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Kabelfernsehen -Chancen und Gefahren | APuZ 48/1975 | bpb.de

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APuZ 48/1975 Artikel 1 Kabelfernsehen -Chancen und Gefahren Grundgesetzlicher Eigentumsschutz für Sozialleistungen auch in der Rezession Wirtschaftsplanung und Investitionslenkung. Kritische Anmerkungen zum Beitrag von Manfred Krüper in B 31/75

Kabelfernsehen -Chancen und Gefahren

Hermann Meyn

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Trotz des durchaus verständlichen Drängens der Industrie und anderer Interessierter besteht angesichts der ungeklärten Bedürfnisfrage und der für den Medienkonsum begrenzten Freizeit der Bevölkerung kein Grund, Hals über Kopf in der Bundesrepublik das Kabelfernsehen einzuführen. Die notwendigen Milliarden-Investitionen in anderen Bereichen werden die Wirtschaft auf Jahre hinaus so in Anspruch nehmen, daß es auch aus finanziellen Gründen falsch wäre, kurzfristig kostspielige Investitionen für Kabelfernsehen vorzunehmen. Dennoch sind Modellversuche erwünscht. Um nicht die Presse zu gefährden, darf Kabelfernsehen nicht durch Werbung finanziert werden. Der medienpolitische Grundsatz der publizistischen Gewaltenteilung und die bestehende Rechtslage sprechen zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Organisation des Kabelfernsehens. Eine privatrechtliche Organisationsform wäre nur wünschenswert, wenn sie die Erfordernisse des durch die technische Entwicklung keineswegs überholten Fernsehurteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1961 erfüllte. Beide Rechtskonstruktionen schließen eine angemessene Beteiligung der Presse an der Programm herstellung nicht aus. Sie sollten aber dafür Sorge tragen, daß keine Gruppe, weder eine private noch eine staatliche, über das Monopol der Programm Verbreitung verfügt.

Hessen ist wieder einmal vorn. Im Norden des Landes, in drei Stadtteilen von Kassel, soll 1977 die telekommunikative Zukunft beginnen. 15 000 Haushaltungen können dann per Kabel neben den bisher drahtlos übermittelten Fernsehprogrammen zusätzliche lokale TV-Beiträge empfangen. Doch damit nicht genug. Einige Zeit später werden die Bewohner von Helleböhm, Brückenhof und Niederzwehren ihre Zählerstände aus der Ferne ablesen lassen; der Gasmann kommt nicht mehr ins Haus. Und in einer weiteren Ausbaustufe genügt der Knopfdruck am Bildschirm daheim, um am Fernunterricht teilzunehmen oder Auskünfte aus Fahrplänen und Bibliothekskatalogen abzurufen. Kurzum: Die Revolution der Mattscheibe ist ausgebrochen. Das Glück aus dem Kabel, so wird uns verheißen, steht vor der Tür. Ob es uns auch eine neue Lebensqualität bringt?

Vom Kasseler Demonstrationsprojekt versprechen sich die Hauptbeteiligten —. das Land Hessen, der Hessische Rundfunk, die Stadt Kassel, das Bundespostministerium und das Bundesministerium für Forschung und Technologie — Aufschlüsse darüber, für welche Programm-und Kommunikationsformen bei den Bürgern Bedarf besteht, welche Auswirkungen neue Programm-und Kommunikationsformen auf das soziale Verhalten der Benutzer und die lokale Infrastruktur haben, welche neuen Programm-und Kommunikationsformen sich wirtschaftlich vertretbar verwirklichen lassen, und welche technischen und betrieblichen Konsequenzen sich für den Ausbau derartiger Breitbandkommunikationsnetze ergeben. Kassel ist also ein Test, von dem allerdings noch nicht mit Sicherheit feststeht, ob er auch 1977 beginnt. Denn schon türmen jene, die sich dort zu kurz gekommen glauben — und das sind vor allem die Verleger—, ein juristisches Problem nach dem anderen auf. Andere, beispielsweise CDU-Politiker, denen die öffentlich-rechtliche Konstruktion des Projekts nicht schmeckt, meinen, einen tiefroten gesellschaftspolitischen Faden im Zusammenspiel zwischen zwei Bonner Ministerien und drei hessischen Institionen entdecken zu können. Und schon sorgen sich manche, das als Demonstration bezeichnete Vorhaben könne die telekommunikativen Organisationsformen rechtlich und politisch präjudizieren. Die Kabalen um das Kabelfernsehen sind in vollem Gange, der Aufmarsch der Interessenten, der Industrie und der Verleger, der Rundfunkanstalten und Kommunen, der Länder und des Bundes, hat begonnen — Grund genug, nach den technischen Ausgangspositionen, den Bedürfnissen, der Finanzierung und Organisation dieses Mediums zu fragen.

Technische Ausgangsposition Wie in vielen anderen Bereichen ist auch beim Kabelfernsehen die Technik wirtschaftlichen Überlegungen und politischen Bedenken vorausgeeilt. Wieder einmal stehen die mehr oder minder Eingeweihten staunend vor den Eigengesetzlichkeiten technischer Entwicklungen. In der Bundesrepublik sind bereits heute rund zwei Millionen Haushalte an Großgemeinschaftsantennenanlagen (jeweils mindestens 100 Teilnehmer) angeschlossen; sie sind also verkabelt, technisch so ausgestattet, daß schon morgen statt drei Fernsehprogrammen ein Dutzend eingespeist werden könnte. Als Kabelfernsehanlagen werden die Großgemeinschaftsantennepanlagen nach einer weithin akzeptierten definitorischen Übereinkunft allerdings erst bezeichnet, wenn per Kabel zusätzliche, also andere als nur im Äther verbreitete Programme übertragen werden. Diese Entwicklung steckt in der Bundesrepublik noch ganz in den Anfängen. Denn auch die technisch hochmodernen Anlagen von Rosenheim und Bremen, Wulfen und Köln sind keine Kabelfernsehanlagen, weil sie nur den Empfang verbessern und die Programme weit entfernter Sender ins Haus holen, jedoch keine Extra-Programme liefern. Das gilt auch für die von der Deutschen Bundespost in Hamburg und Nürnberg seit Ende letzten Jahres laufenden Experimente mit Anlagen, deren Kapazität für die Übertragung von 12 Fernsehund 12 Hörfunkprogrammen ausreicht. Der einzige groß angelegte Versuch, sozusagen über Nacht mit lokalem Kabelfernsehen in der Bundesrepublik zu beginnen, scheiterte im Frühjahr 1974, als der damalige Bundespostminister Horst Ehmke Radio Bremen nicht die erforderliche fernmeldetechnische Betriebsgenehmigungzur Versorgung von 18 000 Haushalten eines Neubaugebietes mit Stadtteilnachrichten, Mietertips und Trimm-dich-Empfehlungen per Kabel erteilte.

