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Interessendurchsetzung in der Krise | APuZ 11/1977 | bpb.de

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APuZ 11/1977 Reduktion der Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung? Interessendurchsetzung in der Krise Zwischen Pluralismus und Zwei-Klassen-Modell

Interessendurchsetzung in der Krise

Heidrun Abromeit

/ 58 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die pluralistischen westlichen Demokratien beziehen ihre Legitimität zu einem beträchtlichen Teil aus der Annahme, daß alle relevanten Gruppen der Gesellschaft auf die Dauer zu ihrem Recht kommen, daß keine von ihnen „systematisch“ zu kurz kommt. Diese Annahme dürfte in Zeiten allgemeinen Aufschwungs, wenn es „allen immer besser geht", schwer zu testen sein; wenn hingegen bestimmte Gruppen in ihrer Interessen-durchsetzung grundsätzlich benachteiligt sind, muß sich das in der Krise zeigen. Das Beispiel der Weltwirtschaftskrise 1929— 1933 zeigt, daß in der Weimarer Republik ein „pluralistisches“ Machtgleichgewicht namentlich zwischen den Organisationen der Unternehmer-und der Arbeitnehmerseite nicht bestand. Wenn auch zweifellos alle Wirtschaftszweige und Berufsgruppen unter den Auswirkungen der Krise zu leiden hatten, so erreichte doch die Gruppe der Großindustrie, daß die Lasten sozial asymmetrisch verteilt wurden: Hauptleidtragende war die Arbeiterschaft, die nicht nur unter der Arbeitslosigkeit litt, sondern zugleich Lohnsenkungen und Kürzungen der Sozialleistungen hinzunehmen hatte. Die Großindustrie, speziell der „harte Kern“ der Schwerindustrie, vermochte aber neben ihren ökonomischen auch ihre politischen Interessen durchzusetzen: den Sturz der „Großen Koalition" zunächst und dann den schrittweisen Aufbau eines autoritären „starken Staats". Wie in der Krise der dreißiger Jahre waren auch in der Rezession der siebziger Jahre die Gewerkschaften in ihrer Interessendurchsetzung stark behindert: durch Beitragsverluste und innerorganisatorische Querelen (Kampf gegen „linke" Opposition) geschwächt sowie vor allem auf Grund wachsender Arbeitslosigkeit ihres einzig wirksamen Kampf-mittels, des Streiks, beraubt. Auch in dieser Krise konnten daher die Unternehmer-interessen sich weitgehend durchsetzen. Ihre Erfolge erstreckten sich dabei nicht allein auf unmittelbar ökonomische Ziele wie die Senkung von Lohnkosten und Steuerlast, sondern darüber hinaus auf die Abwehr mißliebiger gesellschaftspolitischer Reformen. In Krisenzeiten, wenn Interessenkonflikte nicht mit immer höheren Wachstumsraten verdeckt werden können, zeigt sich demnach ein strukturelles Ungleichgewicht der Interessendurchsetzung: die Dominanz der Interessen der Großindustrie, von deren Investitionsbereitschaft der Wohlstand der Gesamtgesellschaft abhängt, tritt dann deutlich zutage.

„Ist Bonn doch Weimar?'— Diese besorgte Frage wurde während der letzten Jahre in der Publizistik immer häutiger gestellt, und man kam in der Tat zu einigen anderen Ergebnissen, als sie von Fritz Rene Allemann seinerzeit vor zwanzig Jahren auigezeigt worden sind. In der Grundaussage aber steht der Titel Allemanns — „Bonn ist nicht Weimar" — nach wie vor, und unter diesem Blickwinkel ist letztlich auch die Studie von Heidrun Abromeit zu sehen, wenn sie im folgenden einen Vergleich zieht zwischen der Wirtschaftskrise 1930 bis 1933 und der Rezession der Jahre seit 1973, denn unvergleichbar sind die politischen Ziele — die beabsichtigte Systemveränderung — der damaligen und der heutigen Wirtschaftsverbände. Vergleichbar aber, so die Autorin, seien die Einflußnahmen dieser Verbände auf die politische Führung sowie die Abwehr sozialpolitischer Forderungen.

Emil-Peter Müller vom Institut der deutschen Wirtschaft nimmt in dem anschließenden Beitrag zu einigen Thesen von Heidrun Abromeit kritisch Stellung.

Die Rprtnktinn

Das politische wie das sozioökonomische System der Bundesrepublik bezieht seine Legitimität zu einem beträchtlichen Teil aus der Annahme, daß alle relevanten Gruppen/Interessen auf die Dauer zu ihrem Recht kommen, daß keine von ihnen „systematisch" zu kurz kommt. Diese Annahme, die für alle „pluralistischen" westlichen Demokratien gilt, ist seit je umstritten, dürfte aber schwer zu widerlegen sein, wenn in Zeiten allgemeinen Aufschwungs es „allen immer besser geht". In Krisenzeiten hingegen brechen nicht nur strukturelle Ungleichgewichte zwischen (unterschiedlich „fortgeschrittenen") Wirtschaftssektoren, sondern auch Ungleichgewichte zwischen Interessengruppen auf; wenn bestimmte Gruppen in ihrer Interessendurch-Ohnedaß hier die seit Jahrzehnten geführte Pluralismusdebatte aufgegriffen und weitergeführt werden soll, seien vorweg einige Überlegungen zur Gleichgewichtigkeit der Interessendurchsetzung angestellt: Der liberalen Gesellschaftstheorie zufolge setzen Interessent sich über den Markt durch, da der Markt-mechanismus doch die optimale Bedürfnisbefriedigung aller garantieren soll. Auch Interessenkonflikte müßten sich hiernach auf dem Markt von allein lösen. In einer Gesellschaft von annähernd gleich starken Kleingewerbe-treibenden mochten diese Annahmen — für diese Gruppe! — realistisch scheinen; sie ließen jedoch von vornherein eine wesentliche Gruppe außer acht: die der entstehenden Industriearbeiterschaft. Die Arbeiter waren, traten sie als Individuen den Unternehmern gegenüber, diesen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterlegen. Der Machtanteil ließ sich Setzung grundsätzlich benachteiligt sind, muß sich das in der Krise zeigen.

Im folgenden wird daher der Versuch gemacht, am Beispiel der Weltwirtschaftskrise und am Beispiel der seit 1973 in der Bundesrepublik begonnenen Rezession zu prüfen, wie der Prozeß der Interessendurchsetzung verläuft, wenn es gewissermaßen „hart auf hart" geht. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf die in industriellen Gesellschaften wesentlichen Interessenorganisationen. Ferner sei angemerkt, daß die Untersuchung nahezu notgedrungen „oberflächlich", an der Ebene der äußeren Erscheinungen bleiben muß; eine gründlichere Analyse wird erst in einigen Jahren möglich sein, wenn das entsprechende Material zugänglich ist.

Zur Durchsetzbarkeit von Interessen

nur durch Zusammenschluß, durch Organisation ausgleichen. Organisation von Individuen mit gleichen Interessenlagen wurde schließlich die vorherrschende Methode der Interessen-durchsetzung, was mehrererlei implizierte: das Nicht-Funktionieren des Marktes als Ort des Interessenausgleichs vor allem — Interessen suchten sich vorwiegend auf dem „Umweg" über den politischen Bereich zur Geltung zu bringen — und die Aufspaltung der Gesellschaft in Gruppen mit jeweils „typischen", mit „Kollektivinteressen".

Nicht alle Interessen sind indes organisierbar „Allgemeine" Bedürfnisse z. B. sind es nicht, sondern nur die „Spezialbedürfnisse" einer Gruppe, die deren Mitgliedern zudem hinreichend wichtig erscheinen müssen — so wichtig, daß sie notfalls Opfer dafür zu bringen bereit sind. Eben aus diesem Grund sind sehr große Gruppen schlecht organisierbar: Hat eine große Anzahl von Individuen gemeinsame Interessen, entsteht — vor allem wenn es dabei um nicht teilbare kollektive Güter geht — aus der „latenten Gruppe" noch keine organisierte, denn jedes dieser Individuen wird sich sagen, daß die Erfolge der Organisation, des Verbandes, nicht nur den Mitgliedern, sondern auch den Nicht-Mitgliedern zugute kämen, weshalb ein eigenes Engagement in Richtung auf eine Organisation irrational erscheinen müßte — das Engagement „lohnt" sich scheinbar nicht. Anders ist es sowohl bei kleinen Gruppen — hier ist der Beitrag jedes einzelnen zum gemeinsamen „kollektiven Gut" spürbar — als auch in großen Gruppen dann, wenn die Organisation ihren Mitgliedern „teilbare", „private" Güter anzubieten vermag

Die Annahme der „Theorie der Gegenkräfte" stimmt demnach nicht: Aus den durch die Tätigkeit einer organisierten Gruppe (ein Oligopol z. B.) negativ betroffenen latenten Gruppen (Verbraucher z. B.) bilden sich sehr häufig keine Gegen-Verbände; die Macht der organisierten Gruppe wird nicht automatisch in Schach gehalten, der Interessenausgleich ist in Frage gestellt.

Noch deutlicher wird das Problem, bezieht man nicht nur die Organisierbarkeit, sondern auch die Konfliktfähigkeit von Gruppen in die Betrachtung ein Interessen sind nämlich nur durchsetzbar — und Organisation erscheint dementsprechend erst dann sinnvoll —, wenn eine Gruppe eine systemrelevante Leistungsverweigerung glaubhaft androhen kann. Hausfrauen, Rentner, Studenten z. B. können dies nicht — aber auch die Arbeiterschaft befindet sich in bestimmten Konjunkturlagen in dieser Situation, wovon weiter unten die Rede sein soll.

Unter den organisierten und konfliktfähigen Gruppen bestehen gleichwohl noch beträchtliehe Unterschiede hinsichtlich der Chance der Interessendurchsetzung. Geht man davon aus, daß eine der wichtigen Grundlagen des Verbandseinflusses der Zugang zur Information ist, läßt sich zunächst abstrakt feststellen, daß „Reiche" und „Produzenten" begünstigt sind: „Reiche" können eher hohe Informationskosten tragen; „Produzenten" sind von vornherein besser informiert als Konsumenten Eine noch wichtigere Grundlage der Verbandsmacht ist die „Marktmacht", definiert als Fähigkeit, mit eigenen Aktionen die Interessen auch anderer Gruppen zu berühren Als weitere Basis der Durchsetzungsfähigkeit von Interessen seien schießlich noch die Kontakte zur politischen Elite, speziell zur hohen Bürokratie erwähnt. Hier kann als feststehend gelten, daß gemeinsame Schichtzugehörigkeit Kontakte erleichtert.

Wendet man die bisher genannten Kriterien auf die Verbände der Unternehmer und der Arbeitnehmer an, so ergibt sich auf den ersten Blick nahezu ein Gleichgewicht: Beide verfügen als „Produzenten" über Information, beide haben beträchtliche „Marktmacht", und „nur" bei den Kontakten mit der politischen Elite haben die Unternehmer einen Vorsprung der aber dann ausgeglichen scheint, wenn eine den Arbeitnehmern nahe-stehende Partei die Regierung stellt. Der Schein trügt indes: Das annähernde Gleichgewicht besteht allenfalls in Zeiten der Voll-oder Überbeschäftigung, dann überwiegt auf Unternehmerseite in der Regel das einzelwirtschaftliche (Konkurrenz-) Denken vor dem Kollektivinteresse; das ermöglicht gewerkschaftliche Erfolge — die Unternehmer zeigen sich nachgiebig, um die Expansion der Produktion zu sichern, sie vermeiden Streiks durch rechtzeitiges Entgegenkommen. In solchen Situationen scheinen die Gewerkschaften nicht nur gleich stark, sondern sogar mächtiger zu sein als die Unternehmerverbände. Die Situation ändert sich jedoch schlagartig, sobald die Konjunkturlage sich verschlechtert und die Gewinne zu sinken drohen. Dann erinnern zum einen die Unternehmer sich meist sehr schnell ihres Gesamtinteresses, während zum anderen die Gewerkschaften ihres einzigen Machtinstruments, des Streiks, verlustig gehen: Streiks — also die Taktik der Arbeitsverknappung — werden sinnlos, wenn die Unternehmen ohnehin dabei sind, in größerem Maße Arbeitskräfte zu entlassen; hinzu kommen als weitere Probleme Streikunwilligkeit der Arbeiter aus Angst um den Arbeitsplatz und Unverständnis nicht nur der „öffentlichen Meinung", sondern vor allem der bereits arbeitslosen Arbeitnehmer.

Auch in Zeiten der Hochkonjunktur unterliegt die Gewerkschaftsmacht allerdings — zumindest in der Bundesrepublik — erheblichen Einschränkungen: Bei jedem Streik — oder auch nur der Streikdrohung — sehen die Gewerkschaften sich massiven Ressentiments seitens der Öffentlichkeit gegenüber die Arbeitsrechtsprechung sucht das Streikrecht nach Möglichkeit einzuengen überhaupt ist ein grundsätzliches Ungleichgewicht schon dadurch gegeben, daß das Tätigkeitsfeld der Gewerkschaften — die Lohnpolitik — offen zutage liegt und daher kontrollierbar ist, das Tätigkeitsfeld der Unternehmer — Preis-und Investitionspolitik z. B. — hingegen nicht. Schließlich verfügt zu jeder Zeit die Gruppe der Unternehmer — vor allem der Großunternehmer, die dazu nicht einmal „organisiert" sein müssen — im Vergleich zur Arbeitnehmerseite über weit massivere Durchsetzungschancen gegenüber der Regierung (auch wenn diese von einer „Arbeiterpartei" gebildet wird!), und das um so mehr, je mehr die Regierungen von den Wählern für die Wirtschaftsentwicklung verantwortlich gemacht werden: Keine Regierung möchte gern mit dem Odium behaftet sein, eine Politik betrieben zu haben, die die Unternehmer zum Verzicht auf Investitionen veranlaßt und damit zum Rückgang von Wachstum und Wohlstand führt.

Interessenpolitik in der Weltwirtschaftskrise

Vom Standpunkt der Interessenpolitik aus gesehen, schien die Weimarer Republik bei ihrem Beginn geradezu ein Musterbeispiel für die These vom Gleichgewicht der Organisationen von Kapital und Arbeit zu sein: An ihrem Anfang standen die „Revolution", eine Regierung aus Vertretern der Arbeiterbewegung und die „Zentralarbeitsgemeinschaft" von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften. Die Situation änderte sich jedoch schnell; spätestens 1924 war mit der Aufkündigung der Zentralarbeitsgemeinschaft durch die Unternehmerseite auch formal das „Klassengleichgewicht" in Frage gestellt.

Was die institutionalisierten Einflußwege der Verbände betraf, erwies der Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) auf dem wesentlichsten Einflußweg — dem über die Bürokratie — sich den Gewerkschaften bald als überlegen; der RDI lobte denn auch verschiedentlich die „enge Fühlungnahme mit den Reichsministerien", durch die man „für beide Beteiligten immer die besten Ergebnisse" erzielt habe Teilweise beruhten die guten Kontakte auf persönlichen Beziehungen — es gab einigen Wechsel zwischen Industrie und

Verwaltung —; vor allem aber gehörte man derselben Gesellschaftsschicht an, kam aus denselben studentischen Verbindungen. Die Gewerkschaften hatten diesen Vorteilen wenig entgegenzusetzen; Kontakte zu Ministerien waren für sie nur durch gleiche Parteizugehörigkeit herstellbar, und die Möglichkeit dazu schwand, seit die SPD nicht mehr an den Regierungen beteiligt war. Im Parlament waren Privatwirtschaft und Freie Gewerkschaften in etwa gleich stark vertreten doch war dies von geringer Bedeutung, denn erstens befanden sich die Gewerkschaftsvertreter zumeist ohnehin in der Opposition und zweitens wuchs infolge der Instabilität der Koalitionsregierungen das Eigengewicht der Bürokratie gegenüber Regierung und Gesetzgebung. Daß die Gewerkschaftsbewegung in sich gespalten war, trug dagegen nur unwesentlich ihrer Schwächung bei; die „Freien Gewerkschaften" waren die bei weitem stärkste Gruppe. Erst gegen Ende der Weimarer Republik machte sich das Bestreben des ADGB, sich nach links gegen die „Revolutionäre Gewerkschaftsopposition" (RGO) abzugrenzen, lähmend bemerkbar.

