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Sozialökonomische Entwicklung und Umwelt. Neue internationale Perspektiven | APuZ 7/1978 | bpb.de

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APuZ 7/1978 Artikel 1 Gibt es eine entwicklungspolitische Alternative für die Dritte Welt? Sozialökonomische Entwicklung und Umwelt. Neue internationale Perspektiven Finanzpolitik und Arbeitslosigkeit Beschäftigungswirkungen öffentlicher Ausgaben

Sozialökonomische Entwicklung und Umwelt. Neue internationale Perspektiven

K. William Kapp

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Zwischen Entwicklung und Umwelt, zwischen Ökonomie und Ökologie besteht eine enge Beziehung: Probleme der Umweltzerstörung und daraus resultierende soziale Kosten sind nicht nur für die hochindustrialisierten Länder relevant, sondern müssen bei der Konzipierung und Anwendung von Entwicklungsstrategien in der Dritten Welt von vornherein mit einkalkuliert werden. Kapp setzt, bei einer Kritik der herkömmlichen Planungsstrategien und -methoden an. Sie haben versagt, weil sie an marktwirtschaftlichen Kriterien orientiert waren und nicht an den Grundbedürfnissen der Menschen, für die sie bestimmt sind. Als Folge entstanden neue Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber den hochindustrialisierten Wirtschaften. Darüber hinaus war der bisherige Entwicklungsprozeß mit hohen Sozialkosten verbunden, die aus der Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts und einer Überbeanspruchung der Ressourcen resultieren. Weitere Auswirkungen ergeben sich aus der Freisetzung von Arbeitskräften mit dem Ergebnis wachsender Arbeitslosigkeit, wachsender Verarmung, Slumbildung in den Städten usf. Kapp hat alternative Strategien und Planungsmethoden entwickelt, die er eingehend beschreibt. Auf der Basis einer Bestandsaufnahme der sozialen und natürlichen Umweltsituation mit Hilfe „realer Indikatoren" können nach Kapp Toleranzgrenzen oder soziale Minima der verschiedenen Komponenten menschlicher Umwelt formuliert werden: Diese Bestandsaufnahme liefert nicht nur Daten für einen normativen Planungsansatz, sondern soll auch Aufschluß darüber geben, welche realen Voraussetzungen — Ressourcen, Arbeitskräftepotential, spezielle Fertigkeiten usw. — vorhanden sind. Entsprechend erfordert eine an solchen Indikatoren orientierte Umweltpolitik eine direkte Kontrolle der in der Produktion verwendeten Eingaben und eine geplante Entwicklung alternativer Technologien und Techniken. Wichtig ist, daß auch politische Zielvorstellungen nicht ein für allemal fixiert werden können, sondern flexibel und aufnahmebereit für neue Informationen und veränderte Bedingungen bleiben müssen. Dabei sei die Selbsthilfe (self-reliance) von größter Bedeutung. Sie garantiere zum einen, daß der Entwicklungsprozeß nicht selbstzerstörerisch auf die physische und soziale Umwelt einwirke und helfe außerdem, eine neue wirtschaftliche und politische Abhängigkeit der Völker in der Dritten Welt von.den hochindustrialisierten, marktwirtschaftlich orientierten Ländern zu vermeiden.

Unterentwickelte Länder und Umweltzerstörung

Die enge Beziehung zwischen Entwicklung und Ökologie ist bis vor kurzem bei der Aufstellung von Entwicklungsplänen weitgehend unbeachtet geblieben. Entwicklungstheorie und -praxis sind stillschweigend davon ausgegangen, daß Umweltzerstörung und soziale Kosten vor allem für hochindustrialisierte Länder ein Problem sind, während sie für unterentwickelte Länder, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielen. Einige Ökonomen sind sogar der Meinung, daß man bei hohen Wachstumsraten negative soziale und umweltbedingte Auswirkungen durch Investitionen und Produktion in Kauf nehmen muß, daß arme Entwicklungsländer sich den Luxus eines Umweltschutzes und entsprechender Hilfsmaßnahmen nicht leisten können und die Planer gut daran täten, den alten „kapitalistischen Trick" anzuwenden: nämlich Sozial-und Umweltkosten auf die gesamte Gesellschaft abzuwälzen Es braucht wohl nicht hinzugefügt zu werden, daß es viele andersdenkende Sozialwissenschaftler gibt, die immer wieder auf die Gefahren der Umweltzerstörung und die Sozial-kosten für die Volkswirtschaften in den Entwicklungsländern hingewiesen haben, die den Entwicklungsprozeß sowohl kurzfristig wie auch langfristig hemmen. Sie haben im Gegenteil die Bedeutung der Umweltkomponente im Planungsprozeß immer wieder hervorgehoben und dafür plädiert, die sozialökonomischen Auswirkungen von Investitionen rechtzeitig zu bedenken. Und das lange bevor in der Konferenz über humanitäre Umweltfragen in Stockholm 1972 und mit dem Umwelt-programm der Vereinten Nationen (UNEP) diese Thematik in die öffentliche Diskussion aufgenommen wurde

Die gleiche Auffassung wurde auch von dem vorbereitenden Ausschuß für die Stockholmer Konferenz vertreten, der nachdrücklich betonte, daß Maßnahmen zum Schutz der Umwelt einen integralen Bestandteil des wirtschaftlichen und sozialen Gesamtentwicklungsprozesses bilden sollten. Ähnlich heißt es auch im Aktionsplan der UNEP von 1973, daß, „gleichgültig, um welchen Entwicklungsbereich es sich handelt — Landwirtschaft, Industrie, Transportwesen, Siedlungspolitik —, jeder Plan, der die Auswirkungen für die lokale Umwelt außer acht läßt, diesen Gesellschaften unausweichlich künftige Wirtschafts-und Sozialkosten aufbürdet. Die Planungsmethoden sollten deshalb so verbessert werden, daß die Umweltfrage mit einbezogen und ihr neben wirtschaftlichen, sozialen und anderen Faktoren ein entsprechender Rang eingeräumt wird." Der Aktionsplan der UNEP forderte Feldstudien in repräsentativen ökologischen und sozialen Systemen und Maßnahmen in Richtung „auf eine Anpassung der Technologien an die örtlichen Ökosysteme, vor allem bei tropischen Rohstoffen, anstatt der Übernahme von Technologien mit schädlichen Auswirkungen". Weiterhin tritt der Plan für die Ausbildung integrierter Planungstechniken ein, die auf gezielten Untersuchungen bestimmter Ökotechniken basieren und mit deren Hilfe Entwicklung beschleunigt werden kann.