Die USA, wo 12 Millionen Haushalte an das Kabelnetz angeschlossen sind, und Japan sind wesentlich weiter. In Ikoma bei Osaka laufen insgesamt 20 verschiedene Dienste und Programme über Kabel— von der Überwachung von Krankenhäusern und Kinderspielplätzen bis zum Schulfernsehen, von Preisvergleichen in Ladenketten bis zu Börsennachrichten, von Faksimile-Übertragungen von Zeitungen bis zum Spielfilmprogramm. Wenngleich die ersten Kabelsysteme in den USA errichtet wurden, um abgelegene Gebiete mit Rundfunk-und Fernsehprogrammen zu versorgen, kam der eigentliche Anstoß zur Benutzung des Koaxialkabels als Informationsträger von Hochhäusern, die in Ballungszentren die Ausbreitung der sich nur gradlinig fortpflanzenden Fernsehwellen erheblich störten. Davon sind in der Bundesrepublik zur Zeit die Geräte von schätzungsweise einer Dreiviertelmillion Fernsehteilnehmern betroffen. Hinzu kam, daß sich durch das Kabel städtebauliche Bedenken gegen häßliche Antennenwälder zerstreuen ließen. Der wichtigste Punkt aber war die Überwindung des Frequenzmangels. Kabel verfügen über genügend Kapazität, um über 60 Programme und Dienste zu übertragen. Sofern dies in beiden Richtungen möglich ist, wird das Kabelfernsehen zur Breitbandkommunikation. In Amherst im Staat New York können die Teilnehmer beispielsweise von sich aus mit Hilfe einer schreibmaschinenähnlichen Tastatur mit der Zentrale in Verbindung treten, um Antworten oder Fragen zu dem auf ihrem Sichtgerät erscheinenden Unterrichtsstoff durchzugeben.

Die Bedürfnisse Angesichts der neuen technischen Möglichkeiten stellt sich nun mit aller Dringlichkeit die Frage, ob überhaupt ein Bedürfnis besteht, sie zu nutzen. Daß die elektronische Industrie und Kabelproduzenten wie Felten & Guilleaume, Tekade, SEL, Siemens und AEG-Telefunken ein brennendes Interesse daran haben, in der Hoffnung auf neue Absatzmärkte Großinvestitionen für die Zukunft vorzunehmen, kann ja allein noch kein hinreichender Grund für die Einführung des Kabelfernsehens sein, das wegen der räumlichen Begrenzung der Kabelnetze auf absehbare Zeit im wesentlichen im lokalen Bereich und dort natürlich vor allem in Ballungsgebieten Realisierungschancen hat. Mit dem Bedürfnis-Problem hat sich deshalb sei Anfang 1974 die von der Bundesregierung einberufene Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) befaßt.

Die Experten — Vertreter der Länder und Gemeinden, der Wissenschaft und der Rundfunkanstalten, der Parteien und Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Verleger und der Journalisten — standen bei der Erarbeitung von Vorschlägen für ein wirtschaftlich vernünftiges und gesellschaftlich wünschenswertes Kommunikationssystem der Zukunft vor der schwierigen Aufgabe, Bedürfnisse nach Kommunikationsformen zu ermitteln, die noch gar nicht existieren. Dies gilt vor allem für die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Bürgers. Woher soll er beispielsweise wissen, ob er das lokale Kabelfernsehen einschalten würde, wenn ihm nicht einmal in Umrissen bekannt ist, wie dieses Programm aussehen soll? Nun ermittelte zwar eine von der KtK an das Münchner Infratest-Institut vergebene Auftragsstudie die Bereitschaft bei mehr als zwölf Prozent der Befragten, sieben Mark und mehr pro Monat für den störungsfreien Empfang von zehn Fernsehprogrammen auszugeben — solche Ergebnisse sind aber viel zu pauschal, um konkrete Anhaltspunkte zu liefern. Wie riskant es sein kann, zukunftsbesessen auf neue Medien zu setzen, haben ja kürzlich erst die Propagandisten der Bildplatte und des Kassettenfernsehens zu spüren bekommen. Was auf der Berliner Funkausstellung 1971 noch als das ganz große Geschäft gepriesen wurde, hat sich inzwischen als krasse Fehlspekulation erwiesen — Bertelsmann und Springer hocken immer noch auf den von ihnen produzierten oder auch eingekauften Beständen. Mal abgesehen vom Preis — das Abspielgerät für die Teldec-Bildplatte kostet rund 1 000 Mark —, die Bürger wollen ihre Freizeit offenbar auch noch anderswo als vor der Mattscheibe verbringen.

Zur Klärung der Bedürfnisfrage ist es sicherlich hilfreich, von der künftigen Freizeitentwicklung Schlüsse auf die Nutzung neuer Kommunikationsangebote zu ziehen. In einer für die KtK angefertigten Untersuchung fand die Basler PROGNOS AG heraus, daß die Freizeit wöchentlich gegenüber heute bis 1985 um eine bis drei und bis zum Jahr 2000 zwei bis vier Stunden zunehmen wird. Das sind relativ bescheidene Zuwächse, wobei man davon ausgeht, daß sich die zu erwartende Arbeitszeit-verkürzung im wesentlichen auf eine weitere Verlängerung des Wochenendes und Ausdehnung des jährlichen Urlaubs auswirken wird. Mehr Freizeit heißt jedoch laut PROGNOS noch lange nicht mehr Mediennutzung. Vorsichtig vermerkt das Basler Unternehmen, daß die Entwicklung der Freizeit indirekt nicht unbedingt auf eine Vergrößerung des Zeitaufwands für die Massenmediennutzung hinweist. Demgegenüber geht Klaus M. Schmidt in einem Beitrag zum Sammelband „Massenmedien in der Prognose" generell von einem Bedürfnis an einer Erhöhung des Programmangebots und der Sendezeiten in der Zukunft aus. Schmidt erinnert daran, daß in den USA pro Woche und Familie 40 Stunden vor dem Bildschirm verbracht werden, das sind 27 mehr als in Westeuropa. Der Hinweis auf die amerikanische Realität erscheint berechtigt und muß wohl auch als Indiz dafür angesehen werden, wie Bedürfnisse durch Werbung geweckt werden können. Auf diese Weise sind die Bundesbürger bekanntlich ins Farbfernsehen hineingeschlittert und beinahe auch dem Quadrophonierummel eines bestimmten Industriezweiges auf den Leim gegangen. Die Erfahrungen westlicher Industriegesellschaften mit neuen Kommunikationstechniken lassen sich mit Sicherheit nicht vorbehaltslos auf die Bundesrepublik übertragen. Andererseits darf nicht verkannt werden, daß es sich bei Vergleichen mit den USA, Japan oder Schweden trotz aller sozio-kulturellen Unterschiede um ähnliche Gesellschaftssysteme handelt. Bedarfsermittlungen in westlichen Industriegesellschaften zeigen jedenfalls, wie die Münchner Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung in einer Literaturanalyse für die KtK belegt, daß sich im Bereich der lokal-und zielgruppenorientierten Massenkommunikation ein neuer Schwerpunkt herauskristallisiert.

