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Selbstbestimmung statt Mitbestimmung an der Universität Von der DefizitVerwaltung zum marktorientierten Bildungsangebot | APuZ 1-2/1976 | bpb.de

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APuZ 1-2/1976 Länderpartikularismus oder kooperativer Bildungsföderalismus? Kulturhoheit im Wandel Hochschulreform als „Unruheherd" Artikel 1 Selbstbestimmung statt Mitbestimmung an der Universität Von der DefizitVerwaltung zum marktorientierten Bildungsangebot

Selbstbestimmung statt Mitbestimmung an der Universität Von der DefizitVerwaltung zum marktorientierten Bildungsangebot

Ulrich Muller

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Zusammenfassung

Aktuell im Universitätsbereich sind drei Tendenzen: Die Entwicklung zur höheren Berufsschule, die Einsparungen im Staatshaushalt und der Versuch der ideologischen Usurpation der Wissenschaft. Die Demokratisierung der Universität, für die eigentlich gute Voraussetzungen bestünden, konnte nicht halten, was man sich von ihr versprach. Im Gegenteil verhindert sie, Lösungen für die drei genannten Probleme bereitzustellen. Inwieweit und warum das so ist, wird exemplarisch dargestellt. Die Alternative besteht in der Einführung von Markt und Wettbewerb auf Seiten der Fachbereiche, die Anbieter einer Dienstleistung sind. Die Studenten als Nachfrager bekommen Konsumentensouveränität. Diese Selbstbestimmung macht Mitbestimmung überflüssig. Nach Abgrenzung der Bereiche, in denen Marktorientierung nicht möglich ist, wird als Steuerungselement und Zahlungsmittel der „Bildungsscheck" vorgestellt: Der Student erhält seine Studienberechtigung in Form von Punkten. Die Fadibereiche setzen den Eintrittspreis fest, den der Student mit den Punkten bezahlt. Der Staat löst die angesammelten Punkte gegen Geld ein.

Nicht nur Menschen machen Karriere, sondern auch Probleme. Und nicht nur Personen verlieren an Interesse, sondern auch Themen. Die Demokratisierung der Hochschule — ehedem ein Fels, an dem sich Progressive und Konservative (ent-) scheiden mußten — gehört zu den Prüfsteinen, welche der Strom der Entwicklung hinweggespült hat. Das Thema ließe sich in aller Stille zu Grabe tragen. Doch wer unter so großartigen Begleitumständen zur Welt kam, verdient auch gebührenden Abschied. Denn am Verfall der Demokratisierungsdiskussion in der Hochschule läßt sich die Krankheitsgeschichte auch für andere Korporationen vorhersagen. Und ebenso nützlich ist der Nekrolog, um die heutigen Probleme der Universitäten auch mit heutigen Erkenntnissen — geläutert im Feuer falscher Therapien — anzugehen. Tendenzwende auch hier — im Sinne von erfahrungsgeleitetem Themenwechsel.

Es ist kein Zufall, daß die Einschätzung der Bildungspolitik als erstrangig, die Fixierung am quantitativen Akademiker-output als Gradmesser der Zielverwirklichung und die Demokratisierung der dazu für nötig angesehenen Einrichtungen einhergehen. Allen drei Sichtweisen ist nämlich die Sozialisierung eines — vordergründig bekämpften — bürgerlichen Bildungsideals gemeinsam, unter stolzer Mißachtung jeder Zweck-Mittel-und Nutzen/Kosten-Überlegung. Verloren ging der Sinn für Wirklichkeit und Freiheit.

Die Wirklichkeit ist: Bildung, die als Vermittlung von Lebenschancen verstanden wird, ist nicht zweckfrei, schöngeistig, beliebig, forschungsintensiv, sondern sie ist Ausbildung, berufsmarktorientiert, praxisnah, zielstrebig, lernintensiv. Die Universitäten sind nicht mehr das Forum, auf dem sich in „Einsamkeit und Freiheit" eine akademische Streitfrage ohne Druck äußerer Umstände diskutieren ließe, sondern sie sind eine andere Art Berufsschule, mit Massenproblemen, utilitaristischer Einstellung zum Studium, Formalisierung der Erfolgskriterien in Lehre und Lernen und Anpassungsdruck zum Mittelmaß. Dies alles muß nicht schlecht sein, doch es erfordert ein neues Verständnis und neue Regularien für den tertiären Bildungssektor. Denn traditionell lebt die Universität noch immer von der Autonomie, die sie ihrem Forschungsauftrag entnimmt, von der akademischen Freiheit, die sie auf das Studium als ernsthafter Liebhaberei stützt, und —°entwe-der mit Popperschm Ansatz — von der Grenzenlosigkeit ihrer Wahrheitsliebe und Wahrheitssuche, oder — mit neomarxistischem Ansatz — von der Grenzenlosigkeit ihrer Belehrungs-und Beglückungspflicht für die Gesellschaft.