Herkömmliche Planungsstrategien und -methoden

Das plötzliche Interesse an neuen Entwicklungszielen und -Strategien zeigt, daß man die komplexen Interdependenzen, die Entwicklungsprozesse im allgemeinen charakterisieren und bestimmen, inzwischen besser versteht, ebenso wie die spezifischen Hemmnisse und Schwierigkeiten, die in der Vergangenheit die Versuche scheitern ließen, in den Ländern der Dritten Welt einen sich selbst tragenden, beschleunigten Prozeß sozialökonomischer und soziokultureller Veränderung in Gang zu setzen. Kurz gesagt, die gegenwärtige Beschäftigung mit neuen Entwicklungszielen und -Strategien ist eine Reaktion auf den Mißerfolg bisheriger Entwicklungsstrategien. Aber nicht nur die Strategien, sondern auch die Ziele der Entwicklungsplanung sind problematisch geworden und werden von den Sozialwissenschaftlern in den entwickelten Ländern — und zunehmend auch von Wirtschaftswissenschaftlern aus der Dritten Welt — kritisch diskutiert. Daher kommt also das Interesse an „neuen Entwicklungsstilen“ und an einer normativen Ausrichtung der Entwicklungsplanung sowie an so neuen Konzepten wie „Okoentwicklung" und „'Ökotechniken". Es muß betont werden, daß es hier um mehr geht als um das Problem der Zerstörung der physischen Umwelt. Es geht auch nicht um die Formulierung von Maßnahmen zum Umweltschutz durch nachträgliche Hilfsaktionen und Kontrollen. Das Thema ist sehr viel umfassender und hängt eigentlich mit dem gesamten Spektrum sozialer Probleme und sozialer Kosten zusammen, die im Verlauf des Entwicklungsprozesses in der Dritten Welt unter dem Einfluß von Strategien entstanden sind, die zum größten Teil von Angebot und Nachfrage und den entsprechenden Bewertungskriterien des Marktes bestimmt wurden. Diese Strategien, die implizit oder explizit versucht haben, „auf den besten Kräften aufzubauen" (build upon the best), haben weder die bestehenden und wachsenden Einkommensunterschiede oder die institutionalisierten Herrschafts-und Abhängigkeitsverhältnisse in vorindustriellen Ländern noch die ungleichen Handelsbeziehungen (terms of trade) zwischen unterentwickelten Ländern und ihren sogenannten „Partnern" in den Industrieländern mit einkalkuliert. Das Ergebnis sind neue Herrschaftsund Abhängigkeitseffekte, die sich zum Beispiel in dem Transfer von Kapital und Technologien in unterentwickelte Länder widerspiegeln, die zunächst von und für die industrialisierte Welt entwikkelt wurden. Es hat sich inzwischen gezeigt, daß sie nicht nur problematisch, sondern sogar ungeeignet sind, die Probleme der unterentwickelten Länder zu lösen.

Ein durchschlagendes Beispiel ist die Grüne Revolution — d. h. Übernahme und Anwendung von Saatsorten, die hohe Erträge garantieren —, einer Technologie, deren Ergebnisse und wirtschaftliche Erfolge auf einer Reihe zusätzlicher Maßnahmen beruhen, die in den unterentwickelten Ländern knapp und teuer sind. Das heißt, es sind Anbaumethoden erforderlich, bei denen große Mengen an Wasser, Energie, Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln benötigt werden. Ganz abgesehen davon, daß die Anwendung einiger dieser Maßnahmen die Abhängigkeit vom Ausland und von ausländischem Kapital vergrößert (wodurch wiederum Exporte nötig und die inländischen Ressourcen, insbesondere der Boden, zusätzlich belastet werden), können diese hochgezüchteten Kulturen („High Yielding Varie-

ties") und neuen Anbaumethoden wahrscheinlich nur von wenigen reichen und erfolgreichen Bauern angewendet werden. Kapital-

und energieintensive Erzeugnisse, durch die Bodenpreise und Bodenpacht steigen, und die Einführung der Mechanisierung als Antwort auf höhere Lohnforderungen der Landarbeiter, deren Chancen auf Arbeit zum Beispiel durch mehrmalige Erträge vorübergehend steigen, werden schließlich zu einer Eigentumskonzentration an Grund und Boden führen. Kleinbauern und Pächter werden ihr Eigentum verlieren und das Heer der landlosen Arbeiter auffüllen. Ihre Abwanderung in die Städte und ihre Ansiedlung in den Slums vergrößern nur die „urbane Misere", die bisher den Entwicklungsprozeß in den meisten unterentwickelten Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas begleitet hat. Auf lange Sicht verschlimmert eine solche Entwicklung Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung und führt zu noch größeren Einkommensunterschieden, zu noch mehr Armut und sozialer Instabilität. Durch höhere Erträge und höhere Produktivität (pro kultiviertem Hektar) gerät das Land durch den Gesamtprozeß in größere Abhängigkeit von ausländischen Investitionen (inputs). Anstatt einheimische Produktionsmittel zu mobilisieren, die überreichen Arbeitskraftreserven eingeschlossen, verdammt man letztere zur Arbeitslosigkeit und zu einem Status von Armut, der es noch schwerer macht, menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen, während eine kleine Mi-norität reicher Bauern und Industrieller die Möglichkeit hat, den „luxuriösen" Konsumstil zu imitieren, der für die industrialisierte Welt charakteristisch ist