Obwohl die ersten lokalen Kabelfernsehversuche in den Niederlanden und in Großbritannien — aus welchen Gründen auch immer — sozusagen daneben gingen und aufgegeben wurden, verzeichnen andernorts seit längerem gesendete Lokalprogramme eine relativ hohe Zuschauerquote. Sie liegt in den USA ungefähr bei 10, in Kiruna/Schweden und in Kanada bei 20 und in Shimoda/Japan gar bei 30 °/o — Zahlen, die den Ausspruch des ARD-Vorsitzenden Prof. Dr. Hans Bausch („Alle Erfahrungen über die Nutzung des Fernsehprogrammangebots lassen erwarten, daß kein Bedarf für lokales Fernsehen vorhanden ist") zumindest als voreilig erscheinen lassen. Das Zuschauerinteresse allein beweist jedoch noch nicht, daß Lokal-kabelfernsehen die Gewähr dafür bietet, den Bürger über das Erkennen hautnaher politischer Probleme stärker an den Entscheidungen über seine eigenen Angelegenheiten zu beteiligen. Dies kann, muß aber nicht so sein (Kiruna ist ein ermutigendes Beispiel). Entscheidend ist der Inhalt des Programms. Und genau danach sollte man immer wieder jene fragen, die ökonomische Interessen mit Hinweisen auf schön klingende Mobilisierungs-und Demokratisierungsdiancen zu bemänteln versuchen. Das soll nicht heißen, daß neue lokale Programme von vornherein abzulehnen sind — im Gegenteil: Für sie besteht unter medienpolitischen Gesichtspunkten sogar ein dringendes Bedürfnis in den publizistisch verödeten Regionen, in Gebieten, in denen nur noch eine einzige Zeitung über das lokale Geschehen unterrichtet. Um hier Informationslücken zu schließen, brauchte man übrigens nicht unbedingt Kabelfernsehen. Die jetzt bestehenden Rundfunkanstalten wären bei entsprechender finanzieller Ausstattung durchaus in der Lage, lokale Fenster im Programm einzurichten und einmal in der Woche oder mehrmals eine halbe Stunde aus Bochum oder Bielefeld zu berichten. Aber von Finanz-und Organisationsproblemen wird noch später ausführlicher die Rede sein. An dieser Stelle also nur die Warnung vor einer generellen Überschätzung der positiven politischen Auswirkungen verbesserter lokaler TV-Kommunikation. Wie berechtigt die Skepsis ist, beweisen Beispiele aus den USA. Dort sind vielerorts die Möglichkeiten, per lokaler Kabel-kommunikation von Bürger zu Bürger miteinander zu diskutieren, unendlich viel größer, weil die Kabelgesellschaften die Auflage erhalten haben, wenigsten einen Kanal zum allgemeinen Gebrauch zur Verfügung zu stellen (open channel). Im public access Studio von Orlando kann jeder, der Lust und Laune hat, selbsthergestellte Filme über Kabel verbreiten. Nach einer gewissen Neugierphase hat allerdings das Interesse an solchen telekommunikativen Hyde-Park-Corners zumeist recht schnell nachgelassen. In Salt Lake City stehen die Kameras und Scheinwerfer beispielsweise verstaubt in den Edeen herum; in New York sind hingegen die open channels für Wochen im voraus von Pfadfindern und religiösen Gruppen, Bürgerinitiativen und der Liga für weibliche Wählerinnen ausgebucht. Die Idee, endlich auch Minderheiten im Fernsehen zu Wort kommen zu lassen, die ansonsten bei kommerziellen TV-Sendern keine Chancen haben, ist sicherlich gut. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen in den USA muß allerdings der generell gültige Beweis für die These von der wachsenden Partizipationsbereitschaft der Bürger an der Massenkommunikation noch erst erbracht werden. Nach wie vor dominiert das passive Rezipieren im Kommunikationsverhalten. Deshalb hat Hansjörg Bessler durchaus recht mit seiner Feststellung, es bedürfe offenbar geradezu revolutionärer Veränderungen der Einstellungen und Gewohnheiten, um ein Kommunikationssystem zu schaffen, in dem jeder Rezipient zugleich auch Kommunikator ist Zum Abbau der auf diesem Gebiet vorhandenen psychologischen Barrieren bietet sich möglicherweise der interaktive Fernunterricht als der beste Einstieg an. Daß für ihn ein Bedürfnis besteht, das rasch zunehmen wird, ergibt sich allein aus dem Zwang zur fortlaufenden Weiterbildung. Doch abgesehen vom Spezialfall Weiterbildung kann ganz allgemein in Zukunft mit der lauter werdenden Forderung größerer Bevölkerungsschichten nach zielgruppenorientierten Programmen gerechnet werden. Dies läßt sich aus der Theorie von der postindustriellen Gesellschaft ableiten, nach der ein überproportionales Wachstum des tertiären Sektors und eine zunehmende berufliche Differenzierung in ihm typisch für die westliche Industriegesellschaft sind. Der damit zusammenhängende Bedarf an differenzierten und gruppenspezifischen Programmen ist heute bereits bei den bestehenden Medien zu beobachten, beispielsweise im Zeitschriftenbereich. Exakte Angaben über die tatsächlichen Kabelfernseh-Bedürfnisse der Bevölkerung in der Bundesrepublik sind allerdings nur von Pilotstudien zu erwarten, die mit Sicherheit von der KtK vorgeschlagen werden. Solche Modellversuche hätten die Aufgabe, das Kommunikationsverhalten des Publikums zu registrieren und zu testen, wie es auf ein erhöhtes Programm-Angebot reagiert und ob und in welchem Maße es bereit ist, für zusätzliche Dienste und Programme Geld auszugeben. Es wäre falsch, die Experimente nur über eine kurze Distanz laufen zu lassen. Denn für vorausschauende kommunikationspolitische Planungen fehlen vor allem Daten zur Dauerhaftigkeit bestimmter Programmbedürfnisse der Bevölkerung. Eins ist jedoch heute schon sicher: Aufgrund der bisherigen Entwicklung des Fernsehens in der Bundesrepublik können zusätzliche Bedürfnisse an traditionellen Fernsehvollprogrammen nicht erwartet werden.

