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Jugend im Spannungsfeld von Schule und Betrieb Möglichkeiten gesellschaftspolitischer Bildungsarbeit | APuZ 4/1975 | bpb.de

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APuZ 4/1975 Artikel 1 Jugend im Spannungsfeld von Schule und Betrieb Möglichkeiten gesellschaftspolitischer Bildungsarbeit Vom Ersatzdienst zum Zivildienst Bestandsaufnahme und Ausblick

Jugend im Spannungsfeld von Schule und Betrieb Möglichkeiten gesellschaftspolitischer Bildungsarbeit

Joachim H. Knoll

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag beschreibt zunächst die Geschichte der Sozialerziehung in Deutschland, wobei sich im Blick auf die Jugendhilfe eine Entwicklung von privaten oder gruppenspezifischen Aktivitäten hin zu einer zunehmend stärkeren Monopolisierung der Jugendhilfe durch den Staat abzeichnet. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sodann auch im Jugendwohlfahrtsgesetz von 1922 kooperative Formen der Jugendhilfe zwischen staatlichen und privaten Initiativen angebahnt wurden, wird im Gesetzentwurf zur Jugendhilfe von 1974 die Jugendhilfe eindeutig und einseitig als Aufgabe des Staates deklariert. Daran anschließend wird die Frage geprüft, ob diese Monopolisierung den Vorstellungen und dem Selbstverständnis der Jugendlichen entspricht. Geht man davon aus, daß Jugendliche informelle und lockere Kontaktformen bevorzugen, daß sie sich staatlicher Jugendhilfe gegenüber weithin ablehnend verhalten, so wird man auf Formen der Jugendhilfe zurückverwiesen, die mehr dem Vorbild kooperativer Aktivitäten folgen, also auch den freien Trägern ihren Raum geben. Wenn man die Interessen, die Bedürfnisse und Lebensformen Jugendlicher so zur Kenntnis nimmt, wie sie wirklich sind, ergibt sich zudem, daß auf bestimmte pädagogische Bereiche vom Staat nicht Einfluß genommen wird und wohl auch nicht genommen werden kann. So bleibt der Lebensabschnitt der werktätigen Jugendlichen zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr pädagogisch weithin unbetreut; es werden allenfalls Programme und Projekte zur beruflichen oder schulischen Qualifizierung angeboten. Zur Bewältigung der Lebenswirklichkeit muß aber neben die Fachkompetenz die Sozial-und Humankompetenz treten, wie sie etwa in der Bildungsarbeit in freier Trägerschaft angebahnt wird. Die Bezugsfelder, die in derartigen Programmen ausgeführt werden, beziehen sich auf den Lebenszusammenhang des Jugendlichen, also auf Familie, Schule, Betrieb, Freizeit und Politik. Die gesellschaftspolitische Bildungsarbeit des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschland, die hier als beispielhaftes Programm vorgestellt wird, verleiht der Sozialpädagogik eine neue Dimension, in dem hier von dem engen Verständnis von Sozialerziehung als präventiver oder sozialkorrigierender Maßnahmen abgegangen und Sozialerziehung als pädagogisches Handeln gegenüber allen Jugendlichen begriffen wird. Solchermaßen versehen die freien Träger eine notwendige Komplementärfunktion zu Schule und Betrieb, die allerdings durch systematisierte Programme noch wirksamer gemacht werden sollte.

Die Formulierung des Themas zielt in Richtung auf eine pluralistisch verfaßte Sozialer-ziehung oder Sozialpädagogik. Dem Thema wollen wir dadurch zu entsprechen suchen, daß wir uns zunächst die bisherigen Entwicklungsstadien der Sozialpädagogik vor Augen führen und daraus auf mögliche Trends schließen. Wir wollen sodann den Adressatenkreis der Sozialerziehung in seinem Selbstverständnis, in seiner Befindlichkeit, in seiner Identitätsbedürftigkeit untersuchen. Daran wird sich ein Hinweis auf die gesetzliche Situation zur Jugendhilfe anschließen und zuletzt werden die Felder, Institutionen und Vorgehensweisen der freien Jugendhilfe skizziert.

I. Sozialerziehung — der Begriff im Wandel der Diskussion

Schon in den äußeren Daten läßt sich ablesen, daß sich die Sozialpädagogik zunehmend aus der Randstellung pädagogischer Praxis befreit, daß sich sowohl die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr wie auch die praktische Durchführung sozialpädagogischen Handelns erkennbar intensiviert hat. Bedarf und Faszination, aber auch die gesellschaftliche Relevanz der Sozialpädagogik gehen dabei ineinander über. Der Zuwachs an Studenten der Sozialpädagogik ist signifikant. So teilt das Kultusministerium Niedersachsen u. a. die folgenden Zuwachsraten mit: Die Zahl der Studierenden an Fachschulen für Sozialpädagogik stieg von 719 im Jahre 965 auf 1 980 im Jahre 1972, die Studierenden an Fachhochschulen, Fachrichtung Sozialpädagogik und Sozialarbeit, von 389 im Jahr 1965 auf 1 145 im Jahr 1972 1).

Neben diesem quantitativen Zuwachs scheinen sich Aufgaben und Tätigkeitsfelder wie auch die didaktisch-methodischen Vorgehensweisen verändert und ausgeweitet zu haben. Bereits in der Geschichte der Sozialpädagogik ist ein engeres und ein weiteres Verständnis von Sozialerziehung angelegt. Diesterweg, Dörpfeld und Natorp sind wohl dem weiteren Verständnis zuzuordnen, wenn sie unter Sozialpädagogik die Erziehung des Individuums in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft verstehen, während Nohl, Wichern, Don Bosco, Father Flanagan, Makarenko mehr ein enges Verständnis im Blick, haben und unter Sozialpädagogik die Lebenshilfe für gefährdete und verwahrloste Jugendliche verstehen. In früheren Darstellungen der Aufgabenfelder der Sozialpädagogik spiegelt sich diese unterschiedliche Optik wider. So werden Jugendhilfen, die jenseits präventiver oder sozialkorrigierender Absicht liegen, nur im nebenhinein behandelt. Auch Rüngers „Einführung in die Sozialpädagogik“ akzentuiert den präventiven und karitativen Charakter der Sozialpädagogik Er nennt sechs Aufgabenfelder der Sozialpädagogik, und zwar — vorbeugende Hilfen für Kind und Familie — Jugendgesundheitspflege — Jugendförderung — Jugendberufsbildung — Hilfe für schutzbedürftige Minderjährige — besondere erzieherische Einzelhilfen.

Auch in der Auflistung von Einrichtungen, die diesen Aufgabenkatalog auszuführen hätten, stehen an erster Stelle jene, die der Be-wahrungs-und Beherbergungsideologie nachfolgen: 1. Heime und Anstalten 2. familienergänzende Maßnahmen und Einrichtungen Hilfs-, Beratungs-und Vermittlungsstellen 4, Geschäftsstellen 5. Ausschüsse, Ringe, Räte 6. Bildungsstätten.

Freilich wird dann in der detaillierteren Ausführung dieses groben Institutionenschemas auf zeitgenössische Beispiele aufmerksam gemacht, die Sozialpädagogik in einem weiteren Verständnis ausführen, so auf die offene Jugendarbeit, auf Kinderdörfer und die von der Pädagogik Kurt Hahns inspirierte Kurzschule, die den Jugendlichen in sozialen Aktionsräumen zur personalen Selbstverwirklichung verhelfen will. Im Zusammenhang der Erläuterung des Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1922, dessen Grundlinien mit Modifizierungen bis auf den heutigen Tag Gültigkeit haben, hat Wolfgang Gernet in seiner materialreichen Schrift „Jugendhilfe" 3) geurteilt, „die Praxis der Jugendhilfe entwickelte sich weitgehend in Richtung auf die Wahrnehmung öffentlicher Ersatzerziehung und gesetzlich vorgeschriebener Aufsichtsfunktionen". Daneben wird im Blick auf die Institutionen und die gesetzlichen Vorgaben deutlich, daß der Staat immer stärker in das Zentrum sozialpädagogischer Tätigkeit eindringt, so daß das scheinbare Paradoxon entsteht, daß mit Ausweitung sozialpädagogischer Aufgabenfelder die Monopolisierung anwächst. Man könnte in gewisser Überzeichnung gar eine Entwicklungslinie aufzeigen, die von der freien Jugendhilfe kirchlicher oder privater Initiativen über eine kollegiale Aufgabenbewältigung hin zu einer zunehmenden Monopolstellung abläuft. Parallelen zur Berufsbildung ließen sich hier übrigens aufzeigen.

Von der privaten Initiative zum staatlichen Monopol Während die Jugendhilfe im 19. Jahrhundert auf der privaten, kirchlichen und zünftlerisehen Initiative beruhte, beginnen sich am Anfang des 20. Jahrhunderts kooperative For-* men staatlicher und privater Aktivitäten zu etablieren — Gernet lokalisiert deren Beginn auf das Jahr 1911 —, die im Jugendwohlfahrtsgesetz festgeschrieben werden. In der Folge, zumal in der Entwicklung nach 1945, wird stets auf den bildungspolitischen und bildungspraktischen Pluralismus abgehoben, aber gleichzeitig wird auch deutlich, daß der Staat die Felder freier Aktivität in seine Kompetenz einzuschließen versucht. In der Staatsphilosophie der letzten zwei Jahrhunderte läuft die Entwicklung von Humboldts . Nachtwächterstaat', der nur Aufgaben negativer und defensiver Wohlfahrt übernimmt, über den Wohlfahrtsstaat zu dem Staat der nahezu totalen Vor-und Fürsorge. Zumal in unseren Tagen ist die linke Staatsphilosophie auf eine noch stärkere staatliche Kompetenz aus, weil Staat gewissermaßen für sie als Gefäß des allgemeinen Willens, als rechtliche Ausgleichsinstanz und Garant der Neutralität eingesetzt wird. Aus dieser Richtung weht auch der Auftrieb für eine stärkere staatlich reglementierte oder zumindest beaufsichtigte Berufsbildung und für ein Weiterbildungssystem, das sich an den vom Staat gesetzten objektiven Bildungsbedürfnissen orientiert. Gleichzeitig werden aber die Intentionen unserer Verfassung eingehalten, in der der Gedanke der Partnerschaft und des Pluralismus als ein für alle Seinsbereiche maßgebliches Prinzip niedergelegt ist.

