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Praktische Probleme bei der Begegnung, beim Dialog und beim Informationsaustausch zwischen Ost und West | APuZ 38/1975 | bpb.de

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APuZ 38/1975 Einige Bemerkungen aus polnischer Sicht zum Thema „Informations-, Meinungsund kultureller Austausch" Praktische Probleme bei der Begegnung, beim Dialog und beim Informationsaustausch zwischen Ost und West Vietnam und die Folgen

Praktische Probleme bei der Begegnung, beim Dialog und beim Informationsaustausch zwischen Ost und West

Gerhard Wettig

/ 54 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

E. Guz geht in seiner Stellungnahme zu dem von G. Wettig in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beitrag („Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West. Zur Problematik einer umfassenden Koexistenz in Europa", B 11/75) von der These aus, daß der Austausch von Informationen und Meinungen sowie die kulturellen Kontakte zwischen Ost und West bereits einen beachtlichen Umfang erreicht hätten und daher die Forderungen mancher westlicher Länder an den Osten nach verstärkten Austauschbeziehungen — also nach einer stärkeren Auffüllung des „Dritten Korbes“ der KSZE — nicht so recht verständlich seien. Dies um so mehr, da auf einigen Gebieten noch ein erhebliches Defizit des Westens in der kulturellen Austauschbilanz bestünde, wie der Autor mit Zahlenbeispielen verdeutlicht. Mißverständnisse und Konflikte in den Austauschbeziehungen würden zumeist in den jeweils anderen Organisationsformen dieser Kontakte in Ost und West begründet sein. Aber auch die unterschiedlichen WertVorstellungen und gesellschaftlichen Leitbilder spielten bei den Konflikten eine Rolle, z. B. bei der Publizistik, deren Kommerzialisierung und damit mangelnde politisch-gesellschaftliche Relevanz in westlichen Ländern E. Guz beklagt. Es sei nicht angängig, daß diese Fehlentwicklungen mittels der vom Westen auf der KSZE gewünschten Aufhebung staatlicher Kontrollen in die östlichen Länder „exportiert" würden. In seinem Schlußwort zu dieser Kontroverse geht G. Wettig u. a. auch auf diesen Punkt ein, indem er dem Osten den Vorwurf macht, lediglich systemkonforme Informationen und Meinungen aus dem Westen zuzulassen, während es in westlichen Ländern keine Einschränkungen in dieser Hinsicht gäbe. Besonders die DDR betreibe — ihren eigenen Anspruch, einer der „weltoffensten Staaten“ zu sein, ad absurdum führend — nach wie vor die schärfsten Restriktionen. Problematisch sei ferner das von östlicher Seite oft benutzte Postulat einer „Entpolitisierung" der kulturellen Beziehungen: sie selbst nehme sich bei ihrer auswärtigen Kulturpolitik von dieser Forderung aus, da nach ihrem Selbstverständnis auch bzw. gerade die Kultur eine wichtige politische Dimension habe. Zum Ausdruck komme diese Haltung in der trotz Helsinki und KSZE weiter verfolgten Strategie gegenüber dem Westen, in der die auswärtige Kulturpolitik in zunehmendem Maße der offensiven ideologischen Konfrontation zu dienen habe.

1. Vorbemerkung

Meine Ausführungen zur geistig-menschlichen Dimension der Koexistenz in Europa haben auf östlicher Seite einen Polen zur Erwiderung herausgefordert. Die Überlegungen, die ich angestellt habe, basierten jedoch wesentlich auf einer Kenntnis der Einzelfragen in der UdSSR und in der DDR. Wie andere ostmitteleuropäische Länder befindet sich Po-len zwar hinsichtlich der grundsätzlichen Auffassungen im Konsens mit dem sowjetischen wie dem ostdeutschen Verbündeten, doch sind in einzelnen Bereichen von geringer ideologischer Relevanz durchaus andersartige Verhaltensweisen möglich. Die beeindruckenden Zahlen, die Eugeniusz Guz für das polnische Interesse an dem kulturellen Leben und den publizistischen Erzeugnissen des Westens und nicht zuletzt der Bundesrepublik anführt, würden sich beispielsweise ganz sicher nicht für die DDR zitieren lassen!

Wenn ich anschließend zu den Einwänden von Eugeniusz Guz Stellung nehme, kann ich mich leider nicht speziell auf die Situation in Polen beziehen, die bei ihm im Vordergrund steht. Es fehlt mir dazu der hinreichende Sachverstand im Detail; die Kürze der Zeit, die mir für die Formulierung einer Antwort zur Verfügung steht, läßt auch keinerlei Recherchen hierüber zu. Daher kann ich mich, was Polen betrifft, nur auf die ihm mit anderen Warschauer-Pakt-Staaten gemeinsamen Grundsätze beziehen und muß die praktische Handhabung an empirischen Befunden aus der UdSSR und/oder der DDR zu skizzieren suchen. Weiterhin war es mir nicht möglich, einzelnen Vorfällen nachzugehen, die Eugeniusz Guz als Beweis für westliche Illiberalität beim geistigen Austausch mit dem Osten anführt. Ich kann lediglich zu einem Urteil darüber zu gelangen suchen, inwieweit diese berichteten Vorfälle, wenn sie tatsächlich in der angegebenen Weise geschehen sind, als typisch gelten können.

2. Begegnung und Dialog zwischen Ost und West — bereits freigegeben?

Meinem Plädoyer für freiere Begegnungen und Dialoge zwischen den Menschen beiderseits der ideologischen Grenze stellt Eugeniusz Guz die Ansicht gegenüber, es solle statt dessen das Bemühen darauf gerichtet werden, „die schon bestehenden Formen der Zusammenarbeit voll zu nutzen". Ich würde mich dieser Meinung gerne anschließen, wenn dieses Bemühen nur einen Teil — nicht aber das Ganze — des Ringens um mehr Kontakte und mehr Verstehen zwischen den beiden Hälften Europas bilden sollte. Denn Eugeniusz Guz hat zweifellos recht, wenn er meint (und dies auch an verschiedenen Beispielen verdeutlicht), daß die heute bereits vorhandenen Möglichkeiten durchaus nicht immer ausgeschöpft werden. Aber wir würden uns et-was vormachen, wenn wir uns einreden wollten, daß für alle Bedürfnisse der grenzüberschreitenden Begegnung, Verständigung und Information ausreichend gesorgt sei, wenn nur die geebneten Wege auch beschritten würden.

Viele Hindernisse hemmen und blockieren noch das Zueinanderkommen der Menschen und den Austausch der Gedanken. Es ist zum Beispiel, selbst wenn man der SED-Führung ein uneingeschränktes Recht auf das Volk in ihrem Staate zubilligen will, nicht einzusehen, daß der Friedhofsgärtner oder der Müllkutscher irgendeiner abgelegenen Gemeinde als angeblicher „Geheimnisträger" (wozu er als öffentlicher Angestellter automatisch gerechnet wird) keinen Kontakt zu einreisenden Freunden oder Verwandten aus der Bundesrepublik haben, ja in vielen Fällen nicht einmal über Post und Telephon mit ihnen Verbindung halten darf. Und warum darf — um ein anderes Beispiel zu nehmen — in der UdSSR kein Bürger an Presseorgane des westlichen Auslands (die Periodika der KPs sehr oft eingeschlossen) heran? Die Abschirmung geht dabei so weit, daß normalerweise auch diejenigen Journalisten und Politologen, die sich in Moskau mit dem „ideologischen Gegner" auseinanderzusetzen haben, dessen publizisti21 sehe Äußerungen nur in sorgfältig ausgewählten, übersetzten Auszügen zu wissen bekommen (was der westliche Beobachter unter anderem aus den gelegentlichen Tücken der Rückübersetzung von Quellenangaben und aus der stereotypen Wiederkehr von immer wieder denselben Textstellen angegriffener Autoren schließen kann)!

Sicherlich hat es seit Stalins Zeiten große Fortschritte in den Möglichkeiten für Kontakt und Kommunikation zwischen Ost und West gegeben. Diese Entwicklung ist freilich nicht ohne Gegentendenzen verlaufen. Als Deutscher denke ich beispielsweise daran, daß die DDR Anfang der fünfziger Jahre im Vergleich zu heute ein Land des freien menschlichen und geistigen Austausches mit der westdeutschen Gesellschaft gewesen ist (obwohl es damals — vor allem ab 1952 — bereits als sehr gravierend empfundene zwischendeutsche Barrieren gab). Die von der Bundesregierung einer widerwilligen DDR-Führung 1971/72 abgerungenen begrenzten „menschlichen Erleichterungen" (von Eugeniusz Guz mit aufgeführt, um die Kontaktaufgeschlossenheit der östlichen Seite und dementsprechend die Deplaziertheit westlichen Drängens darzutun) wurden von den ostdeutschen Behörden mittels Gegenmaßnahmen innerstaatlichen Drucks (von denen das erwähnte Westkontaktverbot für alle Beschäftigten des Staats-und Partei-apparats nur ein kleiner Teil ist) unwirksam zu machen gesucht. Wenn — wie es am 11. Juni 1975 in Riesa geschehen ist — zu offiziellen Verhandlungen anwesende westdeutsche Gewerkschaftler mit der Begründung des Landes verwiesen werden, daß sie andere als die für sie ausgewählten Gesprächspartner gehabt hätten (sie hatten zehn Minuten lang in einer Werkskantine gesessen und sich mit den zufällig dort befindlichen Arbeitern über Alltägliches unterhalten), dann zeigt dies ein Maß an Abgrenzungshysterie, das mit keinem Verständnis von Entspannung zusammen-stimmt. Solange derartige Gegebenheiten existieren, kann ich Eugeniusz Guz'Optimismus nicht teilen, daß die derzeitigen Begegnungs-und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Ost und West bereits allen Bedürfnissen entsprächen. Statt dessen sehe ich künstlich geschaffene und gewaltsam aufrechterhaltene Trennungen, die im Interesse von Verständigung und Frieden in Europa überwunden werden sollten. Auch wenn die Barrieren — zum Glück — nicht überall so hoch sind wie im zwischendeutschen Verhältnis, so sind doch an vielen Orten und in vieler Hinsicht Probleme gegeben, die noch ungelöst sind. Darauf will ich hinweisen, damit über das Bewußtsein der Problematik und ihrer Zusammenhänge hoffentlich ein allmählicher Lösungsprozeß zustande kommt. Eugeniusz Guz hat mich also gründlich mißverstanden, wenn er meint, ich wolle „um jeden Preis beweisen, daß es im Grunde keinen gemeinsam getragenen . Dritten Korb'geben kann". Es geht mir nicht darum, Pessimismus zu verbreiten und Schuldfeststellungen zu treffen, sondern die reale Lage nüchtern zu diagnostizieren.

Auch wenn es in den praktischen Details nur bedingt möglich ist, das Verhalten aller War-schauer-Pakt-Staaten auf einheitliche Formeln zu bringen, so lassen sich doch auf Grund der politisch und ideologisch führenden Rolle, welche die Sowjetunion spielt, bestimmte allgemeine Tendenzen (die in den verschiedenen Ländern mit Intensitätsnuancen zur Geltung kommen mögen) umreißen.

Der Entwurf für eine „Korb III" -Entschließung der KSZE, den Polen und Bulgarien nach Absprache mit der UdSSR, der DDR, der SSR und Ungarn am 5. Juli 1973 vorlegten, läßt dies ebenso deutlich erkennen wie das abgestimmte Vorgehen der genannten Staaten während der Sachverständigenverhandlungen in Genf seit dem Herbst 1973. Die östliche Seite vertritt zunächst hinsichtlich der Form, die eine Vereinbarung über den grenzüberschreitenden Austausch von Personen und Informationen in Europa haben soll, einen bestimmten Standpunkt. Die KSZE, so wurde von dort immer wieder geltend gemacht, könne nur ganz allgemeine Prinzipien formulieren; alle konkreten Regelungen müßten je nach den Wünschen der beteiligten Staaten (also nach den Vorstellungen der jeweils das restriktivste Arrangement befürwortenden Regierung) in zwei-oder mehrseitigen Einzel-abkommen festgelegt werden. Auf der KSZE sollte lediglich erklärt werden, daß der Abschluß derartiger Abkommen über die eine oder andere Form des grenzüberschreitenden Austausches „wünschenswert" sei. Dabei sollten bestimmte formale Kriterien („volle Respektierung" der souveränen Ungebundenheit und der unterschiedlichen Gesetzgebungen der Teilnehmerstaaten) und bestimmte inhaltliche Voraussetzungen („wechselseitige geistige Bereicherung der Völker" bei deren gleichzeitigem . Schutz'vor jeder Art politischen und moralischen . Gifts') zur verbindlichen Richtschnur gemacht werden. Was zwischen Ost und West auszutauschen sei, ist nach östlicher Ansicht ebenfalls genau umrissen. Generell findet sich die Formel, daß die — unumstrittenen (d. h. in Moskau und anderwärts als unproblematisch angesehenen) — „Errungenschaften" der Weltkultur von „allgemein-menschlichem Wert" die geeigneten Austauschgüter bildeten. Vor allem in den folgenden Bereichen sah die östliche Seite große Möglichkeiten für eine unbelastete Zusammenarbeit: Kooperation zwischen kulturellen Einrichtungen, Rundfunk-und Fernsehanstalten, Behörden, gesellschaftlichen Organisationen oder Theatern, Opern, Konzert-häusern und Ballets; Verbreitung von anerkannten Werken der Belletristik, der Bildenden Kunst und der Architektur; Zugang zu den Schätzen der nationalen und auswärtigen Kultur; Wissenschaftleraustausch; Förderung des Erlernens von Fremdsprachen; Ausweitung des Tourismus; Veranstaltung internationaler Seminare und Symposien; Austausch zwischen Jugend-, Gewerkschaftsund Berufsorganisationen u. Nur kurz und vage ist ä.

dagegen von einer Verbesserung journalistischer Arbeitsbedingungen, von einer wohlwollenden individueller Prüfung Reiseanträge einer und von humanitären Regelung von Fa-milienzusammenführungs-und Eheschließungsfragen die Rede. Schwerpunkt liegt Der auf Arrangements, die zwischen Institutionen und Organisationen verschiedener Länder festgelegt und von ihnen auch — fast durchweg kollektiver Formierung — anschließend durchgeführt werden sollen.

