Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Feminismus kontra Marxismus | APuZ 48/1977 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 48/1977 Frauenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Erscheinungsformen und Ursachen, Möglichkeiten zur Überwindung Feminismus kontra Marxismus Zur politischen Theorie des Feminismus Die Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791

Feminismus kontra Marxismus

Günter Bartsch

/ 35 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag arbeitet die grundlegenden Unterschiede zwischen Marxismus und Feminismus heraus, die in dem offen ausgetragenen Konflikt zwischen diesen beiden politischen Richtungen sichtbar werden. Da der Marxismus Geschichte einspurig als Abfolge von Klassenkämpfen interpretiert, bleiben andere Problemkreise außerhalb seines Blickfeldes und seines theoretischen Zugriffs. Das gilt besonders für den Gegensatz zwischen den Generationen und den Geschlechtern. Hier zeigt sich zugleich der patriarchalische Ursprung des Kommunismus — alle Frühkommunisten waren männerbündisch —, eine Tradition, an der auch Marx festhielt. Während bei Hegel durch das „Göttliche" in der Frau der Gegensatz zwischen ihr und dem Mann aufgehoben wird, kennt der Marxismus eine solche Synthese nicht. Betrachtet man die Geschichte der Linken, so ist zu erkennen, daß die antifeministische Grundhaltung des Marxismus der sozialistischen Tradition nicht folgt. Französische frühsozialistische Theoretiker wie Saint Simon, Fourier und deren Nachfolger fühlten sich noch als Wegbereiter eines „weiblichen Messias". Die antifeministische Tradition der kommunistisch-marxistischen Parteien führte vor allem in den Studentenrevolten der sechziger Jahre zu einer Bewußtwerdung der Frauen und zur Erarbeitung von Gegenpositionen zum herkömmlichen offiziellen Kommunismus. Besonders in Frankreich und Italien mußte es zu schweren Krisen zwischen den Feministinnen und den etablierten kommunistischen Parteien kommen, da man dort das Frauen-problem, wenn überhaupt, nur als den Problemen des Klassenkampfes untergeordnet gelten ließ. Auch in der Bundesrepublik wollen die kommunistischen, maoistischen und trotzkistischen Linken im wesentlichen eine proletarische Frauenbewegung nur als Massenorganisation ihrer eigenen Parteien dulden. Die Feministinnen betrachten sich selbst — überwiegend — als weibliche Linke im Kampf gegen Patriarchalismus (gegenüber den Frauen) und Paternalismus (gegenüber der Jugend). Die Unterschiede zwischen Marxismus und Feminismus werden am Schluß der Arbeit zusammenfassend aufgeführt. Während der Marxismus in Gestalt des Kommunismus vor allem politische und soziale Veränderungen erstrebt, ist der Feminismus eine primär kulturelle Bewegung, vorerst zur Schaffung einer spezifisch weiblichen Kultur.

I. Was Marx übersah und übersehen wollte

1. Bruch-und Fehlstellen

Der Marxismus erscheint denen, die ihn fasziniert und unkritisch betrachten, als ein System von eiserner Logik, lückenlos und fähig, grundsätzlich alle Probleme lösen zu können. Ist er das wirklich?

Als ich 1947 auf einer Parteischule der SED die Frage stellte, wie die Liebe von Mann und Frau marxistisch zu erklären sei, erhielt ich keine Antwort, sondern stieß auf Schweigen. Die scheinbar eiserne Logik hat zahlreiche Bruchstellen; 1947 entdeckte ich nur eine davon. Die Mängel im Lehrgebäude von Marx liegen nicht in prognostischen Irrtümern, wie sie jedem Denker unterlaufen können, wenn er sich auf das glatte Parkett der Prophetie wagt, vielmehr in dem, was er übersah oder in seiner Bedeutung nur sehr unvollständig erfaßte, wie etwa die Frauenbewegung. Marx hat sein System nicht zu Ende gedacht oder nicht zu Ende denken können, weil er auf die von ihm selbst errichtete Klassenschranke stieß. Da er die Geschichte als eine Abfolge von Klassenkämpfen deutete, erschien ihm alles andere als nebensächlich oder gar als nicht existent, z. B. auch die Generationskonflikte. Seine Deutung war idealtypisch im Sinne von Max Weber. Was ihm nicht paßte, ließ er völlig außer acht und jenseits seines Gesichts-feldes. Dem reinen Kapitalismus sollte der reine Klassenkampf entsprechen. Aber beides ist Konstruktion, die früher oder später mit der vielschichtigen Wirklichkeit Zusammenstößen mußte.

Der Marxismus hat vor allem den Gegensatz der Generationen und der Geschlechter ausgeklammert. Auf die „Generationslücke“ wies schon Jean-Paul Sartre hin Das andere Defizit zeigte erst der Feminismus auf. Aber während sich Sartre dem Marxismus unterwarf, stellt ihn der Feminismus selbstbewußt in Frage. Dabei ging er in mancher Hinsicht selbst von marxistischen Begriffen und Prämissen aus. Innerhalb der Linken ist der Feminismus eine . Revolution in der Revolution'. Aber anders, als diese Formulierung von Debray gemeint war — nämlich ein Aufstand des weiblichen Prinzips gegen das männliche, in dem sich auch verschiedene Denk-und Verhaltensweisen kreuzen. Zwar hat der Feminismus einen sozialistischen Grundzug; dieser deckt sich jedoch weder mit dem Kommunismus, wie er in einer ganzen Reihe von Staaten praktiziert wird, noch mit dem Anarchismus als einer Theorie der Herrschaftslosigkeit Er ist etwas durchaus Eigenständiges, obwohl es natürlich Berührungspunkte mit anderen Bewegungen gibt.

Seit etwa zehn Jahren befinden sich Marxismus und Feminismus miteinander im Konflikt. Erstmals stößt der Marxismus, worauf er nicht gefaßt war, auf Widerstand aus dem . schwachen Geschlecht'. Bis jetzt ordnete er die Frauenfrage dem proletarischen Klassenkampf unter. Das ist in der bisherigen Form auf die Dauer nicht mehr möglich. Der Marxismus ist gezwungen, sich selbst zu rechtfertigen, was seine innere Unsicherheit verrät.

2. Patriarchalischer Ursprung

Es gibt eine Krise der männlichen Autorität. Sie fällt mit einer Krise der Kommunistischen Parteien zusammen. Ist diese Gleichzeitigkeit historischer Zufall oder die natürliche Folge eines Reifungsprozesses?

Der Kommunismus entstand lange vor der industriellen Revolution, schon im Mittelalter, als Männerbund. Beispielsweise gab es in Thomas Müntzers „Bund der Erwählten“ keine einzige Frau. Dasselbe gilt unseres Wissens für Babeufs „Verschwörung der Gleichen", für Blanquis Geheimbünde und selbstredend auch für Weitlings Handwerksburschenkommunismus, denn weibliche Lehrlinge und Gesellen wurden von den Handwerksmeistern gar nicht angenommen.

Erst im Marxschen „Bund der Kommunisten", der 1848/49 recht aktiv war, tauchten einige Frauen auf, aber doch sehr vereinzelt und nur als Gehilfinnen der federführenden Männer. Marx lehnte die Weibergemeinschaft — ein Ziel der Frühkommunisten — ab. Er machte sogar seiner eigenen Frau in Briefen an Friedrich Engels zum Vorwurf, daß sie weit mehr Mädchen als Jungen zur Welt brachte, nämlich anläßlich der Geburt seiner Töchter Franziska und Eleanor Ebenso negativ äußerte er sich gegenüber weiblichen Enkeln. Man wird unwillkürlich an das konfuzianische China erinnert, wo Familienväter auf die Frage nach der Zahl ihrer Kinder nur die männlichen nannten, weil sie sich der weiblichen schämten. Marx wälzte die gesamte Welt in seinem Kopf um, war aber außerstande, das tradierte Vorurteil gegenüber dem anderen Geschlecht zu überwinden. Darin tritt eine patriarchalische Struktur zutage, die mit in das Fundament des Marxismus eingebaut wurde. Es gehört zu seinem Unterbewußtsein, zum Verdrängten und Verklemmten. Marx korrigierte mehrere mittelalterliche Charakterzüge des Frühkommunismus, so dessen sektenhaften und religiösen Hang. Aber die männerbündische Tradition setzte er fort, als wäre sie ihm überhaupt nicht bewußt geworden. Marx brachte sogar das Hegelsche Erbe in diese Tradition ein, was freilich nur durch gewaltsame Beschneidung möglich war. Unseres Erachtens hatte diese eine noch größere Bedeutung als die Verknüpfung der Dialektik mit dem Materialismus, die auch schon einer Umstülpung glich.