In der Erwachsenenbildung ist diese Entwicklung wie in der Jugendbildung ziemlich deutlich auszumachen. Auch hier ist in den letzten Jahren, insbesondere durch den Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, die staatliche Teilhabe verstärkt worden, und der Satz, daß Weiterbildung eine öffentliche Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden sei, signalisiert, daß auch der quartäre Bildungsbereich in die öffentliche Zuständigkeit integriert wird. Von daher mutet der Hinweis auf eine pluralistisch verfaßte Bildungslaudschaft oft als eine Beschwichtigungsformel an und als Tarnung staatlicher Omnipotenz. Fraglos hat der staatliche Einfluß auf die außerschulische Bildung zu mehr Systematisierung angeleitet, er hat aber auch die Freiräume freier Jugendbildung eingeengt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. 7. 1967 hat in Verfolg der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung dann auch festgelegt, daß Jugendhilfe Aufgabe des Staates sei. Es ist zu erwarten, daß der Einfluß des Staates in diesem Bereich des Bildungswesens noch zunehmen wird. Nun muß allerdings festgestellt werden, daß sich der staatliche Zugriff zumal auf jene Bildungsmöglichkeiten konzentriert, die der Systematisierung und Kanonisierung bedürfen. Fragen der beruflichen Bildung, der Arbeitsförderung, der Hilfe bei abweichenden Verhaltensweisen lassen sich sicher angemessener durch die staatliche Aufsicht regulieren. Einzig Bayern beharrt noch auf der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips von öffentlichen und freien Trägern in der Jugendhilfe. Die freie Trägerschaft wird zunehmend in die Rolle verwiesen, flankierende Maßnahmen anzubieten, und darin scheint mir wiederum auch eine große Chance zu liegen. In der Arbeitsförderung (nach dem Arbeitsförderungsgesetz) und der Berufsbildung (nach dem Berufsbildungsgesetz) scheint die staatliche Zuständigkeit sinnvoll; eine Ausnahme stellt vielleicht der Bildungsurlaub dar, auf den später noch eingegangen werden soll. Nun kann sich aber Bildung der Heranwachsenden nicht in ihrer beruflichen Ertüchtigung erschöpfen. Eine Bildung, die nur das eingepaßte und angepaßte Funktionieren im Blick hat, wäre allzu pragmatistisch verfaßt.

Neben dieser auf berufliche Fertigkeit und Verwendbarkeit sehenden Bildung — besser: Ausbildung — gibt es Bildungsbereiche, die wohl eher durch eine freie Trägerschaft zu realisieren sind. Ich gebe dafür ein Beispiel: Der Versuch der Kommunen, auch die nichtberufliche Bildung an sich zu ziehen, muß weithin als mißlungen bezeichnet werden, da Jugendliche bei Veranstaltungen des Staates und der Kommunen innerhalb ihrer Freizeit stets die Befürchtung der Einflußnahme haben. So muß denn auch der Setzung Gernets widersprochen werden, wenn er im Hinblick auf die kommunalen Freizeitangebote äußert: »Das Haus der Offenen Tür ist trotz mancher entmutigender Erfahrung auch heute noch die geeignetste Einrichtung für die lokale Arbeit der außerschulischen Jugendbildung." Tatsache hingegen ist, daß die Häuser der Offenen Tür entweder leer sind oder inzwischen zu Einrichtungen umfunktioniert wurden, in denen die Veranstaltungen aus der Zuständigkeit der Kommunen und ihrer Jugenderzieher in die Initiativen von Jugendlichen selbst übergegangen sind. Von daher ist einer anderen Einsicht Gernets zuzustimmen: „Die Jugend ist nicht mehr dankbar für erwiesene Zuwendungen; sie beansprucht die finanziel-len Mittel der öffentlichen Hand und lehnt sich gegen autoritäre Vertreter der älteren Generation auf."

Es ist allerdings nicht so, als ließe sich die Jugendbildung in zwei Bereiche mit unterschiedlicher Zuständigkeit auffächern, einmal in den der beruflichen Bildung, der durch den Staat wahrgenommen werde, und dann den der personalen Bildung, der zuvörderst durch die freie Trägerschaft vermittelt würde. Eine derartig schematische Aufgliederung von Bildungsmöglichkeiten und -Zuständigkeiten ist nicht denkbar. Es bleibt, daß auch in der Begegnung mit beruflicher Bildung personale Bildung realisiert werden kann.

Aber eines darf aus den bisherigen Darlegungen wohl gefolgert werden, daß nämlich Sozialpädagogik heute weder auf die Hilfe für abweichendes Verhalten noch auf die Sorge für berufliche Tüchtigkeit eingegrenzt werden kann. Solchermaßen ist die Jugendhilfe zu ihrem ideengeschichtlichen Ausgang zurückgekehrt, daß sie nämlich Mithilfe leisten will, den Heranwachsenden für das Leben in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft zu er-tüchtigen. Jugendhilfe hat einmal die Aufgabe, den Jugendlichen in den Stand zu setzen, sich in der Arbeitswelt praktisch bewegen zu können, sich in sie durch berufliches Können zu integrieren; sie muß aber gleichzeitig anleiten zu einer je individuellen sozial-sittlichen Gegenwartsbewältigung. Berufswissen und Orientierungswissen, auf der Grundlage eines gesetzten Normwissens, müssen aufeinander bezogen sein. Erziehungsphilosophie hat heute nicht die Gunst der Modernität, aber aus ihr lassen sich gerade für die Sozialerziehung Einsichten herleiten, die für Jugendhilfe maßgeblich sein sollten. Friedrich Schlieper, dem wir eine kenntnisreiche Analyse von Sozialerziehung und Sozialpädagogik verdanken hat in Abgrenzung von einem engen Verständnis der Sozialerziehung als defensiver Bildungsstrategie gemeint: „Sozialerziehung ist nicht nur Nothilfe in Ausnahmefällen, sondern ein immanenter Wesenszug des ganzheitlichen Erziehungsgeschehens und damit gleichzeitig eine verpflichtende Aufgabe für jeden Menschen" (S.6). Und an anderer Stelle formuliert er: „Es entspricht weder dem Wesen und Sinn der Erziehung, noch ist es praktisch überhaupt möglich, zeitweise nur zu sozialem, dann z. B. zu wirtschaftlichem oder religiösen Denken und Tun zu erziehen. Erziehung ist immer auf den ganzen Menschen als leiblich geistige und individual-soziale Einheit bezogen“ (S. 23).

Inhalte der Sozialerziehung Allerdings muß bei einem Überblick über die gegenwärtige Erziehungspraxis doch festgestellt werden, daß solche Absicht erzieherischer Ganzheitlichkeit vielfach nicht eingehalten wird. So muß leider konstatiert werden, daß auf der einen Seite eine Erziehungsgesinnung sich durchsetzt, die den angepaßten Funktionierer, den beruflich versierten Fachmann hervorbringt, und daß auf der anderen Seite die personale Bildung gewissermaßen als Luxus stigmatisiert und allenfalls die vage Möglichkeit offengehalten wird, daß sich in der Auseinandersetzung mit der Sache auch Charaktererziehung ereigne. Wo heute über Sozialerziehung angemessen gehandelt wird, werden die Aufgaben so extensiv ausgelegt, daß beide Erziehungsabsichten berücksichtigt werden. Das Handbuch der Sozialerziehung (hrsg. v. Ernst Bornemann und Gustav v. Mann-Tiechler, Freiburg 1963 ff.) hat denn auch zu Recht nach Institutionen und Bildungsinhalten unterschieden. Für dieses auch heute noch relevante Werk werden die Aufgabenfelder der Sozialerziehung wie folgt voneinander abgehoben. So werden unter den Wirkkreisen der Sozialerziehung aufgelistet: 1. Sozialerziehung durch Landesplanung, Städtebau und Wohnform;

2. Erziehung zur Familie;

3. Sozialerziehung in der Heimerziehung;

4. Sozialerziehung in den Schulen;'

5. Sozialerziehung in der Arbeitswelt;

Sozialerziehung an Universität und Hochschule.

Als . besondere Aufgabengebiete der Sozialer-ziehung“ werden ausgewiesen:

1. Gesundheitserziehung und Erholung;

2. Freizeit und Sozialerziehung;

3. Wirtschaft und Sozialerziehung;

4. Verkehrserziehung als Sozialerziehung;

5. Erziehung zu politischer Verantwortung;

6. Sozialerziehung in der religiösen Lebensordnung. Schließlich wird den freien Trägern eine dezidierte Darstellung gewidmet (Band 3, S. 485 ff.), die allerdings weniger Partnerschaft als exklusives Partikularinteresse vorführt, Insgesamt läßt sich wohl aus der Literatur zur Sozialerziehung folgern, daß einmal die Aufgabenfelder ausgeweitet werden, daß der präventive und sozialkorrigierende Charakter der Jugendhilfe nur einen Sektor der Sozialerziehung darstellt und daß außerschulische und außerbetriebliche Jugendbildung ihre Chance in gesellschaftspolitischer Bildung zu sehen habe, sofern sie ein soziales Norm-und Orientierungswissen zur Gegenwartsbewältigung zur Verfügung stellt.

Gleichlaufend mit der staatlichen Kompetenz-und Zuständigkeitsausweitung ist eine Entwicklung, die der privaten Initiative mehr Raum geben möchte. Wie sich im politischen Raum Wähler-und Bürgerinitiativen als quasi-plebiszitäre Einflußgremien etabliert haben, macht sich auch in der Jugendbildung — freilich oft unter den Vorzeichen einer politischen und gesellschaftspolitischen Indoktrination — eine private Initiative bemerkbar, die den Bedarf und das Ausmaß sozialer Erzie-hung profiliert So wird im Lexikon der Pädagogik, in Abhebung zum 2. Jugendbericht der Bundesregierung, in dem nur die staatliehe Jugendhilfe behandelt wird, auf Aktivitäten aufmerksam gemacht, die der Jugendhilfe eine privatistisch-gesellschaftspolitische Variante beilegen: . Antiautoritäre Kinderläden Schülerläden, Jugendkommunen, antikapitalistische Jugendarbeit, Jugendkollektive, Politisierung der Jugendverbände sind eine Herausforderung für die sozialpädagogische Praxis und ihre theoretischen Grundlagen.“ 6)

Wir fassen zusammen: 1. Jugendhilfe entwickelte sich über private Initiativen zu partnerschaftlichen Formen, in denen öffentliche und freie Trägerschaft verbunden sind; in letzter Zeit werden trotz rhetorischer Verstellungen die staatlichen Zuständigkeitsansprüche intensiviert.

