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Der Konflikt am Horn von Afrika | APuZ 16/1978 | bpb.de

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APuZ 16/1978 Artikel 1 Der Konflikt am Horn von Afrika Nationalismus, Marxismus und Tradition in Schwarzafrika

Der Konflikt am Horn von Afrika

Helmut Heinzlmeir

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Bis vor wenigen Jahren konnte Schwarzafrika noch als Einflußgebiet Westeuropas gel-ten; das ist es mittlerweile nur noch bedingt. Die beiden Weltmächte — insbesondere die Sowjetunion — engagieren sich in zunehmendem Maße auf dem Kontinent, am bedrohlichsten in Ost-und Südafrika. Doch nicht zuletzt am Horn von Afrika wird deutlich, daß an dieser Entwicklung den Regionalstaaten — Somalia, Äthiopien und Kenia — ein gerüttelt Maß an Verantwortung zukommt. Zwischen den drei Staaten bestehen erhebliche Grenzstreitigkeiten; Äthiopien und Kenia suchen gegenüber Somalia ihren Besitzstand zu wahren. Jede der Parteien ist bestrebt, sich in diesem Streit der Unterstützung der Großmächte zu versichern. Somalias weitgesteckte Gebietsansprüche werden nur durch einen Blick auf seine Geschichte verständlich. Ende des 19. Jahrhunderts teilten vier christliche Kolonialmächte — Frankreich (Djibouti), Großbritannien (Britisch-Somalia und Kenia), Italien (ItalienischSomalia) und Äthiopien (Ogaden-Region) — das somalische Siedlungsgebiet untereinander auf. Das heutige Somalia entstand aus dem Zusammenschluß der beiden Kolonien Italienisch-und Britisch-Somalia. Unberücksichtigt blieben jene weit über eine Million Somali, die in Djibouti, Äthiopien und Kenia leben. Auf alle diese Gebiete erhebt Mogadischu Anspruch. Es ließ sich dafür in den zurückliegenden Jahren von Moskau aufrüsten. Die Revolutionswirren in Äthiopien schienen die Gelegenheit zu bieten, um die-sen Anspruch zu realisieren. Daß der Versuch scheiterte, lag vor allem am Frontwechsel Moskaus. Das Horn von Afrika ist von erheblicher strategischer Bedeutung. Von hier aus läßt sich sowohl auf den arabischen Raum als auch auf den Nahost-Konflikt Einfluß ausüben; von hier aus läßt sich aber auch gegebenenfalls in Schwarzafrika und den Konflikt im südlichen Afrika ausgreifen. Das Horn von Afrika ist überdies dem . erdölträchtigen'Persischen Golf nahe. Das Rote Meer ist Verbindungslinie zwischen Europa, Afrika und Asien. Angesichts dieser geopolitischen Gegebenheiten kann es nicht verwundern, daß unterschiedlichste, teilweise widersprüchliche Interessen in diesem Raum aufeinanderstoßen. Es ist nicht allein der Ost-West-Konflikt, der hier zum Austrag kommt; am Horn von Afrika werden auch innerarabische, afro-arabische und innerafrikanische Interessengegensätze ausgefochten.

Bis vor wenigen Jahren konnte Schwarzafrika noch als Einflußgebiet Westeuropas gelten — vornehmlich der einstigen Kolonialmächte und jetzigen NATO-Staaten Frankreich, Großbritannien und Portugal. Das gilt mittlerweile nur noch bedingt. Die beiden Weltmächte — insbesondere die Sowjetunion — engagieren sich in zunehmendem Maße auf diesem Kontinent. Die Gründe dafür sind zahlreich; zum Teil sind sie eine Konsequenz ihrer Weltmachtansprüche. Mit der Anerkennung der jeweiligen Einflußsphären in Europa — zuletzt durch die Schlußakte von Helsinki — ist nun die Dritte Welt zum bevorzugten Schauplatz ihrer Auseinandersetzungen geworden. Der Konflikt in Südostasien ist vorläufig beigelegt; in Afrika jedoch schwelen mehrere regionale Konflikte, am bedrohlichsten in Ost-und Südafrika — am Horn und am Kap. Beide Male sind Washington und Moskau beteiligt, doch nicht zuletzt am Horn wird deutlich, daß an dieser Entwicklung auch den Regionalstaaten — Somalia, Äthiopien und Kenia — ein gerüttelt Maß an Verantwortung zukommt Zwischen diesen drei Staaten bestehen erhebliche Grenzstreitigkeiten: Äthiopien und Kenia suchen gegenüber Somalia ihren Besitzstand zu wahren. Jede der Parteien ist bestrebt, sich in diesem Streit der Unterstützung durch Großmächte zu versichern. Den Großmächten blieb es — vornehmlich durch erhebliche Waffenlieferungen — vorbehalten, den Konflikt zu verschärfen.

Die Ansprüche Somalias

Abbildung 1

Somalias weitgesteckte Gebietsansprüche werden nur durch einen Blick auf seine Geschichte verständlich Die Somali sind weder Araber noch Schwarzafrikaner; ihre Urheimat und Herkunft liegt im Dunkeln. Es wird angenommen, daß sie als letzte Welle kaukasoidkuschitischer Einwanderer, von Arabien kommend, seit dem 10. /11. Jahrhundert am Horn von Afrika siedelten. Kulturell starken arabischen Einflüssen unterworfen, waren die Somali schon im 16. Jahrhundert islamisiert.

In einer jahrhundertelangen Wanderungsbewegung zogen die Somali — aufgrund von Bevölkerungsdruck und auf der ständigen Suche nach neuen Wasser-und Weideplätzen — ge-gen Westen und Süden: in die heute so heftig umstrittene Ogaden-Region und erst vor gut einhundert Jahren in den Nordost-Distrikt des heutigen Kenias. In Kenia war es erst die

Kolonialmacht Großbritannien, die den Vormarsch der kriegerischen Somali stoppte. Mit den christlichen Reichen im äthiopischen Hochland fochten die islamischen Somali jahrhundertelang erbitterte Kriege aus.

Mit der Eröffnung des Suezkanals im Jahre 1869 gewann auch das Horn von Afrika strategische Bedeutung; die europäischen Kolonialmächte begannen sich für die Region zu interessieren. Sie — Frankreich (Djibouti), Großbritannien (Britisch-Somalia um Hargeisa/Berbera und Kenia) und Italien (ItalienischSomalia um die heutige Hauptstadt Mogadischu) — teilten sich zusammen mit dem erstarkten äthiopischen Kaiserreich (OgadenRegion) Ende des 19. Jahrhunderts das somalische Siedlungsgebiet untereinander auf. Ein langjähriger somalischer Aufstand (1900 bis 1920) gegen die Fremdherrschaft blieb erfolglos. Er ist — wenn auch nicht gänzlich unbestritten — als protonationalistische Reaktion der Somali auf den Kolonialismus bezeichnet worden Ihm lag eine der seinerzeit nicht seltenen islamischen Erneuerungsbewegungen zugrunde. Sie rief — unter Sayid Mohamed Abdullah Hassan, von den Engländern Mad Mullah genannt — zum „Heiligen Krieg", zum Kampf gegen die vier christlichen Kolonialmächte auf. „Mad Mullah" gilt den Somali noch heute als Nationalheld. Der Islam war und ist für sie ein innere Zwistigkeiten übergreifendes, einigendes Band.

Die koloniale Grenzziehung war von Anfang an unklar und unter den Kolonialmächten selbst umstritten Noch in den Jahren nach 1945 wollte London weite Gebiete der Ogaden-Region einem künftigen Somalia vorbehalten. Die Engländer hatten diese Region während des Zweiten Weltkrieges, als sie das von Italien eroberte Äthiopien 1941 freigekämpft hatten, besetzt. Sie gaben die strittigen Gebiete erst 1948 bzw. 1954 an Addis Abeba zurück. Kaiser Haile Selassie warzu keinen Zugeständnissen bereit; er reklamierte diese Ende des 19. Jahrhunderts von Kaiser Menelik II. eroberten Gebiete Fast die Hälfte des heutigen äthiopischen Staatsgebietes ist also erst in den letzten hundert Jahren der Herrschaft von Addis Abeba unterworfen worden — Anlaß für Somalia, von einem „schwarzen Kolonialismus" zu sprechen.

Das heutige Somalia entstand 1960 aus dem Zusammenschluß der beiden Kolonien Italienisch-und Britisch-Somalia. Unberücksichtigt blieben jene weit über eine Million Somali — über ein Drittel des gesamten somalischen Volkes —, die außerhalb dieser Grenzen leben: in der im letzten Jahre von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassenen Republik Djibouti (weit über 60 000), in Äthiopien und Kenia. Allein in der umstrittenen äthiopischen Ogaden-Region — unterteilt in die Provinzen: Harrarghe, Sidamo und Teilen von Bale — leben schätzungsweise 800 000 bis eine Million Somali, im Nordost-Distrikt („Northern Fron-tier District") Kenias über 200 000. Es sind die rückständigsten aller Somaligebiete im Horn von Afrika, da ihren Bewohnern vielfach nicht viel mehr als der Status einer benachteiligten Minderheit zukommt.