Diese Verwandlung von der Universität zur Hochschule ging einher mit einer ungewöhnlich erfolgreichen Umverteilung der staatlichen Haushaltsmittel zugunsten der Bildung. Bildungsausgaben lagen zudem bis vor kurzem im Tabubereich politischer Entscheidungen, etwa auf der Ebene von Unantastbarkeiten wie der sozialen Grundsicherung oder der äußeren und inneren Sicherheit. Diese Mischung aus Expansion und Unstrittigkeit der Ausgaben bei gleichzeitiger Entlastung vom Rentabilitätsnachweis konnte allenfalls so lange gut gehen, • wie die Staatshaushalte gleich dem Tischleindeckdich Wohltaten verteilen konnten. Das hat sich — nun auch in der Einschätzung der Öffentlichkeit — gründlich geändert. Der Steuerzahler will heute die Universitäten weder vom Rotstift verschonen, noch von einer Überprüfung des Nutzens solcher Ausgaben, so schwer sie auch sein mag. Andererseits widerstreitet diese Rentabilitätsprüfung im Prinzip gar nicht der Erwartung des durchschnittlichen Studenten, der sein Studium ebensolchen Rentabilitätskriterien unterwirft, nur mit dem Unterschied, daß er privaten Nutzen ziehen möchte.

Die Universität ist also eingebunden: von ihrer Funktion als Lernstätte, von dem „Anspruch" des Studenten auf Erfolg seines Mühens, vom Steuerzahler als Eigentümer der ganzen Veranstaltung und schließlich — worüber noch ein Wort zu verlieren ist — von dem Versuch der politologisch-ideologischen Indienststellung. Die Freiheitsverluste der Universität, die sie im Hinblick auf eine zweckrationale und ressourcenbeschränkende Politik hinnehmen muß, sind erheblich, obwohl sie noch nicht internalisiert sind, was zu den Verwerfungen zwischen Zweck und Struktur im hochschulpolitischen Bereich geführt hat. Doch sie berühren den Nerv wissenschaftlicher Arbeit nicht, weil auch eine kostenbewußte Hochschulpolitik nicht eigentlich die Inhalte von Forschung und Lehre vorschreibt, sie freie Räume beläßt, produktive Umwege anerkennt und die Beratung der Politik über den Zweck höherer Bildung der diese Bildung produzierenden Institution Universität zubilligt. Ganz anders verhält es sich mit dem Freiheitsverlust, den Wissenschaftler mit bestimmten erkenntnistheoretischen Ergebnissen und einer darauf fußenden hochschulinternen Praxis der Universität verpassen. Der Vormarsch des Marxismus als „wissenschaftlichem" Ansatz und der Marsch durch die Institutionen als „emanzipatorischer" Bewegung führt in der Tendenz zu exakt der Disziplinierung der Universitäten, welche allen marxistischen Hochschulen in sozialistischen Ländern eigen ist. Gegenteilige begründete und glaubwürdige Distanzierungen zu dieser These werden gern entgegengenommen.

Das ist eine holzschnittartige Aussage, die dem, der um die tausend Schulen des Marxismus Bescheid weiß, viel zu grob ist. Aber sie kennzeichnet in ihrer Härte die Unversöhnlichkeit von marxistischem und kritisch-rationalem Wissenschaftsbegriff an denselben Punkten, die auch den Frontverlauf zwischen freiheitlicher Demokratie und verfassungsfeindlichen Kräften bestimmen. Unser Grundgesetz ist sich dieser Parallelität wohl bewußt, schreibt es doch in der merkwürdigerweise häufig übersehenen und fast vergessenen Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 Satz 2: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." Freie Wissenschaft und ein freier Staat lassen nämlich übereinstimmend eine Diskussion aller Positionen zu, mit Ausnahme jener formalen Kriterien und der sie tragenden Begründung, die eben diese Diskussion vor autoritativer Beendigung bewahren wollen. Hier wie dort geht es um trial and error, Minimierung von Fehlentscheidungen, Kontrolle, Pluralität, Wettbewerb, un-dogmatische Sprache, Furcht vor der Werzweckung'des Menschen, Begründungszwang, Transparenz, countervailing powers, funktionale Autorität und eine so rahmenhafte Vorgabe-von Erkenntniszielen, daß auch die wichtigsten Fragen nicht ex cathedra entgültig und verbindlich entschieden werden.