Diesen Vorschlägen für die KSZE entspricht die bisherige Praxis in der Sowjetunion. Der Anteil der westlichen Literatur am belletristischen Angebot ist nicht gering — aber die betreffenden Werke sind entweder „zeitlose" Klassiker oder sozialkritische bis antikapitalistische Titel (die außerdem ganz überwiegend aus dem 19. Jahrhundert, also aus der Zeit eines vergangenen Frühkapitalismus, stammen). Heinrich Böll, auf dessen weite Verbreitung in Osteuropa Eugeniusz Guz zu Recht hinweist, ist in dieser Hinsicht eine große Ausnahme; seine Einführung in der UdSSR ist dabei auf seine kritische Sicht der bundesdeutschen Wirklichkeit (die ihm beispielsweise die besondere Sympathie des Lesers Chruschtschow gesichert hat) zurückzuführen. Es sind also — wenigstens in der Sowjetunion und noch mehr in der DDR — im allgemeinen sehr einseitig ausgewählte westliche Bücher, die das Publikum erreichen.

Ein weiteres auffälliges Phänomen ist die Vorliebe, die beide Staaten für die Formen kollektiven Reisens haben, sowohl was die ausreisenden eigenen Staatsbürger als auch was die einreisenden fremden Staatsbürger betrifft. Für die Gruppen und Delegationen wird in der UdSSR deutlich besser gesorgt, viele bürokratische Hürden (die der Einzelreisende nehmen muß) bleiben ihnen erspart, und zugleich sorgt ein einheimischer Betreuer dafür, daß die Reisenden die richtigen Höhepunkte der Besichtigungen o. ä. nicht verpassen und zu diesem Zweck natürlich auch fest zusammenbleiben. In verschiedenen osteuropäischen Ländern, in denen Zwangsumtauschregelungen bestehen, ist der Kollektivtourist übrigens davon ausgenommen (und per „Nek-kermann" o. ä. fährt er oft billiger, als die Umtauschsätze erlauben würden).

Es ist weithin — nicht nur in der UdSSR und in der DDR — üblich, daß für die Ausländer eigene Hotels vorgeschrieben sind. In der Sowjetunion gibt es bestimmte — zusätzlich genehmigungspflichtige — Ausländerrouten (und absolut verbotene Gebiete); in der DDR sperrt Züge für man die zwischendeutschen den innerstaatlichen Reiseverkehr. Der westliche Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die den Kollektivreisen gegebene Priorität und die räumliche Trennung des Ausländers von den Einheimischen dem Zweck dienen, Begegnungen und Gespräche so weit wie möglich zu unterbinden oder doch wenigstens zu überwachen. Wenn die Kontrolle über die Ausländer in der UdSSR heute nicht mehr lückenlos funktioniert, so liegt das nicht an den getroffenen Vorkehrungen, sondern an der nicht mehr zu bewältigenden Masse der hereinströmenden Touristen. Die sowjetische Führung ist zweifellos nicht zuletzt auch durch Devisenwünsche motiviert, den Tourismus zu akzeptieren.

Für den westlichen Besucher ist freilich die Sowjetunion nach wie vor ein exotisches Reiseziel, das er sich etwas kosten lassen muß und wo er den empfangenen Service nicht in die aus der westlichen Welt gewohnte Relation zum Preis setzen darf. Er muß als „Kapitalist" auftreten können; die ihm in anderen Ländern gebotene Möglichkeit einer Reise nach seinen finanziellen Möglichkeiten ist ihm versagt. Sozial Schlechtergestellte oder kinderreiche Familien können daher die Sowjetunion nicht so wie das westliche Ausland besuchen. Die gleichen Wirkungen zeitigen Zwangsumtauschregelungen und die Zwangs-buchungen für teure Hotels in anderen osteu23 ropäischen Ländern: Der westliche Tourist muß, auch wenn er mit seiner ganzen Familie kommt, pro Kopf erhebliche Beträge verausgaben, auch wenn eine bescheidenere Form des Reisens seinen Möglichkeiten und Wünschen besser entspräche und insbesondere auch wenn er Unterkunft bei Freunden oder Verwandten finden könnte. Gerade die persönlichen Bindungen, die zwischen den Ländern Ost-und Westeuropas bestehen, werden durch die staatlich verordneten Zwänge schwer getroffen — und nicht etwa die „Schwarzmarkthändler", von denen Eugeniusz Guz spricht. (Die verdienen in ihrem Metier genug, um sich auch die erzwungenen Tages-sätze und Hotels bequem leisten zu können!) Wenn wir von dem Deviseninteresse einmal absehen, dann dienen die Tourismus-Vorkehrungen vieler osteuropäischer Regierungen gewollt oder ungewollt dem Zweck, die spontane Kontaktaufnahme der westlichen Reisenden zur einheimischen Bevölkerung zu erschweren, der individuellen Bewegung westlicher Staatsbürger im Land Hindernisse zu bereiten und die Pflege von bestehenden freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Verbindungen, vor allem von Familie zu Familie, weithin zu verhindern. Menschliche Begegnungen, die nicht von oben her vorbereitet und überwacht werden, sollen anscheinend so wenig wie möglich stattfinden. Zugleich ergibt sich als Konsequenz, daß die wirklich praktizierten (d. h. eine persönliche Begegnung darstellenden) Ost-West-Kontakte weithin auf die dünne Schicht der offiziellen Repräsentanten beschränkt werden und somit die breiten Schichten der einheimischen Osteuropäer (wie meist auch die einreisenden Westtouristen) überhaupt nicht erreichen. Die wie Bedingungen, sie beispielsweise in dem polnisch-bulgarischen KSZE-Vorschlag vom 5. Juli 1973 anvisiert sind und wie heute sie vielerorts in Osteuropa herrschen, sind auf Ebene der zwischenmenschlichen der Ost-West-Beziehungen begegnungsund zutiefst gesprächsfeindlich.

3. Kontakt und Kommunikation — frei von jeder politischen Wirklichkeit?

Der Kontakt und die Kommunikation zwischen den Menschen in Ost und West sollten nach Eugeniusz Guz'Ansicht unpolitischer Art sein. Diese Stellungnahme überrascht vor dem Hintergrund der östlichen Aussagen. Denn danach besitzen alle menschlichen und geistigen Berührungen zwischen Ost und West einen erheblichen politischen Stellenwert — auch und gerade dann, wenn es dabei nur um persönliche, private Themen geht und wenn keine Lenkung von irgendwoher stattfindet. Nach sowjetkommunistischem Verständnis (das mit der westlichen Auffassung von einem vorpolitischen Raum gesellschaftlicher Selbstgestaltung kontrastiert) müssen daher auch völlig unpolitische Freundes-und Verwandtentreffen oder Kulturveranstaltungen in ihrer „ideologischen" (d. h. die politischen Grundeinstellungen prägenden) Wirkung gesehen werden. Es ist von den sich als unpolitische Unternehmungen tarnenden Einbruchsversuchen des „Klassenfeindes" die Rede, vor denen man besonders auf der Hut sein müsse.

Der rationale Kern liegt augenscheinlich in der Vorstellung, daß die Spontaneität der Menschen als solche, wenn sie irgendwo (und sei es auch fern der Politik) zugelassen werde, eine systemgefährdende Einstellung bilde. Nicht zufällig erhielt Dubcek, als er 1968 den sowjetischen Führern die Ungefährdetheit der kommunistischen Positionen in seinem Land durch den Hinweis auf die breite, spontane Unterstützung seitens der Bevölkerung klar zu machen suchte, zur Antwort, daß genau in dieser spontanen Unterstützung die Gefahr liege. Denn wer könne schon die Stabilität eines Regimes verbürgen, das sich von den spontanen Regungen des Volkes abhängig mache!

Wenn wir über die Möglichkeiten der Begegnung, des Dialogs und des Informationsaustausches mit der UdSSR und ihren Verbündeten sprechen, dann müssen wir — ob dies nun unserer eigenen Ansicht entspricht oder nicht — davon ausgehen, daß die östlichen Partner diese Problematik in allen ihren Teilbereichen als ein Politikum bewerten und behandeln. Dies bedeutet, daß auch die westliche Seite nicht an der Vorstellung unpolitischer Bereiche des geistig-menschlichen Austausches orientiert sein kann, wenn sie die Überlegungen der anderen Seite richtig verstehen und beantworten will. Mit anderen Worten: Sie darf sich nicht dem Trugbild einer politisch neutralen Austauschbeziehung hingeben, wenn die östlichen Verhandlungspartner mit der Entpolitisierung eines bestimmten Bereichs politische Ziele verfolgen. Entpolitisierung bedeutet, daß der betreffende Bereich künstlich aller politischen Potenz beraubt wird, die derjenigen Seite, die darauf dringt, unerwünscht ist. Gegen die politischen Wir-B kungen, welche die fordernde Seite befürchtet, werden Vorkehrungen getroffen. Die andere Seite, die weniger oder auch gar keine Sorgen geltend macht, weil sie eine größere Toleranz für unerwünschte Wirkungen hat, erhält für die von ihr konzedierten Auseinandersetzungsvorteile keinen vollen oder auch überhaupt keinen Ausgleich. Eine künstliche Beschneidung der bei einem Austauschprozeß natürlicherweise vorhandenen politischen Implikationen führt daher in aller Regel nicht nur zu einer Manipulation, sondern auch zu einer Einseitigkeit dieser Manipulation. Entpolitisierung läuft leicht darauf hinaus, daß willkürlich Bedingungen festgelegt werden, die den Austauschprozeß politisch in eine Richtung lenken. Paradoxerweise kann daher die Entpolitisierung zur politischen Waffe der einen Seite gegen, die andere werden. (Und da im Westen die Toleranzschwelle für politische Abweichungen ungleich größer ist als im Lager der UdSSR, wird sich dann notwendigerweise ein ungleich größeres Maß an östlichen Forderungen ergeben, das dann zu einseitig zu die östliche Seite begünstigenden Austauschbedingungen führen wird.) Es ist wesentlich aus dieser Erwägung heraus, daß ich mich grundsätzlich gegen einen entpolitisierten Ost-West-Austausch von Personen und Gedanken wende (auch wenn ich natürlich weiß, daß die Fortschritte auf das von mir anvisierte Ziel hin nur allmählich zu erreichen sind).

Eugeniusz Guz deutet mein Votum gegen eine Entpolitisierung als das Verlangen nach einer Politisierung. Genau das aber meine ich nicht. Entpolitisierung und Politisierung sind ja die zwei Seiten der gleichen Medaille: der willkürlichen Manipulation zu politischen Zwekken (die ich ablehne). In dem einen wie dem anderen Fall wird der geistige und menschliche Austauschprozeß künstlich durch von oben her aufgezwungene — und dann auch von oben her auf ihre Einhaltung zu kontrollierende — Bedingungen verändert. Der Unterschied ist nur, daß einmal etwas künstlich herausgehalten wird, während das andere Mal etwas künstlich hineingebracht wird. Beispielsweise wäre es entpolitisierter Sport, wenn die miteinander wettkämpfenden Mannschaften keinen privaten Kontakt zueinander herstellen dürften oder bei Auslandsaufenthalten an freier, individueller Bewegung gehindert würden, damit nur ja jedweder denkbare Anreiz zu unerwünschtem politischen Nachdenken (das sich auch an unpolitischen Erfahrungen entzünden könnte) von ihnen ferngehalten würde. Politisiert wäre dieser gleiche Sport, wenn die Veranstaltungen zu einer Apotheose eines Regimes umfunktioniert würden (wie es die Goebbels-Filme der Berliner Olympiade von 1936 zeigen) oder wenn das Stattfinden sportlicher Ereignisse von der Annahme sachfremder politischer Forderungen abhängig gemacht würde (beispielsweise von der Anerkennung einer Westberliner Eigenstaatlichkeit durch die westdeutschen Sportverbände). Es zeigt sich, daß eine Austauschbeziehung wie das erwähnte Exempel des internationalen Sports zugleich politisierten und entpolitisierten Charakter tragen kann.

Im Warschauer-Pakt-Bereich wird den Menschen grundsätzlich kein politikfreier persönlicher Eigenraum zuerkannt, wie er in den westlichen Ländern üblich ist. Daher muß aus östlicher Warte alles, was sich in der persönlichen Sphäre der Menschen abspielt, politische Relevanz haben. Die sowjetische Führung und ihre Verbündeten gehen infolgedes-

, sen, wie die entsprechenden Selbstaussagen erkennen lassen, selbstverständlich davon aus, daß mit jeder — auch mit einer entpolitisierten — Austauschbeziehung politische Wirkungen eingeleitet werden. Begegnung, Gespräch und Informationsaustausch zwischen Ost und West können in dieser Sicht ebenso wenig politikfrei sein, wie sich „Hamlet" ohne die Titelfigur spielen ließe. Etwas anderes ist es freilich, wenn man vielleicht die westlichen Verhandlungspartner dazu überreden kann, den politischen Zusammenhang aus dem Auge zu verlieren und sich dementsprechend einseitig des politischen Wirksamkeitspotentials in diesen Austausch-prozessen zu begeben. Um bei unserem Bild zu bleiben: Es wäre doch ganz schön, wenn man die westliche Gegenpräsentation des „Hamlet" durch die Ausklammerung der Titelfigur von vornherein des Publikumserfolgs berauben könnte!