Die Finanzierung Die entscheidende Frage ist natürlich: Wer soll das alles bezahlen? Bedarf hin, Bedürfnisse her — aber haben wir nicht in der Bundesrepublik bereits zwei Medien, die weithin in den roten Zahlen stecken? Ist es, so könnte man weiter fragen, überhaupt sinnvoll, von neuen und zusätzlichen Programmen und Diensten zu reden, wenn nicht einmal genügend Geld für die bestehenden da ist? In der Tat haben die Rundfunk-und Femsehanstalten der Bundesrepublik erst kürzlich angekündigt, daß sie bis 1977 mit bis zu einer Milliarde Mark verschuldet sein werden. In solchen Voraussagen steckt sicherlich immer eine erhebliche Portion Zweckpessimismus. Für ARD und ZDF wird aber selbst die optimistischste Hochrechnung keine Plus-Prognosen stellen können. Die Ursachen des Defizits sollen hier nicht im einzelnen erörtert werden. Verschwendungen im Programmbetrieb, Personalüberhang und die Befreiung von 1, 3 Millionen Bürgern von den Fernsehgebühren erklären nur zum Teil die Finanznot.

Die Wurzel allen Übels liegt jedoch bei den Ländern, deren übertriebener Egoismus dafür sorgte, daß zu viele Rundfunkanstalten entstanden; hier und dort hätten Studios durchaus genügt, aber jeder Landesvater war darauf bedacht, eine Vollanstalt sein eigen nennen zu können. Das Geld dafür — man hatte es ja; die wachsenden Gebühreneinnahmen erlaubten es, aus dem vollen zu schöpfen. Das wurde erst anders, als beim Fernsehen Sättigung eintrat und die Kosten explodierten Nun aber fehlte es den Landespolitikern an Mut, den TV-Konsumenten den Preis für Informationen abzuverlangen, den sie kosten. An diesen Versäumnissen der Vergangenheit trägt die heute zum Handeln aufgerufene Po-litiker-Generation noch schwer. Sie weiß nur zu gut, daß man an den inzwischen zu einem politischen Preis hochstilisierten Rundfunk-und Fernsehgebühren in Wahlzeiten nicht rütteln kann, uhd wann sind in der Bundesrepublik einmal keine Wahlzeiten? Ähnlich wie die Rundfunkanstalten haben die Zeitungsverleger viel zu lange verschwiegen, wie teuer Informationen sind. Da die Anzeigeneinnahmen stiegen und stiegen, hielten die Verlage die Bezugspreise weithin konstant — eine Politik, die spätestens in dem Moment scheitern mußte, als die Inseraten-schwemme vorbei war. Da rächte es sich dann, daß man sich daran gewöhnt hatte, die Herstellungskosten zu mehr als 70 °/o durch Anzeigenerlöse abdecken zu lassen. Die Folgen sind bekannt: Kooperationen und Fusionen. Der Anzeigenschwund und die Kostenerhöhungen trieben jedoch längst nicht alle Tageszeitungen in die roten Zahlen. Selbst eine vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) im Februar 1975 veröffentlichte Untersuchung räumt ein, daß die Situation von Auflagenstaffel zu Auflagenstaffel recht unterschiedlich ist. Zeitungen mit einer Auflage zwischen 25 000 und 50 000 Exemplaren waren laut BDZV-Erhebung im ansonsten für die gesamte Branche ausgesprochen miesen dritten Quartal 1974 im Schnitt noch im Plus, ganz zu schweigen von dem blendenden Geschäft, das Blätter in lokaler Monopolstellung oder erstrangiger lokaler Marktposition machten und auch heute noch machen. Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß zur Erhaltung der Informations-und Meinungsvielfalt in der Presse gezielte finanzielle Hilfen notwendig sind — Hilfen vom Staat.

Ohne seine Unterstützung wird auch das Kabelfernsehen nicht auskommen. Nach Berechnungen der KtK wird es allein 22 Milliarden Mark kosten, um so gut wie alle Fernsehhaushalte der Bundesrepublik an ein Kabelfernsehortsnetz anzuschließen. Dabei ist die Versorgung abgelegener Einzelgebäude jedoch nicht berücksichtigt. Natürlich werden diese Kosten nach und nach auf die einzelnen Teilnehmer umgelegt— nach heutigen Preisen pro Anschluß zwischen 650 und 1 650 DM. Die Kosten für den Betrieb eines solchen Netzes bewegen sich nach KtK-Berechnungen in der Größenordnung von 200 DM pro Jahr und Teilnehmer. Die Milliarden-Investitionen müssen zunächst einmal die Deutsche Bundespost oder von ihr beauftragte Firmen machen, und zwar in einer Zeit, in der gigantische Investitionen für die Energieversorgung und den Umweltschutz fällig werden. Das Ende des Wachstums, so heißt es allerorten, sei in Sicht. Kann sich die Bundesrepublik angesichts solcher Entwicklungen überhaupt ein auf dem Hintergrund einer Überflußgesellschaft konzipiertes Kommunikationssystem leisten? Die gängige Antwort lautet, dies alles solle ja nicht von heute auf morgen passieren. Milliarden für die Voll-verkabelung verteilten sich auf einen längeren Zeitraum. Dennoch sollte sich die Bundesregierung von der Industrie nicht zu einer schnelleren Gangart in Sachen Kabelfernsehen verleiten lassen und vor allem darauf achten, daß die Aufwendungen der öffentlichen Hand nicht in erster Linie den privaten Nutzen einiger Weniger vermehren. Es gilt auch zu bedenken, daß die einmaligen Anschluß-und laufenden Teilnehmergebühren, die Anschaffungskosten für neue Endgeräte und möglicherweise Nutzungsentgelte zusammen im Portemonnaie des einzelnen Bürgers ein so großes Loch reißen, daß nur wenige in der Lage sein könnten, die neuen TV-Möglichkeiten zu nutzen. Die Gefahr einer weiteren Verschiebung des Informationsgefälles zugunsten der Oberschicht aufgrund der unterschiedlichen Einkommenshöhe besteht in der Tat. Die massenmediale Klassengesellschaft mag aus heutiger Sicht noch in weiter Ferne liegen — wer von den Chancen des Kabelfernsehens spricht, muß aber auch auf diese Möglichkeit bereits jetzt hinweisen. Um den Anschluß an die internationale Entwicklung nicht zu verpassen, ist es gewiß richtig, experimentell die technischen Probleme und die Bedürfnisse der Bevölkerung, die ökonomischen Möglichkeiten und die publizistischen Auswirkungen zu erproben — Pilotstudien müssen sein, auch auf die Gefahr hin, daß von ihnen präjudizierende Wirkungen ausgehen können. Genau dies befürchten die Gegner des Kasseler Ex--periments.