Diese Strukturparallelen von Wissenschaft und Demokratie im Lichte der Freiheit lassen sich aus der politischen Realität belegen: aus der Verödung wissenschaftlicher Diskussion in marxistisch majorisierten Fachbereichen, aus der Kaderpolitik der nämlichen Kreise, aus der Verortung der Hochschule in sozialistischen Ländern, aus den „Berichten von der akademischen Front" (so der Untertitel der Schrift „Blick ins Innere" von Kurt Reumann, Edition Interform), etwa den anhaltenden Erfahrungsberichten, die man in FAZ und Spiegel seit Jahren lesen kann, aus dem Urteil vom 20. Mai 1974 des Kammergerichts Berlin über die Personalpolitik an der FU und aus den Mitteilungsblättern sog. . „konservativer" Hochschulzirkel wie etwa der Notgemeinschaft für eine Freie Universität oder dem Bund Freiheit der Wissenschaft. Die dort zusammengetragenen Fakten belegen auch für denjenigen, welchem die Boten solcher Nachricht suspekt sind, im Übermaß den Versuch politischer Disziplinierung durch die radikale Linke, noch dazu mit Methoden, die — im britischen Understatement formuliert — über die Gepflogenheiten wissenschaftlichen Umgangs hinausgehen. Es erscheint insgesamt müßig, die letzthin oft beschriebenen Zusammenhänge von wissenschaftlicher und politischer Freiheit erneut aufzurollen und mit der Skizzierung der inneren Lage unserer Universitäten zu belegen. Beides darf man für den, der Augen hat zu sehen, zum Allgemeingut rechnen. Nur die Konsequenzen sind hier eigens festzuhalten: 1. So, wie sich verfassungsfeindliche Kräfte nicht auf die Freiheitlichkeit einer Demokratie berufen können, um sie zu beseitigen, so können sich auch marxistische Wissenschaftler nicht auf den Wissenschaftspluralismus in der Absicht berufen, ihn zwar einmalig aktiv, dann aber nie mehr auch passiv — d. h. für andere und für die vorurteilslose Verarbeitung von Kritik an der eigenen Position — in Anspruch zu nehmen. Zur Begründung ist andernorts unter dem Stichwort der . abwehrbereiten Demokratie'das Nötige gesagt worden. 2. Jene Mechanismen hochschulpolitischer Willensbildung, die nach der Zwecksetzung ihrer Ingenieure die Machtverhältnisse zugunsten totalitärer Kräfte verändern sollten, sind eben wegen dieser Funktionen außer Kraft zu setzen.

Wir stehen damit vor einer rückhaltlosen Überprüfung der Demokratisierung unserer Universitäten. Taugt sie, um den neuen Anforderungen an die „Berufsschule'Universi27 tät" bei knappen Ressourcen gerecht zu werden? Ist sie das Verfahren, welches der Universität ihre innere geistige Unabhängigkeit vor jeder anderen Frage, als der nach Wahrheit, gewährleistet?

Man sollte nicht verkennen, daß mit diesem zweifachen'Anforderungsprofil eine schwierige Gratwanderung beschritten wird: Konsequent wäre sowohl, den funktionalen Ausbil-dungs-und Steuerverbrauchscharakter der Universität in Verbindung zu bringen mit einer „gesellschaftlichen Verantwortlichkeit" wissenschaftlicher Ergebnisse; konsequent wäre aber auch, beides zugleich zu bestreiten. Kompliziert sind die beiden — geläufigen — Mischpositionen: die eine, welche akademische Freiheit der Universitätsorganisation, des Lehrens und Lernens mit inhaltlicher Orientierung an den „Interessen der arbeitenden Bevölkerung" verbindet, wie die andere — hier bezogene — Position, welche System-rationalität verlangt, ohne je die inhaltlichen Fragen des Wissenschaftsbetriebs festlegen zu wollen. Diese Gratwanderung führt auf den Weg einer marktwirtschaftlichen Lösung beider Problem. Er soll hier erneut skizziert werden, nachdem Watrin in der Festschrift für Franz Böhm (Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, Tübingen 1975, S. 637 ff.) schon einmal in dieser Richtung argumentiert hat. Dabei lassen sich bei weitem nicht alle Fragen erörtern, die Funktionswandel und Ideologisierung der Universitäten aufwerfen. Aber die Leistungsfähigkeit marktwirtschaftlicher Regulierung geht doch auch ein gutes Stück über die bloße Angebots-Nachfrage-Koordination an höherer Ausbildung hinaus.

