohne größere politische Krisen umkehrbar. Denn er reflektiert zwei Strukturwandlungen, die essentiell für die politische Stabilität der deutschen Gesellschaft sind Auf der einen Seite verbessern sich die Arbeitsbedingungen eines bedeutenden Teils der deutschen Arbeiterschaft relativ durch Überführung in interessantere, qualifizierte, z. T. sogar „white-collarworker'-Beschäftigungen, wozu insbesondere partielle Verschiebungen zum Angestelltenverhältnis und zum Tertiärsektor beitragen.

Zusammengenommen mit der für den inländischen Arbeiter der BRD neuen Erfahrung, daß es in der Sozialschichtung unter ihm eine neue große und sichtbar abgehobene Gruppe gibt, dürfte diese Veränderung vielleicht noch maßgeblicher als reine Lohnerhöhungen zum sog. . sozialen Frieden'in der BRD beitragen. Formelhaft läßt sich sagen, daß seit dem Massenimport von Arbeit wesentlich größere Teile der deutschen Arbeiterschaft die subjektive Erfahrung einer Arbeiteraristokratie machen und sich entsprechend verhalten. Komplementär hierzu ver-. läuft der Strukturwandel im mittelständischen Bereich von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe. Sehr viele selbständige Existenzen mußten in den letzten Jahren dem Konkurrenzdruck weichen. Aus der Landwirtschaft ist zwischen 1950 und 1964 die Hälfte der Erwerbstätigen und seither noch einmal ein ähnlich hoher Anteil abgewandert. Der Zusammenbruch selbständiger Existenzen bedeutet aber heute nur noch selten eine direkte Proletarisierung in dem Sinne, daß der Betroffene seinen Sozialstatus verliert und in die Unterschicht absinkt. Es ist wesentlich wahrscheinlicher, daß der größte Teil dieser Gruppe unter relativer Statusbewahrung in Angestelltenpositionen des expandierenden Tertiärsektors überführt wird. Könnten die auch hier wie andernorts anfallenden , dirty jobs'nicht mit Ausländern besetzt werden und wären die Kapitalien nicht frei zur Investition im Tertiärsektor und in . sauberen'Zukunftsindustrien, so wäre diese weiche Über-führung unter relativer Wahrung der Schichtung nicht möglich und faschistisches Protest-verhalten bei den Betroffenen in erheblichem Umfang zu erwarten . Ein deutliches Indiz für diese Zusammenhänge ist die Konzentration der wahlrechtlosen Ausländer in einst vom Kleinbürger-und -bauerntum geprägten süddeutschen Gebieten mit dem größten Wachstum im Tertiärsektor bzw. in verarbeitenden Industrien bei gleichzeitig resistentem oder sogar wachsendem konservativem Wahl-verhalten. Die industrielle Expansion führt hier nicht zur entsprechenden Expansion der Arbeiterwählerschaft, weil ein zunehmender Anteil der Handarbeiter kein Wahlrecht ausüben kann und viele . neue'Arbeiter an ihrem mittelständischen Verhaltensmuster nicht irre geworden sind, obwohl ihnen der ökonomische Boden des selbständigen Mittelstands unter den Füßen weggezogen worden ist bzw.

weil sie sich als Aufsteiger an diesen Verhaltensmustern zu orientieren beginnen. Diese Zusammenhänge sind bisher u. W. nicht erforscht und ohne hohen methodischen Aufwand auch nicht definitiv zu klären. Es gibt jedoch hinreichende Hinweise, die diese Hypothese sehr wahrscheinlich machen (vgl. Tab. 6 und 7). Schließlich ist die ganze Entwicklung aber nur möglich, weil es in den Randgebieten Europas ein entsprechendes Arbeitskräftepotential gibt. Ein Hauptmerkmal des Zustroms der Ausländer in die BRD ist der ständig fallende Anteil derjenigen, die aus anderen EWG-Ländern zugewandert sind: Es sind derzeit ca. 0, 5 Mill., und ihre Steigerungsrate stagniert. Demnach kommen von 5 ausländischen Arbeitern 4 aus Nicht-EWG-Ländern, und dieses Verhältnis (1962 war es noch 1 : 1) wird sich weiter fortsetzen Bei blei-bendem Wirtschaftswachstum in den hochindustrialisierten Regionen erscheint der EWG-Arbeitsmarkt im wesentlichen erschöpft. Selbst Italien, das klassische Arbeitskräftereservoir der ersten EWG-Dekade, das auch heute noch die höchste Arbeitsemigration unter allen EWG-Ländem verzeichnet, hat begonnen, seinerseits aus noch weniger entwickelten Mittelmeerländern . Gastarbeiter'zu importieren. Indem der größte Teil der angeworbenen Arbeiter aus den zurückgebliebenen Wirtschaften der südostund südwesteuropäischen Militärdiktaturen kommt, sinkt die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr in die Heimatgebiete. Allein der halben Million Türken in der BRD stehen derzeit schon zwei-bis dreimal soviele Kandidaten in der Türkei für die Einreise gegenüber. Fachleute erwarten, daß sich diese Reservearmee in den kommenden Jahren noch erheblich vergrößern wird Dies mag das extremste Beispiel sein; aber auch in anderen Ländern besteht die Neigung, sich des Drucks hoher Geburtenraten und des Unruheherds ländlicher Arbeitslosigkeit durch Forcierung der Arbeitsemigration zu entledigen, zumal die in den ersten Jahren zu erwartende Rücküberweisung der Arbeitserträge an die Familien in der Heimat die Zahlungsbilanzprobleme dieser Länder mildert. Zudem werden die Emigrationswilligen durch die bereits erfolgten EWG-Assoziierungsverträge mit Griechenland und mit der Türkei (bzw. bilaterale Verträge wie zwischen Spanien und der BRD) zwischen 1976 und 1985 in das Freizügigkeitssystem der EWG einbezogen, deren Mitgliedstaaten die Einwandernden dann nur noch in Ausnahmefällen wieder ausweisen können Hinzu werden neue Wanderungsströme kommen, z. B. qualifizierte Arbeiter und Angestellte aus Großbritannien; Farbige können über ihre alten Kolonialmutterländer verhältnismäßig leicht in das EWG-Freizügigkeitssystem eintreten; bereits warten andere Assoziierungspartner, z. B. in Nordafrika, auf ähnliche Möglichkeiten. Kurz: Da der Lebensstandardabstand zwischen Niedrig-Lohn-und sog. post-industriellen Ländern eher zu-als abnimmt, in den Abgabeländern sehr große Gruppen in der Emigration ihre einzige Chance erblicken und die gesetzlichen Weichen auf supranatio-naler Ebene bereits weitgehend auf Ausdehnung der Freizügigkeit gestellt sind, wird der Bevölkerungsdruck auf Länder wie die BRD zunehmen, aus den . Gastarbeitern'Einwanderer machen, und diese werden einem weiteren Zustrom den Weg ebnen.

Zwar kommen die meisten Ausländer zunächst nur zu dem Zweck, sich das Geld für einen neuen Start — meist eine kleinbürgerliche Existenz — in der Heimat zu verdienen. Binnen weniger Jahre erweist sich diese Absicht jedoch bei den meisten als Illusion, weil die Arbeitserträge für den Unterhalt der Familien verwandt werden müssen und der Ausländer zugleich in die erhöhten Konsumnormen des Gastlandes integriert wird und eine sog. , sekundäre Sozialisation'durchmacht. Er versucht, seine Familie nachkommen zu lassen und seßhaft zu werden. Auf die Dauer lehnen 9 von 10 Ausländern das Rotationsprinzip, nachdem sie angeworben worden sind, d. h. ihre Rückkehr, ab. Per saldo sind die mit der Familienzusammenführung verbundene Steigerung der Inlandsnachfrage und die daraus folgenden notwendigen Infrastrukturinvestitionen neue Wachstumsfaktoren und machen neue Arbeitsimporte notwendig, zumal wachsende Sprachbeherrschung und Qualifizierung den langjährigen ausländischen Arbeiter seinem deutschen Kollegen in Fähigkeiten und Ansprüchen nähert, so daß er in die Oberschicht der Unterschicht aufzurücken bestrebt ist. Zu Recht ist deshalb der Zuzug der Gastarbeiter in die hochentwickelten, liberalen, wachstumsorientierten kapitalistischen Gesellschaften als „self-feeding and endless“ beschrieben worden

Die Bedürfnisse der ausländischen Arbeiter, die Kapitalinteressen und der Wunsch nach politischer Systemharmonisierung werden deshalb die . Gastarbeiter'zu minderberechtigten Einwanderern machen und neuen Zuzug auslösen. Daraus entstehen jedoch politische Fragen, für die keine Lösung in Sicht ist. Zunächst fehlt es sowohl an Konzepten wie an Finanzmitteln für die soziale Integration der Ausländer. Die hierfür notwendigen Investitionen, die ja nicht nur Wohnungen, sondern z. B. auch Sonder-Bildungseinrichtungen in breiter Streuung erfordern, sind sehr groß, aber die Ausländer haben keine wirksame Interessenvertretung. Zweitens ist in der Grundsatzfrage keine Vorstellung in Sicht, ob die Einwanderer in traditioneller Weise — wie einst die Polen im Kaiserreich — „germanisiert" werden sollen oder — falls nicht — welche Folgen ein multinationales Subproletariat für Versorgung, Verwaltung und Kommunikation in der BRD haben könnte. Sodann wird es, je mehr sich die . Gastarbeiter'als Dauerbewohner herausstellen werden, desto deutlicher als Skandal erkannt und auch von den Betroffenen und Interessierten artikuliert werden, daß ein Zehntel, in manchen Gebieten sogar ein Fünftel, der erwachsenen Bevölkerung kein Wahlrecht hat. Denn damit wird ihnen nicht nur das Grundrecht politischer Partizipation in unserem System versagt und ein Instrument ihrer Interessenvertretung aus der Hand genommen, sondern der Wahlrechtsentzug gegenüber einem systemnotwendigen Teil der Arbeiterschaft stabilisiert den traditionellen konservativen Einflußüberhang in den halburbanisierten und ländlichen Industrialisierungsgebieten, so daJ diese Hochbur-gen der CDU/CSU bleiben könnten. Dazu trägt auch bei, daß sich in diesen Gebieten Nationalitätenauseinandersetzungen massieren und xenophobe Reaktionen begünstigen werden, die einer aufgeklärten politischen Meinungsbildung insgesamt außerordentliche Hemmnisse in den Weg legen Derzeit sind drei staatliche Strategieansätze erkennbar, um diesen Problemen zu begegnen, die jedoch völlig inadäquat sind und nur dokumentieren, daß die nationalstaatliche Or-ganisationsform der Demokratie hinter den wirtschaftlichen Problemstand zurückgefallen ist und daß neue transnationale Organisationen für soziale und politische Tätigkeit auf diesem Gebiet notwendig sind. Die Bundesregierung, die jahrelang die politische Frage der , Gastarbeiter'bis Ende der 60er Jahre planlos (allerdings damit auch ohne besonders negative Entscheidungen) vor sich hergeschoben hat, ist seit 1971 stillschweigend dazu übergegangen, die soziale Integration der Ausländer schrittweise zu fördern, ohne die Bevölkerung über deren Folgen aufzuklären Dieses Versäumnis dürfte ihre Erfolge sowohl bei der Mittelbereitstellung wie auch bei der notwendigen sozialen Kooperativität denkbar gering halten. über den politischen Status der Ausländer schweigt man sich aus. Politische Organisation vom Heimatland aus — worin vor allem Kommunisten aktiv sind — wird jedenfalls weitgehend unterdrückt, kaum dagegen der politische Einfluß von selten der Regierungen der Herkunftsstaaten, auch wo es sich um diktatorische Rechtsregime handelt Das bayerische Innenministerium (Südbayern ist das drittstärkste Ausländerkonzentrationsgebiet der BRD, auch außerhalb Münchens) vertritt eine brutale Gegenkonzeption Es will die Familienzusammenführung verhindern und dagegen durch Erzwingung der „Rotation", d. h.der periodischen Abschiebung, den Ausländern die Ersitzung der Einwandererqualifikation unmöglich machen. Dadurch würden diese in einem entrechteten Heloten-status gehalten. Dieser Ansatz ist für den erwähnten konservierenden Systemstabilisierungszusammenhang besonders charakteristisch, nämlich den Profit an den Ausländern durch Vermeidung entsprechender Infrastrukturleistungen zu erhöhen und mit xenophobem Exorzismus zu vergelten, obwohl gerade das wirtschaftliche Wachstum Südbayerns ohne den Beitrag der Ausländer undenkbar wäre. Zudem handelt es sich angesichts der bevorstehenden Inkraftsetzung der Freizügigkeit auch mit den assoziierten EWG-Partner-ländern um die Verteidigung einer virtuell schon überholten Position. Schließlich vertritt die Brüsseler EWG-Bürokratie, welche die treibende Kraft hinter den Freizügigkeitsregelungen war und die Gleichstellung aller ausländischen Arbeiter aus EWG-und anderen Ländern befürwortet, zur Lösung der politischen Frage ein sog. EWG-Bürger-recht Dieses würde das Problem aber nicht lösen: Nicht nur ist die Frage gebiets-oder personenkörperschaftlicher Gliederung noch nicht einmal aufgeworfen; nicht nur sind keine Anzeichen für eine Integration der Ausländer z. B. in das deutsche Parteiensystem erkennbar. Vor allem kommt nur ein Bruchteil der Ausländer (und dieser geht relativ zurück) aus EWG-Ländern, so daß derzeit etwa 4/5 aller ausländischen Arbeiter in der BRD — und zwar gerade diejenigen, die eine Interessenvertretung am notwendigsten hätten — von einem solchen Bürgerrecht völlig unberührt blieben. Würden sie jedoch mit eingeschlossen, fände eine höchst problematische Verwischung der politischen Grenze zwischen den EWG-Ländern und den südeuropäischen Diktaturen statt. Auch andere gra-dualistische Ansätze wie etwa in Hessen, wo auf kommunaler Ebene Vertreter der Ausländer Beratungsgremien bilden sollen lassen zwar Besserungen bei den sozialen Integrationsbemühungen am einzelnen Ort erwarten, aber keine Perspektive zur Lösung der politischen Probleme erkennen. Schwelen diese jedoch weiter und wird mit dem Wahlrechtsentzug gegenüber großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung die demokratische Komponente dieses Regierungssystems weiter unterhöhlt, so würde eine weitere Zersetzung seiner Legitimitätsgrundlage nicht wunder nehmen. Ähnlich düster ist das Bild bei den Parteien und Gewerkschaften. CDU und CSU sind Ausländern verschlossen. In der SPD wird zwar die Möglichkeit der Parteiaufnahme von Ausländern diskutiert, aber ein Integrationskonzept fehlt Die Wohlfahrtsverbände haben zwar verdienstvolle Betreuungsarbeit geleistet, können aber mit ihren Mitteln nur an Symptomen herumkurieren. Die Gewerkschaften schließlich haben zwar die größten Integrationsbemühungen unternommen, und der Organisationsgrad der Ausländer im DGB erreicht beinahe den der deutschen Arbeiter und steht in der EWG einzig da Aber im Hintergrund ist hier doch immer auch die Furcht vor der Konkurrenz der ausländischen Arbeiter erkennbar, während sich eine trans-nationale Solidarität in der Praxis noch nicht wirklich entwickelt hat. Schließlich ist dieser relativ hoffnungsvollste Ansatz weitgehend auf Tarifwesen und Betriebsarbeit beschränkt und läßt die eigentlichen Problembereiche der Ausländer — soziale Integration und politische Emanzipation — unberührt.