3. Die Verkürzung der Hegelschen Dialektik durch Marx

Hegel unterschied zwischen einem weiblichen Prinzip, das die Familie gründete, Und einem männlichen, das die Gemeinwesen schuf. In der Familie äußerte sich für ihn das gesellschaftliche Selbstbewußtsein des partikularen Interesses; den Staat sah er als die Inkarnation des allgemeinen an. So bleibt das Weibliche in einer niedrigeren Stufe der Entwicklung gefangen, weil es sich nicht auf das Niveau des Allgemeinen schwingen kann. Die Subjektivität des Weiblichen blockiert den Weg zur männlichen Objektivität. Sie erzieht „Familienbürger", wo es nach Hegel auf die Erziehung von Staatsbürgern ankäme. Daher gibt es einen permanenten Konflikt zwischen den beiden Institutionen (der von vielen anderen Theoretikern geleugnet oder übersehen wurde). Familie ünd Staat ringen um die Vorherrschaft. Hegel schrieb offen: „Indem das Gemeinwesen sich nur durch die Störung der Familienglückseligkeit und die Aufhebung des Selbstbewußtseins ins Allgemeine sein Bestehen gibt, erzeugt es sich an dem, was es unterdrückt und was ihm zugleich wesentlich ist, an der Weiblichkeit, überhaupt seinen inneren Feind.“

Das Feminine erschien in dieser philosophischen Auffassung einerseits als göttlich und unverzichtbar, andererseits als chaotisches und auflösendes Element, grundsätzlich alle Gemeinwesen untergrabend — natürlich im Gegensatz zum stabilisierenden, auf Ordnung gerichteten Charakter des Maskulinen. Nach Hegel muß der Mann die Frau unterdrücken, um den Staat zu behaupten und auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen. Diese Einschmelzung des Teils ins Ganze ist gemeinschaftsbildend. Aber Hegel unterließ es, die Auflösung der Familie und der Ehe zu fordern. Er behielt das weibliche Element auch als synthetisches bei. Seine Dialektik kennt hier drei Schritte, hingegen die von nur zweil Bei Hegel Marx wird der Gegensatz von These (Frau) und Antithese (Mann) auf einer höheren Stufe — des Göttlichen in der Frau — durch die Synthese aufgehoben. Bei Marx fällt diese Synthese weg. übrig bleiben Gegensätze, von denen der eine den anderen vernichten muß, wenn nicht beide untergehen sollen.

Bezeichnend ist der Marx-Engelsche Satz, daß der Klassenkampf noch „jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen* Versöhnung gilt als opportunistisch. Sie wird nach Marx von der Geschichte mit dem Tode bestraft. Erbarmungsloser Klassenkampf hingegen erscheint selbst dann als humanistisch, wenn er Millionen Menschenopfer fordert, weil er den Fortschritt garantiert.

Schon Hegel stellte die Pole männlich und weiblich im Konflikt zwischen Staat und Familie als Gegensätze dar. Aber er erkannte noch an, daß neben der analytischen Fähigkeit des Mannes die synthetische der Frau ebenso nötig ist, um die Gesellschaft zu erhalten. Was der männliche Geist mit seinem Intellekt scharf getrennt hat, setzt der weibliche durch Intuition wieder zusammen.

Bei Marx sind die Pole männlich und weiblich nicht nur Gegensätze, sondern zwei sich bekämpfende, sich gegenseitig ausschließende Elemente. Dem entspricht bei Stalin die Theorie der zwei Weltlager, die sich antagonistisch verhalten, die leninistische Doktrin des ständigen Kampfs der Gegensätze sowie Trotzkis Konzeption der permanenten Revolution, die auch Kriege als Hebel des Fortschritts betrachtet. Schon im Kommunistischen Manifest hieß es, daß die Bourgeoisie nur durch Gewalt zu stürzen sei.

Der Marxismus verbannte das weibliche Prinzip und seine Werte: Sanftheit, Versöhnungsbereitschaft und Gewaltlosigkeit. Mit Hilfe einer nach eigenem Gutdünken zugeschnittenen Interpretation Hegels errichtete er die Herrschaft des männlichen Geistes in den sozialen Bewegungen. Bezeichnend ist seine militante Terminologie mit zahlreichen " Anleihen aus der Militärsprache und Kriegswissenschaft. Selbst die Produktion wird zur . Schlacht'. Alles ist . Front'und . Kampf oder . Kader’, . Strategie'und . Taktik’.

Bei Hegel wird das Weibliche zur Ironie des Gemeinwesens, die bürgerliche Familie zum Antipoden des Staates. Marx zieht die Konsequenz: Aufhebung der bürgerlichen Familie als Hort der Frau und privates Idyll. Aber wenn nach dem Privateigentum auch die Familie wegfällt, stößt die Expansion des Staates auf keine Grenzen mehr. Die Theorie vom Absterben des Staates hingegen bleibt nur auf dem Papier bestehen und wird von Marx — Engels gegenüber — als Jugendsünde abgetan.

Der Konflikt Marx-Bakunin erklärt nicht alles. Unterhalb der politischen und theoretischen Sphäre, die bewußt erfaßt wird, haben sich Vorurteile und Ressentiments abgelagert. Wir müssen sie einbeziehen, um das Verhältnis von Marxismus und Feminismus zu ergründen. In dieser Sedimentschicht wirkt das kollektive Unbewußte (Jung) mit seinen Archetypen, die entweder männlich oder weiblich sind. Im Unbewußten gibt es anscheinend keine Geschlechtsneutralität, wie sie in Theorien vorgetäuscht werden kann. Diese Vor-und Selbsttäuschung ist ein ideologisches Moment falschen Bewußtseins. Aber die Lehre von Marx wollte ja eine Anti-Ideologie sein. Ihr maskulines Wesen machte diese Absicht von vornherein zunichte und fällt eigentlich aus dem Rahmen der sozialistischen Tradition.

1. Kulturkriterium

Die Rechte beurteilt den Feminismus weitgehend auf der Linie Otto Weiningers: mehr dirnen-als echt frauenhaft wobei das Frauenhafte mit dem Mütterlichen gleichgesetzt wird. Tiefgründig gingen nur Julius Evola, Arnold Gehlen und Armin Mohler an das Pro-

II. Die Linke und der Feminismus

blem heran. Aber das Resultat war im Grunde immer negativ. Die Rechte hat kein inneres Verhältnis zum Feminismus. Sie kann ihn daher nicht verstehen, es sei denn als Entartung. Demgegenüber hat die Linke eine teilweise feministische Tradition. Zwei der ersten früh-sozialistischen Theoretiker, Saint Simon und Fourier, bezeichneten die Stellung der Frau als Kriterium für das jeweilige kulturelle Niveau der Gesellschaft. Das war ein völlig neuer Gesichtspunkt, eine Herausforderung in der Männergesellschaft des 19. Jahrhunderts, die zur Zeit der ersten Frühsozialisten noch keine einzige Frau an den Universitäten duldete, jedoch ihr absolutes Bildungsprivileg schon in den siebziger Jahren bedroht fand, als zahlreiche russische Mädchen und Frauen nach Westeuropa kamen.

2. Weiblicher Messias

Erste Auswirkungen eines dadurch eingeleiteten Umdenkens zeigten sich zunächst in Frankreich, wo George Sand frühsozialistische Ideen mit maskulin verkleideter Weiblichkeit zu durchsetzen begann. Der Feminismus war im wesentlichen ihre Schöpfung, erwuchs jedoch eher aus ihrem Lebensstil als aus einer Theorie, die sie freilich in Bruchstücken nachlieferte, sowohl in Zeitschriften als auch in romanhaften Büchern. Ihre Persönlichkeit schuf sich eine Aura, die in den Frühsozialismus hineinzustrahlen begann.

Für Saint Simon und Fourier bestand die gesellschaftliche Grundzelle aus einem Paar: Je ein Mann und eine Frau bilden das soziale Individuum. Während Marx das weibliche Prinzip aus der Philosophie entfernte, führten es die Frühsozialisten in die soziale Bewegung ein. Sie lehnten die in den Klöstern geborene Unterscheidung zwischen Materie und Geist ab, wünschten die Rehabilitierung des Fleisches und empfanden das Leben als Sympathie, als eine Ausdrucksform der Liebe.

Bei den Saint-Simonisten erreichte die feministische Tendenz nach dem Tode ihres Meisters ihre höchste Ausprägung unter dessen Nachfolger Enfantin. Man wollte eine neue Moral als Grundlage einer neuen Gesellschaft konzipieren. Sie sollte in Gesetzentwürfen formuliert, jedoch einer Femme-Mere-Messie überlassen werden. Dieser Mater dolorosa stünde das Entscheidungsrecht zu. Man hielt sie für fähig, alle Menschen von der Erbsünde zu erlösen! Eines Tages werde sie erscheinen und an der Seite Enfantins Platz nehmen, der stets einen Stuhl neben sich für die Femme-Märe-Messie reservieren ließ Er verstand sich als neuer Täufer-Johannes, der dem weiblichen Messias den Weg bereiten müsse. Denn die Zeit der Doktoren und Theorien sei vorüber; sie weiche der Zeit des Gefühls und der Frau. Die erwartete Erlöserin sollte dem Gefühl Gesetzeskraft geben, den Orient mit dem Okzident verbinden und eine Synthese schaffen, die den Gegensatz der Welten Othellos und Don Juans überbrücken würde.

