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Strukturelle Bedingungen für die Wirkung von Partizipation Zum Verhältnis von Systemstrukturen und Beteiligungschancen auf kommunaler Ebene | APuZ 7/1975 | bpb.de

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APuZ 7/1975 Artikel 1 Demokratisierung der Gesellschaft Positionen und Begründungszusammenhänge Technostruktur und Partizipation Strukturelle Bedingungen für die Wirkung von Partizipation Zum Verhältnis von Systemstrukturen und Beteiligungschancen auf kommunaler Ebene

Strukturelle Bedingungen für die Wirkung von Partizipation Zum Verhältnis von Systemstrukturen und Beteiligungschancen auf kommunaler Ebene

Wilfried Nelles

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Zusammenfassung

Ansatzpunkt des Beitrages ist die Frage, ob die durch die vielfältigen Partizipationsbestrebungen der letzten Jahre entfachten Hoffnungen auf eine grundlegende Demokratisierung unserer Gesellschaft gerechtfertigt sind oder fundamentale Strukturbedingungen politischen Handelns übersehen. Diese Frage wird für den Bereich der Kommunalpolitik insbesondere unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob sich durch verstärkte Partizipation für die jeweilige Gemeindebevölkerung — und hier insbesondere für den sozial schwächeren Teil — neue und bessere Chancen einer Berücksichtigung ihrer Interessen eröffnen. Dazu ist zu untersuchen, welchen Voraussetzungen kommunalpolitisches Handeln unterliegt. Zunächst wird ein Wandel im Verwaltungshandeln festgestellt: Im Zuge des großen Aufgabenzuwachses und die — insbesondere durch die im letzten Jahrzehnt stark zunehmenden Planungsaufgaben — erfolgte Politisierung der Verwaltung werden für diese neue Rationalitätskriterien wirksam. Neben das hergebrachte bürokratische Rationalitätsmuster tritt zunehmend ein Rationalitätsdenken, das nicht nur auf Einhaltung von Regeln, sondern auf die Funktionalität der Ergebnisse des Handelns gerichtet ist. Es wird die These vertreten, daß Partizipation als Mittel zur Erzielung von politischem Konsens bei den Betroffenen die Funktionalität der Ergebnisse politisch-administrativen Handelns gewährleisten soll. In einem zweiten Schritt wird dann festgestellt, daß die Inhalte von Kommunalpolitik weniger dem Gestaltungswillen der Kommunalpolitiker, auch nicht primär der Verwaltung oder gar der partizipierenden Bürgerschaft, sondern zum großen Teil strukturellen Bedingungen unterliegen. In erster Linie wird Kommunalpolitik durch zentrale Einflüsse der Landes-und zunehmend auch der Bundesregierung sowie durch den in der kommunalen Finanzstruktur verankerten Einfluß der örtlichen Wirtschaft bestimmt. Damit sind die wichtigsten Entscheidungen in ihren Grundzügen schon im voraus geprägt, bevor es zum konkreten Willensbildungsprozeß zwischen den Politikern, der Verwaltung und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen kommt. Partizipation wird also nur im Rahmen vorgegebener Alternativen möglich sein, womit den Hoffnungen auf eine „partizipatorische Demokratie" eher skeptisch entgegenzutreten ist.

„Eine kritische Auseinandersetzung mit Demokratisierungsmodellen und -Strategien muß vor allem jene Skepsis berücksichtigen, die davor bewahrt, die Strategie der Demokratisierung zu einer naiven Gläubigkeit an die Berge versetzende Kraft schöner Konzepte verkommen zu lassen. Skepsis nämlich ist nicht nur berechtigt, sondern lebensnotwendig, freilich nicht jene, die Schelsky schon vor 20 Jahren mit Apathie (Privatismus) verwechselte, sondern präzise Skepsis, konkreter Zweifel als Motor der Erkenntnis.“

Fritz Vilmar hat mir damit das Stichwort für meinen Beitrag geliefert, wenngleich sich dieser nicht direkt auf seinen Artikel bezieht. Die Hauptfrage lautet jedoch, ob auch Entwürfe wie die von Vilmar genügend Realitätsbezug haben in dem Sinne, daß sie die strukturellen Hindernisse einer „Fundamentaldemokratisierung" ausreichend berücksichtigen. Meine These ist, daß dies nicht geschieht, sondern von eher peripheren, z. T. zeit-und situationsgebundenen Entwicklungen auf gesellschaftliche Prozesse (kurz) geschlossen wird.

Ich werde dies allerdings nicht in einer direkten Auseinandersetzung mit Vilmars Thesen darlegen, sondern von einer Analyse ausgehen, die die Bedingungen politisch-administrativen Handelns und von Entscheidungsprozessen auf kommunaler Ebene untersucht. Erst auf der Grundlage einer solchen Analyse (die hier allerdings nur in ihren wesentlichen Dimensionen skizziert werden kann) scheinen mir Aussagen über die Wirkungen von Partizipation sinnvoll. Dabei ist eine Untersuchung der lokalen Ebene besonders wichtig, weil die Partizipationsbestrebungen hier — neben den schon seit längerer Zeit anhaltenden Diskussionen um Mitbestimmung in der Hochschule und der Wirtschaft — besonders aktuell sind.

Die Wirkungen von Partizipation und die diesbezüglichen Hypothesen lassen sich analytisch in drei Aspekte trennen. Es handelt sich 1. um Wirkungen auf den Ablauf und die Struktur von Entscheidungsprozessen;

2. um Wirkungen auf das Ergebnis von Entscheidungsprozessen; 3. um Wirkungen auf die Beteiligten, insbesondere auf ihre politischen Einstellungen und ihr politisches Verhalten.

I. Partizipation und die Struktur administrativer Entscheidungsprozesse

Hier wird zunächst deutlich, daß Partizipationsausweitung (z. B. die Beteiligung der betroffenen Bürger bei Stadtsanierungen) einen höheren Verwaltungsaufwand und kompli-ziertere Entscheidungsprozesse, damit insgesamt einen größeren Finanzbedarf bedeutet. Der Wuppertaler Soziologe Peter Dienel stellt in diesem Zusammenhang (hypothetisch) die Frage, „ob die Apparaturen zur Bewältigung gesellschaftlicher Zielfindungsprozesse und zur Produktion bindender Entscheide in absehbarer Zeit Größenordnungen annehmen werden, wie wir sie heute bei Einrichtungen beobachten können, die sich um die Verteidigungsfunktion entwickelt haben..

