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Aspekte einer längerfristigen Umweltpolitik | APuZ 17/1978 | bpb.de

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APuZ 17/1978 Artikel 1 Aspekte einer längerfristigen Umweltpolitik Das umweltrechtliche Genehmigungsverfahren. Rechtspolitische Überlegungen zu seiner Demokratisierung und Liberalisierung

Aspekte einer längerfristigen Umweltpolitik

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen

/ 42 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Umweltpolitisch gesehen sind wir in der Zukunft in zweifacher Weise bedroht: zum einen durch die realen Gefahren, die aus ungelösten Problemen in den bekannten Umweltbereichen, vor allem aber aus der noch weitgehend unbekannten Gefahrenquelle „Umweltchemikalien" und aus der fortschreitenden Zerstörung von Ökosystemen erwachsen, zum andern durch politische Fehleinschätzungen, die die politische Stabilität unserer Gesellschaft in Frage stellen könnten. Für den ersten Problembereich hat der Rat die Einwirkung der Umweltchemikalien auf das Wasser, die Luft und die Lebensmittel abgeschätzt und die Gefährdung des Menschen, der Ökosysteme, des Klimas sowie der Troposphäre zu bestimmen gesucht. Die Ökosysteme werden darüber hinaus erheblich belastet durch Nutzungsänderungen, die als die entscheidende Ursache für den fortschreitenden Artenschwund bei Pflanzen und Tieren angesehen werden müssen. Intensiv widmet sich der Rat den ökonomischen und gesellschaftlichen Randbedingungen der Umweltpolitik. Ausgehend von der erwarteten Bevölkerungsentwicklung, skizziert er die engeren und weiteren politischen Rahmenbedingungen, untersucht die Auswirkungen verschiedener energiewirtschaftlicher Strategien auf die Umwelt und die Chancen für internationale Abkommen zur Eindämmung der erwarteten Gefahren. Ein Blick auf die höchst kontroverse Einschätzung des Beitrags der Technologie für die Lösung der Umweltprobleme in der Bevölkerung zeigt, daß die realen Bedingungen der Umweltpolitik mehr und mehr von Meinungen und Verhaltensweisen bestimmt werden. Umweltschutz muß zu Änderungen der traditionellen Investitionsund Konsumgewohnheiten führen und erfordert — wenn die hiermit verbundenen Zielkonflikte nicht zu einer Legitimationskrise führen sollen — eine Politik mit starker und für die Bevölkerung transparenter Programmorientierung. Ohne eine solche Politik könnten die Um-weltprobleme die allgemeine Übereinkunft über grundlegende Zielvorstellungen brüchig werden lassen.

Der Sachverständigenrat für Umweltlragen hat Bundesinnenminister Werner Maihofer kürzlich sein Jahresgutachten 1978 vorgelegt. Dieser Rat wurde von der Bundesregierung durch Einrichtungserlaß des Bundesministers des Innern vom 28. Dezember 1971 geschaffen und beauftragt, — die Umweltsituation in der Bundesrepublik Deutschland und deren Entwicklungstendenzen zu begutachten, — Fehlentwicklungen zu analysieren und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder Beseitigung aufzuzeigen.

Das Ziel der Arbeit des Rates ist die Erleichterung der Urteilsbildung bei allen umweltpolitischen Instanzen und in der Öffentlichkeit.

Er erfüllt seinen Auftrag durch umfassende periodische Gutachten über die Situation der Umwelt in der Bundesrepublik Deutschland, in denen auch Maßnahmen zur Verbesserung des gegenwärtigen Zustands empfohlen werden („Umweltgutachten"). Aktuelle, von der Bundesregierung bestimmte Themen der Umweltpolitik werden in „Sondergutachten“ abgehandelt. In seiner durch seinen Auftrag bestimmten Tätigkeit ist der Sachverständigenrat unabhängig. Die Einrichtung eines solchen Gremiums zur Beratung und Begutachtung war Teil des Umweltprogramms der Bundesregierung vom Oktober 1971.

Wir publizieren im folgenden einen Auszug aus dem Jahresgutachten (Teil 4). Das Gesamtgutachten wird als Bundestagsdrucksache veröffentlicht und in Kürze als Buch im Handel vorliegen.

Bleibende Gefahren

Traditionelle Umweltpolitik und neue Fragen Der Rat weist zunächst in Anlehnung an den ersten (hier nicht veröffentlichten, d. Red.) Teil dieses Gutachtens darauf hin, daß er die traditionellen Gefahren, die der Umwelt aus dem ökonomisch-industriellen System erwachsen, noch nicht als bewältigt ansieht. Es ist unbestreitbar, daß insbesondere die stagnierende Bevölkerungsentwicklung hier als wichtiger Stabilisierungsfaktor wirkt, daß auch die ökonomische Rezession eine Atempause geschaffen hat; entscheidend bleibt aber für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, nicht nur Wirtschaftsentwicklung und Energieverbrauch, sondern auch Wirtschaftsentwicklung und Umweltbelastung noch stärker voneinander unabhängig zu machen. Da dies in einigen Bereichen an die Grenzen der ökonomischen Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft stoßen wird, ist Umweltpolitik mit dem Maßstab der ökonomischen Tragfähigkeit zu messen. Die in diesem Bereich entstehenden Konflikte werden in den kommenden Jahren zwischen Umwelt-und Wirtschaftspolitik offen ausgetragen werden müssen; auch auf die Tarifpartner kommt dabei die Frage zu, wie sie Umweltschutzaufwendungen, die einem Unternehmen allein primär keinen Nutzen bringen, berücksichtigen wollen. Nach Ansicht des Rates kann dieser Faktor auch in den Diskussionen der Konzertierten Aktion nicht länger ausgeklammert bleiben.

Reale Gefahren und Gefahren der politischen Fehleinschätzung stehen nebeneinander. Darauf möchte der Rat aufmerksam machen: — Die dauerhafte Lösung von Umweltproblemen gelingt auch in Zukunft nur bei politischer Stabilität; die Forderung nach radikaler Umwertung aller Werte berücksichtigt dies nicht und wirkt daher unglaubwürdig und gefährlich.

— Alle Erfahrung zeigt, daß die industrielle Entwicklung, die viele Umweltprobleme geschaffen hat, noch am ehesten zu ihrer Lösung in der Lage ist, wenn das politische System die richtigen Rahmendaten setzt.