Zur Bestimmung der eigenen Position ist noch eine genauere Beschreibung von Erwartung und Versagen der Demokratisierung von Universitäten nötig. Wenn je die Demokratisierung gesellschaftlicher Teilbereiche hätte funktionieren müssen, dann an den Hochschulen: ein nicht mehr zu überbietender allgemeiner Bildungsstand, potentielle Aufgeschlossenheit und Idealismus der akademischen Bürger, zeitliche Reserven und offener Markt der direkten Kommunikation, beschränkte Probleme und im Verhältnis zu anderen Großorganisationen überschaubare Dimensionen. Man hätte durchaus erwarten können, daß eintritt, was man sich von der Demokratisierung erhoffte: Mitarbeit aller Betroffenen, Kenntnis der Probleme, steigendes Maß an Selbstbestimmung, optimale Regelung von Interessenkonflikten, Steigerung wissenschaftlicher Qualität und Vielfalt, herrschaftsfreie Dialoge, Sensibilisierung der Universitätsangehörigen für den Stellenwert der Universität. Dies alles hort sich gut an und verhieß im Verhältnis zu den muffigen Talaren einer Ordinarien-Universität eine lichtvolle Wandlung zum schlechthin Edlen, Schönen und Wahren. Nur: Die Verhältnisse, die sind nicht so. Die Demokratisierung hat auf den oben beschriebenen Funktionswandel der Universitäten keine Antwort gefunden, sie hat die Ideologisierung gefördert, sie führt zu einem ungeheueren Verschleiß an Papier, Geld, Zeit, Nerven und gutem Willen (letzterer ist vielleicht das Kostbarste aller dieser knappen Güter — und für Arbeitsplätze dieser Art auch das entscheidende Merkmal humaner Arbeitswelt), sie führt zu Entscheidungsstrukturen, die allem Hohn sprechen, was man von der Gewährleistung der Hochschulautonomie erwartet — nämlich eine akademische Selbstverwaltung der Wissenschaft und nicht eine Verwaltung durch Klüngelei, Pression und Geschäftsordnungstricks. Die Demokratisierung hat insbesondere keines der ihr selbst gesteckten Ziele erreicht (man beachte nur einmal die studentische Wahlbeteiligung und die Kenntnisse bloß der universitären Institutionen bei Studenten) und mit dieser Verfehlung automatisch ihre Dysfunktionalität unter Beweis gestellt und ihr eigenes Ende programmiert.

Man könnte es damit bewenden lassen und den negativen Praxistest als ausreichende Grundlage zur Reorganisation heranziehen. Doch sollte eine Abrechnung mit dem falschen Rezept sich nicht die Chance zur diagnostischen Korrektur entgehen lassen. Warum also kam es soweit', mußte es so kommen? Dazu zunächst ein allgemeiner Hinweis auf die inneren Widersprüche jedes Demokratisierungsversuchs, wie sie zum Beispiel Michael Zöller in dieser Zeitschrift jüngst dargestellt hat (B 39/75: „Die Schlacht im falschen Saal"). Hingewiesen sei auch auf die Schrift von Warnfried Dettling: „Demokratisierung — Wege und Irrwege", Köln 1974. Im speziellen Fall Hochschule aber kommt hinzu:

1. Die institutionelle und wahlarithmetische Einteilung der Universitätsangehörigen in die „Stände" der Studenten, „Mittelbauern", Professoren und des nicht-akademischen Personals deckt sich keineswegs mit dem Selbstverständnis und dem Abstimmungsverhalten dieser Gruppen. Aus eigener Anschauung läßt sich berichten, daß Koalitionen nach politischer Grundhaltung die Regel, Solidarität mit den „Standesgenossen" die Ausnahme sind. Das ist ein institutionalisierter Betrug am Wähler und führt zu den merkwürdigsten Verrenkungen, Entschuldigungen und Isolationskampagnen, wenn es zum Beispiel ein RCDS-Student mit den Professoren oder ein „progressiver" Ordinarius mit den Studenten hält. 2. Wegen der unzulänglich klaren Interessen-differenzierung zwischen den „Ständen" und der nur angeblichen Interessenharmonie innerhalb derselben muß zu Hilfskriterien der Entscheidung gegriffen werden, welche man im ideologischen überbau zu finden hofft. Das führt zu einer ruinösen antipragmatischen Konkurrenz, in welcher nicht einmal —, ja schon gar nicht — Geschäftsordnungsfragen frei von Debatten sind, die alles und jedes als Grundsatzkonflikt zwischen Aufklärung und Mittelalter begreifen. Unsere modernen Jakobiner wissen eben um ihre eigene Unersetzlichkeit. 3. Man hat aus der Wissenschaftsfreiheit die institutionelle Garantie der Universitätsautonomie abgeleitet. Das ist richtig, denn man erkannte den Zusammenhang von freier Wissenschaft und wissenschaftsgerechter Verwaltung. Wissenschaft läßt sich eben auch administrativ verhindern. Wenn dies aber so ist, dann ist es eben doch auch richtig, daß über Fragen der Hochschulverwaltung-im Prinzip ebensowenig abgestimmt werden kann wie über die Richtigkeit wissenschaftlicher Probleme. Da aber eine Abstimmung im Sinne von Koordination unvermeidlich ist, wäre erstrangig dafür Sorge zu tragen, daß Entscheidungsstrukturen der Universitätsverwaltung so weit wie irgend möglich die wissenschaftliche Kompetenz der Abstimmenden erkennen lassen. Andernfalls verkehrt sich nämlich das als Garantie der Wissenschaftsfreiheit gedachte institutioneile Verständnis dieses Grundrechts gegen seine qualifiziertesten Inhaber, d. h., dann ist der Apparat zwar frei, aber nicht mehr der Mensch. 4. Die demokratisierte Universität hat zwar prächtige Gremien der Diskussion geschaffen, aber beklagenswerte der Entscheidung. Entscheiden heißt reduzieren; die institutioneilen Vorkehrungen dafür sind jedoch schwächer als die der Komplizierung. Die Folge ist ein zu ständigen systemkonformitätsbedachten Vorwürfen geeignetes Auseinanderfallen der formellen und der informellen Entscheidungs-, wege. Von Gremien-Mauschelei ist die Rede, der Macht der Verwaltung, der Kumiherrschaft (Kumi = Kultusministerium), von Scheindemokratie, Klüngelei usw. Alle normalen Wege parainstitutioneller Willensbildung, wie sie jedes Subsystem mit mehr als drei Mitgliedern kennt, gereichen der demokratisierten Universität mit moralischem Rigorismus zum Vorwurf, ja mehr noch: sie diskreditieren die repräsentative Demokratie. (Daß in Allgemeinen Studentenausschüssen nach den Prinzipien von Zentralkomitees operiert wird, nimmt den Vorwürfen natürlich nichts von ihrer Glaubwürdigkeit.)

Die Frage, was die inneruniversitäre Willensbildung leisten muß und sinnvollerweise leisten kann, stellt sich vor dem Hintergrund bisheriger Fehlkonstruktionen unvermittelt neu. Das utopische Ideal lautet: Jeder soll wählen können, was er zu welchen Bedingungen lernt, lehrt und forscht. Der Student stützt sich dabei auf die Berufsfreiheit, das Lehrpersonal auf die Wissenschaftsfreiheit. Ebenso orientierend wie die Utopie ist auch die Beschränkung durch die Realität: knappe Mittel, kollidierende Rechte, Notwendigkeit des Ausgleichs. Diese Konfliktlage von pur- sue of happiness und Knappheit der Ressourcen hat in demokratischen Gemeinwesen zu zwei grundsätzlichen Möglichkeiten des Ausgleichs geführt: Entweder man hat ein Angebotsmonopol und versucht, die Nachfrage-interessen beim Anbieter durch Delegation zu inkorporieren, so zum Beispiel im demokratischen Staat als Ganzem, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk-und Fernsehanstalten, heutzutage eben auch bei den Universitäten, ferner den kommunalen Versorgungseinrichtungen usw. Oder aber die Anbieter stehen im Wettbewerb und die Nachfrager bestimmen die Angebotsstruktur über die individuelle Bevorzugung der jeweiligen Leistungen mit. Das ist bekanntlich die privatwirtschaftliche Lösung des Koordinationsproblems. Diese Lösung verdient unter zwei Bedingungen den Vorzug: daß die Anbieter im Wettbewerb miteinander stehen können und wollen und daß die Mitbestimmung der Konsumenten tatsächlich den Steuerungseffekt auf das Angebot ausübt.