Somalia, eines der ärmsten unter den vielen armen Ländern Afrikas, hat stets Anspruch auf alle diese Gebiete erhoben (Konzept des „Greater Somalia"). Auf seiner Nationalflagge hebt sich ein fünfzackiger Stern vor einem hellblauen Hintergrund ab. Die Zacken stehen für Italienisch-und Britisch-Somalia, für die Republik Djibouti, die äthiopische Ogaden-Region und den Nordost-Distrikt Kenias Die Somali sehen sich als unerlöste Nation. Wenn sie auch noch überwiegend viehzüchtende Nomaden sind, so ist ihr Gefühl der Gemeinsamkeit stärker als in den meisten anderen Staaten südlich der Sahara. Es ist der Stolz eines Volkes, das eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Religion — den Islam — und eine gemeinsame Geschichte hat.

Bereits in vorkolonialer Zeit stellten die Somali eine vergleichsweise homogene ethnisch-kulturelle Einheit dar Sie verstanden sich als Abkömmlinge einer weitverzweigten Genealogie, die patrilinear bis auf den Propheten Mohammed zurückgeführt wurde. Diese Gemeinsamkeiten dürfen jedoch nicht über die seit alters her ausgeprägte Zweiheit der somalischen Sozialstruktur hinwegtäuschen. Eine Nation im westlichen Verständnis war Somalia nie; noch heute ist unter den Somali das Denken in Großfamilien und Clans weitgehend ungebrochen. Unterschieden werden zwei große Abstammungslinien: die hauptsächlich Kamel-und Schafzucht betreibenden Samaale im Norden und die stärker agrikulturell tätigen Sab im Süden. Jede dieser Abstammungslinien zerfällt in mehrere, durch komplexe Vertragssysteme miteinander verbundene Clan-Familien. Ihnen gilt die primäre Loyalität des einzelnen. Diese soziale Zersplitterung der Somali ist eine Folge der extremen ökologischen Bedingungen am Horn von Afrika. Die Trockenheit, die ständige Suche nach Wasser und Weiden, erzwang eine nomadische Lebensweise in kleinen, weitgehend autonomen Gruppen. In einem „hobbesianischen" Kampf aller gegen alle wurde oft um die wenigen Nutzflächen gestritten. Einheit ließ sich meist nur dann herstellen, wenn es gegen einen gemeinsamen äußeren Feind ging.

Einiges, wenn auch durchaus nicht alles in der somalischen Irredenta-Politik läßt sich damit erklären. Mogadischu wendet sich vor allem gegen die Zufälligkeiten kolonialer Grenzziehung. Es fordert für die somalisprachige Engagierte Sowjets — zögernde Amerikaner Das „Horn von Afrika", an dessen Spitze Somalia in den Indischen Ozean ragt, ist zu einem Pulverhorn geworden. Längst handelt es sich dort nicht mehr um eine lokal begrenzte Auseinandersetzung zwischen Äthiopien und Somalia um die von Mogadischu beanspruchte Region Ogaden, deren Bevölkerung sich ethnisch Somalia zugehörig fühlt. Längst sind die Supermächte UdSSR und USA auf den Plan getreten; denn die strategische Bedeutung dieses Gebietes an einem der wichtigsten Schifiahrtswege der Welt ist unübersehbar.

Der Kreml — jahrelang militärischer Ziehvater Somalias — hat wegen seines tatkräftigen Engagements in Äthiopien (zusammen mit Kuba) seinen Einfluß in Somalia und damit auch seine beiden Stützpunkte Berbera und Mogadischu verloren. Noch halten sich die Amerikaner zurück, dieses Vakuum auszufüllen. Vorerst ist Somalia daher — mit stillschweigender Billigung der USA — auf seine Freunde im arabischen Raum unter Führung von Saudi-Arabien und dem Iran angewiesen. Doch die somalischen Rufe nach Unterstützung angesichts der Verschärfung der Auseinandersetzungen mit Addis Abeba sind klar an die Adresse Washington gerichtet. Sie dürften erst Gehör finden, wenn die von sowjetischen und kubanischen Beratern geführten äthiopischen Truppen die Grenzen zu Somalia überschreiten sollten. Für diesen Fall hat US-Außenminister Vance den Sowjets ernste Konsequenzen angekündigt. Bevölkerung in Djibouti, Äthiopien und Kenia das Selbstbestimmungsrecht.

Betroffen sind von dieser Forderung — neben der Republik Djibouti — nicht weniger als die Hälfte des Staatsgebietes von Kenia bzw. ein Drittel von Äthiopien. Wenn man die bislang unwiderrufenen Vorstellungen Somalias zum Nennwert nähme, bliebe von Kenia nicht viel mehr übrig als das Hochland von Nairobi. Kenia und Äthiopien haben deshalb schon 1963 gemeinsame Verteidigungsabsprachen getroffen; sie sind noch gültig. Beide Regierungen bringen zu ihrer Verteidigung einen der wichtigsten Grundsätze afrikanischer Politik vor. Danach verbieten sich Korrekturen an einstigen kolonialen Grenzziehungen, da anderenfalls der politischen Landschaft des Kontinents ein heilloses Durcheinander drohen würde. Kaum eines der afrikanischen Länder ist mit der kolonialen Grenzziehung gänzlich einverstanden. Somalia jedoch versteht seine Irredenta-Politik als antikolonialen Kampf. Seiner Forderung nach einem Selbstbestimmungsrecht der jeweiligen Bevölkerungsgruppen steht das Recht Äthiopiens und Kenias auf Selbsterhaltung entgegen.

Schon in den sechziger Jahren — zwischen 1960 und 1967 — kam es in den umstrittenen Grenzgebieten wiederholt zu größeren bewaffneten Auseinandersetzungen, insbesondere an der äthiopischen Grenze. Dort entspringen zwei für das wasserarme Somalia wichtige Flüsse und dort wurden auch (von US-Firmen) Erdöl und Erdgas gefunden Eine Ausbeutung lohnt jedoch wegen der erforderlichen Pipelines erst dann, wenn auch Mogadischu für eine Beteiligung gewonnen werden könnte. Zwischen 1967 und 1972 zeichnete sich eine gewisse Entspannung in den dreiseitigen Beziehungen ab. Spätestens seit 1974 ist es jedoch damit wieder vorbei.

Äthiopien

Äthiopien — als historische Vormacht in der Region — und der junge somalische Nationalismus standen einander von Anfang an feindlich gegenüber. Der Vielvölkerstaat Äthiopien sah im Verlangen Mogadischus auf ein Selbstbestimmungsrecht der äthiopischen Somali eine Gefährdung seiner nationalen Einheit — nicht zuletzt auch deshalb, weil Reaktionen anderer unzufriedener ethnischer Gruppen befürchtet werden mußten (interner „DominoEffekt") Ähnliche Befürchtungen gelten auch in dem von tiefgreifenden Stammesgegensätzen geplagten Kenia. Im Unterschied zu dem, wenn auch unvollendeten Nationalstaat sind und Äthiopien Staatsnationen, Kenia die noch um ihre Nationenwerdung ringen. Gelingt sie nicht, ist u. a.der Führungsanspruch der Eliten der jeweils dominanten ethnischen Gruppen — der Amharen in Äthiopien, der Kikuyu in Kenia — unmittelbar herausgefordert

Wie berechtigt die äthiopischen Befürchtungen waren, wird heute deutlich. Der Vielvölkerstaat Äthiopien ringt um seinen Bestand in den alten Grenzen. Es begann mit der Entmachtung Kaiser Haile Selassies im Jahre 1974. Vordem waren Thron, amharischer Adel und orthodoxe Kirche die staatstragenden Kräfte Die Revolutionäre übernahmen ein schweres Erbe. Äthiopien gehört zu den rückständigsten Ländern der Erde; es befindet sich in einem tiefgreifenden revolutionären Umbruch. 1975 wurde eine der radikalsten Landreformen Afrikas initiiert Davon profitierte bislang die Masse der Bevölkerung, denn 90 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Bauern. Auch im Gesundheits-und Bildungswesen — zu Kaiser Haile Selassies Zeiten waren über 90 Prozent Analphabeten — sind weitreichende Initiativen gestartet worden Äthiopien ist von schier unüberwindlichen ethnischen, sozialen, kulturellen und religiösen Gegensätzen zerrissen. Seine etwa 28 Millionen Einwohner sprechen rund 60 verschiedene Sprachen und Dialekte. Etwas mehr als ein Drittel der Bevölkerung sind Christen (35 bis 40 °/o); der Anteil der Moslems wird auf 45— 50 °/o geschätzt, der Rest hängt Naturreligionen an Dem staatstragenden Volk der christlichen Amharen, die bestenfalls nur etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausmachen, stehen die übrigen Volksgruppen, insbesondere die an Zahl doppelt so starken Galla, mit tiefverwurzeltem Mißtrauen gegenüber. Wenig nur haben ihre Eliten — Monarchie, weltlicher und geistlicher Adel, hohe Militärs und Regierungsbürokratie — in der Vergangenheit für die Entwicklung dieses potentiell reichen Landes getan. Von der Provinz Shoa um die Hauptstadt Addis Abeba aus — dem Kernland Äthiopiens — beschränkten sie sich vorrangig auf die Ausübung der Herrschaft.

