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Geschichtsunterricht und Gesellschaftskunde /in der Sowjetunion | APuZ 9/1978 | bpb.de

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APuZ 9/1978 Artikel 1 Grundlagen der Politik in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR Ein Systemvergleich Geschichtsunterricht und Gesellschaftskunde /in der Sowjetunion

Geschichtsunterricht und Gesellschaftskunde /in der Sowjetunion

Hans-Heinrich Nolte

/ 48 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach frühsowjetischen Versuchen, Geschichtsunterricht in Gesellschaftskunde zu integrieren, ist seit den dreißiger Jahren ein chronologischer Geschichtskurs fest als eigenes Schulfach etabliert. Inhaltlich besteht das Geschichtsbild seit den dreißiger Jahren aus einem Kompromiß zwischen sowjetisch-kommunistischen und mehr patriotisch-orientier-ten Stoffen und Einordnungen. In Reaktion auf den deutschen Überfall 1941 kam ein historisches Feindbild von Deutschland hinzu. Sowjetische Schüler haben fast -doppelt so viel Stunden Geschichtsunterricht wie Schüler der Bundesrepublik. Der Unterricht tolgt eng den Schulbuchtexten. Es werden zwar vielfältige Versuche unternommen, wie man die Selbständigkeit der Schüler im Unterricht erhöhen kann, -diese Versuche stoßen jedoch an systemimmanente Grenzen. Den allgemeinen Ausführungen folgen Untersuchungen einzelner Beispiele von Schulbuchdarstellungen, unter anderem der Darstellung der „Neuen Ostpolitik" im Geschichtsbuch und der Darstellung der „Friedlichen Koexistenz" im Lehrbuch für Gesellschaftskunde. Fragt man, was unserer Meinung nach sowjetische Schüler über die Bundesrepublik lernen sollten, dann werden zu solchem Lernwissen Kenntnisse vom Funktionieren unseres Parlaments und Informationen über unsere Gesellschaft gehören, die über pauschale Kategorien hinausgehen. Es ist deshalb beonders interessant, daß in den neuesten sowjetischen Schulbüchern die Bedeutung der Bundestagswahlen 1972 für die Koexistenzpolitik deutlich gemacht wird und daß die Arbeitnehmerschaft der Bundesrepublik differenzierend beschrieben wird. Mancher Bestandteil des historischen Feindbildes von Deutschland ist jedoch auch heute noch in den Schulbüchern der UdSSR zu finden.

I. Zur Geschichte von Geschichtsunterricht und Gesellschaftskunde

Abbildung 6

Die Anfangsjahre der sowjetischen Bildungspolitik standen weitgehend im Zeichen der pädagogischen Reformbewegung der letzten Jahre des Zarenreiches, welche u. a. eine allgemeine Dezentralisierung des Bildungswesens und die Ersetzung der Typenschule durch die Stufenschule als freie Arbeitsschule anstrebte In der frühsowjetischen Pädagogik kam es „fast" zu „einer Amalgamierung reformpädagogischen und marxistischen Bildungswesen Ideenguts" Das wurde dezentralisiert, Noten wurden abgeschafft, die Typenschule und die Einteilung der Lehrer in Kategorien wurden aufgehoben Kennzeichnend für die Didaktik der Zeit war die Laboratoriumsmethode, die auch auf geschichtliche Stoffe angewendet wurde, und die Eingliederung des Faches Geschichte in ein neues Integrationsfach „Gesellschaftskunde", über dieses Fach ergab sich bald, gerade unter marxistischen Historikern, eine Diskussion, die noch heute große Aktualität besitzt

Die Richtung der sowjetischen Bildungspolitik wurde im Zusammenhang der Fünfjahrespläne jedoch stark verändert. Es wurden viel mehr Mittel für Bildungspolitik aufgewendet als vorher und ein entschiedener Kampf gegen den Analphabetismus begonnen, zugleich wurden jedoch auch die Ansätze der Reform-pädagogik ausgeschaltet — strenge Prüfungen wurden verordnet, Noten mußten gegeben werden, Frontalunterricht wurde wieder eingeführt und die Schüler wurden durch Schulkleidung uniformiert In diesem Zusammenhang wurde Geschichtsunterricht wieder als chronologischer Kurs angeordnet, der nicht mehr mit lokal erstellten Heften der Laboratoriumsmethode, sondern nach zentral erlassenen „stabilen" Lehrbüchern zu unterrich-ten war. Die Freiheit der Kreise und autonomen Gebiete, selbst Schulbücher herzustellen, wurde auf ein Schulbuch für Heimatkunde beschränkt, für das jedoch ebenfalls die Zustimmung des Volkskommissariats für das Bildungswesen (Norkompros) einzuholen war Zusammen mit der Einführung „stabiler'Geschichtsbücher erfolgte eine inhaltliche Wendung von dem Wirtschaftsprozesse betonenden Geschichtsbild der Anfangsjahre zum „Räte-Patriotismus". Die Regierung nahm selbst auf die Ausarbeitung der Schulbücher Einfluß und sie trat u. a. ein für: 1. eine teilweise Wiederaufwertung der nationalrussischen Geschichte, 2. eine teilweise Wiederaufwertung der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte, 3. eine positivere Beurteilung der Rolle der Kirche

Im Rätepatriotismus kam die in der Internationalen Politik der dreißiger Jahre erhöhte Bedeutung nationaler Entscheidungsprozesse sowie die innenpolitische Realität des „Sozialismus in einem Lande" zu einem historischen Bewußtsein in der UdSSR. Dieses Bewußtsein war jedoch ohne ausreichende Differenzierungen gegen alle kapitalistischen Länder gerichtet und hatte eine deutliche Spitze gegen England und Frankreich. So waren die Absolventen der sowjetischen Schulen 1941 nicht durch historische Kenntnisse darauf vorbereitet, als Bündnisgenossen von Ländern kämpfen zu müssen, welche als „Zentren des Kapitalismus" galten. Nach dem deutschen Über-fall griffen die sowjetischen Propagandisten deshalb auf die Literatur panslawistischer Historiker aus dem Ersten Weltkrieg zurück, der sie vor allem zwei Argumentationsketten entnahmen:

1. Wie und wann besiegte das russische Volk die deutschen Eroberer?

und 2.der ewige Kampf der Slawen gegen die Deutschen

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden beide Argumentationsketten in die sowjetischen Geschichtsbücher ausgenommen — die erste ausführlicher als die zweite

Die Erweiterung der Pflichtschulzeit auf zehn Schuljahre, die in der UdSSR seit 1964 intensiv vorangetrieben wird, wurde vor allem zugunsten einer Verstärkung des Anteils der allgemeinbildenden Fächer ausgenutzt Durch diese Entscheidungen der Bildungspolitik der sechziger Jahre gewann gerade Geschichte als typisches Fach der Allgemeinbildung große Bedeutung. Inhaltlich wurde nach dem XX. Parteitag der Persönlichkeitskult verurteilt und die Rolle der Volksmassen in der Geschichte betont; die Bereitschaft zur Verteidigung der Heimat wurde wie vorher gefördert Der seit 1934 gültige linear-chronologische Aufbau wurde in einen „konzentrischen" geändert (1965), bei dem Themen der Weltgeschichte und solche der sowjetisehen Geschichte ungefähr derselben Periode in derselben Klasse unterrichtet werden. Ein zeitweilig geplanter „zweiter Durchgang" wurde nicht realisiert

II. Geschichtsunterricht und Gesellschaftskunde in der sowjetischen Gegenwart

1. Umfang, Nachbarfächer und allgemeiner Aufbau In der UdSSR haben 1975 96, 5 °/o der Absolventen der achtjährigen Pflichtschule ihre Ausbildung auf einem Schultyp der Sekundarstufe II fortgesetzt. Von diesen besuchten 73, 9 % die Oberstufe (also die Klassen 9 und 10) der allgemeinbildenden Mittelschule, 8, 8 % mittlere beruflich-technische Schulen und 11 % mittlere Fachschulen — der Rest Spezialschulen, z. B. Kadettenanstalten Auch im Stundenplan der beruflich-technischen Fachschulen sind Geschichte und Gesellschaftskunde als selbständige Fächer vorgesehen (diese Schüler würden sonst, da es nur einen „Durchgang" gibt, keinen Unterricht in Geschichte der neuesten Zeit erhalten

Vergleicht man die Wochenstunden je Jahrgangsklasse für die normale Mittelschule bis zur zehnten Klasse so ergeben sich elf Stunden der Musterstundentafel für das Fach Geographie — der Anteil der Geographie ist in der UdSSR also etwa gleich groß wie in der Bundesrepublik Deutschland. In der UdSSR sind jedoch nach der Stundentafel nur zwei Wochenstunden für Gesellschaftskunde vorgesehen, und zwar in der zehnten Klasse. In diesem Fach wird ein theoretischer Grundkurs in Marxismus-Leninismus gelehrt. Der Kurs setzt mit der Erklärung von Materie ein und kommt in der siebten und achten Stunde zum Abschnitt: „Das Bewußtsein — Eigenschaft der hochorganisierten Materie". Dann folgt: materialistische Geschichtsauffassung, kapitalistische Produktionsweise und Sozialismus, schließlich Stellung der UdSSR beim „Hinüberwachsen des Sozialismus in den Kommunismus"

1975/76 ist in der achten Klasse ein neues Fach „Grundlagen des sowjetischen Staats und Rechts" eingeführt worden — zusätzlich zu den Stunden in Geschichte mit einer Wochenstunde. In diesem Fach sollen Informationen über die wichtigsten Rechtsnormen gegeben werden

Nach den Musterstundentafeln sind für die zehn Jahre der vollendeten Mittelschule dann 18 Wochenstunden Geschichte vorgesehen, etwa das Doppelte der Unterrichtszeit, die in der Bundesrepublik der Geschichte zugedacht ist. Geschichtsunterricht hat in der UdSSR etwa eine doppelt so große Bedeutung wie bei uns, Gesellschaftskunde nur eine halb so große.

Der Geschichtsunterricht beginnt in der vierten Klasse — die altersmäßig unserer fünften Klasse entspricht — mit Erzählungen über den gesamten Geschichtsverlauf von der Frühgeschichte an. In der neunten Klasse sind vier, in den achten und zehnten Klassen jeweils drei Stunden Geschichte wöchentlich vorgeschrieben; Geschichte ist in den Abschlußklassen der Mittelschule bei dreißig Wochenstunden Unterricht insgesamt ein Hauptfach wie nur noch Literatur, Mathematik und Physik. Der Stoff der Geschichte ist in zwei Kurse aufgeteilt, in denen ungefähr synchron Geschichte der UdSSR und Weltgeschichte unterrichtet wird. Für jeden Kurs steht etwa die Hälfte der Unterrichtszeit zur Verfügung.

Im Kurs über Geschichte der UdSSR wird die Geschichte aller Nationen der heutigen UdSSR unterrichtet, ganz gleich, ob diese im Mittelalter oder im 19. Jahrhunder zum russischen Reich gehörten oder nicht. In dem Kurs wird also auch die Geschichte der Reiche Innerasiens und des Königreichs Georgien gelehrt, ebenso wie die Geschichte der Burjäten und Jakuten vor der russischen Eroberung und die Geschichte der baltischen Länder. Ereignisse der Weltgeschichte werden in dem Kurs für sowjetische Geschichte z. T. wiederholt, z. B. wird der Zweite Weltkrieg mit besonderer Beachtung der sowjetischen Armeen und der Rolle der UdSSR nochmals dargestellt.

In dem Kurs über Weltgeschichte gibt es nicht nur Darstellungen internationaler Geschichte im engeren Sinn wie „Geschichte der Kirche im Mittelalter", „Geschichte der Arbeiterbewegung" oder „Entwicklung der Technik im 19. Jahrhundert", sondern auch regelmäßig Darstellungen der Geschichte der wichtigen Nationen, zu denen Deutschland, Frankreich, England, Indien, China und — von der Neuzeit an — die USA gerechnet werden. Der Schüler der UdSSR erfährt viel mehr über die Geschichte der USA als der Schüler der Bundesrepublik — von China oder Indien ganz zu schweigen. Aber auch über die Geschichte einiger kleinerer Nationen wie Polen wird im sowjetischen Geschichtsbuch einigermaßen regelmäßig berichtet. Uber die Niederlande gibt es allerdings nur anläßlich des Aufstandes der Niederlande, der als erste erfolgreiche bürgerliche Revolution verstanden wird, ein Kapitel, über die Länder der Dritten Welt wird vor allem im Rahmen der Zeitgeschichte berichtet; deren Anteil am gesamten Stoff hat in den letzten Jahren regelmäßig zugenommen. Insgesamt erfährt der Schüler der UdSSR viel mehr über die Geschichte fremder Nationen als der Schüler der Bundesrepublik, deren Geschichtsunterricht im Vergleich zum sowjetischen provinziell und europazentrisch wirkt.