Zunächst schien die Mater dolorosa der Saint-Simonisten nur ein messianisches Phantasie-bild zu sein. Ihre Blicke richteten sich aber auf George Sand, nachdem sich die Hoffnung auf das Erscheinen einer Jüdin in Konstantinopel zerschlagen hatte. Es gab geheime Verhandlungen zwischen den Frühsozialisten und der Begründerin des Feminismus. Hätte man eine Würdigere als George Sand finden können? Sie widerstand jedoch der Versuchung, als Erlöserin aufzutreten.

Immerhin war schon der Gedanke des weiblichen Messias frappierend in einer Gesellschaft, die nur noch Männergottheiten kannte. Hier liegt ein grundsätzlicher Unterschied zwischen (französischem) Frühsozialismus und Marxismus, der bisher kaum beachtet wurde, aber für unser Thema von Belang ist. So kristallisierte sich in der sozialen Bewegung eine feminine und eine maskuline Tendenz heraus.

3. Marxistische Überfremdung

Indes pfropfte sich der kommunistische Marxismus dem sozialistischen Stamm auf. Frauen wie Rosa Luxemburg wurden danach beurteilt, wieweit sie sich männlichen Maßstäben anpaßten und ob sie ihren Mann stehen konnten. Das galt später auch für Clara Zetkin in der KPD.

Heute gibt es weit über 100 Kommunistische Parteien in der Welt. Aber keine einzige wird von einer Frau geführt. Wie einst, als Männerbünde entstanden, befinden sie sich nach wie vor in Männerhänden. Obwohl der weibliche Mitgliederanteil in einigen kommunistischen Parteien bis auf 25 Prozent stieg, sind Frauen in den Zentralkomitees weit unterrepräsentiert. Ebenso in den Politbüros, wo meist ausschließlich Männer sitzen. Der Kommunismus hat seine männliche Vorherrschaft bis ins 20. Jahrhundert geschleppt und nur scheinbar abgestreift. Seine Tradition ist antifeministisch. Deshalb fällt es ihm sehr viel schwerer als dem Sozialismus, die Probleme, die für ihn aus der neuen Frauenbewegung erwachsen, zu bewältigen.

Der Marxismus geht jedoch in seiner Theorie und Ideologie über den Rahmen des Kommunismus hinaus, ebenso wie die Linke, unter der es bekanntlich auch Sozialisten, Anarchisten und Spontaneisten gibt. Zum Teil quer durch die sozialen Bewegungen gehend, umfaßt der Marxismus all jene Linken, die den Klassenkampf als Haupttriebkraft der Geschichte anerkennen, im Industrieproletariat das revolutionäre Subjekt sehen, den Menschen als ein Arbeitswesen betrachten und die soziale Umwälzung mit einer Befreiung gefesselter Produktivkräfte verbinden wollen. Die angestrebte klassenlose Gesellschaft soll sich durch unbeschränktes industrielles Wachstum und Konsumüberfluß auszeichnen, was die Frage aufwirft, wieweit sich der Marxismus noch mit ökologischen Erfordernissen und dem in jüngster Zeit postulierten Menschenrecht auf Lebensqualität vereinbaren läßt. Der Feminismus arbeitet zu allen Punk-ten eine Gegenposition aus.

Als Simone de Beauvoir ihr Buch , Das andere Geschlecht'veröffentlichte, staunte sie über das negative Echo der marxistischen Linken. Journalisten der Kommunistischen Partei Frankreichs machten sich lustig, weil den Arbeiterinnen „das weibliche Problem ziemlich egal" sei. Trotzkisten behaupteten, eine Frauenfrage gäbe es überhaupt nicht, Simone de Beauvoir habe sie erfunden.

Inzwischen ist den Kommunisten das Lachen vergangen, obwohl sie noch immer ironisch lächeln. Ein erheblicher Teil des französischen und noch mehr des italienischen Feminismus ging aus den offiziellen kommunistischen Parteien hervor. Sein tumultarischer Ab-sprung brachte die schwerfälligen Parteischiffe ins Schlingern.

Aber nicht allein der traditionelle und offizielle, auch der maoistische, trotzkistische und spontaneistische Kommunismus läßt Zerfallserscheinungen durch den vom Feminismus ausgeübten Druck erkennen. Der nichtoffizielle Kommunismus war jedoch zunächst ein Zufluchtsort und Treffpunkt vieler Feministinnen, die mit dem traditionellen brachen, ohne schon eine selbständige Organisation anzustreben. Meist begriffen sie recht schnell den Übergangscharakter dieses Wechsels, ihre Heimatlosigkeit in männerbeherrschten Parteien, die sich frauenfreundlich tarnten.

4. Der Zerfall der Lotta Continua

Bezeichnend war ihr innerer Konflikt mit dem italienischen Sondermarxismus, der Organisation Lotta Continua. Er zog die Feministinnen zunächst durch seine lockere, antiautoritär wirkende Organisationsform an. Doch schon auf dem ersten Zentralkongreß vom Januar 1975 wurde das chinesische Parteimodell übernommen, noch straffer als das russische, mit diesem jedoch durch die elitär-autoritäre Kaderstruktur verbunden. Zahlreiche Frauen fühlten sich zurückgesetzt, gegängelt und trotz gewisser Sympathien für den Maoismus in ihrer Aktionsund Meinungsfreiheit eingeengt. Am 6. Dezember 1975 brach der Widerspruch zwischen antiautoritärem Anspruch nach außen und elitärer Innenstruktur in einer öffentlichen Demonstration weiblicher Mitglieder auf, die zugleich eine Rebellion gegen das Zentralkomitee war. Als sich dessen (männliche) Funktionäre gewaltsam in die Demonstration einzureihen versuchten, kam es zu einer Schlägerei

Hatte man bis dahin von einem rechten und einem linken Flügel der Lotta Continua gesprochen, wobei die Frauen bezeichnenderweise für eine Synthese der beiden Strömungen gewesen waren, weil sie ihre Unversöhn-barkeit bestritten, so zeigte sich nun je eine maskuline und feministische Richtung, verbunden mit einer Aufgliederung in Geschlechter. Ihr Zusammenstoß führte zur faktischen Selbstauflösung der gesamten Organisation. Auf ihrem letzten Kongreß im November 1976 bot sich ein ganz ungewöhnliches Bild. Vier Feministinnen lösten sich an der Rednertribüne wie bei einer Stafette ab. Sie wollten das übliche Kampfspiel der um die Organisationsmacht rivalisierenden Fraktionen nicht länger mitmachen, weil sie es als intellektuell unredlich und fern der gesellschaftlichen Bedürfnisse empfanden. Ihr Tenor lautete, das Rechts-Links-Schema sei überholt und unbrauchbar geworden. „Die wesentliche Auseinandersetzung verlief nun zwischen Frauen und Männern" heißt es in einem Kongreßbericht. Eine Fabrikarbeiterin sprach davon, „daß Fabriken nicht nur Stätten von Klassenbewußtsein, sondern auch von Männerbewußtsein sind“ Die zweite Tatsache sei von Lotta Continua unterschlagen worden, weil sie einem maskulinen Proletkult huldige. Der feministische Flügel verlangte die Anerkennung seiner Autonomie, sonst könne er Lotta Continua als männliche Partei nicht länger unterstützen. Was solle man von Genossen halten, die so leben, wie sie lieben — nämlich patriarchalisch? Könnten sie im Emst als echte Revolutionäre betrachtet werden?

Laura aus Turin sagte: „Wir glauben, daß die Arbeiter noch Erhalter der bürgerlichen Macht sind. Sie konservieren die bürgerliche Macht in der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau ... Ich soll vor die Fabriktore gehen und ihnen helfen, statt Selbsterfahrung zu machen? Das paßt mir nicht mehr! Es gibt unterschiedliche Bedürfnisse nach Kommunismus. Es gibt ein Schema, das Ihr uns aufzwingen wollt ... Selbsterfahrung bedeutet für uns, daß wir uns unsere Geschichte wieder aneignen und sie neu entwickeln, um die Wirklichkeit zu unseren Gunsten anzugreifen, sofort, heute."