Äthiopien wird seit 1974 von einem „Provisional Military Administration Council" (PMAC, amharisch „Derg") regiert. Das Militärregime — wiederholt in blutige interne Machtkämpfe verstrickt — war von Beginn an in Auseinandersetzungen mit konservativen und linken Oppositionsgruppen verwickelt. Von linker Seite wird den Militärs vorgeworfen, über einer Politik des puren Machterhaltens den Klassenkampf zu vernachlässigen; zum Vorwurf wird ihnen jüngst aber auch die enge Bindung an die Sowjetunion gemacht. Das Regime scheut in der Verfolgung Andersdenkender vor keinem Terror zurück. Eine nicht geringere Gefahr erwuchs ihm aber auch durch die verschiedenen Sezessionsbewegungen im Lande — u. a. bei den Oromo (Galla), den Afar und in der Provinz Tigre, insbesondere jedoch bei den Somali im Ogaden und in Eritrea

Eritrea — zwischen 1885 und 1941 italienische Kolonie, im Anschluß daran elf Jahre lang von Großbritannien verwaltet — wurde 1952 auf Beschluß der Vollversammlung der Vereinten Nationen als autonomes Gebiet mit Äthiopien — einem Binnenland, das damit tausend Kilometer Küste erhielt — föderiert, nicht zuletzt auch auf amerikanisches Anraten hin

Washington, das seinerzeit auch die äthiopische Politik im Ogaden stützte, war am Ausbau des Kommunikationszentrums Kagnew nahe Asmara — der Hauptstadt Eritreas — interessiert. Die Bedeutung Kagnews für die amerikanische und NATO-Strategie der fünfziger und sechziger Jahre war erheblich. Es war zentral in ihr weltweites Beobachtungsund Kommunikationssystem eingeschaltet, das von den Philippinen über Marokko bis nach Arlington, Virginia, reichte. Die strategische Luftbasis Kagnew war für Washington vom Korea-bis zum Vietnamkrieg von herausragender Bedeutung. Sie erlaubte auch Weltraumbeobachtungen. Mittlerweile hat Kagnew seine einstige Bedeutung eingebüßt; seine Funktionen werden nun weitgehend von Satelliten wahrgenommen.

Die Frage, ob Eritrea in der Geschichte je eine einige und unabhängige staatliche Einheit war, ist umstritten. Wenig umstritten ist, daß die amharische Besatzungspolitik — 1962 wurde Eritrea zur 14. Provinz des Kaiserreiches erklärt — einen wachsenden Teil der Bevölkerung in den Widerstand gegen Addis Abeba trieb Eritrea zählt etwa drei Millionen Einwohner. Gleich dem Gesamtstaat Äthiopien ist auch diese Region von zahlreichen sozialen, ethnischen und religiösen Gegensätzen zerrissen. Eritrea ist oft — auch im Hinblick auf seine christlichen und moslemischen Bevölkerungsgruppen — mit dem Libanon verglichen worden. Nichtsdestoweniger kontrollieren heute die — in sich keineswegs einigen — teils konservativen, teils sozialrevolutionären Sezessionisten weite Teile Eritreas Eine Mehrheit der Bevölkerung sympathisiert mit den Aufständischen. Auch wenn es Addis Abeba gelingen sollte, über die wenigen ihm noch verbliebenen Städte hinaus Land zurückzuerobern, wird es den Widerstand nur schwer allein mit militärischen Mitteln zu brechen vermögen. Ein langwieriger Guerillakrieg droht.

Die innenpolitischen Wirren der letzten Jahre haben dazu geführt, daß Äthiopien seine einstige Rolle als Führungsmacht am Horn von Afrika eingebüßt hat. Damit ist ein wichtiger Grund für die jüngsten Spannungen in jener Region genannt. Er war vor allem für Somalia Anlaß, seine Irredenta-Politik — auch in Hinblick auf die ungewisse innenpolitische Entwicklung in Kenia nach einem Abtreten des jetzt fünfundachtzigjährigen Kenyatta von der politischen Bühne — zu verstärken.

Djibouti

Von dieser Entwicklung kann auch der jüngste Staat Afrikas — die Republik Djibouti — nicht unberührt bleiben. Er ist in den äthiopisch-somalischen Gegensatz unmittelbar miteinbezogen.

Gut hundert Jahre ist es her, seitdem sich Frankreich an der Somaliküste festgesetzt hat — einem kargen, menschenleeren Land ohne Bodenschätze. Nichtsdestoweniger kam seinem Hafen, Djibouti, am südlichen Ausgang des Roten Meeres gelegen, bereits seinerzeit mit dem Bau des Suezkanals und im Gefolge französisch-englischer Auseinandersetzungen um Kolonialbesitz einige strategische Bedeutung zu. überdies war er Zwischenstation auf dem Weg zu den französischen Kolonien im Fernen Osten (Indochina) und Madagaskar.

Paris wußte sein Verbleiben in der Besitzung — 21 700 qkm, schätzungsweise 180 000 Einwohner, etwa je zur Hälfte Stadtbewohner und Nomaden — bis in die jüngste Vergangenheit hinein zu rechtfertigen In ihr leben zwei miteinander verfeindete Stämme: die teilweise auch in Äthiopien siedelnden Afar und die somalischen Issa Die Kolonialmacht argumentierte, daß bei ihrem Rückzug blutige Auseinandersetzungen zwischen beiden Volks-gruppen drohen würden, die unausweichlich auch zu einem äthiopisch-somalischen Konflikt führen müßten. Mogadischu hat nie aus seiner Hoffnung ein Hehl gemacht, daß sich die stammesverwandten Issa für einen Anschluß entscheiden werden. Dagegen hat sich jedoch Äthiopien verwahrt — zu Zeiten Kaiser Haile Selassies ließ es wiederholt demonstrativ Truppen an der Grenze zu Djibouti aufmarschieren — aus volkstums-, vor allem aber aus wirtschaftlichen Gründen. Addis Abeba ist seit 1915 durch eine nahezu 800 Kilometer lange Eisenbahn mit Djibouti verbunden. In Normalzeiten wickelt es zwei Drittel seines Außenhandels über diese Hafenstadt ab. Der Zugang war gesichert, solange dort Frankreich herrschte. Das kaiserliche Äthiopien hat immer gute Beziehungen zu Paris unterhalten. Auch die Organisation der Afrikanischen

Einheit (OAU) — mit Sitz in Addis Abeba — hat in Kenntnis des innerafrikanischen Gegensatzes viele Jahre lang davon abgesehen, Frankreich allzu sehr zur Aufgabe seiner letzten Kolonie auf dem Kontinent zu drängen. Mittlerweile hat Addis Abeba — im Unterschied zu Mogadischu, dessen Stellungnahmen bewußt letzte Deutlichkeit vermissen lassen — seinen Verzicht auf Ansprüche gegenüber Djibouti erklärt Unter den gegebenen machtpolitischen Umständen, vor allem angesichts der Wirren im eigenen Land, ist Unabhängigkeit Djiboutis auch das Optimum dessen, was Addis Abeba erwarten kann. Die Zukunft Djiboutis bleibt für Äthiopien nichtsdestoweniger auch weiterhin von vitalem wirtschaftlichen Interesse Das um so mehr, als die Hafenstadt aufgrund des Eritrea-Konflikts einer der wenigen Addis Abeba noch verbliebenen Zugänge zum Meer ist.

Für Paris war der Entschluß, das „Französische Territorium der Afar und Issa" — die heutige Republik Djibouti — in die Unabhängigkeit zu entlassen, unvermeidlich geworden, wollte es nicht als letzte Kolonialmacht auf dem Kontinent erscheinen. Der Entschluß war aufgrund strategischer Überlegungen innerhalb der Regierungskoalition, vor allem von gaullistischer Seite, umstritten geblieben Bis in die jüngste Vergangenheit hinein hatte Paris in einer Politik des „Divide-et-impera" gegenüber den Issa die in ihrer Führung frankophile Afar-Bevölkerung protegiert. Letztere stellte auch bis Juli 1976 in Ali Aref Bourhan einen wegen seiner erklärten antisomalischen Politik für Mogadischu inakzeptablen Regierungschef. Im Sommer 1976 entschloß sich Paris zu einer weitgehenden Änderung seiner bisherigen Kolonialpolitik. Es verbesserte seine Beziehungen mit Somalia. Alif Aref Bourhan mußte zurücktreten. Die Issa-Führung wurde bevorzugt. In zahlreichen vertraulichen französisch-saudischen Gesprächen wurde die Unabhängigkeit der Kolonie vorbereitet In einem Referendum am 8. Mai 1977 — UNO, OAU und Arabische Liga hatten Beobachter entsandt — entschied sich eine überwältigende Bevölkerungsmehrheit für die Unabhängigkeit von Frankreich. Sie wurde zum 27. Juni 1977 zugestanden.