Zum weiteren Beweis negativer Folgen aus Entwicklungsprojekten sei nur an die Umweltschäden erinnert, die einige große Mehrzweckprojekte ausgelöst haben, die die Voraussetzungen für einen „Take-off" der Landwirtschaft schaffen sollten, und zwar vor allem in Trockengebieten Indiens und Pakistans Es ist sehr wohl bekannt, daß durch solche Projekte zusätzliche soziale Kosten entstanden sind, weil der Boden versalzt oder verwässert wurde und verschiedene Wasserverseuchungen auftraten. Diese Sozialkosten hätten durch entsprechende Planung und Projektgestaltung sowie durch systematische Voruntersuchungen der umweltbedingten, sozio-institutionellen und kulturellen Dimensionen der in diesem Fall großräumigen Bewässerungsprojekte vermieden werden können. Das gleiche gilt auch für kleinere Projekte.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Entwicklungsprozeß (im herkömmlichen Stil) in vielen Ländern mit hohen Sozialkosten verbunden war, und zwar nicht nur wegen der Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts und einer Überbeanspruchung der Ressourcen, sondern auch durch solche (negativen sozialökonomischen Auswirkungen wie z. B. Freisetzung von Arbeitskräften und wachsende Arbeitslosigkeit, größere Einkommensunterschiede, Verschlechterung städtischer Lebensbedingungen, wachsende Armut, Vorenthaltung lebenswichtiger öffentlicher Dienstleistungen wie Trinkwasser und sani-täre Einrichtungen, die wiederum zu hohen Krankheitsund Sterberaten führen, während auf der anderen Seite der Bedarf an we-niger lebenswichtigen und „Luxusgütern" durch ausländische Importe zunehmend befriedigt wurde. Es braucht wohl nicht hinzugefügt zu werden, daß dafür nicht nur ein ho-her wirtschaftlicher und ökologischer Preis gezahlt werden muß, sondern daß sie für die meisten Menschen auch eine erhebliche psychische Belastung sind, die in Furcht, geistigen Spannungen, Streß und Angst vor einer ungewissen Zukunft ihren Ausdruck findet. Der Entwicklungsprozeß ist also mit einer Zerstörung der physischen und sozialen Umwelt sowie der sozialen und personalen Bindungen verbunden gewesen. Diese Zerstörung hat zu psychischen Schäden, sozialen Unruhen und moralischem Verfall geführt. Die Krise der herkömmlichen Entwicklungsstrategien spiegelt sich also in einer allgemeinen Entmenschlichung individueller Lebensbedingungen und Gruppenbeziehungen wider, die schließlich zu einer kumulativen Unterminierung der gesellschaftlichen und kulturellen Struktur führen kann. Es ist kein Wunder, daß die so dringend notwendige Mobilisierung der Antriebskräfte für eine aktive Beteiligung am sozialen Wandel in den meisten Entwicklungsländern nicht gelungen ist, ganz abgesehen davon, daß die inhumanen Auswirkungen der herkömmlichen Entwicklungsstrategien notwendigerweise zerstören, was an sozialer Kohäsion, Gemeinschaft und Stabilität (auf nationaler, regionaler oder dörflicher Ebene) in den Entwicklungsgesellschaften und -kulturen vorhanden ist

Alternative Strategien und Planungsmethoden

Was kann getan werden? Welche alternativen Strategien und Planungsmethoden sind denkbar und sollten erforscht werden, um Umweltzerstörungen und soziale Kosten — im weitesten Sinne — zu vermeiden, die sich im Verlauf einer Entwicklung, die sich an den herkömmlichen Strategien orientierte, ergeben haben und die verhinderten, daß ein beschleunigter, sich selbst tragender sozialökonomischer Wandlungsprozeß in Gang kam. Die Suche nach alternativen Strategien kann nur erfolgreich sein: 1. Wenn wir anerkennen, daß Umweltzerstö-rung und Sozialkosten wichtige kausale Faktoren sind, die im kumulativen Entwicklungsprozeß eine negative Rolle spielen.

2. Wenn wir die falsche Trennung von ökonomischer und sozioökonomischer Zielsetzung aufgeben.

3. Wenn die sozialwissenschaftliche Theorie, und besonders die Entwicklungsökonomie, endlich sozioökonomische Faktoren, wie z. B. Technologien, die bisher als gegebene oder als konstante Größen angesehen wurden, als abhängige, variable Größen behandeln, die verändert und den neuen Zielsetzungen angepaßt werden müssen.

4. Wenn alternative Strategien auf einer rein empirischen (d. h. tatsachenbezogenen) Basis und diagnostischen Analyse beruhen.

Nur, wenn wir nach solchen Alternativen suchen, können wir hoffen, daß ein neuer Ansatz nicht sein Ziel verfehlt und daß eine Untersuchung dessen, was „Okoentwicklung" und „Okotechniken" bedeuten, nicht als Vorwand dafür dient, den explosiven Problemen und Aufgaben des Strukturwandels aus dem Weg zu gehen und zu einem Alibi dafür zu werden; den Status quo zu erhalten. Zunächst ist es notwendig, die Formulierung alternativer Entwicklungsstrategien auf eine rein empirische Basis zu stellen.

Die Beziehung zwischen „Fakten" und „Normen" ist ein altes Problem und hat Philosophen und Sozialwissenschaftler seit Hume, Kant, Hegel und Marx beschäftigt. Diese frühe Analyse, so wichtig sie sein mag, kann uns in unserem Zusammenhang nicht beschäftigen. Es genügt die Feststellung, daß unsere Ziele und Normen eine faktische Basis haben, wenn auch die Beziehung keine einfache ist. Die Verbindung kann durch eine diagnostische Einschätzung und Kritik der tatsächlichen Bedingungen oder, in anderen Worten, durch die Erkennung einer problematischen Situation — einer Krisensituation —, die normative Bedeutung hat (Habermas), hergestellt werden. Die problematische Situation verlangt bestimmte Handlungsweisen, die zum Zwecke ihrer Überwindung konzipiert wurden und die negative Auswirkungen verhindern sollen. Das heißt, es müssen entsprechende Pläne oder Strategien formuliert werden, die normativer Natur sind. Sie müssen geeignet sein und dem Ziel entsprechen, negative Folgen der kritischen Situation zu verhindern. Das soll nicht heißen, daß damit die Formulierung und Anwendung expliziter Wertprämissen unnötig würden. Im Gegenteil: Diese sind in jedem Fall wesentliche Bestandteile der Formulierung von Strategien und des politischen Handelns

Im Zusammenhang mit unserer Diskussion der Schwächen der herkömmlichen Entwicklungsstrategien scheint eine systematische faktische Beurteilung vor allem folgender Problemfelder nötig zu sein:

1. Beurteilung der Lebensbedingungen, einschließlich des Grades der Befriedigung lebenswichtiger und weniger wichtiger Bedürfnisse. 2. Beurteilung demographischer Trends.

3. Beurteilung (unter Einbeziehung von Ziffer 2) der Entwicklung der Arbeitskraftreserven und des aktiven Bevölkerungsanteils, der wahrscheinlich Arbeit sucht und braucht.

4. Beurteilung der physischen (und sozialen) Umwelt.

5. Beurteilung tatsächlicher und potentieller Ressourcen.

6. Beurteilung von Technologien (mit besonderer Betonung von alternativen Technologien) in bezug auf ihre speziellen Auswirkungen auf die vorhandenen oder potentiellen Ressourcen (vor allem Energie) des Landes, Devisenbedarf und ihre tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Einkommen.