Die Erhaltung der innovativen Leistungsfähigkeit unserer Industrie liegt daher auch im Interesse des Umweltschutzes. — Der Rat beobachtet mit Sorge, welch geringe Kenntnisse gerade bei umweltpolitisch engagierten Bürgern vielfach anzutreffen sind. Die Betonung von Verboten aller Art sowie die Fehleinschätzung des „Recycling" sind hierfür Beispiele. Gerade ein effizienter Umweltschutz muß sich marktwirtschaftlicher Knappheitssignale bedienen, die sehr wohl auch zukünftige Knappheit anzeigen können. über die bereits heute im Mittelpunkt der Umweltpolitik stehenden „traditionellen" Problemfelder und Lösungen hinaus sind langfristig unter den Bedingungen Mitteleuropas alle Entwicklungen besorgniserregend, die zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten einengen und/oder eine Gefahrenquelle für die menschliche Gesundheit und die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts bedeuten. Unter diesen Aspekten zeichnen sich auf der Grundlage des gegenwärtigen Kenntnisstandes folgende Probleme ab: — Umweltchemikalien, d. h. Stoffe, die durch menschliches Zutun in die Umwelt gelangen, werden weiterhin eine wichtige und wahrscheinlich an Bedeutung zunehmende Rolle als Umweltschadstoffe im weitesten Sinne spielen. Bei der großen Zahl von chemischen Verbindungen, die gegenwärtig in die Umwelt emittiert werden, ist auch unter der optimistischen Annahme eines geringer werdenden Zuwachses neuer Stoffgruppen und des Verschwindens einiger Stoffe infolge von Produktionsumstellungen oder Abwasserreinigungs-und Luftreinhaltemaßnahmen damit zu rechnen, daß der Komplex Umweltchemikalien über längere Zeiträume hinweg eine Gefahrenquelle für die menschliche Gesundheit und den Natur-haushalt darstellen wird. Mögliche Schadwirkungen beim Menschen können dabei direkt von einem Stoff ausgehen oder aber indirekt erfolgen, z. B. über eine Veränderung des Strahlungshaushaltes der Erde oder über Schädigungen der Umweltpotentiale. Zu den letztgenannten Effekten gehört die nachhaltige Störung der Selbstreinigungskraft von Gewässern, die Minderung der Bodenfruchtbarkeit oder der Produktivität der Meere und — ganz allgemein — die Schädigung von Ökosystemen. — Landverbrauch am falschen Platz und ökologisch schädliche Landnutzung werden wegen des nur langsamen Vordringens ökologisch orientierten Denkens und der immer noch unbefriedigenden Kenntnis der ökologischen Zusammenhänge, aber auch wegen vermeintlicher oder tatsächlicher technischer und wirtschaftlicher Zwänge für eine geraume Zeit eine umweltgerechte Raumnutzung verhindern oder erschweren.

Infolge dieser Mängel wird insbesondere ein effektiver Schutz wertvoller Ökosysteme mit ihrem natürlichen Arteninventar nahezu unmöglich gemacht.

Umweltchemikalien

Umweltchemikalien und Mensch Bei der Abschätzung zukünftiger Schadwirkungen von Umweltchemikalien ist grundsätzlich eine Trennung vorzunehmen zwischen unfallbedingtem Auftreten hoher Schadstoffkonzentrationen in der Umwelt über eine kurze Zeitspanne und den Emissionen aus der laufenden Produktion bzw.der Anwendung, die über lange Zeiträume zu mehr oder minder niedrigen Schadstoff-Konzentrationen führen. Eine Prognose, ob ein Unfall ä la Seveso in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist oder nicht, kann vom Rat nicht abgegeben werden, zumal die Beurteilung der Betriebssicherheit nicht zu seinen Aufgaben gehört.

Werden ausgespochene Unfallfolgen ausgeklammert, so dürfte der zuknünftige Schwerpunkt der Gefährdung des Menschen im Bereich der mutagenen und carcinogenen Schadstoffe liegen, während die akut und subchronisch wirkenden Stoffe in ihrer Bedeutung in absehbarer Zeit wahrscheinlich abnehmen werden. Diese Prognose gründet sich u. a. auf die bestehenden Prüfungs-und Uberwachungs-möglichkeiten:

Während akute und subchronische Schäden bei einer toxikologischen Prüfung verhältnismäßig leicht nachweisbar sind und damit Verbots-und Begrenzungsmaßnahmen seitens des Gesetzgebers als Steuerungsinstrumente rasch eingesetzt werden können, steigt der technische, zeitliche und finanzielle Aufwand der Überprüfung auf chronische Toxizität, insbesondere auf eventuelle carcinogene Eigenschaften, stark an. Die Übertragbarkeit tier-experimenteller Untersuchungen auf den Menschen ist immer noch mit großen Schwierigkeiten behaftet und erschwert die wissenschaftliche Beurteilung. Dies trifft in besonderem Maße für eine Reihe von Prüfmethoden auf mutagene Wirkung zu, da bei diesen teilweise Mikroorganismen als Testobjekte verwendet werden und nicht Säuger.

Änderungen des menschlichen Erbgutes durch mutagene Stoffe (und Strahlungen) mit überwiegend negativem, nachteiligem Charakter f treten frühestens in der nächsten Generation, möglicherweise aber auch erst nach einigen Generationen zutage. Kausalzusammenhänge j zwischen mutagenem Agens und Mutation sind damit beim Menschen derzeit praktisch nicht feststellbar; entsprechend könnten Schutzmaßnahmen nur auf der Grundlage noch nicht voll befriedigender experimenteller Untersuchungen ergriffen werden. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich eine weitere Begründung für die oben gestellte Prognose: Da nicht alle chemischen Substanzen automatisch einer Prüfung hinsichtlich ihrer möglichen Schadwirkungen unterliegen, folgt daraus, daß mutagene Eigenschaften eines Stoffes wegen der langen Zeitdifferenz zwischen Immission und sichtbarer Wirkung lange verborgen bleiben können; erschwerend kommt hinzu, daß Mutationen beim Menschen vielfältige Formen annehmen können, die derzeit noch nicht einmal ab-schätzbar sind.

Die Bedeutung eines weiteren Problemkreises ist jetzt schon offensichtlich und wird in Zukunft noch zunehmen:

Mit der steigenden Zahl von emittierten Umweltchemikalien wächst die Gefahr von Kombinationswirkungen durch Zusammentreffen erschiedener Schadstoffe. Dieses Phänomen erschwert die Festlegung von tolerierbaren „Grenzwerten" für einzelne Schadstoffe beträchtlich und verlangt zusätzliche Forschungs-und Uberwachungsinitiativen.

Das Schadstoffproblem in den einzelnen Grundbereichen Im Wasser nimmt der Anteil schwer abbau-barer organischer Verbindungen weiterhin zu, doch dürfte die Technik der industriellen Abwasserbehandlung bei entsprechendem Mittel-einsatz eine Veränderung des Trends, wahr-: scheinlich sogar einen Rückgang der Belastung herbeiführen können. Für den Konsumenten von Trinkwasser, das bei der Aufbereitung einer Rohwasser-Chlorung unterworfen wird, stellt die Möglichkeit des Auftretens carcinogen wirkender chlorierter organischer Verbindungen, die durch die Reaktion des Chlors mit organischen Inhaltsstoffen des Wassers entstehen, eine latente Gefahr dar, deren Umfang z. Z. schwer abschätzbar ist. Ob Aktivkohlefiltration in Verbindung mit Ozon-5 einsatz in der Trinkwasseraufbereitung eine generelle Lösung des Problems bringt, bedarf weiterer Untersuchungen; die Erforschung des Gesamtkomplexes sollte schwerpunktmäßig gefördert werden.

Eine bisher noch latente, aber mittelfristig wahrscheinlich zunehmende Gefährdung des Menschen geht von der steigenden Nitratbelastung der Oberflächen-und Grundwässer aus. Quellen der Nitratzufuhr werden weiterhin Auswaschungen aus dem landwirtschaftlichen Bereich sowie häusliche Abwässer sein. Auch bei Zunahme der Kläranlagen wird zunächst kein Nitratrückgang auftreten, da die konventionellen biologischen Anlagen keine hinreichende Stickstoffelimination bewirken. Dem Nitratproblem muß aber Aufmerksamkeit geschenkt werden, da hohe Nitratgehalte im Trinkwasser die Bildung carcinogener Nitrosamine im menschlichen Körper fördern.

Im Medium Luft steigt die Konzentration derjenigen Schadstoffe an, die für zukünftige Klimaveränderungen verantwortlich gemacht werden (s. S. 7); langfristig dürfte die regionale und globale Beeinflussung des Klimas durch Luftverunreinigung eine ernste Gefahr darstellen. Allerdings wird sich die Situation bei einigen zur Zeit im Vordergrund der Diskussion stehenden Emissionsproblemen — Schwefeloxide, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, Stäube aus stationären Quellen, Autoabgase — dank der technischen Entwicklung entschärfen, insbesondere dann, wenn eine wirksame Politik betrieben wird. Bei der großen und noch wachsenden Zahl von Einzelstoffen, die emittiert werden und die ggf. in der Atmosphäre physikalischen und chemischen Prozessen sowie Transportphänomenen unterliegen, kommt der zukünftigen Überwachung der Luftverunreinigung wesentliche Bedeutung zu; das gilt für die Stoffe selbst wie für die Aufklärung potentieller Schadwirkungen, auch im Hinblick auf Kombinationswirkungen.