Daß diese Überlegung den sowjetischen Führern und manchen ihrer Verbündeten tatsächlich nicht fremd ist, läßt sich an ihrer Argumentation ablesen, wann immer in der diplomatischen Auseinandersetzung das Prinzip der wechselseitigen Gleichbehandlung von Ost und West zur Diskussion steht. Die westliche Seite fordert „Reziprozität", d. h. Gegenseitigkeit. Die Vorteile, welche die sowjetische Seite im Westen für sich in Anspruch nimmt, sollen umgekehrt den westlichen Ländern auch in der UdSSR zustehen. Demgegenüber besteht das sowjetische Außenministe25 rium gewöhnlich auf „Nicht-Diskriminierung". Mit anderen Worten: Man erklärt sich bereit, das betreffende Land in der Sowjetunion genau so wie andere zu behandeln, falls man selbst dort ebenfalls so wie die anderen behandelt wird. Praktisch läuft dies darauf hinaus, daß die UdSSR nach westlicher Großzügigkeit traktiert zu werden verlangt, während sie selbst nur die bei ihr üblichen, ungleich geringeren Rechte einzuräumen gewillt ist. Beispielsweise gibt die sowjetische Botschaft in der Bundesrepublik schon seit den fünfziger Jahren eine politische Monatsschrift in hoher Auflage heraus („Sowjetunion heute"), während der bundesdeutschen Vertretung in Moskau trotz zahlreicher Bemühungen keine entsprechende Möglichkeit eingeräumt worden ist.

In der Bundesrepublik gibt es denkbar viel Spielraum für die Vertretung politischer Ansichten östlicher Herkunft. Jeder kann Bücher, Zeitschriften und Zeitungen aus Osteuropa (einschließlich der Sowjetunion) frei beziehen; es gibt sogar eigens auf diesen Import spezialisierte Buchhandlungen und Verlage (die teilweise auch politische Bindungen an Moskau haben). Unter der auf diese Weise erhältlichen Literatur befinden sich seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auch Materialien, die offen zum Kampf gegen das „kapitalistische System der BRD" aufrufen. In den Zeitungen und Zeitschriften, in Rundfunk und Fernsehen kommen immer wieder sowjetische und andere osteuropäische Vertreter zu Wort. Beispielsweise schrieb der profilierte sowjetische Staatsbürger Michail Woslenskij in den 15 Heften, die von der Zeitschrift „Osteuropa" vom November 1973 bis zum Februar 1975 erschienen sind, vier Beiträge ideologisch-politischen Inhalts mit strikt antiwestlicher Tendenz. Zwei dieser Aufsätze, die Gegenstellungnahmen hervorgerufen hatten, erschienen zusammen mit diesen leicht gekürzt in der bundeswehramtlichen, alle Truppenteile erreichenden „Information für die Truppe" (in der sich vorher auch Botschafter Falin zur KSZE geäußert hatte). Bei Fernsehdiskussionen um kontroverse Ost-West-Themen auch östliche Journalisten heranzuziehen, ist fast selbstverständlich geworden. Auch die Tatsache, daß „Aus Politik und Zeitgeschichte“ die Einwände eines polnischen Vertreters zu einem vorangegangenen Beitrag den Lesern nicht vorenthält, zeigt das erfreuliche Ausmaß der Bereitschaft zum politischen Dialog mit der anderen Seite, das bei uns üblich geworden ist.

Die Möglichkeiten zur Propagierung östlicher Standpunkte vergrößern sich noch erheblich, wenn man berücksichtigt, daß die UdSSR und die DDR sich westdeutscher Gefolgsleute und Organisationen bedienen können. Verlage der Moskauer Orientierung haben beispielsweise die beiden Standardwerke des Kampfes gegen die Bundesrepublik herausgebracht, die, Ende der sechziger Jahre in Ost-Berlin bzw. Anfang der siebziger Jahre in Moskau erarbeitet, eine detaillierte Anleitung für die von den „progressiven Kräften" zu befolgende politische Strategie und Taktik enthalten. Die DKP kann ihre Propaganda-, Schulungsund Informationssammeltätigkeit auf Grund von Finanzmitteln aus der DDR entfalten, wobei sie sich genau auf der von der UdSSR vorgezeichneten politischen Linie bewegt.

Das sind nur wenige Beispiele für die politischen Einwirkungsinstrumentarien, die der sowjetischen Führung und ihren Verbündeten in der Bundesrepublik zu Gebote stehen. Für nichts davon gibt es eine entsprechende Gegenleistung in der UdSSR. Die einzige Möglichkeit, über welche die westlichen Länder (darunter die Bundesrepublik) zur Weiterleitung von politisch relevanten Informationen in die Sowjetunion und in andere Warschauer-Pakt-Staaten verfügen, sind die elektronischen Massenmedien. Da das Fernsehen nur eine relativ kurze Reichweite hat, kommt, aufs Ganze gesehen, den Rundfunkanstalten die wesentliche Bedeutung zu. Die Unterrichtung der osteuropäischen Öffentlichkeit durch Stationen wie „Radio Liberty", „Radio Free Europe", „Deutsche Welle" oder BBC erfolgt in sachlicher, unpolemischer Weise; sie erfüllt nicht zuletzt deswegen ein dringendes Bedürfnis in weiten Kreisen (die sich bis in die Partei hinein erstrecken) der östlichen Gesellschaften. (Anders wären die großen Hörerzahlen trotz der Tätigkeit vieler und starker Störsender, für deren Betrieb beispielsweise in der UdSSR mehr Geld als für das gesamte Radiowesen aufgewandt wird, nicht zu erklären.) Den westlichen Sendungen für Osteuropa stehen natürlich östliche Sendungen für Westeuropa gegenüber. Allein die UdSSR sendet von zwei Sendern („Radio Moskau" und „Radio Frieden und Fortschritt") umfangreiche politische Programme beispielsweise in die Bundesrepublik, die übrigens — anders als die Ostprogramme der westlichen Sender — in den Jahren der Entspannung weiter ausgeweitet worden sind.

Die umfänglichen Aktivitäten der politischen Beeinflussung, die beispielsweise von der So-B wjetunion auf die westdeutsche Gesellschaft ausgehen, haben also gegenüber der UdSSR nur im Bereich des Äthers ein Gegenstück. Wie kann unter diesen Umständen ausgerechnet auf östlicher Seite der Ruf nach einer Entpolitisierung des Kontakts, des Gesprächs und des Informationsaustauschs zwischen Ost und West laut werden? Hat denn die UdSSR nicht ungleich vielfältigere und größere Beeinflussungsmöglichkeiten zu verlieren? Das ist freilich auch gar nicht gemeint. Vielmehr geht es darum, mit dem Protest gegen politische Einwirkungen ein unerwünschtes westliches Reziprozitätsverlangen abzuwehren und vor allem die westlichen Ostsender zu bekämpfen.

Der angebliche Skandal einer angeblichen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der osteuropäischen Staaten steht im Vordergrund der Darstellung. Obwohl die osteuropäische Öffentlichkeit, längst von sozialistischen Leitbildern geprägt, für eine unqualifizierte Polemik kaum das Plebiszit ihrer andauernden großen Zuhörbereitschaft abgeben würde, ist anklagend von Hetze und kaltem Krieg die Rede. Auslandssendungen dürften nur eine kulturell vermittelnde Funktion wahrnehmen. Im Falle der ORTF führten diese Vorstellungen zum Erfolg: Die französischen Programme wurden aus Nachrichten-quellen zu Kulturdarbietungen — mit dem Ergebnis, daß die osteuropäischen Hörer bis auf verschwindende Reste das Interesse verloren (weil hohe Kultur kein dringliches gesellschaftliches Bedürfnis für sie ist) und schließlich die Sendungen für die Urheber ihre Daseinsberechtigung einbüßten (weil die Resonanz die verausgabten Mittel nicht mehr lohnte). Dieser Vorgang steht der sowjetischen Seite vor Augen, wenn sie auf eine Entpolitisierung der westlichen Sendungen für Osteuropa dringt.

Praktisch freilich würde, wenn diese Entwicklung sich fortsetzen sollte, eine Situation herbeigeführt werden, in der politische Einflußnahmen auf der gesellschaftlichen Ebene nur noch in Ost-West-Richtung wirksam werden könnten. An einer entscheidenden Stelle würde die Entspannung zu total einseitigen Bedingungen praktiziert werden. Mit der Ausschaltung aller unkontrollierten Informationsquellen im eigenen Lager würde die sowjetische Führung wesentliche Voraussetzungen für die leichtere Indoktrination eines ideologischen Feindbildes vom Westen, der an allen Übeln dieser Welt schuld sei, in die Hand bekommen. Zugleich würde für Moskau in dem Ausmaße, wie ihm alle Chancen und Vorteile auf dem ideologischen Feld uneingeschränkt zufielen, die Neigung zur ideologischen Westfeindseligkeit zunehmen (weil es dabei nur zu gewinnen hätte). Umgekehrt würde Moskau in dem Ausmaße, wie es auch Risiken und Nachteile auf dem ideologischen Feld zu akzeptieren hätte, über die Zweckmäßigkeit der ideologischen Westfeindseligkeit nachzudenken willens werden (weil es dann dabei auch zu verlieren hätte). Das aber wäre im Interesse einer umfassend friedlichen Koexistenz von Ost und West. 4. Das sowjetkommunistische Asymmetrie-Konzept Die einschlägigen Aussagen aus dem ideologischen Lager der UdSSR heben stets hervor, daß die geistig-menschlichen Austauschbeziehungen zwischen Ost und West als Ort eines unerbittlichen „ideologischen Kampfes" zu betrachten seien, bei dem es darum gehe, die kapitalistische Staats-und Gesellschaftsordnung allmählich zu beseitigen. Dementsprechend sehen sich die Vertreter der sowjetischen Auffassungen in einer geschichtlichen Offensive gegen den Westen. Die offensive Bewegung soll unter anderem dadurch gewährleistet werden, daß das Kampffeld nur innerhalb der westlichen Welt — nicht aber innerhalb des sowjetischen Lagers — liegen darf. Indem die ideologischen Auseinandersetzungen nur um die westlichen Gesellschaften geführt werden sollen, während die östlichen Gesellschaften unumstritten zu bleiben haben, ist eine antiwestliche Entwicklung der Lage vorprogrammiert.

Hinweise auf eine derartige Einstellung finden sich auch 'in den Ausführungen von Eu-, geniusz Guz. Er kritisiert die bayerische Staatsregierung, wenn sie für ihre Bediensteten eine Meldepflicht bei DDR-Reisen einführt. Diese Maßnahme, die nicht mit persönlichen Nachteilen für die Betroffenen verbunden ist, dient einem einsichtigen Zweck: Es ist’ die alltägliche Erfahrung der Verfassungsschutzorgane in der Bundesrepublik, daß die DDR die Besuche Westdeutscher in großem Maßstab zu nachrichtendienstlichen Anwerbungsversuchen ausnutzt. Dabei sind die Bediensteten staatlicher Behörden eine der hauptsächlichen Zielgruppen. Unter diesen traurigen Umständen erscheint es zweckmäßig, einen — schriftlich fixierten — Überblick über den in die DDR gereisten Personenkreis zu haben, damit beim Auftauchen irgendwel27 eher Verdachtsmomente in dem einen oder anderen Fall ein weiterer Anhaltspunkt für die Beurteilung der Lage zur Verfügung steht.

Das bayerische Vorgehen ist also an Erfordernissen der Staatssicherheit orientiert, um deretwillen zwar keine Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit verfügt, wohl aber eine Registrierung des möglicherweise relevanten Reiseverhaltens hingenommen wird. In einer westlich-demokratischen Gesellschaft kann es Gegenstand der Diskussion sein, ob diese Einbuße an individueller Un-

überwachtheit um der kollektiven Selbstbehauptung willen gerechtfertigt ist oder nicht. Es spricht für das große Maß an Liberalität auf Seiten der Bundesregierung, wenn sie trotz der damit verbundenen großen Risiken in dem vorliegenden Falle die Freiheit des Staatbürgers von jeder Aufsicht über das Interesse des Staates an seiner Sicherheit stellt.

Es scheint mir aber völlig widersinnig zu sein, wenn die Entscheidung der bayerischen Staatsregierung, deren Für und Wider in einer westlich-demokratischen Gesellschaft sicher umstritten werden kann, auf einmal dazu herhalten soll, die Bundesrepublik ins Unrecht gegenüber der keinerlei originäre Rechte und Freiheiten der Persönlichkeit anerkennenden DDR-Führung zu setzen. Schließlich verbietet das Regime in Ost-Berlin einem ungleich größeren Personenkreis (nämlich allen im Staats-und Parteiapparat bis hinab zur kommunalen Ebene des kleinsten Dorfes Beschäftigten, allen Wehrdienstleistenden und Armeegedienten und in aller Regel auch den Belegschaften der größeren Betriebe) rund weg sogar jeden Kontakt mit Menschen aus dem westlichen Deutschland! (Ganz zuverlässig erscheinende Funktionäre in entsprechender Position können davon ausgenommen sein.) In die Bundesrepublik reisen dürfen ohnehin nur die Alten und Kranken, die als Arbeitskräfte für den ostdeutschen Staat uninteressant, ja überflüssig geworden sind und die auch einen großen Prozentsatz der von E. Guz als Zeichen der DDR-„Liberalität" genannten Zahl der Übersiedler bilden; der Rest dürfte überwiegend gegen harte DM „freigekauft“ worden sein; nicht nur am Rande sei festgestellt, daß die DDR damit u. a. auch die Rolle eines Fluchthelferunternehmens übernommen hat, das nur gegen Devisen Staatsbürger in den Westen entläßt. Im Vergleich dazu genießen die bayerischen Staatsbediensteten die geradezu unvorstellbare Freiheit, nach einer einfachen Benachrichtigung ihrer Behörde jederzeit „Osturlaub'machen zu können — solange der Urlaub reicht (und die DDR-Organe dies genehmigen). Angesichts dieser Verhältnisse muß die DDR schon mit einem ganz anderen Maß als Bayern gemessen werden, wenn sie vorteilhaft von dort abstechen soll...