7. Beurteilung der gegenwärtigen Streuung wirtschaftlicher Aktivitäten, der Konzentration von Industrieanlagen in Städten, der steigenden Bedürfnisse für infrastruktureile Maßnahmen und Auswirkungen für die Bereitstellung von Wohnungen, Krankenhäusern, Verkehrsmitteln und anderen Einrichtungen.

8. Beurteilung und kritische Auswertung sozialer und institutionaler Faktoren, ein-schließlich Wert-und Glaubensvorstellungen, die sowohl im kausalen Zusammenhang wie für die Vermeidung negativer Auswirkungen von Bedeutung sind.

Natürlich handelt es sich hierbei um eine Aufzählung wünschenswerter Untersuchungen zur Beurteilung der Lage; es wird wohl nicht immer möglich sein, sie in dieser Vollständigkeit durchzuführen. Wie auch immer, Untersuchungen, wie sie hier vorgeschlagen werden, müssen sich auf geeignete Kriterien stützen, die, falls sie noch nicht existieren, in Form verschiedener sozialer und umweltbedingter Indikatoren ausgearbeitet werden müssen. „Geeignet“ heißt hier, daß die Kriterien den Problemen, Qualitäten (und Quantitäten) sowie den Zielen, um die es geht, entsprechen müssen. So wird die Beurteilung der menschlichen Lebensbedingungen (die die der Arbeitsbedingungen einschließt) und menschlicher Grundbedürfnisse Klassifizierungen und Unterscheidungen nötig machen, die für verschiedene Bereiche geeignet und anwendbar sind. Das gilt auch für die durch Umweltverschmutzung, Degeneration und Versiegen natürlicher Rohstoffe usw. verursachten sozialen Folgekosten. In allen diesen Fällen wird es darauf ankommen, solche Indikatoren und Indices anzuwenden oder auszuarbeiten, die ein realistisches Bild der augenblicklichen Situation, der möglichen künftigen Entwicklungen unter verschiedenen Voraussetzungen und der möglichen Auswirkungen verschiedener politischer Strategien vermitteln können. Indikatoren und Indices sollten nicht auf nationale Einheiten beschränkt bleiben, sondern in regionale und lokale unterteilt werden, damit sie für das politische Handeln auf allen drei Ebenen brauchbar und relevant sind. Die Beurteilung von Technologien muß in einem umfassenden Sinn verstanden werden. Es geht darum, sowohl die sozialen und umweltbedingten Folgen bestehender Technologien als auch diejenigen alternativer, weniger destruktiver und geeigneterer Technologien und technologischer Möglichkeiten zu untersuchen und zu bewerten, unter Einschluß ihrer sozialen Inhalte und humanen Relevanz

Selbst eine nur teilweise Realisierung solcher Bewertungsstudien wäre schon ein Vorteil gegenüber dem gegenwärtigen Informationsstand, vor allem, wenn wir bedenken, daß bisher wenig oder gar keine Untersuchungen zur Beurteilung bestehender Bedingungen vorgenommen wurden. Natürlich werden so umfassende Untersuchungen die Forschungseinrichtungen vieler armer Länder überfordern. Es kann jedoch nicht auf sie verzichtet werden, wenn Entwiddungsstrategien ausgearbeitet und mit ihrer Hilfe kritische Situationen überwunden werden sollen, die sich in fast allen Teilen der Dritten Welt ergeben haben.

Sie sind notwendige Hilfsmittel für die Formulierung geeigneter Präferenzen und vernünftiger Prioritäten im Kontext ökologischer Bedingungen und vorhandener Ressourcen sowie in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen und Erfordernissen der betroffenen Menschen. Ohne eine solche kontinuierliche Beobachtung der tatsächlichen Situation können wir auch nicht zu einer Bewertung der Folgen alternativer Ziele, Präferenzen und Prioritäten gelangen, kurz gesagt, zu einer Bewertung unserer Vorschläge und Entscheidungen. Es besteht Grund zu der Hoffnung, daß neue Erkenntnisse, auch auf technischem Gebiet und auf der Grundlage der neuen Bewertungsstudien, soziale Präferenzen umzuleiten imstande sind (vor allem dann, wenn solche Präferenzen nicht im Marktzusammenhang, sondern auf politischer Ebene formuliert werden), dort, wo sie sich auf eine informierte, öffentliche Beteiligung aller stützen können, deren Interessen betroffen sind. Wenn weniger entwickelte Länder nicht über die erforderlichen Forschungseinrichtungen verfügen, könnten die Voruntersuchungen von externen Forschungsstellen durchgeführt werden, wie ja auch fast alle „feasibility studies" für größere Projekte außenstehende Institutionen erstellen. Eine abschließende Bemerkung betrifft die Tatsache, daß Bewertungsstudien, wie sie hier vorgeschlagen werden, nicht nur Daten für einen normativen Planungsansatz liefern, sondern darüber hinaus Erkenntnisse darüber vermitteln könnten, welche Mittel zur Verfügung stehen (Ressourcen, Arbeitskräfte, deren Fähigkeiten usw.) wie auch über alternative Technologien, einschließlich Forschung und entwicklungspolitische Strategien, mit deren Hilfe neue, geeignete Lösungen erarbeitet werden können. Das heißt, Bewertungsstudien sind nicht nur ein unentbehrliches In-23 strument bei der konkreten Bewertung einer kritischen Situation (ihr Ausmaß, ihre Dynamik, ihre Ursachen und möglichen Auswirkungen) und für die tentative Abklärung alternativer politischer Normen, sondern auch ein Schritt in Richtung auf die Bestimmung alternativer Handlungsweisen, damit die Situation besser als bisher bewältigt werden kann.