Die Aufteilung des Stoffs auf die Perioden unterscheidet sich nicht wesentlich von der in neueren Richtlinien bei uns üblichen:

2 °/o Vor-und Frühgeschichte, 100/0 Alte Geschichte, 16 0/0 Mittelalter (bis 1500), 10 0/0 Frühe Neuzeit (bis 1789), 30 °/o Neuzeit (bis 1917) und 31 °/o Neueste Geschichte.

Da insgesamt das doppelte Volumen an Unterrichtszeit aufgeteilt wird, bleibt für die Geschichte des Mittelalters in der UdSSR mehr Unterrichtszeit als selbst in jenen Bundesländern, in denen dem Mittelalter über °/o der Gesamtzeit gewidmet sind 20). 2. Methodik Wenn in der UdSSR überwiegend von Methodik des Geschichtsunterrichts gesprochen wird und nicht von Didaktik, dann ist das Wissenschaftsverständnis korrekt ausgedrückt: Anfang am steht eine objektive, Ergebnisse erzielende Wissenschaft, und es ist die Aufgabe der Methodik, in einem zweiten Schritt diese Ergebnisse den Schülern zu vermitteln. nicht um das Dabei geht es jedoch Lernen bloßer Fakten, sondern um die großen Zusammenhänge: „Die Methodik der Geschichte sucht nach Wegen, die den Schülern, wenn sie sich neue Stoffe aneignen, dabei helfen, die in diesen Stoffen enthaltenen Kenntnisse maximal auszunützen."

Dabei gelten eine große Zahl jener Entscheidungen weiter, die zu Beginn der Industrialisierungsperiode durchgesetzt worden sind: strenge Schuldisziplin, Schulkleidung, deutliche Hierarchie der Lehrer, Zentralisierung des Bildungswesens und z. B. zentrale Genehmigung von Schulbüchern. Frontalunterricht überwiegt auch bei Vorführstunden vor Besuchern aus dem Westen

Diese ältere Methodik ist jedoch schon seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre nicht mehr unbestritten, insbesondere wurde die zentrale Stellung des Lehrervortrags kritisiert. Neue Methoden wie der Einsatz von Schulfernsehen wurden gefördert das Anschauungsmaterial sollte durch Geschichtskabinette — im wesentlichen stehende Ausstellungen mit Bibliothek — erweitert werden Allerdings wurde die Kritik an den alten Methoden zu einem großen Teil in der Form ausgenommen, daß der Lehrervortrag zu verbessern sei Die Schüler sollen sich den Lernstoff nach dem Schulbuch zu Hause einprägen und in der Schulstunde soll mit dem Schulbuchtext gearbeitet werden: „Hauptsächlich soll das selbständige Arbeiten mit dem Buch gelehrt werden, das selbständige Herausziehen der historischen Begriffe aus dem Buch und das Umgehen mit dem Material, das in dem Lehrbuch enthalten ist." Dabei soll der Lehrer Fragen stellen, „die zum Denken zwingen und es ermöglichen, vorhandenes Wissen anzuwenden" Hierbei sollen auch die Hausaufgaben überprüft werden. Neben den Fragen des Lehrers werden als Mittel zur Aktivierung der Schüler genannt: die Auf-Zeichnung des Gelernten, die Nacherzählung des Lehrervortrags und der Vortrag eines Schülers zu einem Spezialproblem. Bei der Ausarbeitung des Schülervortrags ist der Lehrer mehrfach einzuschalten. Eine andere Geschichtsmethodik schlägt „logische Aufgaben“ zur Aktivierung der Selbsttätigkeit der Schüler vor — Interpretationsübungen zum Lehrervortrag, zu Dokumenten, zu Illustrationen und zu Schulfilmen

Aus diesen Texten zur „schöpferischen Aktivität der Schüler" wird deutlich, daß die Methodiker des Geschichtsunterrichts mit der Art der Aneignung des im Lehrplan vorgeschriebenen Stoffes befaßt sind und nicht mit der Kritik des Stoffes. Selbständigkeit der Schüler bedeutet entsprechend zur Zeit nicht Erziehung der Schüler zur Kritik an der Meinung des Lehrers, geschweige denn Erziehung zu kritischem Verhalten gegenüber den Inhalten des Lehrplans oder Lehrbuchs. Selbständigkeit soll die Aktivität des Schülers sichern, um „die Motivation des Lernens ... wirksamer" werden zu lassen zugleich deswegen, weil bloße Reproduktion als Denkschulung nicht ausreicht. Welchen Charakter Denkaufgaben in dieser Methodik haben, läßt sich aus dem Bericht über eine veröffentlichte Vorführstunde zum Juli-Aufstand 1848 erkennen. Der gesamte Stoff der Stunde war in 22 Punkte aufgeteilt. Die Lehrerin „las den längeren Text vor, zuweilen kommentierte sie ihn kurz. Das Redetempo war gemäßigt. Die Darbietung des Materials von 18 Punkten nahm 27 Minuten in Anspruch. Das Material des 19. Punktes wurde nicht vorgetragen. Die Schüler mußten selbständig die Ursachen der Niederlage feststellen. Für den Abschluß dieser Arbeiten wurde ihnen drei Minuten bewilligt. Danach stellte „die Lehrerin eine neue Aufgabe, die die Bedeutung des Aufstandes betraf; und im verlangsamten Tempo bot sie das Material der Punkte 20, 21 und 22 in neun Minuten dar." Die Kritik am Unterricht über dasselbe Thema in einer Parallelklasse läuft darauf hinaus, daß die Lehrer mit der Zeit nicht genau auskamen

Die pädagogische Forschung in der Sowjetunion untersucht jedoch Fragen der Selbständigkeit der Schüler im Unterricht in mehreren Forschungsprojekten, u. a. in langfristigen Schulversuchen, sowie in Zusammenarbeit mit Methodikern der DDR Dabei gehen einige Forscher davon aus, „daß es objektiv nicht eine einheitliche Organisation des entwickelnden Geschichtsunterrichts geben kann", und streben danach, „in dieser Etappe der Forschung ... die starken und schwachen Seiten jedes in verschiedenen Klassen erprobten Weges festzustellen, damit Lehrer und Studenten künftig praktische Empfehlungen erhalten können" Im Zentrum der Forschungen steht dabei „die entwicklungsfördernde Rolle der rationell organisierten selbständigen Arbeit der Schüler. Im Verlauf selbständiger Arbeit eignen sich die Schüler effektiv notwendige Denkweisen an, sie lernen Schwierigkeiten zu überwinden, die sich bei der Aneignung komplizierten Lehrmaterials ergeben, sie lernen das dialektisch-materialistische Herangehen an die Erscheinungen der Wirklichkeit..." Von dieser Moskauer Gruppe der Methodiker werden Versuche, Geschichtsunterricht zu formalisieren, abgelehnt

Die beschriebenen Unterrichtsversuche waren meistens nach dem Schema aufgebaut, den für einen Jahrgang vorgeschriebenen Stoff in „Kontrollklassen" in einer „reproduzierenden Variante" von Lernverfahren, d. h. vor allem anhand des Lehrbuchs, zu unterrichten. Diesem Unterricht wurden in „Versuchsklassen" jeweils „schöpferische Varianten" von Lernverfahren gegenübergestellt — d. h. ein Unterricht, in dem die selbständige Teilnahme der Schüler durch Problemaufgaben, Transferlei-stungen etc. stärker gefördert und gefordert wird Hierbei wird Gruppenarbeit betont

Auch diese pädagogischen Versuche bleiben im Rahmen der Methodik. Sie stellen z. B. nicht in Frage, was „das Wesentliche des historischen Stoffes" ist sie untersuchen vielmehr, welche Methoden — enger am Lehrbuch oder stärker in der Freiheit der Lehrer — bei unterschiedlichen Bedingungen den meisten Erfolg versprechen, dieses bekannte Wesentliche zu vermitteln. Infolgedessen kann das Ergebnis der Untersuchungen dadurch herausgefunden werden, daß dieselbe Arbeit in Versuchs-und Kontrollklassen geschrieben wird. Bei den Antworten auf die Frage nach den „Ursachen der feudalen Zersplitterung im altrussischen Staat" wurden in einem solchen Vergleich die „Anzahl der Sachverhalte, die in den Antworten der Schüler enthalten waren, und ihr prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der Sachverhalte" berechnet und auf den Durchschnitt der drei Klassen bezogen, in denen parallel, aber mit verschiedenen Methoden unterrichtet worden war. Dies ergab beim Unterricht anhand des Lehrbuchtextes einen Erfüllungsgrad von 67 0/0; bei mündlicher Darstellung mit Stellen von Umwandlungsaufgaben 75 0/0; bei problemhaftem Darbieten durch den Lehrer 78 Die Tendenz der Autoren 0/0

fördert offensichtlich das problemhafte Darbieten

Uber den Rahmen von Methodik im engen Sinn führen eigentlich nur Ansätze zur Arbeit in solchen Abschlußklassen (Klassen 9 und 10) hinaus, in denen — wie es seit 1966 gesetzlich möglich ist — der Anteil des Geschichtsunterrichts um insgesamt drei und der Anteil der Gesellschaftskunde um eine Wochenstunde erhöht wird. In diesen fakultativen Kursen gibt es in der 9. Klasse sechs, in der 10. Klasse vier Wochenstunden Geschichte und drei Wochenstunden Gesellschaftskunde Dem Unterricht liegen die üblichen Schulbücher zugrunde. Es werden jedoch nicht nur zusätzlich Materialien herangezogen, Probleme gründlicher besprochen und Klassiker des Marxismus-Leninismus gelesen, sondern: „Die Rolle der selbständigen Arbeit der Schüler wurde erhöht. Das geschah speziell durch Anwendung der seminaristischen Formen des Unterrichts, durch umfassende Anwendung verschiedener Formen der Problemaufgaben sowie in einzelnen Fällen durch das Ausarbeiten von Referaten und Informationen durch die Schüler." In den beschriebenen Unterrichtsversuchen haben die Schüler die Lehrbücher selbständig durch Material — z. B. Pravda-Artikel — ergänzt, über die Heranziehung kontrastierenden, z. B.

aus kapitalistischen Ländern stammenden Materials wird allerdings nicht berichtet

So begrenzt die Ziele solcher Versuche sind, ihre praktische Bedeutung im Schulalltag dürfte noch geringer sein. In einer 1973 erschienen Arbeit über die Bildung der kommunistischen Weltanschauung im Geschichtsunterricht ist jede Schulstunde nach dem Text des Schulbuchs aufgebaut Problemaufgaben sind hier z. B. Fragen nach den „weltanschaulichen Ideen, die tief auf dem Grund des genau bestimmten Systems von Fakten verborgen sind", wie dies im Geschichtsbuch wiedergegeben wird Die selbständige Arbeit der Schüler der Abschlußklassen wird hier als notwendiger Bestandteil der Bildung der kommunistischen Weltanschauung beschrieben. Sie wird jedoch entsprechend den Intentionen des Lehrbuchs gelenkt, z. B. durch die Heranziehung von Zeitungsaufsätzen zur Ergänzung der Ausführungen des Gesellschaftskundelehrbuchs über Arbeitsbedingungen in sozialistischen und kapitalistischen Ländern Ein Mädchen, dessen Mutter einer Sekte angehört und das dem Komsomol nicht beitritt, erhält die Aufgabe, im Rahmen einer Kollektivarbeit der Klasse über Religion „eine kleine Mitteilung über Sekten nach dem Material von Zeitungen zu verfassen. Die Notiz wurde nicht zu Hause, sondern in der Schulbibliothek fertiggestellt." Die Aus-schließung der nicht konformen Informationen des Elternhauses ist hier also auch räumlich organisiert worden, was als nachahmenswert berichtet wird.

In einer anderen, 1975 erschienenen Kollektiv-arbeit über kommunistische Erziehung im Geschichtsunterricht wird die Rolle des Lehrers und des Lehrervortrags betont. Den Schülern werden Wiederholungsaufgaben und Problem-aufgaben gestellt, z. B. beim Unterricht über die Oktoberrevolution: „... die Grundbedingungen der leninschen Lehre über die Voraussetzungen der sozialistischen Revolution wiederholen,'und danach erklären, welche dieser Bedingungen im Lande nach dem Sieg der Februarrevolution bestanden (wenn das nötig ist, nennt der Lehrer die Voraussetzungen selbst)". In Experimentalklassen wird der Anteil der vom Schüler geforderten Antworten erhöht, „aber oft werden sie auch vom Lehrer selbst formuliert" Weiter wird empfohlen, den Unterricht durch zum Lehrbuch zusätzliche Texte „emotionell zu unterstützen";

z. B. wird vorgeschlagen, deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus an einem Gedicht von Gerhart Hauptmann und nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung an der Vernichtung des weißrussischen Dorfes Katyn zu illustrieren

Das Schulbuch ist für die beschriebenen Stunden immer zentrales Unterrichtsmittel. Es wird auch an einem Beispiel gezeigt, wie mit Kritik am Schulbuch umzugehen ist. Eine — schon erwachsene — Schülerin der Abendschule antwortet auf eine Lehrerfrage mit der Gegenfrage: „Wie soll ich antworten — nach dem Schulbuch, oder was ich denke?" Daß die Schülerin zu einer solchen Frage kommt, wird mit ihren persönlichen, ungünstigen Lebensumständen erklärt. Der Lehrer antwortet, ihn interessiere nicht, was sie denke, sondern was sie wisse. Nach der dann gegebenen richtigen Antwort über ihr Wissen erhält die Schülerin eine „vier" als Note. Dieses Verhalten des Lehrers wird kritisiert — so erziehe man Heuchler. Statt dessen hätte der Lehrer ausführlich auch über die Meinung der Schülerin berichten lassen sollen. „Im Vorgang der Antwort wäre klargeworden, daß die Schülerin nur einen Teil der Fakten kennt und wesentliche Grund-Folge-Zusammenhänge ausläßt. ” Die Schülerin hätte eine „drei" erhalten sollen, um ihre zutreffenden Kenntnisse richtig zu beurteilen Das intensivere Eingehen auf die abweichende Meinung bedeutet also den Versuch, eine tiefere Überzeugung zu erreichen; Abweichen des Schülers vom Schulbuch ist nur aus mangelnder Kenntnis erklärbar.