Das Bestreben osteuropäischer Parteiführungen, die Gesellschaften ihrer Länder so weit wie irgend möglich gegen alle unerwünschten Meinungsbildungseinflüsse abzuschirmen, wird der westdeutschen Öffentlichkeit am nachdrücklichsten durch das Beispiel der DDR vor Augen geführt. Aber auch die sowjetische Publizistik weist durch ihre Aussagen die gleiche Tendenz aus. Die staatliche Souveränität dürfe nicht durch ungebeten von auswärts eindringende Nachrichten und Ideen verletzt werden, und die Verantwortlichen seien berechtigt, ja verpflichtet, über die ihren Völkern bekömmliche Auswahl aus den vorhandenen Informationen zu entscheiden.

Diese Argumentation wird geltend gemacht, wenn die Abwehr dessen zur Diskussion steht, was freiere Kontakte und unmanipulierte Nachrichtenflüsse «wischen Ost und West im eigenen Lager anrichten könnten.

Die Aussagen lassen aber auch von Zeit zu Zeit eine offensive Einwirkungstendenz nach Westen hin erkennen. So trägt die sowjetische Seite keine Bedenken, die staatsbürgerlichen Freiheiten in den westlich-demokratischen Ländern in größtmöglichem Umfang für ihre politischen Zwecke auszunutzen, auch wenn sie ihrerseits den Sympathisanten und den Vertretern des Westens die geringsten Handlungsmöglichkeiten zu verwehren sucht. Die Rechtfertigung für dieses Messen mit zweierlei Maß lautet, daß die staatsbürgerlichen Freiheiten in der westlichen Welt nicht etwa Teile einer frei gewählten und von den Regierungen bejahten Ordnung seien, sondern als das Ergebnis des Kampfes der Kräfte zu gelten hätten, deren Spitze die Kommunisten bildeten. Die Verfechter der „sozialen Befreiung" hätten den herrschenden Kräften diese Freiheiten als Konzessionen abgenötigt; sie existierten daher gegen den Willen des Regimes und müßten dem Zweck einer immer weiter voranzutreibenden „Befreiung" bis hin zu dem in der UdSSR verwirklichten Zielbild dienen.

Das „offen proklamierte Ziel der kommunistischen Parteien", so heißt es in einer maßgeblichen sowjetischen Äußerung, „ist der Kampf gegen das kapitalistische Gesellschaftssystem, der bis zu dessen Vernichtung und bis zum Sieg des Sozialismus und Kommunismus im Weltmaßstab in jedem Land geführt werden soll" (M. Woslenskij, über die Strategie und Taktik der kommunistischen Weltbewegung, in: Osteuropa, 11— 12/1974, S. 844). Die Aufgabe der sowjetisch geführten kommunistischen Weltbewegung ist nicht nur die „Zügelung des Imperialismus" (also die Durchsetzung außenpolitischer Vorteile), sondern auch, „ihm eine entscheidende Niederlage beizubringen" (also ihn zunehmend auszuschalten). Das soll an der innenpolitischen Front der westlichen Länder geschehen. Demzufolge soll dort der reformistische „Kampf für die Demokratie" in einen revolutionären „Kampf für den Sozialismus" transformiert werden. Der „allgemeindemokratische Kampf", den die von den sowjetischen Vorstellungen geleiteten Kommunisten zunächst zu proklamieren haben, um eine Massenbasis zu gewinnen, hat daher schließlich in eine Bewegung zur „sozialistischen Revolution"

auszumünden (V. V. Zagladin, Red., Mezdunarodnoe kommunisticeskoe dvizenie, Moskau 1970, bes. S. 59, 138, 142). handelt nicht Dabei es um die Fortführung einer traditionellen Rhetorik. Im Gegenteil: Noch niemals seit den Anfangsjahren des Sowjetstaates ist den Möglichkeiten und Methoden zu einer revolutionären Überwindung des kapitalistischen Systems von innen heraus so viel Aufmerksamkeit gewidmet worden wie in den letzten Jahren und Monaten. Es entstehen in großer Zahl parteiamtliche Analysen zu diesem Thema. Derartige Arbeiten werden zunehmend auch in multilateraler Zusammenarbeit zwischen mehreren Parteien des Warschauer-Parkt-Bereichs erstellt. Erst im August 1975 wurde in Moskau ein derartiger Sammelband von den zuständigen ZK-Se-kretären der sowjetischen, der polnischen und der bulgarischen KP veröffentlicht. Zwei Motive für das gestiegene Interesse an der Steuerung des „Klassenkampfes" in den westlichen Ländern werden immer wieder genannt. Die derzeitige „Gesundung des internationalen politischen Klimas", so heißt es, bedeute „durchaus nicht eine Abschwächung des ideologischen Kampfes zwischen Kapitalismus und Sozialismus". „Im Gegenteil, die-ser Kampf wird immer intensiver, nimmt neue Formen an, wird komplizierter und erfaßt immer breitere Sphären des gesellschaftlichen Lebens" (L. Maksudov in: Mezdunarodnaja äizn‘, 7/1975, S. 97). In der allerletzten Zeit wird daneben mit wachsendem Nachdruck auf die „Vertiefung der allgemeinen Krise des Kapitalismus" und die „Verschärfung aller seiner Widersprüche" im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Rezession hingewiesen (so M. Suslov am 4. 7. 1975).

„Von den Klassenschlachten", so stellte das für auswärtige Angelegenheiten in besonderem Ausmaße zuständige Politbüromitglied Suslov in der erwähnten Rede fest, „ist jetzt die ganze kapitalistische Welt erfaßt." Daraus resultiere eine „Verbreiterung der sozialen Basis für antimonopolistische Aktionen", die wiederum die „Voraussetzungen für die Verschärfung des Kampfes um soziale und politische Umwälzungen" schaffe. Der Entspannung kommt dabei nach Suslov in zweierlei Hinsicht große Wichtigkeit zu. Erstens werden „die Möglichkeiten für den sogenannten . Export der Konterrevolution'[von Westen nach Osten] verringert". Zweitens wird nicht nur „eine neue politische Situation in der Weltarena" heraufgeführt, sondern auch durch die daraus resultierende Einwirkung „auf die innere Lage in den kapitalistischen Ländern“ „günstigere Bedingungen für die Entwicklung der Arbeiter-und demokratischen Bewegung" geschaffen. Das Ergebnis sei eine „weitere Verbreitung und Vertiefung des weltrevolutionären Prozesses". Die KPdSU, so fügte Suslov ausdrücklich hinzu, betrachte ihren sozialistischen Aufbau als Beitrag zur Entwicklung dieses Prozesses.

Die sowjetische Führung läßt es freilich bei dieser Form des Beitrags nicht bewenden. Die sowjetischen Analysen, die zu dem Thema veröffentlicht werden, lesen sich ganz im Sinne Lenins als Anweisungen zum Handeln. In der „Pravda" erschien am 6. August 1975 ein Artikel aus der Feder eines hochgestellten Funktionärs in der Auslandsarbeit mit der Aufforderung an die Kommunisten, den Kampf um die Macht im Staate kompromißlos durchzustehen. Die dabei angesprochene Situation war, wie verschiedene Indizien zweifelsfrei deutlich machten, die Lage in Portugal. Die finanzielle Unterstützung, die der Partei Cunhals aus der UdSSR und der DDR zufließt, ist mittlerweile in weiten Teilen der westlichen Öffentlichkeit bekannt geworden.

In allen sowjetkommunistischen Verlautbarungen wird die Fortsetzung eines unerbittlichen „ideologischen Kampfes" zwischen Ost und West für notwendig erklärt, während alle westlichen Anregungen für einen „ideologischen Friedensschluß" oder auch nur „Waffenstillstand“ nicht zuletzt darum als völlig inakzeptabel gelten, weil die Kommunisten dann von ihrer historischen Mission, den Ka29 pitalismus anzugreifen und zu überwinden, Abstand nehmen müßten. Wer sich genauer über die sowjetkommunistischen Vorstellungen des in den westlichen Gesellschaften voranzutreibenden antikapitalistischen Kampfes orientieren möchte, findet die nötigen Angaben in dem von einem maßgeblichen Sekretär des ZK der KPdSU, Wadim Sagladin, redigierten Parteischulungsbuch „Die internationale kommunistische Bewegung" (deutsch Frankfurt/Main 1973) oder — in zusammengefaßter Form — in einem Aufsatz von Michail Woslenskij, der in „Osteuropa", Heft 11— 12/1974, erschienen ist.

5. Westlicher Mißbrauch der Kontakt-und Kommunikationsmöglichkeiten?

Eugeniusz Guz vertritt die These, daß die östlichen Länder sehr großzügig in der Gewährung von Möglichkeiten des Kontakts und der Kommunikation zwischen Ost und West verführen. mehrfach bringt er die Sorge zum Ausdruck, daß von dieser Großzügigkeit oft nicht der richtige westliche Gebrauch gemacht werde. Unter dem Deckmantel der Touristik suchten westdeutsche Stellen in die inneren Angelegenheiten östlicher Staaten hineinzuschnüffeln, beispielsweise wenn das Bundeskanzleramt eine Befragung von DDR-Bewohnern über ihre Vorstellungen veranstalte, die sie mit westdeutschen Politikern verbänden. Oder die westlichen Journalisten suchten aus dem Gesundheitszustand, eines östlichen Politikers ein Thema zu machen, das es nach östlicher Ansicht nicht zu sein habe, und klagten dann über Informationsbehinderungen, wenn ihr Bemühen auf keine Gegenliebe stoße. Schließlich Eugeniusz Guz seine Ansicht an, daß viele westliche Journalisten in ihrer Berichterstattung über die Warschauer-Pakt-Staaten eine fatale Tendenz zu Entstellung und Auslassung einerseits und zu „Desinteresse" Gebotenen dem andererseits hätten. Die westliche Öffentlichkeit sei daher oft nur unzureichend über die Verhältnisse in Osteuropa orientiert.

In diesen Klagen drückt sich ein bestimmtes Verständnis des Informationsäustauschs in der Ost-West-Richtung aus:

1. Wenn auswärtige Besucher im eigenen Land Bewegungsund Unterrichtungsmöglichkeiten eingeräumt bekommen, dann sind sie dafür verpflichtet, sich den ihnen zugedachten Informationen zuzuwenden und sich in den Dienst der Vermittlung dieser Informationen an ihre Heimatmedien zu stellen. Daher ist sowohl das Aufsuchen nicht vorgesehener Information als auch die Nicht-Weiterleitung empfangener Information eine Verfehlung. 2. Die Beschaffung von Informationen aus anderen als offiziellen Quellen ist eine unzulässige Nachrichtentätigkeit, die nicht geduldet werden sollte. Mit anderen Worten: Die Führung des Landes hat ein Informationsgebungsmonopol nicht nur gegenüber der eigenen Öffentlichkeit, sondern auch im Verhältnis zum Ausland zu beanspruchen.

In den westlichen Ländern können sich die Touristen und Journalisten aus den War-schauer-Pakt-Staaten für die politischen Einstellungen der Bevölkerung, für den gesundheitlichen Zustand eines Politikers und für vieles andere interessieren, ohne daß jemand auf die Idee käme, ihnen einen Mißbrauch ihres Gästestatus vorzuwerfen. Es wird den östlichen Presseleuten auch nicht übel vermerkt, wenn sie sich nicht für Vorgänge interessieren, von denen Kenntnis zu nehmen sie eingeladen worden sind. Die Touristen und Journalisten dürfen sich nicht nur, sondern sie sollen sich auch ihr eigenes Bild von dem westlichen Gastland machen. Wenn dann im Osten (wie es in früheren Jahren oft geschehen ist) Berichte veröffentlicht werden, die in dem dargestellten Land als wenig objektiv empfunden werden, geht man doch ohne Anklagen darüber hinweg. Die Urheber solcher Berichte können selbstverständlich weiterhin alle öffentlichen und privaten Informationsmöglichkeiten des Gastlandes ausschöpfen und sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben uneingeschränkt und unkontrolliert bewegen. Wenn Funktionären aus der DDR eine Zeit lang diese Rechte vielfach vorenthalten worden sind, so lag dies an der damals noch nicht geregelten Anerkennungsfrage. Das aber inzwischen längst Vergangenheit.

In der UdSSR (über deren Verhältnisse ich orientiert bin) bestehen Freiheiten des westlichen Typs nicht. Große Teile des Landes sind für Touristen und Journalisten nicht zugänglich. Reisen in andere, grundsätzlich nicht verbotene Gebiete müssen jedesmal vorher in einer oft sehr umständlichen Prozedur genehmigt worden sein. Die gezielte Beschaffung von Informationen aus nicht-amtlichen Quellen ist untersagt. Demzufolge müssen die Presseleute weithin auf die offiziell gewünschte Version von den Geschehnissen zurückgreifen, über die sie berichten wollen;

eine Überprüfung durch persönliche Anwe-B senheit „vor Ort'oder durch Gespräche mit Privatpersonen soll ausgeschaltet Sein. Journalisten, die Filme herstellen wollen, müssen sich der Kameraleute der sowjetischen Nachrichtenagentur APN bedienen. Es wird dann natürlich nur das aufgenommen, was nach amtlicher Auffassung filmenswert ist. Praktiken dieser Art beeinträchtigen empfindlich die Möglichkeiten des Journalisten, nach Hause eine Darstellung zu übermitteln, die nach seinem Urteil ausgewogen und unverzerrt ist.