VIII. Latente Einstellungen zur nationalen Integration und transnationalen Organisation

Tabelle 7: Die von der CDU/CSU in der Bundestagswahl 1972 gewonnenen Wahlkreise

Wenn die BRD quasi zum Nationalstaat geworden ist, zugleich der Nationalstaat in Europa aber in der Zerreißprobe steht, weil seine Funktionen ökonomischer Steuerung und sozialer Pazifizierung nicht mehr unmittelbar politisch zu vermitteln sind, wird die Frage wichtig, auf welche Einstellungen und Dispositionen diese Veränderungen in der Bevölkerung treffen. Verschiebungen in der wirtschaftlichen Struktur mögen Reaktionen bei den Betroffenen provozieren; in welche Richtung diese Reaktionen gehen, ob sie diffus verpuffen oder sich zielgerichtet zu organisieren vermögen, hängt wesentlich davon ab, wie sehr das Bewußtsein auf die Ereignisse vorbereitet ist, welche latenten Einstellungen die Verarbeitung der Erfahrung beeinflussen. Dabei spielt eine Vielzahl von Faktoren — Sozialisation in Familie und Schule, die Einübung je spezifischer zwischenmenschlicher Beziehungen am Arbeitsplatz, Karrieremuster, unmittelbare Erfahrung von Fremdbestimmung, aber auch das Verhalten von Verbands-und Parteieliten — eine Rolle, die alle einer näheren Analyse bedürften. Hier sei nur auf Veränderungen in zwei Einstellungsbereichen hingewiesen: der Trend zur Re-Polarisierung der öffentlichen Meinung oder mit anderen Worten: der beginnende Zerfall der ideologischen Selbstverständigung der Bundesrepublikaner in der Rekonstruktionsperiode zugunsten gruppenspezifischer Einstellungen, in denen sich längst überwunden geglaubte Traditionsbestände, aber auch neue Elemente reflektieren. Zweitens die Unterschiede in der Bereitschaft, sich mit Großgruppen jenseits der unmittelbaren Erfahrung verbunden zu fühlen, d. h. in der Vorbedingung dafür, sich national integrieren zu lassen oder sich trans-national nach dem Klasseninteresse zu organisieren. Für die politische Zivilisation (civic culture) der BRD wie für ihren von Autorität, Leistung und Konsum beherrschten „way of life" war die Anlehnung an die westlichen Vorbilder bei nur geringem Eindringen demokratischer Diskussions-und Verkehrsformen in das tägliche Leben und die Kontinuität einer von Unsicherheit und Mißtrauen erfüllten Atmosphäre kennzeichnend Demokratie und Liberalität hatten zwar auch in Deutschland in Teilbereichen der Gesellschaft Tradition, wurden aber aufs ganze gesehen nach 1945 mehr im Wege einer defensiven Anpassung angenommen, als daß sie das tägliche Leben inhaltlich durchdrungen hätten. Während das Bekenntnis zur Demokratie zwischen 1953 (57 v. H.) und 1965 (79 v. H.) langsam zu beträchtlicher Höhe anwuchs beharrte ein großer Teil der Gesellschaft darauf, daß der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten gehabt habe, daß er an sich eine gute Sache gewesen und nur schlecht durchgeführt worden sei oder daß es den Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nie so gut wie unter Adolf Hitler gegangen sei Aufgegeben und dem Westen angepaßt wurde das für das frühere Selbstverständnis der Deutschen typische Stereotyp, nationale Eigenschaften seien angeboren (1948: 59 v. H.; 1971: 31 v. H.); jetzt haben sich die Werte zugunsten der klassischen westlichen Auffassung, auch nationale Eigenschaften seien anerzogen, verkehrt und damit einen Standard erreicht, den Frankreich und England schon nach dem Krieg innehatten und der damals nur noch von „Schmelztiegel" -Ländern wie USA und Australien übertroffen wurde Heute ist die einst in Deutschland beinahe allgemeinverbindliche Ansicht, Nationaleigenschaften seien angeboren, nur noch ein Indiz für Mangel an Bildung und für regressive Einstellung.

Gleichwohl zeigen internationale Vergleichs-untersuchungen die Zähigkeit deutscher Traditionen: Auch 1960 tat sich in der BRD noch eine in anderen Ländern beispiellose Kluft zwischen hohem Informationsgrad und geringer Meinungsfreudigkeit auf Dies ist nur ein Element in einer weitverbreiteten Atmosphäre des Mißtrauens, das sehr viel langsamer abgebaut wird, als die verbalen Bekenntnisse zur Demokratie zunahmen. Bei Beginn der BRD glaubte fast die Hälfte der Westdeutschen, es gebe mehr böswillige als gutwillige Menschen, und auch 1962 hing noch ein Viertel der Bevölkerung dieser extrem pessimistischen Einstellung an Gefühlsmäßige Voraussetzungen für praktische Kooperativität wachsen nur sehr langsam: Während in den angelsächsischen Ländern 1960 etwa die Hälfte der Befragten der Ansicht zustimmten, daß man den meisten Leuten vertrauen könne, und diese Zustimmung mit persönlichem wirtschaftlichem Erfolg, höherer Ausbildung und Befürwortung internationaler Zusammenarbeit korrelierte, waren es in der BRD 19 v. H., nur noch von Italien mit 7 v. H. unterboten Zwar ist die Bereitschaft zum Vertrauen im Wachsen (1964: 28 v. H.; 1971: 34 v. H. auch heute noch glaubt aber eine solide Mehrheit der Westdeutschen, daß man „den meisten Leuten" nicht vertrauen könne — während ein Drittel von ihnen Gutgläubigkeit und Vertrauensseligkeit nachgerade zu unseren Nationaleigenschaften rechnet 164). Diese Vorstellung vom deutschen Michel ist offenbar eine Illusion; Unsicherheit und Spannungen charakterisieren die soziale Wirklichkeit der Nichtprivilegierten und überforderten besser. Mißtrauen findet sich mehr bei Frauen als bei Männern, mehr bei Befragten mit Volksschulbildung ohne Lehre als bei solchen mit höherer Schulbildung, eher bei Arbeitern als bei Beamten und Angestellten, eher bei Vertriebenen als bei Einheimischen, eher im industriellen als im agrarischen und Dienstleistungssektor. Es disponiert zu rückständigen Ansichten, zur Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer, zur Ablehnung solidarischer Entwicklungshilfe, zur Sympathie für NPD oder CSU. Natürlich ist Mißtrauen weder notwendige noch hinreichende, aber eine günstige Vorbedingung für derartige Entscheidungen. Korrelationen mit Altersgruppen sind dagegen unbedeutend; es ist also keine Generations-, sondern eine soziale und Bildungsfrage

Demokratie wurde zunächst überwiegend in dem Maße als positive Einrichtung akzeptiert, in dem sie mit Traditionsmustern wie Autorität, politische Passivität, individuelle Leistung und privater Wohlstand vermittelt werden konnte. Langfristige Trenduntersuchungen haben gezeigt, daß die Wertschätzung Adenauers als des Mannes, der für Deutschland am meisten getan habe, umgekehrt proportional zu den Punkteverlusten Bismarcks und Hitlers auf derselben Skala anwuchs und daß sich offenbar ein großer Teil der Leute, die früher sagten, den Deutschen sei es im Kaiser-und im Dritten Reich, am besten gegangen, seit dem Aufblühen des Wirtschaftswunders in der BRD am wohlsten fühlten Nimmt man hinzu, daß die extreme Frontstellung gegen den Kommunismus und die Sowjetunion als Motiv politischer Integration sowohl der BRD wie Westeuropas in diesem Ausmaß in den Partnerländern ohne Parallele geblieben ist entsteht ein Begriff von den Verhaltens-und Einstellungsmustern, in denen sich die strukturelle und normative Kontinuität der sozialen Verhältnisse in Westdeutschland in ihrer industriegesellschaftlichen und verwestlichten Verwandlung als besondere Form staatsgesellschaftlicher Selbstidentifikation von den Nachbarländern abhob. Die außenpolitischen Grundeinstellungen der Bundesrepublikaner müssen als Variante ihrer allgemeinen politischen Verhaltensmuster begriffen werden. Sie schreiben der Außenpolitik — deren Primat, die einst etablierte konservative Ideologie der Mittellage, hier nachklingt — eine im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohe Bedeutung zu und sehen ihren Inhalt (zunehmend) in der Ermöglichung wirtschaftlicher Beziehungen nach allen Seiten und (abnehmend) in der militärischen Sicherheit im Westen Prononciert politische Aufgabenstellungen wie der Aufbau einer dritten oder auch vermittelnden Kraft in Europa sind Elitemeinungen, hinter denen so lange in der Bevölkerung nichts steht, wie sie nicht als für die BRD wirtschaftlich vorteilhaft popularisiert werden können Vom Ziel einer gesamteuropäischen Friedensordnung darf vermutet werden, daß es gerade deshalb sympathisch erscheint, weil sie gesicherteres Wirtschaften auf der Grundlage des Status quo verspricht und politische Optionen hinausschiebt. Auch die europäische Vereinigung ist in der BRD heute zuerst ein wirtschaftlicher Begriff. Auf sie angesprochen, meinen 39 v. H., daß uns in Europa vor allem wirtschaftliche Interessen ver-binden, 9 v. H. Sicherheitsinteressen; im einzelnen sehr disparate Angaben über politisch-geschichtliche Gemeinsamkeiten summieren sich auf 17 v. H., aber nur 3 v. H. sagen, es verbinde uns gar nichts. Auf die Nachfrage, was dabei unter „Europa" verstanden werde, geben sage und schreibe 12 v. H. die Länder der EWG an, 34 v. H. die westeuropäischen Staaten im allgemeinen, jedoch fast jeder zweite (46 v. H.) ganz Europa einschließlich der sozialistischen Länder. Doch gaullistischer Triumph käme verfrüht: Nur ein Fünftel der Befragten votiert für die funktionale Verflechtung der europäischen Nationalstaaten, drei Fünftel hingegen für einen voll integrierten westeuropäischen Bundesstaat

Das Rätsel, das diese Antworten aufgeben, mag zunächst noch größer werden, wenn man sie mit früheren westdeutschen Einstellungen zur europäischen Integration und mit denen der Partnerländer vergleicht. In der Ära Adenauer zeichneten sich die Deutschen in Europa durch das überwiegen singulärer Integrationsmotive — nationale Rehabilitation und Russenangst — aus, während die übrigen Länder von der Vereinigung wirtschaftliche Vorteile (Hebung des Konsumniveaus) erwarteten Die Westdeutschen hingegen wa-ren sogar um ihrer sonstigen Ziele willen zu wirtschaftlichen Zugeständnissen bereit stellten aber im übrigen den europäischen Charakter der Integration damit in Frage, daß sie stets unter Sicherheitsaspekten eine enge Bindung an die USA jeder europäischen Partnerschaft vorzogen Dabei wurde bei den Amerikanern nicht nur ihr überragendes militärisches Potential in Rechnung gestellt, sondern auch von ihnen angenommen, daß sie mehr als irgendein westeuropäischer Partner die spezifisch deutschen Interessen unterstützten An dieser euro-atlantischen Ambivalenz der BRD hat sich bis heute wenig geändert, wenn auch seit dem Vietnamkrieg und der inneren Krise der USA deren Vorbildrolle weitgehend dahin ist.