Gegen Tendenzen, einen Teil des Geschichtsunterrichts für einen selbständigeren Umgang mit dem Material zu verwenden, richtet sich die Kritik des angesehenen Geschichtsmethodikers A. A. Vagin. Er kritisiert die geringe Faktenkenntnis der Schüler — z. B. kannten nur 18% einer untersuchten achten Klasse die Schlacht bei Cannae, nur 28 % einer untersuchten siebten Klasse die Schlacht bei Salamis Er plädiert für strengere laufende Prüfungen und schlägt Lochkartensysteme zur Leistungskontrolle sowie andere formalisierte Unterrichtsverfahren vor Für die Erarbeitung zusätzlichen Materials bleiben nach Va-gins Vorschlag vom Lehrer organisierte Tätigkeiten außerhalb der Klasse, z. B. Arbeitsgruppen, Clubs junger Historiker etc.

In Gesellschaftskunde — die ja nur in der Abschlußklasse unterrichtet wird — führt man neuerdings ebenfalls über den üblichen Grad von „Selbständigkeit" hinaus. Die allgemeine Zuordnung des Unterrichts ist zwar ähnlich: „Die selbständige Arbeit der Schüler im Zyklus bezieht sich vor allem auf die vom Lehrer vorgegebenen Problemfragen (Einzelfragen oder Systemfragen) und auf die relativ selbständige Formulierung von Schlußfolgerungen aus einer logischen Reihe von Urteilen." Aber die Vorschläge für die Unterrichtspraxis führen weiter. Nicht nur Antworten in „logisch zusammenhängenden Fragereihen" werden gefordert, sondern auch „die Fähigkeit, einen beweisführenden Streit in Konfliktsituationen zu führen, wenn wenigstens zwei entgegengesetzte Standpunkte bestehen" Die Schüler sollen lernen, Fragen zu stellen und eigene Forschungsarbeiten durchzuführen — Hypothesenbildung, Forschungsplan und Prozeß der Forschung werden besprochen. „Es muß erreicht werden, daß alle Schüler der Klasse während des Studiums im Fach Gesellschaftskunde wenigstens eine selbständige Arbeit durchführen, in der ihre Fähigkeit, auf der Grundlage verschiedener Informationsquellen Fragen aufzuwerfen und zu lösen, zum Ausdruck kommt. Eine solche Arbeit ist gleichzeitig ein Beweis dafür, ob der Absolvent der Schule zur politischen Selbstbildung befähigt ist." In der Ausgabe von 1975 schlagen die Autoren darüber hinaus vor, im Schuljahr fünf bis sieben Stunden „vom Laboratoriums-Typ" durchzuführen. In diesen Stunden stellt der Lehrer lediglich das Material bereit. Die Schüler organisieren ihr Vorgehen eigenständig und diskutieren die Ergebnisse im Kollektiv

Daß die technische Entwicklung, die „Wissenschaftlich-technische Revolution", es zu einer ökonomischen Notwendigkeit macht, die Schüler zu Selbständigkeit zu erziehen, ist in der UdSSR anerkannt. L. I. Breschnjew hat am 24. Februar 1976 im Rechenschaftsbericht an den 25. Parteitag ausdrücklich festgestellt:

„Es ist wichtig, die Menschen dazu zu befähigen, selbständig ihre Kenntnisse zu vervollständigen und sich in dem anschwellenden Strom der wissenschaftlichen und politischen Informationen zurechtzufinden." Er hat jedoch auch im gleichen Atemzug vor „unnötigen radikalen Veränderungen oder überstürzten Entscheidungen" gewarnt

In diesem vorsichtigen Vorgehen der sowjetischen Bildungspolitik kommt ein Zielkonflikt zum Ausdruck, der mutatis mutandis der bundesdeutschen Bildungspolitik nicht fremd ist. Einerseits scheint eine Milderung der straffen Schulpolitik und der rigiden, einzelne Stundenverläufe vorschreibenden Lehrpläne gefordert, um mehr Kreativität und spontane Aktivität unter den Schülern zu fördern. Wie die Gesellschaftskunde belegt, werden Positionen der Reformpädagogik wieder interessant. Unterstützt wird diese Tendenz dadurch, daß das Lernen in der Freizeit auch in der sowjetischen Gesellschaft an Bedeutung gewinnt Andererseits aber soll sichergestellt bleiben, daß das Ergebnis eines selbständigeren Lernens, um wieder Breschnjew zu zitieren, „eine bewußte Einstellung zur gesellschaftlichen Pflicht" ist man braucht mehr Selbständigkeit und scheut zugleich das Risiko, das damit notwendig verbunden ist. 3. Die Aufgabe von Geschichte und Gesellschaftskunde im weltanschaulichen Bereich Die Aufgabe der sowjetischen Schule im Bereich der Weltanschauung (mirovozrenie) ist gesetzlich festgelegt. In dem am 19. Juli 1973 erlassenen Rahmengesetz der Union über die Volksbildung heißt es, daß zu den Hauptaufgaben der Mittelschule u. a. gehört: „die Formung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung bei der jungen Generation, ihre Erziehung zum sozialistischen Internationalismus, sowjetischen Pariotismus und zur Bereitschaft, das sozialistische Vaterland zu verteidigen"

„Der Zyklus Gesellschaftskunde ist ein wichtiges Mittel der kommunistischen Erziehung", heißt es entsprechend in der Methodik des Faches; die KPdSU überwacht die Einhaltung solcher Zweckbestimmungen und sorgt sich z. B. um die kommunistische Ausbildung von Geschichts-und Gesellschaftskundelehrern Dabei fällt der Geschichte die Anwendung der Gesetze des Dialektischen Materialismus auf konkret historische Ereignisse, der Gesellschaftskunde der Unterricht über diese Gesetze „unter dem Aspekt der Allgemeingültigkeit als Gesetz" zu „Die allgemeine Aufgabe der sowjetischen Schule ist die kommunistische Erziehung der Schüler. Die Geschichte als eine Sozialwissenschaft spielt eine ungewöhnlich große Rolle in der Bildung, Erziehung und Entwicklung der Schüler, in der Formung ihrer kommunistischen Überzeugung. Das ist der Grund, dessentwegen die Bedeutung der Methodik für das Lehren der Geschichte so groß ist. Die Methodik bestimmt, welcher Stoff, welches Verfahren und welches Mittel des Unterrichts ausgewählt wird, um die Schüler mit der Kenntnis der historischen Fakten und dem Verständnis der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der Gesellschaft zu bewaffnen."

In diesem Punkt gibt es keine Differenzen zwischen den sowjetischen Geschichtsmethodikern. Jedes Fach hat seinen Platz in der Herausbildung der kommunistischen Weltanschauung, aber Geschichte und Gesellschaftskunde verdienen besondere Beachtung Ein Autorenteam kritisierte 1975, daß einige Lehrer die erzieherischen Aufgaben des Geschichtsunterrichts auf die sittliche Erziehung zum sowjetischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus beschränken. Die Aufgabe des Geschichtsunterrichts gehe auch nicht darin auf, geschichtliche Gesetzlichkeit zu vermitteln; er müsse vielmehr darüber hinaus den klassenbezogenen, parteiergreifenden Standpunkt betonen: „Die Parteilichkeit des historischen Materialismus fällt mit der wissenschaftlichen Objektivität zusammen." Zu den Zielen des Geschichtsunterrichts gehört weiter die Erziehung zur „Hingabe für den Kommunismus"

Die spezifisch rätepatriotische Ausformung des Marxismus-Leninismus wird in der Aufgabe der sowjetischen Schule deutlich, die Verteidigungsbereitschaft zu fördern: „Nicht wegzudenken aus der kommunistischen Erziehung der gegenwärtigen Etappe (erg.: der historischen Entwicklung) ist die militärisch-patriotische Erziehung der aufwachsenden Generation. Die militärisch-patriotische Erziehung umfaßt die geistige und moralisch-politische Erziehung der Schüler, ihre physische, militärtechnische und paramilitärische Vorbereitung." Geschichte und Gesellschaftskunde sind — neben Sport, Literatur, Erdkunde — nur zwei der Fächer, die zur „militärisch-patriotischen Erziehung" beitragen. Insbesondere die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema, und wo es mit Heimatkunde verbunden werden kann, wird diese Geschichte an konkreten Beispielen unterrichtet. So gibt es in „Tausenden von Schulen" „Schulmuseen des Schlachtenruhms", es werden Geländespiele nach militärhistorischen Themen veranstaltet, Heroen des Krieges besuchen die Schulen und die Schulen besuchen Denkmale Auch mittelalterliche Militärgeschichte wird, wenn sie von der Verteidigung der Heimat handelt, als Beispiel zur Erziehung bewußt eingesetzt

Wie genau solche allgemeinen ideologischen Zuordnungen im Unterricht realisiert werden, ist kaum zu beurteilen. Faktisch bietet der Geschichtsunterricht in der UdSSR durch die Konkretheit und den Umfang der Darstellungen Platz für viele Informationen, deren Zuordnung zum Marxismus-Leninismus nicht unmittelbar einsichtig wird, z. B. Informationen über amerikanische Gewerkschaften oder über mittelalterliche Dome. Darin unterscheidet sich der Geschichtsunterricht von der Gesellschaftskunde in der UdSSR. Der sowjetische Geschichtsunterricht unterscheidet sich aber auch von dem in der DDR, der straffer auf die Thesen und das Periodenschema des Marxismus-Leninismus bezogen ist

III. Zur Analyse der Schulbücher

1. Zu methodischen Fragen der Schulbuchanalyse Für den Unterricht in der UdSSR hat ’ das Schulbuch, dem üblichen Stundenaufbau und • der Bedeutung des Lehrervortrags entsprechend, zentrale Bedeutung — vermutlich auch deswegen, weil das Schulbuch dem Lehrer Sicherheit gibt, denn es ist in jedem Fall ein anerkannter Text, vor allem aber, weil die Fachmethodiken dem Schulbuch eine ausschlaggebende Rolle zuweisen. Selbst die Methodik des Gesellschaftskundeunterrichts von 1975 begrenzt die Zahl der Stunden, für die vorgeschlagen wird, mit „Laboratoriumsmethode" zu arbeiten, auf ein Minimum. Die Bedeutung des Schulbuchs wird weiter dadurch erhöht, daß es für jede Jahrgangsklasse zwischen Wladiwostok und Kaliningrad nur einen Text gibt. Die prägende Kraft dieses Textes ist auch deshalb groß, weil er konkurrenzlos ist.