Das Referendum vom 8. Mai war mit der Wahl zu einer konstituierenden Nationalversammlung verbunden Sie brachte — im französischen Sinne — den Issa (dem Mehrheitsstamm, der jedoch innerhalb der Gesamtbevölkerung mit über 40 % nur eine Minderheit darstellt) und damit der „Ligue Populaire Africaine pour l’Independance" (LPAI) unter Hassan Gouled Aptidon die Mehrheit. Er wurde zum ersten Präsidenten des neuen Staates gewählt.

Die Republik Djibouti ist wirtschaftlich kaum lebensfähig. Sie ist nahezu ausschließlich auf Einnahmen aus dem Hafen angewiesen. Darüber hinaus bestehen für die Bevölkerung wenig Verdienst-und Arbeitsmöglichkeiten. Djibouti bleibt auf Dauer von substantieller Auslandshilfe abhängig. Seine nominelle Unabhängigkeit hat es durch den umgehenden Beitritt zur UNO, zur OAU und der Arabischen Liga abzusichern versucht. Gesichert wäre sie durch ein relatives Machtgleichgewicht zwischen Äthiopien und Somalia, gefährdet ist sie aber durch die Stammesgegensätze im Lande. Bereits im Dezember 1977 kam es zu ersten größeren Auseinandersetzungen zwischen den Afar und Issa.

Vorerst jedoch ist der Bestand der sich betont islamisch-arabisch gebenden Regierung Hassan Gouled Aptidon vorrangig durch zwei Daten garantiert: durch die fortgesetzte Präsenz französischer Truppen und die Bereitstellung saudischer Gelder Riads antirevolutionäre

Politik ist um Einfluß an der Gegenküste bemüht. Das französische und insgesamt das NATO-Interesse an einer weiteren militärischen Präsenz in Djibouti erklärt sich aus geopolitischen Überlegungen. Dafür spricht nicht nur das jüngste sowjetische Engagement im benachbarten Äthiopien. Die Hafenstadt ist sowohl in bezug auf das Geschehen in der arabischen Welt als auch im Indischen Ozean von strategischem Wert. In früheren Jahren wurden von hier aus — zur Niederschlagung regierungsfeindlicher Unruhen — französische Truppen in den Tschad und nach Madagaskar eingeflogen. Am Ausgang des Roten Meeres, gegenüber der Demokratischen Volksrepublik Jemen (Südjemen) gelegen, hat Djibouti seit der Wiedereröffnung des Suezkanals nicht nur an wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen. Seine Lage ist auch für die Parteien im Nahostkonflikt — Ägypten, Saudi-Arabien und Israel — von Interesse, da sich von hier aus die westliche Schiffahrtspassage durch die Bab-el-Mandeb-Straße kontrollieren läßt Auch liegt Djibouti nur wenig mehr als zweihundert Kilometer vom somalischen Berbera entfernt. Allein die französische Flotte im Indischen Ozean ist so stark wie die sowjetischen Einheiten in diesem Meer. Paris unterhält dort u. a. insulare Flottenstützpunkte auf Reunion und — am Eingang der Straße von Mozambique gelegen — Mayotte. Es ist bereit, sich auch den Hafen Djibouti einige Wirtschaftshilfe kosten zu lassen. Es hat deshalb während der Verhandlungen über die Unabhängigkeit auch mehrere Militärabkommen abgeschlossen, die eine fortgesetzte französische Militärpräsenz in Djibouti sicherstellen.

Die Politik Somalias

Als Somalia 1960 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, stand ihm eine knapp 5 000 Mann starke, schlechtausgerüstete Armee zur Verfügung. Sollte seine antikolonialistisch verstandene Irredenta-Politik je Aussicht auf Erfolg haben, mußte es das offensichtliche Machtungleichgewicht in den Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten — vor allem zu Äthiopien — auszugleichen suchen.

In Djibouti stand die Kolonialmacht Frankreich. Äthiopiens wichtigster Waffenlieferant waren bis in die jüngste Vergangenheit hinein (1976) die USA. Kenias Schutzmacht ist Großbritannien. Als London 1963 Kenia in die Unabhängigkeit entließ, beließ es ihm den umstrittenen Nordost-Distrikt — obwohl Kommissionsanhörungen festgestellt hatten, daß eine große Mehrheit der dortigen Bevölkerung einen Anschluß an Somalia wünsch-te Kenia — das eine Abtretung des Distrikts kategorisch ablehnte — war für London aus wirtschaftlichen (weiße Siedler, Investitionen) und politisch-militärischen (Verteidigungslinie östlich von Suez) Gründen weit wichtiger als Somalia. Die Folge war ein erbitterter, von Mogadischu unterstützter sezessionistischer Guerillakrieg — der sogenannte Shifta-Krieg von 1963 bis 1967 —, den Nairobi vor allem mit Hilfe Großbritanniens erfolgreich bestand. Zumindest wurde seinerzeit im Nordost-Distrikt Kenias der pansomalische Gedanken stärker als im Ogaden verfochten — wo auch heute, wie in Djibouti, nicht alle Clan-Loyalitäten ausschließlich auf Mogadischu ausgerichtet sind. Die Haltung der Somali als nichtnegroide Hirten-Nomaden gegenüber den seßhaften Bantu-Bauern Kenias ist überdies traditionell von einigem rassischen und kulturellen Hochmut geprägt.

Unter diesen Umständen verblieb Mogadischu — wollte es substantiell aufrüsten — nicht viel mehr, als sich an Moskau zu wenden. Wohl bat es Anfang der sechziger Jahre im Westen, unter anderem auch in Bonn, um Militärhilfe; den Verhandlungen war jedoch aus einem einfachen Grund kein Erfolg beschieden: Somalia wünschte eine Aufrüstung, die es letztlich dem weitaus bevölkerungsstärkeren Äthiopien gleichgestellt hätte. Washington war wohl zu einer Militärhilfe bereit, nicht jedoch in dieser Größenordnung. Es setzte auf die historische Vormacht in der Region, auf Äthiopien. Mogadischu wandte sich daraufhin an Moskau. Mit Erfolg: Noch Ende 1963 trafen die ersten MiG-Flugzeuge in Somalia ein.

In Somalia regiert seit 1969 das Militär, nachdem sich mehrere Zivilregierungen als unfähig erwiesen hatten, die drängenden Probleme des Landes zu lösen. Unter Führung von Mohammed Siad Barre wird die Macht vom Supreme Revolutionary Council (SRC) ausgeübt, von zwei Dutzend Offizieren im Range vom Major aufwärts. Präsident Barre — bislang die unstrittige Führungspersönlichkeit im Lande — gab im Juli 1976 die Gründung einer Staatspartei unter der Bezeichnung „Somali Socialist Revolutionary Party" (SSRP) bekannt. Ihr ste-hen ein Politbüro und ein Zentralkomitee vor. Die Partei kontrolliert — so die Statuten — die Regierung. Gleichzeitig wurde mit der Gründung der SSRP der SRC aufgelöst. Die innerstaatlichen Machtverhältnisse blieben von diesem Namenswechsel jedoch weitgehend unberührt. Die Mitglieder des aufgelösten SRC übernahmen die neugeschaffenen Führungspositionen. Somalia wird auch weiterhin von einem Offiziersrat regiert.

In der SSRP sind die wichtigsten der verschiedenen Stammesgruppierungen des Landes (Clans) vertreten Obwohl der Kampf ge-gen das Stammesbewußtsein das erklärte Ziel der Regierung ist, sucht sie doch auch heute noch, denkbare Opposition (Clans) wenn möglich durch Kooption (Machtbeteiligung) zu integrieren. Diese Rücksichtnahme hat bislang ein vergleichsweise stabiles Regime gewährleistet; sie empfiehlt sich ihm auch in den Kontakten mit den stammesverwandten Gruppen in der Republik Djibouti, in Äthiopien und Kenia.

In ihrer Politik ist die SSRP einem sehr pragmatisch gehandhabten Sozialismus verpflichtet, einem Sozialismus, der sich weniger ge-gen einen — im Lande ohnehin nur bedingt relevanten — Kapitalismus als vielmehr ge-gen Entwicklungsrückstände und Unwissenheit wendet, mit Anleihen auch am chinesischen, tansanischen und nordkoreanischen Vorbild. Wesentlicher Bestandteil der staatlichen Propaganda ist ein ausgeprägter Nationalismus. Er soll nicht zuletzt stammesorientierte Strömungen überwinden helfen. Erfolge in der Entwicklung des Landes — wie gering sie auch immer sein mögen — werden dem Regime auch von seinen Gegnern nicht gänzlich abgestritten

Von Auslandshilfe bleibt das Land auch weiterhin weitgehend abhängig. Nach UN-Kriterien ist es eines der ärmsten der Erde. Seine Wirtschaft leidet unter extremen ökologischen Bedingungen (Wassermangel, Dürre); es fehlt an Bodenschätzen, an Infrastruktur und Industrialisierung. Die Kolonialzeit hinterließ nicht viel mehr als eine Bananen-Monokultur. Ausgeführt werden auch noch Häute und Fleisch. Das ist zu wenig, um größere Einfuhren bezahlen zu können. Noch leben über zwei Drittel der Bevölkerung in nomadischer Subsistenzwirtschaft. Die bisherige Entwicklungspolitik hat sich die Befriedigung elementarer menschlicher Bedürfnisse — Essen, Wohnen, Arbeit und Bildung — zum Ziel gesetzt. Noch ist sie über den Schritt, Armut gleichmäßiger zu verteilen, nicht hinausgelangt.