Wenn im folgenden dargestellt wird, wie der Prozeß der Interessendurchsetzung in der Weltwirtschaftskrise verlief, so sollte dabei berücksichtigt werden, daß es über Verbands-politik und speziell über das Verhalten der Großindustrie in dieser Zeit nur wenige Untersuchungen gibt — bzw. daß die Untersuchungen, die es hierzu gibt, sich nahezu ausschließlich mit den Kontakten der Industrie zur NSDAP befassen, nicht mit dem „Alltagsgeschehen" ihrer konkret-ökonomischen Interessenpolitik Dieser Forschungsschwerpunkt ist zwar verständlich — immerhin forderte die Großindustrie schon Mitte der zwanziger Jahre eine starke Regierung, „losgelöst vom Wechselspiel des Parlamentarismus", einen und „kapitalistischen Stände-staat" sie kämpfte gegen das parlamentarische „System von Weimar", so daß es rückschauend nur eine Frage der Zeit zu sein schien, wann sie reif sein würde für das Bündnis mit dem Faschismus. Dennoch führte die Fixierung der historischen Forschung auf diese Frage zu empfindlichen Leerstellen; auch die folgende kurze Darstellung leidet darunter, daß eine systematische Analyse des Verhaltens der Industrie und ihrer einflußreichsten Verbände bislang nicht vorliegt.

Der Bruch der Großen Koalition

Die Weltwirtschaftskrise machte sich in Deutschland mit voller Schärle seit 1930 bemerkbar; seit 1928 waren aber schon erste Konjunkturabschwächungen und Stagnationserscheinungen aufgetreten. 1928 hatte es bei den Reichstagswahlen einen „Linksrutsch" gegeben, dessen Ergebnis die „Große (von SPD bis DVP) Koalition" unter dem sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller war; die SPD war damit seit 1923 erstmals die Regierungspartei. Noch sah Wirtschaftslage außerordentlich günstig aus; seit 1926 hatte sich die Arbeitslosigkeit stetig verringert. Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften stiegen, und 1927 waren — was als Erfolg der Gewerkschaftsarbeit gewertet werden konnte — durch Gesetz der Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung eingeführt und die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung (RVAvA) gegründet worden. Nun war der Sozialdemokrat Wissell Reichsarbeitsminister: es schien mit der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen also weiter aufwärtszugehen.

Zur selben Zeit hatten indes großindustrielle Kreise sich zu einer „Offensive" nach rechts zu formieren begonnen: Kirdorf knüpfte 1927 Kontakte zur NSDAP, da die Deutschnationale Volkspartei unter dem Druck ihres Angestellten-und Bauernflügels sich sozialpolitisch nach links zu orientieren drohte — eine Gefahr, die gebannt wurde, als 1928 Hugenberg den Vorsitz der DNVP übernahm der Volkspartei — noch Deutschen bis dahin Hauptvertreterin der Großindustrie — wurden Maßnahmen angedroht den Fall, finanzielle für daß sie nicht auf „Rechtskurs" einschwenke Die Große Koalition mußte in dieser Lage als fataler Rückschlag wirken. In der Interessen-politik der Großindustrie traten daher ökonomische Einzelinteressen zurück hinter dem politischen Ziel, das Kabinett Müller zu Fall zu bringen.

Der Kampf gegen das Kabinett Müller wurde dadurch erleichtert, daß seit dem Winter 1928/29 die Arbeitslosigkeit stark anstieg und die ersten Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise sich abzeichneten. Es zeigte sich au-ßerdem bald, daß dieser Kampf nur Teil eines umfassenderen „Feldzugs" war, der in die Richtung zielte, die „wohlfahrtsstaatlichen Ansätze" des Weimarer Staates ein für allemal abzubauen sowie die Gewerkschaften auf die Dauer wirksam zu schwächen; die beginnende Krise schien als Instrument hierzu vorzüglich nutzbar.

Hauptschauplatz des Kampfes war die Auseinandersetzung um die Arbeitslosenversicherung Da die Reichsanstalt — kaum gegründet — schon im Frühjahr 1928 an der Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit stand, die Arbeitslosigkeit seitdem überdies wieder zu steigen begann, verwandte der ADGB das ganze Jahr 1929 überall seine Energien darauf, möglichst viele Reichstags-abgeordnete von der Notwendigkeit der Erhaltung der Arbeitslosenversicherung und einer Beitragserhöhung zu überzeugen. Eine Gutachterkommission des Reichstags kam in Übereinstimmung mit dem ADGB (der allerdings selbst eine höhere Beitragserhöhung vorgeschlagen hatte) zu dem Ergebnis, daß die Reichsanstalt mittels einer 1/2prozentigen Beitragserhöhung sowie gewisser Einsparungen saniert und erhalten werden könne. Das Gutachten rief im Sommer 1929 schon eine Koalitionskrise hervor, doch wurde eine Entscheidung über die Arbeitslosenversicherung noch vertagt. Unterdessen verschlechterten sich die Bedingungen für die Durchsetzung der ADGB-Interessen: Im sozialpolitischen Ausschuß des Reichstags stimmte die SPD als einzige Partei für eine Beitragserhöhung; das Zentrum enthielt sich der Stimme, die bürgerlichen Parteien votierten für einen Leistungsabbau (durch Verlängerung der Wartezeiten u. ä.). Kompromißvorlagen scheiterten an der Unnachgiebigkeit sowohl des ADGB wie der die Interessen der Industrie vertretenden DVP, die sich dabei auch gegen ihren eigenen Finanzminister Moldenhauer stellte. Im Winter 1929/30 wuchs die Arbeitslosigkeit weiter, und der ADGB verlor allmählich Mitglieder; er forderte immer nun dringender nicht nur eine endgültige Regelung der Frage der Arbeitslosenversicherung (1929 hatte es einige vorläufige Kompromißregelungen gegeben, die der Reichsanstalt finanziell jeweils nur für kurze Zeit weiterhalfen), sondern darüber hinaus eine staatliche Arbeitsbeschaffungspolitik.

Die Regierungskoalition aber war inzwischen hoffnungslos zerstritten. Am 5. März 1930 gab es eine Regierungsvorlage, die eine Beitragserhöhung um 1/2°/0 auf 4°/o sowie ein Reichs-darlehen für die Reichsanstalt vorsah, doch kam darüber wieder keine Einigung der Koalitionsfraktionen zustande: Die DVP lehnte im Verein mit den Arbeitgeberverbänden sofort ab. Der letzte Kompromißvorschlag war schließlich der „Brüning-Kompromiß", der wiederum die endgültige Entscheidung über die Sanierung der Reichsanstalt aufschob, eine Beitragserhöhung weiterhin ablehnte und statt dessen die Reichsanstalt zu „Reformen" verpflichtete, die nur Leistungsabbau bedeuten konnten. Dieser Kompromiß, der in seinem weiten Entgegenkommen gegenüber der DVP schon kaum noch als solcher zu bezeichnen war, fand zwar die Zustimmung von DVP und DDP, nicht aber die der SPD, die hier dem ADGB gegenüber im Wort stand; der Sozialdemokrat Müller trat — widerwillig — von seinem Amt als Kanzler zurück, die Regierung der Großen Koalition war am Ende. Das folgende Kabinett — unter Brüning, der jenen letzten „Kompromiß " -Vorschlag gemacht hatte — setzte dann per Notverordnung die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht nur um ein halbes, sondern gleich um mehrere Prozent auf 61/2 °/o herauf (Notverordnung vom 1. Dezember 1930), wodurch erwiesen war, daß es in dem langen voraufgegangenen Streit den Gegnern der Beitragserhöhung weniger um die Sache als um das Kabinett Müller gegangen war.

Noch während dieses Streits und angesichts der verschlechternden sich weiterhin Wirtschaftslage hatten Anfang Dezember zwei Denkschriften die Stimmung gegen Regierung, SPD und Gewerkschaften zu mobilisieren versucht. Am 5. Dezember 1929 forderte Reichsbankpräsident Schacht in einem Memorandum zur Belebung der Wirtschaft eine Kürzung der Staatsausgaben und Steuererleichterungen für Unternehmer; er wandte sich explizit gegen die Bewilligung zusätzlicher sozialer Leistungen. Fast gleichzeitig erschien eine Denkschrift des RDI unter dem Titel „Aufstieg oder Niedergang" die die „Wiederherstellung der Rentabilität in den Betrieben und die Eigenkapitalbildung in den Unternehmungen" ohne Rücksicht auf sozialpolitische Erwägungen, nämlich auf dem Weg über die Senkung der Gestehungskosten — Löhne und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung — forderte: „Die deutsche Wirtschaft muß von allen unwirtschaftlichen Hemmungen befreit werden." Diese Forderungen wurden mit der nach Senkung der Besitz-und Anhebung der Massenverbrauchsteuern abgerundet und mit Drohungen gewürzt: werde die derzeitige Sozial-und Steuerpolitik weitergeführt, komme es zwangsläufig zur Katastrophe.

In beiden Denkschriften ist ansatzweise das ökonomische Programm der Großindustrie enthalten, das in der Krise durchgesetzt werden sollte: steuerliche Entlastung der Unternehmen, Abbau der Löhne und Sozialleistungen, Eindämmung der öffentlichen Ausgaben und Einschränkung staatlicher Eingriffe, Reduzierung des privaten Konsums. Die Gewerkschaften forderten demgegenüber staatliche Arbeitsbeschaffungspolitik und Erhöhung der Massenkaufkraft.

Der Sturz Brünings

Das Kabinett Brüning, „Präsidialkabinett" und auf parlamentarische Unterstützung — ganz zu schweigen von einer Unterstützung durch die Gewerkschaften — nicht angewiesen, schickte sich an, das Programm des RDI so gut es ging zu verwirklichen. Brünings Not-verordnungen (die hier nicht im einzelnen diskutiert werden sollen) verfügten „Kürzungen aller Art" verbunden mit Steuererleichterungen für die Wirtschaft bezeichnete Brüning doch selbst Kapitalmangel als die Ursache der Krise und folglich „Entla-stung der produktiven Stände" als Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik. Prinzipiell bezweckte er mit seiner Politik zweierlei: — Minderung der Masseneinkommen durch Senkung von Löhnen (die Tarifautonomie war damit per Notverordnung aufgehoben) und Sozialleistungen, Kürzung der Beamtengehälter, Erhöhung der Lohnsteuer und der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung; — Kürzung der Staatsausgaben durch Ausgabenbegrenzung, Bausperren, Eingriffe in die kommunale Finanzhoheit sowie durch einen Leistungsabbau in der Arbeitslosenversicherung (Senkung der Unterstützungssätze und der Fristen der Arbeitslosenunterstützung) und schließlich durch Streichung der Staatszuschüsse an die Reichsanstalt.

Damit lag er voll auf der Linie der RDI-Forderungen. Die Harmonie zwischen Brüning und dem RDI wurde indes zum einen dadurch getrübt, daß Brüning zwischendurch zwecks Deckung des trotz aller Kürzungsversuche weiterhin strapazierten Reichshaushalts eine 5prozentige „Krisensteuer" als Zuschlag zur Einkommensteuer erheben wollte (s. die Notverordnung vom 5. Juni 1931), zum anderen und in weit stärkerem Maße aber dadurch, daß Brüning per Notverordnung nicht nur eine zweimalige lOprozentige Lohn-und Gehalts-kürzung verfügte, sondern gleichfalls eine Herabsetzung der gebundenen Kartellpreise. Ein anderer, nicht zu übersehender Konflikt-stoff bestand im übrigen während der ganzen Dauer des Kabinetts Brüning in der ihm durch die vom Reichspräsidenten unterstützten Großagrarier aufgenötigten protektionistischen Zollpolitik

Das Brüning ob seiner „Wirtschaftsnähe" entgegengebrachte Wohlwollen, das Vertrauen der Industrie in seine „Politik der Notwendigkeiten" (so der Deutsche Industrie-und Handelstag) wich darum trotz des ersehnten und erfolgten Abbaus von Löhnen und Sozialleistungen allmählich der Skepsis und der Antipathie, während Brüning die Industrie umwarb und an seine Politik zu fesseln versuchte. Zu diesem Zweck hielt er am 27. November 1930 einen Vortrag vor dem Hauptausschuß des RDI, in dem er einen Stopp der Preissenkungsaktion, sparsame öffentliche Haushaltsfüh-ning, Entlastung der Unternehmen und obendrein eine weitere Beschneidung der Befugnisse des Reichstags verhieß; Paul Silverberg — ein Vertreter des gemäßigten Flügels im RDI — antwortete ihm mit der versteckten Drohung, daß die Unternehmen bei mangelndem Vertrauen in die Rechtssicherheit und in die politischen Verhältnisse „nichts Neues" mehr anfangen wollten. Dabei hatte Brüning einen „Wirtschaftsbeirat" gebildet, in dem führende Unternehmer saßen. Außerdem hatte er Unternehmer zur Teilnahme an wichtigen Regierungsbesprechungen eingeladen, weshalb Silverberg in derselben RDI-Hauptausschußsitzung denn . auch bekundet hatte, eigentlich höre die Regierung nun endlich auf die Unternehmerwünsche

Die Industrie hatte zu dieser Zeit aber ohnehin keine Vorstellungen. Teile der Schwerindustrie tendierten schon 1930 zur NSDAP (Thyssen, Kirdorf), andere Gruppen propagierten eine bürgerliche Sammlung der Rechten von der DVP bis zur DNVP (Reusch, Krupp, Poensgen, der DIHT), Teile der chemischen, elektrotechnischen und Maschinenbau-Großindustrie hielten Brüning die Treue und untersützten den „linken" Flügel der DVP (so Duisberg von der trotz Krise florierenden IG Farben) Die Konflikte innerhalb der Industrie gingen so weit, daß die Gruppe um Thyssen und Kirdorf den Austritt des Bergbaulichen Vereins aus dem RDI androhte für den Fall, daß dieser seinen „gouvernementalen Kurs" beibehalte