In Moskau wird gelegentlich argumentiert, daß die westlichen Journalisten zum Entwerfen eines falschen Bildes von den sowjetischen Verhältnissen neigten und daß daher die gewählten Maßnahmen als Sicherungen für eine wirklich objektive und richtige Berichterstattung notwendig seien; Eugeniusz Guz’ Klage, daß die westliche Presse wesentliche Ereignisse wie polnische Ausstellungen ignoriert habe, um sich dafür aus . Klassengesichtspunkten'heraus für sehr viel Unwichtigeres zu interessieren, könnte ebenfalls als Ausgangsbasis für das Verlangen nach korrigierender Einflußnahme von östlicher Seite verwendet werden (wobei freilich Eugeniusz Guz diese Konsequenz erfreulicherweise nicht zieht).

Wann immer die Führung von Partei und Staat als Garant für eine — von den westlichen Journalisten angeblich verletzte — objektive und richtige Berichterstattung herbeigerufen wird, dann wird ohne weiteres vorausgesetzt, daß das von dieser Führung gewünschte Bild notwendigerweise das zutreffende und ausgewogene sei. Der nach eigenem Urteil (und nach einer Vorstellung von den Publikumswünschen) verfahrende Journalist erscheint als eine bedenkliche Figur.

Wahrscheinlich ist es tatsächlich zu bedauern, daß die Ausstellungen, deren Ignorierung Eugeniusz Guz beklagt, kaum einen publizistischen Widerhall im Westen gefunden haben. Das allgemeine und grundsätzliche Problem ist jedoch, ob dem westlichen Journalisten im Interesse der Wahrheit von amtlicher östlicher Seite vorgeschrieben werden sollte, was ihn zu interessieren hat und wie er es bringen muß. Ob der Wahrheit normalerweise besser gedient wäre, wenn an der Rechtferti(jung ihrer Herrschaft interessierte Funktionäre über sie zu befinden haben, erscheint mir allerdings zweifelhaft (und das nicht nur in Osteuropa).

Eugeniusz Guz ist der Ansicht, daß die „Meinungsrestriktion" des Ostens gegenüber dem Westen in der „Handelsrestriktion“ des Westens gegenüber dem Osten ihre Entsprechung — und damit implizit ihre Rechtfertigung — habe. Er spielt damit auf die östliche KSZE-Forderung nach „wirtschaftlicher Nicht-Diskriminierung", d. h. nach Abschaffung der — in den letzten Jahren bereits sehr stark erhöhten — Außenhandelskontingentierungen und nach Gewährung einer Meistbegünstigung durch die westlichen Länder an. In dieser Darstellung bleibt freilich außer Betracht, daß die Warschauer-Pakt-Staaten, die in der Tat keine Kontingente und Schutzzölle gegenüber Westeuropa haben, auf Grund ihrer nicht marktwirtschaftlichen, sondern zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnung Ausmaß und Bedingungen ihres Warenaustauschs mit dem Ausland durch andere Mittel (nämlich durch die Instrumente der ökonomischen Planung) regulieren. Würden die westlichen Staaten auf ihre ordnungspolitischen Regulationsmechanismen, wie sie die Kontingente und Schutzzölle darstellen, ohne weiteres verzichten, würden zwar sie — nicht aber die RGW-Länder — eine freiwirtschaftlich geöffnete Grenze gegenüber der anderen Seite besitzen. Die westlichen Staaten sind auf der KSZE bereit gewesen, das Problem einer Beseitigung der westlichen Handelsschranken zu diskutieren, wenn die UdSSR und ihre Verbündeten über gleichwertige Leistungen von ihrer Seite sprechen würden. Dagegen jedoch richtete sich stärkster östlicher Widerstand.

6. Unausgewogenheiten in den Ost-West-Austauschbeziehungen In einem Punkt stimme ich der Kritik von Eugeniusz Guz am westlichen Verhalten gerne zu: Das Interesse daran, an dem Leben und an der Kultur der osteuropäischen Völker teilzuhaben, ist in Westeuropa vielerorts bedauerlich gering. Das zeigt sich, wie Eugeniusz Guz überzeugend aufgewiesen hat, etwa in den Bereichen des Fremdsprachenlernens, der Kulturbeziehungen und des Wissenschaftleraustauschs. Es gibt leider ein Ost-West-Gefäl-le der kulturellen Neugier im Blick auf die Errungenschaften der anderen Völker. Fraglich erscheint mir jedoch, ob man diese Erscheinung auf Hochmut der Westeuropäer zurückführen muß, die sich über die Kultur weiter östlich hoch erhaben dünkten... Nach meinem Eindruck sind da andere Faktoren im Spiel. Die von Ranke konzipierte Idee des „germanisch-romanischen“ Abendlandes hat die Ge31 müter nicht nur in Deutschland stark beeinflußt und den Blick davon abgelenkt, daß spätestens seit dem hohen Mittelalter auch die Westslaven, die Ungarn und teilweise die Südslaven einen wesentlichen Betrag zur westlichen Kultur geleistet haben. Fast völlig verschüttet ist das Wissen darum, daß die byzantinisch-ostkirchliche Kulturtradition über ein halbes Jahrtausend hinweg eine überlegene Position in Europa innegehabt hat und für die abendländische Kultur zum entscheidenden Anreger geworden ist. Auch die nach der endgültigen Trennung zwischen Byzanz und Rom fortbestehenden Gemeinsamkeiten sind weithin aus dem westlichen Bewußtsein ausgelöscht. Das bedauerliche Ergebnis ist eine weitgehende westliche Unkenntnis darüber, was sie bei den weiter östlich wohnenden Völkern an Verwandtschaften und Kulturleistungen finden könnten.

Soweit die Sprache die Kulturgüter vermittelt, kommen weitere Probleme hinzu. Eine Sprache, die — wie das Polnische — eine geringe internationale Reichweite besitzt, wird immer nur relativ wenig Adepten im Ausland finden, auch wenn eine bedeutende Literatur vorhanden ist. Sie wird dann normalerweise nur von Personen erlernt werden, die entweder Spezialisten sind oder enge Verbindungen zu dem Volk unterhalten, das diese Sprache spricht. Das ist das Schicksal nicht nur der kleineren osteuropäischen Sprachen, sondern beispielsweise auch des Niederländischen oder des Schwedischen.

Das Russische ist zwar eine . große“ Sprache, aber seine internationale Geltung ist für den Westeuropäer auf einen territorialen Bereich beschränkt, zu dem er nur einen begrenzten und behinderten Zugang (z. B. wegen der bestehenden Reisebestimmungen) hat. Es ist eben viel leichter und befriedigender, die Sprache der Franzosen oder Briten und Amerikaner zu lernen, wenn man deren Land frei kennenlernen und seine Sprachkenntnis laufend in engstem Kontakt mit der Bevölkerung praktizieren kann! Und auch die aktuelle Literatur ist abwechslungsreicher, weil es keine verpflichtende Generallinie für sie gibt. (Es sollte nicht erstaunen, daß im Westen die östliche Dissidenten-Literatur überdurchschnittlich gefragt ist — einfach weil sie neue Gedanken bringt.) Trotz aller Handicaps jedoch nimmt das Interesse am Russischen in der Bundesrepublik allmählich zu, wie die steigenden Zahlen der Slavistikstudenten und der Gymnasien mit Russischunterricht ausweisen. Auch von Staats wegen, wird diese Entwicklung im Interesse eines bessere: Ost-West-Verständnisses gefördert. Die Hin demisse liegen also ganz sicher nicht in ei nem Mangel an gutem Willen seitens de Bundesrepublik Deutschland begründet. 7. Die KSZE-Beschlüsse als Leitlinien künfti ger Praxis Während der fast zwei Jahre dauernde!

Sachverständigenverhandlungen der KSZE ii Genf spielten die Fragen der menschlicher Begegnung, des Informationsaustauschs unc der Zusammenarbeit in Kultur und Bildung eine hervorragende Rolle. Die neun Staater der Europäischen Gemeinschaft, ihre atlanti sehen Verbündeten und fast ausnahmslos auch die neutralen Länder drangen auf eine wesentliche Verbesserung der bisheri gen Austauschpraktiken. Die Warschauer Pakt-Staaten suchten sich diesem Ansinnen zu entziehen. An diesem Widerstreit drohte die Konferenz wiederholt zu scheitern. Die Sowjetunion hatte freilich ein überragendes Interesse daran, daß die KSZE nicht aufflog’:

Sie wünschte dringend eine multilaterale rechtliche Absicherung ihres territorialen und politischen Besitzstandes und wollte das Entspannungsbewußtsein der westlichen Öffentlichkeit durch eine Konferenzapotheose, die zugleich als ein persönlicher Triumpf für Parteichef Breshnev gedacht war, wirkungsvoll untermauern. Aus diesem Grund sah sich die sowjetische Führung während der verschiede-, nen Krisenmomente veranlaßt, durch ein Minimum an Kompromißbereitschaft den Fortgang der KSZE zu ermöglichen.

Im Ergebnis konnten schließlich die Staats-, Regierungs-und Parteichefs in Helsinki zusammenkommen und ihre Unterschrift unter die während der Genfer Phase ausgearbeiteten Beschlüsse setzen. Auch wenn die UdSSR und ihre Verbündeten in manchen Punkten des zwischenmenschlichen Kontakts und der zwischengesellschaftlichen Kommunikation ihre anfänglichen Positionen nicht aufrechterhalten haben, so hat ihr restriktives Verhalten doch weithin dazu geführt, daß der gemeinsame Nenner, den die Konferenzteilnehmer schließlich gefunden haben, ziemlich klein ausgefallen ist. Der Fortschritt der Entspannung in Europa wird nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit die Führungen der sowjetkommunistisch regierten Länder willens sind, wenigstens das begrenzte Maß an verbessertem menschlich-geistigem Austausch, das die KSZE-Beschlüsse vorsehen, in die Tat umzusetzen. Der vollständige Text der Schlußakte der Kon-terenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist als Sonderbeilage zum „PARLAMENT" r. 34- 35 vom 23. 8. 1975 erschienen.

a) Kontakt und Kommunikation über die Grenzen hinweg — ein Herrschaftsbereich der Staaten oder ein Freiraum der Menschen?

Die sowjetische Führung steht seit jeher auf dem Standpunkt, daß die Bewegung von Menschen und Informationen über die Staatsgrenzen hinweg ausschließlich dem Ermessen der Machthaber des Landes unterliege, um dessen Bürger es gehe. Dementsprechend stellte Generalsekretär Breshnev in seiner Rede vom 21. Dezember 1972 das Prinzip in den Vordergrund. daß die grenzüberschreitenden Austauschbeziehungen strikt an der einzelstaatlichen Souveränität orientiert sein müßten. Die Gesetze und Gepflogenheiten des jeweiligen Landes (also der Wille und das Verhalten der jeweiligen Machthaber) hätten bestimmend zu sein. Dieser Ansicht hat die UdSSR mit ihren Verbündeten auch auf der KSZE Geltung zu verschaffen gesucht. Demgegenüber wird in den westlich-demokratischen Staaten die Auffassung praktiziert, daß die Bürger in den Bereichen ihrer persönlichen Kontakte und ihrer politisch-gesellschaftlichen Information einen Anspruch auf Freiraum (also auf herrschaftlich möglichst wenig regulierte Verbindungen) haben. Daraus erwuchs auf der KSZE das Bestreben, die zwischen den Völkern sich abspielenden gesellschaftlichen Beziehungen von den herrschaftlichen Eingriffen, Restriktionen und Lenkungen durch staatliche Organe zu entlasten.

Aus den gegensätzlichen Vorstellungen resultiert eine Formulierung, die beide Elemente nebeneinander stellt. Unter den Prinzipien I (Souveräne Gleichheit) und X (Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen) ist jeweils von dem souveränen Recht der Teilnehmer-staaten die Rede, ihre „Rechte und Verordnungen zu bestimmen". ) * Da keine Einschränkungen gemacht werden (wie sie beispielsweise bezüglich einiger als vorstaatlich zu betrachtender Menschenrechte und grundfreiheiten hätten formuliert werden können, wenn sich die westlich-demokratische Ansicht voll durchgesetzt hätte), besäße demnach jeder Staat die Befugnis zur willkürlichen Rechtssetzung auch hinsichtlich jedweder zwischengesellschaftlichen Beziehungen.

Zugleich heißt es aber, die Teilnehmerstaaten würden „bei der Ausübung ihrer souveränen Rechte, einschließlich des Rechtes, ihre Gesetze und Verordnungen zu bestimmen", „ihren rechtlichen Verpflichtungen aus dem Völkerrecht entsprechen" sowie „die Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gebührend berücksichtigen und durchführen" (Prinzip X). Ebenso wird das Recht, das jeder Staat gegenüber den anderen zu beanspruchen hat, so definiert, daß er „seine Beziehungen zu anderen Staaten im Einklang mit dem Völkerrecht und im Geiste der vorliegenden Erklärung zu bestimmen und zu gestalten" berechtigt sein solle (Prinzip I). Beide Festlegungen laufen darauf hinaus, daß für die frei auszuübenden Souveränitätsrechte ein Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen sie sich inhaltlich bewegen werden.