Seit der neuen Ostpolitik, deren linksgaullistische Züge vielleicht in der Rückwirkung zu einer gewissen Emanzipation des europäischen Juniorpartners von den USA führen könnten, ist als weiterer Faktor zur Desintegration der alten Fronten eine rapide Steigerung des Wunsches vermehrter Zusammenarbeit mit Osteuropa (einschließlich der Sowjetunion) hinzugekommen die nur verwundern könnte, ginge man von fixen Feindbildern in der Bevölkerung aus. Fremdstereotype sind aber empirisch als Funktionen allgemeiner politischer Entwicklungen nachzuweisen — das Russenbild der Amerikaner änderte sich zum Beispiel nach 1945 innerhalb kurzer Zeit radikal In dem Grad, wie sie weniger als Autostereotype tägliche Erfahrungen spiegeln und bestimmen, sind sie schneller als diese zu erlernen, zu vergessen, umzuschminken. Aber nicht nur mit Osteuropa wollen die Westdeutschen ihre Kontakte verbessert sehen, mit allen anderen Seiten — sogar der alte Spitzensympathiewert der USA ist noch einmal übertroffen worden — soll Zusammenarbeit hergestellt oder ausgebaut werden Selbst für eine zunehmende und langfristige Entwicklungshilfe votiert heute eine solide Mehrheit Wie kritisch man immer einzelnen Erscheinungen und Haltungen heute gegenüberstehen mag: Ein für die deutsche Geschichte unvergleichlicher Geist der allseitigen Kooperativität und ein relativer Tiefstand der Fremden-Feindlichkeit drücken offenbar eine selten nüchterne Einsicht in die Bedürfnisse und Interessen des industriellen Exports der BRD aus, wie sie sonst allenfalls neutralen Handelsnationen zugeschrieben wird. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß der Wille zu allseitiger Zusammenarbeit zugleich die Rehabilitationssehnsucht der Deutschen vollendet • Mit dem Rehabilitationstrauma und der unnachgiebigen Konfrontation mit den sozialistischen Ländern entfallen jedoch wichtige ideologische Motivationen der Bundesbürger für eine Forcierung der westeuropäischen Integration. Was verbleibt und allmählich bewußter wird, sind verhältnismäßig sehr nüchterne Einsichten in die militärischen Bedingungen in Europa und in die wirtschaftlichen Bedürfnisse der BRD, so wie sie ist. Die Frustration am Weltgleichgewicht beginnt ins Positive („Mittlere Macht“) gewendet zu werden. Aus dieser Sicht ist es eher als Elastizität denn als Widerspruch zu bewerten, wenn über die Hälfte der Westdeutschen für einen integrierten Bundesstaat in Westeuropa eintreten, dessen Ausdehnung jedoch offenlassen und ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen mit Osteuropa betonen. Darüber hinaus ist es freilich auch ein Reflex des Mangels an in den Eliten vorgeprägten klaren Vorstellungen Dahinter dürften nur noch bei einer kleinen Minderheit „roll back“ -Phantasien bestehen. In der Hauptsache handelt es sich im Gegenteil um einen außenpolitischen Pragmatismus in der Angleichung an andere europäische Länder, für die der Status quo selbstverständliche Voraussetzung und die politische Zielsetzung ökonomisch determiniert ist.

Gewiß ist die Einübung einer einzelstaatlichen Selbstidentifikation der Bundesrepublikaner über das Medium des ihnen eigentümli-chen " way of life" ihnen selbst als Variante „nation building" noch nicht voll zu Beedes gekommen. Ihre Resultate beherrschen indessen die alltägliche politische Orientierung und Praxis und haben die BRD den westeuropäischen Nachbarn um so mehr angenähert, als dort der Nationalstaat umgekehrt an Substanz verlor. In ganz Westeuropa schwindet die Gefühlsbindung an nationale Symbole und die Verinnerlichung des Nationalstaats als Wert an sich und vermischt sich mit industriegesellschaftlichen Konventionen und Spannungen. Stanley Hoffmann wertet das europäische Nationalbewußtsein heute überhaupt als eine Tradition ohne Dynamik zu einem bestimmten Ziel, eher tägliche Routine als tägliches Plebiszit, eher gesellschaftliches Herkommen als gemeinsame Aufgabe, eher eine vorgeprägte als eine gestaltete Identität. Diese Angleichung bedeutet noch nicht, daß Europa" nähergekom III en wäre, denn in der ff der europäischen Begeisterung waren die Überwindung der unterschiedlichen Voraussetzungen und nationalen Spannungen und der Aufbau eines kontinentalen Marktes gerade Motor der Vereinigung. Ohne dal diese politische Gestalt angenommen hätte, sind die alten Antipathien mit der funktionalen Integration bedeutungslos geworden. Eines der Motive des Atlantischen Bündnisses und der europäischen Vereinigung war die weltpolitische Stabilisierung Europas. Indem sie wesentlich von den Supermächten gewährleistet wurde, sank die Bedeutung des politischen Regio-nalismus zunächst auf das Niveau einer intermediären Organisationsform, welche die Nationalstaaten eher entlastete als prinzipiell in Frage stellte. Die Koexistenz der Systeme sicherte den Nationalstaaten Westeuropas einen Freiraum für ihre angepaßte Weiterexistenz — womit „das Damoklesschwert zum Bumerang" wurde, um noch einmal Hoffmann zu zitieren. Was ein Nationalstaat auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Verteidigung nicht allein bewerkstelligen kann, vermag er immer noch „durch Mittel zu gewährleisten, die lange nicht so drastisch sind wie Hara-Kiri". Die Untersuchungen der Deutsch-Schule weisen in dieselbe Richtung: Noch immer divergierten zum Beispiel die handelspolitischen Interessen der Einzelstaaten zu sehr, als daß in der Mitte der sechziger Jahre von einem einheitlichen EWG-Wirt-schaftsraum hätte gesprochen werden können Bei Elitebefragungen wie bei allge-meinen Meinungsumfragen erwies sich im internationalen Vergleich Nationalität im Sinne von .. Einzelstaatlichkeit" als der stärkste Indikator politischer Einstellungen — vor der Zugehörigkeit zu einer Klasse, einer Alters-oder Berufsgruppe, einer Religion oder einer Parteirichtung Allerdings stehen den Ergebnissen der Deutsch-Schule nicht nur methodische Bedenken hinsichtlich ihres Vergleichsmaßstabs voller kontinental-staatlicher Integration, sondern auch empirische Erhebungen gegenüber, die für internationale Querschnitte wie Eliten oder Jugendliche in den EWG-Ländern im zeitlichen Längsschnitt einen kollektiven Lernprozeß und eine Homogenisierung der Einstellung anschaulich gemacht haben Aber die internationale Angleichung sozialer Strukturen und politischer Ideologien in einer Region ist eben nicht gleichzusetzen mit einem regionalen Förderungs-oder Integrationsprozeß, sonFrühzeit dem bietet allenfalls dafür eine Voraussetzung. In dem Maße, wie sich Europa als Region modernisierte, sind auch die Einzelstaaten leistungsfähiger geworden, haben auch die Nationen nach der Flucht aus der doppelten Belastung der europäischen Nationalkriege und der sowjetischen Ausdehnung in die europäische Vereinigung zu je eigener — wenn auch gegenüber früher weit weniger exklusiver und emotionaler — Identifikation gefunden. Ihre Interessen ergänzen sich teils, teils widersprechen sie sich. Der Wohlstand, die Infrastruktur, das Bildungssystem mögen sich in allen Ländern in dieselbe Richtung entwickelt haben, aber ihre Niveaus sind deutlich unterschieden, wodurch sich die kollektiven Verteilungsprobleme verschärfen und regelmäßig erst im Rekurs auf die Einzelstaaten letztlich ihre Lösung finden. Auch die einzelnen Partei-und Regierungssysteme stehen zwar unter gemeinsamen Entwicklungsbedingungen, aber sie entwickeln sich je in ihrer eigenen Struktur weiter — und das heißt eben zuweilen auch: weiter auseinander.

Wird die Untersuchung statt auf allgemeine Prädispositionen, die eine sehr weitgehende ideologische Integration der BRD unter den besonderen Bedingungen der Teilstaatlichkeit und des Wiederaufbaus andeuten, auf konkretere außen-und innenpolitische Entscheidungen konzentriert, zeichnet sich in den Konturen eines dichotomischen Gesellschaftsbilds die Normalisierung als kapitalistische Industriegesellschaft ab. Dabei entspricht die politische Polarisierung innerhalb der „latenten Nation" BRD nicht dem sozialen Grundantagonismus von Kapital und Arbeit, aber sie läßt ihn durchscheinen. Außer durch die berufliche und wirtschaftliche Position der Befragten werden ihre politischen Einstellungen insbesondere von zwei subjektiven Faktoren bestimmt, die allerdings beide als Variationen zum Thema soziale Position in einem weiteren Sinn angesehen werden können: erstens die subjektive Einschätzung der Entwicklung der persönlichen wirtschaftlichen Lage als Grundmotiv und zweitens die Fähigkeit, überholtes Bewußtsein durch reflektierte Information aufzuarbeiten (also zum großen Teil Ausbildung), als kanalisierendes Instrument. Empirisch läßt sich mit Korrelationsreihen ein Zusammenhang — der hier „progressive Affinität" genannt sei — zwischen der Ansicht, es gehe mit einem insgesamt aufwärts, sowie einer allgemeinen moderneren, westlichen Einstellung („nationale Eigenschaften sind anerzogen") und einer Serie von expansiven sozialen Merkmalen, pragmatischen Zielen und gelösten Einstellungen nachweisen. Die gegenteiligen Bedingungen (die nur für einen wesentlich kleineren Teil der Befragten zutreffen) hängen mit einer Serie von Merkmalen zusammen, die defensive soziale Situationen und geringe Anpassungsfähigkeit signalisieren, mit Anzeichen für rückständiges Bewußtsein, mit verkrampften oder diffus aggressiven Einstellungen („regressive Affinität")

Die Merkmalzusammenhänge in Tabelle 8 konstituieren keine Gruppen und sind auch noch verhältnismäßig schwach, mit anderen Worten: Sie zeigen nur einen Keim politischer Polarisierung innerhalb einer beherrschenden ideologischen Homogenität. Es gibt keine politische oder soziale Gruppe, deren Mitglieder samt und sonders auf eines der beiden Syndrome festzulegen wären. Diese lassen vielmehr in abstrakter Form Quellen und Bedingungen außen-und nationalpolitischer Orientierung in einem verkürzten Schema anschaulich werden. Dabei liegt es auf der Hand, daß sich aus derartigen Umfragen keine Aussagen über die Handlungsimpulse bestimmter Gruppen, z. B.der Arbeiter, für die. Zukunft gewinnen lassen. Nicht nur, weil eine Fülle anderer Faktoren als die Bewußtseinsdisposition mitwirken, bis eine bestimmte Person zum Handeln kommt, sondern vor allem werden im Handlungsvollzug — sei es in Organisationen, Streiks, Gruppen, spontanen Aktionen — kollektive Erfahrungen gemacht und bestimmte Organisationstypen wirksam, die auch die Zielbestimmungen beeinflussen. Auf der anderen Seite stimmen unsere Ergebnisse. mit zwei Grundtendenzen der in den letzten Jahren geführten Diskussion über Arbeiterbewußsein und , Neue Arbeiterklasse überein, die überwiegend auf Rück-Schlüsse aus der beruflichen Tätigkeit der Lohnabhängigen und z. T. ihre Einordnung in längere historische Entwicklungsmuster zurückging. Erstens: Das Konzept der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft" traf nicht nur noch nie die wirkliche Lage, sondern gilt auch immer weniger für die subjektive Einschätzung. Die hohe ideologische Integration der Gesellschaft der BRD als Folge des Faschismus, der nationalen Teilung, des kalten Kriegs und des Wiederaufbaubooms ist im Zerbröckeln, und die Erkenntnis schichtspezifischer Interessen und politischer Ziele sowie das Bekenntnis zu ihnen ist auch dort im Wachsen begriffen, wo sie derzeit noch vom Grundaxiom der Wirksamkeit des Systems beherrscht und von der quasi-nationalen Identifikation mit der BRD gehalten werden.