Die Analyse der sowjetischen Schulbücher kennt also einige jener Schwierigkeiten nicht, welchen die Schulbuchforschung in westeuropäischen Ländern ausgesetzt ist Insbesondere ergibt sich nicht das Problem, das in einem Land mit einem freien Markt für Schulbücher besteht, nämlich wie man die Aussagen verschiedener Schulbücher mit jeweils unterschiedlichen Auflagen gewichten soll, um zu einem zusammenfassenden Urteil zu gelangen Die sowjetischen Schulbücher für Geschichte und Gesellschaftskunde bilden jeweils einen insgesamt gegliederten Zusammenhang. Die Gültigkeit der Texte ist präzise bestimmbar — alle Kinder eines Schuljahrgangs lesen diesen Text für den Unterricht. Da der Schulbuchtext dem Lehrplan entspricht, läßt sich die Gewichtigkeit der einzelnen Abschnitte in Unterrichtsstunden ausdrücken Es ist kaum problematisch, einzelne Beispiele zu interpretieren, da deren Platz im Gesamttext genau bestimmbar ist. Wenn zusätzliches Material hinzugezogen wird, dann soll es ergänzenden, nicht kontrastierenden Charakter haben Und da das Medium Schulbuch zwar in sich durch Bilder und Dokumentenauszüge differenziert, insgesamt aber ein geschlossenes Buch ist, ergeben sich auch keine Interpretationsschwierigkeiten wie bei Loseblattsammlungen oder bei Unterrichtshilfen, die mit dem Kopiergerät hergestellt sind. Solche Schwierigkeiten der Interpretation hätten sich auch gegenüber den Arbeitsheften oder Geschichtslaboren der frühsowjetischen Periode ergeben; sie würden sich wieder ergeben, wenn solche didaktischen Ansätze erneut an Bedeutung gewännen Es ist im wesentli-chen angemessen, die sowjetischen Schulbücher als einen geschlossenen Korpus von Texten mit den klassischen Mitteln der Hermeneutik zu interpretieren. (In einem Über-blick wie dem hier vorgelegten kann das selbstverständlich nicht geleistet werden Mit welchem Eifer, welcher Motivation dieser Korpus von Texten im Unterricht der UdSSR rezipiert wird, ist kaum zu beurteilen. Sicher ist jedoch, daß nach diesen Texten in den beiden Fächern gelernt wird. 2. Zum Verhältnis Fachwissenschaft — Schulbuch am Beispiel von Darstellungen deutscher Ostexpansion

In der Sowjetunion beteiligen sich Universitätsprofessoren in stärkerem Maße als bei uns an der Erarbeitung der Geschichtslehrbücher.

Das hängt auch damit zusammen, daß schon im vorrevolutionären Rußland die Abwendung der Fachhistoriker von dem Gedanken, daß die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeit bildungspolitische Bedeutung haben würden, nicht so radikal war wie in der zünftigen Wissenschaft Deutschlands. Außerdem war die Sozial-und Wirtschaftsgeschichte in Rußland vor 1917 schon relativ stark vertreten Die starke Stellung der Gesellschaftskunde in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland ist wohl auch ein Reflex der Tatsache, daß die Geschichtswissenschaft in Deutschland in der Gründungsperiode der Sozialwissenschaften die Gegenstände dieses Faches so wenig zum Thema der Forschung gemacht hat.

Trotz der Beteiligung von Hochschulprofessoren an der Erarbeitung der Lehrbücher gibt es auch in der Sowjetunion eine deutliche Differenz zwischen dem „Stand der Forschung“ und dem Inhalt der Schulbücher — allerdings gibt es eben auch Differenzen zwischen dem, was in verschiedenen Forschungsrichtungen als „Stand der Forschung“ angesehen wird. Die wissenschaftlichen Richtungen, die sich mit deutscher Geschichte befassen, lassen sich in fünf Gruppen gliedern 1. Die dem Militär nahestehenden Historiker.

In der UdSSR gibt es eigene militärhistorische Institute, in denen sich Wissenschaftler z. B. auch mit den mittelalterlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Orden und Rußland befassen. In den Arbeiten dieser Historiker überwiegt die negative Darstellung der deutschen Angreifer. Vor allem wird — was eigentlich marxistischem Anspruch entsprechen würde — eine Einordnung der deutsch-russischen Auseinandersetzungen in den übergreifenden Zusammenhang der Ausbreitung des Feudalismus fast überhaupt nicht versucht. Die militärgeschichtliche Darstellung russischer Siege steht im Vordergrund.

2. Auch einige der mit dem russischen Mittelalter befaßten Historiker schreiben über die deutsch-russischen Beziehungen. Ihre Position ist derjenigen der Militärhistoriker nahe. Ihr bekanntester Vertreter ist V. T. Pasuto um dessen Polemik gegen Historiker der Bundesrepublik Deutschland es sogar politische Auseinandersetzungen gegeben hat Pasuto besitzt für seine Geschichtsschreibung in der UdSSR eine breite Öffentlichkeit; er hat 1974 im Verlag „Junge Garde" zum Preis von 69 Kopeken und in einer Auflage von 100 000 Exemplaren ein Buch über Aleksandr Nevskij veröffentlicht, das deutlich in einem pathetisch-patriotischen Stil verfaßt und mit beträchtlichem verlegerischen Aufwand hergestellt worden ist

3. Das Institut für Slawenkunde und Balkani-stik, das zur Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau gehört, bildet einen weiteren Schwerpunkt der Beschäftigung mit deutsch-slawischen Beziehungen. Dieses Institut ist in der Kriegszeit mit einem deutlich proslawischen Akzent entstanden. Es beschäftigt sich auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau mit der Ostexpansion. Hier wird ver-sucht, die deutsch-russischen Beziehungen in einen historischen Gesamtzusammenhang einzuordnen, wobei man am Institut die These vom grundsätzlich gleichen Entwicklungsstand des Feudalismus in Deutschland und den westslawischen Gebieten in der Periode der Ostexpansion vertritt. Die deutsche Ostexpansion wird also nicht — parallel z. B. zum Imperialismus — damit erklärt, daß durch die Verschärfung der Klassenwidersprüche im Feudalismus auch die Aggressivität des entwickelteren Landes größer gewesen sei. Ein wichtiger Vertreter dieser Institution war der kürzlich verstorbene V. D. Koroljuk. 4. In der UdSSR gibt es eine größere Gruppe von Historikern, die auf die mittelalterliche Geschichte Westeuropas spezialisiert ist. Vertreter dieser Gruppe haben oft in Rezensionen oder in Texteditionen Kritik an Einzel-punkten der Darstellungen der ersten beiden Richtungen geübt, haben Übertreibungen und Fehler aufgedeckt. Sie haben jedoch keine eigenen Gesamtdarstellungen zu diesem Thema vorgelegt; ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der mittelalterlichen Sozial-und Wirtschaftsgeschichte. 5. Die wissenschaftlich bedeutendste Institution, die sich mit deutscher Geschichte befaßt und auch ein eigenes Jahrbuch für deutsche Geschichte herausgibt, ist das Institut für allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften. In diesem Institut gibt es eine Sektion für deutsche Geschichte. Mittelalterliche Geschichte gehört nicht zum Aufgabenbereich dieses Instituts. In ihren Arbeiten zur deutschen Zeitgeschichte zeichnen sich die Mitarbeiter des Instituts durch ein besonderes Interesse an der deutschen Arbeiterbewegung und durch die kritische, aber ausgiebige Rezeption der sogenannten bürgerlichen Politikwissenschaft aus. Deutsche Aggressivität steht also nicht im Mittelpunkt des Interesses

Das Bild, das die Schulbücher von der deutschen Ostexpansion im Mittelalter zeichnen, ist überwiegend den ersten beiden Richtungen verpflichtet: Es wird fast ausschließlich über die Deutschen als Aggressoren berichtet, die Arbeit deutscher Bauern und Handwerker bleibt unerwähnt, und es wird großes Gewicht auf die Darstellung der im engen Sinn militärgeschichtlichen Ereignisse gelegt — z. B. werden im Schulbuch Schlachtenpläne publiziert Diese Darstellung ist auch in den neuesten Lehrbüchern von 1975 und 1976 nicht geändert worden Interessant ist jedoch die Korrektur eines Fehlers in der militärgeschichtlichen Darstellung, die von dem Sieg russischer Truppen unter der Führung Aleksandr Nevskij's über Truppen des Deutschen Ordens auf dem Eis des Peipusses 1242 gegeben wird. Während des Zweiten Weltkrieges war die These verbreitet worden, die Kerntruppe des Fürsten habe einen Hinterhalt gebildet und sei erst zu einem späten Zeitpunkt des Schlachtverlaufs eingesetzt worden. Diese Darstellung entsprach den Propagandabedürfnissen der UdSSR in den ersten Kriegsjahren, war aber sachlich unbegründet, wie 1966 von sowjetischen Mediävisten festgestellt worden ist 1976 weist die Kartenskizze der Schlacht von 1242 im sowjetischen Schulbuch keinen Hinterhalt mehr auf — im fortlaufenden Text ist er allerdings noch erwähnt 3. Beispiele von Schulbuchdarstellungen a) Die Rußlanddeutschen Zu der Tendenz der Darstellung der deutschen Ostexpansion paßt die Darstellung der Geschichte der Rußlanddeutschen, die ja auch eine innersowjetische Aktualität besitzt. Heupel und Wörster kommen zu dem Urteil, daß die Darstellung im sowjetischen Schulbuch dazu beitragen kann, „daß der reaktionäre Kurs unter Nikolaus sich im Geschichtsbild Schülers des als ein von Nichtrussen, zudem noch von Deutschen, errichtetes Regime . einprägt.“ Auch die Bironovscina, eine andere Reaktionsperiode, erscheint als Deutschenherrschaft, und die Mitgliedschaft Deutscher in der Akademie der Wissenschaften erscheint ausschließlich unter dem Aspekt ihres Gelehrtengezänks mit LomonosovS In der Ausgabe des Schulbuchs von 1971 war beschrieben, wie Lomonosov zusammen mit dem deutschen Gelehrten Richmann ein Experiment durchführt das ist in der Ausgabe von 1976 jedoch wieder gestrichen worden. Dort heißt es zusammenfassend: „Ein lühender Patriot Rußlands und russischer Wissenschaft, bezog sich Lomonosov mit großer Hochachtung auf die großen Gelehrten des Westens und untersuchte ihre Entdeckungen. Aber zugleich kämpfte er unerbittlich gegen die Vorherrschaft der gering gebildeten und beschränkten deutschen Gelehrten in der russischen Akademie ..."

Keine dieser Angaben im sowjetischen Schulbuch über Rußlanddeutsche ist an sich falsch oder unbegründet. Aber die Auswahl ist verfälschend. Die Rolle der Deutschen in Ruß-land erschöpfte sich nicht in diesen negativen Zügen. Gerade in marxistischen Kategorien müßten z. B. die Arbeit deutscher Bauern in den neu zu besiedelnden Gebieten — etwa an der Wolga — und die Arbeit deutscher Handwerksmeister in russischen Manufakturen deutlich zu erfassen sein; sie leisteten einen Beitrag zur Entwicklung der Produktivkräfte in Rußland von der Frühen Neuzeit an. Dieser Beitrag deutscher Bauern und Handwerker wird aber bisher nicht erwähnt. b) Die Arbeiterbewegung vor 1914 Heupel und Wörster haben darauf hingewiesen, daß die russische Arbeiterbewegung im sowjetischen Geschichtsbuch schon sehr früh als international führend hingestellt und die deutsche Arbeiterbewegung nicht nur wegen ihres Revisionismus kritisiert, sondern auch in ihrer Bedeutung entsprechend gering geschätzt wird diese Daß Darstellung unmittelbar die Legitimation der KPdSU berührt, liegt auf der Hand. Vielleicht gibt es gegen diese Darstellung aber doch Einwendungen. Wenn die Revolution von 1905 auf die internationale Arbeiterbewegung gewirkt hat, dann wohl gerade deswegen, weil die Bedeutung der russischen Arbeiterparteien für ihr Zustandekommen gering war und weil in der Revolution ein Moment von Spontaneität zum Ausdruck kam, gerade auch in der Bildung der Arbeiterräte. Die führende Rolle der deutschen Sozialdemokratie vor 1914 läßt sich nicht nur statistisch belegen, sondern auch politisch und geistesgeschichtlich; auch Lenin bezog sich ja in seinen Schriften auf die Auseinandersetzung zwischen Kautsky und Bernstein.

Andererseits ist die Darstellung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung vor 1914 im sowjetischen Schulbuch umfangreicher als in den meisten Schulbüchern der Bundesrepublik Deutschland Dies sollte eigentlich hier zu denken geben. c) Die Kriegschuidirage 1914 Die Erklärung des Imperialismus ist noch immer ein großes Thema der sowjetischen Geschichtswissenschaft. Die Darstellung des deutschen Imperialismus ist vor allem deswegen interessant, weil es — auch zur Legitimation des Friedens von Brest Litowsk gegenüber der Kritik im eigenen Land — zwanzig Jahre lang unter der Ägide Pokrovskijs in der UdSSR nicht erwünscht war, die Rolle Deutschlands gegenüber der anderer imperialistischer Mächte zu betonen. Deutschland galt als eine imperialistische Macht wie andere auch, wie Frankreich oder England Erst während des Zweiten Weltkrieges hat man die alte Lenin-Formel wieder aufgegriffen, die auch im Schulbuch zitiert wird: Deutschland sei der junge und starke Räuber gewesen, der sich gegenüber den alten Räubern durch besondere Aggressivität ausgezeichnet habe. In der „Fischer-Kontroverse“ ist die Erklärung des deutschen Imperialismus und die Frage der Kontinuität deutscher Ostexpansionen bekanntlich zu einem der großen Themen der deutschen Nachkriegshistoriographie geworden. In der sowjetischen Forschung sind vor allem zwei Institutionen mit der Rolle Deutschlands im Imperialismus befaßt:

1. Die neuere Abteilung des Instituts für Slawenkunde und Balkanistik der Akademie der Wissenschaften und 2. das Institut für allgemeine Geschichte der Akademie.