Geht man davon aus, daß die Vielfalt des Angebots und die Konsumfreiheit dem utopischen Ideal der Selbstverwirklichung näher steht als die Mitbestimmung auf monopolisierten Märkten, so läßt sich sagen, daß Mitbestimmung nur ein Surrogat der Konsumentensouveränität darstellt. Zu diesem Surrogat sollte man dann auch erst greifen, wenn das Original der Selbstbestimmung verlorengegangen ist. Die bloße Ersatznatur der Mitbestimmung wird deutlich, wenn man den Knappheitsindikator Geld (oder ein vergleichbares Wertpapier) als „geronnene Freiheit", als Wahlzettel erkennt. Diesen Stimmzettel muß der Bürger mit niemandem teilen, summieren oder sonstwie beeinträchtigen lassen. Mit ihm löst er unmittelbar ein, was er will; ein Minderheitsproblem gibt es nicht. Der ist der entscheidende Fortschritt an Freiheit. Von daher erhält auch die arg ins Schußfeld geratene Alternative Schelskys „mehr Demokratie oder mehr Freiheit" unvermutete Bestätigung.

Dieser Freiheitsgewinn überträgt sich auf die Inhaber des Angebots — von den beträchtlichen, aber gewollten Zwängen abgesehen, die das Wettbewerbsprinzip auslöst. So, wie eine zentrale Bürokratie sich der inhaltlichen Frage zuwenden muß, was die ökonomischen Bedürfnisse der Menschen in einer StaatsWirtschaft sind, so entscheidet sie auch zwangsläufig über Inhaltsfragen der Wissenschaft in einem verstaatlichten Bildungssystem. (Urteile der Verwaltungsgerichte haben letzthin wenigstens auf die Notwendigkeit parlamentarischer Entscheidung hingewiesen, um den Gedanken der Mitbestimmung des Bürgers soweit, wie in diesem Modell möglich, zu retten.) Wem aber die staatliche Definition materiellen oder immateriellen Bedarfs weder freiheitlich (also wünschenswert) noch praktisch möglich erscheint, der wird der Markt-orientierung des Bildungsangebots das Wort reden.

Diese Marktorientierung heißt nicht unbedingt Reprivatisierung, sondern die Übernahme marktwirtschaftlicher Prinzipien in den Bereich staatlicher Betriebe (vgl. dazu auch: Engels, in: Reden, Thesen und Ergebnisse auf dem 5. Kreuznacher Gespräch, S. 15 ff.). Markt-orientierung heißt optimale Faktorenallokation, also Rentabilität und kostenbewußter Mitteleinsatz, heißt unkomplizierte Bewältigung des Massenproblems, also Selbstregulation der Nachfrage, heißt Leistungssteigerung durch Vorsprungsentlohnung, also Erhöhung des wissenschaftlichen Outputs an Lernerfolg und Forschungsqualität, heißt Überflüssigkeit eines politisch oder ideologisch motivierten Konsumterrors an Bildungsgütern und damit auch Freiheit für Forschung, Lehre und Lernen, heißt schließlich die Verabschiedung des Demokratisierungszaubers, den niemand mehr braucht, weil das Surrogat der Mitbestimmung unnötig geworden ist. Damit wären also die eingangs beschriebenen Kardinalprobleme der Universitäten gelöst: der Funktionswandel zur Massenausbildungseinrichtung, die Rentabilitätsfrage und die Entideologisierung. Die Erfolgsbilanz der Marktorientierung im Bereich materieller Versorgung läßt es geraten erscheinen, auf die zwei entscheidenden Fragen einer ökonomischen Betrachtung der Universitäten die Aufmerksamkeit zu verwenden. Diese zwei Fragen sind, wie schon oben erwähnt, 1. das Problem, wieweit ein Angebots-und 2., was institutionell zu tun ist, um den Nachfragepräferenzen ihre Steuerungsfunktion zu sichern; oder kürzer die Fragen: Wo geht es und wie geht es? Das soll hier abschließend skizziert werden, wobei die Neuartigkeit des Ansatzes Unvollkommenheiten des Entwurfs einstweilen entschuldigen möge.