Zweitens: Die Gegentendenz innerer Differenzierung innerhalb der Lohnabhängigen, wobei das progressive" Einstellungssyndrom am deutlichsten in deren oberen Schichten zu finden ist. Das heißt aber, daß dieses Syndrom derzeit aufs engste mit dem ökonomischen Wachstum zusammenhängt, indem auch Teile der Arbeiterschaft sich der Aufstiegsorientierung der Angestellten anschließen. Auf der anderen Seite führt das Bewußtsein, daß die eigenen Verhältnisse stagnieren oder gar das Erreichte bedroht sei, keineswegs notwendig zu einer , linken'Reaktion. Wenn oben auf in Zukunft zunehmende Tendenzen zur Freisetzung von Arbeitern und zur erhöhten Konkurrenz mit Ausländern im Bereich der Un-und Angelernten hingewiesen wurde, so wäre es ein gefährlicher Irrtum, darin per se ein Potential gesellschaftlicher Veränderung und transnationaler Organisation zu sehen

Insgesamt weisen also derzeit die Bewußtseinstrends sowohl weg von der These einer Verbürgerlichung der Lohnabhängigen wie auch von der Hoffnung ihrer Homogenisierung durch ein die innere Differenzierung überspannendes Klassenbewußtsein. Gegenläufige Tendenzen in bezug auf den letzten Punkt können sich bisher in der Bundesrepublik nur auf sehr punktuelle Streikerfahrungen berufen

Es müßte an sich ein Alarmzeichen für die Sozialdemokraten und Gewerkschaften sein, daß die Einstellungen, die einem Großteil ihrer Politik korrespondieren, besonders bei Aufsteigern — und hier wieder konzentriert bei Angestellten und Beamten — verankert sind, weniger jedoch in großen Teilen der Handarbeiterschaft. Partnerschaftspolitik und Wechselwählerwerbung haben die organisationssoziologische Tendenz zum Auseinandertreten der Zielorientierungen von Eliten und Basis verschärft und den Eliten partiell eine neue Basis gewonnen. Wenn aber Teile der Stammanhängerschaft nur noch durch die Organisationstradition gehalten werden, so sind am Beginn einer Phase verschärfter sozio-politischer Spannungen die Gefahren dieses Auseinandertretens für beide Seiten offenkundig. Die Bedürfnisse und Zielvorstellungen der resignierenden Teile der Basis werden tendenziell nicht mehr in dem Lernprozeß der Organisationen berücksichtigt und drohen in krisenhaften Zuspitzungen zu ziellosem Protest statt zu gemeinsamem Handeln zu führen. Die Konzentration von resignativen und traditionsorientierten Einstellungen an der Basis der sozialen Schichtung, ein alternativloses Zurückbleiben gegenüber den dem Progreß verhafteten individualistischen Konsum-und Leistungsnormen der nichtselbständigen Teile der Mittelschichten könnte in der Trans-nationalisierung der Gesellschaft sich in eine Organisationsverzögerung der am meisten bedrohten Handarbeiter gegenüber den ohnehin von diesem Prozeß profitierenden . neuen Arbeitern'umsetzen.

Allerdings gibt es auch Gegentendenzen gegen diese Polarisierungsendenz innerhalb der Lohnabhängigen: Sie sind nämlich insgesamt weniger anfällig für die neo-nationale Integration in die BRD und besser für transnationale Orientierung prädisponiert, trotz eines unverkennbaren Nachwirkens der nationalen Strategien der verschiedenen Zweige der Arbeiterbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Gewichtsverteilung zwischen der gesamtdeutschen Tradition, der Konsolidierung der westdeutschen „Nation" und einem transnationalen Klassenbewußtsein in der BRD läßt sich durch Umfragen näher bestimmen. Werden die Angehörigen einer repräsentativen Stichprobe, die sich 1971 zu 49 v. H. zu den Mittelschichten, zu 45 v. H. zur Arbeiterschaft und nur zu 4 v. H. zur höheren Mittel-schicht und Oberschicht rechnen, gefragt, ob sie mehr mit Leuten ihrer Schicht im Ausland oder mit anderen Schichten in der BRD gemeinsam haben, bevorzugen je etwa ein Viertel die anderen Schichten in der BRD oder meinen, sie hätten mit anderen Schichten hierzulande genausoviel gemeinsam wie mit ihrer Schicht anderswo. 17 v. H. zeigen . internationales Klassenbewußtsein', 8 v. H. verneinen jede Gemeinsamkeit, 24 v. H. machen keine Angabe. BRD-Nationalgefühl korreliert vor allem mit „Mittelschichten", mittlerer Bildung, Sympathie für die CDU, aber auch jugendlichem Alter; internationales Klassenbewußtsein dagegen vor allem mit „Arbeiterschaft" (und negativ ebenso extrem mit „Mittelschichten"), mit Sympathie für die SPD und mit der Generation der 25-bis 34jährigen. Wer sich mit seiner Schicht im Ausland und mit anderen Schichten in der BRD gleich stark verbunden fühlt, ist offenbar auf dem Weg vom National-zum Klassenbewußtsein: Hier sind wiederum „Mittelschichten" und mittlere Bildung überrepräsentiert, politisch ist aber eher eine Affinität zur SPD festzustellen (vergleiche Tabelle 9). Weiter als gewöhnlich angenommen, scheinen Realismus und wirtschaftlicher Subjektivismus verbreitet zu sein, wenn etwa die Hälfte der Bevölkerung Klassenbindungen nationaler Zugehörigkeit vor-oder gleichordnet. Wenn sie je kontinentalen Traditionen angemessen war, gilt die kurz nach dem Krieg im Rahren einer großen internationalen Vergleichsuntersuchung aufgestellte These, daß Kollektiv-und Solidaritätsbewußtsein jeder Art eine Funktion wirtschaftlicher Zufriedenheit und damit in erster Linie ein Korrelat von „Mittelschichten" sei nach der Wiederbelebung bürgerlich-nationalistischer Propaganda und dem Scheitern der nationalen Strategie der Arbeiterbewegung nicht mehr. Vielmehr machen sich die alten kontinentalen Zuordnungen von Mittelstand und Nationalgefühl sowie Arbeiterbewegung und schichtspezifischem Internationalismus wieder deutlicher bemerkbar — ein Zeichen für die Normalisierung der BRD als „Nation", aber auch ein Ansatzpunkt für eine demokratische europäische Strategie.

Viele, insbesondere weibliche, ältere und weniger gebildete Befragte, die hier noch mitgewirkt haben, reagieren betroffen, wenn auch der gesamtdeutsche Komplex in dieses Gravitationsfeld der Begriffe „Klasse" und „Nation" gestellt wird. In zwei Projektionen wurde gefragt, ob „seine Lage, seine wirtschaftlichen Interessen und seine politischen Anschauungen" einen durchschnittlichen westdeutschen Arbeiter eher mit einem Unternehmer in'der BRD oder mit einem Arbeiter in der DDR bzw. einen durchschnittlichen westdeutschen Unternehmer eher mit einem Unternehmer in Frankreich oder mit einem Arbeiter in der DDR verbinden Im ersten Fall votierten ein Drittel für die Priorität der Systemverbundenheit der Arbeiter und Unternehmer in der BRD und ein Viertel für system-transzen-dierende Klassenverbundenheit im Rahmen der gesamtdeutschen Tradition; im zweiten Fall jedoch fast die Hälfte für transnationale systemkonforme Klassenverbundenheit in der EWG, während hier nur noch 8 v. H. für eine gesamtdeutsche Bindung, die Klasse und System ignoriert, übrigbleiben. Die politische Bedeutung von Systemkonformität oder Westorientierung wird also erheblich höher eingeschätzt als die der gesamtdeutschen Verbundenheit; aber wirtschaftlicher Klassenrealismus steht der Systemkonformität nur wenig nach und geht zum Teil auch in sie ein. Er findet sich vor allem unter Arbeitern, Männern, Personen mit mittlerer und höherer Ausbildung. Arbeiter sind jedoch auch — da sie seltener dieser Fragestellung ausweichen — in den Minderheitsgruppen, die an den gesamtdeutschen Bindungen festhalten, wie auch unter den Westorientierten überrepräsentiert. Selbstzurechnung zu den Mittelschichten und Sympathie für bürgerliche Parteien korrelierten nur mit der Identifikation mit der BRD; diese Befragten neigen jedoch dazu, vor der Konfrontation zwischen Gesamtdeutschland und Europa in die Gruppe der Meinungslosen auszuweichen. Werden die Antworten durch alle drei Fragen hindurch auf ihre Konsistenz geprüft, so fällt zuerst etwa die Hälfte aller Befragten weg, weil sie stets oder zuweilen keine Angaben gemacht haben (vergleiche Tabelle 10). Vom Rest zeigt etwa ein Drittel eine konsequente Orientierung am Klassenschema ohne Rücksicht auf Nation und System, etwa ein Sechstel legt das Hauptgewicht auf die nationale Bindung, spaltet sich aber noch einmal zu gleichen Teilen über die Frage, ob als zweites Kriterium eher die Verankerung im Westen bzw. in der BRD oder die Orientierung an der Klasse folgen soll. Die Hälfte geht einfach und ohne Rücksicht auf soziale Gegensätze und gesamtdeutsche Tradition von der BRD aus und stellt sie in den Zusammenhang der EWG, wobei vielen ein nüchterner Blick für wirtschaftliche Primärbestimmungen zu unterstellen ist. Wird der Schwierigkeitsgrad dieser abstrakten Frage berücksichtigt, so kann aufgrund „informierter Willkür" geschätzt werden: Eine konsequente gesamtdeutsche Priorität, die nicht als abstraktes Bekenntnis, sondern im Zusammenhang der sozialen Wirklichkeit und der europäischen Alternativen erfragt wird, ist nur noch bei kleinen Minderheiten festzustellen; bei verhältnismäßig vielen Arbeitern findet sich eine gesamtdeutsche Schichtverbundenheit, die sich jedoch nicht in ein internationales Klassendenken einfügt. Indessen wird durchweg system-konforme Klassenverbundenheit unvergleichlich höher bewertet als traditionales Nationalgefühl. Ein großer Teil der Bevölkerung (vor allem jene, die sich zu den Mittelschichten rechnen) tendiert zu einem „Wir" -Gefühl der BRD, ist aber aus nüchternen Erwägungen mehrheitlich offen gegenüber Europa als einem nicht weiter präzisierten Ziel. In der Industriearbeiterschaft und — weniger deutlich ausgeprägt — im Angestelltensektor tendiert etwa die Hälfte dazu, jedwede nationale Bindung für sekundär gegenüber der sozioökonomischen Lage und den Interessen der eigenen Schicht zu halten Die allgemeinen politischen Einstellungen dieser Gruppe sind betont fortschrittlich im Verhältnis zur übrigen Gesellschaft, aber bleiben außer in der Unterstützung der Politik der kleinen Schritte mehr offene Prädisposition als zielgerichtete politische Dynamik. Hier schlummert eine noch wenig bewußte, aber entwicklungsfähige Potenz eines „demokratischen Föderators" in Europa, soweit es die BRD angeht.

IX. Fazit

Tabelle 8: U. 25 7 19 18 4 20 17 13 15 22 23 3 Progressiv — Regressiv. Korrelationskoeffizienten (phi-Werte) für wirtschaftliche Selbsteinschätzung und Mentalität

Die nationalen, „gesamtdeutschen" Traditionen haben an Bedeutung für die Deutschen in der Bundesrepublik abgenommen. Die nationale Rhetorik der Parteiauseinandersetzungen über die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition bestimmt das öffentliche und veröffentlichte Bewußtsein immer weniger. Die Fragen nationaler Einheit und der Beziehungen zwischen den deutschen Staaten treffen bei großen Mehrheiten auf kein persönliches Interesse und fordern ein politisches Engagement nicht mehr heraus. Wo konkrete Interessen an Beziehungen zu Menschen in der DDR bestehen, wird ihre Ermöglichung zunehmend als praktische Aufgabe gestellt, und dementsprechend werden die staatlichen Zustände hier und dort, die Verträge und staatlichen Politiken eher pragmatisch beurteilt. Die Masse der Vertriebenen hat sich mit der Abtrennung der Ostgebiete abgefunden; ihre Deklassierung und ihr Identitätsproblem reduzieren sich damit auf begrenzte sozialpolitische Anliegen.

