Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Umweltschaden Soziologischer Hintergrund und Wege zu Schadensverhütung und Ersatzleistung | APuZ 30/1975 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 30/1975 Artikel 1 Die CDU nach Mannheim Wandel und Kontinuität Der Umweltschaden Soziologischer Hintergrund und Wege zu Schadensverhütung und Ersatzleistung

Der Umweltschaden Soziologischer Hintergrund und Wege zu Schadensverhütung und Ersatzleistung

Konrad Zweigert/Volkmar Gessner

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Umweltgefährdung in den Industriegesellschaften ist weder durch Technisierung noch durch Bevölkerungsvermehrung ausreichend erklärt. Der hier vertretene Ansatz sucht die Ursache auch nicht in der kapitalistischen Produktionsweise, da dann die Parallelerscheinungen in den sozialistischen Gesellschaften nicht faßbar wären. Demgegenüber bietet die soziologische Systemtheorie einen geeigneten Bezugsrahmen. Das Auftreten von Umweltschäden läßt sich hiernach auf die Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems aus der Gesamtgesellschaft zurückführen. Die Wirtschaft ist im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung relativ autonom geworden. Sie steuert sich selbst mit der Folge, daß Entscheidungen nur noch systemspezifische Geltung beanspruchen und nicht mehr gesamtgesellschaftlich verantwortet zu werden brauchen. Auf diese Weise wird einerseits die unbezweifelbare Effizienz der Wirtschaft ermöglicht, andererseits werden Ziele wie die Erhaltung der natürlichen Umweltbedingungen auf gefährliche Weise ausgeblendet. Diese ambivalente Situation stellt die Rechtspolitik vor die Aufgabe, auf differenzierte Weise die Wirtschaft wieder in die Gesellschaft zurückzuholen. Es ist jeweils zu überdenken, ob man es der Wirtschaft selbst überlassen will, künftige Umweltschädigungen zu verhindern, ob man den Weg gehen will, die Wirtschaft durch Einwirkung „von außen", also insbesondere vom politischen System her zur Schadensverhütung zu zwingen, oder ob man die Autonomie des Wirtschaftssystems selbst antasten will. Alle drei Wege werden diskutiert. Es ist Aufgabe von Juristen und Sozialwissenschaftlern, durch interdisziplinäre Arbeit die jeweils adäquatesten Wege auszuwählen.

.... die Atmosphäre von London kann nie so rein sein wie die eines Landesdistrikts: dritte-halb Millionen Lungen und drittehalb hunderttausend Feuer, auf drei bis vier geographischen Quadratmeilen zusammengedrängt, verbrauchen eine ungeheure Menge Sauerstoff, der sich nur mit Schwierigkeit wieder ersetzt, da die städtische Bauart an und für sich die Ventilation erschwert. Das durch Atmen und Brennen erzeugte kohlensaure Gas bleibt vermöge seiner spezifischen Schwere in den Straßen, und der Hauptzug des Windes streicht über den Dächern der Häuser hinweg. Die Lungen der Einwohner erhalten nicht das volle Quantum Sauerstoff, und die Folge davon ist körperliche und geistige Erschlaffung und Niederhaltung der Lebenskraft." Diese frühe Beschreibung der „Lage der arbeitenden Klasse in England" durch Friedrich Engels zeigt, daß Umweltschäden seit langem auftreten und als Gefahr erkannt wurden. Aber es war nur ein Teil der Bevölkerung, der durch sie betroffen war — der Teil, der nicht im „Westend“ der Städte wohnen konnte, keinen Landsitz im Grünen hatte und auch nicht einmal zur „Sommerfrische" aufs Land fahren konnte. Die schwierigen und schädlichen Lebensbedingungen in den lichtlosen Hinterhöfen der Industriestädte, in der Nähe lärmender und qualmender Fabriken wurden von diesen Bevölkerungsschichten hingenommen — anfangs nur, weil die Alternative Arbeitslosigkeit und Elend war, dann aber zunehmend, weil sie zu den selbstverständlichen Begleitumständen der Situation der Arbeiterklasse zählten. Erst als der Himmel sich über ganzen Regionen verdunkelte, Seen und Flüsse nicht mehr zum Baden und Fischen geeignet waren, der Industrie das Frischwasser fehlte und die Abfall-berge sich unübersehbar an den Stadträndern türmten — erst dann wurde auch das Bürgertum einer Problematik gewahr, die es schnell und wirkungsvoll zu artikulieren wußte und unter dem Namen „Umweltschutz" zu lösen suchte.

Diese Genesis eines öffentlichen „issue" deutet bereits auf soziologische Hintergründe eines heute eigentlich nur unter technischen und juristischen Gesichtspunkten diskutierten Sachverhalts. Sie weist hin auf notwendige Relativierungen — nicht jedermann ist gleichermaßen betroffen — und auf Zusammenhänge der politischen Ökonomie, die gerade auch durch die Umweltdiskussion wieder ins Zentrum des Interesses gerückt ist. Es geht — wie bei allen sozialen Problemen — darum, den Umweltschaden zunächst zu erklären, bevor man sich daran macht, sinnvolle und wirksame Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Wenn diese Erklärung nach dem heutigen Wissensstand erst unvollkommen gelingt, so liegt dies daran, daß den Juristen und Technikern bisher der Hauptanteil der Umweltforschung zugefallen ist. Aber der Ruf nach interdisziplinärer Zusammenarbeit ist auf diesem Gebiet groß, so daß man in absehbarer Zeit mehr und detailliertere Kenntnisse über soziale Kausalitäten, die zum Umweltschaden führen, vorliegen haben wird.

1. Technik und Industriegesellschaft als Ursachen der Umweltschädigung

Umweltschäden gehen vordergründig zunächst auf rein technisch-naturwissenschaftliche Gegebenheiten zurück. Der Einsatz von Maschinen für die industrielle Produktion, von Chemikalien für die Landwirtschaft, von Kraftfahrzeugen und Flugzeugen zur Fortbewegung, Von Atomkraftwerken für die Energieversorgung hat immer Nebeneffekte, die in den Naturhaushalt und das sogen, „ökologische Gleichgewicht" eingreifen. Sie werden seit der Entstehung unseres technischen Zeitalters kritisiert, ohne daß dies die Fortentwicklung schadenstiftender Produkte gehemmt hätte. Selbst eine so apokalyptische Vision, wie sie durch die Modellrechnungen des „Club of Rome“ vorgelegt wurde hat noch keine faktischen Auswirkungen auf unser Wirt-schaftsverhalten gezeitigt. Gleichwohl ist nicht anzunehmen, die technische Entwicklung sei ein sich selbst fortzeugender Prozeß, der den menschlichen Steuerungsinstrumenten aus der Hand geglitten sei. Nicht die Technik selbst, sondern die Gesellschaft, die sich ihrer bedient, zerstört unsere natürlichen Umwelt-bedingungen. Die Frage geht also dahin, welche charakteristischen Merkmale der Industrie-gesellschaften die beobachteten schädlichen Folgen hervorrufen.

Zunächst sind diese Gesellschaften in ihrem globalen Zusammenspiel zu begreifen, das durch einen unerbittlichen Wettbewerb um die Steigerung des Bruttosozialprodukts gekennzeichnet ist. In einer durch wirtschaftliche Werte bestimmten Welt entscheidet letztlich allein der Warenausstoß über Macht und Einfluß. Nur die Volksrepublik China, die an diesem Wettbewerb nicht teilnimmt, macht hier eine bedenkenswerte Ausnahme. Insgesamt hat die Weltindustrieproduktion in den letzten zwei Jahrzehnten in einem exponentiell steigenden Ausmaß zugenommen. Die jährliche Wachstumsrate zwischen 1963 und 1968 lag im Durchschnitt aller Länder bei 7 Prozent.

Bei diesen Zahlen ist die Überbeanspruchung des Naturhaushalts keine Überraschung. Jede Warenfertigung bedingt einen Verbrauch von Rohstoffen, von Energie, von Luft, Wasser usw., also „freien Gütern“, deren Erschöpfung teilweise bereits für das kommende Jahrhundert kalkuliert werden kann.

