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Die Intellektuellen und die Politik | APuZ 14/1976 | bpb.de

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APuZ 14/1976 Die Intellektuellen und die Politik Führen im Frieden

Die Intellektuellen und die Politik

Kurt H. Biedenkopf

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Immer dann, wenn das Thema „Intellektuelle und Politik" in den letzten Jahren diskutiert und gefragt wurde, in welchem Verhältnis die Parteien zu den Intellektuellen stehen, ist von der CDU behauptet worden, sie habe kein Verhältnis zu den Intellektuellen. Dabei ist offen, ob das Problem mit der Frage nach dem Verhältnis einer politischen Partei zu den Intellektuellen richtig gestellt ist. Mit dem Verhältnis der Intellektuellen zur Politik sind die Rollen angesprochen, die die Intellektuellen und die Politiker in der Gesellschaft spielen. Es geht dabei um das Verhältnis unterschiedlicher Rollen zueinander, die beide für die Gesellschaft und ihren Bestand unverzichtbar sind. Dieses Verhältnis ist gekennzeichnet durch das Spannungsverhältnis von Unbedingtheit und Kompromiß: Das, was der Intellektuelle unabhängig und kompromißlos an politischen Zielen fordert, ist in der Regel nicht mehrheitsfähig und daher kaum in praktische Politik übersetzbar. Es bleibt immer eine Spannung zwischen intellektuellem Anspruch und dem bestehen, was politisch verwirklicht werden kann. Wie dieses Spannungsverhältnis von einer politischen Partei angenommen wird, entscheidet über ihr Verhältnis zu den Intellektuellen. Zwei prinzipielle Antworten sind denkbar: die der Abgrenzung der Partei von den Intellektuellen und die der Harmonisierung bzw.der Integration der Intellektuellen in die Partei. Beide Lösungen bergen die Gefahr in sich, daß der Intellektuelle seine Rolle in einer freien Gesellschaft nicht mehr voll erfüllen kann. Soll der Intellektuelle seiner Rolle in einer freien Gesellschaft gerecht werden, muß ihm die Möglichkeit erhalten bleiben, von Politik und Gesellschaft die Verwirklichung der als notwendig erachteten Veränderungen in Staat und Gesellschaft ständig zu verlangen — gleichgültig, ob es hierfür eine Mehrheit gibt oder aber die Bevölkerung bereit ist, dem Intellektuellen zu folgen. Die Mehrheitsbildung ist grundsätzlich keine dem Intellektuellen zurechenbare Aufgabe. Der Intellektuelle erfüllt damit, daß er die Kritik an der Handhabung der Macht kompromißlos nicht als Institution, sondern als Persönlichkeit vorträgt, eine für jede Demokratie unverzichtbare Funktion. In diesen Bezugsrahmen gehört die Frage nach dem Verhältnis der CDU zu den Intellektuellen. Dieses Verhältnis hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die CDU bejaht den kritisch-produktiven Dialog. Soll aber der kritische Dialog zwischen Politik und Intellektuellen zum Nutzen einer freien und demokratischen Staatsund Gesellschaftsordnung erhalten bleiben, müssen die Intellektuellen — ungeachtet ihrer eigenen politischen Präferenz — bereit und in der Lage sein, die Notwendigkeit alternativer, theoretischer und politisch-praktischer Positionen in der Gesellschaft anzuerkennen.

Zuerst als Vortrag gehalten auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing im September 1975. Ein weiteres Referat zu diesem Thema von Dieter Lattmann auf dieser Veranstaltung wurde in B 9/76 veröffentlicht.

Rollenprobleme

Beschäftigt man sich mit dem Thema „Die Intellektuellen und die Politik" als ein Politiker, der selbst aus dem weitgefaßten Bereich der Intellektuellen kommt, so spürt man sehr leicht Befangenheit — zumal dann, wenn man sich selbst mit Äußerungen konfrontiert sieht, die aus einer Zeit stammen, als man gerade eine Aufgabe in der Politik übernommen hatte, ohne schon ganz übersehen zu können, was einem bevorstand. Diese Befangenheit macht sich besonders dann bemerkbar, wenn sich der Wechsel von der Rolle des Intellektuellen zu der des Politikers und sich Konflikte, die hieraus entstehen können, in einem selbst vollzogen haben oder noch vollziehen. Hat man die Rollen gewechselt, hat man sich als Intellektueller dazu entschlossen, eine politische Tätigkeit auszuüben, so kann man feststellen, daß man zumindest in der ersten Zeit sowohl in den Kreisen der sogenannten Intellektuellen — „sogenannt" deshalb, um vorerst einmal offenzubleiben für den Versuch, Rolle und Aufgaben des Intellektuellen zu umschreiben — als auch in denen der Politiker Skepsis begegnet. Ähnlich ergeht es Männern wie Carl Friedrich von Weizsäcker, der sowohl Philosoph als auch Physiker ist und mit deutlicher Distanzierung sowohl von den Philosophen als ein glänzender Physiker als auch von den Physikern als ein bedeutender Philosoph bezeichnet wird.

Befangenheit wird auch dann spürbar, wenn man selbst noch nicht genau weiß und abschließend beurteilen kann, ob sich intellektuelle Herkunft und politische Praxis in ein und derselben Persönlichkeit auf Dauer verbinden lassen. Es gibt gerade in jüngster Zeit eine ganze Reihe von Beispielen, die zeigen, daß eine derartige Verbindung für die Wirksamkeit in jedem der beiden Bereiche gefährlich werden könnte. Die Überlegungen zu dem Thema müssen deshalb notwendigerweise auch gefärbt sein von persönlichen Erfahrungen und Empfindungen, die sich ergeben, wenn man die Rolle gewechselt hat.