Obwohl sie sich an allgemeinen Werten und Zielsetzungen (wie z. B. Befriedigung wichtiger menschlicher Grundbedürfnisse, Vermeidung ökologischer Ungleichgewichte, Sicherstellung sozialer Reproduktionsbedingungen) orientiert, ist die Bewertung der physischen und sozialen Bedingungen in Form der hier vorgeschlagenen Inventur noch keine neue Entwicklungsstrategie, geschweige denn ein konkreter Aktionsplan oder ein Konzept für spezielle politische Maßnahmen. Wie umfangreich auch die Erkenntnisse sein mögen, die wir durch solche Bewertungsstudien in Form verschiedener dynamischer Indikatoren und Indizes gewinnen, wie klar letztere auch erhellen, daß die Situation kritisch ist und zu ernsthaften Risiken und negativen Folgen führen wird, wenn nicht geeignete Maßnahmen ergriffen werden, so liegt die Aufgabe, diese Maßnahmen zu formulieren, doch noch immer vor uns. Was ganz offensichtlich gebraucht wird, ist die Formulierung konkreter Ziel-und Zwecksetzungen, die mit den allgemeinen Zielen des Entwicklungsprozesses übereinstimmen. Technisch braucht man dazu mehr als eine allgemeine Inventur der tatsächlichen oder potentiellen Schäden und gesamten Erfordernisse. Es wird vielmehr notwendig sein, solche Erfordernisse auf (regionale und lokale) Output-Pläne für spezielle Waren und Dienstleistungen zu übertragen wie auch Schätzungen anzustellen, welche sozial-und umweltfreundlichen Eingaben (inputs) den Ausgaben (Outputs) entsprechen. „Eingaben" (inputs) bedeutet in diesem Zusammenhang natürlich die Kombination von Eingaben, die jeweiligen Technologien und Kapitalbedürfnisse eingeschlossen. Auf den ersten Blick mag das als ein furchteinflößendes, hoffnungsloses Unternehmen erscheinen. Aber das stimmt nicht. Was getan werden muß, ist, bestehende Eingabemuster und Technologien zu modifizieren und den sozialen und umweltbedingten Gegebenheiten anzupassen, die sich aus den Voruntersuchungen ergeben haben. Mit anderen Worten: Soziale und ökologische Kriterien und Prioritäten werden in diesem Prozeß eine zentrale Rolle spielen.

Es ist auch ein Irrtum zu glauben, konkrete politische Zielvorstellungen müßten ein und für allemal fixiert werden. Man muß sie flexibel und aufnahmefähig für neue Informationen und Bedingungen halten, d. h., neue Bedingungen, neue Erkenntnisse, Veränderung der Kosten und eine neue Bewertung der Risiken und Unsicherheitsfaktoren werden eine neue Formulierung der Zielsetzungen und Präferenzen und bessere politische Instrumentarien notwendig machen. Aufkommenden Hemmnissen — Gegenkräfte wie auch Konflikte — muß also durch einen reziproken Prozeß der Informationssammlung, Entscheidungsfällung und Anpassung der Ziele an die Mittel und der Mittel an die Ziele begegnet werden. In diesem Sinne müssen sowohl die Festsetzung konkreter Ziele als auch die Auswahl der entsprechenden Mittel und Methoden als kontinuierliches Zusammenspiel von faktischen Untersuchungen, neuen Erkenntnissen, allgemeinen Normen und neuen Werten, Aktionen und Entscheidungen verstanden werden.

Mit der Gegenüberstellung von sozioökonomischer Entwicklungsplanung und dem Entscheidungsprozeß in einem Unternehmen soll dieser Teil der Analyse zusammengefaßt und abgeschlossen werden. Wenn man von letzterem auch sagen kann, er sei quantifizierbar und mehr oder weniger unproblematisch, weil man ihn auf einen allgemeinen Nenner bringen kann (z. B. Geld und Profitmaximierung), sehen wir uns einer anderen Situation gegenüber, wenn wir uns mit den Zielen und Zwekken der Entwicklungsund Umweltplanung befassen. Dort gibt es keinen gemeinsamen Nenner. Der Markt hat keine geeigneten Kriterien für ihre Bewertung anzubieten. Auch gibt es im Markt keine Angaben über sozial-bedingte Präferenzen und Prioritäten, die sich auf die sozialen Umweltbedingungen und Entwicklungsziele beziehen. Er sagt nichts aus über das, was wünschenswert, möglich oder notwendig wäre. Im Gegenteil: Der Marktmechanismus und das Ziel der Profitmaximierung fördern eher die Tendenz, negative Umweltkosten und sozialbedingte Ziele und Zuwendungen zu negieren. Das heißt also, umweltbedingte Zielvorstellungen und entwicklungspolitische Zwecksetzungen sind nicht vorhanden. Sie sind „problematisch" und müssen entdeckt und in einem kontinuierlichen Zusammenspiel aus faktischer • Forschung und Formulierung von Zielen und Prioritäten definiert werden. Das gleiche gilt auch für die Auswahl der „Mittel" (d. h. wir-B kungsvoller) Aktionsprogramme, durch die die einmal definierten und ausgewählten Ziele und Zwecke erreicht werden können. Ziele und Mittel bleiben also offen; sie werden dis-kutiert und müssen untersucht und können nur definiert werden im Verlauf eines Forschungsprozesses, der sich an der Aktion oder an der Politik orientiert.

Ökoentwicklung und Selbsthilfe

Die wachsenden Bedrohungen der menschlichen Umwelt (im weitesten Sinne) haben schließlich zu der Erkenntnis geführt, daß ökonomische Prozesse (der Produktion und des Konsums) keine geschlossenen, sondern grundsätzlich offene Systeme sind, die von einer ständigen Wechselbeziehung und einem Austausch von Energien und Grundstoffen zwischen der Wirtschaft und der Natur abhängen, mit dem Ergebnis, daß zugängliche Ressourcen abnehmen und umweltbedingte Degenerationen und Risiken zunehmen. Vorhandene Energien und Grundstoffe sind nicht unerschöpflich und das Abfall-und Verschmutzungsvolumen lassen sich nicht unendlich vergrößern, ohne kritische Schwellenwerte zu erreichen.

über diese Umweltrisiken hinaus muß der Entwicklungsprozeß in den weniger entwikkelten Ländern den Problemen der Armut Rechnung tragen, d. h.dem Versagen, lebenswichtige menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Daraus ergibt sich ein zunehmender Bedarf an produktiven Beschäftigungsmöglichkeiten für die arbeitsfähige Bevölkerung. Arbeitslosigkeit von Menschen in den Altersgruppen zwischen fünfzehn und fünfundfünfzig oder sechzig Jahren ist vielleicht nicht der einzige, aber sicher einer der wesentlichen Gründe für die wachsenden Einkommensunterschiede und die Unfähigkeit, die menschlichen Grundbedürfnisse einer Majorität von Menschen in der Dritten Welt zu befriedigen.