Zunächst dürfte für den Forschungsbereich das gegenwärtige Verhältnis von selbstge-wahlter Grundlagen-Forschung, die der Staat finanziert, einerseits und fremdfinanzierter Auftragsforschung andererseits unter dem Gesichtspunkt der Marktorientierung im Prinzip richtig sein. Hier ist. nur an. einen bewußteren Einsatz von Markt-und Nicht-Markt-Lenkung zu denken, sowie die gerechte Verteilung von Aufwand und Ertrag der Forschungsarbeit unter den Wissenschaftlern und im Verhältnis zur Lehrtätigkeit zu gewährleisten.

Im Lehrbereich wird man vorweg diejenigen Fächer oder einzelnen Lehrgegenstände dem Rentabilitätsdenken entziehen müssen, die zur Vervollkommnung universaler Wissenschaften gehören, aber auf geringe aktuelle Nachfrage stoßen. Auch Theater finanziert man aus vergleichbaren Gründen. Diesen Freiraum muß man auch der interdisziplinären und experimentellen Lehrtätigkeit zubilligen. Dies entspricht der jüngst konzipierten Wagnisfinanzierungsbank für die mittelständische Wirtschaft. Die Zuteilung solcher Mittel wird eine Angelegenheit akademischer Selbstverwaltung sein müssen. Im Bereich jener Fächer, die mit einer Staatsprüfung abgeschlossen werden, wird der Staat gehalten sein, jenes Minimum an Lehrbetrieb nachfrageunabhängig zu garantieren, das die Ablegung von Prüfungen ermöglicht. Eine subsidiäre Finanzierungsgarantie spielt dort keine Rolle, wo die Nachfrage für ausreichende Ausstattung ohnehin sorgt. Die Parallele dazu im wirtschaftlichen Bereich wäre die Entschädigung für besondere Verhaltenspflichten im öffentlichen Interesse.

Bei den übrigen Fächern kommen staatliche Hilfen nur als Strukturbeihilfen in Betracht, etwa zur Finanzierung von langfristigen Anlagen, um einen regionalen Ausgleich zu schaffen, sowie für fachunabhängige zentrale Universitätseinrichtungen. Solche Hilfen kennt die Wirtschaft aus der staatlichen Strukturpolitik seit langem.

Insgesamt handelt es sich um ein abgestuftes Geflecht von staatlichen Dotationen, die im Verhältnis zum Gütermarkt nichts prinzipiell Neues darstellen. Besonderheiten werden frei-30 lieh sein: die Zwischenschaltung akademischer Verteilungsgremien, die Kombination von Markt-und Nicht-Markt-Elementen in der Finanzierung öffentlicher Einrichtungen (obwohl auch das jede städtische Straßenbahn kennt, die zu nicht kostendeckenden Tarifen fährt) und das Dienstrecht. Hält man an der Verbeamtung des Hochschulpersonals fest, was schließlich auch kein Tabu sein muß und vielleicht im Zuge der Reform des öffentlichen Dienstes flexiblere Lösungen ermöglicht, so wird der Staat nur eine Gehaltsgarantie in einer an sich ungenügenden Höhe geben dürfen, um den Rest entweder fallweise zu subventionieren oder leistungsabhängig vom Hochschullehrer selbst aufbessern zu lassen. Daß dabei nicht einfach zum früheren Hörgeldsystem zurückgekehrt werden muß, wird sogleich noch dargestellt. An der Beschäftigungsgarantie sollte sich zur Sicherung der Unabhängigkeit am jetzigen Status der Hochschullehrer nichts ändern, soweit sie gegebenenfalls auch Einkommenseinbußen hinzunehmen bereit sind. Zweifellos wird aber das Statusrecht der Hochschullehrer noch Probleme aufwerfen.