Immer dann, wenn das Thema „Intellektuelle und Politik" in den letzten Jahren diskutiert wurde und gefragt worden ist, in welchem Verhältnis die Parteien zu den Intellektuellen stehen, so ist von der CDU gesagt worden, sie habe kein Verhältnis zu den Intellektuellen. Das berühmte Wort von den „Pinschern" hat hierbei stets eine große Rolle gespielt.

Intellektuelle und die SPD

Es ist.sehr fraglich, ob die in Betracht kommenden Probleme mit der Frage nach dem Verhältnis einer politischen Partei zu den Intellektuellen richtig erfaßt werden: Ich bin der Auffassung, daß eine politische Partei überhaupt kein Verhältnis zu den Intellektuellen, sondern allenfalls Intellektuelle in der Partei haben kann, d. h., daß Intellektuelle keine definierbaren Verhältnisse zu einer Institution haben können. Aus diesem Grunde ist die Affinität zwischen Intellektuellen und der SPD weniger eine Affinität zu der Partei als Organisation, sondern vielmehr zu einer bestimmten Gruppe in einer bestimmten historischen Situation. Die Person Willy Brandts war hierbei von besonderer Bedeutung. Helmut Schmidt dagegen hat ein ganz anderes Verhältnis zu den Intellektuellen. In seiner eigenen Partei spricht er die intellektuellen Theoretiker neuerdings wieder auf die „Krankheit der Gehirne" an. Politisch gewertet ist dies eine Formulierung, die durchaus vergleichbar ist mit dem abwertenden Ausdruck „Pinscher". Sicher ist: Die intellektuellen Bemühungen um eine theoretische Positionsbestimmung verlieren ihren intellektuellen Wert auch dann nicht, wenn sie vom Ansatz oder Ergebnis her vom praktischen Politiker für falsch gehalten werden. Die intellektuellen Bemühungen in der Sozialdemokratie sind deshalb auch dann, wenn man sie für falsch hält, in den Bereich der intellektuellen Anstrengungen miteinzuberechnen und damit zugleich intellektuell legitimiert. Das steht außer Frage! Es gibt ein starkes intellektuelles Potential in der SPD, z. B. im Bereich der Jungsozialisten und der sozialistischen Theoretiker, die in ähnlicher Weise wie die Intellektuellen in anderen politischen Parteien unter dem Zwiespalt zwischen intellektueller Redlichkeit und politischer Pragmatik leiden. Sprechen wir von dem Verhältnis der Intellektuellen zur Politik oder zu einer politischen Partei, dann wird davon ausgegangen, daß die Gruppe der Intellektuellen definierbar sei. Der Versuch wird schon so lange gemacht, wie es dieses Thema gibt — immer mit der gleichen Erfolglosigkeit. Dies spricht dafür oder begründet zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß es objektiv nicht möglich ist, die Intellektuellen als eine einheitliche Gruppe zu bestimmen — eine Definition zu finden, die für jeden gilt, der als Intellektueller zu bezeichnen wäre oder sich als solcher versteht. Es gibt die unterschiedlichsten Antworten auf die Frage, wer Intellektueller ist, welche Tätigkeiten als intellektuelle zu bezeichnen sind. Vor allem im Bereich der Technik und der Naturwissenschaften findet sich eine große Zahl von Intellektuellen, die sich nicht in das Erwartungsschema einbauen lassen, das wir zur Zeit in der öffentlichen Diskussion zum Begriff des Intellektuellen verwenden. Es ist nicht zu verkennen, das wir den Begriff auf die Gruppen innerhalb der Intellektuellen reduziert haben, bei denen sich eine deutliche Präferenz für politische Fragestellungen feststellen läßt, die man deshalb auch sehr schnell abwertend als „Linksintellektuelle" bezeichnet. Diese Bezeichnung ist im äußersten Falle als polemischer Begriff in der politischen Auseinandersetzung brauchbar; für die Behandlung eines so wichtigen Themas wie dem hier zu erörternden taugt er nicht.

Politiker und Intellektuelle

Spricht man von der Gruppe der Intellektuellen und meint man damit nicht nur bestimmte Personen und ihre persönlichen, charakterlichen und menschlichen Eigenschaften oder Qualitäten, dann spricht man Rollen an, d. h. die Rollen, die die Intellektuellen und die Politiker in der Gesellschaft spielen. Damit stellt sich also die Frage nach dem Verhältnis unterschiedlicher gesellschaftlicher Rollen zueinander, die man beide für die Gesellschaft und ihren Bestand für unverzichtbar hält. Des weiteren kommt damit zum Ausdruck, daß man die Rollen wechseln kann, der Intellektuelle also aus der Gruppe der Intellektuellen heraustritt in die Rolle des Politikers, des Verwaltungsmannes oder anderer nicht-intellektueller Tätigkeiten.

Aufgrund eigener Erfahrungen jedoch stellt sich gerade an dieser Stelle die Frage, ob es sich wirklich nur um Rollenprobleme und den Wechsel von einer Rolle in eine andere handelt. Es geht offensichtlich doch um etwas mehr als um die bloße Mobilität zwischen verschiedenen Rollen: Bestimmte gesellschaftliche Rollen, wie gerade die des Intellektuellen, kann man — abgesehen von der Frage der Intelligenz — nur dann wirklich ausfüllen, wenn man ganz bestimmte Eigenschaften mitbringt, wie z. B. ein verhältnismäßig stark ausgeprägtes Unabhängigkeitsstreben oder die Fähigkeit und den Mut, unbequeme Dinge selbst dann zu sagen, wenn die Unabhängigkeit institutionell nicht abgesichert ist und der Intellektuelle sich damit auch bewußt der Kritik und Anfeindung aussetzt — Fähigkeiten, die der Intellektuelle jedenfalls in den Grundzügen haben muß, wenn er seine gesellschaftliche Rolle wirksam ausfüllen will.