2. Eine berufspragmatische Jugendbilduna übersieht die Notwendigkeit ganzheitlicher Erziehung. 3. Sozialerziehung dient der sozial-sittlichen Gegenwartsbewältigung; sie hat sich auf der Grundlage dieses Selbstverständnisses von ihrer sozialen und jugendkriminologischen Fürsorgefunktion freigesetzt.

4. Sozialerziehung jenseits der beruflichen Ertüchtigung dient der Umweltbemächtigung sowie der gesellschaftlichen und politischen Integration.

5. Sozialerziehung kann jenseits der berufs-pragmatischen Orientierung nur von eindeutigen Zielperspektiven in freier Trägerschaft ausgeführt werden.

II. Zum Profil gegenwärtiger Jugendgenerationen

In einem zweiten Zugang zu unserem Thema sei nunmehr die Rede von den Adressaten der Jugendhilfe, also den Jugendlichen, wobei wir die unterschiedlichen definitorischen Eingrenzungen des Jugendbegriffs zurückstellen wollen und dabei an die 15-bis etwa 25jährigen denken. Wir können auch nicht die Physiognomie der heutigen Jugend beschreiben und wollen nur auf einige Merkmale aufmerksam machen, die in der empirischen Forschung und in der deskriptiven Verstehenssoziologie übereinstimmen. Es handelt sich bei den Jugendlichen also um eine Altersgruppe, die die Phase der ersten und zweiten Sozialisation durchlaufen hat, deren schulischer Erziehungsprozeß indes weithin abgeschlossen ist. Erziehung im Sinne personal-intendierter Erziehung findet in den Schulformen innerhalb des dualen Systems kaum statt Dieser Sachverhalt liegt bei den Schülern weiterführender Bildungseinrichtungen hingegen anders. Aus unserer Jugenduntersuchung die im repräsentativen Querschnitt Informiertheit und Meinungsbildung großstädtischer Jugendlicher erkundete, ist deutlich geworden, daß Schüler und berufstätige Jugendliche in ihrem Interessen-, Erlebnis und Wissenshorizont so weit auseinander liegen, daß eine allgemeine Jugendtypologie nur sehr konturlos vorgenommen werden kann.

Der berufstätige Jugendliche ist pädagogisch weithin unbetreut. Man wird dagegen einwenden, daß Berufsschule und Betrieb als Erziehungsinstanzen begriffen werden; indes, die Effektivität dieser Erziehungsinstanzen hängt von zahlreichen Imponderabilien wie Größe des Betriebes, Struktur der Ausbildung, Standort, Intensität der schulischen Veranstaltungen ab. In der Mehrzahl der Bundesländer wird nicht einmal die gesetzlich fixierte Pflichtstundenzahl in den Berufsschulen eingehalten. Günstiger dürfte die pädagogi-sehe Anleitung und Betreuung in industriellen Großbetrieben mit breit ausgelegten Lehrlingswerkstätten sein. Allerdings habe ich zumal durch Besichtigungen in der chemischen Industrie den Eindruck gewonnen, als würde sich die Erziehung Jugendlicher dort weitgehend nur auf berufliche Qualifizierung beziehen, während auf Fragen der Sozialisation, der Integration in das gesellschaftliche Umfeld kaum Antworten gegeben werden.

Aus einer Repräsentativbefragung in Hessen und Nordrhein-Westfalen ergibt sich folgendes Bild der betrieblichen Ausbildungssituation. Ich zitiere einige mir wichtig erscheinende Ergebnisse: 1. Mehr als die Hälfte der Auszubildenden wird in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten ausgebildet. Bei einem Drittel der Befragten hatte der Ausbildungsbetrieb weniger als 10 Beschäftigte.

2. Die Wahl des Berufes und des Ausbildungsbetriebes richtet sich weitgehend nach den örtlichen Gegebenheiten. Dieser enge Blickwinkel bei der Orientierung bedeutet, daß bei vielen Schulabgängern die Berufswahl und die Betriebswahl gleichzeitig erfolgt, d. h. in der Regel werden Berufe gewählt, die von Betrieben in Wohnortnähe angeboten werden.

3. Die wöchentliche Arbeitszeit lag bei 40 Prozent der Auszubildenden bei über 40 Stunden, davon bei jedem vierten über 43 Stunden. Bei mehr als einem Drittel der Auszubildenden unter 15 Jahren, für die nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz die wöchentliche Arbeitszeit maximal 40 Stunden betragen darf, wurde ein Verstoß gegen diese Vorschrift festgestellt. Am häufigsten von überdurchschnittlich langer Arbeitszeit betroffen waren Auszubildende in Fleischer-, Friseur-und gastronomischen Berufen.

4. Lediglich 23 Prozent der Befragten erhielten einen regelmäßigen theoretischen Unter-7 richt im Betrieb. Es besteht eine enge Korrelation zur Betriebsgröße: in Großbetrieben erhielt jeder zweite, in Kleinbetrieben nicht einmal jeder zehnte regelmäßig theoretischen Unterricht im Betrieb ... 10. Die Beurteilung der Ausbildung im Betrieb durch die Auszubildenden zeigte, daß die Lehrlinge vor allem an mehr theoretischem Unterricht und an weniger Routinearbeit interessiert sind

III. Außerschulische Sozialisationsinstanzen — Jugendhilfe in öffentlicher Zuständigkeit

Nun ist freilich der Jugendliche außerhalb von Schule und Betrieb mit zahlreichen Sozialisationsinstanzen konfrontiert, durch die ihm das zur Gegenwartsbewältigung erforderliche Orientierungswissen vermittelt werden kann. Hier wäre in erster Linie an die Jugendverbände zu denken. Deren Effizienz läßt sich ehesten quantitativ bestimmen. So geben W. Schultze und Christoph Führ in ihrer Darstellung „Das Schulwesen in der Bundesrepublik Deutschland" (Weinheim 19733) den Mitgliederstand organisierter Jugendlicher mit 6 Millionen an, räumen allerdings ein, daß diese Zahl fraglich sei, da einige Jugendverbände aus Gründen von Mittelzuweisungen mit geschönten Förderungszahlen operierten; außerdem sei die Fluktuation erheblich und die Mitgliedschaft werde oft kaum durch Engagement aktiviert. Aus den meisten jugendkundliehen Untersuchungen geht hervor, daß die Jugendlichen eher an unverbindlicher Kommunikation interessiert sind, daß sie sich Formen organisierter Jugendarbeit gegenüber ablehnend verhalten.

Schwierigkeiten und Grenzen der Jugendförderung werden — um ein Beispiel zu geben — im Jugendbericht 1973 der Freien und Hansestadt Hamburg deutlich: „Jugendförderung wird von Trägem der freien Jugendhilfe und von staatlichen Einrichtungen geleistet. Ihre Notwendigkeit ist im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung immer deutlicher geworden. So hat die zunehmende Verstädterung dazu geführt, daß Kinder und Jugendliche in Ballungszentren unzureichende Spiel-und Entfaltungsmöglichkeiten haben. Die Voraussetzungen für das Kennenlernen und damit auch für menschliche Vertrautheit sind in den Ballungszentren geringer geworden. Auch andere Umstände, wie etwa die frühere Ablösung von der Familie, führen zu der Notwendigkeit, jungen Menschen Anregungsund Förderungsmöglichkeiten außerhalb der Familie zu geben. Jugendförderung ist insgesamt ein Mittel, die Lebensqualität für Kinder und Jugendliche zu verbessern. Kennzeichnend für die außerschulische Jugendbildung ist der Grundsatz der Freiwilligkeit. Die freiwillige Teilnahme an Veranstaltungen der Jugendförderung ist eine wichtige Voraussetzung für die Selbstfindung des jungen Menschen. Hierin unterscheidet sie sich grundlegend von anderen Bereichen, wie Familie, Schule und Berufsbildung. Das Angebot der Jugendförderung kennt kaum starre Verhaltensnormen und Rollenvorschriften und keine verbindlichen Lernziele, sondern gibt dem jungen Menschen Gelegenheit, seinen Neigungen zu folgen. Dabei unterscheidet sich die stärker organisierte Form einer Jugendgruppe mit regelmäßigen Begegnungen und festgelegten Zielen von informellen Gruppierungen, z. B. in Jugendfreizeitstätten.

Der Grundsatz der Freiwilligkeit bedeutet andererseits, daß das Angebot der Jugendförderung so attraktiv sein muß, daß es von möglichst vielen jungen Menschen angenommen wird. Um dies zu erreichen, ist von den Erwartungen auszugehen, die junge Menschen an Freizeitangebote stellen. Kinder und Jugendliche müssen an der Entwicklung der Angebote mitwirken können; darin ist ein wesentlicher Beitrag zur politischen Bildung zu sehen.