Dieser Wettbewerb um die Steigerung des Bruttosozialproduktes kann an subjektiven (psychologischen) wie objektiven (soziologischen) Faktoren gemessen werden. Die subjektive Seite ist die Zunahme des Leistungsdrucks auf den einzelnen, der sich im Zuge der Rationalisierung des Industriebereichs immer weiter verstärkt. Auch die Entfremdungserscheinungen bei Arbeitern der unteren Lohngruppen, hervorgerufen durch die Zergliederung der Produktion in repetitive Teil-arbeiten, sind hier zu erwähnen Die Ganzheitsstruktur der handwerklichen Werkstück-produktion zerfällt durch die technisch-maschinelle Arbeitsteilung in viele stückhafte, oft monotone und sinnentleerte Arbeitsfragmente. Der Arbeiter am Fließband wird fast selbst zu einem Maschinenteil und allen gestalterischen Arbeitsimpulsen entfremdet. Er empfindet sich eingespannt in ein unüberschaubares, anonymes technisch-organisatorisches „System", was zu der sozialen Heimatlosigkeit des Menschen in den modernen Arbeitsformen führt Diese soziale Schadensseite des Industrialisierungsprozesses gehört nach Johan Galtung, dem Leiter des Internationalen Friedensforschungsinstituts in Oslo, ganz zu Unrecht heute nicht zur eigentlichen Umweltproblematik'. Er stellte jüngst die These auf, ein Problem werde nur dann als Krise definiert, wenn es innerhalb eines Systems lösbar erscheint. Was innerhalb eines Systems unlösbar erscheint, werde verdrängt. Nach Galtung ist das Hauptproblem unserer Gesellschaft die „Verschmutzung des Menschen". Diese bestehe vor allem darin, daß etwa 90 Prozent der Menschheit zu einer eintönigen Arbeit verdammt sei. Weil die Probleme ungerechter Arbeitsteilung sowohl im kapitalistischen wie auch im sozialistischen System nicht zu bewältigen seien, würden sie verdrängt. Demgegenüber halte man die Umweltverschmutzung für ein akzeptables Problem, weil für deren Bewältigung geeignete Techniken vorhanden sind

Von den objektiven Faktoren steht zunächst die rapide Bevölkerungsvermehrung im Vordergrund. Um 1650, also vor Beginn des technischen Zeitalters, gab es etwa eine halbe Milliarde Menschen auf der Welt; die Wachstumsrate betrug damals etwa 0, 3 Prozent jährlich. Dies entspricht einer Verdoppelungszeit von etwa 250 Jahren. 1970 betrug die Weltbevölkerung etwa 3, 6 Milliarden bei einer Wachstumsrate von 2, 1 Prozent und einer Verdoppelungszeit von 33 Jahren

Diese Bevölkerungsvermehrung ist sowohl Ursache als auch Folge des Industrialisierungsprozesses. Als Ursache wirkt sie vor allem heute in den Entwicklungsländern, die durch das vom Fortschritt der Medizin bewirkte Absinken der Sterberate gezwungen werden, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und die Produktivität der Landwirtschaft zu erhöhen. Als Folge der Industrialisierung tritt sie überall dort auf, wo verbesserte Lebensbedingungen geschaffen werden und auch dort, wo staatliche und industrielle Interessen durch aktive Bevölkerungspolitik für ein breites Arbeitskräftereservoir sorgen. Unabhängig vom Hintergrund dieses Wachstums gilt jedenfalls, daß die zunehmende Besiedlung der Erde das ökologische Gleichgewicht verändert. Der Zwang zur Produktion von immer mehr Nahrungsmitteln drängt die natürliche Fauna und Flora ständig weiter zurück, führt zu Boden-erosion, Zerstörung von Waldgürteln und Raubbau am Fischbestand der Meere. Es ist also allein schon die Zunahme der auf der Erde lebenden Menschen, die neue und immer relativ schlechtere Umweltbedingungen hervorruft. Hinzu kommt aber regelmäßig ein qualitativer Faktor: Die Bevölkerung verteilt sich nicht gleichmäßig, sondern konzentriert sich in immer größer werdenden Städten und industriellen Ballungszentren. Alles das, was man heute in den Begriff der Umweltschädigung faßt, potenziert sich hier in einem lebensgefährlichen Ausmaß, angefangen vom enthumanisierten Städtebau bis zu Seuchen-, Krankheits-und Explosionsgefahren, die schon durch kleine technische Pannen verursacht werden können. Selbststeuerungsvorgänge der Natur wie Luft-und Wasserreinigung, aber auch tierische und pflanzliche Kreislauf-prozesse, sind hier vielfach schon ausgeschaltet und teils schlecht, teils gar nicht ersetzt durch technische Vorkehrungen.

Niemand stellt die Funktionsgerechtigkeit der technischen Einrichtungen in Frage — jedenfalls, wenn als Zweck die wirtschaftliche Effizienz gemessen wird. Es ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zweckmäßig, die Bevölkerung um die Produktionszentren herum anzusiedeln, für Schutzmaßnahmen jeweils nur ein Minimum an Investitionskapital einzusetzen und die Transportwege auch auf Kosten von Natur und Landschaft auszubauen. Wie aber gelingt es den Industriegesellschaften, die sich hier alle gleich verhalten, den wirtschaftlichen Zielen jeweils letztlich den Vorrang zu geben? Berühmt geworden ist die Analyse Max Webers in seiner Abhandlung „Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", in der er die Entstehung der Gesinnung des Erwerbs um des Erwerbs willen auf die Verlagerung religiös-asketischer Ansprüche in die alltägliche Berufsarbeit („innerweltliche Askese") zurückführt Aber diese Sichtweise gibt doch ein einseitiges Bild. Das nach Erwerb strebende Wirtschaftssubjekt ist in allen Gesellschaftsformen nur eine von vielen Rollen des Menschen. Muße, Liebe, Glaube und viele andere Ziele konkurrieren mit wirtschaftlichen Zielen, so daß der Nachweis ihrer Existenz wenig über das reale menschliche Sozialverhalten aussagt.

Die moderne Soziologie erklärt dieses Verhalten nicht mehr nach der „Mentalität" oder nach der Werthaltung des Handelnden, sondern nach den Erwartungen der sozialen Umwelt. Damit ist auf die jeweilige Sozialstruktur ver-wiesen und auf die Selektionsmechanismen, mit denen dort das Handeln in jeweils spezifische Richtungen kanalisiert wird. Vermag die Gesellschaft Bereiche auszudifferenzieren, in denen nicht mehr die Vielzahl von Zielen miteinander konkurriert und aufeinander abgestimmt werden muß, sondern einem Ziel jeweils die unbestrittene Priorität zukommt, so werden diese Bereiche relativ konfliktfrei ihre Funktionen erfüllen können. Die System-theorie, wie sie von soziologischer Seite insbesondere von T. Parsons und N. Luhmann vertreten wird, sieht in der erfolgreichen Aus-differenzierung solcher Subsysteme aus der Gesamtgesellschaft das Geheimnis der erstaunlichen Effizienz, mit der die Industrie-gesellschaften die verschiedensten Aufgaben bewältigen. Verfügt etwa eine traditionale Gesellschaft über kein ausdifferenziertes Rechtssystem, so werden Richter ihren Entscheidungen auch außerrechtliche Ziele zugrunde legen, also etwa „korrupt" handeln, wenn sie sich einem Freund oder Familienmitglied verpflichtet fühlen. Im Rechtssystem der Industriegesellschaften gehören solche Ziel-konflikte zu den ganz seltenen Ausnahmefällen. Es bestehen hier im allgemeinen keine Zweifel, welche-Ziele in juristischen Berufen verwirklicht werden können und welche nicht. Ähnliches wäre über andere Subsysteme zu sagen. Im religiösen System sollen politische Ziele zurückstehen, im Wissenschaftssystem erleiden familiäre Rücksichten starke Einbußen, im Straßenverkehr hat ein Flirt keinen Platz. Man kann nach Luhmann davon ausgehen, daß die Evolution menschlicher Gesellschaft durch zunehmende funktionale Differenzierung gekennzeichnet ist. Sie bewirkt höhere Selektivität, gibt aber in den jeweiligen Teilsystemen vielfältigere Möglichkeiten der Aufgabenerfüllung und der Bedürfnisbefriedigung