Wird also die Rolle gewechselt, können diese Fähigkeiten der erfolgreichen Ausfüllung einer anderen Rolle als der des Intellektuellen unter Umständen im Wege stehen, wie z. B.der des Politikers, der zwar auch Mut haben muß, aber für andere Dinge: wie z. B.den Mut zum Kompromiß! Gerade zum Kompromiß gehört Mut, wenn sich der Kompromiß an der eigenen Einsicht in die Richtigkeit einer ganz bestimmten Entscheidung reibt; wenn man diese Einsicht in die Probleme und die sich anbietende Lösung zurückstellen muß, um die Lösung des Problems überhaupt politisch möglich zu machen.

Gerade dieser Konflikt zwischen der Erkenntnis oder der persönlichen Einsicht in die Richtigkeit einer ganz bestimmten Antwort auf ein Problem auf der einen Seite und dem Wissen auf der anderen Seite, daß man die Lösung eines politischen Problems überhaupt nur vorantreiben kann, wenn man kompromißbereit ist, kann einen andauernden, auch persönlichen Konflikt zwischen politischer Redlichkeit und politischer Gestaltbarkeit auslösen — ein Konflikt, aus dem man sich nur dadurch befreien kann, daß man auf — richtig verstandenes — politisches Handeln verzichtet. Willy Brandt hat diesen Ausweg demonstriert! Man kann diesen Konflikt aufheben, wenn man das Problem so weit überhöht, daß sich die Antwort auf eine Frage nicht mehr mit dem per-sönlichen Bekenntnis, mit der persönlichen Einsicht in die Richtigkeit der Problemlösung reibt. Golo Mann hat dieses Verhalten einmal dargestellt: Wenn man ein politisches Problem in die „dünne Luft der Stimmigkeit" emporhebt, verliert es seine Konfliktinhalte; man geht damit auch der Gefahr aus dem Wege, daß der soeben geschilderte Konflikt ausgelöst wird.

Dieser Konflikt zwischen intellektueller Einsicht in die Notwendigkeit einer ganz bestimmten politischen Entscheidung einerseits und der Erforderlichkeit einer Kompromißlösung im Rahmen des politischen Gestaltbaren andererseits vollzieht sich normalerweise zwischen Intellektuellen und Politikern als Rollenkonflikt. Der Intellektuelle steht hierbei auf der Seite derjenigen, die in absoluter Bestimmtheit und Entschlossenheit eine ganz bestimmte Wertvorstellung vertreten und kompromißlos für eine ganz bestimmte Antwort auf das entsprechende Problem eintreten: unabhängig von den Notwendigkeiten, die sich aus der politischen Pragmatik ergeben; kompromißlos schon deshalb, um die Kritikfähigkeit zu erhalten und den eigenen Standpunkt nicht zu gefährden.

Auf der anderen Seite steht der Politiker, der der Forderung nach kompromißloser Verwirklichung eines bestimmten politischen Zieles gegenübersteht und nunmehr die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und ähnlich wie Karl Schiller ausruft: „Laßt doch die Tassen im Schrank."

Dieser Ruf — sei es aus Empörung, Verärgerung oder Resignation, sei es als Bitte — fordert dazu auf, einzusehen, daß nur das politisch geht, was mehrheitsfähig ist. Schon ihrer Definition nach können Entscheidungen, die mehrheitsfähig sind oder sein sollen, nur Kompromisse zum Inhalt haben, wenn sich Mehrheiten aus Menschen bilden sollen, die die unterschiedlichsten Auffassungen zu den in Frage stehenden Entscheidungsgegenständen haben.

Damit könnte man folgendes Zwischenergebnis für den Intellektuellen und seine Art, ein politisches Problem zu definieren und zu behandeln, ziehen: Das, was der Intellektuelle unabhängig und kompromißlos, mit kritischer Rationalität an politischen Zielen fordert, ist als solches in der Regel nicht mehrheitsfähig und daher kaum in praktische Politik übersetzbar. Es bleibt immer eine Spannung zwischen der Forderung an sich und dem bestehen, was politisch verwirklicht wird und realisiert werden kann. Es ist eine ganz seltene Ausnahme, daß eine als absolut richtig bzw. als alternativlos definierte Forderung mehrheitsfähig und politisch voll verwirklicht werden kann. Dies gibt es höchstens in existenziellen Grenzsituationen

Zur Spannung zwischen kompromißloser Forderung und politischem Kompromiß

Geht man davon aus, daß die Spannung zwischen kompromißloser Forderung und politischer Notwendigkeit des Kompromisses konstitutionell für dieses Verhältnis ist, so stellt sich die Frage: Wie wird dieses oft lästige, zumeist schmerzhafte und die eigene Aufgabe zur Mehrheitsbildung erschwerende Spannungsverhältnis von einer politischen Partei gesehen? Wird es als notwendig für die eigene Arbeit angenommen oder wird die Existenz der Intellektuellen oder zumindest die intellektuelle Behandlung politischer Probleme als störend aufgefaßt, mit der Folge, daß sich die politische Partei gegen die Intellektuellen abgrenzt?

