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Erziehung zum Glück. Überlegungen zu einer pädagogischen Grundfrage | APuZ 13/1975 | bpb.de

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APuZ 13/1975 Emanzipation durch Entwicklung? Kritik der Emanzipationspädagogik und die Frage nach den Erziehungswerten Erziehung zum Glück. Überlegungen zu einer pädagogischen Grundfrage

Erziehung zum Glück. Überlegungen zu einer pädagogischen Grundfrage

Peter Schulz-Hageleit

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Zusammenfassung

Alle Bemühungen der Erzieher und Erziehungswissenschaftler — das ist die Hauptthese des Aufsatzes — sollten auf ein Ziel gerichtet sein: Kinder und Jugendliche, soweit möglich, zu glücklichen Menschen zu bilden. Was aber ist „Glück“, wenn man sich nicht mit subjektiven Empfindungen begnügen, sondern theoretisch begründete, wissenschaftliche Aussagen erreichen will? Der Versuch einer genaueren Abgrenzung des Phänomens führt zu einer intensiveren Berücksichtigung des psychoanalytischen und des materialistischen Denkens, das in Freud und Marx ihre prägnantesten Vertreter gefunden hat. Die Psychoanalyse gibt Auskunft über die vitalen Bedürfnisse des Menschen und die Möglichkeiten ihrer Befriedigung. Der Materialismus entwirft das Bild einer Gesellschaft, die dem einzelnen und der Gesamtheit die größtmöglichen Glücksmöglichkeiten bietet. Erzieher und Erziehungswissenschaftler müßten, wenn sie bereit sind, sich der beiden angegebenen Denkformen zu bedienen, in mindestens zweifacher Hinsicht für das Glück von Kindern und Jugendlichen eintreten. Sie müßten in der gegenwärtigen Erziehungswirklichkeit jenen Zwängen entgegentreten, die Unglück bewirken; dazu gehören: Konkurrenzangst und Leistungsdruck in der Schule, soziale Diskriminierung und Unsicherheit, sexuelle Befangenheit, Identitätskonfusion u. a. m. Sie müßten sich ferner für die Humanisierung der Gesellschaft einsetzen. Die dabei möglicherweise neu entstehenden Formen des Unglücks, die am Beispiel der Sowjetunion aufgezeigt und diskutiert werden, könnten zumindest partiell durch die Kontrolle psychoanalytischen Denkens aufgehoben werden. Eine pädagogische Theorie des Glücks würde, wenn sie in der Praxis Anwendung finden könnte, Schulalltag, Lehrerbildung, Lehrpläne und anderes erheblich verändern. Schulinitiativen, wie wir sie zum Beispiel aus England kennen, sind zu begrüßen.

„Das Ziel der Gesellschaft ist das gemeinsame Glück. Die Regierung wird eingesetzt, um dem Menschen die Wahrnehmung seiner natürlichen und unveräußerlichen Rechte zu gewährleisten. ’ (Artikel des Verfassungsaktes und der Menschenrechtserklärung vom 24. Juni 1793 in Frankreich) „Man möchte sagen, die Absicht, daß der Mensch . glücklich'sei, ist im Plan der , Schöpfung'nicht enthalten.'

(Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, 1930)

I. Das Thema und die Fragestellungen Niemand wird kategorisch dem Leitsatz widersprechen, daß Erziehung und Erziehungswissenschaft dem Wohl und dem Glück der Kinder zu dienen haben. Trotzdem nehmen nur wenige diesen Satz in ihr Programm auf, es mag praktisch pädagogischen, wissenschaftlichen oder politischen Gepräges sein. Das hat verschiedene Gründe.

Glück als allgemeines und oberstes Ziel der Erziehung, das ist der erste Grund für die weit verbreitete Zurückhaltung vor diesem Begriff, hat keine solide Grundlage in der Tadition 1). Nachdem es sich im Bildungsdenken des 18. Jahrhunderts, vor allem bei den „Philanthropen" und in der Französischen Revolution, eines bescheidenen, aber sicheren Platzes erfreut hatte wurde es im 19. Jahrhundert mit aggressiver Vehemenz verjagt und durch die Verpflichtung zur Leistung er-setzt. So ist es im großen und ganzen bis heute geblieben

Wenn heute irgendwo in der Welt eine Schulreform in Gang gesetzt wird, kann man sicher sein, daß es keineswegs vorrangig darum geht, die Glücksmöglichkeiten der Kinder zu mehren. Vielmehr will man die Unterrichtsmethoden so verbessern, daß die Leistungen steigen, Inhalte austauschen und so modernisieren, daß die Schüler später in Beruf und Gesellschaft wettbewerbsfähig und anpassungsbereit sind. Mehr „Effektivität* in Schule und Unterricht, das ist die bildungspolitische Leitlinie unserer Jahre. Als Beispiel für zahllose gleichartige Fälle nennen wir die Grundschulreform der Sowjetunion, wo mit Genugtuung festgestellt wurde, daß die Wissenschaft mit ihren Inhalten und Denkformen schon bei den Kleinsten ihren Einzug halten könne Ähnliche Befriedigung äußerten viele Erziehungstheoretiker und Praktiker in der Bundesrepublik, als in Aussicht gestellt wurde, daß schon die Grundschüler in der dritten oder sogar ersten Klasse Englisch lernen könnten Wir erinnern schließlich an jenes Phänomen, das als der amerikanische „Sputnik-Schock" bezeichnet wurde: 1957 standen die Vereinigten Staaten entsetzt vor dem unerwarteten Ereignis des ersten sowjetischen, die Erde umkreisenden künstlichen Satelliten, der den technologischen Fortschritt und Vorsprung der Sowjets augenfällig demonstrierte, und fortan suchten Amerikas Psychologen und Pädagogen ingrimmig nach Mitteln zur Steigerung der „Kreativität" in den Schulen Ob Effektivität und Kreativität auch die personale Zufriedenheit und das Glück der Lernenden mehre, diese pädagogische Kardinalfrage wurde dabei fast immer mit auffälliger Großzügigkeit außer acht gelassen oder allenfalls beiläufig behandelt, etwa in dem Sinn, daß den Kindern das neue Lernen „Spaß" mache und persönliche Befriedigung quasi automatisch mit der Bildung zunehme, da diese das gesellschaftliche Ansehen, die Aktionsmöglichkeiten und Berufschancen des Betreffenden erhöhe.

Der zweite Grund für den Mangel an Bereitschaft, Glück als oberstes Erziehungsziel zu propagieren und, soweit überhaupt möglich und planbar, auch zu realisieren, liegt in der Verschwommenheit des Begriffs. Die Zielvorstellung vom „Wohl" oder „Glück" ist so unbestimmt, daß sie wissenschaftlich wenig nützt und politisch mißbraucht werden kann Jeder kann schließlich den Anspruch erheben, für die Jugend „nur das Beste" zu wollen, der tyrannische Vater und die über-zärtliche Mutter, der konservative und der liberale Lehrer, die leistungsorientierte Kindergärtnerin und die Erzieherin antiautoritären Stils. Bezeichnenderweise versucht sowohl die „linke" wie die „rechte" politische Seite, den Gegner mit dem Argument in die Enge zu treiben, daß die Ideologie — die Ideologie des anderen selbstverständlich — das Glück der Kinder egozentrisch und eigensüchtig übergehe Glück und Glücksfähigkeit lassen sich schwerlich so abmessen wie Schulpflicht und Mathematikkenntnisse. Glück ist nicht programmierbar wie Französisch oder Physik, und Glück läßt sich nicht einklagen wie Miete oder Alimente. • Weder die Schwierigkeit der exakten Benennung eines im Grunde bekannten und für jeden erfahrbaren Phänomens noch der Umstand, daß es wissenschaftspublizistisch zur Zeit nicht en vogue ist, das Glück der Kinder und Jugendlichen zur Diskussion zu stellen, darf jedoch den mit Erziehung und Unterricht Beschäftigten davon abhalten, sich über das gegenwärtige und zukünftige Lebensglück der ihm Anvertrauten Gedanken zu machen. Wenn die seit Jahrhunderten beschworene Einheit von Erziehung und Unterricht keine leere Phrase sein soll kann vor allem der Lehrer nicht so tun, als wenn seine Aufgabe sich im zweckrationalen Unterricht eines vorgegebenen Faches erschöpfe und alles andere, so zum Beispiel Glück und Unglück im Leben seiner Schüler, ihn nichts anginge. Jener modernen technologischen Vorstellung vom Lehrer als dem emotional distanzierten und an der Person des Schülers letztlich desinteressierten . „Einrichter" vorfabrizierter Unterrichtsprogramme kann nicht oft und nicht entschieden genug widersprochen werden

Wer die Ziel-oder besser Leitvorstellung vom Glück als solche akzeptiert, ist demnach zunächst mit der Frage konfrontiert, von welchen wissenschaftlichen Ansätzen her ein akkurater Zugang zum Phänomen des Glücks möglich ist, so daß der Begriff nicht mißbraucht werden kann und hinreichend klar wird, was konkret unter Glück verstanden wird. Er wird sodann, das liegt nahe, die Praxis aufsuchen und fragen, welcher Anerkennung sich die Leitvorstellung vom Glück in der internationalen Erziehungswirklichkeit erfreut. Was tut unsere Erziehung und die der anderen, damit das Leid der Menschen geringer werde? Aus leicht einsichtigen Gründen der Arbeitsfeldbegrenzung kann diese Frage nur an einigen ausgewählten Beispielen erörtert werden; dem Modell der Sowjetunion wird dabei eine Vorrangstellung eingeräumt. Eine dritte und letzte Frage ergibt sich aus der Kluft, die aufgrund der Erhebungen zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll, zu erkennen sein wird. Wie müßten etwa Schulpädagogik und Lehrerbildung beschaffen sein, wenn sie dazu beitragen wollen, die benannte Kluft zu verringern? Inwiefern können uns auf diesem Aufgabenfeld die ausländischen Erfahrungen nützen? Zu diesem Fragenkomplex werden abschließend einige programmatische Thesen aufgestellt.

II. Schwierigkeiten der Methode Glück besteht nicht unwesentlich aus der Befriedigung von Bedürfnissen. Schon der semantische Zusammenhang zwischen Zufriedenheit, Befriedigung und Glück legt die Annahme einer phänomenalen Verwandtschaft nahe Die Reduktion des allzu weiten Begriffs vom „Glück" auf das engere Feld der „Bedürfnisbefriedigung“ — das ist nur ein erster Schritt oder Versuch bei der Erforschung des Phänomens — ermöglicht konkrete Angaben und empirisch überprüfbare Erhebungen. Um beim Einfachsten anzufangen: Kinder haben ein elementares Bedürfnis nach Liebe oder, mit wissenschaftlichem Ausdruck, nach „affektiver Zufuhr", nach Sprache, Kommunikation und nach Spiel. Wo diese und ähnliche Bedürfnisse befriedigt sind, ist sicherlich nicht das ganze Glück ein für alle Male verwirklicht, aber doch ein erheblicher Teil davon. Eine in diesem Sinn glückliche Kindheit ist nachweislich auch die beste Grundlage für die Entfaltung des nach Sinnzusammenhängen forschenden Lernens, nach Weltverständnis und kritischer Selbsterkenntnis, die ebenfalls, wie später zu erläutern ist, notwendig sind, wenn innere Befriedigung erreicht werden soll. Wo hingegen Hunger und soziale Entbehrung den Menschen zu körperlichem Siechtum verurteilen, da entfaltet sich auch das Lernen nicht frei, und das Glück bestünde hier zweifellos und zunächst ausschließlich in der Befriedigung der elementaren vitalen Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Gesundheit, Wohnen und anderes dieser Art Bei we eher der zahlreichen und sehr verschiedenen Dimensionen menschlicher Bedürfnisse man ansetzt, ist demnach keine Prinzipienfrage, sondern eine Frage der praktischen Gegebenheiten und Möglichkeiten. Glück und Glücks-bedürfnis sind fraglos nicht allein im Körper und nicht allein im Geist, sondern in beiden zugleich. Der Mensch agiert und reagiert ganzheitlich. Jede körperliche Geste enthält „Geist“ (man denke zum Beispiel an die sensorische Intelligenz der menschlichen Hand), und jede geistige Bewegung bedarf des körperlichen, physiologischen Mitlaufs, um überhaupt existent zu werden Für eine Pädagogik des Glücks ist diese anthropologische Grundtatsache von nicht unerheblicher Bedeutung. Das an diese ersten Feststellungen sich anschließende methodologische Hauptproblem besteht darin, daß Bedürfnisse nicht einfach und unmißverständlich existieren, sondern gemacht und beeinflußt werden. Bedürfnisse sind, vor allem dort, wo sie über das Elementare hinausgehen, Produkte der Erziehung, der Gesellschaft und individueller physisch-psychischer Faktoren, und sie müssen als solche interpretiert werden. Wir dürfen beispielsweise nicht die Augen vor der in jeder Beziehung unbequemen Tatsache verschließen, daß es klinisch abnorme „Bedürfnisse" gibt, die uneingeschränkt befriedigen zu wollen, ein befremdliches pädagogisches Anliegen wäre. Da es zwischen den klinischen Abnormitäten und der normalen Gesundheit mannigfaltige Abstufungen gibt und auch Durchschnittskinder oft Anstoß erregende Bedürfnisse entwickeln, ist ein situationsangemessenes Handeln, auch wenn es sich an den Bedürfnissen der Heranwachsenden orientiert, alles andere als klar und einfach. Zu bedenken ist schließlich, daß die Frage nach den menschlichen Bedürfnissen nicht allein durch

Beobachtungen, sondern ebenso durch normative Einstellungen beantwortet oder zumindest beeinflußt wird. Der christliche Theologe beispielsweise erklärt, daß der Mensch ein tiefes Bedürfnis nach Gott habe, und die Glückseligpreisungen des Neuen Testaments enthalten diesbezüglich deutliche Aussagen und Anweisungen. Der kommunistische Parteiideologe hingegen behauptet, daß der Mensch nach nichts anderem als der Einstimmung in die Wünsche der Partei verlange. Insofern nun diese Bestimmungen nicht in welt-entrücktem Desinteresse getroffen werden, sondern Ansprüche an die Wirklichkeit stellen und diese mehr oder weniger massiv beeinflussen, können beide, der christliche Theologe und der kommunistische Ideologe, auf die durch sie selbst geschaffene Wirklichkeit verweisen, wenn sie die Richtigkeit ihrer Theorie belegen wollen. Alle diese Schwierigkeiten wurden nicht genannt, um sogleich gelöst und zurückgewiesen zu werden. Sie begleiten vielmehr den Gang der Untersuchung und werden, wenn es durch den Inhalt geboten erscheint, erneut erörtert. Vorerst ist nicht mehr als ein Einstieg vorbereitet. Auskunft über die Dynamik menschlicher Bedürfnisse gibt in besonders ausführlicher Weise die Psychoanalyse, so daß es nicht abwegig ist, diese als erste zu befragen.