Im Zuge dieser gesellschaftlichen Evolution hat sich auch ein spezifisch wirtschaftliches Teilsystem herausgebildet. „Ausdifferenzierung kann natürlich nicht heißen, daß die Wirtschaft aus der Gesellschaft ausschert, daß Kommunikation abgebrochen, daß Abhängigkeiten aufgegeben werden. Es geht nicht um eine Sezession der Wirtschaft aus der Gesellschaft, sondern um eine Umstrukturierung der Interdependenzen, durch die erreicht wird, daß Funktionsbereiche nicht mehr in allen Einzelvollzügen, sondern nur noch über System/Umwelt-Beziehungen voneinander ab-hängig sind. * Ausdifferenzierung ermöglicht nicht Autarkie, aber einen hohen Grad von Autonomie, d. h. Selbststeuerung der Wirtschaft. „Vor allem mit Hilfe des Geldmechanismus bildet die Wirtschaft eigene Werte, eigene Zwecke, Normen, Rationalitätskriterien und eigene Abstraktionsrichtungen aus, an denen sich die Verhaltensweisen in ihrem Bereich orientieren. Die Eigenständigkeit solcher Entscheidungsprämissen zeigt sich darin, daß sie nur systemspezifische Geltung beanspruchen und daher nicht gesamtgesellchaftlich verantwortet zu werden brauchen.“ Handlungen, die sonst weitläufige, gesamtgesellschaftliche Rücksichten nehmen müßten, können so auf rein wirtschaftliche Funktionen spezialisiert werden: Politische, rechtliche, technische, moralische, gefühlsmäßige Bewertungskriterien können ausgeblendet oder jedenfalls in den Hintergrund gedrängt werden. Vielfach kommt ihnen nur noch Darstellungswert nach außen für Entscheidungen zu, die ausschließlich wirtschaftliche Ziele verfolgen.

Damit erklärt sich das Zustandekommen und die Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Entscheidungen, auch wenn sie gesamtgesellschaftlich schwerwiegende Nachteile produzieren. Die Gastarbeiterfrage wird in Europa und in den USA nahezu ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien entschieden, der Verbraucher wird nur unter dem Gesichtspunkt größtmöglichen Warenumsatzes betrachtet, und all die Schäden, die heute als Umweltzerstörung definiert werden, sind externe Kosten (social costs), die nicht in den betriebswirtschaftlichen Kalkulationen oder — in den Zentralverwaltungswirtschaften — im gesamtwirtschaftlichen Haushalt zu Buche schlagen.

Es kommt, wie Luhmann bemerkt, in einer voll funktional differenzierten Gesellschaft zur Außenstellung des Menschen

Es bleibt die Frage, wie es zum funktionalen Primat des wirtschaftlichen Teilsystems in der Gesamtgesellschaft kommt. Die Erklärungsversuche kommen hier aus ganz verschiedenen Richtungen. Die ältere naturrechtliche Theorie der Ökonomie sowie die materialistische Theorie versuchen, an den von der Wirtschaft befriedigten materiellen Grundbedürfnissen ihren gewissermaßen natürlichen Primat zu. begründen. In unserem Jahrhundert entstand die von W. F. Ogburn formulierte These eines notwendigen Entwicklungsrückstandes (cultural lag) politischer und kultureller Strukturen hinter der sich technisch und ökonomisch entwickelnden Gesellschaft. Danach ist es fast zwangsläufig, daß bei der Verwirklichung wirtschaftlicher Zielvorstellungen ethisch-politische Traditionen über Bord geworfen werden. Derartige Aussagen bedürfen allerdings der Konkretisierung, wenn man den spezifisch politökonomischen Gegebenheiten der unter ihrem wirtschaftlichen Primat leidenden Gesellschaften Rechnung tragen will.

Während die bisher beschriebenen Erscheinungen in allen Industriegesellschaften ohne Rücksicht auf ihre politische Herrschaftsform zu beobachten sind, bietet es sich an diesem Punkt an, zwischen Systemen mit privatkapitalistischer Wirtschaftsordnung einerseits und Zentralverwaltungswirtschaft andererseits zu unterscheiden. Dabei interessieren die konkreten Bedingungen, unter denen es den wirtschaftlichen Entscheidungsträgern gelingt, ihre Ziele auf Kosten des ökologischen Gleichgewichts und damit letztlich auf Kosten der Gesamtgesellschaft durchzusetzen.

2. Umweltgefährdung in der Marktwirtschaft

Es ist das unbestrittene Prinzip der privatkapitalistischen Marktwirtschaft, jedes Wirtschaftssubjekt nur nach seinen eigenen. individuellen Interessen handeln zu lassen. „Es ist ... ganz verfehlt, wenn man es als die eigentliche Aufgabe des Unternehmers bezeichnet, möglichst viel und möglichst billig zu produzieren. Sein wirkliches Motiv ist der Gewinn, und wenn er viel und billig produziert, so deshalb, weil dies — jedenfalls unter Konkurrenzverhältnissen — das einzige Mittel ist, Gewinn zu erzielen. Das Geheimnis der Marktwirtschaft besteht ja gerade darin, daß sie das Eigeninteresse mit der tatsächlichen Erfüllung einer volkswirtschaftlichen Funktion verknüpft. Diese Funktion mag man Bedarfsdeckung nennen ..." Ist also schon die Bedarfsdeckung nur eine gesellschaftliche Funktion des kapitalistischen Wirtschaftshandelns, die quasi nebenbei entsteht, so sind andere gesellschaftliche Folgen zumindest ebensolche Zufallsprodukte. Die westliche Volkswirtschaftslehre ist sich in Abkehr vom liberalistischen Wirtschaftsdenken sehr bald darüber klar geworden, daß einige Faktoren, wie z. B. die Vollbeschäftigung oder die gerechte Einkommensverteilung, nicht solchen Zufällen überlassen werden können, insbesondere, da befriedigende Ergebnisse hier keineswegs so sicher zu erwarten sind wie im Fall der durch die Marktwirtschaft ja äußerst effizient bewirkten Bedarfsdeckung. Durch „marktkonforme Wirtschaftspolitik''greift der Staat zu Lenkungsmaßnahmen, die die verkehrswirtschaftliche Ordnung grundsätzlich unangetastet gelassen haben Ziel war und ist es also, das durch Marktverzerrungen und Machtkonzentrationen gestörte freie Spiel der Kräfte, also die Selbststeuerung der Wirtschaft, wieder herzustellen. Dadurch lassen sich, wie die Wirtschaftsentwicklung der kapitalistischen Gesellschaften -ge hat, gesamtgesellschaftlich zeigt sehr viele erwünschte (Neben-) Folgen des Wirtschaftshandelns sichern — Umstand, ein den Kritiker dieses Systems als „peinigendes Rätsel" empfinden für Die Frage ist ob das auch die Vermeidung von Umweltschäden gelten kann, denn hier spricht die bisherige Erfahrung dagegen.

In Gesellschaftssystemen mit privater Verfügungsmacht über die Produktionsmittel besteht eine immanente Tendenz zur Umwelt-gefährdung, „weil in marktwirtschaftlichen, dezentral gesteuerten Systemen sowohl das Motivationsproblem, der Antrieb zum wirtschaftlichen Handeln, als auch das Allokationsproblem, die Kombination der Faktoren, simultan über den . ökonomischen Hebel'Individualeinkommen gelöst werden" Bei einer mikroökonomischen Strategie der Kapital-akkumulation und der Gewinnmaximierung verhält sich jede Wirtschaftseinheit system-gerecht, wenn sie alle Möglichkeiten der Kostensenkung nutzt, also auch Produktionskosten auslagert und freie Umweltgüter extensiv abbaut bzw. belastet. „Die Umwelt wurde im Prozeß der Industrialisierung mehr und mehr zum Abfallkübel privatkapitalistischer Akkumulation. Immer weniger galt sie als Umwelt aller Menschen, immer mehr wurden gesellschaftliche Kosten der privatwirtschaftlieh organisierten Industrieproduktion zu individuellen Gewinnbeiträgen umgeleitet." Betreffen diese Gesichtspunkte noch überwiegend die (möglichst kostensparenden) Herstellungsverfahren, $o kommt hinzu, daß die kapitalistische Produktionsweise regelmäßig zu Überproduktion führt und damit zu Vergeudung von Rohstoffen und Energie sowie zu enormen Abfallmengen