Seit dem Sommer 1931 wuchs die Anti-Brüning-Front, gespeist vor allem durch die Unzufriedenheit über Brünings Preis-und Kartell-politik, aber auch durch den Unmut darüber, daß Brüning sich anscheinend doch nicht so ganz von parlamentarischen Vorstellungen zu lösen vermochte und meinte, auf das „Stillhalten" von SPD und Gewerkschaften angewiesen zu sein. Im Herbst 1931 veröffentlichten führende Verbände von Industrie, Finanz-welt und Handel eine gemeinsame Erklärung, in der sie weitere Lohnsenkungen, Kürzung des Wohlfahrtsprogramms und größeren Spielraum bei Steuerabsetzungen verlangten; parallel zum Harzburger Treffen, bei dem die Kontakte zwischen NSDAP, DNVP, Schwerindustrie und Großlandwirtschaft, intensiviert wurden, verschickten Führer der Schwerindustrie, Repräsentanten der Bankwelt und des Handels sowie Reichslandbundpräsident v. Kalckreuth und andere Großagrarier gezielte Eingaben an den Reichspräsidenten Hindenburg des Inhalts, daß sich Brüning zu sehr von SPD und Gewerkschaften abhängig mache, wirtschafts-und finanzpolitisch versagt habe und darum als Kanzler nicht mehr tragbar sei. Brüning bot daraufhin zwar seinen Rücktritt an, doch kam es vorerst — Anfang Oktober 1931 — nur zur Kabinettsumbildung: Hermann Warmbold (IG Farben) als Vertreter der Industrie und Gottfried Treviranus als Vertreter der Ostelbier wurden Minister. Zuvor hatte Brüning von sich aus Silverberg das Verkehrsministerium angeboten, um seine Verbindung zum RDI enger zu gestalten; Silverberg — obwohl persönlich nicht abgeneigt — lehnte ab, da er bei einem solchen Schritt die Industrie nicht hinter sich wisse: die Verstimmung sei zu groß

Die Kabinettsumbildung vermochte die Unternehmer-Opposition nicht zu beschwichtigen. Sie erreichte einen neuen Höhepunkt mit der Notverordnung vom 8. Dezember 1931, die zwar die zweite lOprozentige Lohn-und Gehaltssenkung, dazu aber auch wiederum eine Preissenkung verfügte und obendrein einen staatlichen Preiskommissar bestellte. Beides wurde als Angriff auf die Kartelle selbst gewertet und empört als „Staatssozialismus" bezeichnet, als Verstoß gegen die „natürlichen Gesetze der freien Wirtschaft" und als stärksten Eingriff in die Wirtschaftstätigkeit „außerhalb Rußlands" Die Regierung Brüning zu stürzen schien dringlich zu werden, und das um so mehr, als es im Zusammenhang mit den staatlichen Rettungsaktionen während der Bankenkrise 1931/32 zu Banken-„Verstaatlichungen" sowie im Frühjahr 1932 — als Folge einer politischen „Erpressung" durch Flick — zur Übernahme der Flick-Aktienmehrheit an der Gelsenkirchener Bergwerks-AG durch das Reich gekommen war und ein „Mißbrauch" derartiger Maßnahmen im Sinne eines „Sozialismus" durch diese Regierung nun angeblich nicht mehr auszuschließen war

In dem Maße, in dem die Unternehmer-Opposition gegen Brüning wuchs, nahm die der Gewerkschaften ab, was höchst erstaunlich scheint, waren die Arbeitnehmer doch die Hauptleidtragenden der Brüningschen Deflationspolitik. So sanken die Tariflöhne (den Abbau der übertariflichen Löhne nicht gerechnet) von 1930 bis 1932 um 21 %, während gleichzeitig Steuern und Beiträge erhöht und Arbeitszeiten verlängert wurden; die Einsparungen bei der Arbeitslosenversicherung bewirkten, daß im September 1930 von 3 Millionen Arbeitslosen nur die Hälfte unterstützt wurde (im September 1932 waren es von 5, 15 Millionen nur noch 618 000)

Der ADGB hatte zunächst heftige Angriffe gegen das Kabinett Brüning gerichtet; zudem forderte er sowohl Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen als auch eine staatliche Arbeitsbeschaffungspolitik, für die er mit dem Woytinsky-Tarnow-Baade-Plan im April 1932 ein entsprechendes Programm vorlegte

Hiermit stieß er indes nicht nur bei der Regierung auf wenig Gegenliebe, sondern selbst bei der SPD-Fraktion im Reichstag, die, von Hilferding und Hertz mobilisiert, den Plan als unmarxistisch sowie inflationsschürend ablehnte; der ADGB konnte also nicht einmal mit parlamentarischer Resonanz rechnen Ohnehin aber wurden sowohl seine Kritik wie seine Forderungen mit der Zeit immer leiser, bedingt zum einen durch die allmähliche Schwächung auf Grund des Mitglieder-verlusts, der sich schon Ende 1930 bemerkbar machte, und zum anderen durch das seit der Septemberwahl 1930 erkennbare rapide Anwachsen der NSDAP. Angesichts dieser Situation rückte der ADGB sogar in die Nähe Brünings; er „tolerierte" seine Politik als letztes Bollwerk gegen den Faschismus — oder besser: er versank in „resignierender Passivität" Freie, Christliche und Hirsch-Dunkersche Gewerkschaften schlossen sich dabei immer enger aneinander; ihre größte Sorge war die Abgrenzung gegen „kommunistisch-bolschewistische Revolutionstreiberei" S und sie ging einher mit dem Versuch einer Öffnung nach rechts: Im Zusammenhang mit dem Volksbegehren gegen den Young-Plan übte auch der ADGB sich in nationalen Tönen. Brüning wunderte sich schließlich selbst darüber, daß sein Programm der Reallohnsenkung vom ADGB hingenommen wurde, und notierte in seinen Memoiren, der ADGB habe damit eine erstaunliche „Verantwortlichkeit für das Vaterland" bewiesen

Am Sturz der Regierung Brüning jedenfalls waren die Gewerkschaften völlig unbeteiligt: ihn betrieben Großlandwirtschaft und Schwerindustrie, wobei erstere den aktiven Part spielte’ Daß die Großagrarier in der Politik einen wesentlichen Machtfaktor darstellen konnten, erklärt sich zum einen aus deutscher Tradition, zum anderen aus der spezifischen Situation am Ende der Weimarer Republik, in der mit dem Reichspräsidenten Hindenburg ein Mann mit außerordentlichen Machtbefugnissen ausgestattet worden war, der sich den ostelbischen Grundbesitzern eng verbunden fühlte. Schon im Herbst 1931 hatten führende Ostelbier im Verein mit Vertretern von Schwerindustrie, Handel und Banken Hindenburg gedrängt, Brüning fallenzulassen. Im April 1932 kam es zu einer neuerlichen konzertierten Aktion von Industriellen und Grundbesitzern beim Reichspräsidenten; Anlaß war diesmal das SA-Verbot durch Reichsinnenminister Groener, der auf Grund der Protest-welle am 12. Mai zurücktrat. Zu dieser Zeit gelangte zugleich die Frage der sog. Osthilfe in ein entscheidendes Stadium. Die Osthilfe hatte sich in der Praxis zu einer ausgesprochenen „Standeshilfe" für den adeligen Grundbesitz entwickelt, zu einem nahezu lükkenlosen Schutz für bestehenden Großbesitz, auch wenn dieser gar nicht mehr sanierungsfähig war. Da dies dem eigentlichen Zweck der Osthilfe widersprach und überdies den Reichshaushalt über Gebühr belastete, erarbeitete die Regierung (insonderheit v. Schlange-Schöningen) eine Siedlungsverordnung, derzufolge die Osthilfe in wirtschaftlich aussichtslosen Fällen eingestellt und die nicht mehr sanierungsfähigen Gebiete der Siedlung zugeführt werden sollten. Der Reichslandbund protestierte schärfstens gegen diese Pläne, wandte sich aber nicht an die Regierung, sondern an den Reichspräsidenten, der zur fraglichen Zeit gerade auf seinem Gut Neudeck weilte. Hier wurden seine Nachbarn, führende Großagrarier und Führer des Reichslandbunds, brieflich wie persönlich bei ihm vorstellig, um ihn gegen den „Agrarbolschewismus" der Regierung einzunehmen, der nicht allein die materiellen Interessen der Ostelbier schädige, sondern auch — auf dem Wege der Neuansiedlung — ihre traditionelle Stellung und ihre politischen Aussichten für die Zukunft schwer verletze. Hindenburg, * durch die Unzufriedenheit seiner Standesgenossen beunruhigt und ohnehin enttäuscht über Brüning, der es nicht fertiggebracht hatte, sich das Wohlwollen der DNVP zu sichern, ließ daraufhin den Reichskanzler fallen.

Der Weg ins Dritte Reich

Wenn auch die Großindustrie in jenen Jahren durchaus nicht immer mit den Großagrariern einig gewesen war — z. B. fand sie wie Brüning, daß zuviel Osthilfe gezahlt würde —, so war sie doch mehrheitlich mit dem durch Agrarinteressen veranlaßten Sturz Brünings einverstanden zumindest wurde die Regierung Papen einhellig begrüßt: Es war das bei der Unternehmerschaft „populärste" Kabinett der Weimarer Republik. Betont antiparlamentarisch-autoritär ausgerichtet, war Papens Politik zugleich betont wirtschaftsfreundlich. Der „Kurs von Münster" — dort hatte er in einer Rede im August 1932 alle Eingriffe in die Sphäre der privaten Wirtschaft als Vermischung der freien Wirtschaft mit staatlichen Wirtschaftsformen abgelehnt — war ihm Programm; entsprechend liefen seit seinem Regierungsantritt Verhandlungen über die Reprivatisierung der Gelsenberg AG Außerdem erhob er den vom RDI immer wieder geforderten Abbau der Sozialpolitik zum Prinzip. Schon in der Notverordnung vom 14. Juni 1932 wurden die Leistungen der Arbeitslosen-hilfe radikal gekürzt und der Versicherungscharakter der Arbeitslosenversicherung fast völlig aufgehoben. Papen wandte sich aber auch von der reinen Deflationspolitik ab und der Investitionsförderung zu. Dem Interesse der Schwerindustrie an der Ausnutzung brachliegender Kapazitäten folgend — mangels Exportmöglichkeiten befand die Schwerindustrie sich allmählich in einer wirtschaftlich verzweifelten Lage — wurden der Industrie per Notverordnung vom September 1932 Darlehen, Steuerermäßigungen und die Möglichkeit zur 50prozentigen Tariflohnunterschreitung bei Neueinstellungen angeboten; unterstützt wurde dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm durch öffentliche Aufträge, die al-lerdings mit einem Umfang von 302 Mill. RM bescheiden blieben.

Die Großindustrie konnte mit der Regierung Papen also im wesentlichen zufrieden sein, wenn auch zuweilen das Übergewicht der Vertreter agrarischer Interessen im Kabinett beklagt wurde; die Warnungen des RDI vor einseitig proagrarischen autarkistischen Maßnahmen z. B. konnten die neuen Einfuhrbeschränkungen vom September 1932 nicht verhindern. Der NSDAP-Wahlsieg im Juli 1932 hatte indes die Industrie schon wieder aus anfänglicher Zufriedenheit aufgeschreckt: Papens Tage schienen gezählt, die Gefahr einer — von Gregor Strasser befürworteten — parlamentarischen Mehrheitsregierung von NSDAP und Zentrum zog herauf. Diese Entwicklung brachte die Beziehungen von Großindustrie und NSDAP allmählich in die entscheidende Phase.

Kontakte zwischen Schwerindustrie und NSDAP hatten seit 1927 (Kirdorf) und verstärkt seit 1930 bestanden; seit dem Frühjahr 1931 unterstützte der Ruhrbergbau die Partei finanziell Die Beziehungen waren jedoch zwischenzeitlich immer wieder getrübt durch das Mißtrauen der Industriellen gegenüber den ständischen Ideen Otto Wilhelm Wageners, den staatssozialistischen Plänen Gregor Strassers, überhaupt gegenüber dem verwirrenden Nebeneinander verschiedener wirtschafts-und sozialpolitischer Zielsetzungen in der NSDAP. Allerdings waren sich auch die Industriellen selbst über ihre politischen wie ökonomischen Ziele uneins. Die miserable Lage des Exports nach der Pfund-Abwertung im September 1931 sowie die Unzufriedenheit mit Brünings Politik bewirkten ein breiteres Interesse an der NSDAP, das sich in der Teilnahme etlicher führender Wirtschaftler am Harzburger Treffen äußerte; doch hielt die Einigkeit nicht lange vor. Der Block der Schwerindustrie zerfiel rasch wieder, nicht zuletzt auf Grund der Irritation durch den „deutschen Sozialismus“ der NSDAP, den diese immer mal wieder herausstreichen mußte, um ihre kleinbürgerlichen Wählermassen nicht zu verlieren. Diese Irritation war auch durch Hitlers Vortrag im Düsseldorfer Industrieclub im Januar 1932 nicht beseitigt. Eher schon wirkten hier erste Schritte Hitlers in Richtung auf eine Beschneidung der Funktionen Strassers, Wageners und Gottfried Feders beruhigend; der dadurch an Gewicht innerhalb der NSDAP gewinnende Walter Funk entsprach als Wirtschaftsberater Hitlers weit eher den Wünschen der Industrie.

Zum nachhaltigen Abbau des Mißtrauens regte der ehemalige Reichsbankpräsident Schacht eine Koordinierungsstelle zwischen Wirtschaft und NSDAP an, die im Juni 1932 als „Arbeitsstelle Schacht" unter tatkräftiger Mithilfe von Reusch, Thyssen, Springorum, Vogler seitens der Schwerindustrie und von Schroeder und von Strauß seitens der Bankwelt ins Leben trat. Zusammen mit einer Gruppe um Hitlers Wirtschaftsexperten Keppler bildete sie den „Keppler-Kreis", dem sich auch Vertreter der Großagrarier und des Groß-und Überseehandels anschlossen. Chemie-und Elektroindustrie waren in diesem Kreis nicht vertreten, ebensowenig die klein-und mittelbetriebliche verarbeitende Industrie. Der Keppler-Kreis entwickelte sich zur „Keimzelle für wichtige Grundsatzentscheidüngen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik" die damit im Sinne der Interessen der Großindustrie vorgeformt wurde; das noch von Strasser inspirierte „Wirtschaftliche Sofortprogramm" der NSDAP vom Sommer 1932 trat auf diese Weise faktisch schnell außer Kraft.

Dennoch war noch kein endgültiges Einverständnis zwischen Großindustrie und NSDAP hergestellt; zur Zeit der Regierung Papens sah Schacht sich z. B. veranlaßt, die Industriellen zu warnen, nicht gleich jeder Regierung „nachzulaufen". In der Novemberwahl von 1932 engagierte die Mehrheit der Industrie sich noch einmal für den bürgerlichen Rechtsparteien. Die NSDAP verlor 38 Sitze und befand sich auf dem Höhepunkt ihrer finanziellen Schwierigkeiten. Nun aber berief Hindenburg Schleicher zum Kanzler, der von Anfang an sowohl von der Schwerindustrie als auch von den Großagrariern abgelehnt wurde; aus Industriekreisen unterstützten ihn nur eine kleine DIHT-Gruppe und ein Kreis um Otto Wolff und Paul Silverberg. Schleicher plante eine angeblich „staatssozialistische" Arbeitsbeschaffungs-und eine wieder etwas gewerkschaftsfreundlichere Sozialpolitik; er suchte Kontakte sowohl zum ADGB als auch zu Strasser und propagierte ein Bündnis der Gewerkschafter quer durch SPD, Zentrum und NSDAP, und dieses „Schreckbild einer auf eine Gewerkschaftsfront gestützten sozialen Diktatur mit unübersehbaren staatskapitalistischen Zügen" mobilisierte die Unternehmerschaft gegen Schleicher und für die NSDAP. In der Schwerindustrie kam die Angst um die noch immer in Reichshand befindliche Gelsenberg AG/Vereinigte Stahlwerke hinzu: unter Schleicher mußte deren „Sozialisierung" befürchtet werden. Die Zusicherungen, die Hitler in puncto Stahlverein gab sowie die Anfang Dezember erfolgte Entmachtung Strassers und Feders räumten das Mißtrauen der Schwerindustrie gegenüber der NSDAP endgültig aus; zu der bereits lange gehegten Erwartung, daß eine Regierung durch die NSDAP zu großen Staatsaufträgen und zu einer Rüstungskonjunktur führen werde, kam nun auch die Zuversicht, daß die Privilegien der Privatwirtschaft unangetastet bleiben würden.