III. Menschliches Glücksverlangen im Licht der Psychoanalyse Der Grund für „das Unbehagen in der Kultur" liegt vor allem, so behauptet Freud, der Begründer der Psychoanalyse, in keiner bekannten Studie von 1930, in der Notwendigkeit der gewaltsamen, andauernden, kulturell und sozial bedingten Triebbeschränkung. Wir sind „unglücklich" und fühlen uns „unbehaglich" — diese Begriffe sind bei Freud in diesem Zusammenhang synonym —, weil wir nie die volle Triebbefriedigung erleben und die auf Ordnung, Reinlichkeit und Anstand, auf Mäßigung und Selbstdisziplin bedachte Kultur uns von einer Versagung zur nächsten, von einer Kompromißlösung zur anderen nötigt.

Vor allem die Sexualität und die Aggressivität müßten eingedämmt werden, da die an ihrem Fortbestand interessierte Gesellschaft an aggressiver und sexueller Hemmungslosigkeit zerbrechen würde. Menschliche Kultur und individuelles Glück sind sich also feindlich gesonnen, sie schließen sich nach Freud im Prinzip aus und können nur dadurch existieren, daß eines, nämlich der persönliche Glücksanspruch, zugunsten des anderen zurücktritt und sich mit wenigem begnügt. Glück ist bei Freud vitale, triebhafte Lustbefriedigung. Wo es anders erfahren wird, handelt es sich zumeist um Ausgleichs-und Ersatzvorgänge. Vom wirklichen, primären Glück wird trotz aller Sublimierungen und Kompensationen nach wie vor geträumt. Die Phantasie holt sich heran, was die Realität versagt. Der wirklich Glückliche würde nie phantasieren und nichts träumen. Einige Zitate sollen diese Kurzfassung des Freudschen Gedankenganges ergänzen

„Wie Triebbefriedigung Glück ist, so wird es Ursache schweren Leidens, wenn die Außenwelt uns darben läßt, die Sättigung unserer Bedürfnisse verweigert. Man kann also hoffen, durch Einwirkung auf diese Triebregungen von einem Teil des Leidens frei zu werden. Diese Art der Leidabwehr greift nicht mehr am Empfindungsapparat an, sie sucht inneren Quellen der Bedürfnisse Herr zu werden. In extremer Weise geschieht dies, indem man die Triebe ertötet, wie die orientalische Lebensweisheit lehrt und die Yogapraxis ausführt. Gelingt es, so hat man damit freilich auch alle andere Tätigkeit aufgegeben (das Leben geopfert), auf anderem Wege wieder nur das Glück der Ruhe erworben."

„Auf dem Wege, uns mit dieser Möglichkeit zu beschäftigen, treffen wir auf eine Behauptung, die so erstaunlich ist, daß wir bei ihr verweilen wollen. Sie lautet, einen großen Teil der Schuld an unserem Elend trage unsere soge-nannte Kultur; wir wären viel glücklicher, wenn wir sie aufgeben und in primitive Verhältnisse zurückfinden würden. Ich heiße sie erstaunlich, weil — wie immer man den Begriff Kultur bestimmen mag — es doch feststeht, daß alles, womit wir uns gegen die Bedrohung aus den Quellen des Leidens zu schützen versuchen, eben der nämlichen Kultur zugehört."

„Wenn die Kultur nicht allein der Sexualität, sondern auch der Aggressionsneigung des Menschen so große Opfer auferlegt, so verstehen wir es besser, daß es dem Menschen schwer wird, sich in ihr beglückt zu finden. Der Urmensch hatte es in der Tat darin besser, da er keine Triebeinschränkungen kannte. Zum Ausgleich war seine Sicherheit, solches Glück lange zu genießen, eine sehr geringe. Der Kulturmensch hat für ein Stück Glücksmöglichkeit ein Stück Sicherheit eingetauscht." „Im Entwicklungsprozeß des Einzelmenschen wird das Programm des Lustprinzips, Glücks-befriedigungzu finden, als Hauptziel festgehalten, die Einreihung in oder Anpassung an eine menschliche Gemeinschaft erscheint als eine kaum zu vermeidende Bedingung, die auf dem Wege zur Erreichung dieses Glücksziels erfüllt werden soll. Ginge es ohne diese Bedingung, so wäre es vielleicht besser. Anders ausgedrückt: die individuelle Entwicklung erscheint uns als ein Produkt der Interferenz zweier Strebungen, des Strebens nach Glück, das wir gewöhnlich „egoistisch", und des Strebens nach Vereinigung mit den anderen in der Gemeinschaft, das wir „altruistisch'heißen. Beide Bezeichnungen gehen nicht viel über die Oberfläche hinaus. In der individuellen Entwicklung fällt, wie gesagt, der Hauptakzent meist auf die egoistische oder Glücks-strebung, die andere, „kulturell" zu nennende, begnügt sich in der Regel mit der Rolle einer Einschränkung. Anders beim Kulturprozeß; hier ist das Ziel der Herstellung einer Einheit aus den menschlichen Individuen bei weitem die Hauptsache, das Ziel der Beglückung besteht zwar noch, aber es wird in den Hintergrund gedrängt; fast scheint es, die Schöpfung einer großen menschlichen Gemeinschaft würde am besten gelingen, wenn man sich um das Glück des einzelnen nicht zu kümmern brauchte. Der Entwicklungsprozeß des einzelnen darf also seine besonderen Züge haben, die sich im Kulturprozeß der Menschheit nicht wiederfinden; nur insofern dieser erstere Vorgang den Anschluß an die Gemeinschaft zum Ziel hat, muß er mit dem letzten zusammenfallen."

Die erziehungswissenschaftliche Rezeption und Diskussion dieser Thesen wird durch einige Vorbehalte gegen Grundsätzliches in Freuds Theorie erschwert. Freuds Lehre vom Primat und vom Machtanspruch sexuellen Luststrebens, so lautet ein erster oft geäußerter Einwand, ist eine unzulässige Vereinseitigung menschlicher Strebungen Die Einseitigkeit dokumentiere sich beispielsweise an der Rolle, die Freud der Phantasie zu-schreibt. Diese habe nachweislich eminent produktive, selbständig schöpferische Erkenntnisfähigkeiten und werde mißverstanden, wenn man sie nur als ausführendes Organ triebhaften Wünschens interpretiere Freuds These von der Aggressionsneigung als einer ursprünglichen und selbständigen Trieb-anlage des Menschen, so lautet ein weiterer grundsätzlicher Vorbehalt, sei zu simpel und müsse zumindest durch die andere These, daß unsere Aggressionen Produkte spezifischer Sozialisationsformen seien, ergänzt werden. Exakte Wissenschaft könne mit Freuds Pauschalitäten nicht arbeiten

Ich bin der Auffassung, daß Freuds Theorie trotz dieser Problematik, die nicht bestritten oder als quantite negligeable betrachtet wird, erziehungswissenschaftlich relevant ist und gleichsam unterhalb der Grundsatzdebatte pädagogisch genutzt werden kann und genutzt werden sollte. Ob befriedigte Sexualität nur ein notwendiger Bestandteil menschlichen Glücks ist — als solchen wird man sie zumindest anerkennen müssen — oder, wie Freud behauptet, Quelle und Vorbild aller Formen des Glücks, das kann in einer an Praxis und Handlung interessierten erziehungswissenschaftlichen Theorie allenfalls Akzentverschiebungen, aber keine Grundsatzänderungen bewirken. Entscheidend ist, daß die Erziehung, wo sie sich institutionell konkretisiert, zum Beispiel in der Schule, an der allgemeinen Triebdomestizierung Anteil hat und damit menschliches Unglück im Sinn der Psychoanalyse nicht mindern, sondern erhalten hilft. Schule ist zum Lernen da, so heißt es und so denkt man. Zumindest wird es nicht auf einhellige Zustimmung stoßen, wenn hier der Schule auch ganz anderes zugemutet wird, nämlich die Entfaltung einer freien, selbstbewußten und glückhaften Sinnlichkeit.

Exponiertes Beispiel für die organisierte Triebunterdrückung ist die amtliche Sexual-pädagogik. Sie hat vorwiegend Disziplinierungsfunktionen Sie soll das elementare Luststreben eindämmen, gesellschaftlich unerwünschte Triebimpulse der Kontrolle unterwerfen und die Schüler auf die staatlich sank-tionierten Formen der Liebe vorbereiten. Sie anerkennt in der Regel nicht, „daß Sexualität mit Lustgewinn und Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und mit dem Erleben intensivster Partnerschaft verbunden ist, also eine Bedeutung besitzt, die unabhängig von moralischen Einschränkungen ist“ Auch die in den letzten Jahren praktizierte wissenschaftliche Freizügigkeit der Sexualaufklärung über Genitalorgane und Hormonhaushalte ist meines Erachtens kein Anzeichen für die Minderung sexueller, erotischer Befangenheit. Im Gegenteil: sie zeigt, wie auch die aus den eben benannten Triebansprüchen herkommenden Novitäten so hergerichtet werden, daß sie in das vorfindliche Lern-und Lehrsystem passen und ihre ursprüngliche Vitalität aufgeben. Die Sexualität wird zum Unterrichtsgegenstand unter vielen anderen, zur Informationseinheit oder, um mit einem Bild Paolo Freires zu argumentieren, zur Wissenseinlage, die beim Schüler deponiert wird wie das Geld bei der Bank

Das Entscheidende der hier angesprochenen Problematik wird jedoch nicht dort sichtbar, wo es direkt und unvermittelt um Sexualität geht, sondern vielmehr in den angrenzenden Bezirken und in den Folgeerscheinungen der Triebunterdrückungen, die freilich weit mehr als ein schulisches, nämlich ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sind. Freud schildert in der eingangs erwähnten Studie und in vielen anderen Schriften, wie die verdrängte Aggression als Schuldgefühl wiederkehrt und wie die vom Uber-Ich vereinnahmte Aggression Angst produziert, irrationale, durch reale Bedrohungen nicht erklärbare Angst. Diese Angst ist zum festen Bestandteil unseres Schullebens geworden. Das ist keine polemische Unterstellung, sondern ein mit den Mitteln empirischer Sozialforschung erbrachtes fundiertes Arbeitsergebnis Gewiß ist die Angst in der Schule nicht allein das Produkt der von Freud geschilderten Mechanismen. Vielfältige, vor allem soziale Einflüsse treten hinzu, bevor sich so etwas wi e das Syndrom der „Prüfungsangst" konstituiert Doch ohne die von Freud eruierten Primärvorgänge bliebe das Phänomen schwer erklärbar. Ungeachtet ihrer epochalen Bedeutung bleibt Freuds Theorie für die Erziehung und die Erziehungswissenschaft insofern von begrenztem Wert, als sie sich vorwiegend mit den aus dem Unbewußten aufsteigenden Bedürfnissen beschäftigt, während die Pädagogik in Theorie und Praxis sich ihrem Auftrag und ihren Möglichkeiten gemäß mehr an das Bewußtsein und an die der einsichtsvollen Selbstbestimmung fähige Person wendet. In Freuds Denkmodell nimmt das bewußte „Ich“ zwischen dem unbewußten „Es" und der anerzogenen und verinnerlichten Kontrolle durch das „Uber-Ich" zwar eine formal selbständige Stellung ein, doch in.der Dynamik der Trieb-vorgänge bleibt es schwach, unselbständig und abhängig von den stärkeren Impulsen des Unbewußten. Diese Einseitigkeiten können inzwischen als überwunden gelten, denn die Psychologie des Ich erfreut sich inzwischen größerer Wertschätzung, und auch Psychoanalyse in der Nachfolge Freuds anerkennt die Kraft und Eigenständigkeit von personalen Ich-Vorgängen, die nicht vom übermächtigen Es gelenkt werden. Wenn Erziehung, mit den Begriffen der Psychoanalyse erklärt, vor allem Ich-Stärkung ist, dann bedürfen jene Autoren und Reflexionen stärkerer Berücksichtigung, die sich den Ich-Strebungen und Ich-Bedürfnissen intensiver zugewandt haben Im Unterschied zu den Es-Bedürfnissen, die unausweichlich auf die entschiedene Abwehr durch gesellschaftliche Normen stoßen und vor diesen auf tolerierbare Positionen zurückweichen, finden die Idi-Bedürfnisse ihre Befriedigung eher im Einklang als im Widerspruch mit Gesellschaft. Jedes Kind braucht — der Pädagoge weiß das auch ohne psychoanalytische Unterweisung — die wiederholte Bestätigung seiner Person durch Lehrer, Eltern und Freunde. Es bedarf der Gewißheit seines Eigenwertes und der aufrichtigen Wertschätzung durch andere, wenn es sich entfalten soll.

Unterbleibt diese Anerkennung, kann der an steh normale Geltungsdrang zu pathologischem Machtstreben, zum Querulantentum oder anderen egozentristischen Tendenzen degenerieren, wie vor allem Alfred Adler lehrte.

Der sogenannte „Minderwertigkeitskomplex" ist das Ergebnis schlecht befriedigter Ich-Bedürfnise. Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter zeigte ebenso anschaulich wie methodisch exakt auf, welche verheerenden Folgen es haben kann, wenn Eltern — oft ohne es zu wissen und bewußt zu wollen — ihre Kinder nicht nach deren eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten aufwachsen lassen, sondern ihnen fremde Ansprüche und Problemkonstellationen aufnötigen Ich-Bedürfnisse werden befriedigt, wenn der heranwachsende Mensch erfährt, was er kann und was er will, wie er sich einsetzen und wo er sich nützlich machen sollte.