Es kann nach diesen Analysen, über deren wesentliche Aussagen zwischen der modernen Volkswirtschaftslehre und der politischen Ökonomie weitgehende Einigkeit herrscht, kein Zweifel daran bestehen, daß im Hinblick auf Schonung die unserer natürlichen Ressourcen einzelwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Rationalität divergieren. Aber dies ist eine häufige Konstellation, die sich durch die Mobilmachung von Gegenkräften, eine insbesondere starke Gewerkschaftsbewegung, meist hat ausgleichen lassen. Die gesamtgesellschaftliche Rationalität, deren Ziele etwa mit „Lebensqualität", Vorsorge für künftige Generationen, weltweiter Interessenausgleich zu umschreiben wären, aber in den westlichen Industriegesellschaften zu schwach organisiert. Das politische System in den kapitalistischen Gesellschaften hat sich, worauf Offe sehr deutlich hingewiesen hat dort als weitgehend unfähig zur Durchsetzung gesamtgesellschaftlicher Ziele erwiesen, wo die betroffene Bevölkerung keine Systemrisiken (Streiks, Unruhen, Revolutionen) erzeugen kann, sei es, weil sie sich aus physischen Gründen nicht artikulieren kann (Kinder, Alte, Kranke, spätere Generationen), oder sei es, weil die Benachteiligung nicht genügend wahrgenommen wird und sozial und räumlich schwer lokalisierbar ist. Dies letztere trifft im allgemeinen für Umweltschäden zu, so daß sich bisher keine ausreichend starken Interessengruppen gebildet haben. Die Aktionen beschränken sich auf vereinzelte Bürgerinitiativen, deren Wirkung gering und allenfalls kurzzeitig ist. Blockademaßnahmen, wie sie von Fischern in Japan oder auch jetzt von den Bauern von Wyhl oder Markeisheim vorgenommen wurden, sind untypisch, weil sich normalerweise weder Schädiger noch Geschädigte deutlich identifizieren lassen. Audi vom Bürger als Konsument ist die Verfolgung der genannten Ziele des Umweltschutzes nicht zu erwarten. Ist er schon bei der Wahrnehmung seiner eigenen Interessen, wie Preis und Gebrauchsqualität der Ware, aufgrund einer wissenschaftlich erarbeiteten Verkaufsmethodik sowie einer vielfach manipulativ wirkenden Werbung weitgehend hilflos, so fehlt ihm gar jedes Mittel, die Umweltqualität der Ware zu prüfen und zu beeinflussen.

Es bedarf also an dieser Stelle gar keiner Auseinandersetzung mit den Theorien, die den Staat schlechthin als Verwaltungsausschuß der Eigentümer der Produktionsmittel ansehen oder als den „ideellen Gesamtkapitalisten“ oder die — weniger weitgehend — die vielen Einflußmöglichkeiten der Wirtschaft auf die politische Willensbildung nadiweisen. Im Bereich der Umweltzerstörung begründet sich der Primat der Wirtschaft über die Politik allein schon daraus, daß die Wirtschaft in einem zentralen Bereich, nämlich in ihrem „Organisationsprinzip" infrage gestellt ist und ihre Interessen und Ziele unter Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur Geltung bringt, während das politische System auf die Artikulation von Umweltinteressen in keiner Weise vorbereitet ist.

3. Umweltgefährdung in der ZentralVerwaltungsWirtschaft

Dem ökonomischen Modell der sozialistischen Länder Osteuropas entsprechend dürften dort keine Umweltgefahren aus individuellem Gewinnstreben und Verselbständigung der Wirtschaft gegenüber der Politik auftreten. „Wirtschaften nach einem idealen Zentralplan dürften keine spezifischen Umweltprobleme mit sich bringen." Die Ansicht, daß im Sozialismus das Umweltproblem durch eine gesellschaftlich-politische Entscheidung gelöst werden kann, wird daher häufig vertreten. Wenn — durch das Ausmaß der Gefahr oder die Prioritäten der Gesellschaft — diese Entscheidung erforderlich werde, könne sie getroffen und exekutiert werden. Im Kapitalismus dagegen könne man sich zwar des Problems und den Gefahren bewußt werden, es gebe dann aber keine Entscheidungsstruktur, mit der das Problem gelöst werden könnte

Die Parallelität der Umweltschäden in den westlichen und östlichen Industrienationen zwingt jedoch zu dem Schluß, daß das prinzipiell größere Möglichkeitsspektrum der sozialistischen Zentralverwaltung in der Realität der osteuropäischen Volkswirtschaften eingeengt sein muß. Will man die Existenz der Schäden nicht als eine Art Betriebsunfall ansehen, so muß man folgern, daß die Zahl der Faktoren, die Eingang in die Wirtschaftsplanungen finden, keine wesentlich andere ist als in marktwirtschaftlichen Systemen. Und dies ist in der Tat ein Ansatz zur Kritik, wie sie in jüngster Zeit auch innerhalb der sozialistischen Bewegung vorgetragen wird. Mit der Abschaffung des Privateigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln ist nicht der Kapitalismus als Produktionsweise abgeschafft. Aus der gerechteren Verteilung der Gewinne folgt noch keine Aufhebung des Widerspruchs zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, keine Aufgabe des aus der industriellen Revolution übernommenen Akkumulationsmodells „Die sozialistische Gesellschaft ist eine Übergangsgesellschaft, aber in einem ganz präzisen Sinn des Wortes: eine Gesellschaftsform, in der die kapitalistische Produktionsweise, vermischt mit neuen Elementen, fortbesteht und einen entscheidenden Druck auf die politische Sphäre, die Beziehungen zwischen den Menschen und das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten ausübt." Für den Bereich der Umweltschäden zeigt sich diese Ausblendung übergreifender Ziele aus dem Wirtschaftshandeln sowohl in der betrieblichen Interessenkonstellation als auch bei der Planerstellung in der Zentralverwaltung. In den sozialistischen Marktwirtschaften, wie Jugoslawien und Ungarn, verfügen viele Betriebe (Genossenschaften) über Autonomie, in deren Gefolge sich auch „Unternehmerinteressen" einstellen. Da die Steigerung des Un-temehmensgewinns als Ziel unternehmerischen Handelns anerkannt ist, kollidieren hier wie in den westlichen Marktwirtschaften die Interessen des Staates und im Falle der Umweltgefahren die der ganzen Gesellschaft häufig mit denen der Unternehmung Aber auch in der UdSSR haben die Betriebe ein Eigeninteresse an möglichst hohen Produktionsziffern. Sie werden hier über Prämien zur Erfüllung oder Übererfüllung des ihnen auferlegten Plansolls angehalten und wehren sich gegen Umweltschutzmaßnahmen, die Investitionen vom Produktionssektor abziehen oder eine Unterbrechung des Produktionsprozesses notwendig machen. Entscheidend für die Prämierung sind allein solche Plankennziffern, die die Input-und Outputseite der Produktion ohne Berücksichtigung von Sozialkosten betreffen. Weder bei Entscheidungen des Betriebes über Art und Menge der erzeugten Produkte noch bei der Wahl der Produktionsverfahren kann Umweltgesichtspunkten ausreichend Rechnung getragen werden Die theoretisch gegebene Möglichkeit, daß jeder staatseigene Betrieb in seine Preiskalkulationen automatisch auch die Kosten einbezieht, die der Allgemeinheit durch seine Aktivität erwachsen, ist in der Praxis noch nicht realisiert. Da nicht nur Luft und Wasser, sondern auch die Gewinnung von Bodenschätzen unentgeltlich sind, kann es sogar zu gewissen Formen der Umweltzerstörung kommen, die sich in einer kapitalistischen Gesellschaft vermeiden lassen Die Rohstoffvorkommen werden relativ extensiv ausgebeutet, um beim Ansteigen der Durchschnittskosten alsbald zu neuen Lagerstätten überzugehen. Diese Praxis hat allerdings neuerdings dazu geführt, für Gruben und Schürfstellen Pachtgebühren zu erheben Auch wenn gelegentlich Geldbußen verhängt werden, um die Betriebe zur Verhinderung schädlicher Emissionen zu veranlassen, bestimmen rein betriebswirtschaftliche Kalkulationen das weitere Vorgehen: Sind die Bußen niedriger als die zur Beseitigung der Schadensquellen notwendigen Investitionen, so bleibt es in der Regel beim umweltschädigenden Produktionsverfahren