Auf den Gang der Forschung in der UdSSR hat dabei nicht nur die Forschung der DDR eingewirkt, sondern auch die Fischer-Schule. Im sowjetischen Hochschullehrbuch für deutsche Geschichte, das in der Sektion für deutsche Geschichte des Instituts für allgemeine Geschichte erarbeitet -worden ist, wird 1970 der „Griff nach der Weltmacht" sogar in einer Kapitelüberschrift zitiert Nach der deutschen Niederlage war man in der Sowjetunion im wesentlichen zum Imperialismusbild der dreißiger Jahre zurückgekehrt. In den Schulbüchern von 1955 wurde Deutschland als ein imperialistisches Land wie andere auch dargestellt. Erst seit den sechziger Jahren wird in immer deutlicherer Weise Deutschland den übrigen Mächten als besonders aggresiv gegenübergestellt Auch die Ausgabe von 1975 bleibt bei dieser Gewichtung d) Die neue Ostpolitik Die Darstellung der „neuen Ostpolitik" in den Geschichtslehrbüchern soll ausführlich zitiert werden, weil eine Veränderung der Tendenz in einem neuverfaßten Text u. U. am ehesten zum Ausdruck kommen würde.

Das Kapitel über die DDR im Rahmen des Abschnittes über sozialistische Länder im Lehrbuch der neuesten Geschichte (1939— 1974) schließt mit folgenden Ausführungen

„Auf dem VIII. Parteitag der SED wurde festgestellt, daß alle Erörterungen über die . Einheit der deutschen Nation’ unter den gegenwärtigen Bedingungen darauf gerichtet seien, die gesellschaftlichen und ökonomischen Grundlagen des Arbeiter-und Bauernstaates zu untergraben. Auf deutscher Erde existieren jetzt zwei unterschiedliche Staaten: ein sozialistischer und friedliebender sowie ein imperialistischer. Man könne sich nicht als möglich vorstellen, diese zwei Deutschland in der nächsten Zukunft zu vereinigen."

„Unter den gegebenen Umständen waren Beziehungen zwischen DDR und BRD nur auf der Grundlage des Prinzips der friedlichen Koexistenz souveräner Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsstruktur möglich. Die friedliebenden Kräfte entfalteten den Kampf für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Der im Juni 1964 geschlossene Vertrag über Freundschaft, gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit zwischen UdSSR und DDR garantiert die Sicherheit der Republik zuverlässig.“

„In den Beziehungen zwischen der UdSSR und den Westmächten, aber auch zwischen DDR BRD, und war die Frage des Schicksals Westberlins lange der Stein des Anstoßes. Im September 1971 erreichten die Regierungen der UdSSR, Englands, der USA und Frankreichs in dieser Frage eine Übereinkunft. Wie in der vierseitigen Vereinbarung festgestellt wird, bilden die Westsektoren Berlins wie früher keinen konstitutiven Teil der BRD und werden auch in Zukunft nicht von der BRD regiert. Die Regierungen der Westmächte behalten ihre Rechte und tragen die Verantwortung in bezug auf die Vertretung der Interessen der Bevölkerung der Westsektoren Berlins jenseits der Grenzen. Der BRD ist es erlaubt, die ständigen Bewohner Westberlins konsularisch zu versorgen, es ist ihr aber verboten, in Westberlin konstitutionelle oder amtliche Handlungen des Präsidenten, der Regierung, des Parlamentes und anderer staatlicher Institutionen durchzuführen. In der Vereinbarung sind Maßnahmen zur Verbesserung des Transitverkehrs zwischen Westberlin und der BRD festgelegt, sowie auch Bedingungen, welche es den ständigen Einwohnern der Westsektoren Berlins ermöglichen, die DDR zu besuchen."

„Am 21. Dezember 1972 schlossen DDR und BRD einen Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den zwei deutschen Staaten. Die Normalisierung dieser Beziehungen entspricht den Interessen von BRD und DDR und fördert die Festigung von Frieden und Sicherheit in Europa. Heute ist die DDR ein gleichberechtigtes Mitglied der UNO und mehr als 110 Staaten haben sie anerkannt."

„Die Werktätigen der DDR, die daran interessiert sind, daß günstige internationale Bedin-

gungenfür den Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft geschaffen werden, unterstützen die Politik der SED, die darauf gerichtet ist, die Souveränität des deutschen sozialistischen Staates zu festigen.“

Im Kapitel über die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Abschnittes über kapitalistische Länder heißt es

„Die reaktionäre Innen-und die abenteuerlustige Außenpolitik der CDU führten die BRD in eine Sackgasse. Dies zeigte sich in der Verstärkung des Klassenkampfes innerhalb des Landes und in der ansteigenden außenpolitischen Isolierung Westdeutschlands. Es wurde immer deutlicher, daß die Zeit gekommen war, vom . Kalten Krieg'Abschied zu nehmen und mit einer , Neuen Ostpolitik'zu beginnen."

„Im September 1969 gab es Bundestagswahlen. Die Sozialdemokraten versprachen, die Beziehungen zur UdSSR, zur DDR und zu den anderen sozialistischen Ländern zu verbessern und die Sache der gesamteuropäischen Sicherheit zu fördern. Dies begünstigte ihren Erfolg bei den Wahlen. Mit Unterstützung der FDP bildeten sie eine Regierung, an deren Spitze Willy Brandt (geboren 1913) stand. Die Christdemokraten befanden sich nach zwanzigjähriger Machtausübung in der Opposition." Das Lehrbuch verweist für die Verhandlungen der folgenden Jahre auf die Darstellung bei der DDR und fährt fort, daß die CDU im Parlament zur Obstruktionspolitik übergegangen sei: „Da löste die Regierung das Parlament auf und setzte außerordentliche Wahlen an. In den Wahlen zum Bundestag (November 1972) sprachen die westdeutschen Werktätigen sich für die Fortführung der friedliebenden Politik aus, welche von Sozialdemokraten und Freien Demokraten geführt wurde. Diese verfügen nun im Bundestag über 46 Sitze mehr als die Opposition."

Das Lehrbuch fährt in der Einzelschilderung fort und beendet die Darstellung der Regierungspolitik: „Für Maßnahmen zur Erfüllung der , Ostverträge'und für die Fortsetzung des Kurses auf europäische Sicherheit erklärte sich auch die Regierung des Sozialdemokraten Helmut Schmidt (geboren 1918), der im Mai 1974 zur Macht kam. Während der Moskauer Gespräche (Oktober 1974) wurde ein neuer Schritt auf dein Weg der Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen zwischen UdSSR und BRD getan und eine Vereinbarung über die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen."

Es ist interessant, daß das Lehrbuch den besonderen Schwierigkeiten des Kommunismus in der Bundesrepublik eine eigene Seite widmet, in der auf den Lohen Lebensstandard und die revisionistische Ideologie der Arbeiterbewegung eingegangei wird. Unter anderem heißt es: „Die Arbeiterklasse der BRD ist in ihrer Zusammensetzung nicht einheitlich. Ein bedeutender Teil der Werktätigen besteht aus Umsiedlern und Berufswechslern, aus gewesenen Bauern, ruinierten Kleinbürgern und Besitzlosen anderer Länder auf Arbeitssuche. Alle diese Faktoren behindern das Wachstum des Bewußtseins der Massen und machen die Verstärkung des Klassenkampfes schwierig." Schließlich geht das Lehrbuch auch in dem Abschnitt über die internationalen Beziehungen auf die Ostverträge ein In dem Abschnitt werden die zunehmenden Chancen für die Erhaltung des Weltfriedens auf vier Gruppierungen zurückgeführt:

1. Die Macht des „sozialistischen Freundschaftsbundes (socialisticeskoe sodruzestvo)", 2. „friedliebende nichtsozialistische Staaten“, 3. „die internationale Arbeiterklasse und ihre Avantgarde — die kommunistischen Parteien", 4. „die Massenbewegung der Friedensfreunde". „Aber die Natur des Imperialismus, der Angriffskriege erzeugt, bleibt wie früher" —. heißt es dann unvermittelt. Wer dazu gezählt wird, ist nicht deutlich. Die Entspannung wird jedoch nicht allein auf die sozialistischen Länder zurückgeführt: „Der Kampf der sozialistischen Länder und anderer friedliebender Staaten sowie weiterer gesellschaftlicher Kreise für Sicherheit in Europa führten zu den erreichten Ergebnissen."

Die Änderungen dieser Darstellungen gegenüber den Lehrbüchern von 1969 und 1971 sind tiefgreifend. Die Bundesrepublik Deutschland wird hier viel sachlicher dargestellt, der Parlamentarismus als politisch relevant akzeptiert und die Sozialstruktur der Bundesrepublik differenzierter gesehen e) Friedliche Koexistenz im Lehrbuch für Gesellschaftskunde Die Ausgabe des Lehrbuchs für Gesellschaftskunde 1975 hat folgenden Aufbau „Abschnitt I.

Der Anfang des Marxismus-Leninismus Kapitel 1.

Philosophische Vorstellungen von der Welt und deren Erkenntnis Kapitel 2.

Lehre von der Entwicklung der Gesellschaft Kapitel 3.

Kapitalismus Kapitel 4.

Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus Abschnitt II.

Sozialismus und Kommunismus Kapitel 5.

Ökonomische Struktur des Sozialismus Kapitel 6.

Soziale und politische Struktur Kapitel 7.

Der Weg zum Kommunismus Kapitel 8.

Erziehung des neuen Menschen Kapitel 9.

Die Partei — unser Steuermann".

Im Rahmen des vierten Kapitels behandelt § 19 das Thema „Frieden und friedliche Koexistenz" Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus wird als der Hauptinhalt der gegenwärtigen Epoche definiert:

„Das System der internationalen Beziehungen in unserer Zeit ist schwierig und widersprüchlich, ihm sind Züge des Übergangs zu neuen Prinzipien der Beziehungen zwischen Staaten eigen."

„Bis zur Entstehung des Sozialismus waren die internationalen Beziehungen nach Prinzipien aufgebaut, welche aus der kapitalistischen Struktur erzeugt waren. Diesen Beziehungen waren ungleiches Recht, Ausbeutung und Unterdrückung der Kolonialländer durch die imperialistischen Mächte eigen, die Unterordnung eines Landes unter das andere, die Herrschaft von Diktat und Gewalt."

Die barbarischste Form dieser internationalen Beziehungen seien die Weltkriege gewesen. Durch die Oktoberrevolution sei die Lage jedoch grundlegend verändert worden: „Aus der Natur des Sozialismus entsprang auch eine prinzipiell neue Außenpolitik, die auf Internationalismus sowie dem Streben nach Frieden und Freundschaft mit allen Völkern gegründet ist. Im Rahmen des sozialistischen Freundschaftsbundes entstand ein neuer Typ internationaler Beziehungen ... " .

„. . . das Verhältnis der Kräfte in der Welt ist derart, daß der Imperialismus seinen dominierenden Einfluß auf das internationale Leben verloren hat. Die ihm eigenen außenpolitischen Prinzipien bestimmen das System der internationalen Beziehungen schon nicht mehr vollständig. Gleichzeitig kann der neue Typ internationaler Beziehungen, der sich im Rahmen des sozialistischen Freundschaftsbundes herausbildet und das Vorbild zukünftiger Beziehungen zwischen freien Völkern bildet, noch nicht allgemeingültig werden, solange das kapitalistische System existiert.“

Daß es zur friedlichen Koexistenz dieser Systeme keine Alternative gibt, wird mit dem Bild einer Atombombenexplosion eindringlich dargestellt.

„Die Politik der friedlichen Koexistenz erfordert den Verzicht auf den Krieg als Mittel zur Entscheidung internationaler Streitfragen, strenge Beachtung der Souveränität, Gleichheit, Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten, Entwicklung wechselseitig fördernder wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen zwischen allen Ländern, unabhängig von ihrer sozial-ökonomischen und politischen Struktur ..."

Der ideologische Kampf gehe derweil weiter. Friedliche Koexistenz werde jedoch nicht allein von der UdSSR in der internationalen Politik vertreten:

„Auf der Seite des Friedens steht heute neben der UdSSR und den anderen Ländern des Sozialismus eine große Gruppe nichtsozialistischer Staaten, welche an der Entfesselung von Kriegen nicht interessiert ist, weil sie zu Lösung der Aufgabe der nationalen Wiedergeburt den Frieden brauchten. Den Frieden umfaßt die internationale Arbeiterklasse, welche den Kampf der breiten Volksmassen gegen den imperialistischen Krieg organisiert. Die zwingende Notwendigkeit zur Erhaltung des Friedens wird auch von weiten gesellschaftlichen Schichten der imperialistischen Länder erkannt, darunter auch von realistisch denkenden Politikern aus dem bürgerlichen Lager.“

daß Die Möglichkeit, Politik -die der sozialisti schen UdSSR unter Umständen, und sei es nur durch fehlerhafte Politik, zur Entstehung oder Ausweitung von Kriegen beigetragen haben könnte, ist bisher in der veröffentlichten sowjetischen Literatur nicht wirklich ernsthaft diskutiert worden, obgleich z. B. die Geschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes Anlaß zu solcher Selbsterforschung geben könnte Die UdSSR gilt vielmehr als „von Natur" friedliebend.