Auch männliche Mitglieder der Lotta Continua fühlten sich vom Zentralkomitee überfahren und bildeten, dem Ansporn der Feministinnen folgend, eine oppositionelle Gruppe. Sie versuchten, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, doch die Frauen verhielten sich distanziert. Im Rahmen der Organisation sei eine Allianz vorerst unmöglich. „Die Partei ist eine Sache, die von den Männern kommt, eine Partei, die für Männer gut ist, für Männer, die Revolution machen wollen. Doch zum Revolution-Machen taugt sie nicht. Wir sind nicht nur vier Feministinnen, sondern mehr als die Hälfte der Menschheit.“

So brachten wenige Frauen eine von Männern dominierte marxistische Organisation mit mehreren tausend Mitgliedern zu Fall. Ihr Selbstbewußtsein wirkte entwaffnend auf die Funktionäre. Sie boten Kompromisse an, wenn die Feministinnen Ruhe gäben; aber es war schon zu spät. Der intellektuelle Elfenbeinturm brach unter dem Ansturm weiblicher Gefühle zusammen. Italienische Feministinnen prägten den Begriff des Maschilismo. Sie meinen entsexualisierte Parteien, die den biologischen Geschlechtsunterschied geflissentlich übersehen, um der Frauenfrage in möglichst weitem Bogen auszuweichen — was für fast alle marxistischen Organisationen gilt. Sie prangern die weitverbreitete Tendenz männ-lieber Marxisten an, ihr Unbehagen im Betrieb oder zu Hause an den Schwächeren auszulassen, nämlich an den fremden und den „eigenen“ Frauen

Für die Kommunisten ist es besonders peinlich, daß der Feminismus diese zwischenmenschliche Ebene ins Licht der Öffentlichkeit rückt. Waren sie doch stets überzeugt, die Frauenfrage in der eigenen Organisation gelöst zu haben — eben durch jene Entsexuali-sierung, die man ihnen nun vorwirft. Das verwirrt sie, und vielen von ihnen erscheint der Feminismus gar als Dolchstoß.

5. Trotzkistische Zwiespältigkeit

Während der traditionelle Kommunismus verschreckt und unbeholfen, der maoistische tatkräftig oder brutal reagiert, erweisen sich die Trotzkisten als theoretisch am meisten anpassungsfähig, praktisch jedoch in der Frage des Feminismus gespalten. Sie haben meist noch keine eigene Partei und wollen daher einen Teil der Feministinnen für deren Aufbau gewinnen. Im allgemeinen stellen sie sich auf den Standpunkt, eine autonome Frauenbewegung sei solange existenzberechtigt, bis sich eine „anerkannte Vorhut und Führung" des Gesamtproletariats entwickelt habe. Dies gilt vor allem für die Sektionen und sympathisierenden Organisationen der IV. Internationale

Im unabhängigen Trotzkismus schwankt die Beurteilung des Feminismus zwischen revolutionär und kleinbürgerlich. Dieses Schwanken trug erheblich zur Spaltung des westdeutschen Spartacusbundes bei, der zeitweilig zweitstärksten trotzkistischen Organisation in West-Berlin und der Bundesrepublik, die sich Mitte 1977 faktisch aufgelöst hat.

Ihre freilich schon längere Zeit schwelende Krise brach am 1. Mai 1977 nach einer Demonstration in Bochum aus. Spartacus hatte einen eigenen Marschblock gebildet, teilte sich aber plötzlich entgegen der Planung. Ein Teil schloß sich den Atomkraftgegnern an, während die weiblichen Mitglieder „im Frau-enblock untertauchten" Die Disziplin war ein für allemal zerbrochen. Das Zentralkomitee zog Konsequenzen. Seine Mehrheit erklärte die Organisationsstruktur des Sparta-cusbundes für überholt, weil sie zu starr sei, um eine autonome Frauen-, Studenten-und Antiatomkraftbewegung zu akzeptieren. Den Ausschlag gab die feministische Einstellung von Frauen und Mädchen, welche nicht länger die Rolle des Fußvolkes spielen wollten.

Die Minderheit warf der Mehrheit Revisionismus und Zerstörung einer mühsam nach dem bewährten Modell der leninistischen Kader-partei aufgebauten Organisation vor. Sie bedauerte in einem Rundbrief an alle Mitglieder und Sympathisanten des Spartacusbundes anklagend: „Jetzt geht es nicht mehr um den Kampf der Arbeiterklasse, sondern um . gesellschaftliche Kämpfe', um den klassenunspezifischen Kampf der Frauen, der Studenten ..., die als autonome Bewegungen analysiert und gefördert werden". Diese Minderheit setzt dem Feminismus nach wie vor das bolschewistische Kadermodell entgegen. Sie versucht den Wiederaufbau des Spartacusbundes auf elitärer und proletarischer Basis, obwohl sie seine Isolierung von der Arbeiterschaft zugeben mußte. Demgegenüber hat die Mehrheit ihre Posten im Zentralkomitee zur Verfügung gestellt, um eine den autonomen Bewegungen angepaßte Organisationsstruktur zu entwerfen. Sie gibt jetzt die Zeitschrift . Commune'heraus und versteht sich als neue Initiative des Welttrotzkismus in Deutschland.

Unsicherheit macht sich auch in der Sozialistischen Arbeitergruppe (SAG) bemerkbar, einer weiteren trotzkistischen Organisation in der Bundesrepublik. Die erste Ausgabe ihrer theoretischen Zeitschrift . Klassenkampf'versprach im Inhaltsverzeichnis eine Buchbesprechung . Frauen wehren sich’ von Thea Winter. Die genannte Seite war jedoch leer wie von einer Zensur blankgefegt. Im Rahmen der SAG wuchs der Spaltpilz Feminismus noch eher als im Spartacusbund, aber er konnte ihn bisher nicht sprengen.

Die Gruppe Internationale Marxisten (GIM), stärkste Organisation des deutschen Trotzkismus, unterscheidet im Feminismus zwischen einem bürgerlichen und einem proletarischen Flügel. Während man den bürgerlichen Flügel zu isolieren und abzustoßen versucht, soll der proletarische assimiliert werden. Als Über-gang faßt man die Schaffung eines zentralisierten Kristallisationspols außerhalb der feministischen Großstadtzentren ins Auge. Zur Vorbereitung dieses Sammelpunkts für proletarische Frauen führt die GIM in ihrer theoretischen Zeitschrift , die internationale'seit August 1975 eine systematische und kontinuierliche Auseinandersetzung mit der feministischen Theorie, Hierbei zeichnen sich zwei Linien ab. Eine Linie, von F. Dorn, A. Grünspan und F. Krughs vertreten, zieht Verbindungsfäden zwischen Marxismus und Feminismus, die andere, als deren Sprecher K. Eckhoff auftrat, stellt sie gegenüber. Dem entspricht, daß manche Trotzkisten dem Radikalfeminismus bis zu einem gewissen Grade theoretisch entgegenkommen, um ihn in die eigene Organisation einzubetten, obwohl andere das für verhängnisvoll und opportunistisch halten. Aber für beide Richtungen emanzipiert sich die Frau real nur in der proletarischen Revolution bei Anerkennung des Industriearbeiters als revolutionärem Hauptsubjekt.

Alle traditionellen, auf Moskau orientierten oder um Moskau gruppierten Kommunisten, aber auch die Maoisten, wollen nur eine proletarische Frauenbewegung als Massenorganisation ihrer Partei. Sie halten Ubergangslö-sungen nach Art der trotzkistischen GIM für einen potentiellen Dammbruch, der kaum mehr kontrolliert werden könnte. Naserümpfend weisen sie auf die bedenkliche soziale Zusammensetzung des Feminismus hin, wo Arbeiterinnen mit bürgerlichen Damen und — man stelle sich vor! — manchmal sogar mit Aristokratinnen zusammensäßen. Die Zielhaber der klassenlosen Gesellschaft wünschen eine möglichst reine Klassentrennung in der Gegenwart, wobei sie bestimmen, wer zum Proletariat gehört. Nach ihrem Verständnis gehen nur bürgerliche „Emanzen" davon aus, daß die Unterdrückung der Frau auf ihre weiblichen Eigenarten zurückzuführen sei: „Marx und Engels hingegen zeigten die wirkliche Ursache für die Ungleichheit zwischen Mann und Frau: sie liegt begründet in der Errichtung des Privateigentums an Produktionsmitteln." Daher müßten die Frauen Schulter an Schulter mit den männlichen Arbeitern gegen den Kapitalismus kämpfen, statt einen künstlichen Gegensatz zu schaffen.

6. Maos andere Hälfte

Es gibt jedoch einen prinzipiellen Unterschied zwischen dem moskauorientierten Kommunismus und dem Maoismus, freilich nicht allein in der Frauenfrage. Anders als Lenin hat Mao Tse-tung (seit 1957) zwischen antagonistischen und versöhnlichen Widersprüchen unterschieden. Letztere seien innerhalb des -Vol kes zu finden, weshalb sie evolutionär gelöst werden könnten. Knüpfte er hierbei an die philosophische Tradition Laotses an? Die chinesische Kultur war jahrtausendelang überwiegend vom weiblichen Prinzip bestimmt. Der Großfamilie standen zuweilen noch bis ins 19. Jahrhundert Frauen vor, obwohl der männlich geprägte Konfuzianismus das patriarchalische Familiensystem forderte.