Bei der Aufstellung der Wirtschaftspläne haben bei dem auch in sozialistischen Ländern bestehenden Gegensatz zwischen den Interessen der Wirtschaftsfunktionäre aller Ebenen an Wachstums-bzw. Prämienmaximierung auf der einen Seite und übergreifenden Gesichtspunkten des Gemeinwohls auf der anderen Seite die ersteren bis heute die Oberhand behalten Eine offene Diskussion der Umwelt-bedrohung durfte lange Zeit nicht stattfinden und kann auch heute noch nicht so weit gehen, Verursachungszusammenhänge aufzuweisen, die den Kern des sozio-ökonomischen Systems betreffen. Eine Organisierung von Umwelt-interessen ist erschwert. Allerdings greift die sozialistische Presse jetzt immer häufiger einzelne Schadensfälle auf und ermöglicht es so, daß die negativen Auswirkungen des lange verherrlichten wirtschaftlichen Fortschritts breiteren Bevölkerungsschichten bewußt werden. Insgesamt gilt aber, daß eine politische Diskussion über die Wachstumsziele und die Teilnahme am internationalen Wettbewerb noch kaum begonnen hat. Die Frage wird vielmehr rein administrativ („technokratisch") und unter einem niedrigen Stellenwert innerhalb der Wirtschaftsverwaltung behandelt, was daraus deutlich wird, daß sie z. B. in der UdSSR erst auf nachgeordneten Ebenen der Planungshierarchie zur Realisierung konkreter Umweltschutzprojekte führt Die ungarischen mittel-und langfristigen Wirtschaftspläne sollen künftig auch Aufgaben des Umweltschutzes mit einbeziehen. Aber: „... natürlich werden nur die den ungarischen Industrieansprüchen genügenden Methoden eingeführt"

4. Ausdifferenzierung der Wirtschaft und Schadensverhütung

Folgt man der vorstehend angedeuteten These, daß wesentliche Ursache der Umweltzerstörung die Ausdifferenzierung und Autonomie des Teilsystems Wirtschaft ist und daß dieses System der Gesamtgesellschaft und insbesondere dem politischen Teilsystem Ziele zu setzen vermochte, so hat das Konsequenzen für Maßnahmen der Schadensverhütung. Dann ist nämlich zu überdenken, a) ob man es der Wirtschaft selbst überlassen will, künftige Umweltschädigungen zu verhindern, oder b) ob man den Weg gehen will, die Wirtschaft durch Einwirkungen „von außen", also insbesondere vom politischen System her, zur Schadensverhütung zu zwingen, oder c) ob man die Autonomie des Wirtschaftssystems selbst antasten will. zu a): Dieser Weg mutet auf den ersten Blick geradezu paradox an, nachdem die Eigenentwicklung des Wirtschaftssystems gerade zur Hauptursache der Umweltprobleme erhoben worden ist. Aber die Wirtschaft bekommt zunehmend selbst die nachteiligen Folgen der Umweltzerstörung zu spüren. Es wird z. B. schwierig, in den großen Industrieballungsgebieten die immer knapper werdenden Facharbeiter zu finden. So erbrachte eine Umfrage des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk aus dem Jahre 1966, daß rund 30°/0 der wegziehenden Arbeiter als Motiv ihrer Abwanderung aus dem Ruhrgebiet bessere Umgebungsverhältnisse wie saubere Luft und Erholungsmöglichkeiten in Wohnnähe angaben Die Versorgung mit brauchbarem Wasser, das für viele Industriezweige Trinkwasserqualität haben muß, stellt die industriellen Unternehmen vor Probleme der Vorreinigung. Staub-teilchen der Luft gefährden hochempfindliche Apparaturen und verringern deren Lebensdauer. Abgase führen zu Korrosionsschäden, Lärm vermindert die Konzentrationsfähigkeit des Arbeiters. Die Umweltkrise wird also von einem bestimmten Zeitpunkt an unmittelbar produktionsrelevant.

Wenn die Aussage der Systemtheorie aber richtig ist, daß Ausdifferenzierung und Selbst-steuerung die Zahl der Handlungsmöglichkeiten und damit die Effizienz zur Erreichung von Systemzielen erhöht, so spricht viel dafür, die Verhinderung von produktionsrelevanten Um-weltschäden im Wirtschaftssystem selbst besorgen zu lassen. Dies ist auch eine Tendenz, die sich in den westlichen Industriestaaten schon deutlich abzeichnet. Umweltschutz gilt an der Wallstreet als eine der heißesten Wachstumsindustrien der siebziger Jahre. Im Umweltschutzgeschäft sind seit 1969 Kursgewinne von oft mehr als 50% zu verzeichnen Um der Rohstoffverknappung Herr zu werden, gründen die Handelskammern in der Bundesrepublik Deutschland Abfallbörsen. Und auch die ideologische Stütze ist schon erarbeitet:

„Weitblickende Unternehmer erkennen im Umweltschutz eine große Bewährungsprobe für die Wirtschaft. Hierzu schrieb mir dieser Tage ein internationaler Manager: , Je besser die Wirtschaft die Probleme meistert, desto besser wird auch das Image der Marktwirtschaft in den Augen der breiten Öffentlichkeit, damit auch das viel gelästerte Image des Unternehmers.'Der Hintergrund für diese Auffassung: Schon heute geht die soziale Verantwortung des Unternehmers weiter und tiefer als das übliche betriebliche Sozialwesen; sie steht an der Grenze der gesellschaftlichen Verantwortung, wurde zur klaren Management-Aufgabe moderner Unternehmensführung. Der Einsatz in Fragen des Umweltschutzes, der Infra-und Sozialstrukturen, entspricht der Rollen-Erwartung, die die Öffentlichkeit heute vom Unternehmertum hat."

Man wird auch noch eine Reihe von staatlichen Maßnahmen, wie Abschreibungsmöglichkeiten für Umweltschutz-Investitionen oder die Erhebung von Emissionsabgaben („effluent fees"), in diese erste Gruppe einzuordnen haben, die die Bewältigung der Umweltgefahren in die Hände der Wirtschaft selbst legt. Denn diese Anreize sollen nur die unternehmerische Entscheidung erleichtern, diese aber nicht ersetzen. So wird z. B. damit gerechnet, daß einzelne Betriebe aus kalkulatorischen Gründen lieber die Abgaben zahlen als Schutz-vorkehrungen zu treffen.

Das Risiko, ein gesamtgesellschaftliches Problem durch ein Teilsystem bewältigen zu lassen, ist zweifellos groß. Man hat da nur an den ja weitgehend realen Fall zu denken, daß die Energieversorgung eines Landes allein in die Hände eines oder weniger internationaler Konzerne geraten ist. Aber die Effizienz solcher Aufgabendelegation ist ein Faktor, der gerade angesichts der Umweltbedrohung schwer ins Gewicht fällt. Man wird, wenn die Wirtschaft das Problem in die Hand nimmt, jedenfalls sehr genau zu prüfen haben, welche Ziele ausgeblendet sind und welche Gefahren möglicherweise sogar noch potenziert werden.

zu b): Der Weg, die Wirtschaft vom politischen System her zur Schadensverhütung zu zwingen, ist sozusagen der klassische Weg des bürgerlichen Staates: Jedermann hat solange Freiheit, bis er das Gemeinwohl schädigt. Das Gemeinwohl wird vom Staat gewahrt und zur Durchsetzung gebracht. Dementsprechend liegt hier der Schwerpunkt der Umweltschutzmaßnahmen. Die Errichtung und der Betrieb von Produktionsanlagen ist nur unter Einhaltung behördlich festgelegter Verfahrensstandards möglich. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die erforderlichen technischen Vorkehrungen zur Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen getroffen worden sind. An bestimmte Produkte werden strenge Qualitätsanforderungen gestellt. Bußen, Freiheitsstrafen, Betriebsstilllegungen dienen der Durchsetzung der politisch gesetzten Ziele. Aber es ist sehr die Frage, ob man mit diesen Maßnahmen viel mehr erreichen wird als das, woran die Wirtschaft ohnehin Interesse hat. Bisherige Kontrollversuche über die Wirtschaft, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland etwa in Form des Bundeskartellamtes oder'des Bundesaufsichtsamtes über das Kreditwesen unternommen wurden, haben sich, wie gerade jüngste Fälle deutlich gemacht haben, als nicht allzu wirkungsvoll erwiesen. Es ist zunächst schon ein reines Informationsproblem, die vielen zur Einschränkung von Umweltgefahren notwendigen Daten „von außen" in Erfahrung zu bringen. Die Kommunikation zwischen Teilsystemen der Gesellschaft unterliegt immer Filterungsprozessen — und natürlich besonders dann, wenn durch die Weitergabe von Informationen die eigenen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden könnten. Es ist ganz undenkbar, daß politische Kontrollorgane über die Umweltrisiken, die neue Produktionsverfahren oder neue Produkte mit sich bringen, immer rechtzeitig unterrichtet werden. Hinzu kommt, daß die Wirtschaft auf ihrem seit langem eingespielten Instrumentarium politische Maßnahmen abblocken wird, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Die kapital-orientierten Verbände besitzen in der Bundesrepublik Deutschland ein dichtes Organisations-und Kommunikationsnetz. Die geschätzte Zahl hauptamtlicher Mitarbeiter schwankt zwischen 30 000 und 120 000 In den Industrie-und Handelskammern besitzen die Unternehmer Organisationen, mit deren Hilfe sie unter dem Deckmantel sachverständiger Beratung, die zum gesetzlichen Aufgabenbereich der Kammern gehört, die unternehmerischen Auffassungen den Behörden besonders gut nahebringen können Die Abhängigkeit der Kommunen vom Gewerbe-steueraufkommen zwingt jeden Bürgermeister, zuallererst die Interessen „seiner" Industrie zu erkennen und zu fördern Die wesentlichsten Argumente der breiten Literatur, die Einflußwege der Wirtschaft auf die Politik nachweist gehen in folgende Richtungen: — Einzelne Kapitalblöcke oder Industriegruppen haben institutionalisierte Einflußchancen auf Gesetzgebung und Verwaltung, die die Möglichkeit geben, Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.