Es widerspräche schon Freuds eigener Intention, wenn man aus dem durch die Triebunterdrückung entstehenden Unglück die Regel ableiten wollte, daß Triebwünsche nur schrankenlos befriedigt werden müßten, damit Glück sich einstellt. Durch den Einbezug von Ich-Bedürfnissen in die pädagogische Reflexion wird vollends deutlich, daß eine Pädagogik des Glücks sich nicht aufs Gewähren und Behüten beschränken kann. Die aktuelle Literatur über Schule und Gesellschaft ist reich an Polemiken über das „Leistungsprinzip". Nicht wenige wollen, pointiert formuliert, die Leistung schlechthin abschaffen, doch so einfach ist die Lösung des Problems sicherlich nicht. Die gelungene „Leistung'steht, da sie Ich-Bedürfnisse befriedigt, nicht unbedingt im Widerspruch zum persönlichen Glück, vor allem dann nicht, wenn sie im Sinn einer personal bezogenen, entwicklungspsychologisch unabdingbaren Aufgabenbewältigung verstanden wird Der Stolz und die bewußte Sicherheit, eine Sache richtig und gut machen zu können, gehört zu den notwendigen Erfahrungen von Kindheit und Jugend. Auch das planmäßige Lernen ist keineswegs zwangsläufig, wie zuweilen suggeriert wird, rücksichtslose Fremdbestimmung. Es kann vielmehr die tiefbefriedigende Entfal-I tung bislang verschlossener Denk-und Handlungsmöglichkeiten bedeuten und damit der Selbstbestimmung dienen: Wer hätte nicht schon entsprechende Erfahrungen gemacht. Das Problem liegt nicht in den Vorgängen an sich, sondern in der organisierten Praxis, die— ich denke hier vor allem an die Schule — das Lernen und die Leistungen uniformiert und Zwängen unterwirft, die den Bedürfnissen der Kinder kaum noch Rechnung tragen können. Bevor die Schüler fragen, werden sie schon mit Antworten gefüttert Nicht Ich-Bedürfnisse, sondern das vorfindliche Soll und die Norm stimulieren das Lernen und die Leistung. In ganz einseitiger Weise wendet sich die Schule, wie schon in der Einleitung vermerkt wurde, an die Verstandestüchtigkeit der Jugend. Fast jede Schulstunde hat ihr . kognitives" Lernpensum, und jeder Lehrer setzt, amtlich dazu bestellt, seinen Ehrgeiz darein, den Kindern möglichst viel beizubringen, ob sie wollen oder nicht. Kinder zu beglücken, das ist nicht sein Job. Auch nach renommierter erziehungswissenschaftlicher Theorie geht es in der Schule „weder um ein Menschheitsideal, noch primär um den Sinn des Lebens, sondern um planmäßiges ökonomisches Lernen" Das ist in dieser Ausrichtung einseitig und unbefriedigend. An Vergleichsmodellen — hier ist an erster Stelle die Schule Neills zu erwähnen — und an vorsichtigen Ansätzen, die Psychoanalyse in den Dienst der Schulpädagogik zu stellen, fehlt es zum Glück nicht mehr

Doch die Reflexion über die Befriedigung kindlicher und jugendlicher Bedürfnisse führt nicht nur zum Problem der Organisation und der ausgewogenen inneren Gestaltung des Schullebens. Sie stellt darüber hinaus die Qualität der Gesamtgesellschaft und der verschiedenen gesellschaftlichen Bezugsgruppen in Frage. Wenn berufliche und soziale „Identität" — ein weiterer zentraler Begriff der Ich-Pädagogik — wesentlicher Bestandteil personaler Zufriedenheit ist und so etwas wie „psychosoziales Wohlbefinden“ auslöst dann kann die Berufswelt und die Sozietät, in die der Jugendliche hineinwächst, aus der Betrachtung nicht ausgeschlossen werden. Der Psychoanalyse wird vorgeworfen, daß sie letztlich nur an der Funktionstüchtigkeit des Menschen interessiert sei und seine Einpassung in das bestehende System betreibe, ohne dieses in die kritische Analyse einzubeziehen. In der Tat ist die Befriedigung von Ich-Bedürfnissen und die pädagogische Hilfe bei der Identitätsfindung ein zwielichtiges Unterfangen, wenn die Gesellschaft, die da Anerkennung gewähren und ein Feld wertvoller Aufgaben anbieten soll, von Inhumanitäten nicht frei ist. Deutsche Philanthropen und französische Revolutionäre verbanden das persönliche Glück kurzerhand mit Gemeinnützigkeit und öffentlicher Tugend, zuweilen sogar mit Patriotismus und bei Karl Marx heißt es über diesen Bezug zwischen Gesellschaft und individuellem Glücksstreben: „Liegt doch in der inneren Befriedigung individueller Ausprägung zu Werken der Gemeinnützigkeit für jeden Menschen die sicherste Bürgschaft zu einer größeren Summe Lebensglücks."

Eine solche Auffassung vom Glück setzt voraus, daß die Gesellschaft der persönlichen Mühe wert erscheint. „Werke der Gemeinnützigkeit" können nur dem Glück verschaffen, der einer Gemeinschaft wirklich nutzen will. Es bedarf keiner langen Erläuterung, daß hier ein entscheidendes bildungspolitisches, ja existentielles Problem liegt. Die Zahl der Jugendlichen, die unserem Staat in keiner Weise nutzen wollen, die ihre Identität in der radikalen Ablehnung des Bestehenden finden und ihre Ich-Stärke im Widerstand verbrauchen, ist groß, und das Gefühl der völligen Sinnlosigkeit unseres Lebens, das in Extremfällen zum Selbstmord verleitet, ergreift eher mehr als weniger Menschen Eine pädagogische Theorie des Glücks kann also gar nicht umhin, den überpersönlichen Quellen des Unglücks nachzuforschen und an ihrer Beseitigung zu arbeiten. Sie muß die Humanisierung des Lebens intendieren und überlegen, wie die Gesellschaft beschaffen sein müßte, damit die zuletzt besprochenen Ich-Bedürfnisse befriedigt werden können, ohne daß gleichzeitig der Inhumanität Tribut gezahlt wird. Sie muß infolgedessen dem Heranwachsenden Identifizierungen mit Zielen, Prozessen oder Gruppierungen der Gesellschaft ermöglichen, die das Ich nicht auslöschen, sondern im Gegenteil stärken und in größere Zusammenhänge einfügen. Wenn die Pädagogik der Gegenwart, insbesondere die Didaktik der Politischen Bildung, emanzipatorische Ansprüche vertritt, dann will sie zumeist den einzelnen befähigen zum Widerstand gegen entmündigende Tendenzen der Zeit. Nicht zuletzt die Kritische Theorie, auf die wir in Abschnitt VII zurückkommen, vertritt diesen Ansatz. Er findet volle Unterstützung durch die hier vorgelegten Überlegungen, muß jedoch trotzdem als unzureichend bezeichnet werden, denn es genügt nicht zu zeigen, wogegen man sich engagieren soll.

Die pädagogisch und bildungspolitisch entscheidende Frage heißt doch: Für wen und für was ist Engagement vonnöten? Obwohl die Koppelung des psychoanalytischen Denkens mit dem materialistischen Denken Marxscher Provinienz nicht unerhebliche Methodenprobleme aufwirft, wird im folgenden die Frage des kindlichen und jugendlichen Glücks, wenigstens ansatzweise, vom Standpunkt der angegebenen entschiedenen Gesellschaftskritik aus durchdacht.

IV. Menschliches Glücksverlangen im Licht materialistischer Gesellschaftskritik So radikal einseitig wie Freud das menschliche Glück vom Standpunkt des individuellen Triebstrebens erklärt hat, das unausweichlich auf den einschränkenden Widerspruch der Gesellschaft stößt und vor diesem auf tolerierbare Positionen zurückweicht, so radikal einseitig erklärt Marx das menschliche Glück vom Standpunkt der Gesellschaft, die das individuelle Glücksstreben, wenn sie einmal revolutioniert und ökonomisch umstrukturiert ist, in sich aufzunehmen vermag und als selbständige, Konflikte schaffende Potenz damit auslöscht. Sinnlosigkeitsgefühle erleidet der Mensch nur im Kapitalismus. Im Sozialismus hingegen findet jeder den Sinn seines Lebens Die Frage nach einem individuellen Glücksverlangen, das in Widerspruch zur Gesellschaft stehen könnte, bezog sich bei Marx ausschließlich auf die zur Veränderung auffordernde Praxis der Gegenwart, nicht aber auf die in Aussicht genommene Zukunft, weil dort die Interessen des einzelnen bestens in den Interessen der Allgemeinheit aufgehoben sein würden, und der einzelne, wollte er sich nicht selbst schaden, gar nichts anderes als das allgemeine Wohl im Sinn haben konnte. „Erst in der Gemeinschaft erhält das Individuum die Mittel, seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden; erst in der Gemeinschaft wird also die persönliche Freiheit möglich. In den bisherigen Surrogaten der Gemeinschaft, im Staat usw. existierte die persönliche Freiheit nur für die in den Verhältnissen der herrschenden Klasse entwickelten Individuen und nur insofern sie Individuen dieser Klasse waren. Die scheinbare Gemeinschaft, zu der sich bisher die Individuen vereinigten, verselbständigte sich stets ihnen gegenüber und war zugleich, da sie eine Vereinigung einer Klasse gegenüber einer anderen war, für die beherrschte Klasse nicht nur eine ganz illusorische Gemeinschaft, sondern auch eine neue Fessel. In der wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit."

Analog zum pessimistischen Zweifel Freuds hat die zukunftsfreudige Sicherheit Marx'der Rezeption seines Denkens sehr geschadet. Sein Denken bewege sich von einer ungesicherten Hypothese zur anderen, heißt es nicht ohne Anlaß Sein Gesellschaftsentwurf im ganzen sei utopisch, heißt ein anderer häufig geäußerter Einwand Mit derartigen Vorstößen wird unseres Erachtens, der Diskussion über Freud entsprechend, viel Energie nutzlos vertan, denn die Fruchtbarkeit eines Denkers erweist sich nicht daran, daß seine Begriffe stets akademisch exakt sind, sondern vielmehr an der wirklichkeitserschließenden Macht seiner Kategorien und Perspektiven. Entscheidend für den hier erörterten Sinnzusammenhang ist, daß Marx das menschliche Unglück nicht als Widerspruch zwischen individuellem Glücksstreben und Gesellschaftsmoral begreift, sondern als Unglück der Gesellschaft selbst, das den einzelnen gleichsam durchtränkt, seine besten Anlagen verdirbt und seine Möglichkeiten als „Gattungswesen“, wie Marx sagt, beseitigt. Dieser Kritik, die durch mannigfaltige Belege aus der Realität konkretisiert und begründet werden kann, müssen wir uns stellen, auch wenn (oder gerade weil) Marx der autoritären Staatsführung des Sozialismus, die wir nicht akzeptieren, als Rechtfertigungsgrundlage und mancher politischer Gruppierung als Vorwand für anarchistischen Terror dient.

In der kapitalistischen Gesellschaft, wo Geld und kommerzielle Verwertbarkeit das Maß fast aller Beziehungen ist, kann der Mensch nach Marx nicht nur kein Glück erfahren, er kann es im Grunde nicht einmal intendieren, weil er in seiner von den gesellschaftlichen Zuständen korrumpierten Erfahrung kaum noch weiß, was das ist. Alle Änderungen in dieser Hinsicht müssen demnach ansetzen bei einer Änderung der materiellen Bedingungen, der ökonomischen Verhältnisse zumal, zuerst wohl bei der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, das die Arbeit ihres Charakters einer sinnerfüllten Selbstverwirklichung des Menschen beraubt und fremden Zwecken unterordnet.

Marx hat seine materialistische Gesellschaftslehre in der Auseinandersetzung mit der idealistischen Philosophie entwickelt, und dieser hielt er entgegen, daß sie die glückhafte Erfüllung menschlichen Lebens in das Reich der Abstraktionen und einer lebensentrückten Vernunft verwiesen hatte. Ein großer Teil der idealistischen Philosophie anerkannte das Glück überhaupt nicht als menschenwürdigen Lebensinhalt Seine Pflicht sollte der Bürger erfüllen, auf Glück hatte er keinen Anspruch, zumindest nicht im Beruf, bei der Arbeit und den alltäglichen Verrichtungen. Glücksbedürfnisse mußten verinnerlicht und innerlich ausgetragen werden. Dagegen wandte sich Marx, betroffen von der physischen und psychischen Not der Arbeiter, mit aller Entschiedenheit. Er unterlief die wirklichkeitsentrückte Vernunftphilosophie und forderte einfach und direkt „die Gleichberechtigung am Lebensgenuß" Er verwarf die Ideologie der bürgerlichen Nationalökonomie, die Glück und Freiheit nur als Gegensatz der Arbeit verstehen konnte, und lehrte dagegen, daß die Quelle des Glücks nicht außerhalb der konkret praktischen Arbeit liegen dürfe, die den überwiegenden Teil unseres Lebens erfüllt, sondern vielmehr mitten in ihr. Marx wollte daher auf dem Wege der Revolution die Entfremdung im Arbeitsprozeß aufheben und alle ungenutzten produktiven Anlagen in die Produktion einbringen. Das würde, meinte er, Glück und Genuß für alle gewähr-leisten. Den genießenden Menschen dem kapitalistischen Menschen überzuordnen, das war sein humanistisches Hauptanliegen

Was bedeutet das für die Erziehung im allgemeinen und für Schulpädagogik und Didaktik im besonderen? Marx’ Denkansatz hält zunächst und vor allem zur Skepsis an gegenüber allen Hoffnungen, die sich beispielsweise an selbstgenügsame, innere Schulreformen knüpfen. Der Machtanspruch der Gesellschaft, die nicht primär an den Bedürfnissen ihrer Träger, sondern an Warenumsatz und Profit orientiert ist, die das Glück von der Arbeit zur Erhöhung der Effizienz abtrennt und ihm in der „Freizeit“ zweifelhafte Ersatzbefriedigung anbietet, die Macht dieser Gesellschaft über die Schule ist zwingend, und es wäre völlig illusorisch, grundlegende Änderungen in der Schule zu erwarten, wenn nicht entsprechende Änderungen im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang vorausgehen. Die materialistische Theorie erinnert daran, daß eine glückliche Kindheit und Schulzeit nur in einer entsprechend vorgebildeten Gesellschaft möglich sind, die in sich selbst schon, soweit das überhaupt möglich ist, glücklich ist und keiner gewaltsamen künstlichen Inszenierungen bedarf, damit naheliegende Glücksforderungen in die Praxis umgesetzt werden. Vergessen wir nicht, um ein konkretes Beispiel zu nennen, daß alljährlich bei den Versetzungen von einer Klasse in die andere an nicht wenigen Orten die Verzweiflung ausbricht, die reine Existenznot, bei Kindern und Eltern, vor Scham und Angst wegen des peinlichen Mißerfolgs. Indiz für diese Situation ist die amtlich eingerichtete Telefonfürsorge, an die sich, beispielsweise in Berlin, Kinder wenden können, die sich nicht nach Hause trauen, und Eltern, die in der Situation zu scheitern drohen. Dieser Telefonnotdienst kuriert am Symptom, beseitigt aber nicht die Quelle des Übels. Niemand sollte ihn abschaffen mit dem Argument, er sei zu nichts nütze. Doch wer wollte sich mit ihm begnügen und behaupteten, so sei es gut und besser ginge es nicht. Marx und das materialistische Denken immunisieren den Schulpädagogen in Theorie und Praxis®vor neuen Anfällen seines, wie einmal scherzhaft formuliert wurde, Prometheus-Komplexes, der in der Überzeugung besteht: Hier stehe ich, bilde Menschen nach meinem Entwurf. Eben das vermag er, da er eingeflochten ist in die wirtschaftlich-politischen Bedingungen, nicht oder nur in sehr bescheidenem Maße. Ein einziges konjunkturpolitisches Gesetz kann, überspitzt formuliert, mehr Einfluß auf das innere Gefüge der Schule haben als die gesamte didaktische Literatur. Es genügt, an das im Grunde schulexterne Problem des Numerus clausus zu erinnern, um die Aussage vom massiven und direkten Einfluß wirtschaftlich-politischer Faktoren auf die Schule noch einmal zu verdeutlichen und zu veranschaulichen.