Die Regierung Schleicher führte so schließlich eine breite industrielle Koalition für Hitler zusammen; wiederum in Kooperation mit den Großagrariern brachte sie das Kabinett Schleicher zu Fall und Hitler an die Macht.

Die Gewerkschaften waren auch nach dem Sturz Brünings weitgehend passiv geblieben. Zum einen waren sie geschwächt durch Arbeitslosigkeit und Mitgliederschwund (die Mitgliederzahl sank von 4, 94 Millionen Ende 1929 auf 4, 13 Millionen Ende 1931) zum anderen gelähmt durch den innerorganisatorischen Kampf gegen KPD und die „Revolutionäre Gewerkschaftsopposition" (RGO), die für die seit Sommer 1932 wieder verstärkte Streik-tätigkeit verantwortlich war. Auch der Staatsstreich in Preußen, anläßlich dessen der Generalstreik gefordert wurde, riß den ADGB nicht aus seiner Resignation. Statt dessen versuchte er sich ansatzweise in der Anpassung nach rechts so fanden im Mai 1932 auf eine Reichstagsrede Strassers hin Gespräche mit diesem statt, die aber ergebnislos blieben und überdies nach außen hin vom ADGB dementiert wurden. Mit dem Regierungsantritt Schleichers blühten in Gewerkschaftskreisen noch einmal Hoffnungen auf: Der „soziale General" schien sich mit seinem Arbeitsbeschaffungsprogramm gewerkschaftlichen Vorstellungen zu nähern. Schon vor seinem Regierungsantritt hatte es Gespräche zwischen dem ADGB, Schleicher und Strasser gegeben (9. September 1932), in denen u. a. über den ständischen Umbau der Gewerkschaften verhandelt wurde; während seiner Regierungszeit kam es zu etlichen Kontakten zwischen Schleicher und Leipart, was zu wachsenden Divergenzen zwischen ADGB und SPD führte. Die Freude über die gewerkschaftlichen „Erfolge" in der Regierungszeit Schleicher dauerte indes nicht länger als diese selbst. ♦ Das Fazit dieses Rückblicks auf die Weltwirtschaftskrise ist ziemlich eindeutig: Zwar litten alle Wirtschaftszweige und Berufsgruppen unter den Auswirkungen der Krise — die Industrieproduktion ging um 43 °/o (1927/28 bis 1932/33), das Volkseinkommen nominell um 41 °/o (1928— 1932) zurück, die Arbeitslosigkeit stieg auf über 6 Millionen (seit Februar 1932) an, was eine Quote von über 30 0/0 bedeutete —, doch sorgte die staatliche Wirtschaftspolitik dafür, daß die Lasten sozial asymmetrisch verteilt wurden. Das Interesse der Unternehmer an der Reduzierung der Löhne und dem Abbau der Sozialleistungen setzte sich voll durch; betroffen waren dadurch die Tariffreiheit sowie besonders die Arbeitslosenversicherung, zwei wesentliche Elemente des institutionalisierten „Klassengleichgewichts" in der Weimarer Republik also, das nun hinfällig war. Im ökonomischen Bereich hatten die Unternehmer weiterhin steuerliche Entlastung gefordert; diese wurde ihnen ebenso gewährt wie spezielle Hilfen in Einzelfällen (Gelsenberg z. B.). Wo staatliche Maßnahmen drohten, die ihren Interessen widersprachen (Senkung der Kartellpreise), erwiesen sie sich sogar als erfolgreich in dem Bestreben, eine widerspenstige Regierung loszuwerden

Politisch waren wesentliche Teile der Industrie — besonders der Schwerindustrie — interessiert an der Ablösung des Parlamentarismus durch eine autoritäre Regierungsform, ei-nem „starken" Staat, der gleichwohl der Privatwirtschaft ihre Freiheit ließ, Dieses Interesse glaubten sie zunächst im Präsidialkabinett Papens verwirklicht, doch zeigte sich, daß auch ein autoritäres Regime Massenunterstützung brauchte — die NSDAP war daher schließlich der bessere Partner und wurde darum entsprechend unterstützt. Auch hinsichtlich ihrer politischen Ziele war die Großindustrie also letztlich erfolgreich.

Bemerkenswert in diesem Prozeß der Interessendurchsetzung war, daß die Großindustrie für ihre Erfolge im Grunde kaum einer „Organisation" bedurfte. Der RDI verlor im Verlauf der Krise zusehends an Bedeutung, und die Einzelverbände bekämpften sich z. T. gegenseitig, während die Führer der wichtigsten Großkonzerne und speziell die Gruppe um den Stahlverein an Macht gewannen und die Richtung bestimmten. Das deutet darauf hin, daß das Unternehmer-„Fußvolk", das die Mehrheit der Verbandsmitglieder stellt, die durch die Krise stark geschwächten Klein-und Mittelunternehmer, nicht viel zu sagen hatten, und zeigt zugleich, daß die Führer einer hochkonzentrierten Wirtschaft besonderer Interessenorganisationen gar nicht bedürfen. Der Masse der Arbeitnehmer dagegen, ohne Organisation völlig machtlos, nützte in der Krise auch die „machtvollste" Organisation nichts: Mit zunehmender Krisendauer trat diese schließlich sogar kaum noch in Erscheinung.

Interessenpolitik in den Jahren der Rezession seit 1973

Wie zu Beginn der Weimarer Republik scheint in der Bundesrepublik auf den ersten Blick das Gleichgewicht der „Sozialpartner" gesichert. Vor der Gründung der Bundesrepublik war die Grundstimmung der Bevölkerung sogar eher „sozialistisch". Die Gewerkschaften waren bestrebt, die Lehren aus der Weimarer Zeit zu ziehen; sie schlossen sich zu einer machtvollen Einheitsorganisation zusammen. Im Urteil der Unternehmerseite — BDI und BDA vor allem — war diese Organisation den ihren politisch denn auch überlegen, setzte sie sich doch in der Frage der Montanmitbestimmung durch. Dieser größte Erfolg des DGB im innenpolitischen Machtkampf beruhte indes auf ganz besonderen Bedingungen — Druck seitens der englischen Besatzungsmacht, Uneinigkeit zwischen BDI und BDA wegen der Angst der Ruhrindustrie vor Entflechtung und Enteignung, um nur zwei Faktoren zu nennen — und konnte nicht wiederholt werden, wie schon gleich darauf die gewerkschaftliche Niederlage im Kampf um das Betriebsverfassungsgesetz zeigte.

Bezüglich der institutionalisierten Einflußwege auf die Politik, deren wichtigster der Kontakt zur Ministerialbürokratie ist, erwiesen sich — wie in der Weimarer Republik — die Unternehmerorganisationen dem DGB als strukturell überlegen die Überlegenheit verstärkte sich in der Ära Adenauer noch durch die guten persönlichen Beziehungen zwischen Adenauer und dem langjährigen BDI-Vorsitzenden Fritz Berg sowie durch die Freundschaft Adenauer-Pferdmenges. Gleichwohl läßt sich für die Adenauerzeit eine „relative Autonomie der Regierungsspitze gegenüber Partikularinteressen" feststellen; der Einfluß der Wirtschaft machte sich eher dadurch bemerkbar, daß Adenauer ökonomische Prinzipien und Interessen „verinnerlicht" hatte, als durch direkten Interessentendruck Die Unternehmerorganisationen — an ihrer Spitze als mächtigste der weitgehend von der Großindustrie beherrschte BDI — gewannen jedoch zunehmend an politischem Eigengewicht, sowohl gegenüber der Regierung und der Ministerialbürokratie als auch gegenüber der von ihr hauptsächlich unterstützten und finanzierten Partei, der CDU/CSU Der Einfluß auf die CDU wurde im Dezember 1963 mit dem „Wirtschaftsrat der CDU e. V.“ institutionalisiert, der sich durch seine parteiexterne Stellung die eigene Unabhängigkeit wahrt, aber nicht nur als Interessenvertretung gegenüber der Partei, sondern zugleich als deren wirtschaftliches Sprachrohr fungiert Insgesamt hat der Einfluß der Industrie ein solches Ausmaß angenommen, daß (in den sechziger Jahren) BDI-Funktionäre „privat" selbst angaben, BDI und Großbanken seien die mächtigsten Gruppen in der Bundesrepublik und hätten ihre Interessen meist durchgesetzt

Die Gewerkschaften waren demgegenüber stets in der schwächeren Position. Selbst ihr Einfluß auf die ihnen am nächsten stehende Partei, die SPD, ist geringer als der der Industrie auf die Union: In Konfliktfällen zeigte sich, daß die Parteidisziplin in der Regel das Gewerkschaftsinteresse überwog; eine dem „Wirtschaftsrat der CDU" vergleichbare institutionalisierte Interessenvertretung gegenüber der Partei fehlt ebenso wie das Druckmittel der Parteifinanzierung. Wie wenig Arbeitnehmerinteressen sich durchzusetzen vermögen, wurde schließlich besonders in den Zeiten deutlich, in denen die SPD Regierungspartei war; dies waren allerdings zugleich Zeiten der „Krise".

Die Konzertierte Aktion

Im Zusammenhang mit der Rezession 1966/67 kam es in der Großen Koalition erstmals zur Regierungsbeteiligung der SPD; ihrer tatkräftigen Mithilfe ist die Verbesserung der staatlichen Konjunkturpolitik durch das Stabilitätsgesetz (vom 6. August 1967) zu danken. Wesentlicher Teil dieses Gesetzes ist die „Konzertierte Aktion" (§ 3 StabG); 1t. Gesetz soll die Bundesregierung „Orientierungsdaten" vorlegen für eine „Konzertierte Aktion" —ein „abgestimmtes Verhalten" von Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmer-verbänden. In der Praxis spielten die Gebiets-körperschaftenin der Konzertierten Aktion jedoch kaum eine Rolle; Teilnehmer der Aktion waren — außer Vertretern der Bundesregierung — Vertreter der Bundesbank, des Sachverständigenrats, des Kartellamts, des BDI, der BDA, des DIHT, des Zentralverbands des deutschen Groß-und Außenhandels, des Handwerks, des Bundesverbands deutscher Banken, des Bauernverbands, der DAG sowie des DGB und seiner Einzelgewerkschaften (auf der Arbeitgeberseite waren die Branchen nicht eigens vertreten, da die Unternehmerinteressen durch die übrigen Spitzenverbände hinreichend vertreten schienen). Diese Teilnehmer sollten sich regelmäßig treffen, um so stärkere Transparenz der Interessen und vermehrte Einsicht in ökonomische Zusammenhänge zu erreichen; beides sowie der durch die Publizitätswirkung der Konzertierten Aktion geschaffene Druck der öffentlichen Meinung sollten ausreichen, die Verbände und „Sozialpartner" zu freiwilligem „abgestimmtem Verhalten" im Sinne der — nicht verbindlichen — Orientierungsdaten der Regierung zu veranlassen.

Seitens des DGB wurde die Konzertierte Aktion zunächst begrüßt; er erhoffte sich von einer institutionalisierten Gesprächsrunde Debatten nicht nur über aktuelle konjunkturpolitische Fragen, sondern auch eine Verständigung über längerfristige Reformvorhaben und sah in der Konzertierten Aktion einen ersten Schritt in Richtung auf eine stärker planende Wirtschaftspolitik unter Beteiligung der Sozialpartner, also einen Schritt in Richtung auf die überbetriebliche Mitbestimmung. Auch die Arbeitgeberseite begrüßte die Aktion; allerdings sah sie in ihr ein Abwehrinstrument gegen gewerkschaftliche Lohnforderungen und verband mit ihr die Hoffnung, daß der Kostenfaktor „Löhne" nun stärker kalkulierbar werde

Die Praxis zeigte bald zweierlei: Die Konzertierte Aktion funktionierte nur in der „Krise", vor allem im Sinne der Arbeitgebervorstellungen. In der Rezession 1967 entsprach es den Einkommensinteressen der Arbeitnehmer wie auch der Unternehmer, daß durch konjunktur-politische Programme der Umschlag in eine Depression verhindert und ein neuer Aufschwung eingeleitet würde; vor allem die Ge-werkschaften waren daher, was die „Orien-tierungsdaten" hinsichtlich der Einkommens-entwicklung betraf, kooperationswillig und bereit zum Zurückstecken ihrer Lohnforderungen. Orientierungsdaten zur Einkommens-entwicklung sind aber nur für die Lohnentwicklung sinnvoll und effektiv, denn die Lohnerhöhungen vollziehen sich in aller Öffentlichkeit, die Gewinne dagegen sind eine von außen schwer zu ermittelnde Größe. Auch hinsichtlich der Entwicklung der Preise, Investitionen usw. lassen sich faktisch keine Leitlinien aufstellen, da sie stets mit der Entwicklung der Marktchancen, Kosten, Erwartungen u. dgl. zu rechtfertigen und darum kaum durch die Wirtschaftspolitik kontrollierbar sind. Die „Orientierungsdaten" bedeuteten also letztlich nichts anderes als „Lohnleitlinien" und die Konzertierte Aktion ein bloßes Instrument zur Regulierung der Lohnpolitik und zur Disziplinierung der Gewerkschaften, d. h. eine Einengung der Tarifautonomie, nicht aber der unternehmerischen Freiheit.

In diesem Sinne war die Konzertierte Aktion 1968 „erfolgreich": Die Gewerkschaften hielten sich an die Orientierungsdaten, was dazu führte, daß die Effektivlöhne netto um 5 %, die Gewinne — ebenfalls netto — dagegen (soweit ermittelbar) um 22 0/0 stiegen Wirtschaftsminister Schiller suchte die Arbeitnehmer damit zu trösten, daß „soziale Symmetrie" nur mittelfristig erreichbar sei, doch verwahrten die Unternehmer sich von vornherein vor einem späteren Ausgleich der für sie so günstigen Entwicklung. Schon 1967 warnte der Vorsitzende des Deutschen Industrieinstituts (jetzt Institut der deutschen Wirtschaft), Rolf Rodenstock, daß der Begriff „Soziale Symmetrie" — ohnehin ein Begriff aus der Vorstellungswelt des . Kollektivismus'— bei den Unternehmern Befürchtungen wachrufe, die das gerade ansteigende Stimmungsbarometer wieder nach unten ausschlagen ließen

Die Schere zwischen Lohn-und Gewinnentwicklung kam dadurch zustande, daß das Wirtschaftswachstum um einiges höher war als prognostiziert. Spätestens seit 1969 befand man sich bereits in einem neuen kräftigen Aufschwung, und spätestens seitdem „funktionierte" auch die Konzertierte Aktion nicht mehr. Offensichtlich müssen „Leitlinien" wie die der Konzertierten Aktion immer dann er-folglos bleiben, wenn sie die beteiligten Gruppen an der Ausnutzung ihrer Marktchancen hindern dies trifft stets auf Versuche der (freiwilligen) Regulierung der Preise zu, traf seit dem Aufschwung aber auch zu auf den Versuch der Regulierung der gewerkschaftlichen Lohnpolitik. Jeder Verband, der— „stabilitätsbewußt" — sich in solchen Situationen auf derartige Einengungen seiner Handlungsfreiheit einließe, müßte mit ernsten Konflikten mit seinen Mitgliedern rechnen.