Die Organisation Wenn die Projektskizze in der vorgesehenen Form realisiert wird, liegt das Kabelfernsehen in der Bundesrepublik zunächst einmal ausschließlich in öffentlich-rechtlicher Regie. Das gilt insbesondere für das geplante lokale Programm, das der Hessische Rundfunk unter Heranziehung seines Kasseler Studios gestalten will. Wörtlich heißt es dazu in der Projektskizze: „Der Hessische Rundfunk beabsichtigt, im Rahmen solcher Lokal-Programme Vorschläge und Initiativen der relevanten ge7 sellschaftlichen Gruppen des Lokalbereichs bei der Programmgestaltung zu berücksichtigen. Dabei kann im Rahmen eines auf freiwilliger Grundlage noch zu schaffenden Forums oder Programmbeirats der lokalen und regionalen Tagespresse Raum zur Interessenwahrnehmung gegeben und eine fruchtbare Kooperation zwischen Rundfunk und Presse gefördert werden. Die beim Hessischen Rundfunk und seinen Aufsichtsgremien liegende Programmverantwortung und Programmkontrolle bleibt hiervon unberührt."

Die Zeitungsverleger sollen also in Kassel weitgehend draußen vor der telekommunikativen Tür bleiben. Verleger Eugen Dierichs von der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen" wird bestenfalls als einer unter vielen im Programmbeirat sitzen, um Ratschläge zu geben. Den Zeitungs-und Zeitschriftenverlegern ist dies natürlich viel zu wenig. Sie haben bereits vor längerem Kabelfernsehen als ihr Ressort beansprucht und dabei ganz offensichtlich übersehen, daß Fernsehen normalerweise nur zu einem Drittel aus Informationssendungen besteht, zum überwiegenden Teil aber aus Unterhaltung und Kunst. „Bonanza" und „Big Valley", „Der Kommissar" und Karajan-Konzerte — was hat das alles mit Presse zu tun? Trotzdem wollen die Verleger dieses und noch vieles mehr in Zukunft machen lassen. Ihnen muß ja in der Tat das Kabelfernsehen auf den ersten Blick als Schlaraffenland erscheinen: keine Zustellungs-und Vertriebsprobleme, keine Papier-und Energiesorgen, keine lohnintensiven Produktionsabfolgen. BDZV-Präsident Dr. Johannes Binkowski hat denn auch gleich nach Bekanntwerden des Kasseler Projekts eine „Modellskizze" präsentiert, in der Zeitungsverlage als Träger lokaler, durch Werbung oder Nutzungsentgelte zu finanzierender TV-Programme vorgeschlagen werden.

Die Hektik der Verleger ist verständlich. Ihre Lokalblätter fürchten die publizistische Konkurrenz des jüngeren technischen Mediums, und sie hegen den Verdacht, daß eines Tages Werbung im lokalen Kabelfernsehen zugelassen werden könnte, an dem sie nicht beteiligt sind. Mal ganz abgesehen von der Frage, wie absurd hoch denn die Einschaltpreise sein müßten, um auch nur halbwegs die Kosten für ein Lokalprogramm zu decken — lokale Werbung darf nicht im Kabelfernsehen stattfinden, weil sie die lokale und regionale Presse ruinieren könnte. Die Werbetreibenden wären schön dumm, wenn sie nicht einen Großteil ihrer Aufträge postwendend umdisponierten — zum Schaden der Presse. Die Werbeaufwendungen sind zwar entgegen den Prognosen der Verleger bei der Einführung des Fernsehens nicht umverteilt, sondern erhöht worden, doch das waren noch Wachstumszeiten, ganz abgesehen davon, daß die Werbe-Etats der Markenartikelindustrie mit denen der Einzelhandelsgeschäfte nicht zu vergleichen sind. Was der Tagespresse bestenfalls bliebe, wären die Kleinanzeigen. Um solche Fehlentwicklungen zu vermeiden, sollte man im lokalen Kabelfernsehen von vornherein und für immer Werbung verbieten.

Das ist möglicherweise leichter gesagt als getan. Ein lokales TV-Programm könnte ja zahlreiche Service-Leistungen übernehmen und Hinweise auf das Kino-und Theater-Programm sowie den Ärzte-Dienst bringen. Wo hier der Service aufhört, den auch die Zeitungen kostenlos geleistet hätten, und wo die Werbung beginnt, die für die Presse ein Geschäft gewesen wäre, ist natürlich abstrakt schwierig zu bestimmen; die Grenzen sind fließend — ein Grund mehr, den Begriff Werbung bei einem Verbot genau zu bestimmen.

In der Modell-Skizze der Verleger werden — abgesehen von der Werbung — Nutzungsentgelte als ein Mittel zur Finanzierung lokaler TV-Programme vorgeschlagen. Damit ist das in den USA unter der Bezeichnung Pay Cable bekannt gewordene Münzfernsehen gemeint, bei dem der Teilnehmer die in Anspruch genommene Programmleistung bezahlt (z. B. drei Dollar für einen aktuellen Spielfilm). Während das Kabelfernsehen in den USA aus vielerlei Gründen — geringe Nachfrage beim Publikum, hohe finanzielle Aufwendungen für technische Investitionen und Verwaltung — stagniert, entwickelt sich Pay Cable in jüngster Zeit auf Kosten der örtlichen Kinobesitzer, deren Umsätze bis zu 50 °/o zurückgegangen sind, geradezu stürmisch. Nach Voraussagen des Stanford Research Institute werden 1985 rund 30 Millionen Haushalte Pay Cable abonniert haben, weil hier die Möglichkeit besteht, für das zu bezahlen, was man gern sehen möchte. Und genau das ist der medienpolitische Haken. Finanzierung durch Nutzungsentgelte würde nämlich bedeuten, daß die Programm-Träger ausschließlich publikumswirksame Programmpakete anbieten würden und müßten: aktuelle Kinofilme, Shows und Sportsendungen. Die kommunalpolitisch relevanten, die Einführung des lokalen Kabelfernsehens rechtfertigenden Themen würden jedoch prompt unter den Tisch fallen. Informa-B tionssendungen lassen, sich schwerlich über Pay Cable finanzieren.