Die produktive Kehrseite dieser Warnung vor einer sich selbst genügenden Schulpädagogik ist die Aufforderung zum politischen Engagement. Gewiß gibt es heute nicht mehr „die soziale Frage“ des 19. Jahrhunderts, die Marx erheblich beeinflußt hat. Etliche Grundübel unserer Gesellschaft, auf die er vor rund hundert Jahren verwiesen hat, sind trotzdem bis heute nicht beseitigt und daher als Behinderungen des Glücks zu denunzieren. Unsere Bedürfnisse sind immer noch, den degenerierten „Bedürfnissen" der Arbeiter im 19. Jahrhundert nicht unähnlich, vorprogrammiert und auf das ökonomisch Opportune reduziert. Der tatsächliche Genuß der durch die Produktion erzeugten materiellen Güter ist eklatant ungleich verteilt. Die Hauptmasse der in der Produktion Tätigen hat nur geringe Verfügungsgewalt über den geschaffenen Wertzuwachs. Soziale Randgruppen, denen es an elementaren Voraussetzungen für physisch-psychisches Wohlbefinden fehlt, sind ein fester Bestandteil unserer im Überfluß lebenden Gesellschaft. Das Problem der „Gastarbeiter“, die als bequeme und billige Arbeitskräfte bestellt wurden und dem System Ungelegenheiten bereiten, wenn ihre Ansprüche auf dem inzwischen erreichten Niveau befriedigt werden sollen, bestätigt nicht nur unter neuen Vorzeichen, daß Marx'politisch-wirtschaftliche Kategorien auch die Realität des 20. Jahrhunderts zu erschließen vermögen: es lenkt den Blick darüber hinaus auf die Weltsituation im ganzen, die gekennzeichnet ist durch den krassen Gegensatz zwischen Unglücklichen und Glücklichen im materiell konkreten Sinn des Wortes.

Zu der Mühe, die der Schulpädagoge, wenn er in der hier skizzierten Weise denkt, den erwähnten Benachteiligten zuwendet, kommen weitere den Normalfall und die Regel-schule betreffende Intentionen. Die Auswahl der Unterrichtsinhalte, die Einstellung des Lehrers und sein erzieherischer Umgang mit den Kindern, vom Engagement außerhalb des Unterrichts einmal abgesehen, werden nie t unerheblich von der materialistischen Gese schaftskritik beeinflußt. Der angegebene Denkansatz würde sich dementsprechend 5 der Neukonzeption von Rahmenlehrplänen auswirken und die durch die berüchtigten hessischen und nordrhein-westfälischen Richtlinien eingeschlagene Tendenz bestärken. Eigene Glücksansprüche vor Verfälschungen bewahren zu können, dieses Lernziel sollte nicht parteipolitischem Kalkül zum Opfer fallen

V. Glücksansprüche im Licht der Sowjetpädagogik Zu den großen Stagnationen in der Geschichte der Emanzipationsbemühungen gehört es, daß die von Marx intendierte Befreiung der Gesellschaft und des Individuums nicht in jeder, aber doch in vieler Hinsicht nahezu in ihr Gegenteil umgeschlagen ist und das Land der ersten Marxschen Revolution, die Sowjetunion, so genuß-und glückfeindlich geworden ist wie kaum ein anderes. In den theoretisch-normativen Äußerungen wird der Anspruch des Menschen auf Glück keineswegs geleugnet, aber in der Praxis reduziert er sich auf Uneigennützigkeit und systemgetreue Pflichterfüllung.

Zunächst einige Angaben zum Anspruch und zur Theorie. Der Kommunismus vereine die Freiheit mit dem Glück, heißt es stolz und zukunftssicher in einem weit verbreiteten Lehrbuch der Pädagogik Das Glück der Kinder zu wollen — diese Behauptung sei heuchlerische Ideologie in der bürgerlichen Pädagogik, in der sozialistischen Pädagogik hingegen realitätsgerecht, stellt ein anderes Lehrbuch fest, das für Oberstufenlehrer geschrieben ist Auch das Gesetz kennt den individuellen Glücksanspruch und erklärt, daß es „der Garantierung einer glücklichen Kindheit große Aufmerksamkeit" schenke Nicht ohne Pathos proklamierte auch das Programm der KPdSU von 1961, das die Entwicklungstendenzen bis 1980 vorzeichnen wollte: „Es gehört zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben des Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft, jedem Kind eine glückliche Kindheit zu sichern."

Es würde der Fortschrittsbewegung zur Vermehrung des Glücks wenig dienen, wenn man derartige Deklarationen nur als Hohlformeln und pure Ideologie denunzierte. Der Begriff des Glücks läßt sich nicht beliebig manipulieren und bleibt geeignet, die Realität an ihre unerfüllten Möglichkeiten zu erinnern. Mir scheint auch, psychoanalytisch argumentiert, daß sich die Gesellschaft mit derartigen hohen Zielen ein „ideales Selbst“ vorhält, dem nachzustreben jedermanns Pflicht und Schuldigkeit ist, auch wenn die Realität den Fortgang hemmt. Die Realität kritisch zu befragen, kann gleichwohl nicht verfehlt sein. Wie steht es mit dem Glücksverlangen des Menschen, des Jugendlichen zumal, in der sowjetischen Wirklichkeit?

In der sowjetischen Wirklichkeit werden die meisten Formen des Glücks von Pflichterfüllungen überlagert und als deren Besitztum vereinnahmt. Die Anzahl der offiziellen Appelle zur Pflicht und zur sozialistischen Arbeitsmoral, zur Verantwortlichkeit gegenüber Kollektiv und Gesellschaft und zur gewissenhaften Befolgung des kommunistischen Moralkodex ist groß und wird ständig größer. Die Schüler werden einem exakt ausformulierten Verhaltenskodex unterworfen, der an preußischen Drill erinnert. Studenten sind einem scharfen Leistungs-und Disziplinzwang ausgesetzt, den die „Neue Linke" bei uns als übelste reaktionäre Repression beschimpfen würde Auch die Schulbücher legen Zeugnis ab von der geradezu suggestiven Eindringlichkeit, mit der Jugendliche zur Hingabe an die Sache des Kommunismus und der Sowjetmacht aufgefordert werden Die besondere Denkschwierigkeit besteht nach den bisher erarbeiteten Ergebnissen darin, daß dies alles nicht im Widerspruch zu Marx deklariert und praktiziert wird, sondern in Übereinstimmung mit ihm, zumindest aber im Anschluß an ihn. In dem schon erwähnten Lehrbuch heißt es:

„Die kommunistische Weltanschauung ermöglicht es jedem sowjetischen Menschen, die Verbindung seiner eigenen, oft unbedeutend scheinenden Tätigkeit mit dem gigantischen Kampf des ganzen Volkes für den Kommunismus zu erkennen, die Nützlichkeit seiner Arbeit zu empfinden und darin sein wahres Glück zu finden. Der glückliche Mensch ist der, sagte Marx, welcher die meisten Menschen glücklich macht.“

Anhand des ersten in diesem Aufsatz gegebenen Marx-Zitates (vgl. Anm. 31), das die These Freuds von der Unglück produzierenden Gesellschaft relativieren und die Gegenthese von den Glücksmöglichkeiten durch und in der Gesellschaft stützen sollte, ist zu ersehen, daß Marx hier nicht falsch referiert wird. Der sowjetischen Auswertung derartiger Passagen könnte entgegengehalten werden, daß sie Marx vereinseitige, daß sie mit der die Ächtung aller sogenannter Müßiggänger implizierenden Forderung nach völliger Hingabe des einzelnen an den kollektiven Nutzen unter anderem den Lebensgenuß, der nach Marx Bestandteil und Lohn der Arbeit sei, völlig unterschlage. Das wäre ein Änderungsversuch an ungeeigneter Stelle. Wenn Marx’ Werk der sowjetischen Interpretation nicht grundsätzlich widerspricht — und das ist hier die These—, dann liegt der Mangel nicht oder zumindest nicht nur in der sowjetischen Interpretation, sondern direkt im Werk Marx'. Wie der Mangel ausgeglichen werden könnte, wurde mit dem gedanklichen Einstieg bei der Psychoanalyse schon antizipierend angedeutet und wird in späteren Abschnitten weiter erörtert. Der Befriedigung oder gar Glück bringende Einsatz des einzelnen für „die allgemeine Wohlfahrt" müßte, in welchem Stadium der Seins-und Bewußtseinsänderungen das auch sei, dialektisch bezogen bleiben auf die höchst individualistische, ja egoistische Glücksbefriedigung, ohne die der Mensch zum heroischen, genuß-und glücksfeindlichen Asketen verblaßt. Das zumindest entnehme ich der sowjetischen Erfahrung. Marxisten, die bereit gewesen wären, von Freud zu lernen, hätten sich auch schwerlich den sadistischen Zwängen unterworfen, die Stalin im Namen des Sozialismus verbreitet hatte: diese von Reich, Osborn u. a. vertretene These (vgl. Anm. 61) bestätigt und ergänzt die vorliegende Interpretation. Das Ziel der Sowjetunion wird mit Marx so umschrieben: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnis-s e n." Die Realität begnügt sich jedoch mit der Maxime: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung" Dieser Abbruch einer emanzipatorischen Bewegung ist unbefriedigend.

Die Erziehung zur Pflicht war nicht von Anfang an in diesem Maße bestimmend für die sowjetische Pädagogik und die sowjetische Wirklichkeit im ganzen. Nach der Oktober-Revolution gab es nicht wenige Kräfte, die — zum Teil inspiriert von westeuropäischen und amerikanischen Reformideen — das Eigenrecht des Kindes und seinen Schutz vor gesellschaftlichen Machtansprüchen entschieden verteidigten Mit der offiziellen Anerkennung Makarenkos als maßgeblichem Sowjetpädagogen im Jahre 1936 wurde die Idee der Pflicht zur Kontrollinstanz pädagogischen Denkens und Handelns erhoben. Auch Makarenko leugnet nicht den menschlichen Anspruch auf Glück. Aber er lenkt diesen ausschließlich und allen Widerreden unzugänglich auf die in der sozialen Bewährung liegenden Befriedigung. Glück i s t Pflichterfüllung und Disziplin. Wer sich dem Kollektiv einfügt und vorbehaltlos widmet, wird glücklich Drei ausgewählte Textstellen, die durch eine Fülle weiterer Belege ergänzt werden können, seien zur Illustration von Makarenkos Glücksmodell vorgestellt

„In der Sowjetunion kann kein Individuum außerhalb des Kollektivs leben, und darum kann es auch kein isoliertes persönliches Schicksal, keinen persönlichen Weg und kein persönliches Glück geben, die dem Schicksal und dem Glück des Kollektivs entgegenstehen."

. Jenes menschliche Glück, das unsere große proletarische Revolution erkämpft hat und das von Jahr zu Jahr größer werden wird, dieses Glück muß allen gehören, auch ich — als einzelner Mensch — habe ein Recht auf dieses Glück. Ich möchte ein Held sein und große Taten vollbringen, Staat und Gesellschaft möglichst viel geben, und gleichzeitig möchte ich ein glücklicher Mensch sein. So sollen unsere Kinder sein. Sie sollen sich opfern, wenn es nötig ist, ohne Bedenken, ohne Berechnung, ohne über ihre Taten oder über Glück und Leid Buch zu führen, andererseits sein. aber sollen sie glücklich (. . .)

Die volle Möglichkeit eines solchen reinen

Glücks, die unbedingte Notwendigkeit dieses Glücks wurde durch unsere Revolution erkämpft und ist durch die Sowjetordnung gewährleistet. In der Einheit unseres Volkes, in der Treue zur Partei... liegt das Glück unserer Menschen. Man muß ein ehrlicher, in seinen Gedanken und Taten parteiverbundener Mensch sein, denn zum Glück gehört unbedingt die Überzeugung, daß man richtig lebt und daß es hinter einem weder Gemeinheit noch Gaunerei, Gerissenheit, Intrige oder andere Niederträchtigkeiten gibt. Das Glück eines solch offenen, ehrlichen Menschen bringt nicht nur diesem Menschen selbst hohe Zinsen, sondern vor allem seinen Kindern. Deshalb lassen Sie mich Ihnen sagen: Wenn Sie wollen, daß Ihre Kinder gut sind, dann seien Sie glücklich."

„Das Leben in der Klassengesellschaft ist das Leben eines ungleichen Kampfes, ist die Geschichte der Gewalt und des Widerstandes gegen die Gewalt. In diesem Schema bleibt für das menschliche ein so begrenzter Glück und fragwürdiger Raum, daß in künstlerischer Gestaltung davon zu sprechen hieße von Dingen zu sprechen, die keine gesellschaftliche Bedeutung haben.

Das auf Reichtum begründete Glück war Gegenstand eines rein persönlichen, gewissermaßen versteckten, geheimen . Verbrauchs', der den Neid derjenigen hervorrufen mußte, die durch die Ungleichheit der Menschen auch nur eine Stufe niedriger gestellt waren.

n der erbarmungslosen Ausbeutergesellschaft schwankte das Leben des Individuums zwischen dem zynischen Leben des Unterrückers und dem ebenso zynischen und widerwärtigen Leben des Unterdrückten, und deshalb barg das Glück stets ein gewisses ement des Zynismus in sich.

Erst die Oktoberrevolution ermöglichte zum erstenmal in der Weltgeschichte die Geburt eines echten, prinzipiell sauberen, reinen Glücks. Erst zwanzig Jahre sind seit den Tagen des Oktober vergangen, und vor unseren Augen wird in unserem Lande dieses Glück von Tag zu Tag intensiver und aufrichtiger verwirklicht. Wie lächerlich ist es in unserer Zeit, nur von Liebesglück zu sprechen, jenem einzigen, zwangsläufigen Surrogat des Glücks, von dem die alten Schriftsteller irgendwie zu sprechen versuchten."

Zwei Elemente sind in den zitierten Passagen der abermaligen Betonung wert. Das erste: mit einer Schärfe ohnegleichen betont Makarenko jene Form des Glücks, die sich aus der Einstimmung des einzelnen» in gesellschaftliche Normen ergeben können, nach Makarenko: ergeben müssen. „Zum Glück gehört unbedingt die Überzeugung, daß man richtig lebt.“ Richtig lebt, wer die Ideale und Anforderungen der Partei erfüllt. Es ist etwas fatal Richtiges an dieser Argumentation, auch vom psychoanalytischen Standpunkt aus, wie er im dritten Abschnitt erläutert wurde, denn die von allen Zweifeln und Rollenkonflikten unbeeinflußte, glückhafte Sicherheit von Eltern, „richtig" und in Übereinstimmung mit der Sozietät zu leben, bietet in der Tat auch den Kindern eine gewisse Gewähr, ebenfalls „gut" und „glücklich“ zu werden. Das zweite beachtenswerte Element ist die unverhohlene Geringschätzung des sexuellen Glücks als solchem, die leitmotivartig auch an anderen Stellen im Werke Makarenkos zum Ausdruck kommt. Geliebt wird, wenn es dem Kollektiv nicht mißfällt. Das Kollektiv zu stärken, das ist die eigentliche Moral persönlicher Liebe, wie Makarenko sie verstand.