Maos Dialektik leitete sich nicht von Marx, vielmehr aus den Yang-Yin-Polen des Univer-salismus Aus ab. dieser Sicht sprach er einmal von den Frauen als der „anderen Hälfte des Himmels". Es erscheint möglich, das man-che Maoisten — selbst die europäischen und deutschen — durch Rückbesinnung auf dieses Prinzip ihr negatives Verhältnis zum Feminismus noch korrigieren.

7. Antiautoritäre

Spontis (in der Bundesrepublik vor allem um Daniel Cohn-Bendit geschart), Anarchisten und Situationisten begrüßen den feministischen Kampf gegen jegliche Hierachie, da sie selbst hierarchiefeindlich sind. Nur die Lesbierin ist ihnen als weibliche Chauvinistin verdächtig. „Die Befreiung der Frau muß die Befreiung des Menschen sein oder sie wird zum Phyrrhus-Sieg."

Man will das subversive Potential des Feminismus in eine neue antiautoritäre Bewegung integrieren. Er wird als autonomer Bestandteil dieser keimenden Bewegung akzeptiert, die sich sowohl gegen den Kapitalismus als auch gegen den Staatskommunismus wenden soll.

8. Sozialisten

Die eigentlichen, der Genossenschaftsidee verpflichteten Sozialisten (in der Bundesrepublik um das Sozialistische Büro) sind erst dabei, ihre feministische Tradition wiederzuentdecken. Unter marxistischem Einfluß wird sie teilweise noch immer verdrängt. Ihre dezentrale Organisationsform ist der feministischen synchron. Ihr Konzept, daß sich alle Bevölkerungsgruppen auf der Grundlage eigener Bedürfnisse selbst artikulieren sollen, um sodann in einen koordinierten Zusammenhang zu treten, legt ein positives Verhältnis nahe. Aber auch den meisten Sozialisten erscheint Klassenkampf noch wichtiger als weibliche Emanzipation.

In der Zeitung des Sozialistischen Büros werden jedoch von Frauen verfaßte Einzel-und Kollektivbeiträge mit feministischer Tendenz abgedruckt. Ein Kollektivbeitrag, der auf dem Pfingstkongreß 1976 auch mündlich vorgetragen wurde, enthielt u. a. folgende Passagen: „Die Geschichte der alten und neuen Frauenbewegung ist die Manifestation des Widerstandes gegen die Repression eines Geschlechts. Die männliche Linke beginnt jetzt, wo es auch sie betrifft, Berufsverbote zu thematisieren. Für uns Frauen gab es in dieser Gesellschaft schon immer Verbote für bestimmte Berufe."

9. Marcuses Femino-Sozialismus

Am positivsten von allen Marxisten hat Herbert Marcuse in einem am 7. März 1974 gehaltenen Vortrag, erst tastend und dann nach intensiven Diskussionen mit Frauen bestimmter, zum Feminismus Stellung genommen. Diese oft hitzigen Diskussionen veranlaßten ihn zum Umschreiben des genannten Vortrags, weshalb dessen endgültige Fassung in gewisser Hinsicht als ein gemeinsames Werk Marcuses und des Feminismus bezeichnet werden kann. Ihm ging freilich auch der Essay „Die neue Sensibilität" voraus, den man wohl kennen muß, um das folgende zu verstehen.

Für Herbert Marcuse ist „eine eigenständige Frauenbewegung nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig" Er sieht im Feminismus jene Kraft, die vielleicht am ehesten befähigt wäre, das technokratische System der eindimensionalen Gesellschaft umzuwälzen. Seines Erachtens äußert sich in den Werten des kapitalistischen Realitätsprinzips eine spezifisch männliche Triebstruktur, „in der primäre aggressive Energie dazu tendiert, die Lebenstriebe, d. h. die erotische Energie, zu reduzieren und zu schwächen" Der Sozialismus sollte die Antithese dieser destruktiven Tendenz sein. Er müßte sich daher auf solche „femininen Qualitäten wie Re-zeptivität, Sensitivität, Gewaltlosigkeit, Zärtlichkeit usw." gründen. Nur diese Qualitäten sind nach Marcuse wirklich ausbeutungs-und herrschaftsfeindlich. Sie enthalten ein neues Realitätsprinzip, das ohne Repression auskommen kann. Die männlichen Werte — Leistungsprinzip, herrschaftsfunktionale Rationalität, doppelte Moral und Arbeitsethik — verkörpern heute den Todestrieb, während die weiblichen für den Lebenstrieb stehen.

Bei einer solchen Alternative sollte die Entscheidung nicht schwerfallen. Aber Herbert Marcuse ist zu tief vom Marxismus durchdrungen, als daß er imstande wäre, ihn fallen-zulassen. Er kritisiert nur dessen „Überbleibsel, Elemente der Fortdauer des Leistungsprinzips und seiner Werte" Der Feminismus soll diese Überbleibsel wie einen alten Zopf abschneiden, im übrigen jedoch zur weiblichen Avantgarde des Marxismus werden. „Werft den Kapitalismus nieder und haucht dem Sozialismus euren Eros ein!“ — nach den Rand-gruppen und Studenten sind es nun die Frauen, auf die Herbert Marcuse seine Hoffnungen setzt.

Seine Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Triebstruktur ist jedoch ebenso neu wie seine Vorstellung von einer Gesellschaftsordnung des feministischen Sozialismus. Aus der Distanz zum Partei-und Staatskommunismus erkannte er mit weiblicher Hilfe dessen patriarchalischen Charakter. Dennoch soll es nur ein . Überbleibsel’ Marxschen Denkens, nur ein alter Zopf sein, was der Feminisierung des Kommunismus entgegensteht. Ebenso hat Chruschtschow von Überbleibseln des Kapitalismus im Bewußtsein der Sowjetmenschen gesprochen, damit er die Mißstände des Systems diesem selbst nicht anzulasten brauchte. Gleichwohl verließ Herbert Marcuse als erster Marxist die Bannmeile des . sozialistischen'Patriarchats. Er überschritt eine Grenze, an der sich seine Genossen und Genossinnen in zwei historische Parteien teilen.

Im allgemeinen ist die Linke jedoch skeptisch gegenüber dem Feminismus, besonders die marxistische, weil er ihr Schema des Klassenkampfes sprengt. Einerseits wirft sie ihm vor, unpolitisch zu sein, andererseits wendet sie sich gegen die Politisierung der Frauen durch eine spezielle Frauenpartei oder durch eine autonome feministische Bewegung. Angeblich ist die weibliche Emanzipation erst im Zuge einer proletarischen Revolution möglich, oder gar erst nach ihrem erfolgreichen Abschluß. Mit solchen Redensarten lassen sich die Feministinnen aber nicht mehr abfertigen und besänftigen, auch wenn sie selber vom Marxismus herkommen. Ihre Geduld mit den Männerrevolutionären und Männerreyolutionen ist erschöpft.

III. Grundthesen des Feminismus

1. Frauen als erste Sklaven?

Der Feminismus gründet sich auf die bisher nur indirekt formulierte These, daß alle bisherigen Revolutionen lediglich zur Ablösung einer Männerkaste durch eine andere führten, die Lage der Frauen jedoch im wesentlichen unverändert ließen. Ob Sklaverei, Feudalismus oder Kapitalismus — immer bildete das weibliche Geschlecht den Bodensatz. Es war der erste Kontinent, der kolonisiert wurde, eine vierte Welt neben den drei geographisch fixierbaren. Im Manifest der vierten Welt, verfaßt von fünf Feministinnen, heißt es: „Frauen waren die erste Gruppe, die auf der ganzen Welt unterworfen wurde, vor tausen-den von Jahren, lange ehe in Amerika oder wo auch immer die Schwarzen von den Weißen unterworfen wurden ... Krieg ist eine männliche Institution — wie alle anderen In-stitutionen in der Gesellschaft — und Krieg ist nur eine Ausdehnung der kolonialen Politik der Unterdrückung weiblicher Kultur Aus dieser radikalfeministischen Sicht bewegt sich auch der Klassenkampf im Rahmen männlicher Herrschaft, die er bisher nicht in Frage gestellt hat und vielleicht nicht in Frage stellen konnte, ohne sich selber anzuzweifeln und seine eigene Struktur zu überprüfen. Obwohl sich alle Wirklichkeit in eine weibliche und in eine männliche Sphäre teilt, be-achtete der Marxismus bislang nur die zweite, weil er ihr selbst angehört. Dabei sei die männliche Welt nur ein überbau der weiblichen Basis.

2. Rezeption nur der männlichen Klassiker

Hier muß allerdings angemerkt werden, daß der Marxismus die Grundforderung der früheren Frauenbewegung nach Gleichberechtigung akzeptierte und übernahm, freilich eher aus den sozialistischen Programmen denn aus eigener Einsicht. Darin lag noch keine Gefahr für seine eigene Denkstruktur. Die frühere Frauenbewegung, sieht man von einer schwachen Randtendenz ab, hatte selbst maskulinen Charakter. Sie erstrebte lediglich die politische, bildungsmäßige und berufliche Angleichung an den Mann, was zu einer gewissen Vermännlichung führte, die an englischen Suffragetten wohl am deutlichsten hervortrat. Die Grundforderung des heutigen Feminismus nach Selbstbestimmung des weiblichen Geschlechts, nach Berücksichtigung spezifisch weiblicher Bedürfnisse, kann der Marxismus jedoch nicht akzeptieren. Sein maskulines Wesen und seine patriarchalische Struktur sind mit solchen Forderungen unvereinbar.