Mit Moskau unterhielt das Militär über Jahre hinweg enge Beziehungen; es erhielt erhebliche Wirtschafts-und Militärhilfe. Zwar zählt Somalia nur etwas mehr als drei Millionen Einwohner, seine militärische Schlagkraft wurde jedoch schon Mitte der siebziger Jahre mit der des weitaus bevölkerungsstärkeren Äthiopiens verglichen. Die sowjetisch-somalische Zusammenarbeit lag im beiderseitigen Interesse. Vereinfacht ausgedrückt: Somalia konnte aufrüsten; es bezahlte, indem es den Sowjets Nutzungsrechte für ihre Luft-und Seestreitkräfte — Stichwort Berbera — einräumte.

Die Zusammenarbeit kannte nichtsdestoweniger Grenzen. Schon in der Vergangenheit konnte nicht davon ausgegangen werden, daß die auf ihre Unabhängigkeit und ihren Status als blockfreie Nation bedachten Somali den Sowjets zu weitgehende exterritoriale Rechte eingeräumt hätten Somalia ist — neben Tansania und Sambia — seit Jahren ein Schwerpunkt chinesischer Entwicklungshilfe in Afrika Nahe Berbera bauen sowohl Chinesen als auch — im Auftrag Saudi-Arabiens — die Vereinigten Arabischen Emirate Entwicklungshilfe-Projekte. Darüber hinaus erhielt das Land auch von internationalen Entwicklungshilfe-Organisationen — also vorrangig aus westlichen Finanzquellen — alljährlich erhebliche Mittel Mogadischu verfolgte über all die Jahre hinweg eine einträgliche Schaukelpolitik zwischen den Mächten. Absicht war und ist, diese Mächte zur Verwirklichung der Idee eines „Greater Somalia"

einzusetzen.

Deshalb auch bemühte sich das islamische Somalia nicht nur im sozialistischen Lager, sondern auch mit einigem Erfolg in der arabischen Staatenwelt um Unterstützung und Rückhalt. Es ist — obwohl keine arabische Nation — seit 1974 Mitglied der Arabischen Liga. Daß es in diesem Zusammenschluß — vor allem bei Saudi-Arabien — anfänglich nicht immer die Anerkennung fand, die es erhofft hatte, ist vorrangig auf zwei Gründe zurückzuführen: Zum einen auf seine enge Zusammenarbeit mit Moskau; zum anderen auf seine unterschiedlichen entwicklungs-und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen. Die Regierung ging wiederholt hart gegen die islamische Orthodoxie vor, wenn diese sich die-sen Zielsetzungen widersetzte. Als islamische Geistliche gegen die offiziell propagierte Gleichberechtigung von Mann und Frau predigten, ließ die Regierung mehr als zehn von ihnen verhaften und Anfang 1975 kurzerhand erschießen. Daraufhin wurde ein für Sommer 1975 in Mogadischu geplantes Treffen der Arabischen Liga auf unbestimmte Zeit verschoben.

Am grundsätzlichen Interesse Saudi-Arabiens, Somalia — ebenso wie den Südjemen — auch im amerikanischen Interesse aus der Zusammenarbeit mit Moskau herauszukaufen, konnte es jedoch nie einen Zweifel geben Riads außenpolitisches Primärziel ist es, den sowjetischen Einfluß in den arabischen Staaten zurückzudrängen. Es besitzt die zum Verfolg dieser Politik nötigen Gelder. Solange es Moskau an einer wirksamen Gegenstrategie mangelt — und dafür spricht einiges —, wird sein Einfluß in der Region um das Rote Meer und den Golf von Aden gefährdet bleiben. Die regionalen Interessen Saudi-Arabiens beschränken sich nicht allein auf die beiden benachbarten jemenitischen Staaten — die Arabische Republik Jemen (Nordjemen) steht seit Jahren in weitgehender finanzieller Abhängigkeit von Riad —, sondern schließen gleichermaßen die afrikanische Gegenküste mit ein Damit sind nicht allein die durch hohe saudiarabische Zuwendungen gekennzeichneten Beziehungen mit Ägypten und dem Sudan angesprochen. Sie werden u. a. auch aus einem Kommunique deutlich, das zum Abschluß eines Besuches des somalischen Präsidenten M. S. Barre in Saudi-Arabien im Mai 1975 veröffentlicht wurde: „Da das Rote Meer einschließlich des Golfs von Aden ein arabisches Binnenmeer ist, dessen Verteidigung der arabischen Nation allein obliegt, erklären beide Staatsoberhäupter, daß in der Region Frieden herrschen und die Region frei von internationalen Konflikten und internationalen Streit-kräften bleiben müsse." Diese Zielsetzung wurde auch auf der auf saudi-arabische Veranlassung einberufenen Konferenz von Taizz (Nordjemen) am 22. März 1977 wiederholt.

Dort trafen die Staatsoberhäupter Somalias, des Sudans und der beiden Jemen zusammen.

Riad verfolgt mit dieser Politik zweierlei:

erstens, die Sowjetunion aus der Region auszuschließen; zweitens, in der Region — aufgrund der eigenen Anfälligkeit gegenüber sozialrevolutionären Bewegungen — konservative Regierungen zu etablieren. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die saudi-arabische Unterstützung für diejenigen Befreiungsbewegungen innerhalb des eritreischen Widerstandes zu sehen, die dem eigenen Staats-und Politikverständnis folgen. Sie zielt weniger auf einen islamischen Kleinstaat Eritrea ab — in dessen engen Grenzen sich die ethnischen und religiösen Unvereinbarkeiten Äthiopiens nur zu wiederholen drohen —, ihr Gegner ist ein mit Moskau kooperierendes sozialrevolutionäres Addis Abeba. Auf dessen Regime wird ein konzentrischer ägyptisch-sudanesisch-saudiarabischer Druck ausgeübt Mogadischu war, bei aller Zusammenarbeit mit Moskau, schon in der Vergangenheit dar-um bemüht, sich außenpolitische Optionen offenzuhalten. Aber auch die Hilfe der Sowjets an Somalia war nicht unbegrenzt. Sie lieferten nicht alle gewünschten Offensivwaffen. Sie waren im Grenzkonflikt zwischen Somalia und Äthiopien bzw. Kenia stets — wie auch die Chinesen — um strikte Neutralität bemüht. Das hat ihnen ihr jüngstes Engagement in Äthiopien erleichtert. Im Dezember 1976 wurde das erste sowjetisch-äthiopische Militärhilfeabkommen abgeschlossen. Wenig später folgten erste Waffenlieferungen. Am 6. Mai 1977 folgte anläßlich eines Besuches von Mengistu Haile Mariam in Moskau eine „Deklaration über die Grundlagen der freundschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und Äthiopien" Kurz zuvor, im April 1977, war die amerikanische Militärmission aus Addis Abeba ausgewiesen worden; Washington hatte seine Militärhilfe an Äthiopien eingestellt. Damit endete ein in sich nicht immer schlüssiges Kapitel amerikanischer Ostafrika-Politik

Bis in die jüngste Vergangenheit hinein hatte Washington die Afrikapolitik vorrangig seinen westeuropäischen NATO-Verbündeten überlassen. Seine Afrikapolitik war — wie am Kap so auch am Horn — am Status quo orientiert, verdeutlicht in der jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit dem äthiopischen Kaiser-reich. Mit dessen Zusammenbruch ist die amerikanische Ostafrikapolitik undeutlich geworden. Das Kommunikationszentrum Kagnew hatte seine einstige Bedeutung verloren. Addis Abeba und Mogadischu waren darum bemüht, in ihren Konflikt die Großmächte hineinzuziehen. Davon wollte sich Washington freihalten. Noch ist über seine künftige Ostafrikapolitik in der vielstimmigen inneramerikanischen Diskussion keine endgültige Entscheidung ge-fallen.

Die jüngste Entwicklung

Das Horn von Afrika ist von erheblicher strategischer Bedeutung. Von hier aus läßt sich sowohl auf den arabischen Raum — insbesondere auf den Sudan und Ägypten — als auch auf den Nahost-Konflikt Einfluß ausüben. Von hier aus läßt sich aber auch gegebenenfalls auf Schwarzafrika und auf den Konflikt im südlichen Afrika ausgreifen. Das Horn von Afrika ist überdies dem erdölträchtigen Persischen Golf nahe. Entlang den ostafrikanischen Ufern führen die Routen der großen Oltanker vorbei. Das Rote Meer ist Verbindungslinie zwischen Europa, Afrika und Asien.