Im Bereich der Lebensmittel besteht die Gefahr einer Verschlechterung der Rückstandssituation bei heimischen Pflanzenprodukten, die sich aus folgenden Tendenzen und Gegebenheiten herleiten läßt: Im landwirtschaftlichen Bereich muß in den kommenden Jahren immer noch mit einer Steigerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes gerechnet werden, da der konventionelle Landbau auf die zunehmende Resistenz der Schädlinge und auf das Auftreten neuer Schädlingstypen bisher mit keinen anderen Abwehrstrategien reagiert als dem Einsatz neuer und/oder stärker dosierter Pflanzenschutzmittel oder häufigerem Einsatz. Die Verwendung verschiedener Mittel hinter-B oder nebeneinander führt dabei zu der Situation, daß zwar die zulässige Rückstandsmenge des einzelnen Pflanzenschutzmittels eingehalten wird, die — nicht reglementierte — Summe der Einzelrückstände aber stark ansteigt. Das erscheint besonders bedenklich, weil über mögliche Kombinationseffekte von Pflanzenschutzmittelrückständen beim Menschen kaum Aussagen vorliegen. Daher sollte an eine gesetzliche Regelung der „Summenrückstände" gedacht werden. Vor allem aber sind toxikologische Untersuchungen über Kombinationseffekte zu fördern, um die fachlichen Grundlagen für eine Abschätzung der Belastungssituation des Menschen zu verbessern.

Neben dem Vorkommen in anderen Umwelt-bereichen ist das Auffinden carcinogener Nitrosamine in Lebensmitteln besonders bedeutsam. Die bisher gemessenen Mengen solcher Stoffe, insbesondere in gepökelten (d. h. nitritbehandelten) Fleischwaren, sind niedrig (im Mikrogramm/kg-Bereich); im Hinblick auf die ungewöhnlich starke biologische Wirkung dieser Stoffe sind Maßnahmen zur Risikoverminderung aber dringend geboten. Diese sind auch durchführbar. Das Nitrosaminproblem hat einen zusätzlichen Aspekt: Diese Carcinogene können sich auch im menschlichen Organismus selbst aus Vorstufen bilden. Nitrosier-bare Amine und Nitrosierungsmittel als derartige Vorstufen sind in der Nahrung als natürliche Bestandteile, als Verunreinigungen (z. B. nitrosierbare Pestizide) oder als bewußte Additive (Nitrit und Nitrat) weit verbreitet. Besonders die Nitrat-Belastung des Menschen über pflanzliche Nahrungsmittel, deren Nitratgehalt durch starke Stickstoff-Düngung erhöht wird, und über Trinkwasser ergibt Probleme, die erst durch jüngste Forschungsergebnisse erkennbar wurden und nicht sofort lösbar sind. Hier muß eine Präventionsstrategie über längere Zeiträume geplant und durchgeführt werden. Umweltchemikalien und Ökosysteme Im Bereich der Landökosysteme der Bundesrepublik Deutschland wird die Belastung durch Immissionen industrieller Herkunft bei Vollzug der Immissionsschutzgesetzgebung, pauschal betrachtet abnehmen, setzen wir einen wirksamen Vollzug voraus. Das schließt nicht aus, daß auch künftig im unmittelbaren Umkreis von einzelnen Industrieanlagen, an Verkehrswegen oder in Städten Schadstoffkonzentrationen auftreten können, die für einzelne Pflanzen-und Tierarten schädigend sind. Darüber hinaus besteht weiterhin die Gefahr, daß auch bei niedrigen Immissionen bei einzelnen Arten Schadeffekte durch Anreicherung von

Stoffen in Nahrungsketten auftreten, ohne daß eine sich verschärfende Gefahr erkennbar ist. Sollten die im nächsten Abschnitt geschilderten anthropogenen Klimaveränderungen tatsächlich eintreten, wären auch die Ökosysteme strukturell und funktionell erheblichen Wandlungen unterworfen.

Für den Komplex Ökosystemund Arten-schutz wird die Belastung durch Pestizide, vor allem durch Herbizide und Fungizide zunehmende Bedeutung erlangen; auf die steigende Tendenz des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in der Landwirtschaft wurde bereits hingewiesen. Hinzu tritt ein wachsender Verbrauch in Stadtgärtnereien, Kleingärten und bei Verkehrsträgern. Diese Zunahme ist bei der zu erwartenden Beibehaltung des bisherigen Trends einmal in einer — allerdings nicht mehr sehr umfangreichen — Vergrößerung der behandelten Fläche und zum anderen im erhöhten Einsatz einzelner Pflanzenschutzmittel bzw. Zunahme der Zahl der Mehrfachbehandlungen zu sehen.

Die sich abzeichnende Tendenz zum vermehrten Einsatz von Herbiziden in Forstwirtschaft und bei Pflegemaßnahmen in der Landschaft ist aus der Sicht des Ökosystemschutzes besonders bedenklich. Eine Lösung dieses Problems bringt im forstlichen Bereich der verstärkte Einsatz mechanischer Unkraut-und Strauchbekämpfung, der freilich mit erhöhtem Arbeitskräfteeinsatz verbunden ist. Im Bereich der Landschaftspflege ist vor allem an extensive Beweidung zu denken, wenn es um das Offenhalten bestimmter Areale geht. Wenn hier keine Alternativen zur Anwendung von Herbiziden bestehen, sollte man auf das Konzept des Offenhaltens, d. h. die Verhinderung der natürlichen Waldentwicklung, verzichten. Die binnenländischen Gewässer dürften durch die erfolgten und eingeleiteten Sanierungsmaßnahmen mittelfristig eine Entlastung von Abwässern erfahren. Bleibende Gefahren stellen die Nährsalzfrachten dar, die auch nach Errichtung von biologischen Kläranlagen in erheblichen Konzentrationen anfallen.

Die vom Land ausgehende Verschmutzung hat langfristig wirkende nachteilige Folgen für den Schadstoffgehalt von Meeren und der davon ausgehenden Anreicherung in Nahrungsketten. Auch wirkt sich die zunehmende wirtschaftliche Nutzung der Meere, z. B. die Erdölförderung und der Schiffsverkehr, ökologisch nachteilig aus. Der Rat wird sich zu einigen dieser Fragen in seinem geplanten Nordsee-gutachten äußern.

Anthropogene Veränderungen von Klima und Lebensbedingungen

Die vom Menschen schon vor Jahrtausenden eingeleitete Klimabeeinflussung durch Umwandlung von Wäldern in Grasland oder Acker und — bei falscher Landbewirtschaftung — in Wüste sind im globalen Maßstab weiterhin wirksam. Glücklicherweise leistet die Bundesrepublik zu diesem Prozeß keinen direkten Beitrag; gleichwohl kann es ihr nicht gleichgültig sein, wenn eine Umwandlung der tropischen Regenwälder in landwirtschaftlich genutzte Flächen auf längere Sicht zu einer weiteren langsamen Abkühlung und zu wesentlichen regionalen Klimaeffekten führen. Gerade an diesem Beispiel zeigen sich die Zusammenhänge von ökologischer Veränderung und wirtschaftspolitischen Problemen besonders deutlich. Die theoretisch mögliche globale Abkühlung wird allerdings durch die im folgenden zu schildernden Prozesse wahrscheinlich kompensiert; zumindest wird der Trend unschärfer.