Arbeitslosigkeit einer wachsenden Zahl von Menschen in den aktiven Altersgruppen, zusammen mit Einkommensungleichheiten, Armut, Unfähigkeit, Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse, Umweltzerstörungen und deren Risiken und Schäden sind Schlüssel-faktoren, die bei der Formulierung allgemeiner Entwicklungsziele sowie spezifischer konkreter Zielvorstellungen herangezogen werden müssen. Die Verfolgung eines Zieles und die Vernachlässigung des anderen mit der Begründung z. B., daß das, was zählt, ein rascher Anstieg der Outputs und der Produktivität ist, erreichbar durch die Einführung moderner Technologien und ohne Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit, der Einkommensverteilung, der Auswirkungen auf die Umwelt, böte keine Garantie dafür, daß unter den in der Dritten Welt vorherrschenden Bedingungen menschliche Grundbedürfnisse befriedigt werden können. Steigende wirtschaftliche Leistungen wären weiterhin ungleichmäßig verteilt und das Problem der Armut der Arbeitslosen bliebe ungelöst. Würde nur die Verbesserung der physischen Umwelt angestrebt, ohne daß dabei den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird, wäre das in der Tat ein Luxus und eine Verschwendung von Arbeitskraftreserven, solange noch nicht genügend Nahrungsmittel und andere lebenswichtige Güter produziert und die eigenen Arbeitskraftreserven nicht ausgeschöpft werden.

Ist es möglich, den dringenden Bedarf an steigenden Outputs lebenswichtiger Güter (wie z. B. Nahrungsmittel, Bekleidung, Wohnungen, medizinische Betreuung, Erziehung usw.) mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, stabile ökologische (umweltbedingte) Gleichgewichte zu erhalten? Die Antwort auf

diese Frage wird jede rationale Entwicklungsplanung in der unterentwickelten Welt leiten müssen. Das heißt also, können die spezifischen Entwicklungsziele, nämlich wachsende lebenswichtige Outputs und die Erhaltung tolerierbarer dynamischer ökologischer Gleichgewichte, in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden, wobei dem unvermeidlich offenen Charakter der Produktionssysteme Rechnung getragen wird (die wiederum von knappen regenerierbaren und nicht-generierbaren Ressourcen und der notwendigerweise begrenzten Tragund Assimilationsfähigkeit der physischen Umwelt abhängig sind), und wenn ja, auf welche Weise? Glücklicherweise scheint es so, daß die besonders seit 1970 in Gang gekommene intensive Diskussion über Umweltzerstörungen und Umweltpolitik und -Strategien Elemente für eine positive Antwort enthält, die für die unterentwickelten Länder von direkter Bedeutung sind. Generell gesprochen, scheint die Vereinbarkeit beider Ziele, wachsende Outputs lebenswichtiger Güter bei gleichzeitiger Erhaltung stabiler ökologischer und umweltbedingter Gleichgewichte, nicht nur logisch konzipierbar, sondern auch praktisch und politisch möglich zu sein, und zwar durch die Formulierung langfristiger Entwicklungsstrategien und operationeller Aktionspläne wie der folgenden: 1. Pläne mit besonderem Schwergewicht auf der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, ohne jedoch den komplementären Bedarf an industriellen Erzeugnissen für die Landwirtschaft außer acht zu lassen, entsprechende verarbeitende Industrien und Kapitalinvestitionen eingeschlossen. 2. Pläne, die die national wie lokal vorhandenen Arbeitskräfte und zugänglichen physischen Ressourcen systematisch, wirkungsvoll und wirtschaftlich einbeziehen, bei gleichzeitiger Beachtung der tatsächlichen und potentiellen ökologischen Risiken und Sozialkosten, die die bereits erwähnten Bewertungsstudien ans Tageslicht gebracht haben. 3. Pläne, die systematisch solche Landbaumethoden (und die anderer Ressourcen) ersetzen, die einer Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts entgegenstehen. Es geht darum, bei den Bauern das Interesse für höhere Produktionsleistungen zu wecken, ohne dabei die Bodenfruchtbarkeit zu zerstören.

Um es zu wiederholen, solche institutioneilen Veränderungen verlangen nach mehr als nur nach Landreformen. Sie erfordern vielmehr radikale strukturelle Veränderungen, die die Beseitigung solcher Hindernisse im Auge haben, die bisher die Bauern davon abhielten, neue verbesserte Produktionsmethoden anzuwenden, weil es an einer ausreichenden Versorgung mit Wasser und anderen betrieblichen Einrichtungen sowie mit landwirtschaftlichen Krediten fehlte, nicht genügend Lager-und Absatzmöglichkeiten vorhanden waren und unzumutbare Risiken und Unsicherheiten in Kauf genommen werden mußten. Was hier notwendig ist, sind bekannte und praktische Maßnahmen. Neue Reformen sollten landwirtschaftliche Reformen nicht stoppen oder umgehen, die nötig sind, um vorhandene oder anfallende Überschüsse zu mobilisieren und in Kanäle umzuleiten, die die Agrarproduktion erhöhen. 4. Pläne, die auf der Basis systematischer Forschung wissenschaftliche und technologische Maßnahmen fördern wie auch die Entwicklung und Anwendung alternativer umweltfreundlicher und geeigneter Technologien.

Diese Kombination und Anpassung alter und neuer Technologien wird sowohl den vorhandenen Ressourcen (Arbeitskräfte eingeschlossen) als auch den bekannten umweltbedingten (geographischen, klimatischen usf.) Gegebenheiten der lokalen Ökosysteme Rechnung tragen müssen. Sie wird sich auf das Vorhandene stützen, lokale Technologien entwickeln und dabei die Einsichten und Erkenntnisse aus den Erfahrungen vergangener Generationen ebenso einbeziehen müssen wie sie gleichzeitig assimilierbare und akzeptable neue Technologien fördern sollte, die imstande sind, potentielle lokale Ressourcen in tatsächliche zu verwandeln, ohne dabei neue Risiken und soziale Kosten zu verursachen. Dazu gehört auch die Vermeidung neuer Abhängigkeiten von externen knappen Rohstoffen, Leistungen und Fremdkapital. Eine solche Forschungsund Wissenschaftspolitik ist abhängig von der systematischen Untersuchung der lokalen Bedingungen, Probleme, Risiken und Möglichkeiten auf der Basis von Pilotstudien 5. Pläne, die sich bei der Entscheidungsfindung und Ausführung auf neue, geeignete alternative Kriterien (z. B. auf Marktpreise, Rentabilität und Bruttosozialprodukt) stützen, Kriterien, die auf der Bewertung verschiedener nationaler und lokaler Entwicklungsziele beruhen und die ökoenlwicklung einschließen. Für die Ausarbeitung solcher Kriterien sind die bereits erwähnten Bewertungsstudien und sozialökonomischen Indikatoren von größter Bedeutung — als mögliche Leitlinien für alternative Lösungen und für Zielsetzungen.