Die Tatsache des höheren Verwaltungsaufwands, die — abgesehen von der Größendimension — wohl unstrittig ist, wird zwar unterschiedlich bewertet, und insbesondere bei Praktikern dient sie häufig als Argument gegen Partizipationsausweitung. Insgesamt besteht jedoch eine bemerkenswerte Überein-stimmung dahingehend, daß der mögliche Schaden einer streng partizipationsfeindlichen Haltung seitens des Staates höher eingeschätzt wird als der mit Partizipation verbundene Mehraufwand. Dazu noch ein Zitat von Dienel: „Wenn der für die Bereitstellung und Aufrechterhaltung von Teilnahmeverfahren erforderliche Aufwand aber nicht bald erbracht wird, werden unsere Verwaltungen vermutlich ähnlich kosten-und personalintensive Bemühungen für die bestehenden Teilnahmeformen wie zur Abwehr von spontanen unkontrollierbaren Partizipationsformen leisten müssen, die einen nicht annähernd so funktionalen Ertrag, dafür aber einen hohen Frustrationseffekt im Hinblick auf unseren demokratischen Ordnungsversuch haben."

Daneben wird eine Partizipationsausweitung aber auch mit einer tiefergreifenden Änderung des Verwaltungshandelns selbst verbunden sein. Vor allem das Informations-und Kommunikationssystem zwischen Verwaltung und Bürger muß wesentlich verbessert werden, soll Partizipation funktionieren: die Verwaltung muß „bürgernah" werden. Damit tauchen zwei Fragen auf, die auf einen bedeutsamen Strukturwandel der Verwaltung hinweisen. Die erste sei nur kurz erwähnt, ohne daß sie hier näher verfolgt werden kann. Sie lautet: Partizipation an Verwaltungsentscheidungen bedeutet tendenziell eine demokratische Legitimation dieser Entscheidungen. Diese Legitimation ist aber in der Regel eine andere als die der repräsentativen Körperschaften, etwa des Gemeinderates. Während letzterer generell legitimiert ist, Entscheidungen zu fällen, könnte die Verwaltung im Konfliktfall gegen das Parlament mit dem Argument operieren, daß bei einem konkreten Anlaß der (durch Partizipation artikulierte) Wille der (in der Regel „betroffenen“) Bevölkerung auf ihrer Seite sei. Damit bekommt das allgemein beklagte Übergewicht der Verwaltung gegen-über den Parlamenten eine zusätzliche Dimension: nicht nur ein besserer Apparat usw., sondern eine eigene „demokratische" Legitimation treten den gewählten Repräsentanten gegenüber. Hier zeichnet sich ein Konflikt zwischen Partizipation und Repräsentation ab, der möglicherweise Grundannahmen unseres Verfassungssystems tangiert.

Zweitens wirft die Einbeziehung des Bürgers in administrative Entscheidungsprozesse die Frage auf, ob so die Effizienz des Verwaltungshandelns noch gewährleistet ist. Hier ist zu fragen, was „Effizienz" in diesem Zusammenhang meint, woran sie gemessen wird. Eine verbreitete These, der ich mich anschließe, läuft darauf hinaus, daß bei der Beurteilung dieser Frage neue Maßstäbe den traditionellen bürokratischen Effizienzbegriff ersetzen müssen.

All diese Erscheinungen haben einen gemeinsamen Grund: Der innere Aufbau, die Struktur der Verwaltung ist den Ansprüchen, die eine hochindustrielle und hochkomplexe Umwelt an sie stellt, nicht mehr ohne Modifikationen ihres Strukturprinzips gewachsen. Bekanntes äußeres Zeichen und zugleich ein Hauptmerkmal dieses Strukturprinzips ist der hierarchische Verwaltungsaufbau. Dieser basiert auf einem Bürokratiemodell, das nach Max Weber die „formal rationalste Form der Herrschaftsausübung" darstellt und seither als bürokratische Herrschaft bezeichnet wird. Hauptkennzeichen dieser formalen Rationalität sind „Stetigkeit, Verläßlichkeit, Berechenbarkeit, formal universelle Anwendbarkeit auf jegliche Art von Aufgaben usw."

über die Zwecke und die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit braucht der Verwaltungsbeamte sich zumeist keine Gedanken zu machen; sie sind seinem Handeln vorausgesetzt. Die Rationalität seines Handelns liegt in der Art der Verfolgung dieser Zwecke, in der Einhaltung der richtigen Verfahren. Der bürokratische Rationalitätsbegriff bezieht sich also im Grunde auf administrationsinterne Abläufe. Am effizientesten ist administratives Handeln demnach dann, wenn für möglichst alle Aufgaben klare Regeln und Zuständigkeiten existieren und diese genau eingehalten werden.

Bürokratische Rationalität und an ihr gemessene Effizienz sind jedoch nicht zu verwech-sein mit einem Effizienz-und Rationalitätsbegriff, der nach den Ergebnissen des Verwaltungshandelns fragt. Während jener „die Subsumption bürokratischen Handelns unter allgemeine Regeln zum Gegenstand hat" ist dieser auf „das Verhältnis zwischen dem . Beitrag'von Systemen und den funktionalen Erfordernissen ihrer gesellschaftlichen Umwelt" zu beziehen. Die Frage nach der Effizienz von Verwaltungshandeln richtet sich dann nicht mehr auf die Einhaltung allgemeiner Regeln, sondern nach konkreten Ergebnissen. „Aufgabe der Verwaltung ist in dieser Situation, oft gerade unter Überwindung bisher geltender Handlungsprämissen und Routinen, die Inputs zu beschaffen oder herzustellen, die zur Erfüllung dieser konkreten Aufgaben geeignet sind." 7a)

Als Indiz für die Tatsache, daß eine nach herkömmlichen Prinzipien agierende Verwaltung ihre Funktionen nicht mehr adäquat bewältigen können u. a. die nun schon seit kann, Jahren erfolgenden Überlegungen, Vorschläge und (vereinzelt) Experimente zur Verwaltungsreform herangezogen werden. Die nicht nur auf Seiten von Bürgerinitiativen und „progressiven" Wissenschaftlern und Politikern, sondern auch und vor allem im Umfeld der Verwaltung angestellten Überlegungen zur Partizipation des Bürgers am Verwaltungshandeln, z. B. an Planungsprozessen oder im Schulbereich, sind ebenfalls hier einzuordnen. Es handelt sich hier insgesamt um den Versuch, daß Mißverhältnis zwischen Struktur und Funktion der Verwaltung dadurch aufzuheben, daß die innere Verwaltungsstruktur den gewandelten Umweltbedingungen angepaßt wird.