Die Antwort der Abgrenzung

Es gibt zwei extreme Antworten auf diese Frage, die beide darauf gerichtet sind, die Spannung zu beseitigen: — Die eine Antwort besteht darin, daß man die Existenz der Intellektuellen ignoriert und somit ihre politische Relevanz leugnet. Man entzieht sich der Auseinandersetzung, indem man die Intellektuellen in einen als unpolitisch definierten Raum verweist. Die Spannung selbst wird, auch dann, wenn sie wirklich vorhanden ist und fortdauert, von der politischen Partei nicht zur Kenntnis genommen. Man zieht sich auf eine Definition des Intellektuellen zurück, die die Aussage zum Inhalt hat; Es gibt keinen Bezug zwischen Intellektuellen und der Partei, aus dem ein solches Spannungsverhältnis entstehen könnte.

Diese Haltung war in der CDU der sechziger Jahre weit verbreitet. Die CDU konnte damals schon auf eine lange Regierungszeit und erstaunliche Erfolge ihrer Politik zurückblicken. Sie hatte sich mit ihrer Wirtschaftspolitik der Sozialen Marktwirtschaft gegen große Widerstände der Sozialdemokratie durchgesetzt. Der allgemeine Wohlstand, der Fortschritt, das vielbeschriebene „Wirtschaftswunder" schienen sie auch gegenüber denjenigen voll zu rechtfertigen, die die Grundlagen ihrer Politik kritisierten.

Die CDU hatte, bedingt durch ihre lange Regierungszeit, ein hohes Maß an Pragmatik entwickelt, die sie dazu verführte, die politische Relevanz intellektueller Kritik prinzipiell zu bestreiten. In teils saloppen Formulierungen wurden die Intellektuellen aufgefordert, diesen Leistungen erst einmal etwas Besseres und Tauglicheres entgegenzusetzen und sich eine Legitimation zu besorgen, um politisch gehört zu werden.

Man könnte diese Antwort auf das Problem der Spannung zwischen den beiden Rollen als die Antwort der Abgrenzung bezeichnen: Man grenzt sich von den Intellektuellen ab, hebt sie und ihre Tätigkeit auf eine andere kategoriale Ebene. Diese kategoriale Ebene kann zum einen definiert werden als der „Elfenbeinturm" der Universitäten, der sich dann beliebig auf alle intellektuellen Tätigkeiten, einschließlich derer in Literatur, Kunst und Wissenschaft, ausdehnen läßt. Zum anderen kann man alle Tätigkeiten in diesem Sinne in ein „Ghetto" verweisen, zumal dann, wenn man sich politisch bereit erklärt, sie ökonomisch ausreichend bzw. überproportional zu anderen Tätigkeiten zu dotieren. Auf diese Weise bringt man ein politisches Mäzenatentum und den Willen zum Ausdruck, im übrigen aber in Frieden gelassen werden zu wollen.

Diese Form der Abgrenzung ist also eine der Möglichkeiten, mit der Spannung zwischen Politik und Intellektuellen fertig zu werden. Man beseitigt sie grundsätzlich!

Die Antwort der Harmonisierung

— Die andere Möglichkeit einer Antwort ist die der Harmonisierung. In diesem Falle wird der Konflikt zwischen Intellektuellen und politischen Parteien nicht geleugnet und behauptet, beide hätten nichts miteinander zu tun. Der Konflikt wird vielmehr als eine Aufforderung begriffen, die Intellektuellen in die politische Partei zu integrieren, d. h. die Intellektuellen werden in den Prozeß der Gestaltung gesellschaftlicher Sachverhalte aufgenommen. Mit anderen Worten: Die eine Antwort ist die der Distanzierung. Die Distanz zwischen Intellektuellen und der politischen Partei wird gewissermaßen ins Unendliche verlagert und die Spannung damit eleminiert. Die andere Antwort besteht darin, daß man die Distanz auf Null verringert und damit die Spannung aufhebt.

Diesen zweiten Weg, die Integration der Intellektuellen in den Entscheidungsprozeß, hat die SPD vor allem unter Willy Brandt zu gehen versucht.

Diese Integration ist für den Intellektuellen zunächst eine ungeheure Versuchung: Unter Aufrechterhaltung seiner gesellschaftlich definierten Rolle als dem im objektiven Sinne nicht verantwortlichen Kritiker werden ihm Chancen zur Teilnahme am politischen Entscheidungsprozeß eingeräumt. Zugleich ist dies aber auch eine reizvolle Kombination von Rollen, die Willy Brandt einer Reihe von Intellektuellen geboten hat und die auch von einigen Intellektuellen angenommen wurde — nicht immer zum Vorteil der eigenen ursprünglichen intellektuellen Schöpferkraft.

Die Gefahr der Korrumpierung

Der Versuch der Harmonisierung des Verhältnisses Intellektuelle—politische Parteien mittels der Integration des Intellektuellen in die politische Partei führt aber letztlich zu den gleichen Ergebnissen wie der Versuch der Abgrenzung. Das Spannungsverhältnis zwischen der Politik und der intellektuellen Forderung an die Politik wird zerstört. Damit entfällt auch das, was diese Spannung für eine ständige Weiterentwicklung der Gesellschaft zu leisten vermag. Formuliert man härter, so heißt dies: In dem Maße, in dem diese Spannung zerstört wird, wird der Intellektuelle korrumpiert; er kann seine Rolle in der Gesellschaft nicht mehr voll erfüllen.