Als Norm ist Makarenkos Glücksmoral in der Sowjetunion heute voll anerkannt, und die von der Parteiideologie gelenkte Wirklichkeit muß ihr erhebliche Zugeständnisse machen. Die „freie Liebe", legitimiert und gefördert in den ersten Jahren der Sowjetherrschaft, hat einer strengen, auf Pflicht und Verantwortung gegründeten Ehemoral Platz gemacht Groß ist die Anzahl der Publikationen, die vor einer leichtsinnigen Einstellung zur Ehe warnen, die darauf hinweisen, daß die „staatsbürgerliche Reife" nicht mit der biologischen Reife zusammenfalle, daß also die jungen Leute warten sollten, bis die moralischen, beruflichen und materiellen Bedingungen für eine glückliche Ehe gegeben seien, daß sie sich nicht der physischen Lust und den äußeren Anziehungen hingeben sollten

Diese Publikationen verlangen demnach die gleiche politisch und ökonomisch zweckdienliche Verinnerlichung und Sublimierung des Glücksverlangens, die von der bürgerlichen Moral für gut befunden wurde und noch für gut befunden wird (vgl. Anm. 37). Der bürgerliche Robespierre mit seiner Vaterlandsliebe und Selbstverleugnung, der unser persönliches Glück in der Wohlfahrt aller aufgehen läßt, der Vernunft und Tugend inthronisieren und jede genußfreudige Erotik verstoßen wollte: in den sowjetischen Schulgeschichtsbüchern ist er der maßgebliche Held Doch offenbar sind die Triebstrukturen auch in der Sowjetunion nicht beiehrbar; anders sind die zahllosen Maßnahmen zur Wahrung der rechten Disziplin und zum Kampf gegen triebhafte Ansprüche und deren Ersatzregungen nicht verständlich (vgl. Anm. 45). Jährlich am l. Juni, dem Tag des Kinder-schutzes, propagieren fast alle offiziellen Publikationsorgane, daß „allen Kindern eine glückliche Kindheit" gesichert werden müsse Dann aber werden die ruhmreichen Leistungen der kommunistischen Partei auf dem Gebiet der Kinder-und Jugendfürsorge aufgezählt und im Kontrast dazu die Kinderfeindlichkeit der imperialistischen Länder geschmäht, mithin also der eigene politische Standort gerechtfertigt und die Mängel woanders gesucht. Das ist nur eine Bestätigung des inzwischen analysierten reflektierenden Umgangs mit dem Ziel des menschlichen Glücks in der Sowjetunion. Um nicht mißverstanden zu werden: Diese Ausführungen sollen in keiner Weise die beachtlichen Leistungen der Sowjetunion auf dem Gebiet von Bildung und Erziehung schmälern. Die Bemühungen um materielle Sicherung menschlichen Glücks, zumal der Jugendlichen, sind tatsächlich in vieler Hinsicht vorbildlich. Auch wäre die Wirklichkeit verzerrt dargestellt, wenn man nur die von der Partei und den Kollektivorganen ausgehenden Momente des Zwangs und der Einengung vermerkte. Die Sorge der Kollektive um den einzelnen, der Älteren um die Jüngeren und der Jüngeren um die Gleichaltrigen hat auch etwas Leitbildhaftes, das schon manchen westlichen Beobachter fasziniert und zu dem eindeutigen Schluß geführt hat, daß in der Sowjetunion mehr für das Wohl der Jugend getan werde als beispielsweise in den Vereinigten Staaten Es ging hier um die gedankliche Klärung des Glücks unter pädagogischem Aspekt, und das Modell der Sowjetunion, wie sie sich offiziell darstellt, war geeignet darzulegen, daß die undialektische und eindimensionale Berufung auf nur eine Quelle des Glücks, indem sie einen Gedankengang im Werke Marx'profiliert und überdehnt, am Ende kein befriedigendes Ergebnis zeitigen kann. Einer die tatsächlichen Umstände übersteigenden, die konkreten gesellschaftlichen und staatlichen Möglichkeiten gleichwohl nicht verlassenden Zukunftsperspektive bedarf es jedoch, wenn eine Pädagogik des Glücks nicht beziehungslos und rein appellativ dahingestellt, sondern in einen wissenschaftstheoretischen und politischen Bezugsrahmen verankert werden soll. Die bisherigen Ergebnisse fordern auf, weitere Impulse für die Fortführung des Versuchs zu suchen, eine materialistische Sozialwissenschaft mit der durch Freud ins Leben gerufenen Psychoanalyse zu vereinen, denn jede Denkrichtung, bleibt sie isoliert und unkontrolliert, führt zu bildungspolitischen und pädagogisch praktischen irrigen Ergebnissen.

VI. Zur Verbindung von Materialismus und Psychoanalyse Freud hat sich verschiedentlich zu Marx und der von Marx ausgehenden politischen Bewegung geäußert. Zeitweise schroff ablehnend, wurde seine Einstellung zum Marxismus in den letzten Lebensjahren die einer abwartenden Skepsis, eines Nebeneinanders von prinzipieller Anerkennung des Marxschen Den-kens und gleichzeitiger Abwehr aller von dorther kommenden Exklusivansprüche. Intellektuell redlich und sicher genug, räumte er im übrigen ein, von der Sache im ganzen nicht viel zu verstehen, was wohl den Tatsachen entspricht Marx und Engels haben sich aus Gründen der Chronologie nicht ebenso direkt über Freud äußern können wie dieser über sie. Daß sie keinen Anlaß gesehen hätten, dem Denken Freuds wahrheitsfindende Relevanz einzuräumen, ja, daß sie über seine Sozialanthropologie mit sarkastischer Ironie hergezogen wären, kann jedoch als sicher angenommen werden In der Sowjetunion wird Freud strikt abgelehnt Auf der anderen Seite wird Freud in der Bundesrepublik wie in der übrigen kapitalistischen Welt, sofern für einen einzelnen Beobachter, dessen Kompetenz auf diesem Gebiet überdies sehr begrenzt ist, ein Urteil überhaupt möglich ist, ohne die radikale Gesellschaftskritik des Materialismus interpretiert. Freud sei im Grunde gesellschaftskritisch genug, heißt es beispielsweise. Man müsse ihn nur neu interpretieren Besinnungen darauf, daß Psychoanalyse im Grunde eine kostspielige Exklusivität für wenige ist, gibt es nur in Ansätzen. Darüber hinaus verschafft sich eine andere psychoanalytische Richtung Geltung, die wieder dem „Geist" und dem „Sinn" zu ihren von Trieb-und Gesellschaftsstruktur unabhängigen Rechten verhelfen will (vgl. Anm. 32). In ihren Ursprüngen wie in ihren gegenwärtigen weltgeschichtlichen Ausprägungen widersprechen Psychoanalyse und Materialismus also einer Vereinigung. Es gibt nur wenige, bei denen der hier entwickelte Versuch Unterstützung finden würde. Volle Bestätigung fände er bei der sogenannten „Freudschen Linken", vor allem bei Siegfried Bernfeld In zumindest partieller Überein-stimmung steht er mit der sogenannten „Kritischen Theorie", über diese und ihre pädagogischen Implikationen sollen einige Angaben angefügt werden.

Die Kritische Theorie wollte keine neue Philosophie der höchsten Prinzipien sein, sondern eine aufs Konkrete und Materielle zielende Theorie der Gesellschaft. Sie ist nicht als ein in sich geschlossenes, in jeder Beziehung stimmiges Denksystem zu verstehen, sondern als eine von verschiedenen Autoren auf verschiedene Weise inspirierte Denkbewegung, die an mehreren, voneinander durchaus unabhängigen Vorläufern anknüpfte, an Freud und an Marx zum Beispiel, aber auch an Kant und der deutschen Aufklärung Besondere Relevanz für den hier entwickelten Zusammenhang haben die (Arbeiten von Marcuse und Horkheimer, weil es hier nur wenige Seiten gibt, die nicht ausdrücklich vom menschlichen Glück handelten. Die Frage nach den Chancen und den Verwirklichungen des Glücks ist Leitmotiv vieler ihrer auf Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft gerichteten Reflexionen. Auch Blochs großes Werk über „das Prinzip Hoffnung" läßt sich prinzipiell unter der Leitfrage nach zukünftigem Glück subsumieren. Bei Adorno und Habermas geht es, wie man weiß, eher um die Frage der „Mündigkeit" und der „Vernunft" und des „erkenntnisleitenden Interesses". Erziehungswissenschaftler, die sich der Kritischen Theorie zuwenden, werden also je nach eigener Fragestellung zu verschiedenen Ergebnissen gelangen Diese sind jedoch, eine grundsätzlich positive Einstellung zur Kritischen Theorie vorausgesetzt, nicht als Widersprüche, sondern als Ergänzungen zu verstehen. Mit der Kritischen Theorie vergewissern wir uns des methodischen Ansatzes bei den „Bedürfnissen" des Menschen.

Dazu ein charakteristisches Zitat:

„Die Kritische Theorie kommt zur Frage nach der Wahrheit und-der Allgemeinheit des Glücks bei der Klärung der Begriffe, mit denen sie die vernünftige Gestalt der Gesellschaft zu bestimmen sucht. Enthält doch eine jener Bestimmungen, durch die die Assoziation freier Menschen umschrieben wird, ausdrücklich die Forderung, daß jedes Individuum nach seinen Bedürfnissen am Sozialprodukt Anteil haben solle. Mit der allseitigen Entwicklung der Individuen und der Produktivkräfte kann die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen'. Hier taucht die alte hedonistische Definition wieder auf, die das Glück in der allseitigen Befriedigung der Bedürfnisse sieht. Die zu befriedigenden Bedürfnisse der Individuen sollen zum regelnden Prinzip des Arbeitsprozesses werden."

Schon das Vokabular dieses ersten Zitates verrät die Nähe der Kritischen Theorie zum materialistischen Denken. Deutlicher wird dieser Zusammenhang in folgenden Ausführungen: „Nach der Überzeugung ihrer Begründer ist die kritische Theorie der Gesellschaft wesentlich mit dem Materialismus verbunden. Dies meint nicht, daß sie sich damit als ein philo-sophisches» System gegen andere philosophische Systeme stellt. Die Theorie der Gesellschaft ist ein ökonomisches, kein philosophisches System. Es sind vor allem zwei Momente, die den Materialismus mit der richtigen Theorie der Gesellschaft verbinden: die Sorge um das Glück der Menschen, und die Über-zeugung, daß dieses Glück nur durch eine Veränderung der materiellen Daseins-verhältnisse zu erreichen sei."

Mit Freud teilt die Kritische Theorie unter anderem die Auffassung, daß die bürgerliche Gesellschaft in dem auferzwungenen Verzicht auf Lust, auf Triebbefriedigung und Glück ins Sadomasochistische zurückfalle und Freude an Grausamkeiten entwickle daß Glücks-verlangen etwas durchaus individuell Egoistisches und in engem Zusammenhang mit sinnlichem Genuß und geschlechtlicher Liebe zu verstehen sei. Zahlreiche Bezüge zu Freud stellt Adorno her, wenn er seine Leitgedanken von Erziehung entwickelt Horkheimer lehnt es ganz im Sinn von Freud ab, zwischen Lust und Glück einen terminologischen Unterschied zu machen. Scharf ist auch seine Kritik an der „vorschriftsmäßig freudigen Gemütsverfassung", die nicht genießend und nicht lustvoll, sondern im Grunde resignativ und bitter sei.

„Es ist beim bürgerlichen Typus nicht so, daß von den lustvollen Augenblicken auf das ganze Leben Glück ausstrahlte und auch jene Abschnitte noch hell färbte, die an sich nicht erfreulich sind. Die Fähigkeit zu unmittelbarer Lust ist vielmehr durch die idealistische Predigt der Veredelung und Selbstverleugnung geschwächt, vergröbert, in vielen Fällen ganz verloren. Ausbleiben von Schicksalsschlägen und von Gewissenskonflikten, das heißt die relative Freiheit von äußeren und inneren Schmerzen und Ängsten, ein neutraler, oft recht trüber Zustand, in dem die Seele zwischen äußerster Betriebsamkeit und Stumpfsinn hin-und herzuschwanken pflegt, wird mit Glück verwechselt."

Das tiefe Mißtrauen der Kritischen Theorie gegen die im bürgerlichen Zeitalter durchgehende Tendenz, das Glücksstreben von seinen eigentlichen im Materiellen und Sinnlichen verwurzelten Zielen abzulenken und auf „höhere" Werte zu bringen, zu entaktualisieren und im Ideellen, Abstrakten aufgehen zu lassen, dieses Mißtrauen ist ebenso materialistisch-politisch wie psychoanalytisch-therapeutisch begründet. Die Sorge um den an seinen Verinnerlichungen erkrankenden Menschen leitet die Kritische Theorie. Sie wendet sich nicht prinzipiell gegen Pflichterfüllung und Opferbereitschaft, aber sie fragt beständig, wem die geforderte uneigennützige Selbstdisziplinierung in Wirklichkeit dient. Mit den Worten Horkheimers:

„Aber die in der bürgerlichen Moral herrschende Tendenz, ausschließlich auf die Gesinnung Wert zu legen, erweist sich, besonders in der Gegenwart, als eine den Fortschritt hemmende Einstellung. Nicht Pflichtbewußtsein, Begeisterung, Opfer schlechthin, sondern Pflichtbewußtsein, Begeisterung, Opfer wofür entscheidet angesichts der herrschenden Not über das Schicksal der Menschheit. Opferbereiter Wille mag freilich im Dienst jeder Macht, auch der rückschrittlichsten, ein gutes Mittel sein; über das Verhältnis, in welchem sein Inhalt zur Entwicklung der Gesamtgesellschaft steht, gibt nicht das Gewissen Auskunft, sondern die richtige Theorie.“

Leider ist dieser letzte Gedanke, dem bereits oben (vgl.den letzten Teil in Abschnitt III dieser Arbeit) entscheidende bildungspolitische und didaktisch-pädagogische Relevanz zuerkannt wurde, nicht fortgesetzt und durch Anwendungsbeispiele konkretisiert worden. Die Kritische Theorie will ja bewußt eine Theorie bleiben und keine Handlungsanweisungen bieten. Für die Erziehung, vor allem in der Praxis, ist sie daher, dem ersten Anschein nach, wenig produktiv, und sie hat darüber hinaus für den Pädagogen ausgesprochen pessimistische Züge, denn ähnlich wie Bernfeld nimmt sie an und betont wiederholt, daß die gesellschaftlichen und anthropologischen Probleme weder durch Philosophie, noch durch Erziehung, und sei sie noch so geschickt, gelöst werden könnten. Erziehung und Unterricht dienen nach ihrem Urteil vorwiegend der Reproduktion des Bestehenden, nicht aber seiner Veränderung Am opti-

mistischsten gibt sich Adorno und das erziehungswissenschaftlich gesellschaftskritische penken in seinem Umkreis, da sie auf die a igkeit des Subjekts setzen, verunmündi-genden Tendenzen der Zeit kritisch denkend Widerstand entgegensetzen zu können

Doch auch die Einsicht des Erziehers und des Wissenschaftlers, daß sein Denken und Handeln nicht in erster Linie und nicht sofort gesellschaftsverändernd wirken und das große Glück herbeiholen kann, sollte kein Anlaß zum enttäuschten Verzicht, zur Resignation und zum Disengagement sein. Die Befreiung der Schule und anderer Erziehungs-oder Unterrichtsinstitutionen von der überschweren Bürde einer seit Generationen, ja Jahrhunderten anstehenden Gesellschaftsemanzipation, der Rückzug des Blicks von dem Fernziel einer glücklichen und befriedeten Menschheit auf das Nächstliegende und Konkrete bedeutet im Gegenteil, daß kritisch politisches und pädagogisches Engagement erst möglich wird. Große Erziehungsziele sind nutzlos oder sogar ideologisch schädlich, weil sie den Blick für die Realitäten verstellen. Das bombastische Programm mancher Schulgesetze zeigt, wie weit die proklamierte Norm von der Wirklichkeit abgehoben ist Eben darin zeigen sich Erzieher und Wissenschaftler dem materialistischen und psychoanalytischen Denken sowie der Kritischen Theorie verbunden, daß sie das Glück der Kinder und Jugendlichen nicht zu einem theoretisch überhöhten Konzept ausbauen, sondern aktiv praktisch dafür wirken, zufrieden auch mit dem scheinbar unscheinbaren Erfolg. Emst genommen und beharrlich verfolgt, wird sich das in der Schule konkretisierte, durch Schulpolitik und Schultheorie propagierte bescheidene Glück als Element jener größeren Veränderungen erweisen, an denen mitzuwirken die Erziehung zuvor verzichtet hatte.