Trotzdem gibt es in der Sowjetunion eine Diskussion um den Inhalt der friedlichen Koexistenz Die Pole dieser Diskussion sind: 1. Friedliche Koexistenz ist entscheidend das Ergebnis sowjetischer militärischer Macht. Da die UdSSR von Natur friedlich sei, könne mehr sowjetische militärische Macht auch immer nur noch mehr den Frieden fördern. Diese Position ist z. B. in der Militärzeitschrift Krasnaja Zvezda deutlich geworden 2. Friedliche Koexistenz ist zu einem wesentlichen Teil auch auf Lernprozesse innerhalb der kapitalistischen Gesellschaften zurückzuführen. Diese Position wird z. B. in der literarischen Zeitschrift Novyj Mir deutlich

Im Lehrbuch für Gesellschaftskunde wird nebenbei auch auf das „wirtschaftliche und militärische Potential" der UdSSR als eine der Voraussetzungen ihrer Friedenspolitik hingewiesen Insgesamt gehört die Darstellung deutlich zu der zweiten Gruppe von Argumentationen; Lernprozesse der kapitalistischen Gesellschaften werden als eine der Voraussetzungen der Friedlichen Koexistenz genannt.

IV. Zusammenfassende Bemerkungen

Das in den sowjetischen Schulbüchern gezeichnete Geschichtsbild ist seit über einem Jahrzehnt oft bis in einzelne Formulierungen hinein konstant, abgesehen selbstverständlich von neu verfaßten Texten zur jüngsten Zeit-geschichte. Schon diese Konstanz unterscheidet die sowjetischen Geschichtsbücher von denen der Bundesrepublik Deutschland, die in den letzten zehn Jahren stark verändert worden und außerdem untereinander verschieden sind — innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Rahmens. Trotz der „Renaissance des Schulbuchs" bei uns ist dessen Stellung in der Sowjetunion unumstrittener als in der Bundesrepublik. Bücher für das Kurssystem in der Sekundarstufe II der Bundesrepublik haben weit weniger Relevanz im Unterricht als Bücher für die Abschlußklassen der UdSSR. Weil in der Sowjetunion etwa doppelt so viel Zeit für den Geschichtsunterricht zur Verfügung steht wie in der Bundesrepublik, wird der Spielraum für einen unmittelbaren Vergleich weiter eingeschränkt.

Die Kritik älterer deutscher Schulbücher durch sowjetische Autoren ist z. T.sehr scharf, differenziert aber zwischen verschiedenen Richtungen innerhalb der Schulbuch-autoren Als „verleumdend" und „völlig entstellend" beurteilte V. T. Pasuto die 1970 vorliegende Literatur und rief dazu auf, gegen „die politischen Umtriebe der Revanchisten und ihre ideologischen Manipulationen“ Stellung zu nehmen In einem 1975 erschienenen kritischen Vergleich der Darstellung des Faschismus in der 1965 erschienenen Ausgabe von „Gestern und Heute" und der 1971 erschienenen Ausgabe von „Menschen in unserer Zeit“ kommt A. Cernov zu dem Ergebnis, daß sich trotz der Entspannungspolitik wenig geändert habe. Nach wie vor werde der Faschismus durch Personalisierung erklärt. Die Rolle der imperialistischen Mächte werde beschönigt, die Rolle der UdSSR im Zweiten Weltkrieg jedoch herabgewürdigt. „All das bezeugt, daß auch in den siebziger Jahren in der BRD Lehrbücher herausgegeben werden, die den Schülern verdrehte Vorstellungen von den Ursachen und Hauptereignissen des Zweiten Weltkriegs beibringen — besonders über die Rolle der UdSSR, welche die Hauptkraft war, die im Kampf gegen den Faschismus die zukünftige Weltzivilisation, Fortschritt und Demokratie verteidigte."

In der Bundesrepublik geübte Kritik an Darstellungen der Sowjetunion in bundesdeutschen Schulbüchern hat z. T. große Mängel festgestellt: sachliche Fehler, unzulässig vereinheitlichende Argumentation, Personalisierung des Geschichtsbildes, Vernachlässigung ökonomischer Probleme, Einfließen nicht begründeter Wertungen etc. Umgekehrt ist innerhalb der Sowjetunion veröffentlichte Kritik am Deutschlandbild der sowjetischen Schulbücher nicht bekanntgeworden.

Wenn im folgenden versucht wird, einige Ansätze zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbild sowjetischer Schulbücher zu formulieren, geschieht das im vollen Bewußtsein der Vorläufigkeit und Kritikbedürftigkeit solcher Aussagen. Diese ist besonders deshalb gegeben, weil kaum ins einzelne gehenden Untersuchungen und keine umfassende Korpusanalyse der sowjetischen Schulbücher vorliegen. 1. Die sowjetische Darstellung deutscher Geschichte entspricht nicht überall dem Stand der sowjetischen historischen Forschung. Dies ist hier an einem sehr begrenzten Beispiel aus der Darstellung der deutschen Ostexpansion belegt worden. 2. Das sowjetische Geschichtsbuch ist — immer noch oder wieder — durch eine starke Personalisierung gekennzeichnet. Die 1926 geäußerte Befürchtung Pokrovskijs, ein marxistischer chronologischer Geschichtskurs werde „ein Kirchenkalender, nur mit anderen Heiligen" hat sich nicht als unbegründet erwiesen. Dieselbe Kritik — allerdings bei, von Pokrovskij aus gesehen, veralteten Heiligen — ist auch bundesdeutschen Schulbüchern gegenüber mit vielen Belegen vorgetragen worden

3. Im sowjetischen Schulbuch spielt die Darstellung der Militärgeschichte eine große Rolle. Auch Militärgeschichte des zaristischen Rußland wird fast ausschließlich positiv dargestellt und Schlachtenpläne etc. nehmen einen großen Raum ein.

4. In die Darstellung fließen nationale Wertungen ein, die nicht reflektiert und nicht begründet werden. Die Darstellung der Geschichte der Rußlanddeutschen läßt entgegen marxistischem Anspruch durch die einseitige Auswahl vermuten, daß diese Nationalität durch ihren Volkscharakter entscheidend, und zwar negativ, geprägt sei. Dabei wäre die Darstellung der Leistung vieler Vorfahren der Rußlanddeutschen für die Entwicklung Rußlands gerade dann wichtig, wenn diese sowjetische Nationalität das Bewußtsein gewinnen soll, auch in der Geschichte ihres Staates zu Hause zu sein. 5. Da es in der UdSSR nur ein Geschichtsbuch gibt, ist leicht erkennbar, daß darin einige Richtungen der sowjetischen Historiographie mehr zum Tragen kommen als andere. Wenn eine wissenschaftliche Diskussion über Schulbuchtexte Erfolg versprechen soll, müßten selbstverständlich alle Institutionen der Fächer Geschichte und Gesellschaftskunde vertreten sein.

6. Im sowjetischen Geschichtsbuch wird die Geschichte aller Territorien dargestellt, die heute zur Sowjetunion gehören. Sie ist sachlich für die UdSSR kein Problem, weil die Gebiete, welche in der russischen Geschichte eine Rolle gespielt haben, heute auch sowjetisch sind. Es ist jedoch sachlich unmöglich, eine deutsche Geschichte zu konzipieren, die sich auf das Territorium von Bundesrepublik Deutschland oder DDR beschränken würde. Eine Diskussion des territorialen oder etatisti-schen Prinzips in der Geschichtsschreibung ist entsprechend unumgänglich. 7. Das sowjetische Schulbuch hat keinen Platz für abweichende Meinungen. Auch die beigefügten Dokumente und Bilder unterstützen immer wieder den offiziell Text. In der Bundesrepublik werden zwar die vorgelegten Texte durch die Genehmigungskommissionen der Länder auf die Einhaltung von bestimmten Grenzen geprüft. In kaum ei-nem Geschichtsbuch der Bundesrepublik wird aber „Konfliktwissen“ — Wissen, das der allgemeinen Tendenz des Schulbuchs entgegensteht — so entschieden ausgestaltet wie in den heutigen Schulbüchern der UdSSR. Außerdem enthalten die bundesdeutschen Schulbücher in der Regel mehr „nicht operationelle Kenntnisse" als die sowjetischen — Kenntnisse, die nicht oder nicht bruchlos für die allgemeinen Lernziele operationalisiert werden können.

8. Keine Diskussion kann an der bewußten, ausgesprochenen und begründeten parteilichen Bindung des sowjetischen Schulbuchs an den Marxismus-Leninismus vorübergehen.

Um diese deutlich zu machen, ist es in der Bundesrepublik nötig, die Rolle des Eigentums an Produktionsmitteln für die soziale Verfassung und das ökonomische Funktionieren einer Gesellschaft genau zu beschreiben sowie den Unterschied zwischen privatem und gesellschaftlichem Eigentum nicht durch bloße Kennzeichnung der Marktverfassung zu verdecken („Marktwirtschaft" kontra „Zentrale Verwaltungswirtschaft"). Für die UdSSR ist zu fordern, daß den Schülern die Rolle der mittleren Schichten in der deutschen Geschichte deutlich gemacht wird. Und vor allem sollte im sowjetischen Geschichtsunterricht nicht durch allgemeine Kategorien wie Neoimperialismus oder Monopolkapitalismus zugedeckt werden, daß es in der Bundesrepublik Deutschland — innerhalb systemimmanenter Grenzen — einen funktionierenden Parlamentarismus gibt, in dem durch allgemeine freie Wahlen auf konkrete Politik — z. B. Entspannungspolitik — Einfluß ausgeübt wird. Man muß festhalten und darf begrüßen, daß die letzte Ausgabe des sowjetischen Schulbuchs für neueste Geschichte diesen Forderungen entgegenkommt.

9. Jede wissenschaftliche Diskussion muß schließlich zu den wissenschaftstheoretischen Kategorien vorstoßen, welche für die Differenzen konstitutiv sind. Bei der Auseinandersetzung um sowjetische und bundesdeutsche Schulbücher ist strittig, wieweit der Objektivitätsbegriff der leninistischen Widerspiegelungstheorie für die sowjetischen Wissenschaftler geltend gemacht und wie umfassend von den Wissenschaftlern der Bundesrepublik Idologieverdacht vorgetragen werden soll. Mit jemandem, der für sich in Anspruch nimmt, allein im Besitz der objektiven Wahrheit zu sein, läßt sich genauso schlecht diskutieren wie mit jemandem, der vom Gegenüber ausschließlich Verzerrungen der Wahrheit erwartet. Solche Auffassungsverschiedenheiten werden sich kaum auflösen lassen, und desto notwendiger ist es, sie kontrovers zu formulieren.

10. Damit hängt eng zusammen, daß für die UdSSR in einigen wichtigen Fragen in Anspruch genommen wird, zu bestimmten Fehlem nicht fähig zu sein, z. B. „von Natur" (iz prirody) friedliebend zu sein

Die Frage nach dem Grad und der Konkretheit von Selbstbestimmung einer Übergangsgesellschaft bezeichnet ein klassisches Problem marxistischer Diskussion. Wenn Kapitalismus eine „Natur" hat, weil die ökonomischen Interessen „sich" „hinter dem Rücken" der Individuen durchsetzen, dann soll Sozialismus sich dadurch auszeichnen, als ein Verein freier Menschen keine „Natur" mehr zu haben. Wenn gesagt wird, daß sich Gesetzmäßigkeiten durchsetzen, „ist gesagt, daß es sich bei der Sowjetunion nicht um eine sozialistische Gesellschaft handeln kann. Denn in einer solchen müßte der . Primat der Politik" als des bewußten und bestimmenden Handelns der assoziierten Individuen gelten"

Das Zitat macht deutlich, daß man die angesprochenen Fragen auf der Ebene theoretischer Abstraktion als innermarxistische Diskussion in absehbarer Zeit nur schwerlich in Angriff nehmen könnte. Nun kann es bei wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Forschern der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR nicht um innermarxistische Diskussionen gehen — vor allem deshalb nicht, weil die große Mehrheit der bundesdeutschen Wissenschaftler und die Schulbuchautoren nicht mit marxistischen Kategorien arbeiten. Aber auch eine Diskussion z. B. über die Totalitarismustheorie dürfte kaum als Auftakt wissenschaftlicher Streitgespräche zwischen Ost und West taugen. Ausgehen kann man in solchen Diskussionen also nur von jener gemeinsamen Basis, daß „das kritisch erhärtete Faktum ... gelten" soll

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. insgesamt Oskar Anweiler, Geschichte der Schule und Pädagogik in Rußland. Vom Ende des Zarenreiches bis zum Beginn der Stalinära, Berlin 1964; ders., Erziehungs-und Bildungspolitik, in: Kulturpolitik der Sowjetunion, hrsg. v. Oskar An-weiler u. Karl-Heinz Ruffmann, Stuttgart 1973, bes. S. 12 ff.