Etwaige Versuche, eines der beiden Elemente auf Kosten des anderen zu verabsolutieren, werden durch den Text der KSZE-Beschlüsse ausdrücklich ausgeschlossen. Wie es am Ende des Prinzipienkatalogs heißt, sind alle vereinbarten Prinzipien „von grundlegender Bedeutung und werden folglich gleichermaßen und vorbehaltlos angewendet, wobei ein jedes von ihnen unter Beachtung der anderen ausgelegt wird". Im Blick auf das Verhältnis, das gemäß den KSZE-Beschlüssen zwischen dem Souveränitätsgrundsatz einerseits und der Bindungswirkung zwischenstaatlicher Übereinkünfte (wie insbesondere der auf der Konferenz ausgearbeiteten Texte) andererseits besteht, bedeutet dies: Die Teilnehmer-staaten haben die Beschlüsse über die Handhabung des grenzüberschreitenden Austauschs zwischen ihren Gesellschaften, die sie aus souveräner Entscheidung und in allseitigem Konsens auf der KSZE getroffen haben, in ihren Willen aufgenommen und werden daher ihre souveränen Handlungen nach diesen Beschlüssen ausrichten.

Die Zweiheit von Souveränitätsgrundsatz und Inhaltsfestlegung setzt sich fort, wenn in Teil III im einzelnen auf die „Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen", also auf die Probleme des zwischengesellschaftlichen Austausches, eingegangen wird. In der Präambel zu dem Unterkapitel „Menschliche Kontakte" wird es zum Ziel der Bemühungen erklärt, „freiere Bewegung und Kontakte auf individueller und kollektiver, sei es auf privater oder offizieller Grundlage zwischen Personen, Institutionen und Organisationen der Teilnehmerstaaten zu erleichtern und zur Lösung der humanitären Probleme beizutragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben."

Gleichzeitig heißt es, diese Fragen müßten „von den betreffenden Staaten unter gegenseitig annehmbaren Bedingungen geregelt werden". Die folgenden Einzelregelungen erscheinen dann als die Konsequenz der Vorstellungen, die in der Präambel artikuliert worden sind.

Dem zweiten Unterkapitel „Information" dagegen ist eine Präambel vorangestellt, die lediglich einem inhaltlichen Ziel Ausdruck gibt, nämlich „die freiere und umfassendere Verbreitung von Informationen aller Art zu erleichtern, die Zusammenarbeit im Bereich der Information und den Informationsaustausch mit anderen Ländern zu fördern sowie die Bedingungen zu verbessern, unter denen Journalisten aus einem Teilnehmerstaat ihren Beruf in einem anderen Teilnehmerstaat ausüben". Die Präambel zum Unterkapitel 3 „Zusammenarbeit und Austausch im Bereich der Kultur" setzt ebenfalls inhaltlich umschriebene Ziele und erklärt daneben die „Achtung der Eigenart einer jeden" Kultur für notwendig (was als ein versteckter Hinweis auf die Respektierung auch der jeweils staatlichen „Eigenarten“ verstanden werden könnte). Das letzte Unterkapitel „Zusammenarbeit und Austausch im Bereich der Bildung“ hat eine Präambel, die lediglich auf das Erfordernis verweist, daß sich auch hier „Beziehungen internationalen Charakters“ entwickeln.

Die vereinbarten Formulierungen tragen deutlich den Charakter eines Kompromisses. Die östliche Seite setzte durch, daß die Souveränität der Staaten (also praktisch die Gewalt der Regierungen) auf die Gesamtheit der internationalen Beziehungen einschließlich des zwischengesellschaftlichen Austausches bezogen wurde. Demgemäß wird im Ost-West-Verhältnis genausowenig wie im innerstaatlichen Bereich der Warschauer-Pakt-Staaten ein dem staatlichen Zugriff entzogener gesellschaftlicher Freiraum anerkannt. Dafür jedoch haben die westlich-demokratischen Staaten mit Erfolg darauf bestanden, daß die Staaten und Regierungen ihren Willen an bestimmte inhaltliche Regeln binden, die das allgemeine Völkerrecht und das KSZE-Dokument für die grenzüberschreitenden Kontakte und Kommunikationen formuliert haben. Nicht der rechtlichen Form, wohl aber dem praktischen Inhalt nach ist damit eine Grenze für den Gebrauch der souveränen Machtvollkommenheiten seitens der Staatsführungen gesetzt. Nur die Zukunft wird zeigen können, ob die Staaten, die auf der KSZE nur widerwillig inhaltliche Verpflichtungen bezüglich der Durchführung des zwiB schengesellschaftlichen Austausches akzej tiert haben, ihren Teil des erzielten Kompre misses zu honorieren geneigt sind. b) Das Gebot der Nicht-Einmischung als Bc sis östlicher Abschirmungspolitik?

In der bisherigen sowjetischen Argumente tion wurde das Gebot der Nichteinmischun als Verbot jedweder unerwünschter Einwii kungen interpretiert, die von dem Gebiet ei nes Staates auf das Gebiet eines andere: Staates ausgingen. Mit anderen Worten: Di Führung der UdSSR beanspruchte das Recht von den Regierungen der westlichen Lände zu verlangen, daß sie aus ihren Gesellschaf ten nur diejenigen Einflüsse über die System grenze gelangen ließen, die ihr erwünsch schienen. Soweit die westlichen Regierungei zu einer derartigen Kontrolle ihrer Gesell schäften nicht bereit oder imstande waren, er hielten die östlichen Maßnahmen der Ab schirmung gegen die den Machthabern miß liebigen Kontakte und Informationen mit den Westen den Charakter einer Abwehr unrecht mäßiger Einmischungstätigkeiten. Diese Dar Stellung des Sachverhalts ermöglichte es de sowjetischen Propaganda auch, wenigstem im. ideologischen Bereich das Bild eines feind selig-aggressiven Westens aufrechtzuerhalter und zu kultivieren.

Es versteht sich von selbst, daß die UdSSF mit ihren Verbündeten auch auf der KSZI versuchte, ihren Vorstellungen vor Nicht-Einmischung Geltung zu verschaffen Um die Formulierung des entsprechender Prinzips VII entbrannte daher eine heftige Ost-West-Kontroverse. Schließlich einigten sich die Beteiligten auf die Fassung, „sich ungeachtet ihrer gegenseitigen Beziehungen jeder direkten oder indirekten, individuellen oder kollektiven Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten enthalten" zu wollen, „die in die innerstaatliche Zuständigkeit eines anderen Teilnehmerstaates fallen“. Die sowjetische Auslegung könnte sich, was diesen isolierten Satz betrifft, auf die Begriffe der „indirekten Einmischung" und der „innerstaatlichen Zuständigkeit" stützen. Denn zweifellos ist das, was die sowjetische Seite im zwischengesellschaftlichen Bereich gerne mit dem Odium verbotener Einmischung belegen würde, nicht als eine direkte Einmischung zu bezeichnen, was dann logischer-weise die Schaffung des — bisher kaum einmal näher definierten — Rechtstatbestandes einer indirekten Einmischung als Etikett für unerwünschte auswärtige Kontakt-und Kom34 unikationseinwirkungen nahelegt. Und nach iwjetischer Ansicht fällt nicht nur die Nachchtenpolitik, sondern auch die Privatsphäre r Staatsbürger unzweifelhaft in die Regeingskompetenz der öffentlichen Gewalt. ine derartige Interpretation wird jedoch urch die folgenden Formulierungen ausge: hlossen. „Dementsprechend", so heißt es uslegend, würden sich die Teilnehmerstaaten jeder Form der bewaffneten Intervention der der Androhung einer solchen Interven-on gegen einen anderen Teilnehmerstaat nthalten". Gleichermaßen würden sie sich jeder militärischen wie auch politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Zwangsmaßahme enthalten, die darauf gerichtet ist, ihem eigenen Interesse die Ausübung der iechte eines anderen Teilnehmerstaates, die lessen Souveränität innewohnen, unterzuord-ien und sich damit Vorteile zu verschaffen". Als Beispiel für Zwangsmaßnahmen in dem so imschriebenen Sinn wird die „direkte oder ndirekte. Unterstützung terroristischer Tätig-reiten oder subversiver oder anderer Tätig-reiten“ erwähnt, „die auf den gewaltsamen Jmsturz des Regimes eines anderen Teilnehnerstaates gerichtet sind“.

Einmischung enthält demnach auf jeden Fall las Element des Zwangs in sich. Das Korrelat ierartigen Zwangs ist die Absicht, einen Staat an der Wahrnehmung seiner souveränen Selbständigkeitsrechte zu hindern oder im Extremfall in seiner bisherigen Herrschaftsstruktur zu zerstören. Das gilt auch für die Spielarten der „indirekten Einmischung": Diese sind nicht durch das Fehlen von Zwang in den angewandten Mitteln und in den verfolgten Absichten gekennzeichnet (wie es bei der Weitergabe unerwünschter Nachrichten und Ideen über die Grenzen hinweg der Fall wäre), sondern durch die Wahl von anderen Zwangsinstrumentarien als der herkömmlichen auswärtigen Zwangsanwendung oder Zwangsandrohung charakterisiert (die im Gebrauch der militärischen Macht eines Landes gegen ein anderes besteht). Die Beschränkung des Einmischungsbegriffs auf die Mittel und Absichten des Zwangs entspricht dem allgemeinen Völkerrecht, wie es namentlich in der UNO-Charta seinen Niederschlag gefunden hat.

Auch der Grundsatz, daß die Unverletzlich-tat der Grenzen gewährleistet sein müsse, ist in der Vergangenheit von sowjetischen Diplomaten und Publizisten immer wieder dazu herangezogen worden, um eine angebliche Grenzverletzung durch eindringende unerwünschte Nachrichten und Ideen (sogenannte „ideologische Kontrabande") für unzulässig zu erklären. Auch an dieser Stelle hat die sowjetische Delegation auf der KSZE versucht, den fraglichen Begriff so weit auszuweiten, daß er schließlich bei Bedarf als Rechtfertigungsbasis für das Verlangen nach hermetisch abgeriegelten beziehungsweise manipulierten Ost-West-Grenzen herhalten könnte. Der Begriff der „Unverletzlichkeit" bot dafür freilich von vornherein einen schlechten Ausgangspunkt. Denn das Verletzen von irgend etwas bedeutet, genauer betrachtet, immer das gewaltsame Eindringen einer fremden Einwirkung. Das russische Wort (nerusi-most'), das zu unserem Ausdruck „Unzerstörbarkeit" hin tendiert, läßt noch deutlicher werden, daß es bei der Grenzunverletzlichkeit um den Ausschluß von auswärtiger Gewalt von dem Einwirken auf das grenzumschlosse-ne Gebiet geht. Das aber bedeutet, daß ein nicht-gewalthaftes Einwirken von außen nicht unter das Verbot der Grenzverletzung fallen kann.

Bei der Formulierung des Unverletzlichkeitsprinzips auf der KSZE hat die östliche Seite erreicht, daß der zunächst wenig klare Begriff eines — nicht statthaften — „Anschlags" (posjagatel'stvo) auf die Grenzen anderer Staaten verwendet wurde. Das allein könnte zum Ausgangspunkt einer sehr weitgefaßten Auslegung dessen werden, was künftig an Einwirkungen aus dem Gebiet eines Staates gegen das Gebiet anderer Staaten unzulässig sein soll. Dem ist jedoch durch die sofort angeschlossene Auslegung ein Riegel vorgeschoben. „Dementsprechend", so heißt es, würden sich die Konferenzbeteiligten „auch jeglicher Forderung oder Handlung enthalten, sich eines Teiles oder des gesamten Territoriums irgendeines Teilnehmerstaates zu bemächtigen". Mithin sind die unzulässigen „Anschläge" definiert als der Versuch, sich durch den Einsatz politischer Mittel Gewalt über Gebiete zu verschaffen, die anderen Staaten gehören. Nachrichten und Ideen, die mittels persönlicher Kontakte oder medialer Informationsträger aus dem Westen in die Warschauer-Pakt-Staaten gelangen, können auch dann, wenn sie dort die Bevölkerung zu offiziell unerwünschten Schlußfolgerungen anregen sollten, keinesfalls als Unternehmung zur Wegnahme östlichen Territoriums qualifiziert werden.

Auf der Basis der Texte, die in Helsinki unterzeichnet worden sind, läßt sich der Stand-punkt nicht aufrechterhalten, daß die den östlichen Machthabern unerwünschten Teile der gesellschaftlichen Austauschbeziehungen zwischen Ost und West unter das Einmischungsverbot fielen und daß die beschworene Grenzunverletzlichkeit neben dem territorialen Besitzstand auch die menschlich-geistige Abschirmung der Gesellschaften nach der Willkür ihrer Regierungen garantiere. Die KSZE-Beschlüsse ändern nichts an dem bisherigen Völkerrecht, dem zufolge die gegen auswärtige Einmischung zu schützende „innere Zuständigkeit" der Staaten nur die territoriale Integrität und die politische Entscheidungsfreiheit umfaßt und daß daher nur gewaltweise Einwirkungsversuche von selten eines Staates auf einen anderen eine rechtswidrige Einflußnahme bilden. Auch wenn die auf der KSZE geschaffene Rechtslage unzweideutig ist, so liegt darin noch keine absolut sichere Gewähr dagegen, daß trotzdem, aller überzeugenden Auslegungslogik ungeachtet, eine anderslautende Propaganda laut werden könnte (denn dagegen gibt es, weil es sich dann um politische Willkür handelt, überhaupt keine Sicherheit). Ebensowenig läßt sich ausschließen, daß die UdSSR oder andere Staaten versuchen könnten, die Aussage des allgemeinen Völkerrechts über den Bereich der staatlichen „inneren Zuständigkeit" (der bislang nur die Prozesse der politischen Willensbildung und Entscheidungsdurchführung umfaßt) durch geeignete Projekte — wie beispielsweise den sowjetischen Entwurf für eine UNO-Konvention über ein Verbot grenzüberschreitender Satellitenfernsehausstrahlungen vom 8. August 1972 — künftig etwa auch auf die Informationsmedien auszudehnen.

c) Inhaltliche Anforderungen an den grenzüberschreitenden menschlich-geistigen Austausch?