Diese Stellungnahme ist gleichzeitig eine Antwort auf die pädagogischen Kritiken der Kritischen Theorie, die einen besonders scharf, ja polemisch argumentierenden Gegner in Lutz Rössner gefunden hat Die Kri-tische Theorie, so erläutert Rössner nicht ohne Grund, gibt weder über die anvisierte neue emanzipierte Gesellschaft, noch über das Wie der Emanzipation Auskunft. Konkrete didaktische, logische Entscheidungen werden durch die Kritische Theorie nicht nur nicht ermöglicht, sie werden durch die pauschalen Totaldeutungen sogar zusätzlich behindert. Diesem Urteil können wir uns ungeachtet der Stichhaltigkeit mancher Argumente und des zugegebenen pädagogischen Defizits nicht anschließen. Als zusätzlicher Beleg für den Einfluß, den die Kritische Theorie in der Praxis haben kann, sei die für die Didaktik der Politischen Bildung grundlegende Studie von Friedeburg und Hübner genannt, die sich der Denkformen der Frankfurter Schule bedient und zu sehr konkreten Ergebnissen gelangt ist Daß ein gravierender Unterschied besteht zwischen Unterrichtsverläufen, die im Sinn dieser Studie konzipiert sind, und traditionellen Unterrichtsverläufen, bedarf keiner längeren Begründung. Ideologiekritische Ansätze in der deutschen Pädagogik der Nachkriegszeit sind ohne die vorbereitenden Arbeiten der Kritischen Theorie überhaupt nicht denkbar Auch das Lehrerverhalten nimmt ganz bestimmte Formen an, wenn es nach Adornos Absicht mit einigen Tabus zu brechen bereit ist und die Rolle des Allmächtigen und stets Belehrenden, des Gerechten, Beherrschten und Sachwalters höherer Interessen aufgibt Daß schon die Begriffskategorien der Kritischen Theorie erklärenden Wert und praktischen Wert zu erlangen vermögen, ist schließlich an der kritischen Theorie der „eindimensionalen Schule“ zu ersehen, die Marcuses anthropologischen Begriff des „eindimensionalen Menschen" pädagogisch interpretiert

Entscheidend für eine Beurteilung der Kritischen Theorie unter pädagogischem Aspekt ist wohl, ob man sich auf die Idee einer vernünftigen Gesellschaft und den Anspruch auf mehr Glück überhaupt einläßt oder diese als irreale Utopien abweist. Die Ablehnung der Kritischen Theorie liegt oft nicht in dieser selbst begründet, sondern in den erziehungswissenschaftlichen Prämissen ihrer Kritiker. So zählt beispielsweise Witschel, nachdem er mit verdienstvoller Umsicht die erziehungstheoretischen Leitgedanken der Kritischen Theorie zusammengestellt hat, die Unterrichtslehre von Herbart, Ziller und Rein „zum gesicherten Bestand der Erziehungswissenschaft“, um von diesem Standpunkt aus über die Minderung von „Effizienz" und Leistung im Unterricht zu klagen Aber was ist Leistung und was ist Effizienz, pädagogisch interpretiert? Der Aufsatz hat genügend Belege erbracht dafür, daß die Kritische Theorie mit diesen Kategorien nicht widerlegt werden kann.

Vorbehalte der Kritischen Theorie gegenüber wären also unseres Erachtens nicht wegen des Mangels an praktischer Relevanz und wegen des überwucherns normativer Setzungen anzumelden. Gefahr droht eher dort, wo die Kritische Theorie ihre materialistischen Ursprünge verläßt und ein neues egozentrisches Elitebewußtsein zu prägen beginnt. Das ist unter anderem in den späteren Arbeiten Marcuses der Fall. Kritik in diesem Sinn haben nicht nur Marxisten geübt, sondern auch Psychoanalytiker, die ihre therapeutische Kunst gesellschaftspolitisch fortzuentwickeln wissen, wie beispielsweise der schon erwähnte H. E. Richter (vgl. Anm. 24). In Richters Kritik an Marcuse heißt es unter anderem

„Das Bild des befreiten Zukunftsmenschen, das Marcuse vorzeichnet, ist im Grunde individualistisch geprägt. Das mag zu verstehen helfen, warum man innerhalb der Protestbewegung paradoxerweise ausgerechnet solchen Verhaltensweisen geradezu huldigte, mit denen man sich die Solidarisierung bereits im eigenen Kreis unmöglich machte. Und warum man sich nichtsdestoweniger der Illusion hingab, mit solchen Verhaltensweisen die Form menschlichen Zusammenlebens in einer befreiten sozialistischen Gesellschaft vorwegzunehmen. Marcuses Metapsychologie wur e als Entwurf eines neuen, sozialistischen Menschentyps mißdeutet — sie ist in Wir lichkeit eine modifizierte Neuauflage idea lis tisch individualistischer Modelle aus e 19. Jahrhundert, angelehnt an die ästhetisc Philosophie Schillers und die Libido-und Persönlichkeitstheorie Freuds."

Richter mahnt also, über der persönlichen, individuellen Selbstbefreiung das Lernziel Solidarität nicht aus den Augen zu verlieren, und diese Mahnung muß auch von einer Pädagogik des Glücks beachtet werden. Lange bevor in der Stalinzeit das staatliche Leistungs-und Konkurrenzprinzip wieder inthronisiert wurde, prägte Krupskaja, die große sowjetische Pädagogin, in einer mehr beiläufigen Auseinandersetzung mit Ellen Key den Satz: „Das lebendige Gefühl der geistigen Solidarität gegenüber den Mitmenschen ist ein großes Glück und eine große Kraft." Eine derartige Solidarität zu üben oder zumindest die Einsicht und die Erfahrung zu vermitteln, daß glückhafte Gemeinsamkeit, Verpflichtung gegenüber einer Aufgabe, solidarisches Handeln unter einem von allen ähnlich empfundenen Leidensdruck möglich und wünschenswert ist, gehört unseres Erachtens zu den derzeit wichtigsten und schwierigsten Aufgaben einer Pädagogik des Glücks. — Die folgenden Schlußfolgerungen beziehen sich auf den Erfahrungsbereich des Verfassers, die Schule, sind jedoch mit entsprechenden Modifikationen auch für andere Erziehungsbereiche gültig. VII. Schlußfolgerungen 1 . Zu den vorrangigen Aufgaben der Schule gehört die Organisation zweckrationalen, effektiven Lernens. Schule würde jedoch ihre Bestimmung verfehlen und der Enthumanisierung dienen, wenn sie Zufriedenheit und Glück der Schulkinder programmatisch-theoretisch und gegenwärtig praktisch nicht gleichermaßen berücksichtigte.

2 Bei der wissenschaftlichen Klärung des Glücksphänomens sind schulinterne (oder schulimmanente) und schulexterne Faktoren zu unterscheiden. Zu den schulinternen Faktoren gehören unter anderem Unterrichtsmethoden und Verhaltenseigenschaften des ehrers; zu den schulexternen Faktoren gehören gesellschaftlich vorgegebene Wertvorstelungen, Leistungsansprüche und Wirtschaftsstrukturen. Wenn Glück ein Regulativ schulPa agogischen Denkens sein soll, bedürfen eide Faktorengruppen der stärkeren Realisierung. 3_ Insofern Schulpädagogik, die dem Lebens-si, der Heranwachsenden verpflichtet ist, 1 nicht auf das systemimmanent Statthafte beschränken kann, muß sie sich ihrer politischen Implikationen bewußt und entsprechend aktiv werden.

4. über Glücksansprüche und Glücksmöglichkeiten des Menschen wird der Pädagoge durch das psychoanalytische und materialistische Denken unterrichtet, nicht vollständig und für jeden Fall ausreichend, aber doch so, daß selbstverantwortlich reflektierte Planungen vorbereitet und fundiert sind. Jene wissenschaftlichen Ansätze oder Schulen, die sich auf beide Denkmodelle gleichzeitig beziehen, ohne damit ein neues, in sich geschlossenes System entwerfen zu wollen, verdienen stärkere Beachtung als bisher, vor allem in der Pädagogik.

5. In der Praxis muß sich die Schulpädagogik der besonderen Mithilfe der Psychoanalyse versichern, und zwar nicht nur im Hinblick auf Neurosen und Psychosen, sondern vielmehr im Hinblick auf Alltag und Normalität. Lehrerbildung, Lehrplangestaltung, innere Struktur der Schule und anderes mehr würden durch eine psychoanalytisch orientierte Schulpädagogik nicht unerhebliche Veränderungen erfahren.

6. Schule sollte in mindestens viererlei Weise an der Fundierung des Lebensglücks der Schüler beteiligt sein:

erstens dadurch, daß sie den Glückshindernissen (Konkurrenzangst, Leistungsdruck u. a.) in ihrem eigenen Kompetenzbereich entgegentritt und den Raum für freie, glückhafte Entfaltung und für solidarisches Verhalten erweitert; zweitens dadurch, daß sie Schüler befähigt, ihre Bedürfnisse und Glücksansprüche zu beachten und angstfrei zu vertreten;

drittens dadurch, daß sie Schüler im Nachdenken über eine bessere, vernünftige Gesellschaft übt und ihnen dementsprechend Handlungsdispositionen vermittelt;

viertens dadurch, daß sie Belastbarkeit und praktische Leistungsfähigkeit im Hinblick auf den „Lebenskampf“ erhöht. Die vierte und letzte Richtlinie beherrscht bislang in einseitiger Weise die Schule und bewirkt so im ganzen eine resignative Anpassung.

7. Da eine von den hier entwickelten Grundsätzen inspirierte Schule nicht überall und von selbst entstehen kann, sind Initiativen zu unterstützen, die — etwa dem Beispiel Neills folgend — die Idee zu verwirklichen suchen. Da die Bedürfnisse der Menschen verschieden sind, steht auch die Idee des Glücks der Uniformierung des Lernens in einer für alle unausweichlichen Regelschule entgegen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Audi politologisch betrachtet, ist die Menschheitsgeschichte arm an Epochen, in denen politische Herrschaft sich erkennbar von der Zielvorstellung des Glücks leiten ließ. Vgl. dazu H. Jäckel, über das Glück als politische Kategorie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 22/70, insbesondere S. 20. Dagegen betont T. Rülker, Der Glücksbegriff als pädagogische Kategorie in historischer und systematischer Sicht, in: Pädagogische Rundschau 25 (1971), S. 161— 178 die große Tradition der Glückspädagogik. Er räumt andererseits ein, daß alle pädagogischen Vorstellungen vom kindlichen Glück Theorie gvblieben sind und keinen Einfluß auf Praxis und Wirklichkeit ausüben konnten.

  2. Rülker, a. a. O., S. 162 ff. Vgl. zur Ergänzung die unter dem Registerstichwort „Glück" angegebenen Passagen bei A. Reble (Hrsg.), Johann Bernhard Basedow, Ausgewählte Schriften, Paderborn 1965. Ausführlicher zur Französischen Revolution ist W. U. Drechsel, Erziehung und Schule in der Französischen Revolution, Frankfurt—Berlin—München 1969, insbesondere S. 62 ff.

  3. Rülker, a. a. O., S. 165 f. Ausführlicher dazu C-L Furck, Das pädagogische Problem der Leistung in der Schule, Weinheim 1964. Die Spannung zwischen persönlich subjektivem Glücksanspruch und gesellschaftlich objektiven Leistungsanforderungen wird von Furck schon auf der ersten Seite seiner Einleitung thematisiert. Sehr instruktiv ist auch Hans W. Nicklas, Leistung und Glück, in: Politik-Wissenschaft-Erziehung (Festschrift für Ernst Schüttel hrsg. von Hans W. Nicklas, Frankfurt—Berlin 1969, S. 135— 152. Vgl. im folgenden Anm. 25 und den dazu gehörigen Kontext.

  4. Ausführlicher dazu B. Schiff, Die Reform der Grundschule in der Sowjetunion (Osteuropa-Institu.der Freien Universität Berlin, Erziehungswissenschaftliche Veröffentlichungen, hrsg. von O. Auweiler und S. Baske, Bd. 6), Heidelberg 1972. Die Bil-dung der Jugend wird in der Sowjetunion zunsn. mend als Frage des internationalen Machtanspr • ches und des Nationalprestiges gesehen. Die o zielte sowjetische Lehrerzeitung (ucitel'skaja gase l zitiert in Nr. 105 (31. August 1974) mit dicken, ten Buchstaben auf der ersten Seite Bresnjew, darauf hinweist, daß die UdSSR „eine der gebildetsten Völker der Erde" genannt werden könne. Die Bildungspolitik der Sowjetunion wird in Abschnitt V ausführlicher erörtert.

  5. Einer der bekanntesten deutschen Vertreter der intensivierten Förderung im Vorschulalter ist H. -R. Lückert. Sein bildungspolitischer und erziehungswissenschaftlicher Ansatz stimmt bezeichnenderweise in den Grundzügen überein mit dem des Initators der sowjetischen Grundschulreform, Zankov ls. Anm. 4). Vgl. H. -R. Lückert (Hrsg.), Begabungsorderung und Bildungsförderung als Gegenwartsu gäbe, München-Basel 1969. Zum Englischunter-IM 11” besonderen E. Hilgendorf, Ch. Holzkamp, Iy Münzberg, Frühbeginn des Englischunterrichts eroffentlichungen des Pädagogischen Zentrums 1erhn,. Reihe.

  6. Uber, die gesellschaftspolitischen Anlässe der Aativitätsforschung informiert G-Ulmann in der timtettung zu dem von ihr hrsg. Sammelband: Kreathata Sforschung (Neue Wissenschaftliche Bibliothek Bd. 59), Köln 1973.