Lokales Kabelfernsehen muß den Verlegern nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus publizistischen Gründen gefährlich erscheinen, weil hier ein Medium auf sie zukommt, das schneller, anschaulicher und direkter über Ereignisse berichtet, die bisher die Domäne der Lokalpresse waren. Nun hat bekanntlich entgegen manchen Befürchtungen das überregionale Fernsehen nicht die überregionale Presse verdrängt; die beiden Medien haben sich durchaus ergänzt, weil ihre publizistischen Leistungen nicht austauschbar sind. Auf diese Komplementärfunktion muß sich auch die Lokalpresse einstellen. Weil sie mit der Aktualität des Fernsehens nicht mithalten kann, wird sie sich schwerpunktmäßig auf die vertiefende Zusatzinformation und Hintergrundberichterstattung konzentrieren müssen. Da ist die Presse dem Fernsehen, das sich wegen der Herrschaft des Bildes hinsichtlich der Tiefe und Ausführlichkeit der Informationen Beschränkungen auferlegen muß, nach wie vor haushoch überlegen. Statt sich nun aber auf die künftige Situation publizistisch vorzubereiten, verschwenden die Verleger weiterhin alle Energien darauf, Wege zur direkten Beteiligung an der elektronischen Lokalkommunikation zu finden. Sie wollen die publizistische Gewaltenteilung mit aller Macht durchbrechen, und genau dies muß verhindert werden — nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus medienpolitischen Einsichten, auch aus der Erkenntnis, daß die Forderung nach publizistischer Gewaltentrennung nichts anderes ist als die Anpassung der klassischen, nach der Überwindung des Dualismus von Staat und Gesellschaft überholten Gewaltenteilungstheorie an die moderne Demokratie. Die sogenannte Modellskizze des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger sieht als Träger für lokales und regionales Kabelfernsehen eine aus Verlagen und eventuell auch anderen privaten Unternehmen bestehende überregionale Gesellschaft vor, die den überregionalen Programm-Mantel besorgt. Auf lokaler Ebene sollen Tochtergesellschaften operieren, an denen die örtliche Zeitung oder die regional verbreiteten Blätter einen gewichtigen Anteil halten. Die Tochtergesellschaften sollen den überregionalen Mantel mit Sendungen über lokales Geschehen ergänzen. Immerhin macht die Modellskizze eine Einschränkung: „Bei lokaler Alleinstellung ist eine Minderheitsbeteiligung vorzusehen."

Selbst der Verlegerverband schreckt also davor zurück, dem Presse-Monopolisten auch noch das lokale Kabelfernsehen zuzuschanzen. Aber dies ändert natürlich nichts an der Tatsache, daß der Verleger-Vorschlag geradezu nach Multi-Media-Konzernen schreit. Eine schöne Gesellschaft würde sich da zusammenfinden: Von Axel Springer bis Eugen Kurz („Stuttgarter Zeitung"), von Heinrich Meyer („Weser-Kurier") bis Luise Madsack („Hannoversche Allgemeine Zeitung") wären dann sicherlich alle, die Großverleger sind oder sein möchten, zur Stelle, um den Kabel-Kuchen aufzuteilen. Sie, die angeblich schon fast alle am Hungertuch nagen, haben plötzlich Geld genug, um Millionen-Investitionen vornehmen zu können. Sie, deren publizistischer Einfluß weitsichtigen Medienpolitikern schon längst als zu groß erscheint, könnten nach dem BDZV-Modell nun auch noch in einem anderen Medium Informationen und Meinungen nach ihrem Gusto verbreiten. Derlei MultiMedia-Konzentrate müssen abgelehnt werden, weil sie dem medienpolitischen Grundsatz widersprechen, wonach jede im Verlauf der technischen Entwicklung neu erschlossene Informationsmöglichkeit dazu beitragen soll, die Vielfalt auf dem Medienmarkt zu verstärken. Um von vornherein das Lokalkabelfernsehen von einseitigen Interessen — etwa der Verleger oder der Industrie — freizuhalten, bietet sich als Organisationsform die öffentlich-rechtliche Anstalt nach dem Vorbild der in der Bundesrepublik strukturierten Rundfunkanstalten an. Trotz aller Mängel, die hier nicht verniedlicht werden sollen bieten sie noch am ehesten die Gewähr eines gleichermaßen vor privatem und staatlichem Zugriff geschützten Programms. Deshalb drängen sich die bestehenden Rundfunkanstalten zur Veranstaltung lokalen Kabelfernsehens geradezu auf. Denn diese Anstalten sind, auch wenn eine plumpe Publizistik dem Publikum das Gegenteil einzureden versucht, keine Monopolanstalten. Ihre Programme unterliegen der Kontrolle der gesellschaftlich relevanten Kräfte in den Aufsichtsgremien. Diesen institutionalisierten Pluralismus gibt es in der privatwirtschaftlich organisierten und regional monopolisierten Presse nicht. Er ließe sich selbstverständlich auch in neu zu gründenden öffentlich-rechtlichen Anstalten herstellen. Die Presse könnte man insofern daran beteiligen, als man ihr als einer von vielen ge4) sellschaftlichen relevanten Gruppen Sitz und Stimme in den Kontrollgremien einräumen und vielleicht sogar einen festen Programm-block („Hier spricht die lokale Presse") zusichern könnte.

Die Sozial-und die Freidemokraten haben inzwischen erkannt, wie gefährlich es wäre, wenn das neue Medium Kabelfernsehen in die Einflußsphäre der Privatwirtschaft geriete. Dezidiert heißt es dazu in der vom außerordentlichen Parteitag der SPD 1971 in Bonn verabschiedeten „Entschließung zur Lage und Entwicklung der Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland": „Die Privatisierung und Kommerzialisierung des Rundfunks müssen verhindert werden. Dazu notwendige Änderungen von Gesetzen, Staatsverträgen und gegebenenfalls des Grundgesetzes sind unter Berücksichtigung neuer Kommunikationssysteme anzustreben." Die „Leitlinien liberaler Medienpolitik“, die der ordentliche Bundesparteitag der FDP 1973 in Wiesbaden beschloß, sagen klipp und klar: „Presseunternehmen dürfen keinen Rundfunk betreiben." Und an anderer Stelle der „Leitlinien" heißt es: „Regionale und lokale Sender sollen keine regionale oder lokale Werbung ausstrahlen." Was die gegenwärtig in Bonn regierenden Parteien den Verlegern verwehren wollen, möchte die CDU/CSU ihnen ermöglichen: den Zugang zum Kabelfernsehen. Dies ist sicherlich vorrangig eine politische Frage, aber das hat selbstverständlich die Juristen nicht davon abgehalten, die rechtlichen Aspekte in den Vordergrund zu spielen.