Was bedeutet dies nun für die Art, die Qualität der Partizipation? Folgen wir der Argumentation von Offe, so entstehen für eine sozialstaatliche Verwaltung zum Zwecke funktionaler Aufgabenerfüllung neue „Leitbilder oder Sollschemata" die einen gewandelten Rationalitätsbegriff konstituieren. Für diesen neuen Rationalitätsbegriff gilt zwar nach wie vor die Forderung nach legaler Richtigkeit, nach der Befolgung allgemeiner Regeln. Diese gelten jedoch nicht mehr voraussetzungslos und unter allen Umständen, sondern können zur Disposition gestellt werden, je nachdem, ob sie unter Funktionalitätsgesichtspunkten für opportun gehalten werden oder nicht. Es geht nicht mehr unbedingt darum, die richtigen, sondern die geeignetsten Wege zur Entscheidüngsfindung einzuschlagen. Diese beiden Kriterien können offenbar zueinander in Widerspruch geraten: Wenn das richtige, das legale Verfahren für unzweckmäßig gehalten und durch ein funktionales Verfahren modifiziert wird (d. h., wenn die Art der zu bewältigenden Aufgabe bestimmt, welche Verfahren angewendet werden), verliert das Verwaltungshandeln seine ursprüngliche, nämlich die allein „legale Legitimation" „Mit anderen Worten: sobald Rechtsnormen unter dem Gesichtspunkt ihrer Eignung für konkrete Aufgaben disponibel werden, verlieren sie insoweit ihre Fähigkeit, als Legitimationen, d. h., aufgrund ihrer Geltung die Auswahl und Erfüllung dieser Aufgaben selbst zu dekken.“

Die Legitimation muß also auf andere Weise beschafft werden. Eine solche Weise ist die Beschaffung von Konsens bei den direkt Betroffenen oder interessierten Gruppen. Genau dies machte Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Jochen Vogel zur Direktive für seine Verwaltung, als er 1966 forderte: „Es ist besser, Kraft zu investieren und von vorne-herein zu werben, zu überzeugen und zu erreichen, daß die öffentliche Meinung die Grundlinien einsieht, selbst für notwendig hält und sich dann auch zu eigen macht.“

Dieser Satz beinhaltet die Erkenntnis, daß der Erfolg der Verwaltungsarbeit in vielen Bereichen wesentlich davon abhängt, ob der Bürger als Adressat und Konsument der staatlichen Leistungen diese auch akzeptiert und annimmt. Dazu muß die Verwaltung sowohl dessen Wünsche und Meinungen kennen (was z. B. durch Umfragen und Hearings geschieht), wie sie umgekehrt für ihre eigenen Pläne Zustimmung suchen muß. Die Verwaltung muß also zur Erfüllung der Aufgaben, die eine hochentwickelte kapitalistische Industriegesellschaft an sie stellt, ihre Struktur dahingehend ändern, daß ihre Handlungen unter der Frage stehen, ob sie zweckmäßig (funktional) und (oder) politisch konsensfähig (d. h. ohne die Gefahr größerer Konflikte durchsetzbar) sind.

Die Verwaltung wird damit in den Prozeß der Zielfindung einbezogen, während sie nach dem Weberschen Bürokratiemodell nur die von den Parlamenten vorgegebenen Ziele zu realisieren hatte. Nun ist es zwar nichts allzu Neues, daß die Verwaltungen mit gesellschaftlichen Gruppen und einflußreichen Einzelpersonen verhandeln. Gerade im Kommunalbereich werden die wichtigen Entscheidungen oft auf diese Weise getroffen. Doch dies geschah bisher immer . hinter den Kulissen', sozusagen als von den faktischen Zwängen geforderte läßliche Sünde gegen das nach außen immer noch geltende Prinzip der unpolitischen, nur ausführenden Verwaltung. Die zahlreichen Bürgerinitiativen haben jedoch dieses Trugbild wohl endgültig zerstört und deutlich gemacht, daß hinter den angeblich neutralen administrativen Maßnahmen und Planungen oft handfeste Interessen stehen. Diese Einsicht machte es erst möglich, daß sich Bürgerinitiativen direkt mit der Verwaltung auseinandersetzen. An bloß ausführende, strikt neutrale und unpolitische Instanzen stellt man nämlich keine Forderungen, sie sind kein Verhandlungspartner.

Die Bürgerinitiativen erfüllen gleich mehrere Funktionen:

Zum einen stellen sie administrative Maßnahmen in Frage, provozieren Konflikte und bewirken dadurch vielfach, daß die ansonsten hinter dem Rücken der Öffentlichkeit ausgetragenen Interessenkonflikte teilweise vor das Forum der Öffentlichkeit getragen werden. Zweitens machen sie sich die dabei offenkundig werdende Konsens-Abhängigkeit der Verwaltung zunutze und versuchen ihrerseits, diese durch politischen Druck und andere Mittel zu beeinflussen.

Drittens bewirken sie damit indirekt, daß der Gesetzgeber oder einzelne Gemeinden in Eigeninitiative versuchen, durch das Angebot verschiedener Partizipationsformen das offenbar gewachsene Bürgerinteresse zu kanalisieren, etwaigen Protesten vorzubeugen und sich die Bürgerbeteiligung zunutze zu machen.

Damit drohte das Prinzip der unpolitischen v erwaltung nicht nur empirisch, sondern Prinzipiell infrage gestellt zu werden, wenn eine tatsächlichen Einfluß ermöglichende Partizipation neben den Repräsentationsorganen rechtlich verankert würde. Von daher ist die Zurückhaltung, die gegenüber einer direkt entscheidungswirksamen Partizipation an den Tag gelegt wird, leicht verständlich.

Kommen wir aufgrund des Gesagten zu Hypothesen über die Wirkungen von Partizipation. Die Grundhypothese liegt auf der Hand: Wenn die Annahmen über eine durch bestimmte Funktionserfordernisse notwendig gewordene Änderung der Rationalitätskriterien für administratives Handeln zutreffen, dann ist Partizipation ein Mittel zur Anpassung von Struktur und Funktion.

Diese Wirkung von Partizipation soll erzielt werden:

a) indem die Institutionafisierung neuer Regeln (Vorschriften über Bürgerbeteiligung in bestimmten Fällen) auf erweiterter Basis „formale" Legitimation schafft;

b) indem zum Zwecke möglichst effizienter, d. h. funktionsgerechter Aufgabenerfüllung Informationen eingeholt werden, die der Verwaltung auf anderem Wege nicht zugänglich sind;

c) indem in direktem Kontakt mit den Betroffenen und Interessierten mögliche Interessen-konflikte ausgelotet, und von daher vorbeugende Schlichtungsmechanismen gezielt eingesetzt werden können, damit der Weg des geringsten Widerstandes begangen werden kann.

Das staatliche Angebot an Partizipationsmöglichkeiten ist also kanalisiert im Hinblick auf eine Verbesserung der Steuerungsleistungen des politischen Systems. Ist damit die Hoffnung auf mehr Emanzipation (oder gar Systemtransformation im Sinne Vilmars) durch Partizipation aufzugeben?