Zum überwiegenden Teil sind Jugendliche an unverbindlicher Kommunikation interessiert, d. h. an Unterhaltung Geselligkeit mit Gleichaltrigen. Dabei bevorzugen sie oft informelle Gruppen, die nach Geschlecht und sozialer Herkunft relativ homogen zusammengesetzt sind. Daß sich Jugendliche aber auch darüber hinaus an einer Sache engagieren, beweist das breite Spektrum von Aktivitäten in den Jugendverbänden ebenso wie die vielfältige Interessengruppenarbeit in Häusern der Jugend. 8 Die gezielte Förderung eines sachbezogenen Engagements ist eine entscheidende Aufgabe der Jugendförderung; sie muß sich auch an die Jugendlichen wenden, die zunächst an Geselligkeit und Unterhaltung interessiert sind. Damit wirkt Jugendförderung Entwicklungen entgegen, die den Jugendlichen in eine Konsumentenrolle drängen. Indem sein Interesse an einer Sache geweckt und gefestigt wird, gewinnt der Jugendliche mehr persönliche Selbständigkeit. Er stellt Ansprüche an sich selbst und wird durch Erfolgserlebnisse darin bestärkt, seine Interessen weiterzuverfolgen und seine Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern. Obwohl sich Jugendförderung grundsätzlich an alle jungen Menschen wendet, muß sie ihre besondere Aufmerksamkeit auf jene Gruppierungen richten, die in eine gesellschaftliche Randstellung geraten sind, wie Drogenabhängige, Rocker, aber auch Kinder ausländischer Arbeitnehmer. Um sie aus ihrer sozialen Isolierung zu befreien, ihnen Wege zum sozialen, kulturellen und politischen Leben zu erschließen, müssen die entsprechenden Hilfen der Jugendförderung verstärkt werden. Es wäre jedoch unrealistisch, anzunehmen, Jugendförderung allein könne die Eingliederung in die Gesellschaft bewirken. Aktivitäten der Jugendförderung werden aus öffentlichen Mitteln auf der Grundlage des Landesjugendplans und des Bundesjugendplans unterstützt. Der Landesjugendplan ist ein wichtiges Instrument zur Verwirklichung jugendpolitischer Vorstellungen. Bei seiner jährlichen Aufstellung kommt es darauf an, Veränderungen in der Jugendarbeit zu berücksichtigen und gegebenenfalls neue Schwerpunkte zu setzen.

Die Hauptfunktion des Bundesjugendplans ist, Modellversuche und Initiativen von überregionaler Bedeutung sowie zentrale Organisationen der Jugendhilfe zu fördern. Die Förderungsbereiche sind im wesentlichen: politische Bildung; internationale Jugendarbeit; soziale und berufsbezogene Bildung; gesellschaftliche Eingliederung, insbesondere Hilfen für junge Menschen aus Aussiedlergebieten; kulturelle Bildung; sportliche Jugendbildung und Bundesjugendspiele; Erprobung neuer Konzeptionen und Methoden in der Jugendhilfe; Fortbildung von Mitarbeitern in der Jugendhilfe; Jugendarbeit zentraler Organisationen; Deutsches Jugendinstitut e. V.; Internationaler Jugendaustausch-und Besucher-dienst; Bau und Einrichtung von Stätten der Jugendhilfe, insbesondere von Jugendherbergen."

Die Aufreihung der Tätigkeits-und Aufgabenbereiche ist fraglos imponierend, auch die nachfolgend aufgemachte Bilanz der Förderungsbeiträge scheint beeindruckend, der pädagogische Ertrag dieser Jugendförderung bleibt insgesamt allerdings bescheiden. Vielleicht, weil es an pädagogischen Zielentscheidungen fehlt, vielleicht, weil mit unterschiedlicher Zielsetzung mehr Verwirrung als fruchtbare Vielfalt bewirkt wird, vielleicht, weil jugendliche Mentalität auf die veranstalteten Anregungen nicht reagiert. Hamburg hat frühzeitig und beispielhaft staatliche Häuser der Jugend gegründet und in ihnen ein Konzept von Jugendförderung und Freizeitpädagogik verwirklicht, das organisatorische Zwänge und Verpflichtungscharakter weithin ausschließt. 29 Häuser existieren derzeit; die tägliche Besucherzahl liegt bei etwa 8 000 Kindern und Jugendlichen; eine exakte Besucherstatistik wird allerdings nicht geführt.

Die qualitative pädagogische Effizienz läßt sich nur indirekt ermitteln. Der „typische Besucher" eines Hauses der Jugend wird von H. Lüdtke wie folgt beschrieben: „Es ist ein 16-bis 17jähriger männlicher Facharbeiterlehrling, vermutlich ohne eigenes Zimmer zu Hause, von der erwarteten Berufsposition her kaum statusmobil (sozial aufsteigend) in bezug auf seine Herkunftsfamilie, der bis zu zehn Minuten Fußweg vom Heim entfernt in städtischer Wohngegend zu Hause ist, seit mindestens 11/2 Jahren im Heim verkehrt, es mindestens dreimal wöchentlich aufsucht, oft zusammen mit seinen Freunden mit dem gleichen sozialen Status, um dort am geselligkonsumtiven Klubbetrieb in Verbindung mit Tischtennis oder Tischfußball oder an Tanz-veranstaltungen, jedoch nicht an spezifisch zielorientierten Gruppen, teilzunehmen, wobei er sich in bezug auf die Gestaltung des Heim-lebens . . . passiv angepaßt verhält."

Wir können festhalten, daß sich Jugendliche weithin der Mitarbeit in staatlich subventionierten, organisierten Jugendveranstaltungen versagen, daß sie aber gleichzeitig auch Formen jugendautonomer Jugendarbeit ablehnen, soweit diese einen quasi verpflichtenden Charakter haben. Alle Versuche, an die Tradition der Jugendbewegung nach 1945 anzuschließen, sind ohne erkennbaren Erfolg geblieben. Die Meißner Formel der Jugendbewegung: „Wir wollen das Leben nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung und in innerer Wahrhaftigkeit gestalten" ist der Jugendmentalität unserer Tage fern. Die Jugendbewegung, die in ihren proletarischen Ausprägungen in die Schichten der berufstätigen Jugendlichen hineinreichte und eben nicht nur eine großbürgerliche Gymnasiasten-Vereinigung darstellte, war ein beeindruckendes Experiment, pädagogische Maßstäbe in autonomer Jugendarbeit außerhalb der Schulund Arbeitswelt zu praktizieren. Der Erfolg gründete in der pädagogisch eindeutigen Zielvorgabe, in der die personale Erziehung wesentlich stützenden Gemeinschaftsidee und in der Autonomie, die den Zu-und Einspruch der Erwachsenen ausschloß. Es ist im Einzelfall belegt, daß die pädagogische Reform am Beginn unseres Jahrhunderts vielfältig aus den Quellen der Jugendbewegung gespeist wurde. Die aktiven, vielleicht zu optimistischen Pädagogen um den preußischen Kultusminister C. H. Becker entstammen weithin der Jugendbewegung. Bis auf unsere Tage ist in Teilen der älteren Generation die Nachwirkung dieser Jugendbildung spürbar. Doch die Jugendbewegung ist tot, und eine autonome Jugendbildung könnte heute nicht mehr realisiert werden.

IV. Jugendpresse als Sozialisationsinstanz

Wir sprachen von den Sozialisationsinstanzen, auf die der Jugendliche außerhalb von Schule und Arbeitswelt trifft, und hatten in einem ersten Zugang kurz von der organisierten Jugendarbeit gesprochen und schließen zunächst Modelle aus, wie sie von Teilkräften der Gesellschaft, etwa von sozialpädagogischen Einrichtungen in freier Trägerschaft, ausgeführt werden. Zu den Sozialisationsinstanzen sind neben der Kommunikation in informellen Gruppen auch die Massenmedien zu zählen. Deren pädagogische Wirkung ist soweit eindeutig, insofern es sich um bildungsintensive Veranstaltungen und Angebote handelt. Hierher gehören etwa Programme, die der beruflichen Weiterbildung, der Lebens-und Freizeithilfe dienen, die Lerntechniken oder künstlerische Fertigkeiten vermitteln. Den Fernsehanstalten ist im Zusammenhang der vorletzten Gebührenerhöhung die Pflicht auferlegt worden, bildungsintensive Programme dieser Art einzurichten. Bekannt sind auch einem größeren Kreis das Telekolleg, die Kontextprogramme des Schulfernsehens und Reihen wie „Netzplantechnik", „Mathematischer Vorkurs", „Lernen mit Erwachsenen" und die publizistisch und sachlich umstrittene Reihe „Ausbildung der Ausbilder". Hinzu kommen noch Einzelsendungen, die auf der Linie der Enrichment-Idee liegen und vielfach adressatenspezifisch oder altersspezifisch gestaltet sind. Inwieweit dieses Angebot von Jugendlichen genützt wird, ist zwar quantitativ — z. B. im Falle des Telekolleg — aufgeschlüsselt worden, Wirkungsanalysen fehlen vielfach. Auf jeden Fall ist in dieser publizistischen Sparte die pädagogische, bildungsintensive Absicht und Realisierung eindeutig.