In der bisherigen Diskussion sind wir immer wieder auf die Abhängigkeiten zu sprechen gekommen, die durch die konventionellen Entwicklungsstrategien und -methoden ent-standen sind. Andererseits wurde aber auch betont, wie nötig es ist, sich so weit wie möglich auf die eigenen Ressourcen im Lande und auf die öffentliche Beteiligung am politischen Entscheidungsprozeß zu verlassen. Diese Hervorhebung des Auf-sich-selbst-Verlassens ist von größter Bedeutung. Einmal ist es eine Absicherung dagegen, daß der Entwicklungsprozeß nicht selbstzerstörerisch auf die physische und soziale Umwelt einwirkt. Zum anderen hilft es neue wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten von ausländischer Hilfe und ausländischen Lieferungen zu vermeiden. So unvermeidlich solche ausländische Hilfe in Zeiten der Not sein mag — bei Naturkatastrophen und Hungersnöten —, so fragwürdig wird sie, wenn sie bewußt gesucht und als Teil eines langfristigen Entwicklungsplanes akzeptiert wird.

Abhängigkeiten von ausländischen Kapitalinvestitionen bergen das Risiko in sich, daß sich Entwicklungsländer einem Entwicklungsstil ausgesetzt sehen, wie er in der Vergangenheit die entwicklungspolitischen Maßnahmen und Ziele bestimmt hat. Dazu gehören hochwissenschaftliche Technologien, die von ausländischen Unternehmen entwickelt und verwaltet wurden, Verschuldung und die sich daraus ergebenden sozialen und umweltbedingten Gefahren, die ein Programm zur Oko-entwicklung zu vermeiden sucht. Außerdem schafft die Abhängigkeit von ausländischen Leistungen (Kredite, Kapitalausstattung, Know-how, Technologien usw.) eine wirtschaftliche und politische Situation, die nicht nur die politischen Optionsmöglichkeiten der Entwicklungsländer einschränkt, sondern zusätzliche Risiken in sich birgt, weil Lieferungen jederzeit gestoppt oder für erpresserische Maßnahmen benutzt werden können. Wenn diese Abhängigkeiten auf ein Minimum beschränkt werden, könnte eine Politik der Selbsthilfe die nationale Unabhängigkeit erhalten und dazu beitragen, den erwähnten Risiken und Sozialkosten aus dem Wege zu gehen. Jedoch schließt — wie schon erwähnt — eine Politik, die sich so weit wie möglich auf die eigenen nationalen und lokalen Ressourcen verläßt, die Übernahme, Entwicklung und Modernisierung vorhandener älterer Werkzeuge und Techniken oder ihren Gebrauch in Verbindung mit modernen Technologien nicht aus, vor allem, wenn dieser „technische Pluralismus" die Beschäftigung lokaler Arbeitskräfte für Produktivzwecke nicht unterbindet.

Auch verleugnet eine bewußte Politik der Selbsthilfe nicht die Vorteile, die sich aus einer Arbeitsteilung ergeben. Sie zielt nicht auf Autarkie. Im Prinzip hat sie auch nichts gegen Importe, obgleich Importe durch Exporte bezahlt werden müssen, die nur gesteigert werden können, wenn ohnehin schon knappe oder fast erschöpfte Ressourcen zusätzlich belastet werden, mit all den dazu gehörenden Umweltgefahren und sozialen Kosten.

Eine Politik der Selbsthilfe, die es für notwendig hält, aus den eigenen Ressourcen und Technologien den größtmöglichen Nutzen zu ziehen, gewinnt ihre theoretische Berechtigung aus der Tatsache, daß die Arbeitsteilung neben ihren Vorteilen drei Arten von sozialen Kosten verursacht: 1. Vermehrte wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten mit dem Risiko zunehmender Verschuldung, ungleiche Zahlungsbedingungen sowie ungünstige Handelsbedingungen, vermehrte Ungleichheiten, schließlich auch die Gefahr der Erpressung und politischen Unterwerfung.

2. Vermehrte ökologische Gefahren, die aus dem Transfer moderner landwirtschaftlicher und industrieller Industrien entstehen, ohne daß entsprechende Schutzvorrichtungen und Informationen über Auswirkungen auf die Umwelt vorhanden sind (z. B. Bewässerungsprojekte, die zu Verwässerung und Versalzung führen, oder die hochgezüchteten Getreidesorten, die mit giftigen Pestiziden behandelt werden müssen).

3. Wachsende Arbeitslosigkeit durch Entlassung lokaler Arbeitskräfte und Eingriffe in die örtlichen Industrien.

Demgegenüber hätte eine Politik, die auf dem Einsatz der vorhandenen Ressourcen und Techniken wie deren Modernisierung beruht, den Vorteil, daß sie auf ein steigendes Arbeitskräfteangebot und auf vorhandene Fertigkeiten zurückgreifen könnte. Mit anderen Worten: Die sozialen (fixen) Kosten der Arbeitslosigkeit — die Unterhaltskosten der relativen Überbevölkerung, der Menschen, die geboren werden, gleichgültig, ob die Arbeitskräfte beschäftigt sind oder nicht — könnten dadurch reduziert werden, daß systematisch produktive Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Zu denken wäre an arbeitsintensive Methoden der Insekten-und Unkrautkontrolle, öffentliche Arbeitsprojekte für die Herstellung solcher Güter und Dienstleistungen, die solchen produktiven Zwecken wie der Ver-besserung der dörflichen und städtischen sanitären Einrichtungen, der Trinkwasserversorgung, der Aufforstung, Konservierungsprojekten oder sogar dem Bau von Bewässerungsgräben und Schächten durch manuelle Arbeit dienen.

Es stimmt, daß diese und andere Maßnahmen von sozialem Nutzen meist keinen Marktwert haben. Außerdem könnten sie durch importierte technisch wirksame Geräte ersetzt werden — und in manchen Fällen kann aus technischen Gründen nicht darauf verzichtet werden. Trotzdem kann man damit nicht die wirtschaftliche Rationalität einer Entwicklungsstrategie rechtfertigen, die, weil sie sich auf importierte Ressourcen und Techniken verläßt, einen Hauptanteil des vorhandenen Arbeitskräftepotentials brachliegen läßt, so daß am Ende die gesamten Ausgaben (Outputs) nur von einem Bruchteil der arbeitsfähigen Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 55 oder 60 Jahren erbracht werden. Das ist gerade eines der Schlüsselprobleme, mit denen sich die Politik der Selbsthilfe befaßt.