Unter den Klassikern des Marxismus befindet sich keine einzige Frau. Dabei gibt es mindestens eine, die diesen Rang verdient hätte: Rosa Luxemburg. Wie die Reihenfolge der Klassiker auch aussehen mag — Marx, Engels, Lenin, Trotzki oder Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao-*Tse-tung —, sie wird nicht erwähnt. Selbst Trotzkisten, die Rosa Luxemburg am häufigsten zitieren, scheuen sich, sie im gleichen Atemzug zu nennen. Dabei wurden die Luxemburgisten und Trotzkisten in der Stalinzeit gleichermaßen von den kommunistischen Parteiapparaten gebrandmarkt, ausgestößen und verfolgt. sem Grunde habe sie die Entwicklung einer unabhängigen Frauenbewegung aufhalten oder ihre Energien in marxistische Kadergruppen umleiten wollen.

Darüber hinaus ist die männliche Linke für den Feminismus sexistisch, weil sie in ihren Organisationen „starre Geschlechterrollen und männliche Vorherrschaft" aufrechterhält. Den Männern wird die Theorie Vorbehalten, Frauen und Mädchen die ausführende Praxis zugewiesen. Ferner gibt es eine Spaltung zwischen Politik und Privatleben. Oft sind die männlichen Linken nur in der Politik revolutionär, während sie privat ihre Freundinnen ebenso sexuell ausbeuten und durch Objektbehandlung entfremden, wie der Kapitalist die Arbeiter in seiner Fabrik ökonomisch ausbeutet und entfremdet. „Ihr pflegt uns und unsere Produkte nur zu konsumieren" sagte Mona Steffen auf der letzten Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes vom November 1968 in Hannover. Wenn dies die letzte Delegiertenkonferenz des SDS war, so auch wegen des feministischen Aufstands in einer von Männern dominierten Organisation, welche die Achsenverschiebung zum Weiblichen weder aufhalten noch durchhalten konnte. Ebenso wie die marxistischen Studentenbünde in einer gan-zen Reihe anderer Länder brach der SDS nicht zuletzt unter dem Druck dieser Achsenverschiebung zusammen, nachdem er von Mädchen und jungen Frauen als Bestandteil der Konsumgesellschaft bloßgestellt worden war, aber auch wegen seiner „repressiven Kommunikationsstrukturen" die der weiblichen Emanzipation im Wege standen, jedoch weder abgebaut noch länger behauptet werden konnten.

3. Weibliche und männliche Linke

Der Feminismus versteht sich überwiegend als weibliche Linke. Er beschuldigt die männliche Linke, „ein direktes Interesse an der Bewahrung des Status quo, das heißt an den männlichen Privilegien" 34), zu haben, deren Bedrohung verhindert werden soll. Aus die-

4. Drei Erkenntnisse

Die heutige Bewegung des Feminismus ging hauptsächlich aus dem Studentenmarxismus hervor. Sie wandte sich aber schon 1968/69 davon ab und wurde in den siebziger Jahren eine selbständige Kraft. Diese entwickelte sich auf der Grundlage von drei bitteren Erkenntnissen: a) daß die männliche Oberherrschaft nur von einer selbständigen Frauenbewegung abgeschüttelt werden kann, nicht von Kommunistischen Parteien oder sozialistischen Organisationen mit weiblichem Fußvolk, b) daß die männliche Linke ein Bestandteil des Weltpatriarchats und vielleicht dessen raffinierteste Stütze ist, c) daß die weibliche Emanzipation bisher auch in den kommunistischen Staaten verhindert wurde, vielleicht mit Ausnahme Chinas.

Solche Einsichten legten die'Frage nahe, welche Rolle der Marxismus bisher gespielt hat. Ist er wirklich emanzipativ oder repressiv, eine Triebfeder oder ein Hemmschuh der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung über den ökonomischen Bereich hinaus?

Darüber gibt es im Feminismus keine einhellige Meinung. Ein großer Teil davon neigt jedoch zu einer kritischen Haltung. Ein anderer nimmt sogar eine ironische Umwertung vor. Nicht Marx, sondern seine Frau war genial und emanzipativ; er drängte sie jedoch ebenso wie seine Töchter in den Hintergrund: „Marx, kleiner Philosoph im letzten Jahrhundert, Ehemann der bekannten Jenny von Westfalen."

Diese kritische und umwertende Haltung des Feminismus stützt sich auf leidvolle Erfahrungen mit männlichen Marxisten, die zunehmend öffentlich reflektiert werden. Man wirft ihnen nicht nur in Italien vor, die Betriebsmacht des Kapitals anscheinend nur zerstören zu wollen, um sie in ihre eigene Hausmacht gegenüber Frauen und Töchtern umzumünzen.

5. Gegen die linke Phallokratie Bezeichnend ist eine Broschüre französischer Feministinnen über die linken Phallokraten. Sie kommentiert einen Streik der weiblichen Angestellten des Kaufhauses Nouvelles-

Galeries vom Frühjahr 1972 in Thionville und die Selbstverwaltung der Uhrenfabrik Lip, welche in der Weltpresse Aufsehen erregte. Anni C. schreibt aus ihrer Erfahrung, daß sich mancher Arbeiter „als großer marxistisch-leninistischer Revolutionär ohne Skrupel von seiner Frau bedienen läßt oder sie wie einen Hund behandelt... Auf diese Weise setzt sich die . natürlichste" Ausbeutung der Welt seit Jahrhunderten fort. So werden seit Jahrhunderten die , Weibergeschichten'ins Lächerliche gezogen, herablassend und paternalistisch beurteilt"

Der Feminismus leugne nicht den Klassenkampf, werde jedoch von den Klassenkämpfern verleugnet. Die Marxisten würden sich nur der Arbeiter annehmen, während die Frau in ihrer Theorie entweder überhaupt nicht oder nur am Rande vorkommt. „Wir haben nichts von diesen bornierten Revolutionären zu erwarten oder zu erhoffen. Die marxistischen Theorien haben die Frauen auf dem Altar der Revolution geopfert!“ Und weshalb sollen wir weibliche Ausbeutung durch Arbeiter nicht ebenso angreifen wie ökonomische durch Kapitalbesitzer? Das wird jedoch, sagen Feministinnen, im Namen der hochheiligen proletarischen Revolution von uns verlangt. Verlangt durch linke Parteiund Gewerkschaftsfunktionäre, welche nur die Inter-essen ihres eigenen Geschlechts vertreten und sich als linke Phallokraten erweisen. Sie ha-ben ihre zur Zeit noch folgsamen weiblichen Anhängsel mobilisiert, um die angeblich kleinbürgerlichen Feministinnen in Thionville auszuschalten. Gewerkschaftspharisäer forderten die streikenden Frauen scheinbar wohlwollend auf, sich doch auszuruhen und wieder ihren Männerhänden anzuvertrauen, stießen jedoch auf denselben Widerstand wie der Kaufhausbesitzer. Die Revolte der Frauen im Warenhaus dehnte sich auf sämtliche Bereiche ihres Lebens einschließlich Haushalt und Ehebett aus.

Die französische Uhrenfabrik Lip ist überall bekannt, aber wer weiß schon, daß über 50 Prozent ihrer Belegschaft aus Frauen bestand? Pascale Werner skizziert ihr allmähliches Hineinwachsen in die Arbeiterselbstverwaltung. Zunächst waren sie wortund machtlos. Die technische Kontrolle blieb „immer den Männern Vorbehalten" Sie lehnten die Schaffung eines Betriebskindergartens zur Entlastung der Frauen ab. Familiäre Belastungen wurden als private Probleme behandelt, die privat gelöst werden sollten. Erst die Beteiligung an ökologischen Aktionen und an einer gesamtfranzösischen Versammlungskampagne flößte den Frauen genügend Mut ein, auch innerhalb des Betriebes ihre weiblichen Ansprüche zu vertreten. Da die Sozialistenund Gewerkschaftsmänner einer Diskussion auswichen, bildeten sie auf eigenen Versammlungen eine Frauenkommission. Diese brach mit der auch bei Lip üblichen „Arbeitsteilung, nach der die Frauen die praktischen Aufgaben, die Ausführung übernehmen und die Männer die Reden, die Verantwortung und die Entscheidungen“

Aber noch immer gab es in der selbstverwalteten Uhrenfabrik keinen einzigen weiblichen Meister und Aufseher. Selbst die gewerkschaftlichen Vertrauensleute waren meistens Männer. Das konnten die zum Selbstbewußtsein erwachten Frauen nicht länger ertragen. Sie erzwangen eine Änderung. Unter dem äußerlich dargebotenen proletarischen Klassenbewußtsein ihrer Arbeitskollegen verbargen sich oft bürgerliche Gewohnheiten, welche von weiblichen Delegierten in den Vollversammlungen angeprangert wurden.