Weit weniger eindeutig sind die Wirkungen, die von den Massenmedien ausgehen, sofern sie Information und Unterhaltung vermitteln. Die Qualitätsunterschiede sind erheblich: Sie reichen von der seriösen Wochenzeitschrift, die politische und gesellschaftliche Hintergrundinformationen anbietet, über die Illustriertenpresse, die sich zum Teil in den letzten Jahren auch politisch profiliert hat, und die Boulevard-und Regenbogenpresse bis hin zur weitverbreiteten Jugendpresse. Erst in den letzten Jahren ist die kommerzielle Jugend-presse stärker ins wissenschaftliche Visier genommen worden. Die Expertisen über „Bravo" sind schon fast Legion. Demgegenüber fällt das publizistische Interesse an „Sounds“, „Musikfan", „Stafette“ und „Ran" ab. Die Zeitschrift „Medien-und Sexualpädagogik“ berichtet jetzt fortlaufend über Inhalt und Stil dieser Pressespezies. Auch diese Publikationen — so aseptisch, so konsumorientiert, so konfliktfrei sie auch sein mögen — versehen eine quasi pädagogische Aufgabe; sie beeinflussen den Jugendlichen durch die direkte Ansprache, sie führen ihm Leitbilder und Identifikationsmuster vor, wollen Hilfe für alle Wechselfälle des Lebens geben. Empfehlungen für den Vorstellungsbesuch bei einer Firma, Sexualaufklärung, Kleidungs-und Lektüreanregungen — vielfach konkret und handfest verpackt — stehen neben dem schönen Schein einer idealisierten Welt der Kino-und Bildschirmgrößen. Daß sich Jugendliche zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr offenbar alleingelassen vorkommen, mag daran abgelesen werden, daß der Sexualberater eines Jugendperiodikums im Monat 5 000 Zuschriften erhält. Diese Zuschriften legen das pädagogische Defizit greller frei als nüchtern verfahrende Jugenderhebungen. Jugend und ihre Probleme, auch ihre Selbstdarstellung und Lebenstopoi werden da nicht in der sterilen Zahl erfahren, sondern in der Unmittelbarkeit, auch im sprachlichen Unvermögen die Vorstellungen des eigenen Lebensvollzugs zu artikulieren. Mir ist dieser Tage ein Brief in die Hand gekommen, der von einem Jugendlichen an die Redaktion einer Jugendzeitschrift geschickt wurde. Da er einen mir bislang nicht bekannten Jugendtyp repräsentiert, darf ich den Brief hier wiedergeben: „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Alle hacken auf mir rum. Auch meine Freunde, außer 1 oder 2. Die halten fest zu mir. Ich habe keine Lust mehr zu arbeiten, bin Maler. Mir stinkt alles. Arbeiten, Schule, Zuhause. Ich will am liebsten überhaupt nichts tun. Nur Faulenzen und Kino. Eine eigene Wohnung, Küche, Stube, Schlafzimmer und Bad. Das reicht mir. Mehr brauch ich nicht. Die Licht-und Gasrechnungen soll ein anderer zahlen, ich nicht. Jeden Monat 200 DM, das reicht für mich voll. Und einen Wunsch hätt ich noch. Eine Woche mit dem chinesischen Star Wong Yu zusammen sein. Aus dem Film , Wong Yu, stärker als tausend Kamikaze'. Das wäre noch mein Wunsch. Aber das wird sich wohl nie erfüllen. Eine eigene Wohnung haben und mit Wong Yu zusammen sein. Ich bin 17. Nächstes Jahr werd ich 18 und dann bin ich volljährig. Und dann möcht ich weit, sehr weit weg, am liebsten nach China. Nur, ich kann die Sprache nicht verstehen. Ach, das wär mir auch egal. Nur weg, allein sein. Frei sein, das will ich nur. Frei sein. Frei wie ein Vogel. Ich bin ein geborener Einzelgänger. Nicht arbeiten, nur faulenzen, mein ganzes Leben lang. Aber, das wird sich wohl nie erfüllen, die Wünsche die ich habe. Mit Wong Yu, eigene Wohnung usw., nicht arbeiten usw. Nie wird sich das alles erfüllen. Wenn ich wenigstens einmal mit Wong Yu zusammen sein könnte, dann wäre ich zur Hälfte glücklich. Wie ich diesen Brief geschrieben hab, hab ich geheult, wie ein kleines Kind.

Ihr könnt jetzt ruhig lachen, mir ist ja alles egal. Könnt ihr mich nicht einmal mit Wong Yu zusammenbringen? Bitte, könnt ihr auf diesen Brief antworten, Euer ...

Nur ein abseitiges Beispiel, das die Wirkung kruder Identifikationsmuster vorführt? Der Brief zeigt, daß hier nur abgefilmte Leitbilder übernommen werden, daß Sozialisation und Integration nicht gelingt. Walter Jaide hat in einer empirischen Studie Ergebnisse interpretiert, die diesen Einzelfall übergreifen: „Diese jungen Menschen leben in einem soziokulturellen Niemandsland, abgeblendet, eingeigelt, passiv, vergreist, von Mißgeschicken verfolgt, so daß sie kaum noch ansprechbar sein dürften. Sie teilen damit viele Merkmale, die generell der sozialen Unterschicht in hochindustrialisierten Gesellschaften zugeschrieben werden." Es handelt sich bei der hier dargestellten Gruppe um die zahlenmäßig stärkste innerhalb der gegenwärtigen Jugendgeneration; sie gerät indes selten in die Spalten unserer Presse. Das Wort von der „kritischen Generation" ist gewiß nur sektoral richtig; es trifft auf höhere Schüler, Studenten und gewerkschaftlich organisierte Berufstätige zu. Im repräsentativen Querschnitt werden die Auffälligkeiten nach beiden Seiten hin eingeebnet. In einer Zusammenfassung unserer Arbeit „Jugend und Kulturpolitik" habe ich aus dem Datenmaterial eine Zustandsschilderung gegenwärtiger Jugend herausgelesen, die ich hier anführen möchte. Diese Aspekte sollen bedacht werden, wenn man Methoden und Inhalte der Jugendbildung zielgruppengerecht anlegen will. Aus diesen Daten und aus der Umschau in der Jugendlandschaft folgt: „ 1. Der Ausbruch aus dem Kontinuum der Geschichte. 2. Daß sich Jugendliche vermehrt auf eine privatistische Moral verpflichten und gleichzeitig darauf verzichten, sich dann öffentlich zu äußern, wenn intime Bezirke ihres privaten Lebens angesprochen werden.

3. Scheint der totale Vor-und Versorgestaat als Weltanschauungsersatz nicht akzeptabel.

4. Die Jugend sucht nach Identifikationsmöglichkeiten, findet aber keine.

5. Auffällig in allen Bezirken jugendlicher Selbstdarstellung ist der Mangel an konkreter Zukunftsphilosophie, aber 6. gleichzeitig kann in der jungen Generation eine angestrengte Suche nach ethischen Ziel-projektionen registriert werden." Es dürfte unstreitig sein, daß der Lebensraum Jugendlicher weithin pädagogisch nicht betreut ist, daß Jugendliche nach Zielprojektionen suchen und daß von daher Jugendhilfe im Sinne von Freizeitbewältigung und gesellschaftlicher Orientierung außerordentlich dringlich ist. Hinter die Ergebnisse jugendkundlicher Untersuchungen über die Freizeitbeschäftigungen möchten wir ein Fragezeichen setzen. Aus unserer Untersuchung ergibt sich die Rangreihenfolge: Lesen, Sport, Tanzen, Kino, Rundfunk, Schularbeiten, Fernsehen. Einmal liegt die Datenerfassung schon geraume Zeit zurück, so daß sich zufolge des immer rascher werdenden Generationsumschlages eine Übertragung auf gegenwärtiges Freizeitverhalten verbietet, sodann dürfte wahrscheinlich sein, daß in den Daten Gefälligkeitsantworten erheblich ins Gewicht fallen. Die von uns ermittelten Werte des Fernseh-Konsums legen die Vermutung nahe, daß diesem Medium in der Freizeit eine größere Bedeutung zukommt als sich aus der Rangreihenfolge ergibt. Der durchschnittliche wöchentliche Fernsehkonsum liegt unserer Untersuchung zufolge bei 7, 9 Stunden, Spitzenwerte liegen bei 30 Stunden. Erstaunlich und abweichend gegenüber früheren Untersuchungen dürfte sein, daß ein hoher Fernsehkonsum und gute Schulleistungen direkt proportional korrelieren. Das gilt für den Medien-konsum insgesamt, d. h., Schüler mit guten Leistungen konsumieren in hohem Maße Fernsehen und Zeitschriften und Zeitungen. Das sich in diesem Tatbestand aussprechende Informations-und Unterhaltungsbedürfnis sollte für Konzepte einer Freizeitpädagogik fruchtbar gemacht werden.

V. Jugendhilfe in der bildungspolitischen Diskussion und Reform

Wir hatten bereits die rechtliche Situation der Jugendhilfe gestreift und wollen nun diesen Aspekt unseres Themas noch einmal aufnehmen. Alle politischen Gruppierungen und gesellschaftlichen Teilkräfte sind von der Notwendigkeit einer intensiven, systematischen und pädagogisch kompetenten Jugendhilfe überzeugt. Die Positionen innerhalb der Partikularinteressen sind allenfalls in der Gewichtung, nicht jedoch grundsätzlich unterschieden. Das weltanschauliche Herkommen bedingt geringfügige Akzentverschiebungen. Alle Vorschläge, Gesetzentwürfe und Gesetze suchen dem Prinzip des verfassungsgemäßen Pluralismus zu entsprechen. Unterschiede zeigen sich im Ausmaß der finanziellen Unterstützung der freien Träger und in der Modalität des Anerkennungsverfahrens. Hier sind übrigens Übereinstimmungen mit den Entwürfen und Gesetzen zur Erwachsenenbildung auszumachen. Die Kommunalisierung der Erwachsenenbildung, die zumindest tendenziell sich gegen Ende der 60er Jahre abzeichnete und etwa Ausdruck im Hessischen Gesetz für die Volkshochschulen gefunden hat, ist im Zusammenhang mit der Diskussion, wie sie z. B. durch Strukturplan und Bildungsgesamtplan eingeleitet wurde, nicht weiterverfolgt worden.

Bereits das Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs-und Bildungswesen von 1960 über Aufgabe und Stellung der Erwachsenenbildung geht von der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit freier und gebundener Erwachsenenbildung aus. An der Gesetzesentwicklung zur Erwachsenenbildung in Nordrhein-Westfalen, die in diesem Jahr in ein Gesetz eingemündet ist, lassen sich unterschiedliche Gewichtungen ausmachen, die sich in der These zusammenfassen lassen, daß der SPD-FDP-Entwurf den kommunalen Einrichtungen offenbar ein stärkeres Gewicht geben möchte, während der CDU-Entwurf, dessen Entstehung allerdings weiter zurückliegt, stärker auf das Prinzip des Pluralismus abhebt. Beide Positionen stimmen trotz unterschiedlicher Gewichtung in der Überzeugung überein, daß sich Erwachsenenbildung am besten in einem kooperativen System realisieren lasse. Es würde zu weit führen, wenn wir an dieser Stelle den Gründen nachgingen, weshalb die CDU stärker den Pluralismus akzentuiert als die SPD und die FDP; Reste eines konservativen Traditionsreservoirs scheinen bei ihnen zumindest eine Rolle zu spielen. Was wir hier für den Weiterbildungsbereich festgestellt haben, gilt mutatis mutandis auch für die Jugendhilfe. Ihr gesetzlicher Zustand ist ebenso antiquiert wie der der Erwachsenenbildung. Zwar ist das Jugendwohlfahrtsgesetz mehrfach ergänzt, erweitert und modifiziert worden, aber ein Jugendhilfegesetz, das den von uns beschriebenen Defiziten begegnen könnte, liegt allenfalls im Referentenent-B wurf vor. Dieser Referentenentwurf ist in den letzten Wochen und Monaten wiederholt diskutiert, analysiert und kritisiert worden. Im Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission ist der außerschulischen Jugend-bildung ebenfalls ein besonderer Abschnitt gewidmet Außerschulische Jugendbildung wird dabei mit der Jugendhilfe gleichgesetzt und es wird dabei als Tatbestand registriert: „Außerschulische Jugendbildung wird überwiegend von freien Verbänden und Institutionen getragen." Die vorgeschlagenen Verbesserungen erstrecken sich im Bildungsgesamtplan auf die „Fortentwicklung von Didaktik und Methodik, auf die Erhöhung des Anteils hauptamtlicher pädagogischer Mitarbeiter und auf die Intensivierung der Aus-und Fortbildung ehren-und hauptamtlicher Mitarbeiter". Sodann wird zu einer verbesserten Kooperation der Arbeit öffentlicher und freier Träger aufgefordert und die außerschulische Jugendbildung auch in Verbindung zum Bildungsurlaub gebracht (S. 69).