Im Selbstbewußtsein der Deutschen ist die BRD ein Staat wie andere geworden, quasi ein Nationalstaat. Man lebt nicht mehr in einem staatlichen Provisorium, sondern im eigenen, in einem normalen Staat. Die zur Selbstverständlichkeit gewordene Loyalität gegenüber den staatlichen Institutionen hat sich auf das ökonomisch-gesellschaftliche Lenkungssystem übertragen: Die Anerkennung der Verfassung wird weithin gleichge-setzt mit der Anerkennung des kapitalistischen Systems.

Die BRD funktioniert wie andere Staaten; die Einschränkungen, die dem Besiegten teils formell (z. B. gewisse Rüstungsverböte), teils stillschweigend auferlegt worden waren, verlieren an Bedeutung. Der Aufstieg zur Normalität beweist sich vor allem in der Leistung der staatlichen Einrichtungen für die Ökonomie. Die nach den vorherrschenden Maßstäben überdurchschnittlich erfolgreiche Wirtschaftspolitik schuf eine nahezu allgemeine Loyalität auch gegenüber den staatlichen Institutionen und garantiert sie weiterhin. Die BRD ist ja zur größten Produktions-und Handelsmacht Europas aufgestiegen, „die anderen" können weder ökonomisch noch politisch diese Macht geringschätzen. Dieses Wachstum und die äußere Anerkennung stabilisieren die Loyalitätsbindung an die politischen Einrichtungen, und mit deren Vermittlung stabilisiert sich das ökonomische Lenkungssystem.

Aber die für die faktische Existenz und das politische Selbstverständnis dieses Staates so wichtigen wirtschaftspolitischen Instrumente haben es immer weniger mit wirtschaftlichen Vorgängen zu tun, die auf dem Territorium der BRD zu fassen und zu beeinflussen sind. Die Ökonomie der BRD läßt sich nur mehr zum Teil als „National" -Ökonomie verstehen. Zum wichtigeren Teil ist sie eine Provinz transnationaler Ökonomie: Der technologische und industrielle „Fortschritt" wird von einer kleinen Zahl großer Unternehmungen gesteuert, die überwiegend nicht lokal oder national beschränkt, sondern großräumig operieren. Die Konzentration ökonomischer Macht nimmt rasch zu und beschränkt sich nicht auf Unternehmungen in jeweils einem Land. Es entstehen „multi-nationale" Unternehmungen, die in mehreren Ländern zugleich produzieren und umsetzen, aber zentral gelenkt werden, häufig von den USA aus. Zumeist sind gerade diese Unternehmungen am aggressivsten in der Ausweitung der Märkte, im Durchsetzen neuer Produkte, neuer Produktionsund Umsetzverfahren. Multi-oder transnationale Unternehmungen dieser Art werden zunehmend das Profil des „Fortschritts" bestimmen. Sie werden zum Modell für die Umstrukturierung der Betriebe und Unternehmungen wie für das Verhältnis von Kapitalverfüger und Arbeiter im Betrieb. Fortschritt, Unternehmungsstruktur und soziale Organisation des Betriebs sind also primär nicht mehr national bestimmt und veränderbar.

Die Strukturen der Produktion wie der Verwertung sind längst großräumig geworden, mit einer auffälligen Verdichtung in Westeuropa, sowie zwischen den USA und Westeuropa. Die Verflechtung der Kapitalien und der Unternehmungen erlaubt es in Europa nicht mehr, eine autonome Währungspolitik oder eine nationale Industriepolitik zu treiben. Es ist unmöglich, eine eigene Nuklearindustrie oder Nachrichtensatelliten auszubauen, auch die Zusammenarbeit mehrer europäischer Staaten reicht dafür vielleicht nicht aus. Forschung und Technologie werden multinational finanziert und organisiert, oft in der Form, daß ein amerikanisches Unternehmen als Gegenleistung für fortgeschrittene Technologie die Kontrolle über Produktionsunternehmungen in Europa gewinnt. Die wichtigen Banken kooperieren in vier transnationalen Gruppen. Auf dem Euro-Geldmarkt sind 60— 80 Milliarden Dollar in Bewegung, gut das Doppelte der Ausgaben der BRD. Die liquiden Mittel der großen multinationalen Konzerne betragen ein Vielfaches der gesamten Reserven der Nationalbanken.

Die Ökonomie der BRD ist so zur abhängigen Provinz einer komplexen und transnationalen Ökonomie geworden. Entscheidend dafür ist nicht allein der Grad der Handelsverflechtung oder der Abhängigkeit von bestimmten Lieferungen, etwa die nahezu völlige Abhängigkeit bei Erdöl, Erdgas, Nuklearenergie. Entscheidend ist jene organisatorische Struktur der produktiven Kräfte, die sich unter den Bedingungen unternehmerischer Freiheit und zum Zweck der Profitsteigerung herausgebildet hat. Die am höchsten qualifizierte Arbeit und ihre Instrumente (Forschung und Technologie) sind transnational organisiert. Abgeschwächt gilt dasselbe auch für die produktiven Kräfte geringerer Ergiebigkeit: Jeder zehnte lohnabhängig Arbeitende in der BRD ist Ausländer.

Sind Produktion und Verwertung nicht mehr national organisiert, sondern großräumig-multinational verflochten, so werden die Anforderungen an die politischen Institutionen, die nach wie vor national sind, nicht kleiner, sondern größer. Es sind zwei gegenläufige Anforderungen. Wachstum und Konzentration der Unternehmungen verlangen eine staatliche Konjunkturpolitik, die im ganzen Konjunkturraum gleichförmig wirksam ist. Aber zugleich bedarf die Kapitalverwertung einer viel umfassenderen, komplexen und heiklen Staatstätigkeit, die für die elementaren Voraussetzungen der gesellschaftlichen Reproduktion sorgt: durch die Darstel27 lung der staatlichen Macht, durch die Vermittlung zwischen Ansprüchen und gesellschaftlichen Leistungen, durch Wahlen, Meinungsbildung, Erziehung, durch Regelung oder Unterdrückung von Konflikten, durch Zuwendung sozialer Entschädigungen, durch Sozialisierung von Verlusten — kurz, durch das komplizierte System von Vermittlungen, wie es die bestehenden Staaten ausmacht. Auf sie, die einzelnen, mehr oder weniger traditionsgefestigten Staaten bleibt die Kapitalverwertung auch in der Epoche großräumiger Verflechtung und schärferer Konzentration angewiesen. Es wäre eine Illusion zu glauben, die Staaten würden automatisch und gleichzeitig mit dem Wandel der ökonomischen Basis entsprechend umgeformt. Mit zwischenstaatlichen Vereinbarungen allein aber ist das Bedürfnis nach großräumiger Konjunkturpolitik nicht zu befriedigen. Diese beiden gegensätzlichen Anforderungen unterwerfen das Staatensystem vor allem in Europa einer Zerreißprobe. Die großräumige Stabilisierung der kapitalistischen Weltwirtschaft ist immer weniger wirksam, seit die militärische und ökonomische Führung der USA auch in Europa nicht mehr unangetastet ist. Die wiederholten Währungskrisen geben darüber Aufschluß. Die Herausbildung einer „atlantischen" oder für die ganze kapitalistische Welt wirksamen Währungsund Konjunkturpolitik ist fraglich.

Eher scheint eine westeuropäische, gemeinsame Konjunktursteuerung möglich, und sie könnte die Wiederherstellung eines weltweiten Steuerungssystems fördern. Das ist die der EWG übertragene Aufgabe, die zu einer Währungsund Wirtschaftsunion ausgebaut werden soll.

Aber die EWG kann diese Aufgabe nicht erfüllen, solange sie ein blo internationaler Verband ist und kein System eigener politischer Vermittlung (mit gemeinschaftsweit organisierten Parteien und Wahlen, mit eigener Verfassung), das die Loyalität und die aktive Teilnahme der Menschen bewirkt. Die Verfassung der Europäischen Gemeinschaft ist un-stabil und auf Krisen angelegt. Die Regierungen der Mitgliedsländer und die sie tragenden politischen Kräfte haben ein widersprüchliches Verhältnis zur Gemeinschaft: Sie können nicht umhin, eine gemeinsame Konjunktur-steuerung anzustreben; zugleich müssen sie zwecks Behauptung ihrer Machtstellung (Rücksicht auf Wahlen) womöglich die Instrumente der Wirtschaftspolitik in der Hand behalten. Beide Zwänge sind unausweichlich, und beide sind Anforderungen, die die profit-orientierteKapitalverwertung an die staatlichen Einrichtungen stellen.

Die Krise der Nationalstaaten in der Epoche transnationaler Ökonomie verschont auch die BRD nicht. Im Gegenteil, sie wird sich im Quasi-Nationalstaat besonders unverhüllt ausprägen, weil hier die Loyalität von der Leistungsfähigkeit der ökonomischen Steuerung abhängt und der Stützen traditionsgefestigter Institutionen und kultureller Integration entbehrt. Nur die verfassungsmäßigen Organe der BRD sind für die Steuerung zuständig und nur sie vermögen deren politische Vermittlung zu leisten. Aber ihre Zuständigkeit endet an der Staatsgrenze, erreicht nicht mehr den Wirtschaftsprozeß als Ganzes. Veränderungen des staatlichen und gesellschaftlichen Lenkungssystems werden damit nötig und möglich. Denn in der Krise der Staatengemeinschaft ist auch eine neue Verschärfung der Konflikte in der Gesellschaft abzusehen. Den multinational operierenden Unternehmen stehen die Lohnabhängigen ohne entsprechende Organisation gegenüber. Weder die Gewerkschaften noch die politischen Vermittlungsorgane (Parteien, Parlamente, öffentliche Meinung) sind auf demselben Niveau und ebenso leistungsfähig organisiert wie die großen Unternehmen. Damit ist sogar das in den Nationalstaaten erreichte Maß an sozialer Symmetrie unmittelbar bedroht. In einer WWU wird es leichter zu verhindern sein, daß in einem Land höhere Löhne als in den anderen Gemeinschaftsländern erkämpft werden. Auf der anderen Seite wird sie die Rekrutierung billiger Arbeitskräfte von außerhalb der Gemeinschaft weder verhindern noch den Betroffenen soziale und politische Gleichstellung garantieren. Die Disziplinierung der Lohnabhängigen und ihrer Vertretungen ist eine der zu erwartenden . Hauptleistungen'der WWU. Zugleich können damit die mit Produktionsverlagerungen innerhalb multinationaler Unternehmen verbundenen politischen Risiken und wirtschaftsorganisatorischen Schwierigkeiten vermindert und die Kosten beschleunigter ökonomischer Umstrukturierung leichter auf die von solcher Rationalisierung betroffenen Lohnabhängigen abgewälzt werden. Erhöhte Spannungen in bestimmten Branchen, Betrieben und Regionen werden die Folge sein.

Die Herausforderung durch diese absehbaren Folgen enthält aber auch eine Chance für die Lohnabhängigen: Unter dem Zwang, Instrumente transnationaler Wirtschaftspolitik sowie ihre politische Vermittlung institutionalisieren zu müssen, werden mit den Staaten und ihren Verfassungen auch die sie tragenden Machtverhältnisse veränderbar. Die Frage ist, in welcher Richtung die Veränderung betrieben wird: wann und wie sich wer und zu welchem Interesse engagiert. Daß verspätete, zersplitterte, perspektivelose Reaktionen auf die Konsequenzen bereits vollzogener Entscheidungen nicht viel nützen, wird derzeit in England deutlich

Wenn sich die Interessen der großen Kapitalverfüger durchsetzen, wird der Staat als Steuerungsorgan auf übernationaler Ebene rekonstruiert und dabei gleichzeitig seines demokratischen Potentials in starken und aktionsfähigen politischen Vermittlungsorganen beraubt werden. Dann wird eine demokratische Unternehmensführung blockiert bleiben, die Gewerkschaften werden dauerhaft gezähmt und in einer losen Föderation ebenso einflußlos bleiben wie eine in sich zerstrittene Linke.