Eben das war die Lage der Gewerkschaften 1969. Verantwortungs-und stabilitätsbewußt hatten sie die Reduzierung der Lohn-quote hingenommen und sich obendrein lange Laufzeiten der Tarifverträge aufdrängen lassen. Die Reaktion hierauf waren die Septemberstreiks 1969 (die allerdings auch noch andere Ursachen hatten); mit ihnen kam es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zu „wilden" Streiks und damit zum Protest der Arbeiter gegen die Gewerkschaftsführung.

1969 waren diese Streiks den Gewerkschaften insofern gelegen, als sie sie aus der von der langen Laufzeit der Tarifverträge herrührenden tarifpolitischen Untätigkeit befreiten; sie führten außerdem dazu, daß der DGB fortan nicht mehr gewillt war, sich an die in der Konzertierten Aktion ausgegebenen Lohnleitlinien zu halten. Auf entsprechenden Druck des DGB hin wurden die Tariflohn-Orientierungsdaten 1970 schließlich aus den Jahreswirtschaftsberichten der Regierung gestrichen. Da dadurch das Interesse der Unternehmerseite an einer Abwehr von Lohnforderungen in der Konzertierten Aktion nicht mehr gewährleistet war, andererseits die mit der Aktion verbundenen Hoffnungen des DGB getrogen hatten und Preispolitik ohnehin ein tabuiertes Thema war, verloren nahezu alle Gruppen das Interesse an der Konzertierten Aktion; sie wurde weitgehend funktionslos: reduziert auf eine unverbindliche Veranstaltung zu gegenseitigem Meinungsaustausch. 1973/74 kam es gleichwohl erneut zu spontanen Streiks: In Baden-Württemberg und im Unterweser-Gebiet versuchten die Arbeiter die aus stabilitätspolitischen Rücksichten zustande gekommenen „maßvollen" Tariflohnerhöhungen (8, 5 % bei einer Preissteigerungsrate von fast 8 %) zu korrigieren. Diesmal stießen die Streikenden auf eine z. T. schroff ablehnende Haltung der Gewerkschaften, die die Streiks „linksextremen" Kreisen in die Schuhe schoben und in Einzelfällen sogar mit den Unternehmensleitungen zusammenarbeiteten, um die Ausstände zu beenden und die „Aufrührer" zu isolieren. Der Grund für das veränderte Verhalten der Gewerkschaften im Vergleich zu 1969 lag in der veränderten ökonomischen Situation: Seit 1973 hatte man zugleich mit Inflation und beginnender Rezession zu tun. Der ohnehin vorhandene Druck auf die Gewerkschaften, die Lohnforderungen zu dämpfen, verstärkte sich daher durch die Koppelung mit der Drohung, daß andernfalls das „Beschäftigungsrisiko reprivatisiert" werden müsse d. h. mit Arbeitslosigkeit zu rechnen sei. Damit war der Handlungsspielraum der Gewerkschaften beim Versuch der Durchsetzung der Arbeitnehmerinteressen entscheidend eingeengt; zugleich standen sie dem Dilemma gegenüber, entweder zur weiteren Verschlechterung der Lage der Arbeitnehmer beizutragen oder aber selbst die Unterstützung durch ihre Mitgliederbasis zu verlieren.

Unternehmer und Krise

Die Rezession der Jahre seit 1973 begann so mit einer gleichzeitigen Schwächung und Lähmung der Gewerkschaften, die — ähnlich wie in den Jahren nach 1930 — auf die wachsende Unzufriedenheit der Mitgliedschaft kaum anders zu reagieren wußten als mit „Extremistenbeschlüssen" und ähnlichen innerverbandlichen Restriktionen gegen die „kommunistische" Opposition. Für die Unternehmer — genauer: für deren mächtigste Fraktion — stellte sich die Rezession von vornherein anders dar: als Mittel, bestimmte Ziele durchzusetzen bzw. unliebsame Tendenzen und Bestrebungen erfolgreich abzuwehren.

Bereits seit dem Herbst 1973 war die wirtschaftliche Rezession abzusehen und entsprechend von den Konjunkturforschungsinstituten prognostiziert worden; in der Automobil-industrie begann die Kurzarbeit Vorerst jedoch behielt die Regierung ihren „stabilitäts" -orientierten Kurs bei, unterstützt z. B. vom DIHT, der im Februar 1974 forderte, die Regierung müsse die Priorität auf die Stabilitätspolitik legen. Im Kampf gegen die Inflation solle sie nicht die Mehrwertsteuer, sondern die Steuern auf Einkommen aus unselbständiger Arbeit (mittels Konjunkturzuschlag) erhöhen und das Volumen der öffentlichen Haushalte einschränken; keinesfalls dürften aber Preiskontrollen und Genehmigungsverfahren bei Preiserhöhungen eingeführt werden. Derartige Äußerungen spiegeln das Unbehagen der Industrie gegenüber der sozialliberalen Koalition wider, vor deren „Experimenten" man nie sicher zu sein glaubte; schon im November 1971 hatte dieses Unbehagen in einer BDI-Anzeigenaktion gegen die sozialliberale Regierung unter dem Motto „Wir können nicht länger schweigen" Ausdruck gefunden.

Im Unterschied zum DIHT forderte die Automobilindustrie im Sommer 1974 eine Abkehr von der restriktiven Wirtschaftspolitik und verlangte nach umfassender staatlicher Förderung ihrer Branche als die Regierung dies ablehnte, drohte der VDA mit Entlassungen. Der BDI tolerierte die Extra-Forderungen der notleidenden Branchen (zu denen vor allem auch die Textilindustrie gehörte), verfolgte selbst aber eine andere Linie: Anfang August erklärte sein Vorsitzender Hans-Günther Sohl, daß eine Ankurbelung der privaten Investitionstätigkeit zwar allmählich notwendig werde, dies aber am besten durch eine Stabilisierung der Kosten — in erster Linie der Lohnkosten — sowie durch eine restriktive staatliche Haushaltspolitik geschehen müsse; allgemeine Konjunkturspritzen lehne er ab, doch solle man die „bürokratischen" Umweltschutzverfahren abbauen, die etliche Investitionsvorhaben blockierten Während dieser Zeit waren ein „Kurswechsel" der Regierung und ein Eventualhaushalt im Gespräch, den der BDI offenbar zu verhin-dem trachtete. Dennoch beschloß die Regierung im September 1974 eine — bescheidene — Konjunkturspritze: Bund und Länder sollten zusammen 950 Mill. DM zur regionalen und lokalen Konjunkturabstützung im Baubereich (Infrastruktur, Wohnungen, Verkehr) bereitstellen.

Die Spritze erwies sich als völlig unzureichend, mit der Folge, daß es im November 1974 bereits 672 000 Arbeitslose gab. DGB und SPD forderten schnelles und stärkeres „Ankurbeln", einige Bundesländer erstellten Konjunkturprogramme; die Konjunkturforschungsinstitute jedoch, von BDI und DIHT mit Beifall bedacht, forderten in ihrer gemeinsamen Prognose für 1975 eine Fortführung der „harten" Geldpolitik und Zurückhaltung in der Lohnpolitik Hanns Martin Schleyer von der BDA warnte vor einem „Gasgeben"; Staat und Bundesbank sollten weiterhin eine stabilitätsorientierte Politik betreiben, vor allem aber müsse auf eine restriktive Lohnpolitik geachtet werden. Otto Wolff von Amerongen erklärte kurz darauf in einem Interview Allein die Arbeitslosenzahlen drükken zu wollen, beseitige noch nicht die Wurzeln der Investitionszurückhaltung. Dies war eine an die Regierung gerichtete deutliche Warnung, daß neue Konjunkturspritzen wirkungslos verpuffen könnten. Die Regierungskoalition war über dieses Thema ohnehin zerstritten; die SPD mit Kanzler Schmidt wollte „Gas geben", und zwar mittels zusätzlicher Ausgabenprogramme, während die FDP sich weiterhin fürs „Bremsen" aussprach und, wenn überhaupt, eine Konjunkturankurbelung nur mittels Zulagen an die Unternehmer wünschte.

Bis zum Dezember wuchs die Arbeitslosenquote auf 3, 5 °/o an (von 3 °/o im Oktober); der BDJ äußerte hierzu, daß nunmehr äußerste Mäßigung bei Tarifverhandlungen angeraten sei, während der DGB „Sofortmaßnahmen" forderte. Mitte Dezember kam es schließlich zum neuen Konjunkturprogramm, das zusätzliche Staatsausgaben in Höhe von 1, 7 Mrd. DM (für Investitionen im Energie-, Bau-und Fahrzeugbaubereich) vorsah, Steuerbegünstigungen nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes, eine Steuer-und Kindergeldreform (zur Kaufkrafthebung), Lohnkostenzuschüsse für neugeschaffene Arbeitsplätze und als Kernstück — hierbei hatte die FDP sich durchgesetzt — die Förderung privater Investitionen (gleichgültig ob Neu-, Ersatz-oder Rationalisierungsinvestition) durch eine Investitionszulage von 7, 5 °/o, die der Industrie knapp 8 Mrd. DM einbrachte. Die Reaktion der Wirtschaft auf das Programm war „eher Skepsis und Kritik" von den angebotenen Vergünstigungen wurde nur zögernd Gebrauch gemacht — angeblich (wie die Spitzenverbände auf Befragen angaben) wegen der weiterhin bestehenden Unsicherheit über die wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Vorhaben der Regierung

Anfang 1975 stieg die Arbeitslozenzahl auf über eine Million an; die Konjunkturforschungsinstitute verbreiteten Optimismus und rieten zu konjunkturpolitischer Abstinenz, der Bundesverband Deutscher Banken warnte vor einem „bedingungslosen Umschwenken" von der Stabilitäts-auf Beschäftigungspolitik Während Otto Wolff von Amerongen wieder einmal äußerte, zur dauerhaften Verbesserung des Investitionsklimas seien nicht Konjunkturprogramme, sondern maßvolle Tarifabschlüsse, steigende Ertragskraft der Unternehmen und Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft nötig wandte Rolf Roden-stock sich gegen den aufkeimenden Verdacht, die Unternehmer wollten aus „politischen" Gründen nicht mehr investieren: Solche Mutmaßungen seien „abenteuerlich"; auch die Unternehmer seien am Erfolg des Konjunkturprogramms interessiert, doch gebe es dafür nun einmal keine „Erfolgsgarantie", entscheidend sei vielmehr die Entwicklung der Lohn-kosten Inzwischen forderten nicht nur die Gewerkschaften weitere Maßnahmen — so erklärte Vetter, man müsse sich jetzt öffentlich mit der unternehmerischen Investitionspolitik befassen —, sondern auch Handwerk und Handel: Sie riefen nach Zinssenkung, Verlustrücktrag und steuerfreier Investitionsrücklage. Das einzige Ergebnis derartiger Forderungen war jedoch die Senkung des Diskontsatzes von 6 auf 5, 5% (Anfang Februar); eine 1°/oige Senkung erschien der Bundes-bank stabilitätspolitisch bereits zu gewagt. Aus dem Hause Friderichs war wiederholt zu hören, daß kein neues Konjunkturprogramm geplant sei; Friderichs wandte sich zwar nicht gerade gegen die zusätzlichen Konjunkturprogramme einiger Bundesländer, meinte aber, man solle besser jetzt „die Nerven behalten"

Darin war er sich einig z. B. mit Fritz Dietz vom Bundesverband des Deutschen Groß-und Außenhandels: Es seien „langer Atem und starke Nerven" nötig, denn „selbst ein optimales Programm wäre keine konjunkturpolitische Wunderwaffe"; schließlich hätten „aus unternehmerischer Sicht ... zunächst Konsolidierung und Rationalisierung Vorrang vor Expansion" Er wußte auch anzugeben, was den Erfolg von Konjunkturprogrammen derzeit notwendig beeinträchtige: die Folgen der Steuerreform und die seit dem 1. Januar 1975 erhöhten Sozialabgaben, Pläne betr. eine Arbeitsmarkt-und eine Berufsbildungsabgabe sowie die Sorge vor der paritätischen Mitbestimmung und vor neuen Vermögensbildungsprojekten. Mindestens ebenso deutlich stellten die Wirtschaftskommentatoren der FAZ klar, woran die deutsche Wirtschaft augenblicklich kranke: Die Zukunftserwartungen der Unternehmer seien durch schlechte Erfahrungen geprägt, die Erfahrung nämlich, „daß in den letzten Jahren eine Wirtschaftsund Sozialpolitik betrieben wurde, die zu einem guten Teil darin bestand, den Unternehmen immer neue Lasten aufzubürden" und daß die Gewerkschaften „weit über das vertretbare Ziel hinausgeschossen" seien; warum solle man aber investieren, wenn „die Früchte weitgehend von anderen eingeheimst werden"? Hinzu komme die „psychologische Hypothek" der drohenden paritätischen Mitbestimmung — kurz, die Unternehmer seien durch und durch „verunsichert" weshalb nun alles davon abhänge, ob es der Regierung gelinge, wieder ein „Klima des Vertrauens" herzustellen, in dem die Unternehmer damit rechnen könnten, daß die Regierung endlich „den inneren Zusammenhang zwischen Konjunktur-und Gesellschaftspolitik erkannt" habe und fähig sei, diese Erkenntnis auch ihren Parteimitgliedern sowie den Gewerkschaften einzuhämmern. Berufsbildungsgesetz, Mitbestimmung, „weiter steigende Soziallasten" und das „wuchernde Wachstum des Staatsverbrauchs mitsamt . . . potentiellen Steuererhöhungen" gefährdeten bislang die Konjunktur; nun sei die Einsicht fällig, daß auch die Gesellschaftspolitik „sich auf die Dauer nicht gegen den Willen der Betroffenen richten" könne

Vor allem bei Wirtschaftsminister Friderichs setzte sich in der Tat diese Einsicht durch; so sorgte er dafür, daß dem von Minister Rohde vorgelegten Entwurf einer Berufsbildungsreform „so viele Giftzähne gezogen (wurden), daß sie von der Wirtschaft verdaut werden kann" und begann — entgegen seinen Kabinettskollegen — die Möglichkeit eines Verlustrücktrags zu „prüfen", für dessen Einführung die Spitzenverbände der Wirtschaft sich inzwischen einsetzten.