Nicht der Feminismus erwies sich als kleinbürgerlich, sondern der Marxismus. In den Familien stellte er jene Herrschafts-und Ausbeutungsverhältnisse, die in der Uhrenfabrik abgeschafft worden waren, wieder her. Um diese Verhältnisse einer revolutionären und zugleich praktischen Kritik zu unterziehen, erwies es sich als notwendig, „daß die Frauen als historische Akteure kollektiv die Szene betreten" Damit war ein neues revolutionäres Subjekt gefunden im Konflikt mit der männlichen Linken.

6. Feminopakt mit der Jugend?

Nach Hegel wird das Weibliche dem Gemeinwesen dann am gefährlichsten, wenn ihm ein Bündnis mit den Söhnen und Töchtern gegen das reife Männliche gelingt, wenn es viele Jugendliche zu Komplizen seiner Verachtung des Staates macht, wenn sich die junge Generation durch das Göttliche in den Frauen zum Aufstand gegen die Autorität verführen läßt.

Der Marxismus hat zwei Achillesfersen: Pa-triarchalismus gegenüber den Frauen und Paternalismus gegenüber der Jugend. Das eine ist mit dem anderen unlösbar verknüpft. Es handelt sich um zwei Seiten desselben Führungsanspruchs, den die marxistischen Kader und Kommunistischen Parteien erheben. Sie gestehen Frauen und Jugendlichen in der Re-gel nur eine organisatorisch autonome Massenorganisation zu, keine politische Selbständigkeit. Die kommunistischen Jugendverbände sollen die gesamte junge Generation zur Verwirklichung der jeweiligen Parteidirektiven mobilisieren, und ihre Führer werden ihnen von den Politbüros aufgezwungen.

Die antiautoritäre Jugendund Studentenrevolte der sechziger Jahre richtete sich auch gegen den Paternalismus der Marxisten-Leni-nisten. Er reproduzierte sich jedoch in den maoistischen Kader-und Aufbauparteien. Feministinnen entfachten die Glut der Rebellion erneut. Carla Lonzi bot der Jugend ein Bündnis gegen die Alten an: „Erhebt euch gegen alle Väter, denen der Krieg ein Mittel ist, um den jungen Mann , zu töten'und die emanzipierten Frauen erneut zu unterjochen. Es gibt eine Einheitsfront der linken und rechten Phallokraten gegen das Weib und die Jugend. Deshalb müssen auch wir eine Einheitsfront schmieden, um beide aus den Angeln zu he-ben!"

Den Marxisten aller Provenienzen sträuben sich die Haare, wenn sie solche Aufrufe lesen. Ein mit der Jugend gegen sie verbündeter Feminismus ist ihr Alptraum. Mit ihrem Anspruch, im Interesse der überwältigenden Mehrheit aufzutreten, wären sie plötzlich in eine Minderheitenposition versetzt und der Lächerlichkeit preisgegeben.

Der junge Italiener Elvio schrieb bereits stellvertretend für viele einen Abschiedsbrief an die Papapartei KPI: „Ich, das jugendliche Proletariat, bin ziemlich wütend . . . Du hast Dich überall und vor allen Leuten mit meinen Erfolgen geschmückt. . . Viel wichtiger ist, daß Du mich immer mehr belästigt hast. Du hast mich immer wieder gezwungen, mir Deine Ratschläge anzuhören . . . Auch das ist Paternalismus. Meine Schwester hat Dich vor kurzem, als sie sehr wütend war, ungeheuer angeschrien . . . Vielleicht hat sich meine Schwester ein bißchen mehr Freiheit erkämpft. Aber sie befindet sich noch immer in unglaublichen Konflikten: mit sich selber, mit mir und mit Dir... Ich hoffe, es kommt bald ein Erdbeben, das den Asphalt aufreißt und tausend Blumen hevrortreibt. Madi's gut."

Mit der Schwester des Jungproletariats, das anstelle der ideologischen Einförmigkeit der Marxisten-Leninisten gern tausend Blumen leuchten sehen würde, ist nichts anderes als der Feminismus gemeint. Bahnt sich tatsächlich ein Bündnis gegen die Parteiapparate und Patriarchen-Paternalisten an? Es scheint so. Marx sagt in seinen Feuerbach-Thesen, nicht die Interpretation, sondern die Veränderung der Wirklichkeit stünde auf der geschichtlichen Tagesordnung. Aber Veränderung setzt, wie der Feminismus erkennt, Interpretation voraus — heute auch in bezug auf Struktur und Natur des Marxismus als Bestandteil der geistigen und politischen Wirklichkeit.

IV. Unterschiede zwischen Feminismus und Marxismus

Wie groß ist die Kluft? Von welchen Prämissen aus werden gesellschaftliche Veränderungen angestrebt? a) Für den Marxismus geht es um die Aufhebung des Kapitalismus, der für den Feminismus lediglich ein Spezialfall von Männerherrschaft ist und daher nur durch Aufhebung des Patriarchats entwurzelt werden kann. b) Für den Marxismus bestimmen die materiellen Verhältnisse das gesellschaftliche und individuelle Bewußtsein, für den Feminismus auch die traditionellen, etwa die überlieferten Geschlechterrollen. c) Für den Marxismus ruht jede Gesellschaft auf einer ökonomischen, durch Eigentumsformen, Produktionsverhältnisse und Technologie bestimmten Basis. Für den Feminismus ruht sie auf einer kulturellen Basis, welche die Wirtschaftsform mitbestimmt und die Werte der jeweiligen Gesellschaft enthält. d) Für den Marxismus ist das Privateigentum an Produktionsmitteln die tiefste Wurzel der Ausbeutung und Unterdrückung, für den Feminismus die Hierarchie und Arbeitsteilung der Geschlechter, wie sie schon vor Jahrtausenden eingeführt wurde. e) Für den Marxismus spiegelt die Lage der Frau einen Nebensektor der Diskriminierung, für den Feminismus ist sie die Grundlage aller weiteren Diskriminierungen.

f) Für den Marxismus ist die Befreiung der Frau dann vollzogen, wenn sie aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit vom Mann ausbricht, indem sie aus dem Haushalt in einen Betrieb geht. Für den Feminismus entsteht dadurch eine Doppelausbeutung, auch eine Doppelbelastung der Frau (im Betrieb und im Haushalt), an der sie zerbrechen kann und die ihr keine Zeit mehr läßt, sich um ihre spezifisch weiblichen Probleme zu kümmern.

g) Der Marxismus ist eine kollektivistische Ideologie, welche vom Primat der gesellschaftlichen Interessen über das Individuum ausgeht und persönliche dessen Bedürfnisse meist als egoistisch betrachtet. Demgegenüber hat der Feminis'mus einen personalistischen Grundzug. Er wünscht zunächst die Identitätsfindung der Frau und des weiblichen Geschlechts. So folgt er dem heutigen Menschheitsgesetz der Individuation das die Maschen der kollektivistischen Systeme zerreißt. Marxismus und Feminismus gehören zwei verschiedenen Epochen an, die in der Gegenwart miteinander in Konflikt geraten.

V. Schlußfolgerungen

Die frühere Frauenbewegung ergänzte die männliche Gesellschaft durch einen weiblichen Aspekt, um sich in Berufe, Hochschulen oder politische Parteien zu integrieren. Für den neuen Feminismus ist diese Gesellschaft von Grund auf phallokratisch. Er entstand als ihr Gegenpol und bricht sie von innen her auf. Nicht der , lange Marsch durch die Institutionen'(Dutschke) des Staates, sondern ein langer Marsch durch das patriarchalische Gesellschaftsgefüge charakterisiert seine Methode.

Der neue Feminismus kam zwar hauptsächlich aus linken Studentenbünden, ist aber nicht unbedingt linksorientiert. Er entfernte sich von seiner Herkunft im gleichen Maße, wie sich seine Tätigkeit auf zwei Gebiete verlagerte. Erstens auf Selbsterfahrungs-und Therapiegruppen innerhalb der Frauenzentren, die das weibliche Körperbewußtsein wecken und stimulieren (Getting Clear). Zweitens auf Schaffung einer weiblichen Kultur inmitten der männlichen, um neue Wertmaßstäbe zu setzen und selbst zu praktizieren. Gegenüber dem Marxismus, der nach wie vor die Mobilisierung der Massen zu erreichen sucht, besteht das Hauptanliegen des neuen Feminismus in der Sensibilisierung des Weiblichen, der radikalen Subjektivität eines ganzen Geschlechts.