Diese Korrumpierung kann ernorme Folgen haben. Eine dieser Folgen kommt zum Beispiel im nahezu völligen Wegfall des politischen Kabaretts in der Bundesrepublik zum Ausdruck. Dies ist sicherlich schon von anderen angesprochen worden! Es ist eine höchst ungewöhnliche Situation im kulturellen Leben, daß sich das politische Kabarett mit der Begründung auflöst, das Ziel der kabarettistischen Kritik, eine angestrebte bestimmte Änderung der Politik in einem Lande, sei erreicht und damit die weitere Auseinandersetzung mit der Politik in der Zukunft sinnlos geworden; der Widerspruch zwischen intellektueller An-forderung an die Gestaltung unserer Gesellschaft und der tatsächlichen Politik sei aufgehoben.

Eine solche Begründung für die Auflösung bzw. Beendigung des Spannungsverhältnisses zwischen Intellektuellen und Politik zeigt ein nahezu unglaubliches Mißverständnis über den wahren Charakter politischen Handelns. Selbst wenn man als Intellektueller mit den politischen Zielen einer politischen Partei voll übereinstimmt, von den gleichen Wert-und Zielvorstellungen ausgeht, bleibt die Spannung bestehen, die aus der Rollenverteilung zwischen Intellektuellen und Politikern resultiert; allerdings muß die Rolle und die jeweilige Aufgabenstellung richtig gesehen werden. Wenn es nichts anderes ist, so bleibt für den Intellektuellen in jedem Falle die Aufgabe bestehen, den Mißbrauch der mit der politischen Tätigkeit verbundenen Machtchancen zu kontrollieren. Diese Machtchancen und die hieraus möglicherweise entstehende Gefährdung der Freiheitlichkeit und Unabhängigkeit gesellschaftlicher Aktivitäten, des Bürgers selbst, entfällt ja nicht dadurch, daß die Politik plötzlich eine andere Richtung einschlägt. Die politische Macht, die Richtung erneut zu wechseln, bleibt in jedem Falle bestehen. Die Gefahr, daß die Macht von den Handelnden zur Verwirklichung völlig anderer Ziele benutzt, mißbraucht wird, besteht unabhängig von jeder theoretischen, ideologischen oder sonstigen Ausrichtung des politischen Handelns.

Wenn beide Wege, sowohl der der Distanzierung als auch der der Harmonisierung, zur Lösung der Probleme nicht geeignet sind, dann stellt sich die Frage, wie die Spannungen, die zwischen den beiden Rollen bestehen, konkret gestaltet sein sollten und gehandhabt werden müßten.

Grenzen des Harmoniekonzeptes

Ungeachtet der von manchen — wie von Herrn Lattmann — angestrebten Solidarisierung der Intellektuellen zum Zweck der Lösung wirtschaftlicher Probleme müssen die Intellektuellen meines Erachtens das höchste Interesse daran haben, daß die kompromißlos fordernde, die kritisch distanzierte Funktion des Intellektuellen gegenüber der Politik erhalten bleibt.

Die Aufrechterhaltung der bedingungslosen Unabhängigkeit des Intellektuellen in einer freien Gesellschaft bleibt das Hauptziel auch dann, wenn nach Wegen gesucht wird, die bestehenden wirtschaftlichen Probleme der Intellektuellen zu mildern oder zu beseitigen. Andererseits gilt für die Rolle des Politikers, daß es seine Aufgabe ist, aus Ideen mehrheitsfähige politische Entscheidungen zu formen. Will er diesem Auftrag gerecht werden, bleibt er gezwungen, Kompromisse einzugehen.

Um auch hier noch einmal die jüngste Vergangenheit zu beleuchten: Viele Intellektuelle sahen sich in ihren eigenen Erwartungen an das Harmoniekonzept enttäuscht, die sie dazu getrieben hatte, sich in Wählerinitiativen und anderen Aktivitäten im Wahlkampf 1969 zugunsten der SPD zu betätigen. Sei es, daß sie die Grenzen des Harmoniekonzeptes erkannten, sei es, daß sie über die Rolle des Intellektuellen in einer freien Gesellschaft erneut selbstkritisch nachdachten und die korrumpierende Wirkung dieses Konzepts auf die geistige Unabhängigkeit des Intellektuellen erkannten — eine Wirkung, die ihre Ursache darin hat, daß der Intellektuelle in den Prozeß der Entwicklung mehrheitsfähiger Ideen eingebunden wird, der von ihm nach seinem eigenen Rollenverständnis nicht bewältigt werden kann. Sei es, daß die Korrumpierung tatsächlich eingetreten ist und der Intellektuelle durch sie die Fähigkeit zur distanzierenden Selbstreflexion über seine eigene Rolle verloren hat. Dieser letztere Zustand ist nach meiner subjektiven Einschätzung bis zu einem gewissen Umfang bei Günter Grass feststellbar — ein Zustand, der auch dazu führt, daß das Niveau der Aussagen zu wichtigen Vorgängen in Gesellschaft und Politik zu sinken beginnt.

Die Intellektuellen, die sich engagiert in den Raum der Politik begeben und sich an politischen Aktivitäten zugunsten einer bestimmten politischen Richtung beteiligt haben, haben erlebt, daß eine zu enge Verbindung mit einer politischen Partei gefährlich ist und mit Sicherheit nicht die Ergebnisse erbringt, die man ursprünglich erwartet hatte, nämlich schnelle und die eigenen Zielvorstellungen voll erfüllende Reformen. Sie haben an sich erfahren, daß man seiner eigenen Rolle als Intellektueller nicht mehr voll gerecht werden kann, daß man die eigene Ungeduld gegenüber der Politik und der Gesellschaft nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten, nur noch begrenzt in den Konflikt mit der Gesellschaft gehen kann, wenn man in einer großen Organisation Mehrheiten für ein bestimmtes politisches Ziel und die hierauf abgestimmten Entscheidungen und Maßnahmen bilden muß.