Die Beeinflussung des Klimas durch Spuren-gase, die infolge menschlicher Aktivitäten in die Atmosphäre emittiert werden, kann in der Zukunft erhebliche Bedeutung erlangen. Auch hier handelt es sich um globale Prozesse, an denen aber im Unterschied zur Waldzerstörung die Bundesrepublik Deutschland als hochindustrialisiertes Land wesentlich mitwirkt. Die Prognose einer Klimaveränderung im Sinne einer globalen Erwärmung gründet sich auf den Glashauseffekt, den bestimmte Spurengase in der Atmosphäre bewirken können. Hierzu gehören u. a. CO 2, Chlorfluor-methane (Treibgase in Sprühdosen), Methan, Ammoniak und Distickstoffoxid (NO), das unter bestimmten Bedingungen bei bakteriellen Lebensprozessen im Boden in größerem Umfang aus Nitratdünger entstehen kann; alle genannten Verbindungen nehmen stetig zu, und es ist mittelfristig keine Trendänderung, zumindest keine Verminderung zu erwarten. Insbesondere der COg-Gehalt dürfte bei Fortsetzung des gegenwärtigen Trends im Verbrauch fossiler Brennstoffe wesentlich zunehmen. Auch Aerosolpartikel verstärken den Glashauseffekt, so daß auch dieser Seite der Luftverunreinigung steigende Aufmerksamkeit zukommen muß.

Eine früher vertretene Theorie, nach der Verschmutzung der Atmosphäre mit Staub zu Temperatursenkungen führe und damit den Glashauseffekt kompensiere, ist nach neueren wissenschaftlichen Ergebnissen nicht haltbar.

Der Glashauseffekt dürfte sich als Temperatur-zunahme zunächst wie bisher vorwiegend lokal konzentrieren (Großstädte, Industriegebiete) ; bei gleichbleibender CO 2-Zunahme kann jedoch im Zusammenspiel mit den gleichsinnig wirkenden anderen Spurengasen eine merkliche Zunahme der globalen Temperatur eintreten. Die Konsequenzen eines solchen Prozesses sind im einzelnen nicht über-schaubar; gleichwohl läßt bereits die Möglichkeit des Abschmelzens arktischer Eismassen und die Wahrscheinlichkeit der Verschiebung der bisherigen Klimazonen ein weiteres Ansteigen des COg-Gehaltes als gefährlich erscheinen. Es muß mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß unter diesem Aspekt der steigende Verbrauch fossiler Brennstoffe risiko-reich ist.

Die bekannten Fakten legen schon jetzt die Notwendigkeit nahe, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Diese sind zu einem größeren Teil international notwendig, da z. B. die CO 2-Emis-sion der Bundesrepublik Deutschland nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der globalen Emissionen ausmacht. Die Überlegungen zur Senkung der COg-Emission greifen in die Energiepolitik über. Zur Minderung der Chlorfluormethanemissionen sind vornehmlich Aktionen der wichtigsten Industriestaaten nötig.

ökologische Katastrophen, die zur Zerstörung des menschlichen Wirtschafts-und Lebensraumes in ganzen Regionen geführt haben, gab es in historischer Zeit mehrfach. Dies gilt z. B. für den istrischen und dalmatinischen Karst sowie für weitere Randzonen des Mittelmeer-raumes. Hier reagierten empfindliche Ökosysteme des mediterranen und semiariden Klimabereichs auf Übernutzung mit großflächiger Bodenerosion und damit mit Verlust der Bodenfruchtbarkeit. Die Betrachtung der durch Topografie und Klima gemilderten Umwelt-probleme Mitteleuropas darf nicht den Blick darauf verstellen, daß auch heute noch in anderen, vor allem trockenen Klimazonen unter starkem Bevölkerungsdruck ökologische Eingriffe mit z. T. katastrophalen Auswirkungen stattfinden.

Nutzungsänderung und ökologisch schädliche Landnutzung

Störung und Zerstörung von Ökosystemen durch Landnutzung Die gegenwärtige starke Belastung naturnaher Ökosysteme in der Bundesrepublik Deutschland durch Nutzungsänderungen, die als eine entscheidende Ursache für den fortschreitenden Artenschwund bei Pflanzen und Tieren gelten müssen, wird auch mittelfristig erhalten bleiben, da sich trotz einiger Verbesserungen keine entscheidende Tendenzwende in der Raumplanung und Verkehrswegeplanung erkennen läßt. Dabei ist und bleibt der wesentliche Störfaktor nicht die absolute Flächenbeanspruchung durch Verkehrswegebau, Siedlungen, Industrie, Landwirtschaft und Erholung; entscheidend ist vielmehr die Nutzung am ökologisch falschen Platz. Immer wieder, und auch da ist trotz zugestandener positiver Entwicklungen kein genereller Tendenzwandel zu erkennen, werden Verkehrswege in wertvolle Landschaftsgebiete, durch Naturschutzgebiete oder in unmittelbare Nähe dieser Gebiete gelegt. Immer noch läuft — wenn auch mit verringerter Intensität — die Melioration von kleinen Feuchtgebieten ab, oder es werden durch Flurbereinigung außerhalb landwirtschaftlicher Kerngebiete Biotope mit wertvollem Arteninventar vernichtet. Bei der ohnehin starken Dezimierung der ökologisch wertvollen Kleinareale kommt den genannten Maßnahmen auch bei eingeschränkter Intensität Bedeutung zu.

Bedenklich erscheint aus ökologischer Sicht auch die Entwicklung auf dem Erholungssektor. Dies betrifft die rücksichtslose Verbauung ökologisch wertvoller Räume, z. B. Ostsee-küste, Bodensee, Alpentäler. Durch Aufschließung von Gebieten, zum Beispiel innerhalb der an sich begrüßenswerten Naturparks, ist der Publikumsverkehr in Zonen gelenkt worden, die er ohne den aus Naturparkmitteln geförderten Wegebau nie erreicht hätte. Auch der forstliche Wegebau trägt zur Erschließung deutlich bei. Diese Entwicklung setzt sich erkennbar fort; es wird eine wesentliche Aufgabe der Zukunft sein, durch Abschirmung von schutzbedürftigen Biotopen dem Anliegen des Artenschutzes Rechnung zu tragen. Es sollten Möglichkeiten gesucht werden, die berechtigten Interessen des Erholungsuchenden und die ökologischen Notwendigkeiten zu vereinen. Ein wesentliches Hilfsmittel dürfte die Verbesserung der ökologischen Allgemeinbildung sein, ohne die beispielsweise das Verständnis für die Schonung geschützter Lebens-gemeinschaftennicht geweckt werden kann. Auf jeden Fall erscheint das bisher verfolgte Ziel einer allgemeinen Öffnung der Wälder für jedermann überprüfungsbedürftig.

Für den Bereich Arten-und Naturschutz dürfte eine sich fortsetzende Entwicklung von Bedeutung sein, die bei der Einrichtung von Naturschutzgebieten zu beobachten ist. Schutzgebiete sind vielfach so klein, daß ein wirksamer Schutz der dort lebenden Arten nicht gewährleistet ist. Das gilt vor allem für Feuchtstandorte, die z. B. durch benachbarte Straßenbauten gefährdet werden, da diese eine tiefgründige Entwässerung einschließen. Die Beispiele sollen nicht vermehrt werden; wichtig ist aber, daß sich die Tendenz zur Einrichtung kleiner Schutzgebiete verstärkt, weil diese schon auf unterer Verwaltungsebene eingerichtet werden können, während größere Areale einer Genehmigungspflicht auf höherer Ebene bedürfen, wobei oft Schwierigkeiten auftreten. Gerade hier ist die Notwendigkeit einer gezielten ökologischen Planung ein wesentliches Zukunftsziel; Orientierungshilfe sollte eine Biotopkartierung bzw. eine Liste der gefährdeten Ökosysteme sein, an der z. Z. gearbeitet wird.