— Durch die Drohung mit „Investitionsstreiks" oder Verlagerung der Produktion ins Ausland besteht ein ständig latenter „indirekter Einfluß", der den Staat zwingt, immer in Antizipation solcher Möglichkeiten zu handeln.

— Ein großer Teil der politischen Meinungsbildung vollzieht sich unter der direkten Kontrolle kapitalistisch organisierter Massenmedien. — Schließlich kann auf die personelle Besetzung wichtiger Staatsämter direkt oder indirekt Einfluß genommen werden

Die Wirtschaft war bislang mit diesen Einflußmitteln im Unterlaufen der ja schon seit langem bestehenden Gesetze zum Schutze der Umwelt so erfolgreich daß von den neuerdings verschärften staatlichen Regelungen in der Praxis wohl auch nicht allzu viel zu erwarten ist. Eine volle Befolgung der normierten Standards ist nur dort vorauszusehen, wo die Betriebe ein Eigeninteresse an der Verbesserung der Umweltqualität haben. Dies scheint insbesondere auf dem Gebiet der Wasseneinhaltung der Fall zu sein Die eigentlich dem politischen System zugedachte Funktion, Ziele zu verfolgen, die in den gesellschaftlichen Teilsystemen nicht ausreichend erfüllt werden, stößt im Bereich der Umweltpolitik — jedenfalls nach bisherigen Erfahrungen — auf schwer überwindbare Hindernisse. Etwas anderes gilt nur, wenn entstehende Kosten und Gewinnverminderungen voll vom Staat übernommen werden Damit ist allerdings schon der im nächsten Abschnitt anzusprechende Problembereich berührt.

zu c): Die Autonomie des Wirtschaftssystems wäre am radikalsten eingeschränkt durch Verstaatlichung der Privatindustrie im Westen bzw. Abbau dezentralisierter Entscheidungsstrukturen und betrieblicher Prämiensysteme im Osten. Ohne Zweifel würde dadurch das politische System wieder in die Lage versetzt, bisher ausgeblendete Ziele in das Wirtschaftshandeln einzubringen. Werte wie die auch immer definierte „Lebensqualität“ oder die Erhaltung natürlicher Ressourcen für spätere Generationen könnten erste Priorität erhalten. Zu Unrecht wird eingewandt, westliche Staatsunternehmen verhielten sich gegenwärtig im Wirtschaftsverkehr ebenso umwelt-schädigend wie Privatunternehmen. Zunächst wäre diese immer wieder gehörte Behauptung zu überprüfen. Vor allem aber ist zu bedenken, daß isolierte staatliche Inseln in einem nach kapitalistischen Gesetzen funktionierendem System zu weitgehender Anpassung gezwungen sind. Wenn dagegen ganze Industriezweige unter unmittelbar staatliche Führung gestellt werden, dürften ’ ihre Entscheidungen politischen Zielen gegenüber offener sein. Das öffentliche Transport-und Kommunikationswesen in der Bundesrepublik scheint dafür ausreichend Beweise herzugeben. Gleichwohl gibt es nur wenige Vertreter einer solchen Roßkur der Umweltkrise, da ein ausdifferenziertes Wirtschaftssystem andere Ziele, wie etwa Bedarfsdeckung, jedenfalls am effektivsten zu erfüllen scheint. Sieht man sich die Argumente der Gegner von Vergesellschaftungsplänen aber genauer an, so richten sie sich nur gegen eine Verschmelzung des wirt-schaftlichen mit dem politischen System, was wohl daher rührt, daß dieses nirgendwo unter irgendwelchen Gesichtspunkten optimale Strukturen hervorgebracht hat. Man müßte in der Tat nach allen bisherigen Erfahrungen damit rechnen, daß sich Mängel des politischen Systems, wie Verwaltungsaufblähung, Bildung einer Funktionärskaste, Korruption usw., auch auf den Produktionsbereich äusdehnen würden. Damit wäre niemandem geholfen. Aber es gibt Entwicklungen, die zeigen, daß die Wirtschaft auch auf andere Weise wieder in die Gesellschaft zurückgeholt werden kann. Vorrangig sind hier die Mitbestimmungsmodelle zu nennen, mit denen eine Teilnahme der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen an Produktionsplanung und Betriebsleitung erreicht werden'soll. Sicher ist, daß auf diese Weise mehr Ziele in die betrieblichen Entscheidungen eingehen werden. Eine ausschließliche Orientierung am Ziel der Gewinnmaximierung wird dann nicht mehr möglich sein. Allerdings ist die Zurückhaltung der Gewerkschaften in Fragen des Umweltschutzes auffällig, und es ist sicher nicht zufällig, daß ein Vorstandsmitglied der IG Metall auf einer Tagung zu Fragen der „Lebensqualität" eine gewerkschaftliche Mitwirkung gerade bei Produktionseinschränkungen und Produktionsverboten fordert Die Arbeitnehmerinteressen sind oft zwangsläufig auf die Fortführung innweltschädigender Produktion gerichtet, um Arbeitsplätze zu erhalten. Verbraucherinteressen sind durch Mitbestimmungsmodelle jedenfalls nicht ausreichend repräsentiert. Gesellschaftliche Zielvorstellungen lassen sich aber auch über den Besitz von Aktien in die Unternehmen einbringen Hierfür gibt es insbesondere in den USA eine Reihe von höchst bemerkenswerten Beispielen. Gruppen von Kleinaktionären, hinter denen oft Interessenverbände oder auch Universitäten stehen, erzwingen Tagesordnungspunkte für die Hauptversammlung und damit die Möglichkeit, ihre Standpunkte schon in der Einladung zur Hauptversammlung einer breiten Öffentlichkeit von Aktienbesitzern darzulegen. Oft sind es politische Ziele: bei Dow Chemical ging es gegen die Napalm-Produktion, bei Polaroid gegen die Geschäftsbeziehungen mit Südafrika, bei Gulf Oil gegen die Olförderung in Angola. Die Hauptzielrichtung derartiger Aktionen dürften aber heute die Problembereiche Verbraucherschutz und Umweltschutz sein. Hier ist insbesondere „Campaign GM", eine Aktion bei General Motors, zu einiger Berühmtheit gelangt. Die Rechtsprechung zur Frage, ob derartige Tagesordnungsanträge zulässig sind, ist noch nicht einheitlich Die Unternehmensleitungen sehen sich aber bereits vielfach gezwungen, sogenannte „Committees for Corporate Responsibility" einzusetzen und, wie im Falle von General Motors,

Social Responsibility Reports herauszubringen. Spezielle Umweltschutzabteilungen sind keine Seltenheit mehr. Offen ist einstweilen natürlich, inwieweit hier über den Selbstdarstellungseffekt hinaus die Unternehmensentscheidungen wirksam beeinflußt werden. Parallelen sind auch in Zentralverwaltungswirtschaften zu finden. So sind z. B. in verschiedenen Betrieben der DDR sozialistische Arbeitsgemeinschaften für Umweltschutz gegründet worden