Anstelle einer eingehenderen Analyse des Problems ist vielleicht ein Hinweis auf Erfahrungen mit alternativen Technologien im heutigen China von Interesse. Dort werden seit längerem systematische Anstrengungen unternommen, alte und neue Techniken in Landwirtschaft und Industrie zu verbinden. Die chinesische Politik der Integration von neuen und alten Techniken beschränkt sich nicht auf das Rezyklieren Vielmehr schließt sie z. B. integrierte Insekten-und Schädlingskontrollen durch arbeitsintensive Pflanzenschutzmaßnahmen ein — Entfernung der Insekteneier mit der Hand, gleichzeitig biologische Mit-tel oder gezielte Anwendung von sicheren Pestiziden (vorher hatte man große Mengen DDT und Gammahexa eingesetzt, durch die auch viele nützliche Raubinsekten getötet wurden und die, weil viele Schädlinge immun wurden, zunehmend an Wirkung verloren) S

Nach letzten Meldungen könnte China das er-ste Land sein, das Insektenpheromone (insect pheromones) für eine umfassende Seuchenkontrolle einsetzt.

Zum Schluß möchte ich noch auf einige Probleme verweisen, z. B. auf die Tatsache, daß eine Politik der Selbsthilfe die kreativen Fähigkeiten der Bevölkerung fördert und erweitert, neue Werkzeuge und neue Technologien zu entwickeln, zu erfinden und zu übernehmen. Das stärkt das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, die Produktion zu steigern, sich mit den gestellten Problemen auseinanderzusetzen, ohne dabei die autonome Entscheidungsfreiheit und die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen politischen Richtungen in Harmonie mit den eigenen Wertvorstellungen und Präferenzen einzubüßen. Auch aus diesen Gründen muß eine Politik der Selbsthilfe und des Widerstandes gegen Unterwerfung unter fremde Kontrolle das zentrale Ziel jeder lebensfähigen nationalen Gemeinschaft sein. *

Fussnoten

Fußnoten

  1. A. O. Hirschmann, The Strategy of Economic Development, Yale University Press, New Haven, Conn., 1958, S. 58.

  2. United Nations Environment Programme (UNEP), Action Plan for the Human Environment: Programme Development and Priorities, Rapport des Direktors, (UNEP/GC/5) (Genf 1973), S. 21.

  3. Ebenda, S. 22.

  4. Die Grüne Revolution ist ein klassisches Beispiel für die traditionelle Strategie. Für eine ausführliche Diskussion der Probleme, die durch die Einführung der „High Yielding Varieties" entstehen, siehe Luc Bigler, Zur Strategie der „Sonnenrevolution", Dissertation, Universität Basel, 1976, u. Kap. 12 in: „Economics in Institutional Perspective" R. Steppacher et. al., Lexington Books, Lexington Mass., 1977. Eine ähnliche Übertragung Ivon moderner ausländischer Technologie mit ähnlichen zerstörerischen Wirkungen, die in diesem Falle zu einem zu hohen Export führen, siehe J. Galtung, Development from Above and the Blue Revolution: The Indo-Norwegian Project in Kerala (Oslo, International Peace Research Institute, 1975); und auch A. M. Klausen, Kerala Fishermen Fand the Indo-Norwegian Pilot Projekt (Oslo, Universitetsforlaget, 1968).

  5. K. William Kapp, „River Valley Development Projects: Problems of Evaluation and Social Costs“, Kyklos XII, No. 4, 1959, S. 589— 604.

  6. Daß all dies zu zunehmender Gewalttätigkeit führt, ist kaum erstaunlich. In der Tat ist es die zunehmende „strukturelle Gewalttätigkeit" (Galtung), inhärent in der traditionellen Entwicklungsstrategie mit ihren ungeeigneten kapitalintensiven Technologien, die diese Gewalttätigkeit provoziert und auf die mit Gegengewalt in einem zirkulären, dialektischen und kumulativen Prozeß reagiert

  7. Für weitere Bemerkungen über die Beziehungen zwischen faktueller Bewertung und Planung siehe K. William Kapp, „Les indicateurs d’environ-ment"; Analyse Socio-Economique de L'environ-ment et Sciences Sociales, Band 3 (The Hague, Paris: Mouton, 1973) und „Environmental Policies and Development Planning in Contemporary China and other Essays" (The Hague, Paris: Mouton, 1974), S. 39— 43 und 130— 133. Für eine frühere Behandlung des Problems siehe auch K. William Kapp, „Toward a Science of Man in Society" (The Hague: Martinus Nijhoff, 1961), und Fred J. Blum, Professor Kapp’s Approach to a Science of Man in Society, R. Steppacher et. al. op. cit. Chapt. 4.

  8. „Die wirkliche Bedeutung der Bewertung von Technologien liegt in der Verbesserung ihrer sozialen Inhalte und ihrer menschlichen Relevanz. Sie sind dazu bestimmt, die sozialen Folgen alternativer technologischer Entwicklungen zu explo-rieren und zu bewerten." Siehe Francois Hetmann, „Society and the Assessment of Technology" (Paris: OECD, 1973), S. 350 und 351.

  9. UNEP hat verschiedene Studien dieser Art veranlaßt, einige liegen vor (cf. von CIRED). Was hochindustrialisierte Länder anbetrifft, siehe: K. William Kapp, in Zusammenarbeit mit Hans Baumann und Peter Wachtl, „Staatliche Förderung umweltfreundlicher Technologien", Schriftenreihe der Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel, Band 74, Verlag Otto Schwarz, Göttingen, 1976, S. 238.

  10. K. William Kapp, „Recycling in China", KYKLOS XXVII, 1974, S. 286 bis 304. Contemporary

  11. Siehe „Chinese Insect Control Integrated Old and New", Chemical & Engineering News, März 15, 1976, S. 30.

Weitere Inhalte

1 Karl William Kapp, Dr. sc. pol.; geb. 1910 in Königsberg, gest. 1976 in Dubrovnik; bis 1975 Ordinarius für Nationalökonomie an der Universität Basel; nach Studien in Berlin und Königsberg 1933 Flucht nach Genf, wo er sein Studium mit einer Dissertation über Planwirtschaft und Außenhandel (1936) beendete; 1937 in die USA ausgewandert; bis 1965 Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten, zuletzt am Brooklyn College, New York City (1950 bis 1965); 1965 Berufung nach Basel. Veröffentlichungen u. a.: History of Economic Thought, 1949; The Social Costs of Private Enterprise, 1950; The Social Costs of Business Enterprise, 1962; Toward a Science of Man in Society, 1951; Hindu Culture, Economic Development und Economic Planning in India, 1962; eine Aufsatzsammlung 1974.