Was geschieht aber, wenn die zur Partizipation Aufgerufenen sich nicht an die Spielregeln'halten, wenn sie sich nicht auf das funktionale Maß festlegen lassen, sondern die angebotene Beteiligung als Hebel für weitergehende Einflußnahmen benutzen? „Wem man den kleinen Finger reicht, der will bald die ganze Hand" meint Reimer Grönemeyer hoffnungsvoll. An anderer Stelle kleidet er diese Hoffnung in mythologische bzw. historische Vergleiche, nachdem ihn die theoretische Analyse zu dem Ergebnis gebracht hatte: „Partizipation bedeutet keineswegs sogleich Emanzipation. Die funktionalistische Intention ist vielmehr: Anpassung durch Selbststeuerung." 13a) Die von Grönemeyer dokumentierten Berichte über Fälle partizipatorischer Planung zeigen zudem fast ausnahmslos, daß dies nicht nur die funktionalistische Intention, sondern auch die reale Folgewirkung war Dennoch fragt er: „Oder könnten die Folgen von Partizipation genau umgekehrt sein? Partizipation als das trojanische Pferd der Ohnmächtigen, hineingezogen in die Mauern traditioneller Machtpositionen?" Eine halbe Seite weiter kommt schon die Antwort. „So gleicht der Versuch, den Status quo durch Partizipation zu stabilisieren, immer auch der Quadratur der Kreises. Ein unlösbares Problem, ein Widerspruch wird eingehandelt, der durchaus nicht zugunsten der Herrschaftsgewohnheiten ausschlagen muß: , Noch so ein Sieg, und wir sind verloren' (Pyrrhus).

Bereits früher hatte Frieder Naschold die prinzipielle Ambivalenz von Partizipation theoretisch begründet, gleichzeitig jedoch die von Grönemeyer unterstellte Mobilisierungsund Autonomisierungstendenz als unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen „absehbar illusorisch" gekennzeichnet, denn: „Andererseits bestehen starke Systemzwänge der Subsumption dieser Mobilisierungen unter die strukturell bedingten Zwecksetzungen, die die sektoralen Schwellenwerte von politischer Partizipation und Autonomisierungstendenzen bestimmen."

Wie sehen nun diese Systemzwänge aus? Konkret: Welche strukturellen Bedingungen bestimmen in den Kommunen der Bundesrepublik das Ergebnis kommunaler Entscheidungsprozesse?

II. Strukturelle Determinanten kommunalpolitischer Entscheidungen

Wie die allgemeine Partizipationsproblematik, so wurde auch die Frage nach den dominierenden Einflußfaktoren bzw. Einflußgruppen auf kommunale Entscheidungen in der Bundesrepublik erst in jüngster Zeit und mit einem erheblichen „time-lag" gegenüber der amerikanischen Forschung aufgegriffen. Die überaus zahlreichen amerikanischen Gemeindestudien (community-power-studies) hatten schon seit den fünfziger Jahren zu klären versucht, ob die Gemeinden von einer Machtelite beherrscht werden, die im Grunde alle Probleme in ihrem Sinne beeinflussen kann, oder ob — so die Gegenthese — die Gemeinden pluralistisch strukturiert seien und sich, je nach anstehendem Problem und Engagement, wechselnde Mehrheiten ergeben können und damit die Frage der Macht prinzipiell offen sei. Beide Richtungen werden vehement vertreten. Die Kontroverse braucht hier aber nicht referiert zu werden, da sie sich im Grunde auf die methodische Anlage der Untersuchungen zurückführen läßt und von den Ergebnissen her nicht sehr ergiebig war

Im negativen Sinne läßt sich jedoch noch eine weitere Erkenntnis aus dem Vergleich beider Richtungen gewinnen, die auch in einem Teil der neueren deutschen Untersuchungen aufgegriffen wird. Beide Ansätze konzentrieren sich nämlich lediglich auf eine Analyse der konkreten Einflußnahmen auf den lokalen Entscheidungsprozeß. Sie berücksichtigen damit nicht, daß fast alle kommunalen Entscheidungen in hohem Maße strukturellen Bedingungen unterliegen, die sich aus ihrer Stellung im Gesamtsystem ergeben. Es handelt sich hier um Hindernisse, die a) aus der rechtlichen und vor allem finanziellen Abhängigkeit der Kommunen von Bund und Land resultieren und die die kommunalen Entscheidungen schon vor der Ebene konkreter Einflußnahme . filtern'und strukturieren;

b) auf die fiskalische Abhängigkeit der Kommunen vom ortsansässigen Gewerbe zurückzuführen sind, die die Kommunen zwingt, ört-liehe Kapitalinteressen auch dann zu berücksichtigen, wenn noch kein konkreter Einfluß von dieser Seite ausgeübt wird;

c) aus der legitimatorischen Abhängigkeit von Politik allgemein entstehen, die generell und neben konkreten Konflikt-bzw. Konsens-prozessen in modernen demokratischen Gesellschaften besteht.

Diese strukturellen Prämissen sollen im folgenden in einigen Umrissen dargelegt werden 1. Verhältnis zwischen Bund/Land und Kommunen Trotz der Garantie der Kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 GG) sind die Gemeinden nach allgemeiner Rechtsauffassung keine gleichberechtigten Körperschaften neben Bund und Ländern, sondern diesen rechtlich untergeordnet. Sie sind gehalten, in bestimmten Bereichen Weisungen der Staatsorgane, d. h. von Bund und Land, auszuführen und unterliegen dabei der staatlichen Fach-aufsicht.

Daneben verfügen sie jedoch über einen eigenen Wirkungskreis, der „im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung“ (Art. 28 GG) von ihnen bearbeitet wird. Innerhalb dieses „eigenen Wirkungskreises“ (der, wie gesagt, nur einen Teil der gemeindlichen Aufgaben ausmacht) können die Gemeinden jedoch in keiner Weise unbeeinflußt handeln, wie die juristische Formulierung vermuten lassen könnte. Denn einmal müssen sie sich an die planerischen Vorgaben vom Bund und insbesondere vom Land halten, auf deren Gestaltung der Großteil der Gemeinden, geschweige denn der einzelne Bürger, kaum Einfluß nehmen kann

Dazu ein (beliebiges, aber auch beliebig ersetzbares) Beispiel:

Die Stadt Andernach will eine Stadtsanierung durchführen. -Die Ziele werden z. T. aber weder von den Kommunalpolitikern oder der Kommunalverwaltung, noch gar von den zur Partizipation aufgerufenen Bürgern entwikkelt. Die Planer entnehmen sie vielmehr direkt dem Regionalplan. Da dort ein weit über die geschätzte natürliche Bevölkerungszunahme hinausgehendes Bevölkerungswachstum für die Stadt geplant ist, formulieren die Planer: „Vordringlich erscheint eine Verdichtung der Wohngebiete im Zuge der Stadtsanierung."

Diese planungsbedingte Einengung kommunalen Handlungsspielraumes mag nun nicht für alle Aufgaben gelten und in vielen Fällen noch mehrere Handlungsalternativen zulassen. Darüber hinaus sind die Kommunen aber vor allem finanziell fest an der „zentralstaatlichen 11 Leine.