5. Ersatzleistung aus Umweltschäden — ein offenes Forschungsproblem

Das Recht hat, wie vorstehend angedeutet, auf die Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems aus der Gesellschaft in ganz verschiedener Weise reagiert, wenn es um Fragen der Schadensverhütung ging. Sicherlich ist auch im Grundsätzlichen dabei noch vieles ungeklärt, insbesondere die Frage, auf welchem der drei beschriebenen Wege der Schwerpunkt der Maßnahmen anzusiedeln ist. Dazu bedürfte es einer genauen Evaluierung des bis jetzt eingesetzten Instrumentariums — eine Aufgabe, die nur in Zusammenarbeit zwischen Rechts-und Sozialwissenschaftlern lösbar erscheint. Aber die Gesetzgeber haben auf einer breiten Skala von Strafrecht, öffentlichem Recht, Steuerrecht bis zum Versicherungsrecht eine Flexibilität an den Tag gelegt, der, das läßt sich auch ohne genaue Folgenanalyse schon sagen, Erfolge nicht versagt geblieben sind. Das gleiche gilt nicht für das Ersatzrecht. Drei Lösungsmöglichkeiten des Ausgleichs von Umweltschäden sind bis jetzt erdacht worden: Individualklage, Verbandsklage und Umweltschadenskasse. Eine deutliche Parallele zu den drei genannten Wegen der Schadens-verhütung fällt ins Auge: Bei der Individualklage des Geschädigten wird der Umweltkonflikt dem „freien Spiel der Kräfte" überlassen — das liberale Wettbewerbsmodell, das darauf baut, daß Konflikte, wenn man sie sich selber überläßt, am ehesten zu einem Ausgleich kommen. Bei der Verbandsklage steht die staatliche Einwirkung im Vordergrund, denn dieser prozessuale Weg steht und fällt mit der gerichtlichen Entscheidung darüber, ob der klagenden Personenmehrheit Aktivlegitimation zuerkannt werden kann. Im Fall des Bestehens einer Umweltschadenskasse ist den Konfliktparteien jede Autonomie über den Streit aus der Hand genommen, die Schadens-abwicklung ist vollständig verstaatlicht.

Das Prinzip der Umweltschadenskasse ist es, die von den Schädigern erhobenen Emissionsabgaben in einem Fonds zu sammeln, aus dem Ansprüche aus Umweltschäden dann individuell abgegolten werden. Bei einer solchen Schadensabwicklung entfallen zivilprozessuale Probleme, insbesondere erübrigt sich aber die oft schwierige oder unmögliche Feststellung des Verursachers. Das Modell ist zwar verschiedentlich vorgeschlagen, aber noch in keiner Rechtsordnung verwirklicht worden Wo Emissionsabgaben erhoben werden, wie z. B. in der DDR werden sie für Umweltschutzeinrichtungen aufgewandt oder fließen in die Staatskasse. Eine sozialwissenschaftliche Erörterung fehlt bisher ganz. Sie hätte sich insbesondere mit einem Vergleich der Zugangsbarrieren zu einem solchen Fonds einerseits und zu den Zivilgerichten andererseits zu beschäftigen. Obwohl es immer wieder Beispiele dafür gibt, daß auch staatliche Leistungen nicht in Anspruch genommen werden (z. B.der in der Bundesrepublik Deutschland anläßlich der Olverteuerung gewährte Heizungskostenzuschuß), dürften die Barrieren erheblich niedriger sein, als der Weg zum Zivil-richter. Verbandsklagen sind in ausländischen Rechtsordnungen, wie USA, Frankreich, Schweiz, zur Erzwingung staatlicher Umweltschutzmaßnahmen weitgehend anerkannt Zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen sind bis-her jedoch lediglich in den USA in den Formen der dass actions wirksame Instrumente entwickelt worden, um die Ausgleichsforderungen einer Vielzahl von Betroffenen gemeinsam geltend zu machen. Auch auf diesem Gebiet steht jedoch noch eine sozialwissenschaftliche Analyse aus, die der Frage nachgeht, in welchen sozialen Situationen derartige gemeinschaftliche Aktionen überhaupt zustande kommen können. Denn einige spektakuläre Klagen in den USA und die Erfolge des amerikanischen Verbraucheranwalts Ralph Nader dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß in aller Regel Umweltbeeinträchtigte zu den großen „schweigend leidenden" Gruppen gehören, in denen normalerweise keine Tendenz besteht, sich aktiv für die Verbesserung der äußeren Lebensumstände und für gemeinsame Interessen einzusetzen Die Haupt-geschädigten, die nach Ausbildung und Einkommen unterprivilegierten Bewohner von Industrieregionen, kennen ohnehin keine anderen Lebensbedingungen und nehmen Umweltschäden, wie viele Umfragen ergeben haben, auch in erheblich geringerem Umfang wahr.

Schadensersatzforderungen sind mangels wirksamer anderer Wege daher nur auf dem Zivilrechtsweg durchsetzbar — eine Prozeßform, die in keiner Weise auf solche Streitigkeiten eingerichtet ist. Es fehlt in allen Rechtsordnungen an ausreichender Rechtsberatung und materieller Hilfe für Minderbemittelte, die regelmäßig am meisten unter Umweltschäden zu leiden haben. Sie haben ohnehin schon kaum Zugang zum Recht, sind aber dann in vollkommen aussichtsloser Position, wenn es sich beim Gegner um ein Industrieunternehmen handelt. Es gibt im Umweltschadensprozeß regelmäßig besondere Beweisschwierigkeiten. Die Prozeßkosten sind überdurchschnittlich hoch, da die Verfahren meist über mehrere Instanzen laufen und Gutachter hinzugezogen werden müssen. Soweit ein Ver-schuldensnachweis zu erbringen ist, liegen regelmäßig alle zur Einschätzung erforderlichen Tatsachen außerhalb der Informationsmöglichkeiten des Geschädigten, da es sich beim Emittenten typischerweise nicht um Einzelpersonen, sondern um komplexe Organisationen handelt. Von besonderer Bedeutung ist auch die Einstellung der Richter zum Umwelt-schaden, denn ihnen steht gerade in diesen Prozessen ein besonders weiter Entscheidungsspielraum zur Verfügung. Vorherrschend dürfte heute noch die Auffassung sein, daß jeder in Ballungsgebieten von Emissionen Betroffene zugleich die sich für die Gesamt-gesellschaft und für ihn selbst ergebenden Vorteile dieser Gebiete umfassend nutzt, so daß ihm in bestimmtem Umfang Beeinträchtigungen zugemutet werden können und müssen Eine Meinungsänderung könnte sich aber hier anbahnen, wenn empirische Daten über besondere Schadenskonzentrationen und über ungleiche Auswirkungen auf verschiedene Bevölkerungsgruppen vorliegen.

Für die auf diesem Gebiet zu leistende rechts-politische Arbeit fehlt es noch an einer Grundvoraussetzung allen juristischen Denkens: an der Kenntnis der typischen Formen des zu regelnden sozialen Geschehens. Es gibt nicht den Umweltschaden, sondern nur eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen typischen Schadenssituationen. Explosionsschäden haben wenig gemeinsam mit dem Fischesterben im Rhein, Smogschäden wenig mit dem Verlust an Erholungsmöglichkeiten in der bebauten Landschaft. Was zunächst zu leisten sein wird, ist die Bestimmung geeigneter Indikatoren, mit deren Hilfe die Wirklichkeit strukturiert und so konkret wie möglich erfaßt werden kann. Es sollte dann daran gegangen werden, die Schadenssituationen, die durch Zivilprozesse zum Ausgleich geführt werden können, herauszuarbeiten und das materielle wie das Verfahrensrecht darauf einzurichten. Für einen großen Teil typischer Umweltschäden wird aber wohl nach anderen Schadensausgleichsformen zu suchen sein *

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dennis Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums, Reinbek 1973.

  2. Vgl. bes. Joachim Israel, Der Begriff Entfremdung, Reinbek 1972.

  3. Helmut Schelsky, Industrie-und Betriebssoziologie, in: A. Gehlen, H. Schelsky, Sozjslogia, 1955’, S. 163 f.

  4. NZZ v. 24. 6. 1974.

  5. D. Meadows, a. a. O., S. 26.

  6. Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Köln-Berlin 1964, S. 43 ff.