Landbewirtschaftung und Okosystemschutz Form und Intensität der Landbewirtschaftung haben bedeutsame Auswirkungen auf den Biotop-und Artenschutz. Es ist eine wesentliche Aufgabe der Umweltpolitik, die mögliche ökologische Rolle alternativen Landbaus im Rahmen eines umfassenden Okosystemschutzes durch breit angelegte Untersuchungen zu überprüfen. Wahrscheinlich läßt sich in ausgewählten Gebieten neben der Erzeugung fremdstoffarmer Nahrungsmittel eher eine ökosystemfreundlichere Landbewirtschaftung erreichen, als es in den landwirtschaftlichen Kerngebieten mit konventionellen Produktionsmethoden der Fall ist.

Der Rat weist nachdrücklich darauf hin, daß zwischen den hier angeschnittenen Bereichen und den hier vorstehend behandelten enge Zusammenhänge bestehen. So könnten alternative Landbaumethoden durch Minderung des Nitratdüngereinsatzes die Belastung der Gewässer durch Nitrat senken, und damit die Gefährdung des Menschen durch hohe Nitratgehalte in Trinkwasser oder Nahrung und schließlich die Minderung der Stickoxidpro-duktion aus bakterieller Veratmung von Nitrat bewirken.

Einige Rahmenbedingungen für die Umweltpolitik

Linien gesellschaftlich-industrieller Entwicklung Umweltpolitik vollzieht sich auf dem Hintergrund realer Rahmenbedingungen, die sie zu berücksichtigen hat und nur in Grenzen ändern kann. Einige dieser Linien sind aufzuführen; sie reichen von der demographisch-industriellen Entwicklung über allgemeine politische Entwicklungen bis zu energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Der Trend der Bevölkerungsentwicklung ist nach den vorliegenden Daten für das nächste Jahrzehnt recht gut prognostizierbar. Die Raumordnungsprognose 1990 rechnet mit einem Bevölkerungsrückgang von 2, 4 Millionen Einwohnern zwischen 1974 und 1990. Ob damit allerdings auch die Gesamtbelastung durch anthropogene Einflüsse entsprechend zurückgeht, ist ohne zusätzliche Indikatoren nicht zu schätzen. Uber diese Entwicklung läßt sich für einen derart langen Zeitraum keine gesicherte Prognose machen. Immerhin dürfte die Aussage erlaubt sein, daß die Bedeutung der Bevölkerungszahl für die Umweltbelastung relativ zurückgeht.

Damit sind jedoch regionale Wanderungen keineswegs ausgeschlossen, wie sie in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben und bis heute anhalten. Sie beeinflussen die Um-weltprobleme, indem sie zusätzlich Ballungsprobleme verschärfen oder die Gefahren ökologisch bedenklicher Landnutzung erhöhen. Ob und in welcher Weise die Umweltpolitik ihrerseits Wanderungsbewegungen beeinflußt, ist bisher nicht untersucht; bei erfolgreicher Luft-und Lärmpolitik könnte sie einen beachtlichen Beitrag zur Revitalisierung der Städte leisten und damit ein Problem lösen helfen, das zu den wichtigsten des nächsten Jahrzehnts gehören wird.

Die Relationen von primärem, sekundärem und tertiärem Sektor in der Volkswirtschaft werden sich in absehbarer Zeit nicht gravierend ändern; der Strukturwandel hat sich insbesondere in letzter Zeit spürbar verlangsamt. Der Schrumpfungsprozeß im Primärsektor ist weitgehend beendet, bei der Kohle zeichnet sich sogar eine gewisse Trendumkehr ab. Der Industriebereich wird wohl nicht entscheidend schrumpfen, während der tertiäre Sektor in seinen Expansionsmöglichkeiten offensichtlich überschätzt worden ist.

Daher werden wahrscheinlich innersektorale Probleme für die Entwicklung des Umweltschutzes entscheidend werden. a) Die Produktionsreserven in der Landwirtschaft sind nach Meinung der Experten nach wie vor hoch; die Landwirtschaft bleibt daher für die Umweltpolitik ein ambivalenter Faktor.

b) Eine Ausweitung der Energiegewinnung aus Kohle bringt weitere Belastungen mit SO 2 und anderen Emissionen, evtl, auch eine Belastung der Umwelt durch den Treibhaus-CO 2-Effekt.

c) Im industriellen Bereich werden einzelne stark umweltbelastende Branchen in den nächsten Jahren ihre Produktionskapazität kaum weiter erhöhen, weil ihre Kapazitätsreserven groß sind (Eisen, Erdöl) und sich die Rohstoffsituation verschlechtert. Im anderen Bereich wird sich zeigen, ob hier neuen, umweltfreundlichen Technologien der Durchbruch gelingt (Chemie). Insgesamt geht der Rat davon aus, daß eine sich weiterentwickelnde Technologie auf absehbare Zeit der Hauptfaktor für die Bewältigung der Umweltprobleme sein wird. Er sieht dabei jedoch mit Sorge, daß die Bewertung des Beitrages der Technologie in weiten Kreisen der Bevölkerung immer kontroverser wird und kaum noch konsensfähig zu sein scheint. Das immer häufiger zu beobachtende Desinteresse an naturwissenschaftlichem und ökonomischem Grundwissen gehört in diesen Zusammenhang. Wie sehr ökonomische Entwicklung und ökologische Be-und Entlastung Zusammenhängen, zeigt sich am Beispiel der Reisewelle. Solange unsere Devisensituation eine Reisetätigkeit des bisherigen Ausmaßes erlaubt, solange wird die Belastung unserer heimischen Ökosysteme entsprechend gemildert. Ökonomische Leistungsfähigkeit bewirkt daher auch ökologische Verlagerung, die zudem mit ökonomisch positiv zu beurteilenden Verteilungseffekten Hand in Hand geht.

Wie stark und wie nachhaltig reale Bedingungen der Umweltpolitik in Zukunft von Meinungen und Verhaltensstrukturen beeinflußt werden, kann nur als offene Frage formuliert werden. Für die heutige Generation einschließlich älterer Jugendlicher gilt die in vielen Umfragen immer wieder erhärtete These, daß sie bereit ist, für eine Verbesserung der Umwelt Opfer zu bringen. Die Grenzen dieser Bereitschaft sind gegenwärtig noch nicht erreicht. Ob diese günstige Bewußtseinslage auch in den nächsten Jahrzehnten anhalten wird, läßt sich nicht beurteilen, da das Ent9 stehen langfristiger Veränderungen von Meinungen und Einstellungen durch einen Wertwandel oder das Nachrücken neuer Generationen nicht vorhersagbar ist. Hier wirken verschiedene Kräfte in unterschiedlichen, z. T. entgegengesetzten Richtungen, die sich zudem schichtenspezifisch andersartig auswirken können.

Die Einführung umweltpolitischer Themen in Schulbücher und Schulunterricht wird sich langfristig wahrscheinlich positiv auswirken.