Während die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden aufgrund des Stabilitätsgesetzes von 1967 (§§ 15 bis 20) entsprechend den konjunkturpolitischen Erfordernissen vom Bund (bzw.den Ländern) kurzfristig beeinflußt werden können sind die meisten Gemeinden auch auf Dauer in ihren Einnahmen in hohem Maße von staatlichen Zuweisungen abhängig. Diese steigen im Vergleich zu den übrigen Einnahmequellen überproportional was insbesondere für die Investitionszuweisungen gilt (1961 = 100, 0; 1973 = 476, 5. Dagegen Steuern: 1961 = 100, 0; 1973 = 284, 4 Da die Investitionszuweisungen direkt an bestimmte Projekte gebunden sind, liegt die staatliche Einflußnahme auf der Hand: er finanziert nur, was in seine Planungen paßt. Umgekehrt gilt dann: Die an chronischer Finanzknappheit leidenden Kommunen können, da ihnen die eigenen Mittel meist fehlen, nur solche Maßnahmen planen und durchführen, die vom Staat mitfinanziert werden. Für Hartmut Häußermann bedeutet dies „praktisch eine kommunale Investitionskompetenz für die Länder" (die de jure den Gemeinden zusteht), denn: „Einschließlich der Eigenbeteiligung der Gemeinden kontrollieren damit Bund und Länder heute weit mehr als die Hälfte der kommunalen Investitonstätigkeit." 2. Fiskalische Abhängigkeit der Kommunen Die Abhängigkeit der Gemeinden von staatlichen Zuweisungen in der eben geschilderten Form beruht auf statistischen Werten und gibt einen Durchschnittswert an. Sie gilt daher nicht für jede Gemeinde in gleichem Maße. Während viele völlig auf Zuschüsse angewiesen sind, haben andere noch einen größeren eigenen Finanzsockel. Generell kann man wohl sagen, daß die meisten Gemeinden eine Vergrößerung des eigenen Finanzanteils anstreben, jedoch nur wenige dieses Ziel erreichen. Außerdem ist fraglich, ob die damit angestrebte größere Gestaltungsfreiheit tatsächlich erreicht wird, oder ob nicht vielmehr eine Form der Abhängigkeit gegen eine andere eingelöst wird. Eine deutliche Steigerung der Eigenmittel ist nämlich derzeit nur möglich durch eine Steigerung der wichtigsten eigenen Steuerquelle, der Gewerbesteuer. Diese war ursprünglich aufgrund der sog. „Realsteuergarantie", die den Gemeinden die Verfügung über alle auf ihrem Gebiet erhobenen Grund-und Gewerbesteuern zusicherte, die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden. Dies veranlaßte die Gemeinden bis heute zu einer oft hemmungslosen Wirtschaftsförderungspolitik. Es mußte alles getan werden, um möglichst viel Kapital anzulocken. Denn nur dies versprach auf dem Weg über die Gewerbesteuer hohe Einnahmen, die zum Aufbau „modernen waren. Stadt" notwendig „Gewerbesteuer zahlt alles" war meist die Devise. Die ökonomischen und sozialen Folgen einer solchen Politik will ich hier nicht erörtern. In unserem Zusammenhang ist vielmehr wichtig, daß die kommunale Finanzstruktur die Gemeinden dazu zwingt, in erster Linie eine an den Bedürfnissen des lokalen Kapitals orientierte Politik zu betreiben, es sei denn, sie nimmt eine Stagnation oder einen Rückgang der eigenen Finanzen in Kauf. Das bedeutet nun nicht automatisch eine Politik gegen die Interessen der Bevölke-rung, wie manchmal unterstellt wird, sondern nur, daß gegen den Willen des relevanten lokalen Kapitals kaum Entscheidungen durchgesetzt werden können, und daß die Politiker dies auch nicht wollen können (auch wenn ihre private Meinung anders ist).

Wegen des Gewichts dieser These insbesondere für die Partizipationsproblematik — sie bedeutet nämlich, daß die Bürger, sei es in Bürgerinitiativen oder in institutionalisierten Partizipationsverfahren, im Konfliktfalle gegen das Interesse des Kapitals ihre Interessen nicht durchsetzen können — seien einige längere Zitate aus einer jüngst veröffentlichten empirischen Untersuchung zur Frage „Kommunalpolitik und Machtstruktur" angeführt. Auf die Frage, wie sich der Einfluß der Industrie auswirke, antwortet ein Wertheimer (die Untersuchung wurde in Wertheim durchgeführt) Stadtrat (FWV = Freiwillige Wählervereinigung): „Dieser Einfluß wirkt sich darin aus, ... daß die Stadt ,.. diesen Leuten nicht ohne weiteres nein sagen kann, weil es immerhin die Gewerbesteuerzahler sind, und solange wir das System haben, ... daß die Gewerbesteuerzahler aktiv die Finanzkraft einer Gemeinde ausmachen..., solange werden die Leute eben als die Hauptsteuerzahler auf die Behörden und auf alles, was geschieht, in den Gemeinden einen gewaltigen Einfluß ausüben". Auf die Frage, ob er sich eine Entscheidung vorstellen könne, „die gegen die Industrie gefällt wird in Wertheim", antwortet ein CDU-Stadtrat und Fabrikant: „Mir ist also keine Entscheidung bewußt . .., die gegen die Industrie gefaßt worden ist, das halte ich für ausgeschlossen." Nächste Frage: „Sie glauben also wenn abstrakter 1 auch wir es formulieren, daß wohl kaum eine Entscheidung hier in Wertheim von Relevanz gefällt werden kann, die gegen die Glasindustrie und Industrie überhaupt ist?" Antwort: „Das glaube ich, und zwar deshalb, weil die Stadt Wert-heim zum großen Maße von den Erlösen aus der Steuerkraft der Wertheimer Industrie partizipiert. Es muß also das Bemühen jedes Verantwortlichen hier in Wertheim sein, dafür zu sorgen, daß dieses Kind am Leben bleibt und gut am Leben gehalten wird." Ähnlich antwortet ein SPD-Stadtrat: „Na, das wäre ja auch nicht im Interesse der Stadt Wertheim .., Ich meine, wir bemühen uns ja im Gegenteil, der Industrie jede auch nur erdenkliche Hilfe zuteil werden zu lassen. ’ Ein Fabrikant meint auf die Frage, ob er bisher noch keinen Anlaß gehabt habe, „ein bißchen Einfluß oder eventuell sogar ein bißchen Druck auszuüben", nein, es sei bisher alles von selbst nach seinen Wünschen gegangen. Auf die Frage an den Direktor eines Glaswerkes: „Was wäre, wenn die Gemeinde neue Industrie ansiedeln würde?" antwortet dieser: „Ich würde wie ein Berserker hier ins Rathaus stürzen . . ., und dann hab'ich Repressalien an der Hand, wo ich mich durchsetze." Schließlich noch die Meinung eines ehemaligen CDU-Stadtrats und Syndikus der Wertheimer Glasindustrie auf die Frage: „Welche Möglichkeiten hätte denn die Glasindustrie, Einfluß oder Druck auszuüben, wenn ihr etwas zuwiderlaufen würde?": „So was ist undenkbar."