Es bleibt die Frage, wie — von den eben genannten Fällen staatlicher Subventionspolitik abgesehen — die Marktökonomik in die Universität eingebracht werden kann. Die Lösung liegt im „Bildungsschecksystem". Dieses System spielt sich in einer Dreiecks-Beziehung zwischen Studienberechtigtem, Fachbereich und Kultushaushalt ab. Solch eine Dreiecks-Beziehung kennt man auch im Gesundheitswesen zwischen Patient, Arzt und Versicherung; was hier der Bildungsscheck ist, ist dort der Krankenschein. Die Studienberechtigten erhalten ihre Hochschulreife in einem zum Beispiel maximal 1 000 Punkte umfassenden, unübertragbaren Zertifikat bescheinigt, in welchem die Abiturnoten, gegebenenfalls auch andere Kriterien (Alter des Zeugnisses, Hochschuleingangsprüfungen usw.) ihren rechnerischen Niederschlag finden. Die einzelnen Fachbereiche bestimmen nun, wie viele Punkte sie dem Studierwilligen zum Beispiel pro Semester abverlangen wollen, wobei sie in der Gestaltung der „Eintrittspreishöhe" völlig frei sind. Dadurch bestimmen sie zugleich ihre eigene „Einnahmestruktur" und treten in einen Wettbewerb untereinander. Die angesammelten Punkte werden vom Fachbereich dem Staat vorgelegt und gegen Geldleistungen eingetauscht. Dabei darf der Staat die Gesamtsumme der an die Abiturienten auszugebenden Punkte nicht willkürlich verändern, wohl aber hat er die Möglichkeit, den Geldwert eines Punktes jedes Jahr neu festzulegen. So wird der Staatshaushalt nicht über den für Hochschulausgaben vorgesehenen Rahmen hinaus belastet.

Die Einnahmen des Fachbereichs werden unter dem Lehrpersonal verteilt, und zwar in sachlicher und personeller Hinsicht (Investitionen, Gehälter).

Dieses System erfordert keine Privatisierung der Hochschulen. Nicht nötig ist auch, den Punktescheck der Studenten übertragbar zu machen, was nur zu schwarzen Märkten führen würde, auf denen Studienberechtigungen gekauft werden könnten. Die Engpaßsteuerung geschieht vielmehr durch unterschiedlich hohe „Eintrittspreise", die der leistungsfähige Student durch Hingabe seiner Punkte bezahlen kann. Fachbereiche sind bestrebt, entweder die Kapazitäten zu erhöhen, indem sie niedrige Schwellen legen und ihre Punkte mit der großen Zahl von Studenten sammeln, oder indem sie bewußt auf Qualität achten und nur leistungsfähige (d. h. an Punkten reiche) Studenten aufnehmen. Beide Alternativen sind wünschenswert. Die Verteilungskämpfe in den Fachbereichen sehen nicht anders aus als in jedem Unternehmen unter den leitenden Angestellten. Die Berufungspolitik wird rentabilitätsbewußt sein, wobei rentier-lich ist, was bei den Studenten gefragt ist, ebendies erhöht ja auch deren Einfluß in völlig adäquater Weise erheblich. Die Fachbereiche werden insgesamt jenes Maß an Selbstverantwortung in Freiheit und Risiko erhalten, das einer selbstorganisierten und nachfragegerechten Wissenschaftsverwaltung zukommt. Sicher wird es daneben neue Probleme geben und sicher bedarf dieses Konzept gründlicherer Bearbeitung. Aber es besteht keine Veranlassung, das Risiko des Neuen sogleich zu scheuen, wenn die Gegenwart so unzulänglich ist, wie es oben beschrieben wurde. An Vorschlägen wie diesem kann sich erweisen, daß die „Strukturkonservativen", wie Eppler seine Gegner neuerdings zu etikettieren pflegt, gerade jene sind, die der „progressiven Starre" einer wettbewerbsfeindlichen Politik verhaftet bleiben.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Ulrich Müller, geb. 1944 in Schwäbisch-Hall; Studium der Rechtswissenschaft in Tübingen; 2. Staatsexamen 1975; Tätigkeit in der hochschulpolitischen Auseinandersetzung 1968— 1971; danach nebenamtlich Referent bei der Landes-zentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg; seit dem 2. Staatsexamen wissenschaftlicher Mitarbeiter im Wirtschaftsrat der CDU e. V., Bonn. Veröffentlichungen: Denken — reden — überzeugen. Leitfaden zur Diskussions-und Argumentationstechnik, Rottweil 1974; verschiedene kleinere Aufsätze in Publikationsorganen aus dem CDU-Bereich.