Angesichts dieser geopolitischen Gegebenheiten kann es nicht verwundern, daß unterschiedlichste, teilweise widersprüchliche Interessen in diesem Raum aufeinanderstoßen Es ist nicht allein der Ost-West-Konflikt, der hier zum Austrag kommt. Am Horn von Afrika werden auch innerarabische Gegensätze ausgefochten: zwischen den sogenannten Gemäßigten — u. a. Saudi-Arabien, die Golfstaaten, Ägypten und der Sudan — und der „Ablehnungsfront" — u. a. Libyen und der Südjemen. Ägypten fürchtet überdies um seinen Lebensnerv, den Nil, der in der ostafrikanischen Region entspringt. Wasserbauprojekte an seinem Oberlauf berühren Kairo unmittelbar. Kompliziert wird die Lage noch dadurch, daß sich in der Region auch afroarabische und innerafrikanische Interessengegensätze hart im Raum stoßen.

Die langjährigen Revolutionswirren in Äthiopien waren für Somalia Anlaß für den Versuch, seine weitgesteckten Gebietsansprüche in der Ogaden-Region zu realisieren. Es suchte die Gunst der Stunde zu nutzen. Die dort schon seit vielen Jahren operierende — wenn auch wenig erfolgreiche — „Western Somalia Liberation Front" (WSLF) rief im Sommer 1977 zum offenen Kampf gegen Addis Abeba auf. Sie erhielt von Anfang an jede nur erdenkliche — auch militärische — Hilfe von Mogadischu. Innerhalb weniger Monate hatte sie 90 Prozent der Region erobert.

Moskau suchte zwischen den beiden sich sozialistisch deklarierenden, aber zutiefst verfeindeten Nachbarstaaten Äthiopien und Somalia zu vermitteln Es schlug eine Föderation vor. In die Vermittlungsbemühungen waren u. a. auch Kuba und der Südjemen eingeschaltet (Konferenz von Aden v. 16. 3. 1977), sie schlugen jedoch fehl Mogadischu hielt an seiner Irredenta-Politik fest. Die Russen begannen auf das weitaus bevölkerungsstärkere Äthiopien zu setzen und verstärkten ihre Militärhilfe an Addis Abeba. Sie kannten Aufmarschpläne, Stärken und Schwächen der — von ihnen aufgebauten — somalischen Streitkräfte. Zwischen Moskau und Mogadischu kam es im November 1977 zum offenen Bruch.

Im Konflikt mit Äthiopien blieb Somalia vergleichsweise isoliert — trotz reger weltweiter . diplomatischer Bemühungen. Dem Westen war es mit seinem Engagement gegenüber Äthiopien zu weit gegangen. Auch im arabischen Lager fand es nicht die Unterstützung, die es zeitweilig erwartet haben mag Die partielle Unterstützung, die es u. a. von Ägypten, dem Sudan, dem Irak und den Saudis erhielt, vermochte die erhebliche sowjetisch-kubanische Militärhilfe nicht aufzuwiegen. Washington gestattete auch dem Iran nicht, größere amerikanische Waffenbestände an Somalia weiterzugeben. Wenn es insbesondere saudiarabische Hilfe erhielt, so vor allem aus dem Bestreben heraus, dem sowjetischen Einfluß in der Region entgegenzuwirken. Die arabischen Staaten sind jedoch nicht ohne weiteres be-reit, sich wegen des Ogaden-und des Eritreakonfliktes mit der jeder Sezession abgeneigten OAU zu überwerfen Sie zählen vor allem im Nahostkonflikt auf afrikanische Stimmen.

Äthiopien hat mittlerweile (März 1978) mit substantieller sowjetisch-kubanischer Hilfe die Ogaden-Region zurückerobert. Nicht allein die umfänglichen sowjetischen Waffenlieferungen, sondern auch der mittlerweile öffentlich eingestandene Einsatz kubanischer Truppen hat im Westen — wie im Fall Angola — kontroverse Diskussionen ausgelöst. Die verschiedeutliche Einschätzung der Kubaner als Erfüllungsgehilfen Moskaus scheint dabei den komplexen kubanisch-sowjetischen Beziehungen nicht immer gerecht zu werden. Dazu lie-gen wenig verläßliche Untersuchungen vor Sie lassen aber immerhin die Hypothese zu, daß derartige Einsätze den Kubanern insofern nicht ungelegen kommen, als sie ihnen zu einer, wenn auch begrenzten, Führungsrolle im Nord-Süd-Konflikt verhelfen. Havanna vermag dadurch seine Abhängigkeit von Moskau zu verringern. Ob das den, wie auch immer definierten, westlichen Interessen zugute kommt, ist eine andere Frage. Kuba wird in Äthiopien so lange zu bleiben versuchen, bis sich dort — über die unumgänglichen Revolutionswirren hinweg — eine sozialistische Regierung auf Dauer zu etablieren vermocht hat. Das kann noch viele Jahre dauern. Äthiopiens Stellung in der Region ist nicht weniger isoliert als die Somalias. Sein Militärregime hält vor allem mit Libyen und dem Südjemen Kontakt. Die Zusammenarbeit mit Libyen gefährdet vor allem den Sudan; die innenpolitische Situation in diesem Land ist labil. Der Gegensatz zwischen dem arabischislamischen Norden und dem christlich-animistischen Süden ist weiterhin ungelöst und gibt Addis Abeba im Bedarfsfall allemal Gelegenheit, Unruhen zu schüren Der Sudan scheint in jüngster Zeit seine Unterstützung für die eritreischen Sezessionisten insofern zurüdezunehmen, als er nur noch für eine Autonomie Eritreas plädiert.

Die südjemenitische Politik läßt einige Fragen offen. Saudi-Arabien hat es verstanden, sich mit erheblichen fiananziellen Zuwendungen in Aden Nichtsdestoweniger einzukaufen. dient die Hafenstadt den sowjetischen Waffentransporten nach Äthiopien als Nachschubbasis. Aden gibt — zumindest für den Augenblick. — über die saudiarabischen Gelder die Zusammenarbeit mit Moskau nicht auf.

Einen Sonderfall stellen die äthiopisch-kenianischen Beziehungen dar. Kenia gilt seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1963 als der verläßlichste Bundesgenosse des Westens in dieser Region. Es gibt Anzeichen dafür, daß sich Washington wie im Sudan, so auch in Kenia verstärkt — auch mit Militärhilfe — engagiert Das ändert jedoch nichts daran, daß die langjährigen äthiopisch-kenianisdien Militärvereinbarungen gegenüber Somalia auch heute noch Gültigkeit besitzen. Nairobi hat für diese Politik gute Gründe. Hätte Mogadischu mit seiner Irredenta-Politik gegenüber dem sozialistischen Militärregime in Addis Abeba Erfolg gehabt, wäre es — so nicht nur die Auffassung in Nairobi — nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es auch gegenüber Kenia seine Gebietsansprüche gewaltsam durchzusetzen versucht hätte. Äthiopiens gefährlichster regionaler Gegenspieler ist allerdings Saudi-Arabien. Riad stößt sich — gleich Teheran — an dessen sozialrevolutionarem Regime und der Zusammenarbeit mit Moskau. Vornehmlich aus die-sen beiden Gründen unterstützt Riad Eritrea und Somalia. Nicht alles was dort getan wird, entspricht den saudi-arabischen Vorstellungen von einer arabisch-islamischen Politik. Riad sucht jedoch einen Regimewechsel in Addis Abeba auszulösen.

Gleichzeitig ist Riads Politik am Roten Meer Teil seiner Nahost-Politik. Sollte es je zu einem arabisch-islamischen Kleinstaat Eritrea kommen, wäre das Rote Meer ein arabisches Binnenmeer. Das liegt nicht im Interesse Israels.

Damit wäre ihm der wichtige — weil ölbringende — Zugang zum Indischen Ozean versperrt. Damit wäre ihm auch die Möglichkeit erschwert, im Süden — im Rücken der arabischen Welt — eine eigene, nötigenfalls antiarabische Afrikapolitik zu verfolgen. Vie-les an der jüngst aufgekündigten israelischäthiopischen Zusammenarbeit wird damit erklärlich

Ob sich die sowjetisch-äthiopische Zusammenarbeit für die Russen auf Dauer auszahlt, bleibt abzuwarten. Moskau hat ähnliches in der Region schon wiederholt versucht — bis-lang ohne großen Erfolg Aus Ägypten, dem Sudan, Nordjemen und Somalia mußte es sich zurückziehen. Was ihm verblieb, waren zum Teil erhebliche volkswirtschaftliche Verluste. Auch die Äthiopier sind letztlich eher Nationalisten denn Sozialisten. Für die Russen besteht die Gefahr, daß sie derzeit nicht viel mehr als nützliche Handlanger der Äthiopier sind.