Mir scheinen in den dürren Worten des Bildungsgesamtplans jene Probleme angesprochen zu sein, die in der Diskussion um die Jugendhilfe heute vorrangig zu behandeln sind. Es geht demzufolge um die Regeln der Zusammenarbeit, um die Inhalte und die Vermittlungsformen der Inhalte und um die pädagogische Qualifikation derer, die Jugendhilfe in der Praxis verwirklichen. Trotz eines sinnvollen Pluralismus muß in der Jugendhilfe ähnlich wie in der Erwachsenenbildung darauf gesehen werden, daß Veranstaltungen und Programme durchgeführt werden, die ein Mindestmaß an Übereinstimmung aufweisen. Der Wildwuchs in der Jugendbildung, der pädagogische Dilettantismus sollte eigentlich nicht mehr zugelassen sein. Alle Diskussionen, die sich um den Bildungsgesamtplan und den Referentenentwurf zu einem Jugendhilfegesetz ranken, betonen die Notwendigkeit einer stärkeren Systematisierung, Abstimmung, Verbindlichkeit und Zusammenarbeit. Davon unberührt bleiben natürlich die pädagogischen Voraussetzungen, von denen die freien Träger ausgehen.

Katharina Focke hat die Forderungen und Ansprüche an die Jugendhilfe in die folgenden Reformvorstellungen eingebunden: „Bei der Neugestaltung der Jugendhilfe lassen wir uns insbesondere von folgenden Reformvorstellungen leiten: — für jeden jungen Menschen muß das Recht auf Erziehung verankert werden, das durch einen konkretisierten Leistungskatalog von Hilfen, Einrichtungen und Diensten zu gewährleisten ist;

— die Jugendhilfe muß zu einem selbständigen, die Erziehung und Bildung in anderen unterstützenden Erziehungsträger ausgestaltet werden;

— die familienunterstützenden und -ergänzenden Hilfen, wie zum Beispiel Kindertageseinrichtungen, Erziehungsberatungsstellen und Elternschulen, bedürfen des Ausbaus;

— die Jugendämter müssen stärker zur verantwortlichen Planung und zur konstruktiven Zusammenarbeit mit den freien Trägern der Jugendhilfe und allen anderen für die Jugendhilfe wichtigen Instanzen befähigt werden; — Aufgabe, Zuständigkeit und Verfahren der Jugendbehörden müssen mit Blickrichtung auf die gesellschaftlichen Aufgaben von morgen neu geregelt werden;

— die Fachlichkeit der Jugendhilfe muß un-. ter anderem durch die Mitwirkung qualifizierter Mitarbeiter gewährleistet werden, deren systematische Fortbildung sicherzustellen ist;

— für die Zusammensetzung und Verteilung der durch Jugendhilfe erwachsenden finanziellen Lasten müssen konkrete Regelungen getroffen werden;

— der Bereich der Heimerziehung muß durch klarere Regelungen im Hinblick auf Heim-und Gruppendifferenzierungen sowie durch den Abbau einer überholten Nomenklatur, die der Verwirklichung moderner Erziehungsformen hinderlich ist, rechtlich neugestaltet werden; — die sozialpädagogischen Hilfen und Angebote im Vorfeld der Heimerziehung müssen ausgebaut werden mit dem Ziel, die . geschlossene'Heimerziehung auf das unumgängliche Maß zu beschränken."

Auffällig ist an diesen Ausführungen indes, daß die bisherigen Modelle der Jugendhilfe in freier Trägerschaft nicht als Reformvorlagen berücksichtigt werden. Auf das pluralistische Prinzip wird jedenfalls nicht ausdrücklich eingegangen. In einer Erläuterung des Ent-13 wurfs des Jugendhilfe-Gesetzes wurde denn auch in der Süddeutschen Zeitung die Befürchtung laut, daß die neue Entwicklung und Reformabsicht Barrieren gegenüber der Kooperation errichte: „So vernünftig sich freilich die im Entwurf vorgesehene Partnerschaft zwischen dem Staat und den .freien Vereinigungen'ausnimmt, so problematisch kann der Einzelfall werden. Die Einrichtungen, so heißt es im Entwurf, sollen unter Wahrung einer angemessenen Vielfalt jeweils von dem Träger oder der Vereinigung für die Jugendhilfe geschaffen werden, der oder die ... die dafür günstigsten Voraussetzungen erfüllt.“

Die verbandsspezifischen Stellungnahmen zum Referenten-Entwurf fallen demzufolge auch sehr unterschiedlich aus. Sie sind sich allenfalls darin einig, daß hinfort der staatliche Einfluß zunehmen werde. Die Zeitschrift „Deutsche Jugend" hat in ihrer Mai-Nummer 1974 Stellungnahmen der verschiedenen an der Jugendhilfe beteiligten Verbände eingeholt, und bereits die Überschriften lassen die Ansätze der kritischen Vorbehalte deutlich werden. CDU-MdB Kroll-Schlüter charakterisiert den Entwurf als „Staatliche Selbstherrlichkeit"; SPD-MdB Anbuhl spricht von einer „vernünftigen inhaltlichen Reform"; die Evangelische Jugend erkennt „Gute inhaltliche Ansätze"; die Katholische Jugend äußert „Eine große Enttäuschung"; die DAG-Jugend charakterisiert „Umfangreich, aber wenig konkret"; das Deutsche Jugendinstitut formuliert lapidar „Das grundsätzliche Dilemma ist geblieben".

In der gleichen Zeitschrift wurde bereits einen Monat zuvor auf dem Hintergrund des Referenten-Entwurfs ein Bild der Jugendhilfe gezeichnet, das über die formalen Regelungen hinausgreift und den Aufgabenbereich profiliert. Heinz Westphal hat wohl eine zutreffende Bestimmung von Jugendhilfe gegeben, wenn er dort ausführt: „Bei den Bildungsaufgaben der Jugendhilfe geht es nicht um kognitive Wissensvermittlung der Art, wie sie im wesentlichen den Trägern des institutionalisierten Bildungswesens Vorbehalten ist. Gemeint ist hier vielmehr in erster Linie die Vermittlung von Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge, die Entwicklung der Fähigkeit zu gesellschaftskritischem Denken, das Lernen und Einüben sozialer Verhaltens-weisen sowie die Anregung und Befähigung zu politisch-sozialem Engagement. Bildung im Rahmen der Jugendhilfe schließt zugleich die außerschulische und außerberufliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten für gesellschaftliches und berufliches Fortkommen ein, die, wie die Begründung zu Paragraph 1 des JHG-Diskussionsentwurfs zutreffend feststellt, ebenfalls Bestandteil der Persönlichkeitsbildung ist. Der enge und unlösbare Zusammenhang von Erziehungs-und Bildungsaufgaben im Bereich der Jugendhilfe wird vor allem dadurch deutlich, daß es Jugendhilfe auf der einen Seite mit elementaren Erziehungsleistungen in Ergänzung und Unterstützung der übrigen Sozialisationsinstanzen, zum Beispiel auch mit Hilfen zur Erziehung in der Familie, und auf der anderen Seite mit interessen-und bedürfnisorientierten Lernprozessen zu tun hat, die von den jungen Menschen selbst bestimmt und organisiert werden können. Der Gesetzentwurf schließt daher konsequenterweise in das Recht auf Erziehung auch die Leistungen der außerschulischen Jugendbildung einschließlich der Hilfen zur Unterstützung und Ergänzung der Schul-und Berufsbildung ein und verpflichtet die Jugendhilfe, dieses Erziehungsrecht unbeschadet der Erziehungsaufgaben von Familie, Schule und Berufsbildung zu gewährleisten. Diese umfassende Interpretation des Erziehungsrechts erlaubt zwar, die Jugendhilfe insgesamt als . eigenständigen Erziehungsträger’ und die Jugendarbeit im besonderen als . Gestaltungsbereich eigener Prägung’ zu definieren, bedeutet indessen nicht, daß die Jugendhilfe legitimiert ist, Bildung schlechthin zu vermitteln und in die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der Instanzen des .organisierten Bildungswesens'einzugreifen. Ebensowenig wie es einen Vorrang der Jugendhilfe vor der Schule gibt, liegt umgekehrt ein Nachrang der Jugendhilfe gegenüber den . klassischen'Trägern des Erziehungs-und Bildungswesens vor. Das Verhältnis aller Sozialisationsfelder zueinander ist vielmehr durch Gleichrangigkeit gekennzeichnet. Ihre Träger sind im Interesse optimaler Sozialisationswirkungen — künftig mehr denn je — auf eine enge, einander ergänzende und unterstützende Kooperation angewiesen."

VI. Aktionsfelder und Institutionen in der außerschulischen Jugendbildung

Ich hatte bereits früher darauf hingewiesen, daß Jugendhilfe sich in meinem Verständnis weniger um die Vermittlung kognitiver Fertigkeiten und Fähigkeiten zu sorgen habe, sondern daß sie sich um die gesellschaftliche Orientierung und Integration Jugendlicher bemühen solle. Arbeitsförderungs-Gesetz und Berufsbildungs-Gesetz haben die Möglichkeiten beruflicher Ausbildung und Weiterqualifizierung eröffnet; der Jugendbefund gibt uns allerdings in der Annahme recht, daß durch derartige Gesetze die Integration und Lebens-bewältigung nicht geleistet werden kann. Personale Bildung, Selbstverwirklichung, Verständnis des politischen, ethischen und gesellschaftlichen Umfeldes können mit den Mitteln von Qualifizierungsmaßnahmen nicht verwirklicht werden. Woran es den Jugendlichen heute mangelt, ist das Verständnis für ihren eigenen Ort im gesellschaftlichen Kontext, also an der politischen und kulturellen Bildung, es fehlt ihnen das Verständnis naturwissenschaftlich-technischer Phänomene, es werden ihnen weithin Aktionsfelder für soziales Engagement verschlossen und sie werden nicht zu einer Form von Geselligkeit angeleitet, die mehr ist als nur die freie Zeit totzuschlagen. Wenn wir diese Lernfelder aufführen, geraten wir bereits in die Nähe einer Jugendhilfe, wie sie modellhaft in der freien Trägerschaft bereits praktiziert oder zumindest angestrebt wird.