Diplomaten und Publizisten der Warschauer-Pakt-Staaten haben im Blick auf die KSZE immer wieder darauf bestanden, daß die Möglichkeiten für die Kontakte und Kommunikationen über die Grenzen hinweg so angelegt werden müßten, daß nur das Gute, nicht aber das Schlechte von einem Volk zum anderen weitergegeben werde. Die positive Formel für dieses Verlangen lautete, der Austausch habe der wechselseitigen Bereicherung der Völker (namentlich in kultureller Hinsicht) zu dienen. Negativ gewendet, hieß es, Darstellungen und Ideale, welche die Unmoral, den Völkerzwist und die Unwahrheit propagierten, müßten aus dem grenzüberschreitenden Informationsaustausch und Meinungsdialog ausgeschlossen werden. Eine Verhetzung oder Des-orientierung der Völker dürfe nicht zugelassen werden. Diese Formeln waren auf Sympathiewerbung abgestellt: Wer wäre schon bereit, als Verfechter von Unmoral, Völkerverhetzung oder Desinformation aufzutreten?

Der politische Kern des östlichen Verlangens war jedoch, daß die Vorstellung der Freizügigkeit von Menschen und Nachrichten über die Grenzen hinweg generell diskreditiert werden sollte und daß als Alternative für diese Freizügigkeit das Recht, ja die Pflicht der staatlichen Machthaber zur Festlegung und zur Erzwingung des Moral-und Friedensdienlichen bereitgehalten wurde. Was nach sowjetischer Ansicht und im sowjetischen Interesse als moral-und friedensdienlich zu gelten hat, ist seit langem klar: Die geringste Kritik an der Politik der Kremlführung oder an den Verhältnissen in der UdSSR oder auch zu solcher Kritik möglicherweise anregende Tatsacheninformationen haben als Anschläge gegen die guten Sitten, gegen das friedliche Zusammenleben und gegen die Verständigung der Völker zu gelten, während umgekehrt für die östlichen Kampfäußerungen gegen den Kapitalismus die Interessen aller Völker, des Weltfriedens und der Wahrheit rechtfertigend bemüht werden.

Anklänge der von den Warschauer-Pakt-Staaten geforderten Zweckbestimmung für den grenzüberschreitenden menschlich-geistigen Austausch finden sich in der KSZE-Schlußakte. In der Präambel zu dem Unterkapitel „Menschliche Kontakte" ist davon die Rede, „daß die Entwicklung von Kontakten ein wichtiges Element bei der Stärkung freundschaftlicher Beziehungen und des Vertrauens zwischen den Völkern ist". Die Präambel zu dem Unterkapitel „Zusammenarbeit und Austausch im Bereich der Kultur" verleiht der Überzeugung Ausdruck, daß eine „Festigung ihrer (der Teilnehmerstaaten) gegenseitigen Beziehungen zur Bereicherung einer jeden Kultur beitragen wird". Auch eine „Verstärkung des Bewußtseins gemeinsamer Werte'wird erhofft. Bei den Beschlüssen über „Zusammenarbeit und Austausch im Bereich dei Bildung" ließen sich die Konferenzbeteiligter von dem Bewußtsein leiten, „daß die Entwick lung von Beziehungen internationalen Charak ters auf den Gebieten Bildung und Wissen schäft zu einem besseren gegenseitigen Ver ständnis beiträgt und allen Völkern zum Vor teil sowie künftigen Generationen zum Nutzer gereicht". iese Formulierungen weisen jedoch zwei itscheidende Unterschiede gegenüber den wjetischen Vorstellungen auf. Es fehlen le Qualifikationen für nicht akzeptable — nd daher von vornherein aus den Aus-tuschbeziehungen herauszuhaltende — Aususchinhalte. Vor allem aber sind die Zielmschreibungen nicht als Postulate für das uszutauschende gefaßt. Was immer als Erebnis des Austauschprozesses erwartet wer-en mag, nichts davon hat den Charakter einer weckbestimmung, die als Maßstab für die Zu-issigkeit oder Unzulässigkeit einzelner Aususchinhalte heranzuziehen wäre. Es handelt ich vielmehr um Erwartungen oder Hoffnun-en, die an das Funktionieren einer möglichst mfangreichen Beziehung des Austauschs und es Zusammenwirkens insgesamt geknüpft /erden. In diesem Sinne haben die Vertreter restlicher Staaten seit langem argumentiert, renn sie sich gegen alle östlichen Restriktiinsbemühungen für eine möglichst freie und »reite grenzüberschreitende Freizügigkeit lusgesprochen haben. 1)

Die völkerrechtliche Qualität der KSZE3eschlüsse 'lach östlicher Vorstellung, wie sie in den abjestimmten Entwürfen der UdSSR, Polens und 3ulgariens, der DDR und Ungarns sowie der Tschechoslowakei während der ersten Konferenzphase von Anfang Juli 1973 zum Aus-iruck kam, sollte es einerseits eine vertragsihnliche Generaldeklaration über die Prinzipien des Zusammenlebens der Staaten in Europa und andererseits anhangartige Nebenerklärungen über die Fragen der Wirtschaft, der Humanität und eines Konferenzfolgeorgans geben. Dieses Konzept lief darauf hinaus, die Prinzipien des Zusammenlebens zum Eigentlichen und Wesentlichen zu machen und den auf Einzelheiten abgestellten Dokumenten eine nachgeordnete rechtliche Qualität zuzuweisen. Der sowjetischen Führung und ihren Verbündeten ging es vor allem darum, das Moskauer Konzept der „friedlichen Koexistenz“ mit allen seinen die östliche Seile einseitig begünstigenden Implikationen zum Grundgesetz der intereuropäischen Beziehungen zu erheben und den Gedanken einer Unveränderlichkeit der von der UdSSR seit 1944/45 geschaffenen Grenzen zur zentralen Rechtsnorm zu machen. Demgegenüber sollten alle etwaigen menschlichen Erleichterungen, von denen vielleicht die Rede sein würde, keine Verbindlichkeitswirkung erhalten.

Nach Auffassung fast aller übrigen Teilnehmerstaaten waren nur Beschlüsse annehmbar, die in allen ihren Teilen die gleiche Rechts-qualität aufwiesen. Die Form eines multilateralen völkerrechtlichen Vertrages, wie ihn die UdSSR für den Prinzipienkatalog faktisch im Sinn zu haben schien, galt dabei aus verschiedenen Erwägungen heraus als wenig geeignet.

Im Ergebnis ist eine Absichtserklärung entstanden. Die typische Satzform für die gefaßten Beschlüsse lautet: „Die Teilnehmerstaaten werden . . .“'Damit ist klargestellt, daß es sich nicht um eine Vertragschließung oder um einen dieser gleichkommenden Akt handelt. Die Teilnehmerstaaten bringen zum Ausdruck, wie sie sich von nun an verhalten werden. Da sie dies einander wechselseitig erklären, haben sie auf diese Weise eine einvernehmliche Festlegung der Maßstäbe getroffen, an denen ihr guter Wille künftig gemessen werden kann. Ein Teilnehmerstaat, der nunmehr von der seinen Verhandlungspartnern gegenüber angegebenen Linie des Verhaltens abweichen würde, hätte damit eine Zusage gebrochen, die er als Beitrag zu der — auf der KSZE als Ausgangspunkt zugrunde gelegten — Entspannung in Europa ausdrücklich gemacht hat. Sein Wille, sich entspannungskonform zu verhalten, müßte in diesem Falle entsprechend negativ beurteilt werden. Dies gilt gleichermaßen für alle Einzelteile der KSZE-Beschlüsse, da diese ein einziges, untrennbares Gesamtdokument darstellen und folglich auch als ein Ganzes einheitlich unterzeichnet worden sind.

Die Teilnehmerstaaten sind zwar mit den KSZE-Beschlüssen keine völkerrechtlichen Verpflichtungen gegeneinander eingegangen (wie dies bei einem multilateralen Vertrag der Fall gewesen wäre), aber sie haben die Glaubwürdigkeit ihrer Entspannungspolitik mit der Einhaltung der vereinbarten Texte verbunden. Dieser Umstand wird noch durch die Übereinkunft unterstrichen, daß im Sommer 1977 eine Folgekonferenz einberufen werden wird, auf der festgestellt werden soll, inwieweit die gefaßten Beschlüsse in die Wirklichkeit umgesetzt worden sind. Es wird also in aller Form eine Überprüfung vorgenommen werden, welche Staaten sich in welchen Punkten den gemeinsam ausgearbeiteten Spielregeln der Entspannung entsprechend verhalten haben oder nicht.

e) Die Beschlüsse der KSZE — feststehende Erfordernisse oder erst noch auszuhandelnde Zukunftsvisionen?

Die Bestimmungen der KSZE-Schlußakte stimmen an manchen Stellen nicht mit der Praxis überein, die einzelne Länder auf Grund ihrer innerstaatlichen Gesetze und Verordnungen oder ihrer zwischenstaatlichen Verträge bisher geübt haben. Sind diese Länder nun gehalten, ohne weiteres ihre Praxis und ihre Rechtssetzungen entsprechend zu ändern, oder haben diese Länder sich lediglich dazu bereit erklärt, über derartige Änderungen künftig in Vertragsverhandlungen einzutreten? Diese Frage kann nicht einheitlich beantwortet werden. In den KSZE-Beschlüssen ist nämlich an verschiedenen Stellen durchaus Unterschiedliches vorgesehen. Mehrere Typen der Realisierung sind festgelegt worden: 1. Es werden im einzelnen die Verfahren umschrieben, die künftig eingehalten werden sollen. Daraus läßt sich folgern, daß die beschlossene Regelung von allen Staaten, die sich der KSZE-Schlußakte gemäß verhalten wollen, übernommen werden muß. )

2. Es werden allgemeine Prinzipien aufgestellt, an denen das Verfahren künftig orientiert sein soll. Wenn dabei nicht auf noch abzuschließende Abkommen verwiesen wird, ist offensichtlich ebenfalls an eine nicht mehr eigens zu vereinbarende Übernahme in das innerstaatliche Rechtssystem gedacht, soweit dieses den formulierten Anforderungen nicht schon entspricht. 3. Bestehende Regelungen sollen, soweit sie dem im KSZE-Dokument umrissenen Standard noch nicht entsprechen, demgemäß verbessert werden. Für diesen Fall gilt dasselbe wie bei 2. 4. Es heißt, daß die bestehenden Regelungen so ausgelegt und gehandhabt werden sollen, daß sie der in den KSZE-Beschlüssen festgelegten Norm entsprechen. In diesem Fall ist formell keine Änderung an dem Rechtssystem erforderlich, wenn auch inhaltlich eine gewisse Modifikation bei der praktischen Ausführung geboten ist. 5. An vielen Stellen wird von noch abzuschließenden Abkommen gesprochen, die der Verwirklichung eines formulierten Grundsatzes dienen sollen. In diesen Fällen liegt lediglich eine Bereitschaftserklärung vor, im Blick auf das einvernehmlich festgelegte Ziel in diplomatische Gespräche über eine Regelun des betreffenden Punktes einzutreten.

Verfahrensfestlegungen vom Typ 1 wurde vor allem bezüglich der Möglichkeiten zu Pflege familiärer Kontakte, der Regelunge zur Familienzusammenführung und der Ehe Schließung zwischen Bürgern verschiedene Staaten sowie der Bestimmungen über ein Verbesserung der journalistischen Arbeitsbe dingungen getroffen. Personen, die enge vei wandtschaftliche Bindungen über die Grenze: hinweg haben, sollen die Möglichkeit zu häu figer und sogar regelmäßiger Ein-bzw. Aus reise zu Besuchszwecken erhalten; ihre ent sprechenden Gesuche sollen ohne Rücksich auf das Herkunftsund das Bestimmungslant behandelt werden; angemessen kurze und fi nanziell zumutbare Modalitäten bei der Aus Stellung der Reisedokumente sind vorgesehen Getrennte Familienmitglieder und heirats willige Partner sollen ebenfalls mit kurzer Wartezeiten und mäßigen Gebühren bei ihrer Auswanderungsersuchen rechnen können; ab gelehnte Ersuchen sollen kostenfrei und wie derholbar sein; die Antragsteller dürfen nicht wie dies in vielen Warschauer-Pakt-Staater bisher üblich war, einer Veränderung ihrer Rechten und Pflichten unterliegen (also bei spielsweise nicht ihren Arbeitsplatz oder ihre Wohnung verlieren). Außerdem soll die Mit nähme von Haushaltsgut und persönlicher Habe gestattet sein, wenn die Ubersiedlung zustande kommt.