Da der Schwerpunkt auf Selbsterfahrungstherapie und Kultur liegt, verläßt der Feminismus eigentlich die politische Bühne. Zumindest ist er mit politischen Kategorien wie . rechts'und , links'nur teilweise zu begreifen. Er versucht eine Neubestimmung des Weiblichen nicht auf der rationalen Ebene, vielmehr aus dem Empfindungsleben der Frau mittels der Intuition. Selbst die feministische Theorie sagt daher längst nicht alles über den Feminismus aus. Sie ist sekundär gegenüber der weiblichen Praxis, die von ihm initiert wird. Das beugt bis zu einem gewissen Grade einem Dogmatismus und Doktrinismus vor.

Aus diesen Gründen kann der neue Feminismus mit allen politischen Richtungen zusammengehen, die sein Anliegen direkt oder indirekt unterstützen. Bei der Rechten stößt er jedoch auf größere Vorbehalte. Außer der Jungfrau akzeptiert sie im wesentlichen die Frau nur als Mutter, und das Mütterliche erscheint ihr lediglich als Ergänzung des Väterlichen, als Bestandteil einer natürlichen Ordnung, die im Mann nach wie vor das aktive, vorherrschende Element sieht.

Bei der Linken spielt die Frau auch als Geliebte und Kampfgefährtin eine Rolle. Sie ist prinzipiell aufgeschlossener gegenüber dem Feminismus, aber nicht aus der marxistisch-kommunistischen, sondern aus der damit im Grunde nicht zu vereinbarenden frühsozialistischen Tradition. Deshalb dürfte sich die neue Frauenbewegung auch weiterhin hauptsächlich mit linken Gruppen und Richtungen verbinden, aber eher mit sozialistischen als mit kommunistischen. Der Kommunismus ist antisozialistisch und antifeministisch zugleich.

Eine Verbindung mit rechtsorientierten Gruppen, etwa mit Nationalrevolutionären, kann insofern nicht ausgeschlossen werden, als der Oko-Feminismus auch jene biologischen Argumente aufgreift, die dem traditionellen Rechtshaushalt angehören. Der Oko-Feminismus ist vor allem eine Radikalkritik der Linken, die den Technik-und Arbeitskult in Verbindung mit einer Fortschrittstheorie betreiben, welche ständiges Wachstum der Industrieproduktion voraussetzt, ja das Niveau der gesamten Gesellschaft an der Wachstumsrate mißt. Dem Feminismus ist nicht entgangen, daß die Industrialisierung und Überindustrialisierung in den kommunistischen Staaten noch immer zum Fetisch gemacht wird, während sie in den westlichen Ländern längst auf erbitterte und teilweise auch erfolgreiche Kritik stößt. Insofern richtet er sich vor allem gegen den Marxismus-Kommunismus, auch wenn er selbst von dessen Positionen ausging. Außerdem sind inzwischen viele Frauen zu ihm gestoßen, die sich früher nie politisch betätigt haben. Der neue Feminismus verteidigt den Bios, das Leben schlechthin. Er sieht in der Frau weniger die Gebärerin als die Er-halterin des Lebens, einschließlich der Pflanzen und Tiere, gegen eine Raubbautechnik mit chemischen Todesspritzen.

Diese planetarische Mission ist weiter als jeglicher Internationalismus gespannt. Sie hat mit der herkömmlichen Politik als Kampf um Eroberung oder Behauptung der Macht nichts mehr zu tun. Unter dem ökologischen Aspekt kann man den neuen Feminismus beinahe als Antipolitik bezeichnen. Auch deshalb, weil er die politischen Fronten durch Geschlechter-fronten ersetzt. Seine kulturelle Bedeutung besteht darin, daß er neuen gesellschaftlichen Nährboden zu schaffen sucht und die weiblichen Fähigkeiten sowohl auf die Waagschale der Zeitgeschichte als auch der menschlichen Evolution legt. Diese Aufgaben kann der neue Feminismus eigentlich nur lösen, wenn er eine eigenständige Bewegung bleibt, statt wie die frühere Frauenbewegung in sozialistischen Parteien oder pazifistischen Organisationen aufzugehen, die geschlechtsgemischt waren.

Meines Erachtens wird er schon jetzt eher von seinen kulturellen Motivationen als von seinen politischen Ursprüngen und linken Impulsen bestimmt. Der Feminismus artikuliert das wachsende Selbstbewußtsein eines ganzen Geschlechts. Er bereitet aber auch eine Partnerschaft vor, die allerdings erst dann möglich sein wird, wenn sich Frauen und Männer jenseits aller patriarchalischen Schöpfungslegenden als gleichwertig anerkennen.

Vom zeithistorischen Standpunkt aus betrachtet gehört der neue Feminismus zum Nach-marxismus, einer Phase, wo die marxistisch orientierten Systeme von der Geschichte überrollt werden, weil ihre kollektivistische Struktur dem menschlichen und nun vor allem weiblichen Bedürfnis nach Individuation widerspricht. Seine radikale Subjektivität ist jedoch auch Ausdruck einer Achsenverlagerung vom Männlichen zum Weiblichen, die sich auf allen Gebieten ankündigt. Das spricht für seine Einbettung in Zusammenhänge, die ihm — gerade gegenüber dem Marxismus — eine unwiderstehliche Kraft geben könnten, selbst wenn seine jetzigen Formen manchmal abschreckend wirken.

Die feministische Bewegung ist nur ein Akzent der großen Achsenverlagerung, die sich in allen politischen Ordnungen und in jedem einzelnen Menschen vollzieht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Jean-Paul Sartre, Existentialismus und Marxismus, Reinbek 1964.

  2. Siehe G. Anarchismus, Freiburg/Br. 1976. Bartsch, Kommunismus, Sozialismus,

  3. Marx-Engels, Briefwechsel, 1913, S. 59, 27/229. Band 2,Stuttgart

  4. G. S. 352. W.F. Hegel, Werke 3, Frankfurt/M. 1970,

  5. Marx-Engels, Kommunistisches Manifest, Berlin 1960, S. 6.

  6. Otto Weininger, Geschlecht und Charakter, Wien 1913.

  7. J. L. Talmon, Politischer Messianismus, Köln 1963, S. 101, Band 2.

  8. Interview von Simone de Beauvier im Nouvel Observer vom 14. 2. 1972.

  9. Siehe z. B. .... ausgebeutet 1977, das voller Kritik an der KP! ist.

  10. Zeitschrift Autonomie Nr. 4/77, S. 49.

  11. Ebenda, S. 50.

  12. Ebenda, S. 52.

  13. Ebenda, S. 51.

  14. Ebenda, S. 52.

  15. GIM-Zeitschrift die Internationale, Dez. 1975, S. 132.

  16. G. Bartsch, Trotzkismus als eigentlicher Sowjetkommunismus? Die IV. Internationale und ihre Konkurrenzverbände, Bonn 1977.

  17. Zeitung Spartacus vom 13. 6. 1977.

  18. Zeitschrift Klassenkampf vom August 1976, siehe vorletzte Seite.

  19. Einheit Nr. 13 der Vereinigten Linken, S. 13.

  20. Revolte Nr. 12 vom Dezember 1974.

  21. links, Februar 1977, S. 15.

  22. In: H. Marcuses, Versuch der Befreiung, Frankfurt/M. 1969, S. 43— 76.

  23. H. Marcuse, Marxismus und Feminismus, in: Jahrbuch Politik 6, Berlin 1974, S. 87.

  24. Ebenda, S. 88.

  25. Ebenda, S. 89. 28) Ebenda, S. 92.

  26. Zeitsdirift Frauenoffensive, Journal 1, S. 41— 43.

  27. Ebenda, S. 23.

  28. Studentenbewegung 67— 69,S. 221.

  29. Ebenda, S. 220. Frankfurt/M. 1977,

  30. Broschüre „Im Sozialismus werden die Frauen frei sein oder der Sozialismus wird nicht sein", o. J., vorletzte Seite.

  31. Gegen die linken Phallokraten, Frauen bei Lip, Berlin 1975, S. 6.

  32. Ebenda, S. 7.

  33. Ebenda, S. 31.

  34. Ebenda, S. 34.

  35. Ebenda, S. 45.

  36. Carla Lonzi, Die Lust, Frau zu sein, Berlin 1975 S. 11.

  37. Autonomie, S. 54.

  38. Unter zur eigenen Ganzheit. Individuation verstand Jung die Entwicklung

Weitere Inhalte

Günter Bartsch, geb. 1927 in Neumarkt/Schlesien; freier Journalist, Schriftsteller und Zeithistoriker; von 1948 bis 1953 in leitenden Positionen der kommunistischen Jugendbewegung, Bruch mit dem Kommunismus nach dem 17. Juni 1953. Veröffentlichungen u. a.: Osteuropäische Revolution und Gegenrevolution seit 1948; Schulen des Marxismus; Milovan Djilas oder die Selbstbehauptung des Menschen; Anarchismus in Deutschland; Die Hauptströmungen des europäischen Kommunismus.