In der Öffentlichkeit stand allerdings weiterhin die Forderung nach „lohnpolitischer Zurückhaltung" im Vordergrund — so u. a. in einer gemeinsamen Erklärung von DIHT, BDI, BDA und Zentralverband des Deutschen Handwerks, die sich im übrigen gegen eine Verlängerung der Investitionsprämie und gegen neue kurzfristige Konjunkturprogramme wandte (3. Juni 1975). Sohl erklärte auf der BDI-Jahrestagung in München, die Unternehmen müßten „verläßlich gegen Überforderungen bei Löhnen und Steuern gesichert werden" — die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Zugleich schien die Neigung, sich aus der „Talsohle" der Konjunktur heraushelfen zu lassen, weiterhin bemerkenswert gering: Mitte Juni waren von den im Rahmen des Konjunkturprogramms vom Dezember zur Verfügung gestellten Beschäftigungshilfen weniger als zwei Drittel abgerufen

Während die Unternehmen eine derartige Abstinenz an den Tag legten und Spitzen-funktionäre wie Schleyer unentwegt vor Konjunkturankurbelungsversuchen warnten — statt dessen solle besser das System öffentlicher Dienstleistungen und sozialer Sicherung auf „Übertreibungen" hin durchforstet werden —, kam für Industrie und Regierung gleichermaßen überraschend ein Exporteinbruch, der die vorsichtig optimistischen Prognosen der Regierung zunichte machte und nun auch im Unternehmerlager erste Stimmen zugunsten von Konjunkturspritzen und Staatshilfen laut werden ließ Doch trotz der sich nun rapide verschlechternden Wirtschaftslage blieb der Tenor der Äußerungen bei der Mehrzahl der Wirtschaftsfunktionäre gleich: keine neuen Konjunkturprogramme, die nichts nützen, sondern nur die Inflationsgefahr verstärken würden. Am entschiedensten in dieser Richtung argumentierten H. M. Schleyer von der BDA und Otto Wolff von Amerongen vom DIHT; Sohl (BDI) und F. Wilhelm Christians (Bundesverband Deutscher Banken) schienen eine eher „abwartende" Haltung einzunehmen. Identisch waren bei den Vertretern dieser Spitzenverbände jedoch die dezidierten Forderungen, von deren Erfüllung ein künftiger Aufschwung abhängig gemacht würde: „Allerdings muß sich dann einiges ändern. Die Unternehmer müssen ihr Vertrauen wiederfinden. Sie müssen zuversichtlich sein, daß ihre Rolle begriffen wird und daß man den Unternehmen Belastungen abnimmt, die sie einfach nicht tragen können." „Es kommt ... auf eine grundsätzliche Änderung des allgemeinen Trends an." Zu diesen grundsätzlichen kamen konkrete Forderungen nach einer Verminderung der Steuern im Unternehmensbereich, besonders der gewinnunabhängigen, einer „Entkrampfung" des Verteilungskampfes, sprich äußerster Zurückhaltung bei Lohnforderungen, einem Verzicht „auf jene gesellschaftspolitischen Vorhaben . . ., die neue Konflikte und Kontroversen programmieren" sowie nach einem Verzicht auf neue Sozialleistungen. Das Verlangen nach ihrer Reduktion wurde zwar nicht explizit geäußert, doch hieß es verschiedentlich, daß das System der sozialen Sicherung „überzogen" sei und hier „ein neues Gleichgewicht" gefunden werden müsse Sollte der Staat zur Erfüllung dieser Bedingungen, als „Vorleistung", nicht bereit sein — so wurde gedroht —, „dann muß er konsequenterweise auf längere Sicht mit einer stagnierenden Wirtschaftslage mit entsprechend höheren Zuschüssen für die Arbeitslosenunterstützung und mit einer Reihe anderer gewichtiger Nachteile fertig werden"

Wirtschaftsminister Friderichs machte sich das Gros dieser Argumente zu eigen. Auch er klagte über zu hohe Lohnkostenbelastung der Unternehmen zu hohen Staatsverbrauch und vor allem über die „Unsicherheit" der Unternehmer ob der Diskussion „bestimmter Reformvorhaben der Koalition", verschärft noch durch die „öffentliche Auseinandersetzung über systemverändernde Forderungen" wie etwa die nach Investitionslenkung. Dies alles müsse ein Ende haben; den Unternehmen müsse garantiert werden, daß bis auf weiteres keine Steuern und Sozialabgaben erhöht würden, die Sozialleistungen müßten „durchforstet", die ertragsunabhängigen Steuern „überprüft" und ein Verlustrücktrag eingeführt werden — andernfalls könne auch ein weiteres Konjunkturprogramm nur wieder ein Fehlschlag werden Obwohl der Sachverständigenrat in einem Sondergutachten im Sommer 1975 ein neues Konjunkturprogramm gefordert hatte, zögerte die FDP dessen Verabschiedung hinaus. Friderichs erklärte die geforderte „Spritze" von 10 Mrd. DM für unrealistisch und warnte vor zu hohen Erwartungen an ein solches Programm-, alle Gruppen in der Bundesrepublik hätten bisher über ihre Verhältnisse gelebt und müßten nun in ihren Ansprüchen „enthaltsamer" werden, wozu auch gehöre, daß der „Wildwuchs" im System der sozialen Sicherung zurückgeschnitten werde solle es überhaupt demnächst wieder aufwärtsgehen, müsse zudem der Industrie mit Steuererleichterungen geholfen werden.

Daß bald irgend etwas geschehen mußte, war inzwischen allen Beteiligten klar, sah die Lage doch nicht nur im Hinblick auf die Arbeitslosenzahlen, sondern auch hinsichtlich der Auftragseingänge der Industrie düster aus. Der DGB forderte ein allgemeines Konjunkturprogramm, Teile der Regierung und die Bundes-bank plädierten für Stützung nur der Bauwirtschaft, der BDI sprach sich für eine „konzertierte Aktion der Vernunft" aus, die letztlich darauf hinauslief, daß Unternehmerverbände, Teile der FDP, der Ministerialbürokratie des Wirtschaftsministeriums und einige CDU-regierte Länder . konzertiert'auf eine steuerliche Entlastung der Unternehmen hinarbeiteten. Finanzminister Apel sträubte sich gegen Steuererleichterungen; der Regierungskompromiß, der in den Gesprächen am Brahmsee Ende August gefunden wurde, sah auch keine Steuererleichterungen vor, zum Ausgleich aber beträchtliche Einsparungen, u. a. bei „Auswüchsen" beim Arbeitsförderungs-und Berufsbildungsgesetz und bei der Krankenversicherung. Zugleich wurde ein Konjunkturprogramm in Höhe von 5, 75 Mrd. DM beschlossen, das in erster Linie der Bauwirtschaft zugute kommen sollte. Am 25. September 1975 wurde es vom Bundestag gebilligt, doch erging es ihm ähnlich wie dem früheren: die zur Arbeitsbeschaffung bereitgestellten Gelder wurden nur zögernd abgerufen.

Auch ging die Kampagne der Unternehmer zunächst weiter: Das Konjunkturprogramm dürfe nicht überschätzt werden, da die Unternehmen weiterhin stark belastet seien, hieß es seitens des Bundesverbandes Deutscher Banken der BDI erklärte, die Sparbeschlüsse der Regierung seien wenig geeignet, das Vertrauen der Wirtschaft in die Zukunft zu stärken, da für 1977 eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erwogen wurde und Schleyer warnte wieder einmal davor, daß die geplante Neuregelung der Mitbestimmung „den Weg aus der Rezession" erschwere, da sie Unruhe und Unsicherheit in der Wirtschaft verbreite Wolff von Amerongen sprach davon, daß es zwar keine „Investitionsverweigerung" in der gegenwärtigen Krise gebe, doch sei „die Bereitschaft zum Risiko ... in einer schwierigen Lage selbstverständlich geringer. Der Attentismus gewinnt weniger Raum, wenn die Wirtschaft Vertrauen in die zukünftigen Absichten der Politik hat, wenn es uns gelingt, die Kooperation mit der Regierung zu verbessern."

Eben dies war aber seit längerem das Bestreben der sozialliberalen Koalition, deren Spitze seit dem Herbst 1975 kaum noch eine Ge-

legenheit ausließ, die Wirtschaft mit Gunstbeweisen zu verwöhnen. „Kaum eine Woche ohne neue sozialliberale Freundschaftsgesten, kaum eine Kanzler-oder Ministerrede ohne einige Streicheleinheiten für die Unternehmer", stellte der SPIEGEL fest doch ging es nicht nur um „Streicheleinheiten", sondern um handfeste Zugeständnisse: Seit dem Oktober diskutierte die Regierung trotz des Widerstands Apels den steuerlichen Verlustrücktrag, der Anfang 1976 schließlich zustande kam, und vor allem saß ein Koalitionsausschuß seit dem Sommer 1975 daran, den Mitbestimmungsentwurf der Regierung von 1974 im Sinne der Unternehmerinteressen zu „korrigieren" — ein Verfahren, das Anfang Dezember 1975 mit dem endgültigen Verzicht auf die Parität beendet wurde. Entsprechend hörte man seit dem Winter 1975/76 aus der Industrie freundlichere Töne gegenüber der Regierung: Wolff von Amerongen fand, man könne „mit denen wieder reden"; Sohl lobt die zahlreichen diskreten Kontaktgespräche mit Koalitionsvertretern und vor allem mit Wirtschaftsminister Friderichs, demgegenüber der BDI sich indes öffentlich zur Zurückhaltung verpflichtet sehe, da Friderichs bereits „verdächtigt" werde, „mit den Unternehmern gemeinsame Sache zu machen" Etliche Unternehmer hatten nun offenbar den Eindruck gewonnen, daß Schmidt und Friderichs wider Erwarten die Interessen der Industrie wahrnähmen, was Peter von Siemens in die Worte kleidete: Zwar sei anfangs „das Klima für uns nicht gerade freundlich" gewesen, doch seien nun zahlreiche Kollegen „der Meinung ..., daß wir uns, was wirtschaftliche Einsicht betrifft, keinen besseren Kanzler und keinen geeigneteren Wirtschaftsminister wünschen können"

Während der ganzen Zeit hatten die Gewerkschaften unermüdlich Programme zur Konjunkturbelebung gefordert und eigene Entwürfe hierzu vorgelegt. Zwar war es zu solchen Programmen gekommen, jedoch zum einen mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung, zum anderen in viel geringerem Ausmaß als von den Gewerkschaften für notwendig erachtet, und drittens blieben spezifische Forderungen — wie vor allem die nach Nachfrage-belebung, um die Ausnutzung vorhandener Kapazitäten zu sichern, bevor neue Investitionen getätigt würden — unberücksichtigt. Lohnpolitisch waren die Durchsetzungschancen der Gewerkschaften bei wachsender Arbeitslosigkeit ohnehin minimal. DGB-Chef Heinz-Oskar Vetter erklärte sich sogar explizit zu lohnpolitischer Zurückhaltung in einem „Aufschwungspakt" zwischen Gewerkschaften, Unternehmern und Politikern — praktisch einer Neuauflage der Konzertierten Aktion in ihrer alten Funktion — bereit. Ansonsten sprach er sich dafür aus, bezüglich eigener Pläne zu schweigen: „Wir wissen, daß wir, wollten wir jetzt eine Forderung wie die Investitionslenkung durchsetzen, die Krise nur verschlimmern würden." Eugen Loderer von der IG Metall gebrauchte zwar lautere Töne: Wenn z. B. angesichts des beschlossenen Sparprogramms, das „ohnehin voll zu Lasten des Arbeitnehmers" gehe, die Regierung den Unternehmern noch Steuergeschenke gewähren wolle, werde man „dagegen heftig Sturm laufen" der Sturmlauf blieb indes aus. Er blieb auch aus, als die sozialliberale Regierung, auf die der DGB einst große Hoffnungen gesetzt hatte, den Mitbestimmungskompromiß von 1974 noch einmal zuungunsten der Arbeitnehmerseite änderte.

Schließlich hielten die Gewerkschaften sich auch in den tarifpolitischen Auseinandersetzungen des Winters 1975/76 bemerkenswert zurück — trotz der sich mehrenden Anzeichen für den wieder einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung. Zum Jahresende 1975 kam es laut SPIEGEL in der nordrhein-westfälischen Metallindustrie zum Vorschlag einer Lohnerhöhung von 5 °/o bei höherem Urlaubsgeld, aber Fortfall einer Zulage, was einem echten Lohn-zuwachs von nur 4, 5 °/o entsprochen hätte; Hans Mayr von der IG Metall meinte dazu: „Aktuelle Gründe erzwingen den Verzicht auf Umverteilungsforderungen" bedachte dabei aber wohl nicht, daß mit einer solchen Lohnerhöhung nicht einmal ein Teuerungsausgleich erreicht worden wäre. In der Metall-industrie Nordwürttemberg-Nordbadens einigte man sich auf die „maßvolle" Lohnerhöhung von 5, 4 °/o (plus 330 DM für die Monate Januar bis März und einen zusätzlichen Urlaubstag) — ein Betrag, der der Bundeszentrale der Arbeitgeberorganisation Gesamtmetall gleichwohl zu hoch war, weshalb sie den Kompromiß ablehnte (er errang dennoch Gültigkeit): Anscheinend war sie der Meinung, daß die momentan noch immer schwache Position der Gewerkschaften besser hätte ausgenutzt werden sollen, wobei ihr der Wirtschaftsminister Schützenhilfe zu leisten bereit war

Die Unternehmerseite brachte unterdessen ihr Schäfchen ins Trockene: Lt. Monatsbericht der Bundesbank stiegen die Einkommen der Unternehmer im 2. Halbjahr 1975 gegenüber dem 2. Halbjahr 1974 netto um knapp 11% (und damit stärker als brutto), die Löhne und Gehälter dagegen — ebenfalls netto — nur um 1 % * Auch in der Rezession der siebziger Jahre konnten die Unternehmerinteressen sich also weitgehend durchsetzen. Ihre Hauptziele waren Reduktion der Lohnkosten, der Soziallasten und der Steuerlast, Eindämmung des Staatsverbrauchs sowie Verhinderung mißliebiger Reformen. Bezüglich der Lohnpolitik war die Unternehmerseite so erfolgreich, daß die BDA unter Schleyer gegenüber den geschwächten Gewerkschaften nun ungehindert zur Offensive übergehen und die Parole ausgeben konnte, Lohnerhöhungen nur unterhalb der Inflationsrate zuzulassen. Zum ansatzweisen Abbau der Sozialleistungen kam es mit den Sparbeschlüssen der Regierung vom August 1975; bei dieser Gelegenheit einigte die Regierung sich auch grundsätzlich darauf, den Staatsanteil am Sozialprodukt nicht weiter zu vergrößern. Die steuerliche Entlastung der Unternehmen steckt zwar noch in den Anfängen, doch ist der geforderte Verlustrücktrag realisiert; das gleiche gilt für die Reform der Körperschaftsteuer. Noch eindeutiger ist der Erfolg der Unternehmerseite in Sachen Berufsbildungsreform und Mitbestimmung. Die während der Krise gewachsene Kompromißbereitschaft der Regierung, die sich in den meisten dieser Erfolge der Wirtschaft äußert, dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, * daß die Industrie sich mit der sozialliberalen Koalition „versöhnte": Der 1971 gefaßte Plan, auf den Sturz der Regierung hinzuarbeiten, konnte fallengelassen werden.

Erfolg hatte die Unternehmerseite schließlich auch auf betriebswirtschaftlichem Gebiet: Die Zeit der Krise wurde bewußt zur Rationalisierung, zum Abbau von Verwaltungsapparaten, zur Verbesserung der „Arbeitsmoral” genutzt. „Gewiß ist die große Zahl der Arbeitslosen und Firmenzusammenbrüche bedrükkend und vor allem für die Betroffenen mit Bitterkeit und Sorge verbunden. Aber wir müssen das jetzige Konjunkturtal durchwandern ... Vor allem sollten wir in der jetzigen Phase verminderter wirtschaftlicher Aktivität nicht nur eine Periode der Schwäche sehen, sondern auch erkennen, daß es eine Zeit ...der Neuorientierung und des Kräftesammelns für einen neuen Aufstieg ist", der durch verbesserte Arbeitsverfahren, verbesserte Arbeitsmoral und mäßige Lohnabschlüsse garantiert werde Dieser Kommentar macht zweierlei deutlich: Mit dem hartnäckigen Insistieren der großen Unternehmerverbände auf einer restriktiven Wirtschaftspolitik sollten erstens die Gewerkschaften in die Knie gezwungen werden zweitens aber dokumentiert sich darin zugleich der Sieg der Großindustrie über die Interessen der Klein-und Mittelindustrie, der die langanhaltende Rezession Konkurse, aber kaum Vorteile einbrachte.