Weithin unbestritten ist, daß die Deutsche Bundespost auf Grund des Fernmeldemonopols nach Art. 73 GG für das Netz, konkreter gesagt, für das Kabel zuständig ist. Die Bundespost hatte deshalb auch das Recht, im Amtsblatt Nr. 103 vom 11. Juli 1974 „Bestimmungen über Gemeinschaftsantennenanlagen mit aktiven elektronischen Bauelementen" festzulegen. Sie sollen — so Bundespostminister Kurt Gscheidle in einem Vortrag am 1. September 1975 auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin — „dazu beitragen, die Qualität der Anlagen durch Forderungen an die fachmännische Installation zu verbessern ..., der Fernmeldeverwaltung außerdem die Möglichkeit bieten, die Gestaltung von Kabelfernsehnetzen zu beeinflussen und ihre Realisierung als öffentliche Netze erlauben ... und verhindern, daß für die gleiche Versorgungsaufgabe öffentliche und private Netze nebeneinander ausgelegt werden" Der wichtige § 7 der Bestimmungen lautet: „I. Sollen in einer Gemeinschaftsantennenanlage neben den drahtlos empfangbaren Ton-und Fernsehrundfunksignalen noch andere Signale übertragen werden, z. B. ... zusätzliche Rundfunkprogramme, so ist ... ein Antrag auf zusätzliche Nutzung einerGemeinschaftsantennenanlage andas ... zuständige Finanzamt ... zu richten. II. Soll die Gemeinschaftsantennenanlage für eine zusätzliche Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen verwendet werden, so hat der Antragsteller außerdem eine von der für rundfunkrechtliche Fragen zuständigen Behörde des betreffenden Landes erstellte Rundfunkkonzession vorzulegen. III. Sofern nicht zweifelsfrei auszuschließen ist, daß es sich bei der geplanten zusätzlichen Nutzung um die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen handeln könnte, ist darüber hinaus vom Antragsteller eine Bestätigung der für rundfunkrechtliche Fragen zuständigen Behörde des betreffenden Landes beizubringen, daß sein Vorhaben keine rundfunkrechtlichen Belange berührt."

Die Bundespost hat damit, wie aus dem Text der Bestimmungen unschwer zu erkennen ist, den Ländern alle strittigen Fragen zur Beantwortung überlassen. Sie hat sich durchaus verfassungskonform verhalten, denn die Befugnis zur Regelung der Veranstaltung von Rundfunksendungen fällt nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes in die alleinige Zuständigkeit der Länder, wenn man einmal von der Bundeskompetenz für die Bundesanstalten Deutschlandfunk und Deutsche Welle absieht. Die Länder haben denn auch unter Hinweis auf ihre Kompetenz in der Vergangenheit wiederholt die Bemühungen einzelner Firmen abgeblockt, ein privates Kabelfernsehen zu installieren. So untersagte der Berliner Senat der privaten „German Television News" im Corbusier-Haus ein Experiment; der Regierungspräsident von Detmold verbot unter Berufung auf einen Erlaß der nordrhein-westfälischen Landesregierung 1970 der „Senne TV", Haushalte in Sennestadt bei Bielefeld mit Informationen zu beliefern. Und als im Oktober 1974 eine Londoner Firma den Weltmeisterschafts-Boxkampf Clay-Foreman über Kabel in deutsche Kinos und Säle übertragen wollte, verweigerten die Bundesländer ihre Zustimmung mit dem Argument, es handele sich um Rundfunksendungen, die nur den öffentlich-rechtlichen Anstalten Vorbehalten seien. Was nun eigentlich Rundfunk ist, haben die Länder kürzlich definitorisch festzulegen versucht. Im „Staatsvertrag über die Regelung des Rundfunkgebührenwesens" vom l. Juli 1975 heißt es, daß Rundfunk „die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters“ ist. Danach besteht kein Zweifel, daß lokales Kabelfernsehen unter den Begriff „Rundfunk“ fällt, also abgesehen vom Netz Ländersache ist. Schwieriger wird es bei anderen Programmen und Diensten, die ebenfalls über Kabel vermittelt werden können, bei Sendungen innerhalb eines Hotels oder auf einem Passagierschiff, bei Telefonansagediensten und in Telefonanrufbeantwortern gespeicherten öffentlich angebotenen Mitteilungen. Völlig ausweglos wird die Situation schließlich bei der elektronischen Überspielung ganzer Zeitungsseiten auf den Bildschirm. Lösungen sind hier nicht in Sicht, müßten jedoch in Richtung auf einen Rundfunkbegriff angesteuert werden, der sich an den historisch gewachsenen publizistischen Erscheinungs-und Funktionsmerkmalen des Rundfunks orientiert, also nicht von Rundfunk spricht, wenn es sich bei der „Verbreitung von Darbietungen ... längs oder mittels eines Leiters" lediglich um die technische Umsetzung einer Darbietung in ein Druckwerk handelt. Auf dem Bildschirm erscheinende Texte wären mithin Rundfunk, durch einen Heimdrucker zu Papier gebrachte Informationen, die Faksimile-Zeitung also, kein Rundfunk. Dies alles ist nicht nur eine rechtliche Frage, sondern auch eine taktisch-politische. Bestimmten politischen Kreisen könnte es nämlich durchaus ins Konzept passen, den Rundfunkbegriff so zu überdehnen, daß entsprechende Klagen in Karlsruhe mit Sicherheit zum Erfolg führen würden, wobei diese Kreise vor allem an den aus ihrer Sicht schönen Nebeneffekt denken, auf einen Schlag das ganze Rechtsgebäude des gemeinnützigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Einsturz bringen und in ein eigennütziges privatrechtliches System umwandeln zu können. Daran arbeiten übrigens jetzt schon viele, unter anderem auch Journalisten, die in Blättern mit Massenauflagen keine Gelegenheit auslassen, um an der Qualität des Programms, dem Verwaltungsaufwand und den Star-Gagen herumzunörgeln. Im Hinblick auf das Kabelfemsehen kommt die Kritik der Verleger noch aus einer anderen Ecke. Sie geht davon aus, daß die technischen Prämissen, unter denen das Bundesverfassungsgericht 1961 in seinem ersten Fernseh-Urteil das öffentlich-rechtliche Rundfunk-monopol gerechtfertigt hat, inzwischen durch die Kabeltechnik entfallen sind. Nun sind zwar die Übertragungskapazitäten durch das Kabel größer geworden, doch bestehen bei weitem zu wenig Möglichkeiten, um allen gesellschaftlich relevanten Kräften auf Grund der Frequenz-Situation Zugang zu elektronischen Medien zu verschaffen. Grundsätzlich muß aber, wie Dieter Stammler hervorhebt, „die Chance der Mitwirkung am öffentlichen Meinungs-und Willensbildungsprozeß ... allen daran interessierten Gruppen nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch offenstehen, darf sich also nicht auf wenige etablierte Organisationen beschränken, wenn nicht ein wesentliches Konstituens der freiheitlichen Demokratie in Frage gestellt werden soll"