Es sei nochmals festgehalten, daß diese Aussagen sich nicht auf konkrete Einflußnahme, sondern auf einen durch die Finanzstruktur bewirkten strukturellen Einfluß beziehen, der vor jeder direkten Einflußnahme die Richtung der Entscheidung bereits festlegt.

Nun ist allerdings mit der 1970 in Kraft getretenen Gemeindefinanzreform die fast ausschließliche Abhängigkeit der Gemeinden von der Gewerbesteuer nominal stark reduziert worden. Die Kommunen müssen jetzt nämlich 40 % ihres Gewerbesteueraufkommens an Bund und Länder abführen und werden dafür mit 14% an der Einkommensteuer beteiligt, so daß die Gewerbesteuer im Schnitt nur noch etwa 40 % der kommunalen Steuereinnahmen ausmacht. Ihre faktische Bedeutung ist aber auch weiterhin sehr groß, da die Gewerbesteuer bei der chronischen Geldknappheit der Gemeinden derzeit die einzige Möglichkeit zu bieten scheint, die Haushaltslage zu verbessern und damit auch den (nicht immer) goldenen Zügel der staatlichen Investitionszuweisungen zu lockern.

Man kann deshalb wohl generell noch nach wie vor von einer strukturellen Dominanz lokaler ökonomischer Interessen ausgehen, wobei allerdings empirische Untersuchungen über die neue Lage zu fordern sind. 3. Legitimatorische Abhängigkeit der Kommunen Gegen die These einer im Prinzip dominierenden, weil strukturell verankerten Interessen-identität von Kommunalpolitik mit relevanten ökonomischen Interessen scheint die Tatsache zu sprechen, daß Politik (und auch Kommunalpolitik) in demokratischen Gesellschaften einem permanenten Legitimationszwang unterliegt. Dieser verschärft sich noch, je mehr die Politik in vormals autonome gesellschaftliche Bereiche eindringt und diese ihrer Kontrolle, Steuerung oder gar direkten Planung unterwirft. Allerdings brauchen sich Interessengebundenheit und Legitimationsnotwendigkeit von Politik keineswegs immer zu widersprechen. Zunächst einmal dürfte nämlich außer Zweifel stehen, daß die Förderung der Ökonomie als des materiellen Bestandes der Gesellschaft unabdingbare Voraussetzung für eine menschenwürdige Existenz und deshalb legitim ist. In einer kapitalistischen Gesellschaft, die in ihren ‘Grundwerte-Kanon u. a. die Norm der Gleichheit aufgenommen hat, wird die Legitimität einer das Kapital begünstigenden Politik jedoch dann zweifelhaft, wenn offenkundig wird, daß davon wenige viel, die Masse aber kaum profitiert. Deshalb muß den interessierten Gruppen daran gelegen sein, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß das Interesse der Wirtschaft mit dem des Volkes identisch sei 30a).

Dies scheint in der Bundesrepublik bisher hervorragend gelungen zu sein. Die vorhin zitierten Politiker-Antworten zeigen, daß auch diese selbst diese Identität nicht in Zweifel ziehen. Herbert Marcuse charakterisierte diesen Distanzverlust zu den gegebenen Tatsachen einst mit den Worten: „Das Ergebnis ist nicht Anpassung, sondern Mimesis: eine unmittelbare Identifikation des Individuums mit seiner Gesellschaft als einem Ganzen.“

Aus dieser Sicht scheint also die Legitimationsbeschaffung relativ einfach, wenigstens solange, wie die Konsumbedürfnisse im Gefolge einer florierenden Wirtschaftsentwicklung befriedigt werden können. Ist dies nicht mehr gewährleistet, so droht zwar ein Loyalitätsverlust für die Regierung; dieser bezieht sich jedoch weniger auf prinzipielle Inhalte als auf Techniken von Politik.

Für die Gemeinden liegt das Problem allerdings etwas anders. Sie tragen keine direkte Verantwortung für die allgemeine Wirt-Schaftsentwicklung. Der Erfolg oder Mißerfolg ihrer Politik wird viel unmittelbarer an den infrastruktureilen Leistungen sichtbar, die sie für die Bürger bereitstellen. Wenn diese erstellt werden können, ist ein Loyalitätsverlust unwahrscheinlich. Ein Problem liegt aber darin, daß vor allem in den Großstädten eine große Diskrepanz zwischen den Interessen der Wirtschaft und denen der Bevölkerung sichtbar wird, z. B. bei den Themenkomplexen Bodenspekulation, Umweltschutz und der Wohnungsproblematik. Hier ist ein Konflikt angelegt, der bereits schon — wie die Erfahrungen zeigen — mahcherorts aufgebrochen ist.

Deshalb steht das politisch-administrative System hier unter erhöhtem Legitimationsdruck und wird gezwungen, nach Lösungen zu suchen, die eine optimale Übereinstimmung zwischen Wirtschafts-und Bürgerinteressen gewährleisten. Dadurch erweitert sich sein Handlungsspielraum gegenüber wirtschaftlichen Interessen insofern, als Kompromisse unter dem Verweis auf sonst zu befürchtende Konflikte möglich werden. An der grundsätzlichen Dominanz des ökonomischen Einflusses dürfte dies jedoch wenig ändern.

Ich habe bisher strukturelle Prämissen kommunalpoljtischen Handelns dargestellt, die bewirken, daß kommunalpolitische Entscheidungen wie auch die Themen, die überhaupt zur Entscheidung gestellt werden, in ganz spezifischer Weise selektiert werden, bevor es erst zum eigentlichen Entscheidungsprozeß kommt. Dies ist für eine Einschätzung der Wirkungschancen von Partizipation auf das Entscheidungsergebnis von wesentlicher Bedeutung. Helmut Wollmann hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, zwischen „Systemebene" und „Handlungsebene" zu unterscheiden Danach beträfen die dargestellten Einflußfaktoren die Systemebene. Die konkreten Einflüsse einzelner Personen, Gruppen etc., also auch von Partizipation, sind dagegen der Handlungsebene zuzuordnen. Einflüsse auf der Handlungsebene sind aber den systemischen Einflüssen logisch und meist auch zeitlich nachgeordnet: zeitlich, weil bei größeren Entscheidungen zunächst in der Regel Planvorlagen erstellt werden, die berücksichtigen, welche Alternativen auf-grund der Systemgegebenheiten möglich sind. Dort würde also z. B. gefragt: Welche Entscheidung ist mit der Landesplanung vereinbar? Bei welcher sind Zuschüsse zu erwarten? Welche belastet unsere Wirtschaft, welche nicht? Welche stößt auf Widerstand der Bevölkerung? Erst wenn nach diesen Fragen und ihrer Gewichtung zueinander die möglichen Alternativen sichtbar werden, kann die konkrete Einflußnahme erfolgen. Logisch ist der Systemeinfluß deshalb vorgeordnet, weil sich die möglichen Konflikte auf der Handlungsebene im Rahmen der systemisch programmierten Alternativen bewegen müssen, wenn ein funktionales Ergebnis erzielt werden soll.