Vieles hängt davon ab, ob sich Mengistu Haile Mariam an der Macht zu halten vermag. Die zahlreichen innen-und außenpolitischen Krisen, denen er sich im letzten Jahr gegenübersah, hat er nicht zuletzt dank tatkräftiger sowjetisch-kubanischer Hilfe und eines gnadenlosen blutigen Terrors zu begegnen vermocht In seiner Person wird die Verschränkung von äthiopischer Innen-und Au-ßenpolitik deutlich. Der jüngste Erfolg im Ogaden-Krieg — den Addis Abeba propagandistisch geschickt zu einer Art „Vaterländischem Krieg" erklärte — hat seine Stellung gestärkt. Ihm fehlt es jedoch noch an einer Massenbasis im Lande. Auch innerhalb der Streitkräfte ist seine Stellung nicht unumstritten. DDR-Berater sind um den Aufbau eines geheimen Nachrichtendienstes bemüht, der die Regierungspolitik mit anderen Mitteln fortsetzt. Abzuwarten bleibt, ob die Armee im zurückeroberten Ogaden mehr sein wird als eine Besatzungsmacht, die fern der wenigen befestigten Städte und Wasserstellen in einen zermürbenden Kleinkrieg verwickelt ist — eine Gefahr, der sie sich in Zukunft in noch viel größerem Maße in Eritrea gegenüber sehen wird. Entsprechend stellen sich die Probleme für den unmittelbaren Gegenspieler von Mengistu, den somalischen Präsidenten M. S. Barre, dar. Sein Ansehen hat durch den erfolglosen Krieg um den Ogaden gelitten; innenpolitische Folgen sind nicht auszuschließen, wie der jüngste Offiziersputsch zeigt.

Gleich bleibt die Not, die die jahrzehntelangen Grenzkonflikte am Horn von Afrika über die Masse der Bevölkerung bringen. Die Region zählt zu den ärmsten der Welt. Ein Großteil der Bevölkerung Äthiopiens, Somalias, aber auch Djiboutis und Kenias lebt in bedrückender Armut. Seit Jahrzehnten sind Addis Abeba und Mogadischu damit befaßt, die geringen Ressourcen ihrer Länder für einen Rüstungswettlauf zu mobilisieren, der nur noch wenig für entwicklungspolitische Zielsetzungen übrigläßt. Somalia steht vor einer tiefgreifenden Umstrukturierung seiner Wirtschaft und Gesellschaft. Beabsichtigt ist, in zunehmendem Maße die Nomaden seßhaft zu machen. Die Militärs in Äthiopien geben vor, nicht nur die „nationale Frage" — Sicherung des Landes in den bisherigen Grenzen —, sondern gleichzeitig auch die „soziale Frage" — Abbau der vormaligen feudalen Wirtschafts-und Sozialstrukturen — lösen zu wollen. Für sie alle müßte ein „Primat der Innenpolitik" gelten Damit ist jedoch kurzfristig nicht zu rechnen. Die Disposition zur Gewalt — als Mittel der Konfliktsaustragung — ist in der Region seit alters her groß Daß es damit kurzfristig ein Ende haben sollte, ist wenig wahrscheinlich. Überdies ist der Regionalkonflikt Gegenstand amerikanisch-sowjetischer Auseinandersetzungen. Das Engagement Moskaus in Somalia galt viele Jahre lang als Beweis für seine expansiven Absichten im Indischen Ozean Mittlerweile ist es nachgerade zu einem „Renversement des Alliances" gekommen. Nunmehr wird das sowjetische Engagement in Äthiopien für gleichlaufende Absichten angeführt. Daß zwischen dem Geschehen am Horn von Afrika und dem Bemühen der beiden Weltmächte, im und um den Indischen Ozean Einfluß auszuüben, ein Zusammenhang besteht, machte anläßlich des äthiopisch-somalischen Grenzkonflikts auch der amerikanische Außenminister Vance deutlich. Wenn Äthiopien die somalische Grenze überschreitet, gäbe es — so Vance in einer Pressekonferenz am 10. Februar 1978 — für die USA vorrangig zwei Handlungsmöglichkeiten: zum einen, Somalia aufzurüsten; zum anderen, die sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungen im Indischen Ozean einzustellen. Die beiden Großmächte verhandeln seit Sommer 1977 über dieses Thema. Nach Anfängen in Moskau und Washington finden diese vertraulichen Gespräche derzeit in Bern statt.

Washingtons strategische Position im Indischen Ozean ist stärker, als gemeinhin unterstellt wird Mittels seiner raketenbestückten Atom-U-Boote und strategischen Fernbomber liegen große Gebiete der Sowjetunion in Reichweite amerikanischer Feuerstellungen. Moskaus langjährige Versuche, in der Region des Indischen Ozeans ebenfalls Fuß zu fassen, waren bislang wenig erfolgreich. Es hat das Dilemma, in seinen strategischen Zielsetzungen vom wenig kalkulierbaren politischen Wohl-verhalten fremder Regierungen abhängig zu sein, noch nicht zu lösen vermocht. Noch steht ihm in dieser Region kein einziger exterritorialer Luft-oder Seestützpunkt zur Verfügung. Angesichts der zahlreichen Basen und Kommunikationszentren, die zwischen Australien, der Golfregion und Südafrika den westlichen Flottenverbänden zur Verfügung stehen, droht den im Indischen Ozean kreuzenden sowjetischen Verbänden — vergleichbar denen im Mittelmeer — im Krisenfall ein schnelles Ende.

Dieser Tatsache ist sich auch Moskau bewußt. Deshalb unterstützt es — einmal abgesehen von seinem Grundanliegen, die atomare Bedrohung (Atom-U-Boote, strategische Fern-bomber) aus dem Indik zu eliminieren — die erwähnten Verhandlungen in Bern über eine Begrenzung der militärischen Präsenz im Indischen Ozean Sie sind mittlerweile, nach einer Verhandlungsrunde vom 7. bis 17. Februar 1978, vertagt worden. Sie waren bereits Ende letzten Jahres zeitweilig in eine Sackgasse geraten, vor allem, weil Moskau mit dem Rückzug aus Berbera eines seiner letzten „bargaining Chips" verlor. Mittlerweile belastet der äthiopisch-somalische Konflikt die bilateralen Gespräche. Ohnehin ist durch die Verhandlungen keine — auch nur mittelfristige — Demilitarisierung in dieser Region zu erwarten. Washingtons Stellung im Indik ist zu stark, als daß es dazu bereit sein könnte. Seine vielzitierte strategische Basis, die Insel Diego Garcia, ist für die Amerikaner kein Verhandlungsgegenstand Washington könnte aber bereit sein, seine regionale Dominanz nicht noch weiter auszubauen — u. a. eben auf Diego Garcia. Aber auch dafür muß Moskau gegebenenfalls einen Preis zahlen, z. B. in den SALT-Gesprächen oder in seiner Afrika-politik. Es kann sich aber auch um neuerliche „bargaining Chips" bemühen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Helmut Heinzlmeir, Das Horn von Afrika': Konfliktkonstellationen, in: Afrika Spectrum, 1/1977, S. 5.

  2. Ausführlich dazu: Volker Matthies, Der Grenzkonflikt Somalias mit Äthiopien und Kenya. Analyse eines zwischenstaatlichen Konflikts in der Dritten Welt, Hamburg 1977; I. M. Lewis, Peoples of the Horn of Africa, London 1955/1969.

  3. Im Detail: Saadia Touval, Somali Nationalism, Cambridge, Mass., 1963; I. M. Lewis, The Modern History of Somaliland: From Nation to State, London 1965.

  4. Vgl. Volker Matthies, Der Grenzkonflikt Somalias, a. a. O., S. 44 ff.

  5. Vgl. auch Volker Jansen, Politische Herrschaft in Äthiopien, Freiburg 1976, S. 218 ff.

  6. Vgl. David D. Laitin, Somali Territorial Claims in International Perspective, in: Africa Today, Bd. 23/2, 1976, S. 29— 38.

  7. Vgl. V. Matthies, Unterentwicklung, Nationalismus und Sozialismus in Somalia, in: Afrika Spectrum, 1/1977, S. 53 ff.

  8. Vgl. John G. Merriam, Military Rule in Ethiopia, in: Current History, Nov. 1976, S. 173.

  9. Vgl. V. Matthies, Der Grenzkonflikt Somalias, a. a. O., S. 233 ff.

  10. Vgl. auch Gerhard Pfister, Die Fortsetzung der Abhängigkeit nach der Dekolonialisation — das Beispiel Kenya, in: K. J. Gantzel (Hrsg.), Afrika zwischen Kolonialismus und Neo-Kolonialismus, Hamburg 1976, S. 129— 211.

  11. Vgl. auch Christian Potyka, Haile Selassie. Der Negus Negesti, Bad Honnef 1974, S. 9— 35.

  12. Vgl. Siegfried Pausewang, Die Landreform in Äthiopien, in: Afrika Spectrum, 1/1977, S. 17— 36.

  13. Nach Financial Times, 10. 2. 1978.

  14. Colin Legum (Hrsg.), Africa Contemporary Record. Annual Survey and Documents, 1975— 1976, London 1976, S. B 203.

  15. Vgl. David Hamilton, Ethiopias Embattled Revolutionaries, Conflict Studies, London 1977, S. 5 ff.

  16. Vgl. auch C. Kühlein, Die politisch-strategischen Veränderungen im Raum Horn von Afrika/Rotes Meer, in: SWP-AZ 2155, Ebenhausen, Oktober 1977, S. 11 ff.