Zur Rolle des Intellektuellen in einer freien Gesellschaft

Will man seiner Rolle als Intellektueller gerecht werden und treu bleiben, muß man sich die Ungeduld und die Möglichkeit erhalten, von Politik und Gesellschaft die Verwirklichung der als notwendig erachteten Veränderungen in Staat und Gesellschaft ständig zu verlangen, gleichgültig, ob es hierfür eine Mehrheit gibt oder aber die Bevölkerung bereit ist, dem Intellektuellen zu folgen. Diese Eigenschaft der Ungeduld legitimiert das eigene ständige Fordern, das Verärgertsein, das In-den-Konflikt-Gehen mit der Gesellschaft. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wertvoll diese Ungeduld für die intellektuelle Arbeit und wie schön es ist, wenn man es sich leisten kann, sie auch zu praktizieren. Hinzu kommt: Der mühsame Prozeß der Überzeugung, der Zusammenführung unterschiedlicher Interessen, der Mehrheitsbildung und Vereinigung unterschiedlichster Gruppierungen auf ein Ziel wird von den Intellektuellen vielleicht auch deshalb nicht für eine dem Intellektuellen zurechenbare Aufgabe akzeptiert, weil sie sich einer solchen Leistung selbst für unfähig halten. Im echten Sinne des Wortes ist diese Arbeit auch nicht intellektuell: es ist aber die Kärrnerarbeit, die getan werden muß, um dem Ziel intellektueller Forderung auch nur annähernd zu entsprechen, um Forderungen der Intellektuellen wenigstens annähernd zu verwirklichen. Auch dies zeigt wieder das schon beschriebene Spannungsverhältnis zwischen intellektueller und politischer Arbeit.

Die Phase, in der wir uns zur Zeit befinden, kann vielleicht am ehesten wie folgt beschrieben werden: Die Intellektuellen begeben sich wieder auf Distanz zur politischen Partei. Ihr Verhalten ist das einer skeptischen Reaktion auf ein mißglücktes Experiment — mißglückt jedenfalls, was die dauerhafte Zielverwirklichung und die beständige Harmonisierung im Verhältnis des Intellektuellen zu den politischen Parteien angeht. Man kann nur hoffen, daß es eine konstruktive Skepsis ist, die dazu führt, daß der Intellektuelle sich wieder die Freiheit nimmt, politische Macht unabhängig von ihrer ideologischen oder wertorientierten Legitimation zu kritisieren; eine Skepsis, mit der hoffentlich konstruktiven Folge, daß der Intellektuelle nach dem vorübergehenden Experiment einer engen Verbindung mit einer politischen Partei die Distanz zur politischen Macht wiedergewinnt, die es ihm erlaubt, wieder einer seiner wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben zu entsprechen: die völlig kompromißlose, unabhängige Kritik an der Handhabung politischer Macht und die rechtzeitige Aufzeigung ihres Mißbrauchs. • Diese Kritik vollzieht sich außerhalb des hierfür üblicherweise vorgesehenen institutionellen Rahmens. Der Intellektuelle erfüllt damit, daß er die Kritik nicht als Institution, sondern als Persönlichkeit vorträgt, eine für jede Demokratie unverzichtbare Funktion. Es ist zu hoffen, daß diese kritische, konstruktive Skepsis zur Wiedergeburt des politischen Kabaretts führt — als auffälligstem Teil eines Kontrollmechanismus gegenüber der politischen Macht, der weit über die demokratischen Kontrolleinrichtungen hinausreicht.

Die CDU und die Intellektuellen

In diesen Bezugsrahmen gehört schließlich die Frage nach dem Verhältnis der CDU zu den Intellektuellen. Um eine Antwort finden zu können, muß man an beide Seiten Fragen stellen: Die politische Partei muß gefragt werden, ob sie überhaupt bereit ist, intellektuelles Denken, intellektuelle Kritik in ihrer eigenen Arbeit zu akzeptieren, ob sie in der Lage ist, die zwischen den politischen Parteien und den Intellektuellen bestehende Spannung als eine konstruktive Spannung zu begreifen, oder ob sie nach wie vor auf der Position beharrt, daß diese Spannung destruktiv ist und die Bildung von Mehrheiten zu politischen Ideen verhindert oder unnötig erschwert und sie sich deshalb von den Intellektuellen distanziert, niit der Folge, daß dann die Intellektuellen nur noch auf der rein gesellschaftlichen Ebene mit der Partei korrespondieren können.

In der CDU gibt es bis heute keine einheitliche Antwort auf diese zum Teil sehr schwierigen Fragen. Sehr wahrscheinlich wird es diese auch in einer großen Volkspartei, die sich anschickt, die Hälfte des politischen Spektrums einer Bevölkerung abzudecken, um mehrheitsfähig zu sein, nicht geben können. Einheitlichkeit in diesem Sinne ist meines Erachtens auch nicht wünschenswert. Erforderlich ist vielmehr, daß die Partei die Auseinandersetzung mit den Intellektuellen als einen notwendigen Bestandteil des politischen Wil-lensbildungs-und Entscheidungsprozesses akzeptiert. Dei CDU hat gerade in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihr Verhältnis zu den Intellektuellen in diesem letzteren Sinne zu verbessern. Vor-teilhaft wirkt sich hierbei aus, daß von den nunmehr 600 000 Mitgliedern rund 360 000 nach dem 1. Januar 1970 in die Partei eingetreten sind, das heißt, mehr als die Hälfte unserer Mitglieder gehören der Partei nicht länger als etwa fünf Jahre an; das Durchschnittsalter ist erheblich gesunken. Diese Neumitglieder sind in die Partei zu einem Zeitpunkt eingetreten, als die CDU bereits in der Opposition war und allgemein erkennbar wurde, daß sie ein „Theoriedefizit" zu bewältigen hat. Mit dem Eintritt in die CDU gaben die Mitglieder zu erkennen, daß theoretische Diskussion als eine Notwendigkeit der gesamten Parteiarbeit anerkannt wird.