Damit soll nun nicht behauptet werden, daß Politik im Sinne einer Auswahl aus verschiedenen Handlungsalternativen auf kommunaler Ebene nicht möglich ist. Jedoch ist das Alternativen-Spektrum erheblich eingeschränkt. Um diese noch verbleibenden Alternativen konkurrieren nun die Parteien, Interessengruppen, einzelne Mächtige und seit einigen Jahren auch Bürgerinitiativen. Institutionalisierte Partizipationsformen wie Hearings, Teilöffentlichkeiten Beteiligung nach dem Städtebauförderungsgesetz, Advokatenplanung Bürgerforen usw. sind ebenfalls hier einzuordnen. Es ist deshalb zu vermuten — und ich sehe gegenwärtig weder theoretische noch empirische Argumente, die diese Vermutung widerlegen —, daß die Wirkungen von Partizipation — zumindest was die Ergebnisse von Entscheidungen anbetrifft — die herrschenden Interessen, also konkret die Dominanz ökonomischer Interessen, kaum gefährden und erst recht nicht überwinden können. Ich sage dies jedoch keineswegs, um die Bemühungen um Partizipation gering zu schätzen, sondern um Schwarzmalereien auf der einen und übertriebenen Hoffnungen — die von einer neuen Qualität von Politik sprechen, die sich über die beginnende partizipatorische Demokratie in den demokrati-schen Sozialismus fortsetze — auf der anderen Seite entgegenzutreten.

Man könnte und müßte nun an dieser Stelle noch diskutieren, welche Einflußmöglichkeiten Partizipation innerhalb des systemisch vorgegebenen Handlungsrahmens in Konkurrenz zu (oder im Verein mit) den Interessengruppen usw., also innerhalb der kommunalen Machtelite, verbleibt. Dies kann jedoch hier aus Platzgründen nicht geleistet werden 35a).

III. Wirkungen auf die Beteiligten

Unter der Fragestellung, ob Partizipation zum Abbau von Herrschaft (und nicht nur zur Kontrolle von Machtmißbrauch bzw. punktueller Auflösung von Macht) führen wird, ist die Frage nach den Wirkungen von Partizipation auf die Partizipanten zentral. Wenn meine bisherige Anlyse auch nur annähernd zutrifft, dann sind Wirkungen, die die strukturelle Asymmetrie der Interessenberücksichtigung durchbrechen könnten, nur möglich durch einen erhöhten Legitimationsdruck. Das bedeutet, daß das kritische Potential der Bevölkerung gegen strukturelle Herrschaft entschieden wachsen müßte.

Zur Hoffnung auf eine solche nicht nur formal aktivierende, sondern inhaltlich politisierende Entwicklung bestand noch vor wenigen Jahren kaum Anlaß. Mit dem Auftreten der Partizipationswelle keimte jedoch wieder die Hoffnung, uab Partizipation bei den Beteiligten . durch Lernen im sozialen Feld selbst“ die . politische Sozialisation“ vorantreibt. Einige Autoren versprechen sich davon den . Erwerb neuer, relativ stabiler politischer Handlungsmuster" wobei die . Umsetzung theoretischer Einsicht in Handlung determinierende Zielsetzungen" „zu einer Veränderung der Handlungsstruktur von Individuen überhaupt führen" soll. Diese Annahmen sind dann zumeist Grundlage einer Veränderungsstrategie, die auf einen nachhaltigen Lern-und Bewußtseinsprozeß durch Partizipation — insbesondere wenn »ich diese spontan vollzieht, wie etwa bei Bürgerinitiativen — vertraut.

Ein solcher Optimismus erscheint jedoch keineswegs immer gerechtfertigt. Es liegen nämlich weder auch nur halbwegs gesicherte Ergebnisse über den langfristigen Politisierungseffekt von Bürgerinitiativen vor, noch wird bei solchen hoffnungsvollen Ansätzen die Frage geprüft, in welchem Maße die bei Erwachsenen nach psychologischen Erkenntnissen doch relativ stabilen Verhaltensstrukturen überhaupt noch veränderbar sind. Doch selbst wenn man die Möglichkeiten politischer Sozialisation auch bei Erwachsenen generell nicht geringschätzt, erscheint die Annahme einer Bewußtseinsund Verhaltensänderung sehr hypothetisch, zumindest dann, wenn dieser Lernprozeß weite Bevölkerungskreise erfassen soll. Es dürften sich ebensoviele Beispiele anführen lassen für die These, die durch die verschiedenen Formen der Planungsbeteiligung erreichbare politische Sozialisation könne „nur eine individuelle und psychische" sein, nämlich „die der aktiven Mitglieder" womit dann ein Bevölkerungskreis erreicht werden würde, der erstens sehr klein sein und zweitens im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung sowieso einen höheren Grad an politischem Bewußtsein aufweisen dürfte.

Dies ist natürlich bei allen Einschränkungen nicht gering zu schätzen. Denn zumindest im Sinne von demokratischer Kontrolle ist die unzweifelbar festzustellende Erhöhung der Sensibilität für politisch-administratives Fehlverhalten in den Städten und Gemeinden, auch wenn sie nur wenige erfaßt, von großer Bedeutung. Einerseits können so allzu grobe Fehlplanungen'und Verletzungen grundlegender Bedürfnisse, der Bürger verhindert werden. Und auch bei Maßnahmen, die direkt kann wirtschaftlichen Interessen dienen, durch Partizipation erreicht werden, daß die Interessen der Bürger — etwa durch Umwelt-schutzmaßnahmen — berücksichtigt werden. Für die Betroffenen ist das von unmittelbarer Bedeutung, was in der akademischen Diskussion bisweilen übersehen wird. Deshalb scheint mir die Hypothese plausibel, daß erfolgreiche Partizipation (im Sinne der Abwehr grober Beeinträchtigung von Bevölkerungsinteressen) die Bereitschaft der Bürger stärkt, sich im Falle unmittelbarer Betroffenheit kurzfristig politisch zu engagieren. Andererseits werden Verwaltung und Politiker durch eine Institutionalisierung von Partizipation und besonders durch die stets virulente Möglichkeit des massiven Bürgerprotestes zu mehr Offenheit und Kooperation mit dem Bürger gezwungen. Ob daraus jedoch eine die bestehenden Herrschaftsstrukturen durchbrechende und einem demokratischen Sozialismus zustrebende Entwicklung abgeleitet werden kann, scheint mir aufgrund der dargestellten Überlegungen mehr als zweifelhaft. Das Pferd mag in die Mauern Trojas hineingezogen werden, aber die im Bauch des Pferdes sind noch zu schwach, um nach draußen zu gelangen, und von außen wird es niemand öffnen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Fritz Vilmar, Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes. Gesellschaftsreform als Prozeß umfassender Demokratisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/1974, S. 25.