  7. N. Luhmann, Soziologie als Theorie sozialer Systeme, in: ders., Soziologische Aufklärung, Köln und Opladen 1970, S. 113 ff.

  8. N. Luhmann, Wirtschaft als soziales System, in: ders., Soziologische Aufklärung, S. 204 ff.

  9. A. a. O., S. 210 f.

  10. A. a. O., S. 229.

  11. Erich Preiser, Nationalökonomie heute, München 1960, S. 45.

  12. Vgl. statt vieler: Andreas Paulsen, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, Berlin 1959, S. 41.

  13. So z. B. Claus Offe, Krisen des Krisenmanagements: Elemente einer politischen Krisentheorie, in: M. Jänicke (Hrsg.), Herrschaft und Krise, Opladen 1973, S. 198.

  14. Karl-Heinrich Hansmeyer, Bert Rürup, Umwelt-gefährdung und Gesellschaftssystem, in: Wirtschaftspolitische Chronik, 1973, S. 7— 27 (11).

  15. Gerhard Kade, Ökonomische und gesellschaftspolitische Aspekte des Umweltschutzes, in: M. Glagow (Hrsg.), Umweltgefährdung und Gesellschaftssystem, München 1972, S. 124— 141 (131).

  16. Vgl. Volker Ronge, Umwelt im kapitalistischen System, in: M. Glagow, a. a. O., S. 97— 123 (109).

  17. Vgl. die von Claus Offe vertretene Theorie der Disparität von Lebensbereichen in: Gisela Kress/Dieter Senghaas, Politikwissenschaft, Frankfurt 1972, S. 154 ff.

  18. Vgl. Claus Offe, Stukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 19722, S. 65 ff.

  19. Vgl. Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt 1973, S. 61 ff.

  20. Hansmeyer/Rürup, a. a. O., S. 13.

  21. Ronge, a. a. O., S. 111.

  22. Vgl. Marshall J. Goldman, The Spoils of Progress. Environmental Pollution in the Soviet Union, Cambridge, Mass. 1972; ders., Umweltzerstörung und Umweltvergiftung in der Sowjetunion, in: M. Glagow (Hrsg.), Umweltgefährdung und Gesellschaftssystem, a. a. O„ S. 73— 94.

  23. Vgl. Hans Magnus Enzensberger, Zur Kritik der politischen Ökologie, in: Kursbuch 33 (1973), S. 1— 42 (25); Rossana Rossanda, Die sozialistischen Länder: Ein Dilemma der westeuropäischen Linken, in: Kursbuch 30 (1972), S. 1— 34 (25 ff.).

  24. Rossana Rossanda, a. a. O., S. 30.

  25. Vgl. Gyula Bora, Planwirtschaft als Voraussetzung einer wirksamen Umweltpolitik, in: Umweltpolitik in Europa, München 1973, S. 245— 255 (246 f.).

  26. Hans-Hermann Höhmann, Gertraud Seidenstecher, Thomas Vajna, Umweltschutz und ökonomisches System in Osteuropa, Stuttgart 1973, S. 38; vgl. a. Hellmuth Stefan Seidenfuss, Umweltschutz, politisches System und wirtschaftliche Macht, in: Macht und ökonomisches Gesetz, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F. Bd. 74/11, Berlin 1973, S. 816.

  27. Vgl. Goldmann, Umweltzerstörung und Umwelt-vergiftung in der Sowjetunion, a. a. O., S. 89 f.

  28. A. a. O., S. 88.

  29. Höhmann/Seidenstecher/Vajna, a. a. O., S. 39, 56; Bora, a. a. O., S. 247.

  30. Rossana Rossanda, a. a. O., S. 26; Höhmann/Seidenstecher/Vajna, S. 27 ff.

  31. Höhmann/Seidenstecher/Vajna, S. 31.

  32. Bora, a. a. O., S. 249.

  33. Helmut Zschocke, Ungelöstes Problem der Umweltgestaltung in Westdeutschland, in: M. Glagow, a. a. O„ S. 148.

  34. Vgl. Martin Gellen, Das Entstehen eines ökologisch-industriellen Komplexes, in: M. Glagow, a. a. O., S. 207.

  35. Zürcher Trend, Verlag Transterra GmbH, 12. 3. 1971, zit. bei G. Kade, Ökonomische und gesellschaftspolitische Aspekte des Umweltschutzes, in: Glagow, a. a. Ö., S. 138.

  36. Norbert Koubek u. a., Wirtschaftliche Konzentration und gesellschaftliche Machtverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/72, S. 16.

  37. Hermann Adam, Pluralismus oder Herrschaft des Kapitals?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14/74, S. 37.

  38. Thomas Ellwein, Regierung und Verwaltung, 1. Teil: Regierung als politische Führung, Stuttgart 1970, S. 30.

  39. Vgl. statt vieler John Kenneth Galbraith, Andrew Shonfield, Geplanter Kapitalismus, Köln 1968; Jörg Huffschmied, Die Politik des Kapitals, Frankfurt 1969; Joachim Hirsch, Zur politischen Ökonomie des politischen Systems, in: Kress/Senghaas (Hrsg.), Politikwissenschaft, Frankfurt 1972.

  40. Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalisti-schen Staates, Frankfurt 19732, S. 66 f.

  41. Vgl. Eckard Rehbinder, Hans-Gerwin Burgbacher, Rolf Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, Berlin 1972, S. 21 ff.

  42. Vgl. Manfred Glagow, Zur staatlichen Regulierung von Umweltschäden, in: M. Glagow (Hrsg.) a. a. O., S. 193— 206.

  43. Vgl. J. Clarence Davies, The Politics of Pollution, Indianapolis 1970, S. 92 ff.

  44. Vgl. Klaus Schmid, Diskussionsbeitrag, in: Aufgabe Zukunft — Qualität des Lebens, Bd. 4, Frankfurt 1973, S. 155.

  45. Vgl. Phillip J. Blumberg, Corporate Responsibility in a Changing Society, Boston 1972; The Greening of the Board Room: Reflections on Corporate Responsibility, in: 10 Columbia Journal of Law and Social Problems (1973) 15— 46.

  46. Vgl. 57 Minnesota L. Rev. (1972) 385— 395.

  47. Vgl. Höhmann/Seidenstecher/Vajna, a. a. O., S. 119.

  48. In Holland ist allerdings ein Anfang gemacht mit einer Ersatzkasse für Schäden aus Luftverschmutzung, die anderweitig nicht ausgeglichen werden können; vgl. Art, 64 des holländischen Gesetzes gegen Luftverschmutzung.

  49. Vgl. Höhmann/Seidenstecher/Vajna, a. a. O., S. 122 ff.

  50. Vgl. Eckard Rehbinder, Hans-Gerwin Burgbacher, Rolf Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, Berlin 1972.

  51. Vgl. M. Olson, Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, Tübingen 1968; vgl. zu den Bürgerinitiativen im ge-samtgesellschaftlichen Kontext auch Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staats, Frankfurt 1973, S. 123 ff. und 153 ff.

  52. Vgl. Höhmann/Seidenstecher/Vajna, S. 107 f.

  53. Eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, hat mit einem derartigen Arbeitsvorhaben begonnen.

Weitere Inhalte

Konrad Zweigert, Dr. jur., Dr. h. c., Professor, geb. am 22. 1. 1911, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Privatrechts, Bd. 1: Grundlagen, Tübingen 1971, Bd. 2: Institutionen, Tübingen 1969 (zusammen mit Hein Kötz); verantwortlicher Herausgeber der International Encyclopediä of Comparative Law, 17 vols., Tübingen—Paris 1971 ff. Volkmar Gessner, Dr. jur., geb. am 9. 10. 1937, studierte Rechtswissenschaft und Soziologie; nach Tätigkeiten als Rechtsanwalt und Richter sowie längerer empirischer Sozialforschung in Mexiko seit 1970 wissenschaftlicher Referent für Soziologie am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg; Anfang 1975 Habilitation in Bielefeld für die Gebiete Soziologie und insbesondere Rechtssoziologie. Veröffentlichungen: Der Richter im Staatenkonflikt, Berlin 1969; Gastarbeiter in Gesellschaft und Recht (zusammen mit T. Ansay), München 1974; Recht und Konflikt, Tübingen 1975 (im Erscheinen), sowie eine Reihe von rechtssoziologischen Aufsätzen.