Aber ob die Interessen der großen Kapitalverfüger sich durchsetzen können, ist eine offene Frage. Einen Präzedenzfall für das Entstehen eines Staates in einer Großregion von hochindustrialisierten Ländern gibt es nicht. Wechselnde Interessen der Kapitalverwertung haben oft den Sturz einer Regierung oder sogar den Wechsel des Regierungssystems herbeigeführt. Jedoch bleiben diese Vorgänge auf die einzelnen Staaten beschränkt und stellen sie nicht als selbständige politische Einheiten in Frage. In Frage gestellt werden die Staaten aber gerade im Übergang zur großräumigen Wirtschaftspolitik. Denn zu diesem Zweck muß ein neues System von politischen Vermittlungen und der Legitimierung geschaffen werden — „Staat" eben. Das aber vermögen die Interessen der Kapitalverwertung nicht von sich aus zu leisten, selbst wenn man ihre volle Interessenidentität voraussetzen wollte. Ein neues System politischer Vermittlungen und der Legitimierung kann nur aus umfassenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und einer Umwälzung der Machtverhältnisse erwachsen. Die konkrete Gestalt eines neuen Vermittlungsund Legitimierungssystems in Westeuropa wird vom Charakter dieser Auseinandersetzungen und Umwälzungen abhängen. Es ist eine gängige Unterstellung — als Hoffnung oder Befürchtung —, ein übernationaler Staat in Westeuropa werde nichts weiter sein als die Verlängerung der bestehenden Staaten in den größeren Wirtschaftsraum. Aber Hoffnung wie Befürchtung dieser Art müssen sich als illusionär erweisen. Die großräumige Organisation der Kapitalverwertung wird an die Einrichtungen jedes einzelnen Staates erhöhte Anforderungen stellen in Richtung auf ein gleichförmiges Handeln aller. Voraussetzung für jedwedes politische Handeln ist aber Handlungsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen überhaupt, in denen politische Macht gebildet und behauptet wird. Gelingt es den je einzelnen Staaten, ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren, so behindern sie eben damit die vom Kapitalverwertungsinteresse auferlegte Gleichförmigkeit der Staatsinterventionen. Ringen sie sich aber zu solcher Gleichförmigkeit durch, schwächen sie unvermeidlich ihre Handlungsfähigkeit und damit die Basis für den Übergang zum großräumigen Staaten-system. Aus diesem Grund kann die Staats-bildung nicht aus unveränderten Machtverhältnissen und Verfassungsstrukturen der einzelnen Staaten hervorgehen, sondern verlangt deren Umwälzung — in die eine oder andere Richtung (die möglichen Alternativen werden nicht beliebig sein: etwa eine autoritäre Technokratie, als Übergang zu Schlimmeren, oder radikalere Formen von Demokratie).

Die Disposition, die eigene Lage nicht mehr als allein national bestimmbar, sondern als transnational bedingte zu begreifen und entsprechend zu handeln, ist bisher nur bei zahlenmäßig winzigen Eliten, die primär die Kapitalverwertung organisieren und an ihr profitieren, ausgeprägt. Doch daraus ergibt sich keine zwangsläufige Entwicklung hin zu einer technokratischen Diktatur. Denn schon bei den traditionellen Bündnispartnern im Kleinbürger-und im Bauerntum sehen die Einstellungen und Interessen anders und in sich sehr differenziert aus, nicht erst bei den Lohnabhängigen. Deshalb wird die Europäisierung der Staatsfunktionen — wenn überhaupt — sich nur in einem längeren, krisenhaften Wandlungsprozeß vollziehen können. Dabei ist die Verschärfung von Spannungen und Konflikten in der Gesellschaft vorhersehbar, nicht ihr Ergebnis.

Es ist aber diese absehbare Krise, aus der sich eine Alternative entwickeln könnte. Denn es ist nicht nur ein , objektives'Interesse der Lohnabhängigen, die europäischen politischen Institutionen im Prozeß ihrer Herausbildung in Vermittlungsorgane ihrer Ansprüche zu verwandeln und eine Gemeinschaft neuer Qualität entstehen zu lassen. Die Transnationalisierung des ökonomisch-politischen Lenkungssystems wird auch fühlbar in die unmittelbar wahrnehmbaren Interessen der Einkommenssicherung und der ansatzwei29 sen Selbstbestimmung an Arbeitsplatz und Wohnort eingreifen und Reaktionen provozieren. Und dies wird auf eine latente Disposition treffen, die mehr als bei anderen Gruppen in der Gesellschaft — außer den sog. Eliten — geeignet ist, Interessenidentität ohne nationale Scheuklappen zu erkennen. Dies kann nicht ohne Einfluß auch auf ihre Organisation im Großen bleiben. Auch dies ist freilich alles andere als eine Einbahnstraße. Entwicklungsniveau und Wachstumsbedingungen sind in allen Gemeinschaftsländern unterschiedliche Bedingungen auch für die Politik und Strategie der Lohnabhängigen. Darüber hinaus sind derzeit unterschiedliche institutioneile und Verhaltenstraditionen in allen Nationen noch deutlich dominant. Durch politische Manipulationen und die Förderung von Statusdifferenzierungen bei den Lohnabhängigen wird die Bewußtseinsbildung jedoch gehemmt, durch die Schwerfälligkeit und innere Interessenstruktur der nationalen Verbände der Arbeiterbewegung wird eine effektive Organisierung verzögert. Aber der Handlungsrahmen ist heute schon abzusehen. In ihm wird es entscheidend sein, ob sich die Lohnabhängigen ihrem spezifischen Interesse entsprechend transnational und im Vorgriff auf eine zweckmäßigere politische Form organisieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Neben O., vgl. Roskamp, W. Capital Formation in West Germany, Detroit 1965, Kap. IV f.; Hans Hermann Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, Köln 1970, S. 119— 272.

  2. Vgl. Joachim Hirsch, a. a. O.

  3. Vgl. Th. W. Adorno, Eingriffe, Frankfurt 1963, S. 125 ff.

  4. Jährliche Zunahme des realen Bruttonationalprodukts pro Kopf in 0/0 für die Periode 1950 bis 1970: BRD 5, 2 gegenüber Frankreich 4, 3; Großbritannien 2, 1; Schweiz 2, 9; jedoch Japan 9, 0. Finanznachrichten v. 26. 11. 1971.

  5. Der gängige Versuch, Wohlstandsniveau durch Konsumgeldwerte international zu vergleichen, spiegelt gewiß nur ein verformtes Bild der menschlichen Ansprüche. In dieser Skala rangieren die Deutschen über dem Durchschnitt der EWG. Privater Verbrauch in Dollar pro Kopf 1970: BRD 1667; Durchschnitt der erweiterten EWG 1458; Großbritannien 1343; Dänemark 1979. Vgl. Anm. 75.

  6. Dies war der Befund bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre. Inzwischen haben die Studentenbewegung und später eine wiederauflebende Militanz in einem Teil der Produktionsbetriebe begonnen, die Lage zu verändern. Vgl. das Vorwort zur Neuauflage von Peter Brückner: Freiheit, Gleichheit, Sicherheit, Frankfurt 1973, sowie Anm. 108.

  7. Horst Kern/Michael Schumann, Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein, Frankfurt 1970; Oskar Negt, Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen, Frankfurt 1968; Negt/Kluge, a. a. O.

  8. Vgl. Wolfgang Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied/Ber-lin 1967.

  9. Vgl. über die Folgen der Rezession für die Regierungsumbildung 1966 Hans See, Volkspartei im Klassenstaat, Hamburg 1972, S. HO— 115.

  10. Der nationalstaatliche Apparat ist schon heute zurückgeblieben und hat noch nicht einmal die De-partementalisierung der Zuständigkeiten für die EWG in den Regierungen zu überwinden vermocht, was jedoch zugleich ein Schutz vor parlamentarischer Kontrolle ist. Vgl. Helen Wallace, The Impact of the European Communities on national policy-making, in: Government and Opposition (1971), S. 520 ff., jetzt auch in: Michael Hodges (Hrsg.), European Integration, Harmondsworth 1972, S. 285 ff.

  11. Vgl. Andrew Glyn/Bob Sutcliffe, British Capitalism, Workers and the Profits Squeeze, Har-mondsworth 1972.

  12. Einen Ansatz für die Seite der Arbeiterbewegung bietet jetzt Siegmar Geiselberger im Auftrag des Bundesvorstands der Jungsozialisten (Hrsg.), Schwarzbuch — Ausländische Arbeiter, Frankfurt 1972, S. 193 ff. Allerdings fehlt auch hier die Einbeziehung der Persepktive einer dauernden Einwanderung und der gesamtpolitischen Rückwirkungen des Arbeitskräfteimports auf die BRD. In der bisher umfassendsten ökonomischen Analyse plädiert jetzt Marios Nikolinakos: Politische Ökonomie der Gastarbeiterfrage, Reinbek b. Hamburg 1973 dafür, die Migration als notwendiges langfristiges Element des gesellschaftlichen Systems in Westeuropa zu begreifen und hofft, durch aufklärerische Begegnung xenophober und national’-ökonomischer Ideologien die Grundlage für eine transnationale Solidarität aller Arbeiter in der BRD zu legen.

  13. Neben dem , Schwarzbuch'vgl. zur allg. mation vor allem Rene Leudesdorff und Horst Zilleßen (Hrsg.), Gastarbeiter = Mitbürger, Gelnhausen 1971; Ernst Klee (Hrsg.), Gastarbeiter, Frankfurt 1972, sowie verschiedene Beiträge in Das Argument 68 (1971) H. 9/10. Ein Beispiel für die Umsetzung im Unterricht geben Michele Borrelli/Bärbel u. Werner Spremberg: Minderheiten in der Bundesrepublik: Das Beispiel , Gastarbeiter', Stuttgart 1973 (mit Unterrichtsmaterialien). Für den internationalen Vergleich sind besonders wichtig: W. Roger Böhning, The Migration of Workers in the United Kingdom and the European Community, London 1972; Stephan Castles und Godula Kosack, Immigrant Workers and Class Structure in Western Europe, London 1973 (Thesen daraus in New Society', 1972, S. 505 ff. und Sozialistisches Büro (Hrsg.), Für eine Sozialistische Linke, Frankfurt 1973, S. 114 ff.

  14. Nach den Tabellen bei Böhning, Kap. 3, waren zwischen 1968 und 1970 zu unterIsncfhoire-dlichen Stichtagen in Frankreich, Italien, den Beneluxstaaten und Großbritannien ca. 1, 68 Mill, ausländische Arbeiter beschäftigt. Angaben für die BRD in Tabelle 4. Quelle sind die Jahresberichte Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.): Ausländische Arbeitnehmer, 1968— 1972, Nürnberg. Das Schwarz-buch, a. a. O., S. 9, macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit insofern irreführend sein könnten, als dort alle ausländischen Arbeitnehmer zusammengefaßt werden — also sowohl die angeworbenen Arbeiter aus der Türkei als auch die Pendler aus den Nachbar-ländern und auch z. B. hochdotierte Manager aus den USA. Andererseits waren die Zahlen im Schwarzbuch selbst schon bei Erscheinen überholt; so wurde z. B. davon ausgegangen, daß die 3-Mill. -Grenze erst 1980 erreicht sein werde, während nach derzeitigen Schätzungen sie bereits Ende 1973 überschritten sein wird.

  15. Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.): Ausländische Arbeitnehmer 1971, S. 4; dass. 1969, S. 122.

  16. Vgl. Peter Pragal, Spanier sollen nicht zu Deutschen werden, in: Süddeutsche Zeitung v. 12. 12. 1972, S. 3. Die Absicht eines längeren Aufenthaltes verwandelt sich während des Aufenthaltes sehr oft in den Einwanderungswunsch; siehe auch Anm. 141 und Castles/Kosack, a. a. O., S. 54 ff.

  17. Tabelle 5 zusammengestellt aus den entsprechenden Jahresberichten der Bundesanstalt für Arbeit, a. a. O.).

  18. Vgl. Böhning, a. a. O., 103 ff.; Schwarzbuch, a. a. O., S. 14 ff., wo auch gezeigt wird, daß die Anwerbung von Ausländern unmittelbar mit dem Aufsaugen der Ostdeutschen und dem Bau der Berliner Mauer zusammenhing, mithin Vertriebene und Flüchtlinge die ersten Gastarbeiter waren — so jedenfalls die einhellige Meinung industrieller Interessenvertreter und Bürokraten. Zu früheren Arbeitsimporten vgl. Volker Merx, Ausländische Arbeitskräfte im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik, in: Wirtschaftspolitische Chronik (1967) H. 1, S. 65 ff., und Edward L. Homze, Foreign Labor in Nazi Germany, Princeton 1967. Für die 50er Jahre bes. Charles P. Kindleberger, Europe's Postwar Growth, The Role of Labor Supply, Cambridge Mass. 1967, S. 28 ff.; ferner auch M. Niko-linakos, a. a. O., S. 79 ff.

  19. Für Verweise siehe Merx, a. a. O., S. 86 f.; solche Argumente werden neuerdings auch verstärkt aus industrienahen Stimmen laut, da dort die Infrastrukturfolgekosten der Anwerbung billiger Arbeit gescheut werden. Vgl. z. B. Werner Steinjan, Die Rechnung geht nicht mehr auf, in: Deutsche Zeitung — Christ und Welt v. 29. 12. 1972, S. 12. Gegenargumente im Schwarzbuch, a. a. O., S. 31 ff.; Nikolinakos, a. a. O., S. 102 ff.