  17. Vgl. Zdenek Cervenka, Eritrea: truggle for Self-Determination or Secession?, in: Afrika Spectrum, 1/1977, S. 37— 48.

  18. Vgl. auch Albert Strick, Eritrea. Provinz Äthiopiens oder unabhängiger Staat?, in: Internationales Afrika-Forum, 4/1977, S. 360— 373.

  19. Vgl. Udo Steinbach, Arabische Politik rund um das Horn von Afrika, in: Außenpolitik, 3/1977, S. 304 ff.

  20. Vgl. Philippe Leymarie, Französisches Territorium der Afar und Issa (Djibouti), in: D. Nohlen/F. Nuschelet (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. 2: Unterentwicklung und Entwicklung in Afrika, Halbbd. II, Hamburg 1976, S. 644— 648.

  21. Vgl. Said Jusuf Abdi, Independence for the Afars and Issas, Complex Background; Uncertain Future, in: Africa Today, Bd. 24/1, 1977, S. 61— 67.

  22. Vgl. Colin Legum (Hrsg.), Africa Contemporary Record, a. a. O., S. B 207; C. Kühlein, Die politisch-strategischen Veränderungen, a. a. O., S. 37.

  23. Vgl. H. Scholler/P. Brietzke, Ethiopia: Revolution, Law and Politics, München 1976, S. 34.

  24. Vgl. Helmut Heinzlmeir, Das , Horn von Afrika', a. a. O., S. 8, Anm. 15.

  25. Andrew Lycett, Cockpit for the big powers, in: New African Development, 6/1977, S. 472 ff.

  26. Vgl. H. Scholler, Republik Djibouti. Im Spannungsfeld der Weltpolitik, in: Internationales Afrika-Forum, 2/1977, S. 160— 164.

  27. Vgl. Feraidoon Shams B., Conflict in the African Horn, in: Current History, Dez. 1977, S. 199 ff.

  28. Vgl. Shahram Chubin, Naval Competition and Security in South-West Africa, in: Power at Sea III. Competition and Conflict, London (IISS) 1976, S. 28 (Adelphi Paper 124).

  29. Vgl. V. Matthies, Der Grenzkonflikt Somalias, a. a. O, S. 136 ff. und S. 209 ff.

  30. Im einzelnen: I. M. Lewis, Kim II Sung in Somalia: The End of Tribalism? (unveröffentlichtes Arbeitspapier, o. O., o. J.); vgl. auch H. Scholler, Die historischen und politischen Entwicklungstendenzen Somalias, in: Internationales Afrika-Forum, 4/1976, S. 374.

  31. Colin Legum (Hrsg.), Africa Contemporary Record, a. a. O., S. B 302.

  32. Vgl. H. Heinzlmeir, Der Kampf ums Horn von Afrika, in: Die Neue Gesellschaft, 10/1976, S. 853.

  33. Vgl. R. Machetzki, Die Entwicklungshilfepolitik der VR China: Hilfe aus der Dritten Welt für die Dritte Welt?, Hamburg 1975, S. 60.

  34. Financial Times, 16. 3. 1977.

  35. Vgl. The Washington Post, 18. und 26. 5. 1977.

  36. Vgl. O. Mirkovic, Der somalisch-äthiopische Konflikt, in: Internationale Politik, (Belgrad), Heft 622, 5. 3. 1976, S. 10; Shahram Chubin, Naval Competition, a. a. O., S. 29.

  37. British Broadcasting Corporation: Summary of World Broadcast, Part 4, The Middle East and Africa. Second Series ME/4898/B/1, 8. 5. 1975.

  38. Vgl. R. Glagow, Das Rote Meer — eine neue Konfliktregion? Politik und Sicherheit im afro-arabischen Grenzbereich, I. Teil, in: Orient, 2/1977, S. 32; William F. Lee, Ethiopia, A Review of the Dergue, in: Africa Report, 2/1977, S. 11.

  39. Text in Prawda, 8. 5. 1977.

  40. Vgl. Hearings before the Subcommittee on African Affairs of the Committee on Foreign Re-lations", United States Senate, Ninety-Fourth Con-gress, Second Session on U. S. Relations with Ethiopia and the Horn of Africa, August 4, 5 und 6, 1976, Washington 1976, 138 Seiten.

  41. Vgl. R. Glagow, Das Rote Meer, a. a. O., I. Teil, in: Orient, 2/1977, S. 16— 50; II. Teil, in: Orient, 3/1977, S. 25— 68; John C. Campbell, Soviet Policy in Africa and the Middle East, in: Current History, Okt. 1977, S. 100 ff.

  42. Vgl. auch das Interview mit dem somalischen Präsidenten M. S. Barre in: Al Ahram, 19. 5. 1977; vgl. ferner Financial Times, 24. 4. 1977; The Observer, 8. 5. 1977; The Washington Post, 17. 5. 1977; Tom J. Farer, Dilemmas on the Horn, in: Africa Report, 2/1977, S. 2— 6.

  43. Vgl. V. Matthies, Der Grenzkonflikt Somalias, a. a. O., S. 439 ff.

  44. Vgl. das Interview mit dem somalischen Präsidenten M. S. Barre in: Newsweek, 27. 6. 1977.

  45. Vgl. Colin Legum, Africa, Arabs and the Middle East, in: Colin Legum (Hrsg.), Africa Contemporary Record, a. a. O., S. A 86.

  46. Robert F. Lamberg, Breschnews karibische Legion, in: NZZ, 2. 3. 1978.

  47. Vgl. Wolf Grabendorff, Die kubanische Außenpolitik nach der Intervention in Angola, Berichte zur Entwicklung in Spanien, Portugal und Lateinamerika, 2. Jahrgang, Heft 12 (Juli/August 1977), S. 10— 20

  48. Vgl. I. Bowyer Bell, The Horn of Africa. Strategie Magnet of the Seventies, New York, National Strategie Information Center, 1973, S. 21— 22; Nelson Kasfir, Still Keeping the Peace. The Southern Sudan Four Years After the Addis Abeba Agreement, American Universities Field Staff, North East Africa Series, Bd. 21/4, April 1976; Colin Legum (Hrsg.), Africa Contemporary Record, a. a. O„ S. B 120— 123.

  49. Vgl. J. Gus Liebenow, The Caucus Race: International Conflict in East Africa and the Horn, American Universities Field Staff, East Africa Series, Bd. 11/1, Juli 1977, S. 9.

  50. Vgl. auch Herrick and Anita Warren, The U. S. Role in the Eritrean Conflict, in: Africa Today, Bd. 23/2, 1976, S. 51; R. Lobban, The Eritrean War: Issues and Implications, in: Canadian Journal of African Studies, Bd. 10/2, 1976, S. 339,

  51. Vgl. William E. Griffith, Verändertes Gesicht der Weltmächte im Nahen Osten, in: Europa-Archiv, 23/1975, S. 719— 730.

  52. Conrad Kühlein, Die Auswirkungen der Revolution in Äthiopien auf die Lage am Horn von Afrika, in: Europa-Archiv, 5/1978, S. 135 ff.

  53. Vgl. V. Matthies, Der Grenzkonflikt Somalias, a. a. O., S. 415.

  54. Vgl. auch Christian Potyka, Haile Selassie, a. a. O., S. 44 ff. Der Autor setzt sich in diesem Zusammenhang mit Theorien auseinander, die den Amharen ein — nicht zuletzt christlich vermitteltes — machtbetonendes, autoritätsgläubiges, vielfach

  55. Vgl. Helmut Heinzlmeir, Die amerikanisch-sowjetischen Auseinandersetzungen um den Indischen Ozean, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51-52/75, S. 38— 45.

  56. Vgl. Helmut Heinzlmeir, Der Indische Ozean in der Weltpolitik, in: Marine-Rundschau, Bd. 75/5, Mai 1978, S. 13 ff.

  57. S. Vladimirov in: Prawda, 18. 1. 1978.

  58. Vgl. Jack Fuller, Dateline Diego Garcia: Paved-Over Paradise, in: Foreign Policy, Nr. 28, Herbst 1977, S. 181.

Weitere Inhalte

Helmut Heinzlmeir, Dr. phil., geb. 1938, Studium der Politikwissenschaft, Forschungsaufenthalt in Südostasien, freier Wissenschaftler und Publizist. Veröffentlichungen u. a.: Die amerikanisch-sowjetischen Auseinandersetzungen um den Indischen Ozean, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51-52/75; Indonesiens Außenpolitik nach Sukarno, 1965— 1970. Möglichkeiten und Grenzen eines bündnisfreien Entwicklungslandes, Institut für Asienkunde, Hamburg, 1976; zahlreiche Aufsätze und Beiträge in Zeitschriften und Sammelbänden, u. a.: Das Horn von Afrika: Konfliktkonstellationen, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg, 1977; Indiens Rüstungs-und Nuklearpolitik; Probleme Südafrikas; Dominostein Thailand?; Ökologie in der Dritten Welt am Beispiel der Bergregionen; Erdöl in China; Indochina heute; Großmachtinteressen in Südostasien, Institut für Asienkunde, Hamburg, 1977; Der Indische Ozean in der Weltpolitik (i. E.).