Derartige Lernfelder können u. a. auch in Gesetzen zum Bildungsurlaub berücksichtigt werden. Leider ist eine verbindliche gesetzliche Regelung des Bildungsurlaubs auf Bundesebene nicht zustande gekommen. Die ungeklärte Kostenfrage hat die Sozialliberale Koalition offenbar daran gehindert, den bereits ausformulierten Gesetzesentwurf in die parlamentarische Prozedur einzubringen. Inzwischen ist der Bildungsurlaub auf Landes-ebene zum Wahlgeschenk denaturiert. Hamburg und Niedersachsen haben den Bildungsurlaub in den letzten Monaten gesetzlich verbrieft, Berlin und Hessen verfügen ebenfalls über eine einschlägige gesetzliche Regelung: Berlin-Gesetz zur Förderung der Teilnahme an Bildungsveranstaltungen vom 16. 7. 1970;

Hamburg — Hamburgisches Bildungsurlaubsgesetz vom 21. 1. 1974; Hessen — Hessisches Gesetz über den Anspruch auf Bildungsurlaub vom 19. 6. 1974; Niedersachsen — Niedersächsisches Gesetz über den Bildungsurlaub für Arbeitnehmer vom 10. 5. 1974 Allerdings haben diese Gesetze nur formale Sachverhalte geregelt; die Frage nach der inhaltlichen Ausfüllung des Bildungsurlaubs ist bislang unbeantwortet geblieben. Es gibt nur den vagen Konsens, daß im Bildungsurlaub politische und berufliche Bildung zusammengebunden werden sollen, und es gibt darüber hinaus einige Modellvorstellungen vom Institut für Kommunikationsplanung und Modellversuche von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Evangelischen Akademie Bad Boll — auch Hochschuleinrichtungen haben sich um die Inhalte des Bildungsurlaubs Gedanken gemacht. Mir schiene es an der Zeit, den Bildungsurlaub auch unter der Perspektive der Jugendhilfe zu betrachten und von daher die Lernfelder des Bildungsurlaubs zu strukturieren. Wendet man die oben angegebenen Lernfelder der Jugendhilfe auf den Bildungsurlaub an, so würde er sich allerdings von seiner Absicht entfernen, der beruflichen Weiterbildung auch zu dienen. Aber wir hatten ja bereits ausgeführt, daß für die berufliche Qualifizierung andere gesetzliche Maßnahmen zur Verfügung stehen.

Letztlich seien einige Zielperspektiven von Jugendhilfe am konkreten Beispiel vorgeführt und Hinweise auf methodische und didaktische Vorgehensweisen gegeben.

Jugendhilfe, das wurde bereits deutlich gemacht, wird von zahlreichen Institutionen mit meist präventiver Absicht ausgeführt. Für unsere Überlegungen sollen hier nur jene Aktivitäten interessant sein, die einige Prinzipien einhalten, wie das der Freiwilligkeit und das der nicht vorrangigen Berufsorientierung oder Berufsbezogenheit. Veranstaltungen im Sinne dieser Jugendhilfe — vielfach als sozialpädagogische Aufgabe umschrieben, man könnte sie auch als Sozialisationshilfe für Jugendliche bezeichnen — werden etwa vom Christlichen Jugenddorfwerk, zum Teil auch von der Aktion Jugendschutz, vom Roten Kreuz, von der Kurzschule Weißensee und anderen Einrichtungen angeboten. Sieht man sich die Veranstaltungsthemen der Aktion Jugend-schutz an, so wird das Bemühen erkennbar, den Jugendlichen Aufklärung und Orientierung über aktuelle, sie in ihrem gesellschaftlichen Umfeld direkt berührende Problem-und Lernfelder zu geben. Auf der diesjährigen Veranstaltung in Köln wurden Massenmedien und insonderheit die kommerzielle Jugend-presse den Teilnehmern vorgestellt, wobei sich als nachteilig erwies, daß das Veranstaltungsprogramm keinen Raum für ausführlichere Diskussionen vorsah, daß das Publikum stark fluktuierte und gerade berufstätige Jugendliche offensichtlich unterrepräsentiert waren.

Das Christliche Jugenddorfwerk — Modell einer sozial-pädagogischen Aktivität in freier Trägerschaft

Im Zentrum der von uns gemeinten Jugendhilfe steht die Arbeit der sozialpädagogischen Institute Christlichen Jugenddorfwerks. In den „Mitteilungen 1/1974" ist ausführlich diese Arbeit Der Hinweis berichtet.

auf diese Quelle die Einzelbeschreibung mag ersetzen.

Allerdings darf ich auf einige mir wichtig erscheinende Aspekte aufmerksam machen. Einmal ist der Adressatenkreis deutlich eingegrenzt: die Arbeit bezieht sich vorrangig auf die 16— 18jährigen. Die Kurse sind längerfristig angelegt, so daß auch Ansätze von Gemeinschaftserziehung möglich sind und sich gruppendynamische Prozesse anregen und untersuchen lassen und eine teilnehmerorientierte Programmabwicklung durchgeführt werden kann. Die Entwicklungsgeschichte dieser Arbeit ist in der Schrift von Hans Roth „Besinnung und Verantwortung" im einzelnen ausgeführt. Aus Protokollen läßt sich ersehen, daß die Themen im Sinne einer Vermittlung von Orientierungswissen abgefaßt sind. Hierher gehören die Themen: Weltpolitik; der einzelne in den Bezugsfeldern von Familie, Schule, Betrieb, Freizeit, Politik; die Zusammenhänge des Wirtschaftsgeschehens; Freizeit; Jugendrecht und Jugendhilfe; Drogenprobleme usw. Die Veranstaltungsprogramme sind, nicht so stringent komponiert, daß nicht der Raum für selbstaktivierende Teilhabe der Teilnehmer gewährleistet wäre. Ich vermute, daß die Teilnehmer im Sinne von individueller Betroffenheit auf derartige Themen reagieren, zumal es in ihrem sonstigen beruflichen und häuslichen Umfeld kaum Möglichkeiten gibt, diese Sachfragen intensiver im Gespräch abzuklären.

Ich hatte bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß der Jugendliche im nachschulischen Alter pädagogisch weithin unbetreut bleibt und daß sich pädagogische Maßnahmen entweder im Jugendschutz oder in der Berufsbezogenheit erschöpfen. Orte, an denen personale Bildung intendiert wird, sind in der Bundesrepublik zumindest für Jugendliche rar. Nun kann aber eine Bildung, die die berufliche Ertüchtigung überschreitet, nicht auf eindeutige Zielperspektiven verzichten. Bildung schließt die Frage nach dem Wozu und Wohin ein. Das Christliche Jugenddorfwerk hat entsprechende Grundsätze für die pädagogische Arbeit entwickelt, die maßgeblich die Programmgestaltung und Programmdurchführung bestimmen. Die drei Grundsätze seien hier als Beispiel wiedergegeben: „ 1. Die Arbeit in den Sozialpädagogischen Instituten steht eindeutig auf dem Boden der im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Parlamentarischen Demokratie und dem damit korrespondierenden Pluralismus unseres Gesellschaftssystems, der zugleich auch die Grundlage für die Bildungsarbeit eines freien Trägers (z. B. CJD) bildet. 2. Daraus resultiert die notwendige Bejahung der Sozialen Marktwirtschaft mit ihrer Möglichkeit der Entfaltung unternehmerischen Handelns und zugleich sozialer Absicherung des Einzelnen. Natürlich wird dabei nicht übersehen, daß diese Soziale Marktwirtschaft auch veränderten Gegebenheiten angepaßt und in Richtung größerer sozialer Gerechtigkeit — auch für den Unternehmer — weiterentwickelt werden muß.

3. Entscheidend ist für die Arbeit in den Sozialpädagogischen Kursen die Anerkennung des christlichen Menschenbildes, das den Menschen in einem doppelten Sinne versteht: Er hat teil an der schöpferischen Kraft Gottes, die ihm große Möglichkeiten freier Entfaltung eröffnet. Zugleich ist er in die Nachfolge Christi hineingestellt, in die Verantwortung für jeden anderen Menschen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Wertschätzung des Einzelnen, unabhängig von seinem gesell-B schaftlichen Nutzen, seinem Alter und sozialen Prestige."

Ich halte es für ein Gebot pädagogischer Lauterkeit, wenn man derart die pädagogischen Grundlagen und Voraussetzungen profiliert und nicht vorgibt, sich in einem quasi-wertneutralen Raum zu bewegen. Ich könnte mir vorstellen, daß es einem Teil der Jugendlichen schwerfällt, sich auf „die Anerkennung des christlichen Menschenbildes" zu verpflichten, wo doch die Erkenntnisse der Jugendkunde lehren, daß die Bereitschaft zum eindeutigen Engagement an ethisch-traditionale Positionen kaum vorhanden ist. Daß im Jahr 1973 7906 junge Menschen an den sozialpädagogischen Kursen in den sechs Instituten teilgenommen haben, muß imponieren. Hier werden auf der Grundlage der Freiwilligkeit und eindeutiger pädagogischer Maßgaben Sozialisationshilfen angeboten, die den jungen Menschen zur Gegenwartsbewältigung und Gegenwartserfahrung anleiten.