  7. Wie weit mit dem Begriff „Glück" politisch Mißbrauch getrieben werden kann, erkennt man u. a. daran, daßkaum ein Politiker sich mehr auf das berufen hat als Hitler. Vgl. Jäckel, a. a. O., S. 24 f. Zur wissenschaftlichen Kritik an der wirklichkeitsentrückten Diktion und Denkweise deutscher Pädagogik, die der Ideologie Einlaß gewährt und sich empirischer Verifikation entzieht, vgl. u. a. K. Mollenhauer, Das Problem einer empirisch-positivistischen Pädagogik, in: Neue Folge der Ergänzungshefte der Vierteljahresschrift für Wissenschaftliche Pädagogik, Heft 5, Bochum 1966, S. 53— 64; H. Blankertz, Theorien und Modelle der Didaktik (Grundfragen der Erziehungswissenschaft, hrsg. von K. Mollenhauer, Bd. 7), München 1969, S. 34. Viele Erziehungswissenschaftler und Schulpädagogen, inspiriert von der amerikanischen Verhaltensforschung, wollen nur noch jene Lernziele gelten lassen, die „operationalisiert", das heißt als Verhaltensform beobachtet werden können. Die Auseinandersetzung über diesen Trend hat eine umfangreiche Literatur produziert, die hier nicht berücksichtigt werden kann. Das in unserem Zusammenhang interessierende Problem wird deutlich bei R. Eckert, Die Schule im Widerspruch der Gesellschaft, in: J. Flügge (Hrsg.), Pädagogischer Fortschritt? Bad Heilbrunn/OBB 1972, S. 16. Dort heißt es, daß Glück sich im Gesellschaftsvergleich nicht „bilanzieren" lasse. Gleichwohl kann Eckert, der Verfasser, nicht umhin, den Glücksahspruch der Menschen in seine Überlegungen einzubeziehen. Er stellt dabei u. a. fest, daß die gegenwärtige Gesellschaft „kein Optimum an Glück" gewähre und vielleicht nicht einmal in der Lage sei, „mehr Glück zu produzieren als andere Gesellschaften".

  8. So bezeichnet z. B.der Sozialistische Lehrerbund in seiner Grundsatzerklärung von 1968 „das befreite Glück des einzelnen" als Ziel der Bildung; siehe Informationsdienst des Sozialistischen Lehrer-bundes, Heft 1; Neuabdruck in Heft 12 vom 1. Dezember 1972, S. 9. Vgl. auch H. Stubenrauch, Zur Kritik der Gesamtschule, in: D. Dehm (Hrsg.), Schulreport, Frankfurt 1971, S. 53 f. Auf das Glücks-bedürfnis und die Glücksfähigkeit der Menschen verweist andererseits auch W. Eisert, wenn er neomarxistische Positionen kritisiert. Vgl.seinen Aufsatz über „Agitatorische Bewußtseinsverengung", in: Stimmen der Zeit 189 (1972, Heft 6), S. 418. Der Aufsatz wurde von der „rechten" Berliner Notgemeinschaft als Lektüre empfohlen und verbreite!.

  9. Hier ist vor allem an das Lebenswerk J. H. Pestalozzis (1746— 1827) zu erinnern, der in Theorie und Praxis beim Verlangen, der Heranwachsenden nach innerem und materiell äußerem Glück angesetzt hatte, der sich dabei besonders der Hilfsbedürftigen annahm und die Ausbildung der Fähigkeiten von „Herz, Kopf und Hand“ stets als Einheit betrachtete.

  10. Das Wort vom Lehrer als „Einrichter" fällt bei B. Möller, Analytische Unterrichtsmodelle, München—Basel 1966, S. 176. Daß der Lehrer nur noch Ausführer vorgegebener Stundenverläufe sein soll, wird auch von anderen Autoren vertreten, vgl. G. Klotz, Programmierter Unterricht und Erziehungswissenschaft, in: Bildung und Erziehung 20 (1967), S. 352, und dessen Auseinandersetzung mit Möller in der Zeitschrift für erziehungswissenschaftliche Forschung 1 (1967), Heft 3, S. 63— 70. Manche Unterrichtsverläufe der Praxis sind schon auf die Mintte und die Schulbuchseite genau vorgeplant, wie der Verfasser aus Berliner Institutionen weiß. Diese Kritik an der Reglementierung des Unterrichts ist selbstverständlich nicht so zu verstehen, daß es keine sinnvollen, flexibel einsetzbaren Vorarbeiten für den Unterricht geben dürfe.

  11. Die über diesen Zusammenhang hinausgeh Beziehung zwischen „Zufriedenheit" und •Esdte legt es nahe, auch das seit einiger Zeit bearben Feld der „Friedenserziehung" in die Uberiegu der einzubeziehen, und in der Tat gibt es zwisce Pädagogik des Glücks und der Friedenspädrgoma mannigfaltige Bezüge (vgl. Anm. 63). Diese tik bedürfte jedoch gesonderter Untersuchung

  12. Bei den dringendsten Lebenshedürfnisskungs. -interessen muß die Pädagogik in den Entwicklungs ländern ansetzen. Vgl.den imponierenden originellen Versuch von P. Freire, Pädagogik der Unterdrückten Nr. 6830 u)'Reinbek (rororo-Sachbuch 1973, insbesondere S. 77 f. und 97 f. Bedürfnisse können jedoch sehr eng sein und unterhalb freier Humanität liegen, s. ebd. S. 156.

  13. über die leib-seelische Einheit des Menschen ist in den letzten Jahrzehnten (angeregt vor allem ur h M. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, Neudruck 1949, insbesondere S. 72 ff.) so ™ 1 geschrieben worden, daß sich eine detaillierte msweisführung erübrigt. Nach H. Roth, Pädagogische Anthropologie, Hannover 1966, ist es vor aoem.der modernen Psychologie zu verdanken, daß wrMe nsch als „einheitliches Ganzes" interpretiert ’ m (vgh besonders Bd. I, S. 48 ff.). Auch S. Freud, hinden wir weiter unten ausführlicher eingehen, an der Überzeugung fest, daß alle psychischen niseSse und Zustande früher oder später mediziUnn Physiologisch diagnostiziert werden könnten.

  14. Zitiert nach der in der Reihe „Conditio humana" erschienenen Studienausgabe der Werke Freuds, Bd. IX, S. 210 f„ 217, 243 und 265 f.

  15. Freud kannte den Vorwurf. In „Totem und Tabu", Teil IV (Bd. IX, a. a. O„ S. 387) spricht er ein. sichtig und treffend von „notgedrungener, eigentlich pflichtgemäßer Einseitigkeit" und erinnert daran, daß menschliches Denken, wo immer es in unerforschte Regionen vordrang und Fortschritt erzwang, „einseitig“ war. Wer wollte einem Krebs forscher Einseitigkeit vorwerfenI Der Vorwurf de Einseitigkeit kehrt leitmotivartig in vielen P agogischen Publikationen wieder, vgl. H. Ner. Charakter und Schicksal, 4. Auflage 1949, S. 01 M. J. Langeveld, Erziehungskunde und Wirkhch (Aufsatzsammlung), Braunschweig 1971, S. 1 • und Langeveld, Studien zur Anthropologie des des, 3. Auflage 1968, S. 42 ff.; A. Flitner, Wege 963 Pädagogischen Anthropologie, Heidelberg S. 218 f„ S. 225 f., S. 256 f.

  16. J. Flügge, Die Entfaltung der Anschauungskraft, Heidelberg 1963, S. 147 f.

  17. Pointiert und fundiert ist die Kritik an Freuds aggressionstheorie bei H. Selg (Hrsg.), Zur Aggres-500n, verdammt? Stuttgart—Berlin—Köln—Mainz Vgl. auch W. Hollitscher, Aggression im Men-sShenbild, Frankfurt 1970, s-ff.

  18. L. Mi ehrere Beiträge dazu enthält: Das Argument, He 156 (Februar 1970) zum Thema „Sexualität und mITs Chaft in der Schule". Weiter erörtert wird die paematik auch bei W-Fischer, Schule und kritische adagogik, Heidelberg 1972, S. 99 ff.

  19. E. Busche, in: Das Argument, a. a. O., S. 29.

  20. Freires oben angegebene Publikation ist voll von derartigen illustrierenden Bildern; der soge-nannten „Bankiers-Erziehung" hat er auf S. 57 ff., einen gesonderten Abschnitt gewidmet.

  21. S. B. Sarason u. a., Angst bei Schulkindern, Stuttgart 1971.

  22. Sarason, a. a. O., S. 176 ff. Umfangreiches Material, das theoretisch fundiert und empirisch verifiziert wurde, bietet Heft 10/1969 der Zeitschrift Psyche (vgl. das Registerstichwort „Prüfungsangst").

  23. Uber diese berichtet in einem sehr instruktiven Aufsatz, der zahlreiche Parallelen zu den hier vorgelegten Überlegungen enthält, D. -J. Löwisch, Kritische Pädagogik und Psychoanalyse, in: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 50 (1974), S. 229— 251. Vgl. auch die Publikation von Löwisch in Anm. 63; M. Balint, Ichstärke, Ichpädagogik und . Lernen', in: J. Cremerius (Hrsg.), Psychoanalyse und Erziehungspraxis (Fischer-Buch Nr. 6076), Frankfurt 1971, S. 92ff.; E. H. Erikson, Identität und Lebenszyklus (drei Aufsätze über die Ich-Entwicklung), Frankfurt 1970.

  24. H. -E. Richter, Eltern, Kind und Neurose Nr. 6082), Reinbek 1962.

  25. Konstruktive Überlegungen, die von der K des Bestehenden zum Entwurf neuer Modelle u gehen wollen, müßten etwa anknüpfen bei Furck, a. a. O., vor allem letztes Kapitel, S. -über „Leistung und Aufgabe“; vgl. W. FsS 5 a. a. O., S. 16 ff.

  26. Gegen die Absurdität, daß der Lehrer als Wissender ständig fragt, hat sich vor allem die deutsche Reformpädagogik der zwanziger Jahre gewandt. Vgl. die Ausführungen von H. Gaudig (1860— 1923) in der Textzusammenstellung von L. Müller, Die Schule der Selbsttätigkeit (Klinkhardts Pädagogische Quellentexte), Bad Heilbrunn/OBB 1963. Die Lehrerfrage als methodisches Problem behandeln H. Schiefele, „Uber die Führung von Denkvollzügen durch die Lehrerfrage“, in: Welt der Schule 16 11963), S. 289— 295; J. Flügge, Die alte Fragemethode, in: Neue Sammlung 5 (1965), S. 23— 37. Eine konsequente Entfaltung des aktiv forschenden und fragenden Lernverhaltens würde eine prinzipiell veränderte Schulorganisation voraussetzen, wie aus den Erfahrungen der englischen Open-schools zu ersehen ist, Materialien dazu bietet Heft 5/1974 der Zeitschrift Bildung und Erziehung, das dem Thema Alternativen zum Bildungssystem" gewidmet ist.

  27. T. Wilhelm, Theorie der Schule, Stuttgart 1967, W 8 (im Original als Leitsatz kursiv gedruckt). An Wilhelm orientiert sich u. a. J. Rohlfes, Umrisse einer Didaktik der Geschichte, Göttingen 1972. Die einseitige, ja unkritische und naive Hochschätzung . intellektueller Tüchtigkeit", über deren soziale und personale Relevanz kein Wort verloren wird, estatigt die oben formulierten Thesen. Kritisch gegen Wilhelm äußern sich u. a. M. Eschler und %Irich bei Fischer, a. a. O., S. 74 ff.

  28. Löwisch, Kritische Pädagogik ..., a. a. O., S. 238 derweist. mit Recht darauf, daß die Erkenntnisse dan Psychoanalyse schon in großem Umfang Eindang in die Erziehungspraxis gefunden haben, man aun e. an die zahlreichen Einrichtungen der Erzie7 iongs eratung, Schulpsychologie und Vorschuler-merung• Das elfte der insgesamt dreizehn allge-

  29. Erikson, a. a. O., S. 147.

  30. Basedow, a. a. O., S. 81; J. Doch, Lehrplan des Abendlandes, Ratingen, 1971’, S. 312 f. über Trapps Lehrplan-Theorie; Drechsel, a. a. O., S. 50, S. 77, S. 94 und öfter. Wie die bildungspolitischen Strömungen im allgemeinen, so boten auch die pädagogischen Vorstellungen vom Glück in der Französischen Revolution kein einheitliches Bild. Neben dem an dem Eigenrecht des Kindes orientierten Glücksbegriff gab es den politisch autoritären Glücksbegriff, der das Glück des einzelnen im Glück der Allgemeinheit aufgehoben sah. An diese Tiadition knüpft die Sowjetpädagogik an, vgl. Abschnitt V.

  31. K. Marx, Denkschrift der deutschen Abteilung der Internationalen Arbeiterassoziation (1865), zitiert nach H. E. Wittig (Hrsg.), Karl Marx, Bildung und Erziehung, Paderborn 1968, S. 169.

  32. Dieser Tendenz begegnet der „Logotherapeut" V. E. Frankl, Der Mensch auf der Suche nach Sinn (Herder-Bücherei, Bd. 430), Freiburg 1973. Frankl ist verschiedentlich für die Pädagogik ausgewertet worden, vgl. vor allem K. Dienelt, Von der Psychoanalyse zur Logotherapie (Uni-Taschenbuch Nr. 227), München—Basel 1973. Der Verfasser hält diese Versuche ungeachtet ihres offenkundigen Erklärungswertes jedoch für unzureichend, da die Sinnlosigkeit des modernen Daseins völlig unpolitisch interpretiert wird und die Menschen zur Abhilfe und Vorbeugung an eine Art neuer „Innerlichkeit" verwiesen werden.

  33. Ausführlicher dazu: G. -K. Kaltenbrunner, Die Frage nach dem Sinn des Lebens im zeitgenössischen Marxismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/72. Kolakowski, zitiert bei Kaltenbrunner, S. 10, verweist mit Recht darauf, daß Sinnfindungen nicht identisch mit Glück seien, den „das Leben wird dadurch, daß man ihm einen Inn verleiht, noch nicht fröhlicher". In pointierter Fo findet sich dieser Gedanke auch bei J. Amr, gagement und Glück", in: Neue Rundschau 81/19102 Heft 4, S. 725 ff., wo sogar behauptet wirdnose Glück und Engagement sich ausschließen. Di These wird durch die vorliegenden Überlegung nicht gestützt. Die Bedeutungsfelder von isind kenntnis, politischem Engagement und Gluck -gewiß nicht deckungsgleich, aber sie überschneiden sich.

  34. K. Marx, Deutsche Ideologie, zitiert nach S. sandshut, K-Marx, Die Frühschriften (Kröner-Buch Nr. 209), Stuttgart 1971, S. 396.

  35. So argumentiert u. a. G. Schwan, Die Gesell-Nhaftskritik von Karl Marx (Urban-Taschenbuch 28, 855, Stuttgart—Berlin— Köln 1974.

  36. Als Beispiele seien genannt F. Borkenau in sei-s. nieitung zur einbändigen Textsammlung (Fi-Si Buch Nr. e 112), Frankfurt 1956; H. E. Wittig, DädaMarxsche Bildungskonzeption und die Sowjet-p agogik, Bad Harzburg 1964, S. 35, 59.