Die veränderte Einstellung der Mitgliedschaft zur theoretischen Diskussion wurde vielfach deutlich: in der Art und Weise, wie auf allen Ebenen wichtige Probleme der aktuellen Politik diskutiert werden und nach ordnungspolitischen Leitlinien gesucht wurde; in der Sprache, mit der Beschlüsse z. B. zur Abtreibung, zur Mitbestimmung, zur beruflichen Bildung und zum Baubodenrecht usw. gefaßt wurden. Alle diese Themen und Probleme sind gerade in den letzten Jahren nicht mehr nur pragmatisch, sondern theoretisch anspruchsvoll diskutiert worden.

Auf dieser Grundlage baut sich das veränderte Verhältnis der CDU zu den Intellektuellen auf. Mit dieser Bereitschaft, theoretische Diskussionen als Teil der eigentlich politischen Arbeit einer Partei anzuerkennen, hat die CDU zugleich das Spannungsverhältnis zwischen denen anerkannt, die politische Theorie formulieren, und denen, die diese dann politisch umsetzen müssen. Dieser gedankliche Austausch muß in der Partei ständig geübt, das Spannungsverhältnis muß immer wieder anerkannt und ausgehalten werden. Die Gefahr des Rückfalls in eine pragmatische Grundhaltung ist nicht unerheblich; wenn aus keinem anderen Grunde, dann deshalb, weil das Akzeptieren und der Vollzug solcher Theorie-diskussionen eine intellektuelle Anstrengung erfordert, die weit über die Ablehnung eines gemeinsamen Gegners hinausreicht. Hinzu kommt: Die theoretische Auseinandersetzung stellt hohe Anforderungen an die Integrationsfähigkeit der Partei, weil sie trotz dieser vielfältigen und zum Teil kontroversen Diskussion in ihren eigenen Reihen Mehrheiten bilden muß, die die Partei zusammenführen; sie kann sich nicht mehr nur über ein externes Feindbild integrieren.

Es war ein ganz wesentliches Ziel der politischen Arbeit der letzten Jahre, die organisatorischen und instutionellen Voraussetzungen für solche Integrationsprozesse in der CDU zu schaffen. Erst wenn diese gelingen, ist es auch möglich, das Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Kompromiß aufrechtzuerhalten und konstruktiv zur Geltung zu bringen. Ist eine Partei nicht integrationsfähig, wird sie die Intellektuellen ablehnen, weil sie die Integrationsfähigkeit belasten, weil sie Forderungen, politische Anmaßungen in die Partei hineintragen und durch ihre Ideen Zentrifugalkräfte freisetzen. Diese Zentrifugalkräfte jedoch müssen organisatorisch eingefangen werden, wenn eine Partei handlungsfähig bleiben soll. Ein Wahlverein — eine Partei, die sich als solcher begreift— ist außerstande, solche Leistungen zu erbringen. Deshalb ist es ganz natürlich, daß eine solche Partei intellektuelle Interventionen in ihren eigenen, inneren Wil-lensbildungs-und Entscheidungsprozeß ablehnt, zurückdrängt oder die Legitimität solcher Interventionen leugnet.

Dieser zuletzt beschriebene Zustand ist nicht nur beendet. Das Verhältnis der CDU zu den Intellektuellen hat sich vielmehr in den letzten Jahren prinzipiell verändert. Mit ihren Anstrengungen hat die CDU ihrerseits wichtige Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung einer dauerhaften, konstruktiven Spannung zwischen politischer Partei und Intellektuellen geschaffen.

Das Angebot der CDU

Auf der Grundlage dieser Bereitschaft entwickelt sich auch die Auswahl der Gesprächspartner, die man kaum organisieren kann. Man kann nur hoffen, daß die Eröffnung von Chancen zur Auseinandersetzung ein entsprechendes Potential anzieht. Wir haben das Gefühl, daß sich auch eine zunehmende Bereitschaft von Seiten der Intellektuellen abzeichnet, mit der CDU zu sprechen, darüber zu diskutieren, was sich politisch verwirklichen läßt, was an die Grenzen dessen stößt, was umsetzbar ist.

Damit stellt sich zugleich die Frage, wie die Intellektuellen auf dieses Angebot reagieren, das heißt, sind sie überhaupt bereit, mit der CDU in einen Dialog der konstruktiven Spannung oder in ein Verhältnis dieser Art einzutreten oder sind die Intellektuellen der Meinung, daß bereits der Versuch hierzu zum Scheitern verurteilt sei und deshalb keine Anstrengungen unternommen werden müßten und sollten? Hierauf gibt es keine abschließende Antwort, vor allem deshalb, weil es auf das Verhalten typischer Rollenträger keine feststehende Antwort gibt. Es kommt vielmehr auf die Persönlichkeiten und darauf an, ob sich Dichter, Schriftsteller, Journalisten, Kritiker und alle die, die zum Kreis der Intellektuellen zu zählen sind oder gezählt werden sollten, bereit sind, sich mit den politischen Themen auseinanderzusetzen, die die CDU in den letzten Jahren aufgeworfen hat.