Darüber hinaus ergibt das Studium der Unterlagen der Sozialpädagogischen Institute den Eindruck, daß auch hinsichtlich der Methodik und Didaktik der Jugendbildung aus der praktischen Arbeit grundsätzliche Einsichten hergeleitet werden, die für die Jugendbildung insgesamt fruchtbar gemacht werden können. In unserer Untersuchung zur Jugendtypologie ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß es außerordentlich schwierig ist, an den Kern jugendlichen Selbstverständnisses heranzukommen; daß offenbar eine privatistische Moral entwickelt wird, die die öffentliche Konfrontation meidet. Die sonst so redselige und eloquente Jugendgeneration unserer Tage äußert sich über die eigenen Besorgnisse und Interessen vergleichsweise zurückhaltend. An die Stelle der verbindlichen Aussage tritt das unverbindliche „man". Mir scheint es daher sinnvoll, die Jugendlichen durch Aktualitäten und Betroffenheit für pädagogische Arbeit aufzuschließen.

Meine Mitarbeiter und ich haben bei der didaktischen Ausführung des sogenannten Bochumer Plans für die Erwachsenenbildung ebenfalls gemeint, daß die Erwachsenen am ehesten für Veranstaltungen zu gewinnen seien, wenn Themen vorgeschlagen und angeboten werden, die sie unmittelbar betreffen. Ein Sprachkurs kann demzufolge nicht nach den Maßgaben der Schule aufgebaut werden; der Erwachsene erwartet beispielsweise sprachliche Hilfen, mittels derer er sich im Ausland bewegen kann. Für ihn ist die Fähigkeit, eine Speisekarte zu lesen, wichtiger, als Oscar Wildes „Happy Prince" übersetzen zu können. Odert Die deutsche Literatur will er nicht unbedingt in den literarischen Hochdokumenten verfolgen; er will, wenn er sich auf diesen Bereich überhaupt einläßt, erfahren, wie Literaten heute unsere Gegenwart bewältigen. In der Geschichte will er nicht nach einem starr chronologischen Prinzip unterwiesen werden, sondern er möchte jene Kulminationspunkte verstehen, die unsere Gegenwart bestimmen, in denen Geschichte in die Gegenwart hineinragt. In der Politischen Bildung schließlich will er Maßstäbe für kritisches Verhalten und Urteilen vermittelt bekommen, die ihm für sein politisches Umfeld hilfreich sind. In diesem Sinn formulieren die grundsätzlichen Überlegungen zum Thema „Politische Bildung" in den Sozialpädagogischen Instituten: Lernziel sei, „die Teilnehmer zu einer kritischen Meinungsbildung auf dem Boden der Realitäten zu führen. Wir verbinden dadurch integrierende und emanzipatorische Aspekte, d. h. geben Denkhilfe für die Erkenntnis zu bewahrender Werte und weiterzuentwickelnder problematischer Verhältnisse."

Was wir vorab über die Erwachsenenbildung sagten, gilt offensichtlich auch für die Jugendbildung. Aktualität und Betroffenheit sind didaktische Bestimmungslinien. So formuliert auch das Christliche Jugenddorfwerk, daß der Ansatz sozialpädagogischer Arbeit in der „praktischen Lebenserfahrung, die die Teilnehmer mitbringen, liege". Ich gehöre in der Erwachsenenbildung zu denen, die in der Mitte und gegen Ende der sechziger Jahre der Erwachsenenbildung zu einer stärkeren Berufsbezogenheit verhülfen haben. Inzwischen ist diese notwendige Entwicklung vollzogen und zum Teil überzogen worden. Heute befinde ich mich auf der Seite derer, die in der Erwachsenenbildung den Raum für subjektive Bildungsbedürfnisse, für die Chance personaler Selbstbildung erhalten wollen. Auch hier gibt es eine Parallele zur Jugendbildung. Die berufliche Bildung Jugendlicher ist heute cum grano salis geregelt, die Möglichkeiten der außerschulischen und außerbetrieblichen Bil-dungsarbeit müssen jedoch noch stärker ausgeprägt werden.

Kehren wir zu inhaltlichen Fragen zurück. Wenn es richtig ist, daß berufliche durch personale Bildung zu ergänzen ist, dann versehen sozialpädagogische Einrichtungen in den verschiedenen freien Trägerschaften eine notwendige Komplementärfunktion. Allerdings sehe ich im Moment noch keine Chance, die sich dort realisierende Arbeit zu systematisieren und mit größerer Verbindlichkeit und Reichweite auszustatten. Hinzu kommt, daß die Ausgangspunkte der pädagogischen Arbeit — die Prinzipien der Aktualität, der Lebenserfahrung und Betroffenheit — nicht in jedem Fall auf Resonanz stoßen. Es gibt eben Menschen, die sich auch in gemeinschaftlichen Situationen nicht bereitfinden, ihre individuellen Probleme auszudrücken.

Was indes an der Arbeit der Jugendbildung in freier Trägerschaft besticht, sei in einigen Punkten zusammengefaßt:

1. das Einverständnis mit der politisch-gesellschaftlichen Pluralität;

2. das Prinzip der Freiwilligkeit; 3. das Prinzip der längerfristigen Bildungs.

prozesse;

4. die Orientierungshilfe jenseits der beruf, liehen Bildung;

5. die Erfahrungs-und Aktivitätsräume für soziales Miteinander;

6. die Inanspruchnahme bisheriger Lebenserfahrung; 7. das Bekenntnis zu pädagogischen Zielperspektiven, die weltanschauliche Eindeutigkeit nicht opportunistisch umgehen.

Aus diesen Aspekten folgen allerdings auch Forderungen, die an die Jugendbildung in freier Trägerschaft zu stellen sind: 1. Pädagogische Ausbildung und Weiterbildung des hauptamtlichen Personals;

2. Festlegung und Festschreibung von erprobten Curricula;

3. Kooperation ähnlicher mit Institutionen Grundeinstellung;

4. Modellplanung für den Bildungsurlaub;

5. längerfristige, nach den Adressaten differenzierte Programmgestaltung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Deutsche Berufs-und Fachschule, H. 6, Juni 1974, S. 463.

  2. H. Rünger, Einführung in die Sozialpädagogik, Witten 1964.

  3. W. Gernet, Jugendhilfe, München/Basel 1973, UTB 223, S. 20.

  4. W. Gernet, Jugendhilfe, a. a. O., S. 41.

  5. F. Schliepor, Sozialerziehung — Sozialpädagogik, Heidelberg 1964, S. 6, S. 23.

  6. Lexikon der Pädagogik, Freiburg 1971, Bi 4 S. 124; Verf.: W. Küchenhoff.

  7. J H. Knoll, G. Wodraschke, J. Hüther, Jugend und Kulturpolitik, Neuwied 1970.

  8. Zit. nach: Berufliche Bildung, April 1973, S. 821

  9. Jugendbericht 1973 der Freien und Hansestadt Hamburg, S. 92 f.

  10. H. Lüdtke, Jugendliche in organisierter Freizeit, Weinheim 1972, S. 303.

  11. J. H. Knoll, Das Bild der Jugend im Spiegel wissenschaftlicher Untersuchungen, Celle 1972, S. 38 ff.

  12. Bildungsgesamtplan, Bd. 1, Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, Stuttgart 1973, S. 68 ff.

  13. Zit. nach: Wirtschaft und Berufs-Erziehung, Nr. 5, Mai 1974, S. 151 f.

  14. Süddeutsche Zeitung, 24. /25. August 1974, S. 8; „Werden die Eltern entmachtet?".

  15. H. Westphal, Die Stellung der Jugendarbeit im neuen Jugendhilfegesetz in: deutsche jugend, April 1974, S. 158 f.

  16. Vgl. H. Westphal, a. a. O., S. 160 ff.

  17. Vgl. dazu: Wirtschaft und Berufs-Erziehung, Zeitschrift für Berufsbildung Nr. 8, August 1974, S. 244 ff.; Berichte und Informationen der Erwachsenenbildung in Niedersachsen, Nr. 3/1974, und K. E. Bungenstab und H. Keim, Grundlagen der Weiterbildung, Gesetze, Entwürfe, Pläne, Stellungnahmen, Kommentare, Loseblatt-Sammlung, Köln 1973.

  18. Zit. nach: Christliches Jugenddorfwerk, Mittellungen 1/74, S. 51.

  19. Zit. nach dem Protokoll der Tagung der pädagogischen Mitarbeiter der Sozialpädagogischen Institute im Christlichen Jugenddorfwerk, 8. — 11. April 1974, S. 2; als MS vervielfältigt.

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Joachim H. Knoll, Dr. phil., geb 23. 11. 1932 in Freystadt/Schl., o. Professor für Praktische Pädagogik an der Ruhr-Universität Bochum; Studium der Geschichte, Religions-und Geistesgeschichte. Literaturgeschichte und Volkswirtschaft; Hochschultätigkeit in Erlangen, Hamburg und Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Führungsauslese in Liberalismus und Demokratie, 1957; Jugend, Politik und politische Bildung, 1963; Pädagogische Elitebildung, 1964; Ansichten zur Gegenwart, 1965; Erwachsenenbildung — Erwachsenenqualifizierung in der Bundesrepublik (m. H. Siebert), 1966; Gemeinschaftskunde, 1965; Aufbau und Struktur des deutschen Bildungswesens, 1967; Erwachsenenbildung am Wendepunkt, Bochumer Plan (m. H. Siebert, G. Wodraschke), 1967; Führung und Führungsbildung in Wirtschaft und Verwaltung, 1969; Jugend und Kultur-politik. Eine empirische Untersuchung über die kulturpolitische Informiertheit und Meinung Jugendlicher in einer Großstadt des Ruhrgebiets (m. G. Wodraschke, J. Hüther), 1970; Erwachsenenbildung. Aufgaben — Möglichkeiten — Perspektiven, 1972; Einführung in die Erwachsenenbildung, 1973; Friedrich Albert Lange — Pädagogik zwischen Politik und Philosophie, 1974; Profiluntersuchung der in der Erwachsenenbildung nebenamtlich Tätigen (m. J. Hüther, H. Scholand), 1974. Herausgeber folgender Periodika; Internationales Jahrbuch der Erwachsenenbildung 1969, 1971, 1973, 1975; Gesellschaft und Kommunikation. Eine Schriftenreihe, Düsseldorf 1970 ff.; Journal, 1971 ff.; Internationale Erwachsenenbildung im Überblick, Düsseldorf 1974; Lebenslanges Lernen, 1974.