Auch dürfte in Teilen der heranwachsenden Generation Umweltpolitik ein wichtiger Ansatzpunkt ihres persönlichen Engagements bleiben. Allerdings sind auch nachteilige Entwicklungen denkbar. Hierzu gehören beispielsweise bestimmte gesellschaftspolitische Vorstellungen, die in der Politik das Wirken anonymer Kräfte oder von Verschwörungen (Monopolkapital etc.) sehen, die alle Bereiche und damit auch die Umweltpolitik steuern. Eine Beeinflussung von Umweltpolitik durch persönliches Engagement erscheint den Vertretern dieser Auffassungen infolgedessen sinnlos. Aus diesen Vorstellungen entsteht eine Art Umweltpessimismus, wie man ihn gelegentlich an durchaus verschiedenen Stellen des politischen Spektrums und auch des Kulturbetriebs finden kann. Er verstärkt eventuell vorhandene Neigungen zum Rückzug aus der Politik und kann damit langfristig ähnlich wirken wie der Trend zur Polarisierung zwischen ökonomisch-technologischem und radikal-lebensreformerischem Denken. Beide Tendenzen engen die Betätigungsmöglichkeit vernünftiger Umweltpolitik ein, die den Interessenausgleich im Kompromiß sucht und Ziel-orientierung dem Pragmatismus des heute

Möglichen verbindet.

Zur europäischen Gemeinschaft Die Bundesrepublik verfolgt ihre Umweltpolitik in enger Zusammenarbeit mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft. Insbesondere das dem EG-Vertrag zugrunde liegende Ziel der Vermeidung von Wettbewerbs-verzerrungen hatte im Verlauf der letzten Jahre zu einer wachsenden Koordinierung der nationalen Umweltpolitik der Mitglieder und zu den ersten Anfängen einer Umweltpolitik der Gemeinschaft geführt. Ob sich jedoch dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzen wird, muß wegen der Erweiterung der EG um weitere Mitglieder mit einiger Skepsis beurteilt werden. Schon der Beitritt Großbritanniens erwies sich umweltpolitisch eher als nachteilig, da Großbritannien große Anstrengungen unternahm, den „umweltpolitischen Standortvorteil" zu erhalten, der in der Verfügbarkeit der Nordsee und des Atlantik als Vorfluter für seine Abwässer besteht. Die Formulierung einer gemeinschaftlichen Gewässerschutzpolitik wurde dadurch erheblich erschwert.

Die innere Heterogenität der Gemeinschaft dürfte durch den geplanten Beitritt Griechenlands, Portugals und Spaniens weiter verstärkt werden, da es sich bei diesen um Länder mit z. T. weniger entwickelter Wirtschaftsstruktur handelt. Umweltpolitisch betrachtet könnte das den Trend zum kleinsten gemeinschaftlichen Nenner verstärken und damit zu einer Verminderung gemeinschaftlicher Umwelt-Standards führen. Für EG-Mitglieder wie die Bundesrepublik Deutschland mit einer hohen Belastungsdichte bedeutet dies, daß sie in den kommenden Jahren aus nationalen umwelt-politischen Gründen auf einigen Gebieten ihre Umweltpolitik verschärfen müssen, ohne auf eine perfekte Abstimmung in der EG warten zu können.

Zu den globalen Rahmenbedingungen In dem Maße, in dem sich die Gefahren für das Klima, den Strahlungshaushalt der Erde und die Weltmeere vermehren, stellt sich die Frage global wirksamer Bekämpfungsmaßnahmen zunehmend dringlich. Beim derzeitigen Stand der Weltpolitik und der heterogenen Wirtschaftsund Sozialstrukturen der Länder der Welt wäre es jedoch unrealistisch, allzu große Hoffnungen auf gemeinsame Maßnahmen etwa im Rahmen der Vereinten Nationen zu setzen. Es gibt allerdings einen Bereich, wo allgemeine Ansätze nicht nur nötig, sondern auch möglich sein dürften, nämlich die Erhebung und der Austausch von Daten, wie sie von UNEP (United Nations Environmental Program) versucht wird. Eine Reihe von Ländern kooperieren hier aus Gründen eines kurzfristig konzipierten Eigeninteresses in freilich noch ungenügendem Maße. Eine bessere Kenntnis der relevanten Umweltdaten im weltweiten Maßstab ist die Voraussetzung für eine effektive Forschung über geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung globaler Gefahren. Die Bundesrepublik Deutschland und die mit ihr befreundeten Staaten sollten ihre Anstrengungen verstärken, andere Staaten zur vollen Mitarbeit an den Datenerhebungsprogrammen der UNEP zu bewegen.

Der überwiegende Teil der globalen, aus Umweltverschmutzung rührenden Gefährdungen wird von den Industrieländern erzeugt. Wenn diese die Emissionen relevanter Schadstoffe vermindern, so hat dies auch positive Folgen auf weltweiter Ebene. Aus diesem Grunde wären die Industrieländer der OECD-Region, die eine Tradition der Zusammenarbeit entwickelt haben, gut beraten, mehr als bisher eine Politik bewußter Parallelen von Umwelt-standards in den global relevanten Bereichen zu versuchen, wie z. B. bei Treibgasen in Sprühdosen. Eine solche Abstimmung auf freiwilliger Grundlage hätte im übrigen die zusätzliche positive Wirkung, umweltpolitisch begründete Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Daß dabei für dritte, im allgemeinen wirtschaftlich schwächere Länder „free rider" -Positionen entstehen, dürfte durch die globalen und regionalen positiven Effekte von Maßnahmen der OECD-Länder mehr als kompensiert werden.

Energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen Unter den allgemeinen Rahmenbedingungen nimmt die Energiewirtschaft eine besondere Rolle ein: Mit der sprunghaften Preiserhöhung für Erdöl im Herbst 1973 wurde die für fossile Energieträger grundsätzlich gegebene Erschöpfbarkeit so deutlich gemacht, daß Konsequenzen daraus gezogen werden müssen. Damit wurden erstmals für wichtige Teilbereiche der Wirtschaft konkrete Wachstumsgrenzen deutlich; dies hat um so tiefgreifendere Wirkungen, als es sich um denjenigen Energieträger handelt, der die energiewirtschaftliche und damit industrielle Expansion der vergangenen zwei Jahrzehnte vornehmlich bestimmt hat.

Energieeinsparungen und weltwirtschaftliche Rezession haben in der Folgezeit den Verbrauch von Primärenergie zunächst zurückgehen lassen. Dadurch entstand eine paradoxe energiewirtschaftliche Situation, in der die Erwartung mittel-und langfristiger Verknappung begleitet ist von reichlichem Energie-angebot und ausgeprägtem Erlösverfall wegen nicht hinreichend ausgelasteter Kapazitäten. Verschärft wird die politische Lage durch die Beschäftigungsprobleme; diese will man durch ein Wirtschaftswachstum lösen, das nicht durch Energieengpässe gehemmt wird. Zugleich aber hat die ursprünglich angestrebte Strategie des forcierten Ausbaus der Kernenergie Widerstände in der Bevölkerung ausgelöst; über die Bewertung der Risiken der Kernenergie besteht nach wie vor keine Übereinstimmung. Die Energiepolitik muß daher künftig ihre Ziele — Sicherung der Energieversorgung, — kostengünstige Energieversorgung der Volkswirtschaft, — Umweltfreundlichkeit der Energieversorgung unter erheblichen und zum Teil grundsätzlich nicht behebbaren Unsicherheiten anstreben.

Es muß daher ihre Aufgabe sein, möglichst viele Optionen offen zu halten und die energiewirtschaftliche Anpassungsfähigkeit zu erhöhen. Dies kann durch Diversifikation, Dezentralisierung und Innovation geschehen.

Energieströme und Stoffumsätze sind wesentliche Elemente eines jeden Ökosystems; daher ist der Energieumsatz für die Umwelt von großer Bedeutung. Nicht nur bedeutet jede Veränderung von Energieströmen einen Eingriff in die Umwelt, die technische Nutzung von Energie ist vielmehr zugleich die Voraussetzung für die heute vorliegende Intensität der Veränderung der Umwelt durch den Menschen. Die Energienutzung beeinflußt jedoch auch ganz konkret die Umwelt, und zwar insbesondere durch die mit jeder Energienutzung verbundene Abwärme, das bei Verbrennungsprozessen freigesetzte CO, sowie die Stäube und Schadgase, die quantitativ und qualitativ einen bedeutenden Anteil an der allgemeinen Luftverschmutzung haben.