  20. Castles/Kosack, in; New Society (1972), S. 507; vgl. Jörg Huffschmid, Die Politik des Kapitals, Frankfurt 1969, S. 14 f., 28 ff.; Schwarzbuch, a. a. O., S. 27 ff.; Nikolinakos, a. a. O., S. 95 ff.

  21. Vgl. Elisabeth Jankowski, Strukturen der Ausbeutung, in: Leudesdorff/Zilleßen, a. a. O., S. 113 ff.; Schwarzbuch, a. a. O., S. 62 ff.

  22. Schwarzbuch, a. a. O., S. 25 f.; vor diesem Zusammenhang warnt neuerdings auch die Bundesanstalt für Arbeit, 1971, a. a. O., S. 5. Anders Nikolinakos, a. a. O., S. 45 ff., 88 ff., dessen quantitative Betrachtungsweise die Arbeitsimporte direkt aus dem Sog der wachstumsintensivsten Industrien ableitet, denn auch bei diesen sei „dem Substitutionsprozeß objektiv Grenzen gesetzt". (S. 92).

  23. Ebd., S. 30— 50. Die Bundesanstalt prüft dabei nicht nur die berufliche Eignung, sondern nimmt den Betrieben und Krankenversicherungen auch die lästige Aufgabe ab, gesundheitlich beeinträchtigte Arbeitskräfte vor der Einreise auszuscheiden.

  24. Vgl. dazu Das Parlament v. 21. 8. 1971; Bundesarbeitsblatt (1971), H. 7/8; Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.) Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer, Bonn 1972.

  25. Vgl. Schwarzbuch, a. a. O., S. 20 ff. Vor einer Überschätzung der Konjunkturpufferfunktion warnt Böhning, a. a. O., S. 36 und ö„ da er den kontinuierlichen Arbeitskräftebedarf für so hoch einschätzt, daß in Rezessionsphasen schon der Stillstand weiterer Anwerbung einen erheblichen Teil konjunkturbedingter Arbeitslosigkeit auffange. Umgekehrt weist auch das Schwarzbuch, a. a. O., S. 23, mit Recht darauf hin, daß die Ausscheidung weniger rentabler (z. B. älterer) Arbeiter und die Disziplinierung der Arbeit insgesamt in der Rezession dadurch verschärft werde, daß die Beschäftigung ohnehin benachteiligter Gruppen wie Ausländer und Frauen, die einen höheren Gewinn ab-wirft, relativ stabil bleibt.

  26. Der Rückgang der Ausländerbeschäftigung in der Krise setzte sich vor allem aus folgenden Faktoren zusammen: Erliegen der Anwerbung, nur geringe sonstige neue Einreise, deshalb volles Durchschlagen der jährlichen Rückwanderung vermehrt um Rückkehrer, die keine besonderes ertragreiche Beschäftigung (keine Überstunden) mehr fanden, sowie insbes. von ausländischen Arbeitern aus dem EWG-Freizügigkeitsbereich, deren Verbleib nicht durch Arbeitsverträge gesichert war. Das Privileg der Freizügigkeit, das die EWG-Bürger genießen, erwies sich als erhöhtes Arbeitsplatzrisiko.

  27. Vgl. insbes. die ausgezeichnete Analyse bei Böhning, a. a. O., S. 55 ff. („The self-feeding process of economic migration from low-wage to post-industrial countries with a liberal capitalist structure") sowie Castles/Kosack, a. a. O., S. 382 ff.

  28. Eine der Grunderfahrungen der Erforschung der faschistischen Bewegungen im Vergleich ist, daß die traditionalistische und autoritäre Sozialisation im Bereich der Mittelschichten und ihre relativ geringe Organisiertheit in der Politik und am Arbeitsplatz schon im Falle bloßer Statusbedrohung sich vornehmlich in regressivem Protest entlädt. Vgl. Lutz Niethammer, Faschistische Bewegungen der Zwischenkriegszeit in Europa, in: Politische Bildung, 5 (1972) H. 1, S. 17 ff.

  29. Vgl. ähnliche Gedanken bei Castles/Kosack, a. a. O., S. 479 f. und Andre Gorz, Immigrant Labor, in: New Left Review (1970), H. 61.

  30. Vgl. Tabelle 4. Nach Schwarzbuch, a. a. O., S. 48, wandten sich die deutschen Unternehmer gegen eine Privilegierung der Arbeiter aus dem EWG-Freizügigkeitssystem gegenüber denen aus den Anwerbeländern, teils weil das EWG-Potential begrenzt ist, teils weil die Rechtlosigkeit der unter dem Ausländerrecht Lebenden und auf eine Arbeitsgenehmigung Angewiesenen eine größere Flexibilität des Arbeitsmarktes und höhere Profite bei der Beschäftigung versprach.

  31. Böhning, a. a. O., S. 39 f. (Italien); 90 f. (Türkei).

  32. Ebd. S. 10 ff. Die Folgen sind ambivalent; vgl. Anm. 140.

  33. Vgl. Anm, 130 u. 141. Das Schwarzbuch vertritt im Gegensatz dazu, daß ein kontinuierlich wachsender Bedarf an Arbeitskräften einen beträchtlichen Teil der Arbeitsmobilität zur Einwanderung machen wird, die Ansicht, daß sich das Rotationsprinzip durchsetzen wird, so daß „der vorübergehende Aufenthalt" in der BRD geradezu zum Definitionsmerkmal der angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte wird (S. 10). Dahinter stehe das industrielle Interesse am flexiblen Arbeitsmarkt, die Befürchtung von Nationalitätenkämpfen i II Inland und der Wunsch, größere Infrastrukturinvestitionen für die Ausländer zu vermeiden. Dem steht jedoch das gegenläufige industrielle Interesse einer gewissen Qualifizierung der angeworbenen Arbeitskräfte (insbesondere auch zur Überwindung der Sprachbarriere), die Unfähigkeit der Herkunftsländer, die Rückkehrenden angemessen (nämlich im Verhältnis zu ihrer sekundären Sozialisation in der BRD) zu reintegrieren, und der Wunsch der Betroffenen entgegen. Da es ein auch in der bisherigen Gastarbeiterentwicklung bewährter Satz der Mobilitätsforschung ist, daß Wanderungen primär vom Bedarf her gesteuert werden, erscheint die Argumentation Böhnings wesentlich wahrscheinlicher. Allerdings kann man nicht übersehen, daß die zugrunde liegenden Interessen (Flexibilität, Qualifizierung, Systemharmonisierung, Vermeidung einer Politisierung der Ausländerfrage) auf deutscher Seite so ambivalent sind, daß eine einigermaßen sichere Prognose nicht möglich ist.

  34. Vgl. Tabellen 6 und 7. Zum psychischen Konfliktpotential der ausländischen Arbeiter vgl. die Erwägungen bei Karl Bingemer/Edeltrud Meistermann-Seeger/Edgar Neubert, Leben als Gastarbeiter, Köln/Opladen 1970.

  35. Vgl. Anm. 138.

  36. Schwarzbuch, a. a. O., S. 50 ff.; Fritz Franz, Die Rechtsstellung der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, in: Klee, a. a. O., S 36 ff.

  37. Pragal, a. a. O. Vgl. dagegen Landeshauptstadt München (Stadtentwicklungsreferat), Kommunalpolitische Aspekte des wachsenden Bevölkerungsanteils in München, (hekt.), München 1972, S. 179 ff.

  38. Böhning, a. a. O., S. 10 ff., 88 ff. Ähnlich z. B. Hans Apel, Die Europäische Staatsbürgerschaft, in: Das Parlament v. 21. 8. 1971, S. 10.

  39. So auch die Jusos, Schwarzbuch, a. a, O., S. 208 f., in einem Katalog von Forderungen, die ansonsten weitgehend von einem idealistischen Ansatz bestimmt sind, nämlich daß die deutsche Bevölkerung und deutsche Organisationen in einer Art Patenschaftsverhältnis für die Interessen der Ausländer einstehen sollen.

  40. Im . Langzeitprogramm'der SPD ist eine eigene Stellungnahme zu diesem ganzen Problembereich bewußt vermieden worden, wenn auch an verschiedenen Stellen einige Integrationsforderungen verstreut sind. Die FDP hat jüngst angekündigt, daß sie ihre Reihen den Ausländern in der BRD öffnen werde.

  41. Schwarzbuch, S. 84 ff. sowie ausführlich Castles/Kosack, a. a. O., S. 127 ff.

  42. Vgl. Sidney Verba, Germany: The Remaking of Political Culture, in: Lucian W. Pye/Sidney Verba (Hrsg.), Political Culture and Political Development, Princeton 1965, S. 130 ff. Noch ungünstiger sind die Ergebnisse der demoskopischen Erhebung und Analyse von Kaase, a. a. O., S. 216, daß nämlich — im Unterschied zu den 1968 politisch mobilisierten Studenten — „die Bevölkerung ... ein nennenswertes demokratisches Bewußtsein noch nicht entwickelt hat". Neuere Untersuchungen der nichtakademischen Jugend zeigen mit erschreckender Regelmäßigkeit, wie sehr Schüler und Lehrlinge in die passive politische Output-Orientierung der Erwachsenen hineingewachsen sind und wie falsch es wäre, die jüngere Generation als ganze mit der Linksorientierung der studentischen Vor-hut zu identifizieren. Kaase, a. a. O., S. 215, ordnet die nichtakademische Jugend in ihren politischen Einstellungen eher dem. Erwachsenendurchschnitt als den Studenten zu, und Jaide (Jugend und Demokratie, München 1970, S. 41) charakterisiert den Grundzug der Haltung der Schüler zu den Grundprinzipien demokratischer Verfassung und Teilhabe sogar mit einer „Entfremdung nach rechts". Vgl. auch Rudolf Wildenmann und Max Kaase, Die unruhige Generation, Mannheim 1969; Hans-Martin Stimpel, Schüler, Lehrerstudenten und Politik, Göttingen 1970; Manfred Koch u. a., Die Deutschen und ihr Staat, Ha II bürg 1972, Kap. 4. Zwar wäre es sicher falsch, derartige Trends unter Vernachlässigung der weiteren Sozialisation in der Arbeitswelt, den Verbänden und des Einflusses der Massenkommunikationsmittel einfach in die Zukunft zu extrapolieren. Aber jede mittelfristige Einschätzung des Verhaltens der Bevölkerung zur Innen-und Außenpolitik wird den Kontinuitätsfaktor als beherrschend einsetzen müssen, jedenfalls was die Motive und die Chancen politischer Mobilisierung angeht.

  43. Eberlein, a. a. O., S. 99.

  44. Vgl. z. B. Merritt/Merritt, a. a. O., S. 33, 55; IfD Jb I, S. 136, 277; II, 277 f.; III, 233; IV, 368.

  45. 1971 : U 1; 1948 vgl. William Buchanan und Hadley Cantrill, How Nations see each other, Urbana 111. 1953; S. 60 ff.; die hier unternommenen Korrelationsanalysen blieben im internationalen Querschnitt unfruchtbar, weil sie naheliegende historische Erklärungen aus der jeweiligen Tradition des „Nation Building" ausklammerten.

  46. Gabriel A. Almond und Sidney Verba, The Civic Culture, Political Attitudes and Democracy in five Nations, Princeton 1963, S. 94 ff., 120.

  47. IfD Jb, S. 114; III, S. 185.

  48. Almond/Verba, a. a. O., S. 266 ff.

  49. IfD Jb VI, S. 76 und U 7.

  50. Ergebnisse einer Korrelationsanalyse von U 7.

  51. IfD Jb IV, S. 144.

  52. IfD Jb III, S. 230.

  53. Vgl. z. B. Merritt/Puchala, a. a. O., S. 201 ff., oder Erich Peter Neumann, Die Deutschen und die NATO, Allensbach 1969, S. 29 ff. Beispiele ließen sich häufen.

  54. Vgl. Eberlein, a. a. O., S. 232 f. u. o. Anm. 30 u. 48.

  55. U 16. Hier wurde gefragt, was die Europäer verbinde (vor allem wirtschaftliche Interessen). Fragt man jedoch, ob die Europäer als dritte Kraft mit der UdSSR und den USA gleichziehen sollen, so stimmten in fast allen EWG-Ländern 1970 die Befragten diesem emanzipatorischen Traum zu. Vgl. Jacques-Rene Rabier, Europeans and the Unifikation of Europe, in: G. Ionesch (Hrsg.), The New Politics of European Integration, London 1972, S. 153 ff. (Tab. 14, S. 168).