Die Arbeit von Auslandsjournalisten soll erleichtert werden durch die „wohlwollende“ und kurzzeitige Prüfung von Anträgen auf Visaerteilung, durch die Erteilung von Visa zu wiederholter Ein-und Ausreise, durch die Ausgabe von Dokumenten für längeren Aufenthalt, durch die Verbesserung der Reise-möglichkeiten im Gastland, durch die Zulassung des direkten Kontakts mit den Informationsquellen „einschließlich Organisationen und offiziellen Institutionen" und durch die Genehmigung der Einfuhr der berufsnotwen-digen Ausrüstungen. Es fällt auf, daß der Zugang zu privaten Informationsquellen, der den Journalisten beispielsweise in der UdSSR bisher verwehrt worden ist, nicht ausdrücklich erwähnt wird. Außerdem heißt es, daß die Journalisten in den Stand gesetzt werden sollen, „auf den von den Teilnehmerstaaten anerkannten Wegen" rasch ihren Informationsorganen die Ergebnisse ihrer beruflichen Tätigkeit einschließlich audiovisueller Materialien zu übermitteln. In der bis zuletzt umstrittenen Frage, ob die Auslandsjournalisten das Recht zur Benutzung eigener Techniker, Aufnahmeleute u. ä. [statt etwa in der UdSSR des von der KGB-nahen Agentur APN gestellten Hilfspersonals) haben sollten, kam eine Formulierung zustande, die letzte Klarheit vermissen läßt. Es wird die „Tatsache" anerkannt, „daß in vielen Fällen geeignetes örtliches Personal von ausländischen Journalisten beschäftigt wird", und zugleich festgetellt, daß die getroffenen Bestimmungen für die ausländischen „Techniker, Photgraphen und Kameraleute" Geltung hätten. Wenn die zweite Zusicherung nicht als leere Sprachhülse gedacht ist, muß frei-lich angenommen werden, daß die Auslands-

journalisten, wenn sie es wünschen, ihr eige-

nes Hilfspersonal mitbringen dürfen (dem I dann die besagten Bestimmungen auch zugute kommen können).

Prinzipielle Zusicherungen vom Typ 2 finden sich bei den Aussagen zu den Reisen aus persönlichen oder beruflichen Gründen: „Möglichkeiten für umfassenderes Reisen" sollen geschaffen werden; die Formalitäten beim Grenzübertritt und bei der Durchführung von Reisen innerhalb eines fremden Landes sollen sich vereinfachen; die Gebühren für die Reisedokumente sollen schrittweise gesenkt werden. Damit sind graduelle, nicht qualitative Erleichterungen anvisiert. Bestehende Prozeduren der Genehmigung und der Restriktion unterliegen keiner grundsätzlichen Veränderung; nicht einmal an der Tatsache ausgedehnter Verbotszonen für Ausländer in der UdSSR wird gerüttelt. Der Hinweis auf die . gebührende Berücksichtigung von Sicher-

heitserfordernissen" hat augenscheinlich die Funktion, diese und andere Formen der Frei-

zügigkeitseinengungen zu rechtfertigen. An diesem Beispiel wird besonders deutlich sichtbar, mit welch unvorstellbarer Hartnäk-

kigkeit die sowjetische Seite auf der KSZE ihre restriktive Praxis verteidigt haben muß.

In einem eigenen Abschnitt wird die „Entwicklung des Tourismus" behandelt. Das Interesse an Deviseneinnahmen aus dem Westen macht seit langem in allen östlichen Aussagen zu den Fragen der zwischengesellschaftlichen Austauschbeziehungen den Tou" smus (der im wesentlichen von Westen Weh Osten fließt) zu einem gern hervorgehodenen Musterbeispiel für das, was schon alles erreicht sei und was noch weiter ausgebaut 'erden solle. Auf der KSZE haben die Vertre-

er der Sowjetunion und ihrer Verbündeten duch in diesem Sinne argumentiert. Daher be-standen über die Entwicklung des Tourismus während der Beratungen von vornherein keine Meinungsverschiedenheiten. Auf westliches Verlangen ist es jedoch zurückzuführen, wenn gemäß den KSZE-Beschlüssen der Tourismus künftig nicht nur auf kollektiver, sondern auch auf individueller Grundlage gefördert werden soll und wenn geeignete Erleichterungen, namentlich eine „Vereinfachung und Beschleunigung der für solche Reisen erforderlichen Formalitäten", in Aussicht gestellt wurden.

Genauere Normen wurden auch hinsichtlich der kommerziell bedingten Kontakte und Reisen über die Grenzen hinweg formuliert. Westliche Geschäftsleute klagen seit langem über die Bewegungsbehinderungen, Niederlassungsrestriktionen, Formalitäten-und Kostenbelastungen, Zeit-und Müheverschwendungen, Informationsnöte und teilweise auch als Schikanen empfundenen bürokratischen Prozeduren, denen sie insbesondere in der UdSSR ausgesetzt sind. Aus diesem Grund hat die westliche Seite auf der KSZE dahin gewirkt, daß von „Maßnahmen zur Beschleunigung der Führung von geschäftlichen Verhandlungen" und von einer „Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Vertretern der vom Außenhandel betroffenen ausländischen Organisationen, Unternehmen, Gesellschaften und Banken" die Rede ist. Im einzelnen werden vorgesehen eine Verfügbarmachung der geschäftsrelevanten Informationen im Gastland, eine wohlwollende Prüfung von Anträgen auf die Errichtung ständiger Vertretungen oder Büros und die Einräumung von möglichst günstigen Bedingungen für die Benutzung von Hotelunterkünften, Kommunikationsmitteln, Mietlokalen und anderen benötigten Einrichtungen oder Dienstleistungen (wie dies eigentlich selbstverständlich wäre, namentlich angesichts des so stark betonten sowjetischen Interesses an einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern).

Was die Bedingungen des Ost-West-Handelsaustausches betrifft, hat die Sowjetunion mit ihren Verbündeten bis zum letzten Augenblick beharrlich eine westliche Zusage der Meistbegünstigung gefordert, ohne jedoch auf das Gegenverlangen nach einer entsprechenden östlichen Gegenleistung einzugehen. Dieser Standpunkt hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Es wird zwar auf die „vorteilhaften Wirkungen" hingewiesen, „die sich aus der Anwendung der Meistbegünstigung für die Entwicklung des Handels ergeben können", aber es ist zugleich davon die Rede, daß „die der Entwicklung des Handels entgegenstehenden Hindernisse jeglicher Art abzubauen oder schrittweise zu beseitigen" seien. Noch deutlicher ist die Formulierung, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit „auf der Grundlage der Gleichheit und gegenseitigen Zufriedenheit der Partner sowie der Gegenseitigkeit, die insgesamt eine ausgewogene Aufteilung der Vorteile und Verpflichtungen vergleichbarer Tragweite ermöglicht“, erfolgen müsse. Damit ist anerkannt, daß die Unterschiede der wirtschaftlichen Systeme die Einführung eines — noch nicht näher bestimmten — Prinzips der gleichwertigen Gegenseitigkeit erfordern.

In den übrigen Bereichen der zwischengesellschaftlichen Beziehungen — bei den Abschnitten über Jugendbegegnungen, Sportveranstaltungen und Delegationsaustausch sowie den weitläufigen Kapiteln über Kultur-und Bildungskooperation — findet sich nur sehr wenig, was irgendwie über den derzeit bestehenden Zustand hinauswiese. Es handelt sich meist um katalogartige Aufzählungen der verschiedenen Aktivitätsformen, die möglich oder wünschenswert erscheinen und oft auch als förderungswürdig bezeichnet werden. Gelegentlich werden vage Prinzipien bemüht; in kaum einmal näher spezifizierter Form taucht auch immer wieder das Stichwort „Erleichterung" auf.

Es ist beispielsweise von einem mündlichen Informationsaustausch mittels Kongressen, Symposien und ähnlichen Veranstaltungen, von der Verbreitung gedruckter Information durch den Import und die Übersetzung von Büchern und von einer wechselseitigen Übernahme von Filmen und Sendungen die Rede. Da hierfür weder Regeln formuliert noch Regelmäßigkeiten festgelegt sind, steht das entscheidende Wann und Was völlig im Belieben der Beteiligten — was dem bisherigen Verfahren entspricht. Charakteristischerweise ist das von französischer Seite energisch verfolgte Projekt, die Einrichtung von Lesesälen im Ausland vorzusehen (etwa im Sinne der Maisons Franaises in der Bundesrepublik), schließlich am östlichen Widerstand gescheitert.

Sehr zahlreich sind die Stellen, an denen, nachdem das Thema genannt und mit einer Zielperspektive ausgestattet worden ist, auf dementsprechend abzuschließende bioder multilaterale Abkommen, gelegentlich auch auf noch festzulegende Austauschprogramme, verwiesen wird. Dabei kann es sich um Vereinbarungen söwohl zwischen den Staaten als auch zwischen einschlägigen Organisationen der Institutionen in den einzelnen Ländern handeln (die dann im Rahmen der sowjetkommunistischen Herrschafts-und Gesellschaftsordnung ebenfalls Organe der Führung dar stellen). Eine Ausführung der im KSZE-Dokument bekundeten Absicht durch nachfolgende Abmachungen ist beispielsweise vorgesehen bei den Jugendbegegnungen, beim Austausch von gedruckter, gefilmter und gesendeter Information, bei der Erweiterung der kulturellen Beziehungen, hinsichtlich des Zugangs zu ausländischem Kulturschaffen, beim Ausbau der Beziehungen im Bildungsbereich und bei der Entwicklung verschiedener geregelter Austauschpraktiken. Bei der Lektüre der beiden Kapitel über die Zusammenarbeit im Kultur-und Bildungsbereich überwiegt der Eindruck, daß die Austauschbeziehungen wesentlich im bisherigen Rahmen weiterlaufen werden, auch wenn sie vielleicht an Umfang zunehmen könnten. In der Präambel zur kulturellen Kooperation heißt es allerdings auf westliches Drängen hin ausdrücklich, daß auch „neue Bereiche und Formen" eröffnet werden sollen.

An verschiedenen Stellen, also insbesondere hinsichtlich der Familienkontakte, der Familienzusammenführung, der grenzüberschreitenden Eheschließung, der journalistischen und der kommerziellen Arbeitsbedingungen im Ausland hat also die KSZE recht weitgehend spezifizierte Verfahrensregelungen getroffen, die als eine bereits formulierte Vereinbarung anzusehen sind und daher keiner Konkretisierung durch ein ausführendes Abkommen bedürfen. Dem stehen sehr viel zahl-reichere Stellen gegenüber, an denen die beabsichtigte Regelung nur skizziert ist. In diesen Fällen spricht die Plausibilität dafür, daf zwar nicht an erneute zwischenstaatliche Verhandlungen mit dem Ziel einer endgülti gen Vereinbarung gedacht ist (denn sonst wäre gemäß sonstiger Übung ausdrücklich darauf verwiesen worden), daß aber den Ein-1 zelstaaten die Art der Umsetzung der formulierten Leitsätze in die eigene Praxis überlassen bleibt. Schließlich gibt es viele Passagen, die den Abschluß einer internationalen Abmachung ausdrücklich zur Voraussetzung da praktischen Ausführung erklären. f) Zur Gesamtwertung Die Schlußakte der KSZE bringt nur in einzel nen ausgewählten Bereichen der zwischenge ellschaftlichen Beziehungen eine Verringe-ung der Barrieren, welche die Führungen der Narschauer-Pakt-Staaten gegen einen unma-üpulierten Austausch von Menschen und In-ormationen aufgerichtet haben. In allen Fälen, in denen ein Fortschritt erreicht werden tonnte, ging eine kritische Zuspitzung der Verhandlungssituation voraus. Augenschein-ich war es nicht möglich, daß dieser Vor-jang (auch wenn er im Ergebnis dann stets uch mit westlichen Gegenleistungen verbunlen war, also einen Kompromiß in der einen oder anderen Weise erbrachte) allzu oft ab-lief: Kraftakte benötigen so viel Energien, daß sie nicht Punkt für Punkt erprobt werden können.

Für die westlich-demokratischen Länder, in denen die Freizügigkeit der Menschen und der Informationen eine Selbstverständlichkeit ist, können die Resultate der KSZE nicht voll befriedigend sein. Die westlichen Völker müssen ebenso wie die Völker Osteuropas, die sich ebenso sehr nach einem Mehr an Bewegungsfreiheit und Kommunikationsmöglichkeit sehnen, sich vorerst mit dem zufrieden geben, was die KSZE zustande gebracht hat. Es steht zu hoffen, daß die Führungen der Warschauer-Pakt-Staaten in den Punkten, in denen sie schließlich nach hartnäckigem Widerstreben Abstriche von ihren anfänglichen Positionen gemacht haben, das von ihnen zuletzt akzeptierte Einvernehmen uneingeschränkt befolgen (so wie sie das von ihren westlichen Partnern dort erwarten, wo diese Konzessionen gemacht haben). Nur dann besteht die Hoffnung, daß die Entspannung glaubwürdig ist und bleibt und daß ein besseres Vertrauen zwischen Ost und West zustande kommen kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gerhard Wettig, Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West. Zur Problematik einer umfassenden Koexistenz in Europa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/75 vom 15. 3. 1975.

Weitere Inhalte

Gerhard Wettig, Dr. phil., geboren 1934 in Gelnhausen/Hessen; Studium der Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft; Wissenschaftlicher Referent am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln. Veröffentlichungen u. a.: Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943 bis 1955. Internationale Auseinandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa, München 1967; Die Rolle der russischen Armee im revolutionären Machtkampf 1917. Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Band 12, Berlin 1967; Politik im Rampenlicht. Aktionsweisen moderner Außenpolitik, Fischer Bücherei 845, Frankfurt 1967; (zusammen mit Emst Deuerlein, Alexander Fischer und Eberhard Menzel) Potsdam und die deutsche Frage, Köln 1970; Europäische Sicherheit. Das europäische Staatensystem in der sowjetischen Außenpolitik 1966— 1972, Düsseldorf 1972; Frieden und Sicherheit in Europa. Probleme der KSZE und der MBFR, Stuttgart 1975; Community and Conflict in the Socialist Camp. The Soviet Union, East Germany and the German Problem 1965— 1972, London — New York 1975.,