  2. Ebda., S. 17.

  3. Texte in deutscher Übersetzung bei: Die sowjetische Bildungspolitik seit 1917, hrsg. v. Oskar An-weiler u. Klaus Meyer, Heidelberg 1961 (im folgenden: Bildungspolitik I), hier S. 55 ff.

  4. Vgl. hierzu und zum folgenden: Hans-Heinrich Nolte, Geschichte von Geschichtsunterricht und Gesellschaftskunde in der UdSSR, erscheint in: Geschichtsdidaktik, Jahrgang 1978, Themenheft: Geschichtsunterricht im Ausland.

  5. Texte: Bildungspolitik!, S. 156 ff.; vgl. Anweiler, Bildungspolitik, a. a. O., S. 39— 53; Michael Prokofjew, Bildungswesen in der UdSSR, übers. Moskau (1970), S. 8 f.

  6. Narodnoe Obrazovanie v SSSR, Sbornik doku-mentov 1917— 1973 gg., Sostaviteli: A. A. Abaku-

  7. Die Texte im Zusammenhang bei: Erwin Ober-länder, Sowjetpatriotismus und Geschichte, = Dokumente zum Studium des Kommunismus 4, Köln 1967, S. 126 ff. Vgl. weiter Hans-Heinrich Nolte, „Drang nach Osten", Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen Ostexpansion, Köln 1976, S. 71 ff. (im folgenden: Nolte, , Drang nach Osten').

  8. Ebda., S. 129— 158.

  9. Der Stand der Lehrbücher von etwa 1960, jedoch mit Beispielen aus früherer Zeit: Hans-

  10. Die sowjetische Bildungspolitik von 1958 bis 1973, Dokumente und Texte, hrsg. v. Oskar Anweiler, Friedrich Kuebart u. Klaus Meyer, Berlin 1976 (im folgenden: Bildungspolitik II), S. 94f.: Wolfgang Mitter, Die Verlängerung der Schulpflicht in der Sowjetunion im Spannungsfeld von Allgemeinbildung und Berufsbildung, in: Die Schulreform in den Industriestaaten, hrsg. v. Hermann Röhrs, Frankfurt/M. 1971, S. 153— 176.

  11. Friedrich Kuebart, Das Bild der Stalinära und die Formung des Geschichtsbewußtseins in der sowjetischen Schule, in: Osteuropa (im folgenden: OE) 17 (1967), S. 295— 302.

  12. Voprosy ideologieskoj raboty KPSS, Moskva 1972, S. 349.

  13. Friedrich Kuebart, Sowjetunion, in: Bildungspolitik in der Sowjetunion, der DDR und der Volksrepublik Polen, hrsg. v. d. Arbeitsstelle für vergleichende Bildungsforschung am Institut für Pädagogik der Ruhr-Universität, Bochum 1976, S. 11 f.

  14. Erich F. Pruck, Das Militärschulwesen in der Sowjetunion, in: OE 27 (1977), S. 138— 147, hier S. 138 zur Übernahme von Kadetten der Suvorov-und Nachimov-Militärschulen in die höheren militärischen Schulen ohne Prüfung (im Gegensatz zu den Absolventen normaler Mittelschulen).

  15. Stundentafel: Bildungspolitik II S. 378 f. Vgl. zu diesem Schultyp besonders: Uwe Zänker, Qualifikationsanforderungen und Sekundarschulreform in der UdSSR, in: Qualifizierung und wissenschaftlich-technischer Fortschritt am Beispiel der Sekundarschulreform, Bd. 3, Ravensburg 1975, S. 131 bis 287.

  16. Stundentafel: Bildungspolitik II S. 374. Vgl. zum folgenden allgemein: Hans-Heinrich Nolte, Geschichtsunterricht in Ost und West, Materialien zu einem Vergleich von Stellung, Gegenstand und Funktion des Geschichtsunterrichts in BRD, DDR und UdSSR, in IJbGGU 16 (1975), S. 147— 163.

  17. Gesellschaftskunde in der sowjetischen Schule, Redaktion: A. W. Drushkowa, übers. Berlin 1972. Die Ausgabe: Izuenie obäöestvovedenija v srednej äkole, Redaktion: A. V. Drukova, Moskva 1975, unterscheidet sich hier nur geringfügig, u. a. durch ein neues Breznev-Zitat.

  18. Kuebart, a. a. O., S. 24.

  19. Vgl. zu diesen Ausführungen: Hans-Heinrich Nolte, Deutsche Geschichte im sowjetischen Schulbuch, Göttingen 1972, S. 84 ff. (im folgenden: Nolte, Schulbuch). Eine Teilveröffentlichung erschien in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 23. 1. 1971, S. 3— 27.

  20. Die Belege für die vergleichenden Aussagen bei Nolte, Geschichtsunterricht in Ost und West, a. a. O.

  21. N. V. Andreevskaja, A. I. Popova, N. V. Sper-anskaja, T. S. Sabalina, Metodika prepodavanija istorii v vos’miletnej skole, Moskva 1970, S. 3. Auch in der UdSSR gibt es eine Diskussion um das Verhältnis von Didaktik und Methodik: Vagin, a. a. O„ S. 3 ff.

  22. Die Sowjetunion und ihr Bildungswesen, Bericht einer Studienreise, hrsg. v. Christian Graf v. Krockow, Joachim Leuschner u. Albert Levi; Göttingen 1965.

  23. Martin Herzig, Zur Entwicklung des Schulfernsehens für den Geschichtsunterricht in der Sowjetunion, in: Jahrbücher für Geschichte der sozialistischen Länder (Im folgenden JbGSL) 14/1 (1970), S. 169— 177.

  24. A. S. Zavad'e, Kabinet istorii i obscestvovedenija v skole, Posobie dlju ucitelej, Moskva 1975.

  25. Texte bei Nolte, Schulbuch S. 94 ff.

  26. A. A. Vagin, Metodika prepodavanija istorii v srednej skole, Uenie o metodach, Moskva 1968, S. 267.

  27. Schöpferische Aktivität der Schüler im sowjetischen Geschichtsunterricht, hrsg. v. Sieglinde Müller u. Hans Wermes, übers. Berlin 1971; Zitat S. 45.

  28. Andreevskaja u. a., a. a. O., S. 8.

  29. Vgl.den in Anm. 27 zitierten Titel.

  30. Ebda., S. 26.

  31. Ebda., S. 27.

  32. Wege zur Erhöhung der Erkenntnisaktivität der Schüler, hrsg. v. P. W. Gora, dt. Berlin 1976

  33. P. W. Gora, Einleitung ebda., S. 8.

  34. P. W. Gora, Wege zur Entwicklung der Erkenntnisaktivität und Selbständigkeit der Schüler, in: Wege ..., a. a. O., S. 11— 22, Zitat S. 11.

  35. L. I. Jegorowa, Die Herausbildung von Lernverfahren im Geschichtsunterricht der 5. Klasse, in: Wege .... a. a. O., S. 23— 35, Zitat S. 24, dort auch der Terminus Transfer.

  36. A. I. Nasarez, Die Befähigung der Schüler der 7. Klasse zum Studium historischer Dokumente, in: Wege ..., a. a. O., S. 36— 47, hier S. 43.

  37. S. M. Barinowa, Die Befähigung der Schüler der 7. Klasse, das Wesentliche des historischen Stoffes zu erfassen, in: Wege .... a. a. O., S. 48— 65.

  38. Ebda., S. 61.

  39. Die Validität der Untersuchung läßt sich nicht nachvollziehen, da die pädagogischen Ausgangs-bedingungen der drei Klassen nicht dargelegt werden.

  40. Die Verordnung in: Bildungspolitik II, S. 128 bis 135. Vgl. L. N. Bogoljubow, Die Entwicklung von Fähigkeiten und Interessen der Schüler im erweiterten Geschichtsunterricht der Oberstufe, in: Wege ..., a. a. O., S. 66— 96. Dem Niveau historisch-politischer Kenntnisse, das in diesen Kursen erreicht werden kann, läßt sich in'der Bundesrepublik Deutschland nichts gleichsetzen, und auch in Leistungskursen der Klassen 12 und 13 dürfte es schwer zu erlangen sein.

  41. Bogoljubow, a. a. O., S. 79 ff.

  42. I. V. Sysoenko, Formirovanie kommuni-sticeskogo mirovozrenija u uaichsja staräisch klassov, Moskva 1973, S. 14 ff.

  43. Ebda., S. 16.

  44. Ebda., S. 79.

  45. Ebda., S. 88 f. Die Aufgabe gilt als erfolgreich gelöst, da die Kritik der Religion in dem so erstellten, z. T. publizierten Text eindeutig ist. Das Mädchen tritt dem Komsomol bei.

  46. O. E. Lebedev, K. M. Nikonova, B. M. Rubezova, Voprosy komrnunistiöeskogo vospitani-ja na urokach istorii, Moskva 1975, Zitate S. 134 f., S. 187.

  47. Ebda., S. 100 ff. Als Bericht aus Zukovs Erinnerungen wird z. B. über Stalins Reaktion beim deutschen Überfall berichtet, S. 113. überhaupt ist die sowjetische Vorbereitung auf einen deutschen Angriff sehr ausgiebig Thema des Buches.

  48. Lebedev u. a., a. a. O„ S. 99.

  49. Vagin, Metodika Obuöenija (1972), a. a. O„ hier S. 108.

  50. Ebda., S. 152 ff.

  51. Ebda., S. 303 ff.

  52. Gesellschaftskunde in der sowjetischen Schule, a. a. O., S. 15.

  53. Ebda., S. 16.

  54. Ebda., S. 18.

  55. Ebda., S. 21.

  56. Izucenie obscSestvovedenija, a. a. O., S. 8 f. Die Dekrete zur Einheits-Arbeitsschule von 1918 sind den sowjetischen Pädagogen leicht zugänglich, z. B. in dem in einer Auflage von 34 000 Stück veröffentlichten Narodnoe Obrazovanie, S. 133 bis 144.

  57. übersetzt bei Kuebart, a. a. O., S. 31— 40, Zitat S. 39. Zu dieser Frage vgl. Zänker, a. a. O., S. 160 ff.

  58. L. A. Gordon, E. W. Klopow, T. B. Petrow, Die Entwicklung des Alltags der sowjetischen Arbeiter, übers, in: Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge 29 (1976), S. 1276— 1290, hier S. 1286 f. Auch Lebedev u. a., a. a. O., S. 51, stellen die Bedeutung der Bildung in der Freizeit heraus.

  59. Bei Kuebart, a. a. O„ S. 39.

  60. Bildungspolitik II, S. 354.

  61. Gesellschaftskunde in der sowjetischen Schule, a. a. O., S. 9.

  62. Voprosy ideologiceskoj raboty, a. a. O., S. 485- 491, S. 497- 504, hier S. 500.

  63. Gesellschaftskunde in der sowjetischen Schule, a. a. O., S. 15.

  64. Andreevskaja u. a., a. a. O., S. 3.

  65. Sysoenko, a. a. O., S. 6. In diesem Sinn auch A. I. Piskunow, Zur Heranbildung der kommunistischen Weltanschauung bei Schülern der sozialistischen Schule, in: Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten. Erfahrungen und Erkenntnisse, hrsg. von einem Redaktionskollegium unter der Leitung von Gerhart Neuner, Berlin 1976, S. 150- 157, hier S. 154 f.

  66. Lebedev u. a., a. a. O., S. 7 ff., Zitat S. 13.

  67. Ebda., S. 15.

  68. Izucenie materialov o Velikoj Oteöestvennoj Vojne v srednej skole, Pod redakciej: P. V. Ivanov, Moskva 1975, S. 5.

  69. Ebda., Zitate S. 79 (mit Fotos S. 79 f.).

  70. Andreevskaja u. a., a. a. O., S. 5.

  71. Nolte, Geschichtsunterricht in Ost und West, a. a. O.

  72. Vgl. die Textsammlung: Studien zur Methodenproblematik wissenschaftlicher Schulbucharbeit, hrsg. v. H. E. Schallenberger, Kastellaun 1976, und Wolfgang Hug, Das Schulbuch in der Unterrichtspraxis, in: Geschichtsdidaktik 1977, 1 S. 64— 74, sowie als schon fast klassische Einführung: Wolfgang Marienfeld, Geschichte im Lehrbuch der Hauptschule = Anmerkungen und Argumente 3, Stuttgart 1972. Vgl. auch zu einem hier wichtigen Zusammenhang: Udo Arnold, Der Deutsche Orden im Schulbuch der Bundesrepublik Deutschland, in; IJbGGU 16 (1975) S. 276— 201. Zur deutsch-sowjetischen Schulbuchkritik s. u. Abschnitt 4.