  56. U 16— 18. In einer Nachfolgeuntersuchung von INFAS für die Bundesregierung v. März 1972 hatten sich die Werte für das Europabild noch extremisiert: EWG 7 %, Westeuropa 27 °/o, aber unter Einschluß der osteuropäischen Länder 66°/o! Alle Vorstellungen in diesem Bereich sind schwankend und lassen keine Einsicht in die Zusammenhänge von Wirtschaft und Politik bei der europäischen Integration erkennen. So mehren sich in Deutschland wie in Frankreich gleichzeitig die Stimmen, die in der EWG nur eine wirtschaftliche und keine politische Union sehen wollen, zugleich mit denen, die verstärkt für supranationale Institutionen (und eine Stärkung und Kompetenzerweiterung sowie direkte Wahl des Europäischen Parlaments) eintreten. Vgl. dieselbe INFAS-Umfrage v. März 1972 und L'opinion frangaise et l’union de l’Europe 1947— 1972, Sonderheft der Sondages, Revue fran-caise de l'opinion publique 34 (1972) No. 1— 2, bes. S. 91 ff. Vgl. auch Leon N. Lindberg/Stuart A. Scheingold, Europe's Would-Be Polity, Englewood Cliffs, 1970, S. 249 ff. (. Permissive Consensus'). Vgl. auch Rabier, a. a. O., S. 165, wonach u. a. ca. ein Viertel der Franzosen und Westdeutschen für die Einbeziehung von Comecon-Ländern in die EWG votieren. Bei einer Jugendumfrage votierten 1968 zwei Drittel für die Bewahrung nationalstaatlicher Eigenrechte in einem vereinigten Europa. Vgl. Jaide, a. a. O., S. 26.

  57. Vgl. bes. Gallup International, a. a. O., S. 15, 20, 60 f., und allgemein Merritt/Puchala, a. a. O., S. 283 ff.; Lloyd A. Free, Six Allies and a Neutral, Glencoe 1959, S. 131 ff. (für Elitemeinungen), sowie bes. Daniel Lerner/Morton Gordon, Euratlantica, Cambridge Mass. /London 1969, S. 115 ff., 130, 138 f.

  58. Insbes. Gallup International, a. a. O., S. 60 f.

  59. Vgl. Eberlein, a. a. O., S. 118, der allerdings die Bereitschaft zur Verwendung von Steuergeldern zur Verbesserung der Infrastruktur in anderen europäischen Ländern (aber nicht in Afrika) als europäisches „ingroup" -Bewußtsein interpretiert. Nach Rabier, a. a. O., S. 172, erklärten sich auch 1970 noch 42% der Westdeutschen (aber nur 27% der Franzosen und 23 % der Belgier) zu persönlichen Opfern für die europäische Vereinigung mehr oder weniger bereit.

  60. IfD Jb I, S. 331; III, S. 545; IV, S. 431, sowie Noelle-Neumann, Urteile über Bonn, a. a. O.

  61. Vgl. z. B. Lerner/Gordon, a. a. O., S. 156, 229 ff.; Merritt-Puchala, a. a. O., S. 249 ff.; IfD Jb IV, S. 430, 435 ff.; aber auch III, S. 484, wo sich im März 1958 zeigte, daß ein größerer Teil der Bevölkerung den Westen als den Osten für die Teilung Deutschlands verantwortlich machte. Die Einstellungen zu den USA sind also durchaus „realpolitisch" zu interpretieren; hinter ihnen steht eine unterschwellige Frustration.

  62. Noelle-Neumann, Urteile über Bonn, a. a. O.

  63. Buchanan/Cantril, a. a. O., S. 38 ff., 55.

  64. Wie Anin. 174.

  65. U 20; früher stand die Bevölkerung der Entwicklungshilfe eher kritisch bis ablehnend gegenüber, vgl. z. B. Eberlein, a. a. O., S. 141.

  66. Wie Anm. 176.

  67. Vgl. allgemein Lerner/Gordon und Deutsch/Edinger/Macridis/Merritt sowie oben Anm. 170.

  68. Hoffmann, a. a. O. (Anm. 3), S. 208. Vgl. aber dagegen Rabier, a. a. O., S. 164.

  69. Ebd., S. 181.

  70. Deutsch/Edinger/Macridis/Merritt, a. a. O., S. 218 ff.

  71. Ebd., S. 299.

  72. Zur methodischen Kritik vgl. oben Anm. 174 und William E. Fisher, An Analysis of the Deutsch Sociocausal Paradigm of Political Integration, in: International Organization 23 (1969), S. 254 ff. (hält die Annahmen der Deutsch-Schule über die Zusammenhänge zwischen öffentlicher Meinung, Eliteneinstellungen und Elitenverhalten für empirisch widerlegbar); Robert Weissberg, Nationalism, Integration, and French and German Elites, in: ebd., S. 337 ff. (zeigt, daß nationale Präokkupation und transnationale Prädisposition sich nicht ausschließen); Ronald Ingelhart, An End to European Integration?, in: The American Political Science Review 61 (1967), S. 91 ff. (zeigt die bei Jugendlichen ohne europäische Kriegserfahrung wachsende proeuropäische Einstellung und kritisiert Deutschs an der ingroup-outgroup-Unterscheidung orientierte Integrationsvorstellung mit dem Hinweis, daß die europäischen Einstellungen mehr inklusive als exklusive sind); Lerner/Gordon, a. a. O., S. 69 u. passim (kritisiert den Maßstab voller kontinentalstaatlicher Integration und betont den Lernprozeß seines Elitenpanels während der späten fünfziger und sechziger Jahre); Carl-Joachim Friedrich, Die Auswirkungen der informellen Gemeinschaftsentwicklung auf die politische Meinungsbildung über Europa, in: ders. (Hrsg.) Politische Dimensionen der europäischen Gemeinschaftsbildung, Köln/Opladen 1968, S. 13 ff. fordert umfassendere Analysen komplexer politischer Entscheidungssituationen unter Einschluß der materiellen Politik und der institutioneilen Bedingungen und ihrer Wandlungen, vgl, auch die übrigen in diese: IS Band versammelten Beiträge, bes. Hans-Victor Schierwater, Der Arbeitnehmer und Europa, ebd., S. 294 ff., S. 328 ff. sowie jetzt die Zusammenfassung Carl J. Friedrich, Europa — Nation im Werden?, Bonn 1972. Vgl. auch Rabier, a. a. O., S. 162 u. 173, wonach 2/3 in der EWG einen Präsidenten der . Vereinigten Staaten von Europa'nach Programm und nicht nach Nationalität wählen wollen bzw. ein beträchtlicher Teil zwischen 51 % (BRD) und 36% (Belgien) die Europapolitik bei ihrer Parteiorientierung mehr oder minder stark berücksichtigen.

  73. Ergebnisse aus Korrelationsanalysen der Fragen U 1, 3, 25.

  74. Auslösend waren Serge Mallet, Die neue Arbeiterklasse, Neuwied und Berlin 1972 (frz. 1963), und John H. Goldthorpe/David Lockwood/Frank Bechhofer/Jennifer Platt, Der „wohlhabende" Arbeiter, 2 Bde., München 1970 (engl. 1968). Vgl. die Dokumentation und Analyse der Diskuission bei Hörning, a. a. O.; Frank Deppe/Hellmuth Lange/Lothar Peter (Hrsg.), Die neue Arbeiterklasse, Frankfurt 1970; Frank Deppe, Das Bewußtsein der Arbeiter, Köln 1971; Hellmut Lange, Wissenschaftlich-technische Intelligenz — Neue Bourgeoisie oder neue Arbeiterklasse?, Köln 1972; N. Beckenbach/S. Herkommer/U. Kadritzke: Zur Klassenlage der technisch und wissenschaftlich qualifizierten Lohnarbeiter, in: Meschkat/Negt (Hrsg.), a. a. O., S. 41 ff. Ferner soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (Hrsg.), Materialien zur Lebens-und Arbeitssituation der Industriearbeiter in der BRD, Frankfurt

  75. Vor einer Orientierung am Leitbegriff Sozialismus sollte gewarnt werden, weil er zwar in den meisten westeuropäischen Ländern bei einem sehr großen Teil der Bevölkerung sehr populär ist und positiv bewertet wird, seine Bedeutung aber weithin strittig ist. Bei der Mehrheit der Befragten kamen Inhalte wie verbesserte Chancengleichheit und soziale Sicherheit innerhalb des kapitalistischen Systems zu Tage, wie sie das Programm praktisch jeder Plattformpartei enthält. Vgl. Ralph K. White, The Semantics of , Socialism‘ and , Capitalism, in: Merritt/Puchala, a. a. O., S. 38 ff.; IfD Jb III, S. 429; Der Spiegel v. 9. 11. 1970, S. 74 ff. (Ifak-Umfrage).

  76. Vgl, Michael Schumann, a. a. O. In Frankreich im Mai 1968 glaubte sich Mallett (vgl. a. a. O., S. 15 ff.) mit seiner These bestätigt, daß die . neue'Arbeiterklasse erstens am Streik teilnahm und zweitens am meisten systemtranszendierende Forderungen stellte, nämlich nicht nur Lohnforderungen, sondern strukturelle Veränderungen im Betrieb.

  77. Vgl. Anm. 46.

  78. Zum folgenden U 11 u. 12.

  79. Buchanan/Cantril, a. a. O., S. 19 ff.

  80. U 11— 14 mit Korrelationen.

  81. U 13— 14.

  82. Nach der in Anm. 170 zit. INFAS-Umfrage sind die Anhänger der EWG überrepräsentiert unter den Gebildeten, den Jüngeren, Angestellten und Beamten, Facharbeitern, SPD-Anhängern; dagegen unterrepräsentiert bei Anhängern bürgerlicher Parteien, un-und angelernten Arbeitern, Rentnern, Älteren, Freien Berufen und Selbständigen, Ungebildeten und Beschäftigten im Agrarsektor (in dieser Folge von 87 bis 38 °/o je Gruppe fallend, Durchschnitt 76 °/o).

  83. Vgl. Tom Nairn, The Left against Europe?, der New Left Review 75 (Sept. /Okt. 1972).

Weitere Inhalte

Erich Kitzmüller, Dr. iur., freier Publizist in Graz, geb. 1931 in Eisenerz (Steiermark), Studium der Rechts-und Staatswissenschaften in Graz, Graduiertenstudium am Europa-Kolleg in Brügge 1956/57, wiss. Mitarbeiter am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik 1957/58, Berater des „XXth Century Fund" in New York 1957— 59, wiss. Mitarbeiter am Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung in Köln 1959— 61, Studien-leiter am Europahaus „Gustav Stresemann Institut" in Bergisch Gladbach 1961/62, stellv. Generalsekretär der „Gesellschaft Europa-Nahost" in Luxemburg 1968— 70. Veröffentlichungen u. a.: zus. mit H. Kuby: Transnationale Wirtschaftspolitik. Zur Politischen Ökonomie Europas, Hannover 1968; Die Krise um den Beitritt Englands, Europäische Optionen Bd. 1, Düsseldorf 1969. Zahlreiche Beiträge in Sammelbänden und Zeitschriften, insbes. zur politischen Ökonomie der europäischen Integration. Heinz Kuby, geb. 1925 in Frankfurt/M., Studium der Geschichte, Philosophie und klassischen Philologie 1946— 51, danach freier Publizist und Dozent am Seminar für Politik in Frankfurt sowie an Gewerkschaftsschulen. Seit 1958 Conseiller, seit 1961 Abteilungsleiter beim Europäischen Parlament. Leiter der Abteilung „Politik und Rechtsfragen" in der Generaldirektion Wissenschaft und Dokumentation des Europäischen Parlaments in Luxemburg. Veröffentlichungen u. a.: Politische Souveränität für Westeuropa (hrsg. v. Arbeit und Leben), Hannover 1964; Provokation Europa, Köln 1965 (frz. Paris 1967); (für Gemeinschaftsarbeiten mit E. Kitzmüller s. o.). Verschiedene Hauptreferate bei den Europäischen Gesprächen der Ruhrfestspiele des DGB; zahlreiche Aufsätze zu Fragen der europäischen und sozialistischen Politik in deutschen, französischen, englischen und italienischen Zeitschriften. Lutz Niethammer, Dr. phil., geb. 1939 in Stuttgart, Studium der ev. Theologie, Geschichte, Politik und Soziologie, 1968— 72 wiss. Assistent an der Abt. Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität in Bochum; derzeit Research Fellow am St. Antony's College Oxford. Veröffentlichungen u. a.: Angepaßter Faschismus. Praktische Politik der NPD, Frankfurt 1969; Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung, Frankfurt 1972; (als Hrsg.) Walter L. Dorn, Inspektionsreisen in der US-Zone, Stuttgart 1973, sowie eine Reihe von Aufsätzen zur Zeitgeschichte.