Für den Wohlstand einer Volkswirtschaft sind nicht die umgesetzten Energiemengen, sondern die damit erbrachten Leistungen (Sachgüter, Transporte, Raumklima), die man als Energiedienstleistung zusammenfaßt, eine wesentliche Schlüsselgröße. In die Energiedienstleistung gehen dabei stets sowohl Energie als auch Sachkapital und Arbeit nicht zuletzt als Know-how ein. Die jeweiligen Anteile dieser drei Größen sind nicht vorgegeben. Sie stellten sich vielmehr aufgrund der langfristigen Kostenrelationen ein und verändern sich mit diesen. Damit ist auch der Elastizitätskoeffizient zwischen Primärenergie und Bruttosozialprodukt keine Konstante, sondern eine Variable. In der Bundesrepublik Deutschland war er beispielsweise in den fünfziger Jahren wesentlich niedriger als in den sechziger und beginnenden siebziger Jahren. Aus dem gleichen Grunde folgt, daß die Relation zwischen Energieverbrauch (einschl.der Verbrauchstruktur) und Bruttosozialprodukt für verschiedene Wirtschaften sehr unterschiedlich sein kann; dies ist auch empirisch nachgewiesen (USA, Bundesrepublik Deutschland, Schweden). Energiepolitik hat die Möglichkeit, zwischen drei Grundstrategien und deren Kombinationen zu wählen. Sie muß diese Wahl unter Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen und umweltpolitischen Zielsetzungen treffen: 1. Strategie: Erschließung neuer Primärenergiequellen 2. Strategie: Rationelle Energienutzung 3. Strategie: Verzicht auf Energiedienstleistungen. Die beiden ersten Strategien erfordern den Einsatz von Arbeit, Kapital und Energie. Beide Strategien verursachen die niedrigsten Kosten, solange die Volkswirtschaft über ungenutzte Kapazitäten verfügt und die Energiepreise noch relativ günstig sind, d. h. in einer Situation, wie sie gegenwärtig gegeben ist.

Unter umweltpolitischen Gesichtspunkten sind diese drei Grundstrategien unterschiedlich zu bewerten. Die dritte Strategie ist eindeutig positiv, solange sie nicht soweit getrieben wird, auch die energetischen Aufwendungen für Umweltschutzmaßnahmen ebenfalls einzuschränken. Die zweite Strategie ist unter um-weltpolitischen Gesichtspunkten ebenfalls zu begrüßen, da sie die Belastungen durch Abwärme und Kohlendioxid verringert. Die Strategie der Expansion des Primärenergieangebots dagegen ist unter Umweltgesichtspunkten zunächst ungünstig zu bewerten; erst die Durchführung strenger Umweltschutzmaßnahmen muß sie in jedem einzelnen Fall mit dem Umweltschutzziel kompatibel machen. Einen besonders schwierigen Sonderfall stellt dabei die Kernenergie dar, da sie auch unter Umweltgesichtspunkten ambivalent bewertet werden kann. Die Nutzung der regenerativen Primärenergiequellen (Sonnenenergie, Wind) muß ebenfalls unter Berücksichtigung ihrer Umweltkonsequenzen erfolgen; vielfach sind diese jedoch vergleichsweise weniger bedenklich als die Nutzung traditioneller Energiequellen auf herkömmliche Weise.

Unter Umweltgesichtspunkten mißt der Rat der rationellen Energienutzung besondere Priorität zu. Studien, nach denen bis zum Jahre 2000 15% bis 20% des Energieverbrauchs auf diese Weise eingespart werden können, zeigen, welche wirtschaftliche und politische Bedeutung der Energieeinsparung zukommt.

Auch die Erschließung regenerativer Energiequellen dürfte langfristig von wachsender Bedeutung sein. Der Rat unterstreicht, daß damit nicht nur die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland leichter und sicherer gemacht wird, nicht nur die notwendigen Investitionen in eine Zeit mangelnder Beschäftigung und günstiger Energiepreise verlegt werden können, sondern auch zukunftssichere Märkte erschlossen werden. Der Rat erkennt an, daß durch die öffentliche Forschungsförderung bedeutende Fortschritte zugunsten dieser Strategien erreicht werden konnten. Im Rahmen der allgemeinen Politik der Offenhaltung von Optionen sollten neue Technologien weiter gefördert werden und auch Schritte zu Demonstrationsanlagen möglichst bald erfolgen.

Angesichts der Planungsund Bauzeit konventioneller Kraftwerke (etwa 5 Jahre), von Kernkraftwerken (etwa 8 Jahre); von Kohleschächten (etwa 10 Jahre) muß die Energiepolitik auf der Angebotsseite heute auf die Situation nach 1985 abgestimmt werden, d. h. aber auf jenen Zeitpunkt, für den die gegenwärtigen Prognosen eine deutliche Verknappung von Erdöl vorhersagen. Rationelle Energienutzung dagegen läßt sich in vielen Fällen sehr viel rascher realisieren. Der Rat wird sich mit den Zusammenhängen zwischen Energie-und Umweltpolitik in einem Sondergutachten auseinandersetzen.

Probleme des politischen Prozesses

Zieldivergenz und Interessenausgleich Das politisch-administrative System der Bundesrepublik hat bisher eine bemerkenswerte Flexibilität bewiesen, mit der es auf neue Probleme, Krisensituationen und Bedürfnisse reagiert hat; es hat dadurch große Zustimmung über weite Bereiche der Zielbestimmung und der konkreten politischen Maßnahmen erreichen können. Gerade die Umweltprobleme haben jedoch in den letzten Jahren die allgemeine Übereinkunft über grundlegende Wert-positionen und Zielvorstellungen an manchen Stellen brüchig werden lassen.

Der Rat wies bereits darauf hin, daß sowohl die Beurteilungen der Umweltgefährdung als auch die Bewertung des Technologiebeitrages zur Lösung des Umweltproblems sowie der notwendigen Anpassung wirtschaftlicher Strukturen so kontrovers geworden sind, daß Rolle und Bedeutung der Umweltpolitik im Verhältnis zu anderen Teilbereichen der Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik kaum noch konsensfähig zu sein scheinen: Die Diskussion um „Lebensqualität" und „qualitatives Wachstum" und um die wirtschaftlich-sozialen Inhalte und Auswirkungen dieser Konzeptionen hat zur Ausprägung zweier Extrempositionen geführt, zwischen denen eine rationale Vermittlung immer schwieriger wird. Das ökonomisch-technologische Modell, das im Grundsatz die Dominanz wirtschaftlicher Werte bei-B behält, erkennt zwar die Umwelt als begrenzenden Faktor wirtschaftlicher Entwicklung an, es unterstellt jedoch, daß die technologische Entwicklung das Umweltproblem weitgehend beherrschbar macht. Ihm sind innerhalb der Okologiebewegung lebensreformerische Modelle gegenübergetreten, die eine absolute Priorität von Umweltzielen verlangen und daher folgerichtig eine grundlegende Reform der ökonomisch-sozialen Strukturen im Sinne einer Anpassung an die natürlichen Umweltgegebenheiten fordern. Die zunehmende Polarisierung beider Ansätze erschwert eine Umweltpolitik, aber auch eine Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik der kleinen Schritte; beide extremen Betrachtungsweisen finden sich in allen im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien.