  73. Hans-Joachim Lißmann, Hans Nicklas, Änne Ostermann, Feindbilder in Schulbüchern, in: Friedensanalysen 1 = edition suhrkamp 784, Frankfurt 1975, S. 37— 62; dieselben und Hans-Jobst Kraut-heim in: Friedensanalysen 3 = edition suhrkamp 847, Frankfurt 1976, S. 172— 196. Eine mit quantifizierenden Methoden arbeitende Analyse der Schulbuchdarstellungen über die UdSSR wird z. Z. in Hannover von Klaus Füllberg-Stolberg erstellt.

  74. Z. B. berechnet in Vagin, Metodika (1968), a. a. O., S. 30.

  75. Vgl. dagegen Hans-Heinrich Nolte, Kontrastierendes Lesen als Methode der Vorurteilspädagogik, in: Materialien zur politischen Bildung 1974/3, S. 58— 65, ein erweiterter Nachdruck in: E. Horst Schallenberger, Gerd Stein, Das Schulbuch — zwischen staatlichem Zugriff und gesellschaftlichen Forderungen, Kastellaun 1977. Der Gedanke, Schulbuchtexte kontrastierend einander gegenüberzustellen, ist seit längerer Zeit verbreitet und auch schon in das Aufbauprinzip einiger Schulbücher bzw. Begleitbände eingegangen: Fragen an die Geschichte, hrsg. v. Heinz Dieter Schmid, Frankfurt 1974 ff.; Problemorientierter Geschichtsunterricht, hrsg. v. Hans Heumann, Frankfurt/M. 1975 ff. Vgl. auch Hug, a. a. O., S. 70 ff.

  76. Zu dem Verhältnis „stabiles“ Lehrbuch — Arbeitsbuch vgl. Margarete Dörr, Das Schulbuch im Geschichtsunterricht — Kriterien für seine Beurteilung, in: Die Funktion der Geschichte in usse-rer Zeit, Festschrift K. D. Erdmann, hrsg. v. E. Jäkkel u. E. Weymar, Stuttgart 1975, S. 294— 309.

  77. Weitere Darstellungen seit Nolte, Schulbuch: Peter Schulz-Hageleit, Geschichtsbewußtsein und Menschenbild, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/74 v. 16. 11. 1974, S. 35— 53 (Französische Revolution im sowjetischen Schulbuch); R. Damerau, Polnische Geschichte in sowjetischen Schulbüchern, in: OE 24 (1974), S. 419— 433; Friedrich Heu-pel, Peter Wörster, Russische Geschichte in sowjetischen Schulbüchern, in: OE 26 (1976), S. 449— 464; Nolte, Geschichtsunterricht in Ost und West, a. a. O„ S. 151— 156. Eine Analyse des gesamten Korpus der sowjetischen Schulbücher zu Geschichtsunterricht und Gesellschaftskunde ist nur als kooperative Arbeit möglich.

  78. Anatole G. Mazour, Modern Russian Historio-graphy, Princeton/NJ. 19582, S. 98 ff.

  79. Das folgende nach Nolte, . Drang nach Osten', S. 164— 189.

  80. In deutscher Übersetzung liegt vor: V. T. Pasuto, Die politischen Wechselbeziehungen zwischen der Rus', Litauen und Deutschland im 13. Jahrhundert, in: Russisch-deutsche Beziehungen von der Kiever Rus'bis zur Oktoberrevolution, hrsg. v. Heinz Lemke u. Bruno Widera, Berlin 1976, S. 69— 105.

  81. Vgl. Georg von Rauch, Zur Frage des Standortes der Osteuropäischen Geschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (im folgenden GWU) 24, 10 (1973), S. 585— 594, hier S. 589 f.

  82. V. Pasuto, Aleksandr Nevskij, Moskva 1974 = Zizn’ zamecatel'nych ljudej, Serija biografij, vy-pusk 10.

  83. Hans-Heinrich Nolte, Das neue sowjetischa „Jahrbuch für deutsche Geschichte", in: GWU 1977, 9, S. 535— 540.

  84. Nolte, Schulbuch, S. 13— 17.

  85. E. V. Agibalova, G. M. Donskoj, Istorija srednich vekov, Moskva 197514, S. 46 ff.; M. V. Nekina, P. S. Lejbengrub, Istorija SSSR, Ucebnik dlja 7 klassa, Moskva 197611, S. 78 ff.

  86. Nolte, „Drang nach Osten", S. 203; S. 209 f. zur Parallelität mit der Argumentation im Kriegsjahr 1942 und der Hoffnung auf Reserven; S. 224 zur Kritik in der sowjetischen Mediävistik; vgl. S. 197— 199 zur inhaltlichen Diskussion.

  87. Neckina, Lejbengrub, a. a. O., S. 80 f.

  88. Heupel, Wörster, a. a. O., S. 456.

  89. Nolte, Schulbuch, S. 33 f.

  90. M. V. Nekina, p. S. Lejbengrub, Istorija SSSR, Uebnoe posobie dlja 7 klassa, Moskva 1971“, S. 228.

  91. Neckina, Lejbengrub, a. a. O. (1976), S. 215.

  92. Heupel, Wörster, a. a. O., S. 461.

  93. Nolte, Schulbuch S. 43— 46. In Lebedev u. a., a. a. O., S. 36, wird empfohlen, auf Klara Zetkin als Beispiel für proletarische Bildungspolitik zu verweisen.

  94. Reinhard Kühnl, Hrsg., Geschichte und Ideologie = rororo aktuell 1656, Reinbek 1973, S. 62— 96. Novaja Istorija, cast'II, Ucebnik dlja devjatogo klassa, Pod red.: V. M. Chvostov Moskva 197513, S. 49— 57 ist dem Text von 1970 fast wörtlich gleich.

  95. Karl-Heinz Schlarp, Ursachen und Entstehung des Ersten Weltkrieges im Lichte der sowjetischen Geschichtsschreibung, Hamburg 1971, bes. S. 118 ff.

  96. Germanskaja Istorija v novoe i novejsee vremja, Tomi, Redakcionnaja kollegija: S. D. Skazkin, L. I. Gincberg, G. N. Goroskova, V. D. Ezov, Moskva 1970, S. 474. Vgl. Nolte, «Drang nach Osten“, S. 187 f.

  97. Nolte, Schulbuch, S. 40— 43.

  98. Novaja Istorija II, a. a. O., S. 245 ff. und S. 31 ff.

  99. Novejsaja Istorija, Uebnoe posobie dlja des-jatogo klassa srednej Skoly, Pod redakciej: V. K. Furaeva, Moskva 1974«, S. 68— 73, Zitate S. 72 f.

  100. Ebda., S. 138— 142, Zitate S. 140 ff.

  101. Ebda., S. 222— 230, Zitate S. 222 und 226.

  102. Nolte, Schulbuch S. 79 ff. Die dort dokumentierte Auffassung liegt auch (noch?) dem von Bogoljubow, a. a. O., S. 82 f., beschriebenen Unterricht zugrunde.

  103. In der Darstellung für einen zusätzlichen Sonderkurs in Geschichte der internationalen Beziehungen — L. N. Kutakov, Istorija mezdunarodnych otnosenij i vnesnej politiki SSSR, Posobie dlja ucitelej, Moskva 1975, S. 242— 244 — bleibt die Bedeutung der Wahlen von 1972 unklar. Der Erfolg der Ostpolitik wird einerseits auf die „konsequente friedliebende Politik der UdSSR" und andererseits auf die „Verstärkung realistischer Tendenzen unter den herrschenden Kreisen der BRD" zurückgeführt, der Einfluß der Bevölkerung nicht gesehen.

  104. Obscestvovedenie. Ucebnik dlja vypuskogo klassa srednej §koly i srednich special'nych ueb-nych zavedenij, Moskva 197513.

  105. Ebda., S. 138— 143.

  106. Vgl. dagegen die Schulbuchdarstellung: Nolte, Schulbuch S. 67 f. und S. 103.

  107. Offiziöse sowjetische Darstellung: Wladlen Kusnezow, Internationale Entspannungspolitik aus sowjetischer Sicht, übers. Wien 1975. Zur ideologischen Diskussion Ursula Schmiederer, Die sowjetische Theorie der friedlichen Koexistenz,

  108. Hans-Heinrich Nolte, Gruppeninteressen in der sowjetischen Koexistenzpolitik, Abschnitt 3. 4. Erscheint 1978 in Göttingen.

  109. Ebda., Abschnitt 3. 1. 1. Die von mir vorgetragene These über wichtige Unterschiedlichkeiten in der Rezeption von Entspannungspolitik in der UdSSR argumentiert z. T. gegen: HSFK-Gruppe „Sozialistische Länder", Die Rezeption der Ostpolitik der BRD in der UdSSR und DDR, in: Die Ost-politik der Bundesrepublik, hrsg. v. Egbert Jahn u. Volker Rittberger, Opladen 1974, S. 207— 232. Ein Mitarbeiter dieser Gruppe hat in einer Einzelveröffentlichung besonders betont, daß „der politische Stellenwert der unterschiedlichen Berichterstattung nicht ermittelt werden" konnte. Vgl. Uwe Stehr, Entspannungspolitische Aspekte der Bundestagswahl 1972 aus sowjetischer Sicht, in: Ruß-land und Deutschland, hrsg. v. Uwe Liszkowski, = Kieler Historische Studien 22, Festschrift Georg von Rauch, Stuttgart 1974, S. 310— 325, Zitat S. 311.

  110. Obscestvovedenie, a. a. O., S. 143.

  111. Nolte, Schulbuch, S. 105 ff.

  112. V. T. Pasuto, Was wird im Westen gelehrt? Die Darstellung der Geschichte Rußlands und der Sowjetunion in westdeutschen Lehrbüchern, in: JbGSL 14, 2 (1970), S. 79— 106, Zitate S. 94, 96 und 106.

  113. A. Cernov, Pravda istorii i loz'fal’sifikatorov, in: Ucitel'skaja gazeta, 29. 4. 1975, S. 4.

  114. Heiko Haumann, Die Darstellung der Geschichte Sowjetrußlands 1917 bis 1941 in Schulbüchern der BRD, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1973, 12, S. 1318- 1355; vgl. weiter: Geschichte und Ideologie, a. a. O., S. 97- 140, S. 155 ff., Erich Lemberg, Darstellung und Beurteilung von Revolutionen in Geschichtsbüchern, in: Bestandsaufnahme Geschichtsunterricht, hrsg. v. Helmut Hoffacker u. Klaus Hildebrandt, Stuttgart 1973, S. 106- 120; Enno Meyer, Stereotypen über Russen, Polen und die Bedeutung der Deutschen im östlichen Europa, in: IJbGGU 15 (1974), S. 62- 78.

  115. M. N. Pokrovskij, Diskussionsbeitrag, in: Istorsk-Marksist 1927 (3), S. 165- 171, Zitat S. 168.

  116. Klaus Bergmann, Personalisierung im Geschichtsunterricht — Erziehung zur Demokratie? = Anmerkungen und Argumente 2, Stuttgart 1972.

  117. So auch: Obsdestvovedenie, a. a. O., S. 63— 66.

  118. Wolfgang M. Mickel, Lehrpläne und politische Bildung, Neuwied 1971, S. 350.

  119. Herbert Marcuse, über das Ideologieproblem in der hochentwickelten Industriegesellschaft, übers, in: Ideologie, hrsg. v. Kurt Lenk, Neuwied 19642, S. 354.

  120. Obäcestvovedenie, a. a. O., S. 138.

  121. Rainer Rotermundt, Ursula Schmiederer, Ge-sellschaftsstruktur und Außenpolitik der Sowjetunion. Ein Diskussionsbeitrag, in: Sozioökonomische Bedingungen, a. a. O., S. 134.

  122. Karl Dietrich Erdmann, Zur Koexistenz der Historiker. Das deutsch-sowjetische Historikertreffen in Leningrad, in: GWU 26, 7 (1975), S. 445 f. Vgl. Nolte, „Drang nach Osten", S. 17.

Weitere Inhalte

Hans-Heinrich Nolte, Dr. phil., geb. 1938 in Ulm, Privatdozent am Historischen Seminar der Technischen Universität Hannover. Veröffentlichungen u. a.: Religiöse Toleranz in Rußland 1600— 1725, Göttingen 1969; Deutsche Geschichte im sowjetischen Schulbuch, Göttingen 1972; Geschichte an Universitäten und Schulen (zus. mit J. Leuschner und B. Schwarz), Stuttgart 1973; Sozialgeschichtliche Zusammenhänge der russischen Kirchenspaltung, in: Jahrbücher für Geschichte Europas 1975; Die Reaktion auf die spätpetrinische Altgläubigenbedrückung, in: Kirche im Osten 1976; „Drang nach Osten". Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen Ostexpansion, Köln 1976; Gruppeninteressen in der klassenlosen Gesellschaft. Beispiel Sowjetunion, in: Gegenwartskunde 1977; Das sowjetische „Jahrbuch für deutsche Geschichte", in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1977/9; Neuere Veröffentlichungen zur sowjetischen Religionspolitik, erscheint in: Kirche im Osten 1977/78.