Unter diesem Gesichtspunkt sticht auch das zweite Argument des Bundesverfassungsgerichts von 1961 heute noch, das Argument von den hohen Kosten für die Veranstaltung von Rundfunksendungen. Um mit den bereits bestehenden Programmen überhaupt konkurrieren zu können, müßten neue Veranstalter gerade auf den Gebieten Spitzenleistungen erbringen, die einerseits beim Publikum begehrt und andererseits kostspielig sind: Unterhaltungssendungen sowie politische Sendungen und Dokumentationen. Angesichts der hohen Herstellungskosten solcher TV-Programme und der notwendigen Summen für ein Fernsehstudio — allein die Erstausstattung kostet fast sechs Millionen Mark — wird es auf absehbare Zeit keinen Zutritt aller gesellschaftlich relevanten Kräfte zum Kabelfernsehen geben. Diese Situation hat das Bundesverfassungsgericht 1971 in seine Überlegungen einbezogen und davon gesprochen, daß Kabelfernsehen „nicht dem freien Belieben von einzelnen oder von Gruppen überlassen werden (kann), da dies mit Sicherheit dazu führen würde, daß sich einige wenige kapitalkräftige Interessierte oder einseitig nur die eine oder andere gesellschaftlich mächtige Gruppe jener öffentlichen Aufgabe bemächtigte"

Kosten könnten natürlich auch durch Werbung gedeckt werden, doch auch dagegen bestehen juristische Bedenken. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil „Berliner Tageszeitungen" darauf hingewiesen, daß „die ausschließliche Finanzierung durch Werbesendungen ... die einseitige Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch werbende Firmen ... zur Folge" hätte Somit bleibt zunächst einmal als einzige aus medienpolitischen und juristischen Gründen akzeptable Organisationsform für das lokale Kabelfernsehen die durch Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Anstalt. Natürlich käme auch eine Gesellschaft privaten Rechts in Frage. Ihre Organisationsform müßte jedoch ebenfalls hinreichend Gewähr dafür bieten, daß in ihr in ähnlicher Weise wie in den öffentlich-rechtlichen Anstalten alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen.

Für diesen Integrationsrundfunk auf lokaler Ebene hat sich kürzlich auch der Leiter der Staatskanzlei des Landes Rheinland-Pfalz, Willibald Hilf, ausgesprochen. In einem Vortrag auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin am 1. September 1975 kam der Staatssekretär zu dem Ergebnis, „daß nur wenige private Veranstalter in der Lage wären, ein Programm zu gestalten und es über Kabel an den Konsumenten zu bringen. Dies aber bedeutet, daß lediglich ein neues Monopol — bestenfalls ein Oligopol — nunmehr auch für den lokalen Rundfunk Platz greifen würde. Dies aber könnte aus praktischen wie aus prinzipiellen Gründen am allerwenigsten im Sinne derer sein, die sich gegen das derzeitige Monopol der öffentlich-rechtlichen Anstalten wenden" Trotz des durchaus verständlichen Drängens der Industrie und anderer Interessierter besteht angesichts der ungeklärten Bedürfnisfrage und der für den Medienkonsum begrenzten Freizeit der Bevölkerung kein Grund, Hals über Kopf in der Bundesrepublik Kabelfernsehen einzuführen.

Die notwendigen Milliarden-Investitionen in anderen Bereichen werden die Wirtschaft auf Jahre hinaus so in Anspruch nehmen, daß es auch aus finanziellen Gründen falsch wäre, kurzfristig kostspielige Investitionen für Kabelfernsehen vorzunehmen. Dennoch sind Modellversuche erwünscht.

Um nicht die Presse zu gefährden, darf Kabelfernsehen nicht durch Werbung finanziert werden.

Der medienpolitische Grundsatz der publizistischen Gewaltenteilung und die bestehende Rechtslage sprechen zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Organisation des Kabelfernsehens. Eine privatrechtliche Organisationsform wäre nur wünschenswert, wenn sie die Erfordernisse des durch die technische Entwicklung keineswegs überholten Fernsehurteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1961 erfüllte. Beide Rechtskonstruktionen schließen eine angemessene Beteiligung der Presse an der Programmherstellung nicht aus. Sie sollten aber dafür Sorge tragen, daß keine Gruppe, weder eine private noch eine staatliche, über das Monopol der Programm-verbreitung verfügt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Klaus M. Schmidt, Ausweitung des Medienangebots durch neue Übertragungstechniken, in: Massenmedien in der Prognose, hrsg. von Uwe Magnus, Berlin 1974, S. 73.

  2. In: „Die Zeitung", Nr. 13/1974, S. 8.

  3. Hansjörg Bessler, Materialien zur Breitband-Kommunikation, in: Massenmedien in der Prognose, a. a. O., Berlin 1974, S. 104.

  4. Vgl. Hermann Meyn, Gefahren für die Freiheit von Rundfunk und Fernsehen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48/69.

  5. Kurt Gscheidle: Die Medien im künftigen Kommunikationssystem — die Post als Faktor, Mittler und Anreger, veröffentlicht in: Media Perspektiven, 8/75, S. 9.

  6. Dieter Stammler, Verfassungs-und organisationsrechtliche Probleme des Kabelrundfunks, Tübingen 1974, S. 12.

  7. Zit. nach: Wolfgang Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, Berlin 1974, S. 208.

  8. Zit. nach: Dieter Stammler, a. a. O., S. 29.

  9. Willibald Hilf, Die Presse und die elektronischen Medien aus der Sicht der Länder, in: Media Perspektiven, 8/75, S. 32.

Weitere Inhalte

Hermann Meyn, Dr. phil., Dipl. -Pol., geb. am 6. Oktober 1934 in Bremervörde. 1964— 1969 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin; 1969— 1972 Redakteur beim „Spiegel“; seit 1972 Chefredakteur der Zeitschrift „Der Journalist" (offizielles Organ des Deutschen Journalisten-Verbandes). Mitglied des Deutschen Presserates; stellvertretendes Mitglied der Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK). Veröffentlichungen u. a.: Die Deutsche Partei, Düsseldorf 1965; Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, völlig überarbeitete Neuauflage Berlin 1974; Aufsätze in „Politische Vierteljahresschrift", „Publizistik" und „Aus Politik und Zeitgeschichte".