Krise und Interessendominanz

Die Krisen der Jahre 1929 ff. und 1973 ff. sind nur begrenzt vergleichbar. Politisch betrachtet, ist die derzeitige Rezession relativ harmlos; sie spielt sich unter ansonsten „stabilen" Verhältnissen ab, während die Weltwirtschaftskrise in Deutschland auf eine Situation traf, in der ohnehin Unzufriedenheit mit dem bestehenden System überwog und die Tendenz zur Radikalisierung, zur totalen Opposition gegen den Status quo daher nahe lag. Die Radikalisierungstendenz galt dabei nicht nur für die Massen der Arbeitslosen und der verarmten Kleinbürger, sondern gleichfalls für die Großindustrie, die schließlich mehrheitlich die Krise als geeignete Gelegenheit ansah, den lästigen Parlamentarismus loszuwerden. In der Bundesrepublik zeigten sich — der „Radikalen" -Hysterie zum Trotz — keine vergleichbaren Neigungen zu einer „Systemveränderung", weder auf seifen der Arbeiter noch auf seifen der Unternehmer, die, nachdem sie ihre wesentlichen Interessen erst einmal durchgesetzt zu haben glaubten, für die ihnen ansonsten politisch eher fernstehende sozialliberale Koalition sogar Sympathien zu entwickeln begannen.

Gemeinsam ist beiden Krisen indes die Einseitigkeit der Verteilung der aus der Wirtschaftsmisere entstehenden Lasten — was in der derzeitigen Rezession jedoch weniger kraß deutlich wurde als 1930— 1933, da gegenwärtig das System sozialer Sicherung noch einigermaßen funktioniert — bzw. die Ungleich-gewichtigkeit im Prozeß der Interessendurchsetzung. Die Großindustrie vermochte nicht nur ihre ökonomischen Ziele zu verwirklichen — sowohl in den dreißiger als auch in den siebziger Jahren Lohnkostensenkung, Eindämmung der Soziallasten, Reduzierung der steuerlichen Unternehmensbelastung, Zurückdrängung des Staats —, sondern auch ihre politischen Ziele, die in der Weimarer Republik in der Ablösung mißliebiger Regierungen und in der Bundesrepublik in der Abwehr mißliebiger gesellschaftspolitischer Reformen bestanden. Um diese Vorhaben durchzusetzen, konnte auf die Interessen kleinerer Unternehmen, die vor allem in der derzeitigen Rezession auf Grund der Hartnäckigkeit der Unternehmerverbände bei der Verfolgung ihrer Politik und der u. a. darum sich hinziehenden Krise Konkurs anmelden mußten, keine Rücksicht genommen werden Dennoch war etwa im BDI keine Opposition dieser Gruppe zu befürchten, da gerade Kleinunternehmen ein elementares Interesse an Kostensenkungen haben und daher für Kampagnen zur Sen-kung von Lohn-und Sozialkosten stets mobilisierbar sind.

Die machtloseste Gruppe aber war in beiden Krisen die der Arbeitnehmer. Eine Durchsetzung ihrer Forderungen mittels ihres einzigen legalen Kampfmittels, des Streiks, war angesichts der Arbeitslosigkeit unmöglich und zudem psychologisch problematisch: In Krisenzeiten muß jede Forderung nach Lohnerhöhung mit Unverständnis, wenn nicht sogar Empörung in der Öffentlichkeit rechnen. Zusätzlich zu diesen externen Faktoren schwächten innerorganisatorische Probleme die gewerkschaftliche Kampfkraft, nämlich drohender Mitgliederschwund sowie die Angst vor „linker" Konkurrenz.

In der Krise — wenn Interessenkonflikte nicht mit immer höheren Wachstumsraten verdeckt werden können — zeigt sich demnach das strukturelle Ungleichgewicht beim Versuch der Durchsetzung von Unternehmer-und Arbeitnehmerinteressen. Die Dominanz der Interessen der Großindustrie, in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs durch die Neigung zu Zugeständnissen häufig verschleiert, tritt dann unverhüllt zutage, was der ehemalige Wirtschaftsminister Karl Schiller folgendermaßen ausgedrückt hat: Man könne gar nicht oft genug wiederholen, daß es „ohne wirtschaftliches Wachstum ... in der interessenpluralistischen Massendemokratie unserer Tage keinen Interessenausgleich (gibt) . . . In Rezessionen, Stagnation und Deflation schwinden die gesellschaftspolitischen Kompromißmöglichkeiten allmählich ganz" Sie schwinden, weil die Gruppe der Unternehmer der Gesellschaft, die auf ihre Investitionen angewiesen ist, in solchen Zeiten die Bedingungen diktieren kann, unter denen allein sie wieder zu investieren bereit ist.

Die Tatsache übrigens, daß in einer privatkapitalistisch organisierten Wirtschaft der Investitionsbereitschaft der Privatunternehmer höchste Bedeutung zukommt, führt häufig zu einer Identifizierung von Unternehmer-und Allgemeininteressen. So erläutert der Verfassungsrechtler (und -richter) Ernst Benda, daß das gewerkschaftliche „Sonderinteresse" nicht mit dem Allgemeininteresse identisch sei, wohl aber das der Großindustrie; denn der Staat finde „bei den Großunternehmen eine Situation vor, die seinen Zielen nicht entgegengesetzt ist, sondern in die gleiche Richtung weist" Das Ungleichgewicht bei der Berücksichtigung von Unternehmer-und Arbeitnehmerinteressen durch staatliche Politik ist damit gewissermaßen auch staatsrechtlich legitimiert.

Die Krise macht aber schließlich nicht nur die Dominanz der Interessen der Großindustrie gegenüber denen anderer Bevölkerungsgruppen deutlich, sondern zugleich die Abhängigkeit staatlicher Instanzen vom Verhalten der Großindustrie. So sahen die Gewerkschaften, die ihre Hoffnungen auf die sozialdemokratische Regierungsmehrheit gesetzt hatten, sich in der Krise der siebziger Jahre bitter getäuscht: Die SPD-Regierung konnte für die Arbeitnehmerinteressen kaum mehr erreichen als eine beliebig andere „bürgerliche" Regierung, vielleicht sogar noch weniger, war sie doch vollauf damit beschäftigt, nicht nur die Unternehmer wieder zum Investieren zu bewegen . . ., sondern sie vor allem erst einmal davon zu überzeugen, daß sie nicht im Sinne habe, Privilegien von Großindustriellen und Eigentümern abzubauen. Selbst wenn sie wollte, könnte eine Regierung in Krisenzeiten die Interessen „der Wirtschaft" nicht ignorieren, bedarf sie doch zum einen selbst finanzieller Ressourcen (Steuereinnahmen) und zum anderen der Massenloyalität, die heute weitgehend von den mit wachsendem Wohlstand erst verteilbaren Gratifikationen abhängt. Krisenbewältigung, besser noch: Krisenverhinderung gehört darum zu den in seinem eigenen Interesse wichtigsten Aufgaben des Staates; ihre Erfüllung aber erfordert, solange „private" Instanzen die Investitionsentscheidungen fällen, das Eingehen auf die Interessen dieser Instanzen, um ein günstiges Investitions-„Klima" herzustellen oder zu erhalten.

Daß die Unternehmerseite sich dieser ihrer Machtposition bewußt ist, dürfte aus zahlreichen der zitierten Äußerungen, Stellungnahmen und Drohungen deutlich geworden sein. Es stellt sich indes die Frage, ob und wieweit diese Machtposition abzubauen bzw. ob das Machtungleichgewicht verschiebbar ist. Die Antwort muß zwar zwangsläufig spekulativ bleiben; gleichwohl fällt sie pessimistisch aus. So ist z. B. — auch dies sollte die Untersuchung verdeutlicht haben — von staatlicher Reformpolitik keine wesentliche Änderung zu erwarten: Die Großindustrie nutzte die Krise, um die drohende Gefahr einer fast-paritätischen Mitbestimmung abzuwehren, und brachte selbst ein so „harmloses" Reformprojekt wie das der Berufsausbildung in wichtigen Teilen zu Fall. Man kann sich vorstellen, wie sie auf eine Absicht nach tatsächlich „systemverändernden" Projekten — etwa die Investitionskontrolle — reagieren würde, sollte eine Regierung es wagen, derartige Pläne ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Das Machtungleichgewicht ist aber eben nur dann verschiebbar, wenn das unternehmerische Investitionsverhalten direkt beeinflußt werden kann, denn die Unternehmer beziehen ihren Machtvorteil ja aus der Freiheit ihrer Investitionsentscheidung. Theoretisch lassen sich immerhin Bedingungen ausmachen, unter denen eine Reduzierung unternehmerischer Macht möglich scheint sie knüpfen sich an die für die Existenzsicherung des demokratischen Staates notwendige Erhaltung von Massenloyalität. Zwar zwingt dieses Erfordernis dann, wenn die Ziele der Bevölkerung — mit denen der Industrie übereinstimmend — auf stetes WohlstandsWachstum ausgerichtet sind, den Staat noch in besonderem Maße dazu, die Interessen der Unternehmensleitungen zu seinen eigenen zu machen; andererseits ist aber die ___________ -

Privatwirtschaft ihrerseits von der loyalitätserhaltenden Funktion des Staates abhängig, da ohne sie die Rahmenbedingungen für privates Wirtschaften brüchig würden, mithin die Sicherheit des Systems der Privatwirtschaft selbst in Frage gestellt wäre. Wenn daher die Interessen der Bevölkerungsmehrheit sich abkehren von bloßer materieller Zusatzbefriedigung hin zu Forderungen, die mit den Zielen der Einzelunternehmen nicht mehr kompatibel sind (und das beginnt etwa bei Fragen des Umweltschutzes), dann müßte der Staat sich um seiner Legitimität willen darauf einlassen und der Privatwirtschaft — im Interesse ihres Weiterbestehens als System — zunehmend profitmindernde Auflagen machen sowie den politischen Einfluß ihrer Entscheidungsträger einschränken.

Ob es dazu kommen kann, hängt von der Verbreitung und der Dringlichkeit entsprechender neuer Bedürfnisse sowie von der Konflikt-bereitschaft der Bevölkerung ab. Selbst wenn diese Faktoren in ausreichender Intensität gegeben sind, fragt es sich indes, ob die Großindustrie letztlich nicht doch am längeren Hebelarm sitzt. Zum einen nämlich benötigt der Staat weiterhin finanzielle Ressourcen, deren Knappheit ihn immer auf den goodwill der Privatwirtschaft rückverweisen wird, und zum anderen bedarf es im Zweifelsfall wohl nur erneuter „Krisen", um auch der Bevölkerung den Wachstumsimperativ — das Vehikel zur Sicherung von allgemeinem Wohlstand und zugleich der Herrschaft unternehmerischer Interessen — wieder deutlich vor Augen zu führen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. S. hierzu Claus Offe, Politische Herrschaft und Klassenstrukturen, in: Kress/Senghaas (Hrsg.), Politikwissenschaft, Frankfurt a. M. 19713, S. 155— 189.

  2. Dies ist vergleichbar dem Problem der external economies, s. Mancur Olson jr., Die Logik kollektiven Handelns, Tübingen 1968.

  3. Das bedeutet, daß die Gewerkschaften quasi unter Zwang handeln, wenn sie das Schwergewicht ihrer Politik auf die Lohnpolitik legen.

  4. S. Offe, a. a. O.

  5. S. Anthony Downs, Okonomische Theorie der Demokratie, Tübingen 1968.

  6. Vgl. Peter Bernholz, Zur Theorie des Einflusses der Verbände auf die politische Willensbildung, in: Varain (Hrsg), Interessenverbände in Deutschland, NWB 60, Köln 1973, S. 339— 347.

  7. Edo Enke (Oberschicht und politisches System der Bundesrepublik Deutschland, Bern/Frankfurt a. M. 1974) spricht in seiner Untersuchung über die Eliten der Bundesrepublik geradezu von einer „unternehmerisch-bürokratischen Elitendominanz" (S. 145).

  8. S. dazu Peter v. Schubert, Antigewerkschaftliches Denken in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 1967; Regina Schmidt/Egon Becker, Reaktionen auf politische Vorgänge, Frankfurt a. M. 1967, S. 67 ff.

  9. S. dazu u. a. Xenia Rajewski, Arbeitskampfrecht in der Bundesrepublik, Frankfurt a. M. 1970.

  10. Bei Carl Bohret, Aktionen gegen die „kalte Sozialisierung" 1926— 1930, Berlin 1966, S. 107. S. hierzu im übrigen Claus-Dieter Krohn: Stabilisierung und ökonomische Interessen, Düsseldorf 1974, S. 149 und passim.

  11. Zwar saßen nur wenige eigentliche „Wirtschaftsführer" im Reichstag, doch potenzierte sich ihr Einfluß über die Finanzierung der bürgerlichen Parteien; zudem wußte die Industrie sich bürgerliche Abgeordnete durch Aufsichtsratsmandate zu verbinden.

  12. S. in jüngster Zeit wieder Dirk Stegmann, Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929— 1934, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 6, Frankfurt a. M. 1976, S. 19— 75.

  13. S. Heinrich August Winkler, Unternehmerverbände zwischen Ständeideologie und Nationalsozialismus, in: Varain (Hrsg.), Interessenverbände in Deutschland, a. a. O., S. 228— 258.

  14. Dennoch war Hugenberg weiten Teilen der Großindustrie nicht eben genehm; s. u. a. Klaus-Peter Hoepke, Alfred Hugenberg als Vermittler zwischen großindustriellen Interessen und Deutsch-nationaler Volkspartei, in: Mommsen/Petzina/Weisbrod (Hrsg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1974, S. 907— 919.

  15. S. dazu Lothar Döhn, Politik und Interesse. Die Interessenpolitik der Deutschen Volkspartei, Meisenheim 1970. Der schwerindustrielle Flügel trat im Frühjahr 1932 schließlich aus der Partei aus.

  16. S. Wilhelm Treue, Der deutsche Unternehmer in der Weltwirtschaftskrise 1928— 1933, in: Conze/Raupach (Hrsg.), Die Staats-und Wirtschaftskrise des Deutschen Reichs 1929/33, Stuttgart 1967, S. 82— 125.

  17. Die Vorgänge sind ausführlich geschildert bei Helga Timm, Die deutsche Sozialpolitik und der Bruch der Großen Koalition im März 1930, Düsseldorf 1953; Ursula Hüllbüsch, Die Gewerschaften in der Weltwirtschaftskrise, in: Conze/Raupach (Hrsg.), Die Staats-und Wirtschaftskrise des Deutschen Reichs 1929/33, a. a. O., S. 126— 154.

  18. Veröffentlichungen des Reichsverbandes, der Deutschen Industrie Nr. 49, Berlin 1929.

  19. Ebd., S. 11.

  20. Werner Conze, Die politischen Entscheidungen in Deutschland 1929— 1933, in: Conze/Raupach (Hrsg.), Die Staats-und Wirtschaftskrise des Deutschen Reichs 1929/33, a. a. O., S. 176— 252, S. 223.

  21. Der anfangs unternommene Versuch, den Reichs-haushalt u. a. über eine lOprozentige Erhöhung der Einkommensteuer und eine 4, 5prozentige Besteuerung der Aufsichtsratstantiemen auszugleichen, führte zu heftigen Protesten von RDI und DVP, zum Rücktritt Moldenhauers als Finanzminister (20. 5. 1930) und zum Fallenlassen dieser Pläne (s. das per Notverordnung vom 16. 7. 1930 durchgesetzte Deckungsprogramm).

  22. S. dazu Tilman P. Koops, Zielkonflikte der Agrar-und Wirtschaftspolitik in der Ära Brüning, in: Mommsen/Pet-zina/Weisbrod (Hrsg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 852— 868.