Neue Gefahren der ideologischen Spaltung

Für eine abschließend Beantwortung dieser Fragen ist es ebenso zu früh wie für den Versuch, eine Tendenz zu beschreiben. Die CDU/CSU hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Kongressen durchgeführt, die sich mit Problemen befaßt haben, die zu dem hier erörterten Thema gehören. Der Medienkongreß in München war eine dieser Veranstaltungen. Die Gespräche, die dort stattgefunden haben, berechtigen zu der Hoffnung, daß ein spannungsreicher Dialog zwischen der Union und den Intellektuellen entsteht. Zugleich aber zeichnet sich auch die Gefahr ab, daß sich das Lager der Intellektuellen selbst ideologisch spaltet und es im Verfolg zwei Lager gibt: Intellektuelle für die eine und Intellektuelle für die andere politische Partei, das heißt die Gruppierungen der Intellektuellen differenzieren sich parteipolitisch, und jede Partei verfügt dann über ihr Heer an Hausintellektuellen. Hieraus könnte sich dann weiterhin ergeben, um es einmal zu karikieren, daß das intellektuelle Gewicht einer politischen Partei weniger nach dem Geist, sondern nach der Zahl und dem Renommee der Intellektuellen bemessen wird, die in der Partei und ihrer Arbeit zum Einsatz kommen. Dies jedoch wäre keine gute Entwicklung.

Es wäre schlecht, wenn wir soweit kämen, daß z. B. ein Intellektueller, der eine Präferenz für sozialistische Theorien hat, nicht mehr in der Lage wäre, sich mit konservativen Theorien im Sinne eines kritischen Dialoges konstruktiv auseinanderzusetzen, und zwar deshalb, weil er dann für sich die Qualität kritischer Rationalität in Frage stellen würde oder sich mit einem derartigen Vorwurf konfrontiert sähe.

Soll dies verhindert werden, müssen sich die Intellektuellen — angesprochen darauf, wie ihr Verhältnis zu einer bürgerlichen Partei wie Aufwand sie getrieben haben, um das zu verstehen, was sich in der CDU politisch abzeichnet oder entwickelt, ob sie bereit sind, ihren Beitrag zur Lösung der vor uns liegenden Probleme zu leisten. In vielen Gesprächen mit Intellektuellen hat sich gezeigt, daß immer noch ein hohes Maß an Ignoranz besteht. Gerade diejenigen, die besonders kompromißlos für ihre eigenen Forderungen eintreten, bleiben passiv und warten darauf, daß die politische Partei ihr theoretisches Denkgebäude so zubereitet und präsentiert, daß man es selbst nicht mehr erarbeiten, sondern gewissermaßen nur noch konsumieren muß. Dieses Verhalten ist falsch und geht an der Wirklichkeit vorbei Gerade neue politische Ideen sollten nicht am Anfang des Gespräches zwischen einer Partei und den Intellektuellen stehen, sondern vielmehr sollten sich solche Ideen aus einem konstruktiven Spannungsverhältnis zwischen einer Partei und den Intellektuellen entwickeln.

Das „Ja" zum kritisch-produktiven Dialog

Die Rolle des Intellektuellen würde gründlich mißverstanden, wenn die Intellektuellen glaubten, sie dürften und sollten sich erst mit den Programmen und Ideen einer politischen Partei beschäftigen, wenn diese in einem fertigen theoretischen Konzept vorliegen. Die Aufgabe des Intellektuellen in einer freien Gesellschaft ist es, bei der Entwicklung theoretischer politischer Konzepte mitzuwirken, diese kritisch zu reflektieren und ihrerseits voranzutreiben. Aus einem derartigen kritisch-produktiven Dialog zwischen Partei und Inellektuellen würden auch Antriebskräfte erwachsen, die der Partei die für ihre Arbeit notwendige Kraft geben, ihre gesellschaftlichen, politischen Konzepte ständig fortzuentwickeln und sich den auf sie zukommenden Aufgaben anzupassen. All dies setzt jedoch voraus, daß die Intellektuellen, ungeachtet ihrer eigenen politischen Präferenz, bereit und in der Lage sind, die Notwendigkeit alternativer, theoretischer und politisch-praktischer Positionen in der Gesellschaft anzuerkennen.

Sicher ist: Wenn man als Intellektueller von einer Sache durchdrungen und überzeugt ist wenn man seine Forderungen mit der durch eine freiheitliche Gesellschaft abgesicherten Unabhängigkeit verficht, dann ist es außerordentlich schwer, gleichzeitig die Alternative mitzudenken. An dieser Bereitschaft und Anstrengung jedoch wird sich ganz wesentlich entscheiden, ob es gelingt, diesen für eine freie Gesellschaft notwendigen Dialog zwischen den politischen Parteien und den Intellektuellen fortzuführen und immer wieder erneut aufzunehmen. Die Unionsparteien sind hierzu bereit!

Fussnoten

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Kurt H. Biedenkopf, Prof., Dr. iur., geb. 1930 in Ludwigshafen; seit 1973 Generalsekretär der Christlich Demokratischen Union Deutschlands; 1967— 1969 Rektor der Ruhr-Universität Bochum; 1967— 1968 Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz von Nordrhein-Westfalen; 1968— 1970 Vorsitzender der von der Bundesregierung eingesetzten Mitbestimmungskommission; 1971— 1973 ordentl. Geschäftsführer der Henkel GmbH. Düsseldorf; 1976 Direktkandidat des Bundestagswahlkreises 117 Bochum. Neuere Veröffentlichungen u. a.: Fortschritt in Freiheit, München 1974; Toleranz in der Demokratie, in: Toleranz, Hamburg 1974; Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Die Grundlagen christlich-demokratischer Politik, in: Demokratische Gesellschaft. Konsensus und Konflikt, München 1975; Mitbestimmung. Beiträge zur ordnungspolitischen Diskussion, Köln 1972.