  37. Diese Thematik wird intensiv von Hfkheimer und Marcuse bearbeitet. Vgl. die Angaben des Abschnitts VI. Auch die Wilhelminische Zeit spielt Gesittung und Kulturideal gegen das Glück aus; vgl. Jäckel, a. a. O., S. 22 ff. Als Beleg dafür, daß die resignative Pflichtmoral bis in die Gegenwart lebendig ist, sei die dokumentarische Fernsehsendung „Die Liebe zum Land“ genannt (NDR, Februar 1975, Produktion Dieter Meichsner). Dort wird berichtet, daß in der Hausordnung eines Lehrlingszimmers folgender Satz obenan gestanden habe: „Du bist nicht auf Erden, um glücklich zu sein und froh, sondern um deine Pflicht zu tun!“

  38. Marx, Denkschrift ..., bei Wittig, a. a. O., S. 168.

  39. Marx, Nationalökonomie und Philosophie, bei Landshut, a. a. O., S. 268.

  40. Vgl. Der Spiegel Nr. 47/1974, S. 60 f. über die Richtlinien für den politischen Unterricht in Nordrhein-Westfalen.

  41. Die Grundlagen der kommunistischen Erziehung, sehrhuch für die Bibliothek des Lehrers, hrsg. von er Akademie der Gesellschaftswissenschaften beim tentralkomitee der KPdSU und von der Akademie er. Pädagogischen Wissenschaften. Aus dem Rus-215 Chen übersetzt, Bertin-Ost 1964, S. 46 und öfter.

  42. N. J. Boldyrew u. a„ Pädagogik. Lehrbuch für Rn Ausbildung von Oberstufenlehrern. Aus dem wssischen übersetzt, Berlin-Ost 1973, S. 72.

  43. L. Hiegle, Familienerziehung und sozialer Wandel in der Sowjetunion (Osteuropa-Institut der freien Universität Berlin, Erziehungswissenschaftliche Veröffentlichungen, hrsg. von O. Anweiler

  44. Programm und Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, angenommen auf dem XXII. Parteitag der KPdSU im Oktober 1961. Deutsche Übersetzung Berlin-Ost 1962, S. 92 f.; Vgl. die anderen Äußerungen zum Glück ebd. S. 3, S. 5, S. 59 ff.

  45. Die Verhaltensregeln für Schüler sind in deutscher Übersetzung abgedruckt bei N. Grant, Schule und Erziehung in der Sowjetunion, Berlin 1966, S. 54 ff. Uber die scharfen Reglementierungen des universitären Studienbetriebes u. ä. unterrichtet der jährlich erscheinende Informationsdienst zum Bildungswesen in Osteuropa, hrsg. von der Abteilung Bildungswesen im Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, vgl. Heft 23 (1974), S. 12 ff. über „die innere Ordnung".

  46. Materialien dazu bietet P. Schulz-Hageleit, Ein Vergleich von Schulbüchern aus West und Ost, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/74.

  47. Die Grundlagen ..., a. a. O., S. 126.

  48. Zur Zielangabe s. Programm und Statut u" a. a. O., S. 5 und 59; zur gegenwärtigen Praxis ebd. S. 18. Den Sowjets kann auch hier nicht vorgeworfen werden, daß sie von Marx abweichen, da dieser die Beachtung seines Leitsatzes „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen'von etlichen Voraussetzungen abhängig gemacht hat; vgl.den Kontext der Maxime in Marx'Kritik des Gothaer Programms (1875), die in jedem Kompendium abgedruckt ist (z. B. bei Borkenau, a. a 0: S. 205). Diese Voraussetzungen sind eben noch nicht vollständig erfüllt, so heißt die sowjetische Arg mentation. Auf Marx'Zielvorstellungen komm auch Marcuse zurück (vgl. Anm. 64).

  49. Zu Makarenkos Gegnern gehörte u. a. Krur skaja, die Lebensgefährtin Lenins. Trotz unbefssdie gender Quellenlage gibt es inzwischen eine Fu von Publikationen über die erziehungswissen schaftlichen Kontroversen der frühsowjetischen ste Die für unseren Zusammenhang konzentrier e Darstellung bietet wohl O. Anweiler, A. SM“ Kn renko und die Pädagogik seiner Zeit, in: 0. weiler, Die Sowjetpädagogik in der Welt von ne Heidelberg 1968, S. 33 ff. Maka.

  50. Ausführlicher dazu J. Rüttenauer, A. S. renko, Freiburg—Basel—Wien 1965, S. 68, 5. S. 159, S. 279. . o. iv

  51. Makarenko, Werke, Bd. V, S. 371; B • S. 479 f.; Bd. VII, S. 42, Berlin-Ost 1969.

  52. über diese Entwicklung unterrichtet Liegle, a. a. O.

  53. Als Beispiel sei genannt: E. Kostjaskin, Licnoe i scastie — ne prostoe delo („Das persönliche Glück — keine einfache Angelegenheit“), in: Semja i skola 10/1968, S. 6— 8. In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, daß auch in amtlichen Verlautbarungen immer wieder „moralische Sauberkeit“ oder „saubere Beziehungen" gefordert werden. Vgl. Statut und Programm ..., a. a. O., S. 114.

  54. Schulz-Hageleit, a. a. O., S. 40. Nützlich für den Vergleich zwischen sowjetischer Moralpädagogik und französischer Revolutionsethik ist auch die Typologie bei Drechsel, a. a. O., S. 35 ff. und 67 ff.

  55. Das ist der Titel eines Artikels von N. Roscina zum 1. Juni, in: Vospitanie kolnikov 3/1973, S. 7 bis 9. Mit dem Thema Glück und Frieden beschäftigen sich Ende Mai-Anfang Juni zahlreiche andere sowjetische Zeitschriften und Zeitungen.

  56. In diesem Sinn äußert sich zum Beispiel U. Bronfenbrenner, Erziehungssysteme (dtv. Nr. 941), Mün chen 1973. Außerdem muß angefügt werden, daß die Wirklichkeit und die internen Diskussionen in der Sowjetunion sehr viel differenzierter sind as das offizielle Selbstbild, das den vorliegenden R flexionen zur Pointierung der Aussagen zugrun gelegt wurde. Daß es in der Sowjetunion nict nige Pädagogen gibt, die der elementaren Feu beim Lernen mehr Raum verschaffen wollen, Zpie zum Beispiel die Diskussion zum Schule — ein Ort der Freude" in der Uitel s* j gaseta Nr. 82 (11. Juli), 134 (8. Nov.) und i (14. Dezember) 1972. Auf die großen Differen, rungen innerhalb des Ostblocks verweist -d a. a. O. und Kaltenbrunner, a. a. O.

  57. Eine längere Passage über den Marxismus enthält Freuds „Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" (1933), Studienausgabe, Bd. I, S. 603 ff. Weitere Angaben sind mit Hilfe des gründlichen Sachregisters dieser Ausgabe leicht zu finden.

  58. So urteilt auch J. Strachey im Vorwort zu R. Osborn, Marxismus und Psychoanalyse, Frankfurt 1970, S. 7 f.

  59. I Die sowjetischen Wissenschaftler unterscheiden heute zwischen der „Psychoanalyse", die auf den engeren klinischen Bereich begrenzt bleibt, und dem „Freudismus", der den weiteren Bereich der Gesellschaft interpretiert. Psychoanalyse als neuroogisch psychiatrische Methode, wie sie Freud bis etwa 1914 entwickelt hatte, erfreut sich in der Sowjetunion partieller Anerkennung. Der philosophische und soziologische „Freudismus", wie ihn Freud in seinem Spätwerk erarbeitete, wird strikt verurteilt. VgL die Artikel über „Freid", „Freidism" und . Sichoanalisis" in der Pedagogi^eskaja Enziklo-Pedia, Bd. III (S. 570-571) und IV (S. 555-558),

  60. Das ist das methodologische Fundament von sarcuses Abhandlung über Triebstruktur und Ge-ssuschaft (Bd. 158 der Bibliothek Suhrkamp), Frank-2 TU 3'?'7, 151*f-* * 39*f*. und öfter. Auch H. Dah-trrstbido und Gesellschaft, Frankfurt 1973, vertritt diesen Ansatz.

  61. Material über die Freudsche Linke enthält Dahmer, a. a. O. Bernfelds Schriften wurden in drei Bänden hrsg. von L. von Werder und R. Wolff, Darmstadt 1969/1970. Vgl. insbesondere Bd. 2, S. 483 ff. über Sozialismus und Psychoanalyse. Auch Bernfelds Schrift über Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung (1925), Neuauflage 1973 (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft Nr. 37) unternimmt den Versuch, Freud und Marx als „Schutzpatrone einer neuen Erziehungswissenschaft“ zu vereinen. Osborn, a. a. O., versucht zu zeigen, „daß Marxismus und Psychoanalyse einander ergänzende Ansätze“ sind (S. 105 und 174). Daß Psychoanalyse und Marxismus sich ausschließen, wird von Sowjetwissenschaftlern vertreten, vgl. die Textzusammenstellung im Marxismus-Digest Nr. 16 (Oktober—Dezember 1973). Unter historischem Aspekt interessiert auch J. Sandkühler (Hrsg.), Psychoanalyse und Marxismus, Frankfurt 1970.

  62. Durch die Zusammenfassung und gleiche Behandlung mehrerer unterschiedlicher Autoren unter einem Titel wird die Argumentation unscharf. Die Unschärfe könnte nur durch Verengung der Fragestellung auf einen Autor oder durch Ausweitung der Ausführungen zu einer ausführlichen Monographie, in der jeder Autor gesondert behandelt wird, ausgeglichen werden. Beides ist aufgrund der hier vertretenen publizistischen Absichten nicht nötig.

  63. J. -D. Löwisch, Erziehung und Kritische Theorie, München 1974, geht von der regulativen Idee des Friedens aus und betont die von der Kritischen Theorie intendierte Aufklärung des Bewußtseins. Die Erziehung der individuellen Vernunft ist sein Hauptanliegen. Die zur Unvernunft anhaltenden Umstände der Zeit und der Gesellschaft werden eher beiläufig erörtert. Wie schon erwähnt (vgl. Anm. 11), ist darin eine Akzentverschiebung, aber keine grundsätzliche Veränderung des Ansatzes zu sehen. Auch Löwisch arbeitet mit einem recht unverbindlichen Begriff von Kritischer Theorie; vgl. die Rezension von W. Schmied-Kowarzik in: Pädagogische Rundschau 28 (1974), S. 849— 854.

  64. H. Marcuse, Kultur und Gesellschaft 1 (Edition Suhrkamp Nr. 101), Frankfurt 1968, S. 150 f. Uber die Quelle des Leitsatzes „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" und die sowjetische Umdeutung unterrichtet Anmerkung 48 und der dazu gehörige Kontext.

  65. Marcuse, a. a. O., S. 102. .

  66. M. Horkheimer, Traditionelle und krits Theorie (Vier Aufsätze, Fischer-Buch Nr. 60 2 Frankfurt 1970, S. 152 ff. Eine vollständige Ausgare der Aufsätze Horkheimers wurde im selbenapen 9 von A. Schmidt herausgegeben, Frankfurt 19W

  67. T. W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit (träge und Gespräche mit H. Becker, hrsg; Ennk. Kadelbach, Suhrkamp-Taschenbuch Nr. 11).Frankfurt 1972, Hinweise auf Freud und die 15" analyse finden sich in allen Beiträgen.

  68. Horkheimer, 1970, a. a. O., S. 104 f.

  69. Horkheimer, 1968, Bd-I, a-a.=.-S. 82.

  70. Bernfeld, Sisyphos...,m a.a.O.,insbesondereakpitel III über "Mittel, Wege und Möglichkeiten der Erziehung" S. 113 ff. Horkheimer, 1970, S. 159 , 206, 216 f., MArcuse 1, S. 78f. 89f., 157 ff.

  71. Adorno, a. a. O., S. 133 ff. „Die Menschen in kritischen Momenten zur . Besinnung'zu bringen, so daß sie sich dann tatsächlich dem Druck ihrer Affekte widersetzen und, kritische Distanz gewinnend, reflektierend zurücktreten können" — auf diese Möglichkeit und dieses Erziehungsziel baut auch A. Mitscherlich, vgl. A. A. Häsler, Leben mit dem Haß, Reinbek 1969, S. 135 f.

  72. Eine Zusammenstellung entsprechender Texte bietet H. Göring, Bildungsziele in der Bundesrepublik Deutschland, in: Materialien zur Politischen Bildung, 3. Quartal 1973, S. 49— 56. Göring interpretiert die Gesetzestexte nicht von dem hier vertretenen Standpunkt aus.

  73. H. Rössner, . Emanzipatorische Didaktik, und Entscheidungslosigkeit, in: Zeitschrift für Pädagogik 18 (1972), S. 599— 617. Der Aufsatz und andere Arbeiten sind auch abgedruckt bei L. Rössner, Erziehungswissenschaft und Kritische Pädagogik (Urban-Taschenbuch Nr. 80), Stuttgart 1974.

  74. L. Friedeburg und P. Hübner, Das Geschichtsbild dter Jugend (Überblick zur wissenschaftlichen Jugendkunde, hrsg. vom Deutschen Jugendinstitut, Bd. 7), München 1964.

  75. P. Schulz-Hageleit, Wie lehrt man Geschichte heute? Heidelberg 1973. Hier wird versucht, die Ideologiekritik im Rahmen einer umfassenden Denkerziehung zu deuten, vgl. die Angaben zum Registerstichwort. Adornos Anregungen für die Praxis, a. a. O., S. 145 f., scheinen nichts Neues zu bieten, doch dieser Eindruck bestätigt nur, daß die angedeuteten Unterrichtssequenzen zur Entlarvung von Betrug durch Werbung u. ä. inzwischen didaktisches Gemeingut geworden sind.

  76. Adorno, a. a. O., S. 70 ff.

  77. H. Heiland, Zum Selbstverständnis der Schulpädagogik, in: Pädagogische Rundschau 28 (1974), S. 451— 471, unternimmt eine Art Tour d'horizon aller schulpädagogischen Ansätze und bespricht dabei auch K. Döring und H. Kupffer, Die eindimensionale Schule, Weinheim 1972.

  78. G. Witschel, Die Erziehungslehre der Kritischen Theorie, Bonn 1973, S. 66 und S. 69. 1974

  79. H. E. Richter, Lernziel Solidarität, ReinbeK S. 72 f.

  80. N. K. Krupskaja, Sozialistische Pädagogik, "" IV, Ost-Berlin 1971, S. 34.

Weitere Inhalte

Peter S c h u 1z -H a g e 1 e i t, Dr. phil., geb. 1939 in Berlin; Studium der Romanistik und Geschichte in Berlin und Frankfurt; 1965— 1967 Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Universitas Indonesia in Djakarta; danach als Referendar und Assessor im höheren Schuldienst Berlin; 1972 Promotion in Erziehungswissenschaften; 1973 Assistenzprofessor in der Abteilung Bildungswesen des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen: Wie lehrt man Geschichte heute? Ein Beitrag zur Didaktik der Denkerziehung, Heidelberg 1973. Aufsatzpublikationen in verschiedenen erziehungswissenchaftlichen Fachzeitschriften über schulpädagogische und didaktische Probleme.