  23. Bei Wilhelm Treue, Der deutsche Unternehmer in der Weltwirtschaftskrise 1928 bis 1933, a. a. O., S. 107.

  24. S. dazu Dirk Stegmann, Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929— 1934, a. a. O.

  25. Zwar überwogen im RDI ohnehin schon die Interessen der Schwerindustrie, da der „Langnamverein" als stärkster Regionalverband über eine wichtige Veto-Macht verfügte und zudem der Verein Deutscher Eisen-und Stahlindustrieller (dessen Nordwestliche Gruppe mit dem 'Langnamverein wiederum vielfach verflochten war) der wichtigste Fachverband war, doch waren Langnamverein und Nordwestliche Gruppe gerade in der Frage der Haltung zur NSDAP zerstritten. Zur Dominanz der Schwerindustrie im RDI s. Bernd Weisbrod, Zur Form schwerindustrieller Interessenvertretung in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik, in: Mommsen/Petzina/Weisbrod (Hrsg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 675— 692.

  26. Bei Werner Conze, Die politischen Entscheidungen in Deutschland 1929— 1933, a. a. O., S. 232.

  27. Bei Dirk Stegmann, Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929— 1934, a. a. O., S. 41.

  28. Die Gelsenberg AG wiederum kontrollierte maßgeblich die „Vereinigten Stahlwerke", so daß nun ein Kernstück der westdeutschen Schwerindustrie in Staatshand schien. Zur Gelsenberg-Affäre s. vor allem George F. W. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie, Frankfurt a. M. 19623, S. 102 ff.

  29. Während der Hilfsaktionen des Reichs für die 4 großen Privatbanken durch Übernahme von Aktienpaketen war es bemerkenswerterweise zu keinerlei Stellungnahmen oder gar Protesten der Verbände (mit Ausnahme des „kleinindustriellen" Hansa-Bundes) gekommen: das Überlebensinteresse der Unternehmen war offensichtlich größer als ihre Abneigung gegen staatliche Intervention. Die einzigen Proteste des Zentralverbandes des deutschen Bank-und Bankiersgewerbes richteten sich gegen die Bestellung eines Reichskommissars für das Bankgewerbe (Sept. 1931), der lt. Verordnung über weitreichende Vollmachten verfügte, diese aber ebensowenig zu durchgreifender Einflußnahme nutzte wie das Reich seine Aktienmehrheiten bzw. Sperrminoritäten. S. u. a. Henning Köhler, Das Verhältnis von Reichsregierung und Großbanken 1931, in: Mommsen/Petzina/Weisbrod (Hrsg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 868— 877.

  30. Zahlen bei Eike Hennig, Thesen zur deutschen Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, Frankfurt a. M. 1973, S. 57 ff., S. 70 f.

  31. S. dazu u. a. Michael Schneider, Konjunkturpolitische Vorstellungen der Gewerkschaften in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Zur Entwicklung des Arbeitsbeschaffungsplans des ADGB, in: Mommsen/Petzina/Weisbrod, (Hrsg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 226— 237.

  32. S. Robert A. Gates, Von der Sozialpolitik zur Wirtschaftspolitik? Das Dilemma der deutschen Sozialdemokratie in der Krise 1929— 1933, in: Mommsen/Petzina/Weisbrod, (Hrsg.) a. a. O., S. 206— 225.

  33. Ursula Hüllbüsch, Die deutschen Gewerkschaften in der Weltwirtschaftskrise, a. a. O., S. 153.

  34. Bei Hannes Heer, Burgfrieden oder Klassenkampf, Neuwied/Berlin 1971, S. 51.

  35. Stuttgart 1970, S. 480.

  36. S. dazu im einzelnen Heinrich Muth, Agrarpolitik und Parteipolitik im Frühjahr 1932, in: Hermens/Schieder (Hrsg.), Staat, Wirtschaft und Politik in der Weimarer Republik. Festschrift für Heinrich Brüning, Berlin 1967, S. 317— 360; Werner E. Braatz, Die agrarisch-industrielle Front in der Weimarer Republik 1930— 1932, in: Schmöllers Jahrbuch für Wirtschafts-und Sozialwissenschaften, 91. Jg. 1971, 2. Halbbd., S. 541— 565.

  37. Der RDI hatte den Großagrariern auch noch mit einer ultimativen Forderung an Brüning sekundiert, nun endlich Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft zu ergreifen und sich von den Methoden der letzten Jahre abzukehren (10. 5. 1932).

  38. S. George F. W. Hallgarten, Die Industrie in der Zeit der Stabilisierung und in der Weltwirtschaftskrise, in: Hallgarten/Radkau, Deutsche Industrie und Politik von Bismarck bis heute, Frankfurt a. M. 1974, S. 208.

  39. S. zur Entwicklung der Kontakte im einzelnen bes. Dirk Stegmann, Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929— 1934, a. a. O.; George F. W. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie, a. a. O.

  40. Dirk Stegmann, a. a. O., S. 48.

  41. Ebenda, S. 55.

  42. 1933/34 wurden Stahlverein/Gelsenberg AG reprivatisiert; das Reich, das Flicks Aktienpaket zu überhöhten Preisen gekauft hatte, verlor dabei auch noch die qualifizierte Minorität.

  43. S. Dirk Stegmann, a. a. O., S. 41.

  44. S. dazu Hannes Heer, Burgfrieden oder Klassenkampf, a. a. O.

  45. Zu diesen einzelnen Aspekten vgl. die bereits genannten Beiträge in dem Sammelband von Mommsen/Petzina/Weisbrod (Hrsg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, a. a. O.

  46. S. dazu Edo Enke, Oberschicht und politisches System der Bundesrepublik Deutschland, a. a. O.

  47. So Joachim Radkau, Die Ära Adenauer, in: Hallgarten/Radkau, Deutsche Industrie und Politik von Bismarck bis heute, a. a. O., S. 467 f.

  48. S. dazu Gerard Braunthai, The Federation of German Industry in Poiitics, Ithaca, N. J., 1965; Heinz Hartmann, Der deutsche Unternehmer: Autorität und Organisation, Frankfurt a. M. 1968. BDI und BDA arbeiten arbeitsteilig zusammen, wobei die BDA den sozialpolitischen Part übernimmt.

  49. So soll der Sturz Erhards zu einem wesentlichen Teil auch der industriellen Front gegen ihn geschuldet sein; s. Radkau, Die Ära Adenauer, a. a. O., S. 506 ff.

  50. S. zum Wirtschaftsrat in letzter Zeit Jürgen Dittberner, Der Wirtschaftsrat der CDU e. V., in: Dittberner/Ebbighausen (Hrsg.), Parteiensystem in der Legitimationskrise, Opladen 1973, S. 200— 228.

  51. Bei Gerhard Braunthai, The Federation of German Industry in Politics, a. a. O., S. 344.

  52. Der Versuch der Gründung von „Arbeitsgemeinschaften sozialdemokratischer Gewerkschafter“ scheiterte vor allem am Widerstand der SPD-Führung. S. Horst W. Schmollinger, Gewerkschafter in der SPD — eine Fallstudie, in: Dittberner/Ebbighausen (Hrsg.), a. a. O., S. 229— 275.

  53. S. BDA-Jahresberidit 1967; Unternehmerbrief des DI Nr. 9 vom 2. 3. 1967; zitiert bei Hermann Adam, Zur Problematik der Konzertierten Aktion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39/73, S. Qf.

  54. Zahlen bei Jörg Huffschmid, Die Politik des Kapitals, Frankfurt a. M. 1969, S. 166.

  55. Zitiert ebenda, S. 168.

  56. S. zu dem Problem Erich Hoppmann (Hrsg.), Konzertierte Aktion, Frankfurt a. M. 1971 (darin besonders Christian Watrin, Geldwertstabilität, Konzertierte Aktion und autonome Gruppen, S. 201— 228).

  57. Zur Entwicklung des DGB zu einer Organisation, die die Lohnpolitik an den konjunkturpolitischen Erfordernissen auszurichten sich bemüht, s. Bergmann/Jacobi/Müller-Jentsch, Gewerkschaften in der Bundesrepublik, Frankfurt a. M. 1975.

  58. S. ebenda, S. 320.

  59. Die folgende — weitgehend chronologische — Darstellung stützt sich auf die Informationen, die über die verschiedensten Presseorgane an die Öffentlichkeit gelangten.

  60. Daß es hier zum Beschäftigungsrückgang kam, lag u. a. an der Geschäftspolitik der Konzernleitungen, die auf Erhaltung der Gewinnquoten bedacht waren; bei ungünstiger Kostensituation konnte dies nur durch Preiserhöhungen erreicht werden — der damit verbundene Absatzrückgang wurde dabei in Kauf genommen.

  61. Neben Subventionen Basissteuer statt Hubraumsteuer, Wegfall der Mehrwertsteuer bei Gebrauchtwagenverkauf, Senkung der Mineralölsteuer, höhere Kilometerpauschale.

  62. Frankfurter Rundschau (FR) vom 2. 8. 1974.

  63. FR vom 22. 10. 1974.

  64. FR vom 16. 11. 1974.

  65. FR vom 13. 12. 1974.

  66. So gab der Arbeitgeberverband Groß-und Außenhandel an, daß 1t. Umfrage von seinen Mitgliedsfirmen mehr als drei Viertel keine Änderung ihres Investitionsverhaltens planten; s. Frankfurter Zeitung vom 22. 1. 1975 (Blick durch die Wirtschaft).

  67. Ebenda; FR vom 21. 1. 1975.

  68. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 7. 1. 1975.

  69. Handelsblatt vom 10. 1. 1975.

  70. iw-eil. Presseinformationen des Instituts der deutschen Wirtschaft Nr. 2 vom 8. 1. 1975.

  71. FAZ vom 27. 1. 1975.

  72. Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 14. 2. 1975.

  73. Fritz Dietz, Wir brauchen starke Nerven, in: Vortragsreihe des Instituts der deutschen Wirtschaft, Jg. 25 Nr. 12, 25. 3. 1975.

  74. Hans Roeper: Konjunkturpsychologie, in: FAZ vom 17. 2. 1975.

  75. Peter Hort: Auf das Vertrauen kommt es an, in: FAZ vom 24. 2. 1975.

  76. Ebenda.

  77. Handelsblatt vom 12. 6. 1975.

  78. FAZ vom 11. 6. 1975.

  79. SZ vom 27. 6. 1975.

  80. So z. B. Helmut Geiger vom deutschen Sparkassen-und Giroverband (FAZ vom 21. 6. 1975, SPIEGEL Nr. 30/1975 vom 21. 7. 1975) sowie Vertreter der Bauindustrie (FAZ vom 11. 7. 1975).

  81. SPIEGEL-Interview mit Hans-Günther Sohl, Nr. 25/1975 vom 16. 6. 1975.

  82. Egon Overbeck (Mannesmann): Der Trend muß sich ändern, in: Vortragsreihe des Instituts der deutschen Wirtschaft, Jg. 25 Nr. 28, 15. 7. 1975.

  83. Sohl im SPIEGEL Nr. 25/1975 vom 16. 6. 1975.

  84. So außer Schleyer (s. FR vom 15. 7. 1975) z. B. Rolf Rodenstock, Der Mittelstand braucht Hilfe, in: Vortragsreihe des Instituts der deutschen Wirtschaft, Jg. 25 Nr. 30, 29. 7. 1975.

  85. Rodenstock, ebd.

  86. Die WELT meldete am 4. 8. 1975 sogar, Friderichs halte eine Begrenzung der Lohnquote für erforderlich.

  87. S. SPIEGEL Nr. 33/1975 vom 11. 8. 1975.

  88. So die Forderungen der IG Metall und der Bau-industrie.

  89. Mit diesem Argument hatte übrigens schon Erhard 1966 die Rezession erklärt.

  90. FAZ vom 4. 8. 1975.

  91. Handelsblatt vom 29. 8. 1975.

  92. SZ vom 30. 8. 1975.

  93. FR vom 24. 10. 1975.

  94. Otto Wolff von Amerongen, Neuer Datenkranz für den Aufschwung, in: Vortragsreihe des Instituts der deutschen Wirtschaft, Jg. 25 Nr. 46, 18. 11. 1975.

  95. SPIEGEL Nr. 48/1975 vom 24. 11. 1975.

  96. SPIEGEL Nr. 44/1975 vom 27. 10. 1975.

  97. SPIEGEL-Gespräch mit Peter von Siemens, Nr. 48/1975 vom 24. 11. 1975.

  98. SPIEGEL-Gespräch mit Heinz-Oskar Vetter, Nr. 31/1975 vom 28. 7. 1975.

  99. SPIEGEL-Gespräch mit Eugen Loderer, Nr. 41/1975 vom 6. 10. 1975.

  100. SPIEGEL Nr. 53/1975 vom 29. 12. 1975.

  101. So, wenn er erklärte, daß dem Kostenaspekt größere Bedeutung zukomme als dem Kaufkraft-aspekt, und betonte, die Ergebnisse der Tarifverhandlungen würden darüber entscheiden, wie viele Arbeitnehmer in Zukunft ihren Arbeitsplatz behalten würden (Friderichs bei der Eröffnung der 28. Internationalen Handwerksmesse in München, in: FR vom 15. 3. 1976). — Sowohl die Entwicklung der Tarifabschlüsse wie auch die begleitenden Kommentierungen des Wirtschaftsministers waren übrigens im Winter 1976/77 durchaus vergleichbar.

  102. FR vom 17. 3. 1976.

  103. Hans Roeper, Ein Ziel, das Ehrgeiz lohnt, in,: FAZ vom 22. 2. 1975.

  104. Peter Hort, Auf das Vertrauen kommt es an, in* FAZ vom 24. 2. 1975: „Daß die Gewerkschaften neuerdings den Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und potentieller Arbeitslosigkeit ... erkennen und auf rigorose . Umverteilungsaktionen'verzichten, ist das Verdienst der hartnäckigen Stabilitätspoli* tik ...".

  105. Für Jie Großindustrie stellte diese Hartnäckigkeit kaum ein ökonomisches Problem dar: sie konnte staatliche Konjunkturspritzen leichten Herzens ablehnen, da ihre Kapazitäten nicht ausgelastet waren, eine Förderung von Neuinvestitionen also zunächst ökonomisch sinnlos schien.

  106. BMWi Texte 1. Reden zur Wirtschaftspolitik von Prof. Dr. Karl Schiller, Bonn 1967, S. 44 (Schiller zitiert dabei einen Artikel aus dem „Volkswirt"). S. hierzu auch Christian Graf von Krockow (Reform als politisches Prinzip, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 9/76), der die Grenze, unterhalb derer Kompromisse nicht mehr zustande kommen, schon bei einem Wachstum von 4% gegeben sieht (S. 34).

  107. Ernst Benda, Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, Göttingen 1966, S. 219, 332.

  108. S. dazu H. Abromeit, Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft im gegenwärtigen Kapitalismus, in: Politische Vierteljahresschrift 1/1976.

Weitere Inhalte

Heidrun Abromeit, Dr. phil., geboren 1943 in Zoppot; Studium der Politikwissenschaft in Marburg und Berlin. Akademischer Rat am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft an der Gesamthochschule Wuppertal. Veröffentlichungen: Das Politische in der Werbung. Wahlwerbung und Wirtschaftswerbung in der BRD, Opladen 1972; Zur Identität von politischer und wirtschaftlicher Werbung. Verbandswerbung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48/72; Die Wählerinitiativen im Wahlkampf 1972 (zusammen mit Klaus Burkhardt), in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 37/73; Werbung für den Status quo, in: Greiffenhagen/Scheer (Hrsg.), Die Gegenreform, Reinbek 1975; Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft im gegenwärtigen Kapitalismus, in: Politische Vierteljahresschrift 1/1976.