  2. Peter C. Dienel, Partizipation an Planungsprozessen als Aufgabe der Verwaltung, in: Die Ver-

  3. Ebenda.

  4. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Köln 1964, S. 164.

  5. Rolf-Richard Grauhan, Zur Struktur der planenden Verwaltung, in: Lauritz Lauritzen (Hrsg.), Mehr Demokratie im Städtebau, Hannover 1972, S. 38.

  6. Claus Offe, Rationalitätskriterien und Funktionsprobleme politisch-administrativen Handelns, in: Leviathan, 2, 1974, 3, S. 334.

  7. Ebenda.

  8. Ebenda, S. 335.

  9. Ebenda, S. 338.

  10. Ebenda.

  11. Hans Jochen Vogel, zit. nach: M. Kraus, Hinweis auf eine Schwierigkeit im Verhältnis von Partizipation und parlamentarischer Rechtsstaatlich keit, in: ARCH + 21 (1/1974), S. 45.

  12. Vilmar, a. a. O.; vgl. auch sein Hauptwerk zu diesem Thema: Strategien der Demokratisierung, Darmstadt-Neuwied 1973 (2 Bde.).

  13. Reimer Grönemeyer, Integration durch Partizipation? Arbeitsplatz/Wohnbereidi: Fallstudien, Frankfurt 1973, S. 208.

  14. Ebenda, S. 190— 207.

  15. Ebenda. S. 209.

  16. Ebenda.

  17. Frieder Naschold, Zur Politik und Ökonomie von Planungssystemen, in: Fehl/Fester/Kuhner. Planung und Information. Materialien zur Pld nungsforschung, Gütersloh 1972, S. 118.

  18. Ebenda, S. 114.

  19. Einen Überblick gibt: Ralf Zoll, Gemeinde als Alibi. Materialien zur politischen Soziologie der Gemeinde, München 1972.

  20. Vgl. dazu auch: Adalbert Evers/Michael Lehmann, Politisch-Ökonomische Determinanten für Planung und Politik in den Kommunen der Bundesrepublik, Offenbach 1972; Rolf-Richard Grauhan, Lokale PoRliatilkf fZoroslcl, huWnge, rthFeriamnkIfIuIr. t K 1o 9m 75mu(nimalpoElir-sdheinen): und Machtstruktur, München 1974.

  21. Vgl. Renate Mayntz, Politische Planung und demokratische Beteiligung. Gutachten i. A.der Pro-Jektgruppe Regierungs-und Verwaltungsreform beim BMI. Teil 1, Bonn 1971.

  22. Dieser Verzicht auf eine aus den Bedürfnissen er Stadt abgeleitete Zielplanung ist jedoch weder den Kommunalpolitikern noch den Planern anzunrsten, da die Regionalpläne nach dem rheinland-P azischen Landesplanungsgesetz für die Kommui en verbindlich sind. Vgl. Kommunalbrevier Rhein-rand-Pfalz, Mainz 1974, S. 313 ff.

  23. Vgl. Evers/Lehmann, a. a. O., S. 127 ff.

  24. v. Alemann, a. a. O., S. 72 ff.

  25. Dieter Lenz, Haushaltsanalyse 1974, in: Der Städtetag, 1/74, S. 8.

  26. Hartmut Häußermann, Ursachen und Funktion der kommunalen Finanznot, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 17, 1972, S. 965.

  27. H. Elsner/M, Schüler, zit, n. Häußermann, a. a. O.

  28. „Darmstadt schlägt sich durch — zwanzig Jahre Wiederaufbau", Darmstadt 1968, S. 63, zit. n.: Friedhelm Ernst, Darmstadt „Der Ort und das Gehege, in dem die Menschen wohnen“, in: ARCH +, 6 (1744) 23, S. 9.

  29. R. Zoll, a. a. O.

  30. Alle Zitate ebenda, S. 117— 119.

  31. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied und Berlin 1967, S. 30.

  32. Helmut Wollmann, Das Städtebauförderungsgesetz als Instrument staatlicher Intervention — wo und für wen?, in: Leviathan 2, 1974, S. 200.

  33. Das Partizipationskonzept der Beteiligung der Bürger im Rahmen von sog. „Teilöffentlichkeiten'wurde von Hartmut Großhans entwickelt. Vgl. dazu dessen Buch: Öffentlichkeit und Stadtentwicklungsplanung. Möglichkeiten der Partizipation, Düsseldorf 1972.

  34. Advokatenplanung beinhaltet, daß Fadileute die Interessen weniger privilegierter Gruppen bei Planungen gegenüber Rat und Verwaltung als Anwälte vertreten. Vgl. dazu als Übersicht meinen Beitrag in: v. Alemann, a. a. O., S. 108 ff., sowie grundlegend: Paul Davidoff, Anwaltsprinzip und Pluralismus in der Planung, in: Lauritzen, a. a. O., S. 149— 173; Lisa R. Peattie, Überlegungen zur Anwaltsplanung, ebenda, S. 174— 191; Klaus Körber/Walter Siebel, Versuche mit parteilicher Planung, in: C. Wolfgang Müller/Peter Nimmermann, Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit, München 1971, S. 146— 158.

  35. Vgl. etwa Vilmar, a. a. O.

  36. Hans-Eckehard Bahr, Gesellschaftliche Bedingungen des Friedens, in: ders. (Hrsg.), Politisierung des Alltags — Gesellschaftliche Bedingungen des Friedens, Darmstadt und Neuwied 1972, S. 19.

  37. Ebenda.

  38. Peter Büchner/Ursula Scheffer/Brigitte Schrey, burgerinitiativen im Ausbildungssektor. Uberlegungen zu ihrer politischen Funktion und ihrem «eilenwert im gesellschaftlichen Prozeß, in: best: erziehung, 5, 1972, 12, s 22.

  39. Ebenda, S. 23.

  40. Ebenda.

  41. Helga Faßbinder, Bürgerinitiativen und Planungsbeteiligung im Kontext kapitalistischer Regionalpolitik, in: Kursbuch 27, Berlin 1972, S. 80.

  42. Ebenda.

Weitere Inhalte

Wilfried Nelles, geb. 28. 9. 1948; Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie und Psychologie in Bonn; 1974 Magister Artium; Wissenschaftlicher Angestellter bei der „Studiengruppe Partizipationsforschung“ am Seminar für Politische Wissenschaft in Bonn. Veröffentlichungen: (mit Michael Buse) Formen und Bedingungen der Partizipation im politisch-administrativen Bereich, in: U. v. Alemann (Hrsg.), Partizipation — Demokratisierung — Mitbestimmung, 1975 (im Erscheinen); (mit Henning v. Vieregge) Partizipationsforschung — wozu und wohin?, in: U. v. Alemann, a. a. O.