Es kommt hinzu, daß die bisherige rasche Steigerung des allgemeinen Wohlstandes, die gerade den hohen Grad an Konsens und Stabilität gesichert hat, seit einiger Zeit deutlich an ökonomisch-finanzielle und ökologische Grenzen stößt. Stabilisierungserfolge der Vergangenheit wurden vor allem durch eine Politik der Konfliktminderung unter Beibehaltung gewachsener Struktur-und Verteilungsbedingungen erzielt, indem die reale Einkommens-position nahezu aller gesellschaftlicher Gruppen — nicht zuletzt breiter Schichten der Arbeitnehmer und der Rentner — bei wirtschaftlichem Wachstum verbessert wurde. Dazu haben neben Lohn-und Gewinnsteigerungen auch die Ausweitung der Sozialleistungen und die Verbreitung des Angebots an öffentlichen Einrichtungen beigetragen. Der nunmehr offenbar gewordene Zwang zu Umweltschutz und Umweltvorsorge auch im Sinne einer Politik der Sicherung nichtreproduzierbarer Ressourcen kann jedoch mittelfristig nicht ohne Auswirkungen auf das bisherige Politikverhalten bleiben. Wirksamer Umweltschutz muß zu Änderungen bei bisherigen Allokationszielen führen und traditionelle Investitions-und Konsumgewohnheiten verändern. Umweltschutz schafft zwar die Basis für weiteres Wachstum; jedoch bedeutet er zugleich, daß verstärkte Anstrengungen erforderlich sind, um ähnliche Wachstumsraten wie in der Vergangenheit zu erzielen. Zudem müssen sich auch die Vorstellungen von der erstrebenswerten Zusammensetzung des zu erwirtschaftenden „Mehr" ändern. Ob dieses Wachstum dann „niedriger" oder „höher" ist, hängt vom Wertmaßstab ab. Verbesserte Umwelt ist auch ein ökonomisches Gut, das der einzelne allerdings vorwiegend als „öffentliches Gut" erlebt und dem er gewohnheitsgemäß und beim heutigen Stand des Umweltbewußtseins nicht die gleiche Wohlstandswirkung wie einem „privaten Gut“ zuschreibt.

Damit ergibt sich eine neue Verteilungsproblematik: Die Verteilung wird direkt durch die „Kosten" des Umweltschutzes im weitesten Sinne und durch die Verbesserung der Umweltqualität verändert, die die einzelnen Gruppen der Gesellschaft unterschiedlich berührt. Darüber hinaus müssen auch die Zielverluste neu verteilt werden, die mit der absehbaren Verringerung der Wachstumsraten des privat kaufbaren Sozialproduktes einhergehen. Eine solche Veränderung in der Struktur der Nutzen-und Lastenverteilung und in deren Gefolge der Sozial-und Wirtschaftsstruktur bringt zumindest für eine längere Übergangsphase zwangsläufig neue Konflikte hervor. Andererseits verringert sich zusammen mit dem Zuwachs des kaufbaren und verteilbaren Sozialprodukts auch das bisherige Potential zur Konfliktminderung, z. B. in Form von öffentlichen Transfers und Subventionen. Die gesellschaftliche Stabilität wird daher entscheidend davon abhängen, ob und inwieweit es gelingt, Interessen und Ansprüche weniger durch kurzfristige Zugeständnisse über den Staatshaushalt und eine weiterhin unentgeltliche Nutzung von Umweltgütern zu befriedigen, vielmehr die Bereitschaft zu wecken, die Interessen und Ansprüche den neuen Verhältnissen und den tatsächlichen Knappheitsgraden anzupassen. Die Befriedigung der Bedürfnisse muß weit stärker als bisher von einer längerfristigen Sicherung der Lebensgrundlagen geprägt sein. Deshalb wird es darauf ankommen, die Konflikte bereits bei der Formulierung von Langfristzielen zu berücksichtigen, sie bei der Abstimmung über Programm-ziele auszutragen und den eingeengten Ressourcenrahmen zur Durchführung der politisch gewünschten Sachprogramme um so effizienter zu nutzen.

Auch dann wird es allerdings für eine wirksame Umweltpolitik notwendig sein, die von ihr Betroffenen noch früher und intensiver als bisher zu informieren, anzuhören und am Willensbildungsprozeß zu beteiligen. Umweltpolitik wird dann auf eine breitere Zustimmung rechnen können, wenn sie transparenter wird und wenn ihre Entscheidungsprozesse nachvollziehbar werden. Eine frühzeitige und dauerhafte Kooperation zwischen den politisch und administrativ Verantwortlichen und den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen kann dazu beitragen, Konfrontation zu vermeiden und Konflikte bereits „an der Basis" zu entschärfen. „Nur aus der Mitverantwortlichkeit und der Mitwirkung der Betroffenen kann sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen indi13 viduellen Freiheiten und gesellschaftlichen Bedürfnissen ergeben." Der Rat begrüßt es, daß sich die Bundesregierung mit dieser Formulierung bei der Fortschreibung des Umweltprogramms auf eine frühzeitige Berücksichtigung gesellschaftlicher Kräfte im Planungsund Entscheidungsprozeß festgelegt hat. Das damit umrissene „Kooperationsprinzip" bedarf allerdings noch der inhaltlichen Konkretisierung; insbesondere wird es darauf ankommen, seine Bedeutung für den politischen Prozeß einschließlich der Bürgerbeteiligung deutlicher zu umreißen.

Entwicklungsperspektiven für eine rationale Umweltpolitik Vor diesem Hintergrund werden die Entwicklungsperspektiven der Umweltpolitik mittelfristig vor allem von folgenden Faktoren bestimmt: Umweltpolitik wird in Zukunft nicht als isolierte Okologiepolitik, sondern stärker als Bestandteil der gesellschaftlichen Stabilitätspolitik verstanden und betrieben werden müssen. Eine zu hohe Eingriffsintensität der Umweltpolitik gefährdet nämlich die soziale Stabilität durch die damit verbundenen wirtschaftlichen Zieleinbußen ebenso wie ein zu geringes Maß an Umweltschutz. Gerade deshalb muß die Umweltpolitik stärker als bisher einem schrittweisen politischen Abstimmungsprozeß mit ökonomischen und anderen Zielen unterzogen werden, deren Erreichung ebenfalls eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Stabilität darstellt. Aus dem gleichen Grunde werden dabei die Verteilungsfolgen in personaler, räumlicher und sektoraler Hinsicht zunehmend in den Vordergrund rücken. Sie sind nicht nur für die Systemstabilisierung insgesamt, sondern auch für die Unterstützung und Durchsetzbarkeit der Umweltpolitik von entscheidender Bedeutung. Diese Wechselbeziehungen müssen auch bei den Versuchen berücksichtigt werden, die Umweltplanung organisatorisch und technisch zu verbessern. Unter gesellschaftspolitischen Aspekten kommt es zunächst weniger darauf an, ein bestimmtes Umweltplanungsmodell durchzusetzen und institutionell zu verankern, als die politische Funktion einer fachübergreifenden Aufgaben-und Programmplanung zu stärken; dazu gibt es unterschiedliche planungstechnische Ansätze mit unterschiedlichen aufbau-und ablauforganisatorischen und personalstrukturellen Konsequenzen.

In diesem Zusammenhang ist es für die ökologische Effizienz, den gesellschaftspolitischen Rang und die ökonomische Verträglichkeit der Umweltpolitik von Bedeutung, daß ihre Abstimmung mit den übrigen Politikbereichen und deren Zielen und Interessen bereits auf der Ebene operationaler Ziele stattfindet, indem sachlich, räumlich und zeitlich fixierte Qualitätsziele entwickelt und unter Berücksichtigung ihrer positiven und negativen Folgen mit Prioritäten und Posterioritäten versehen werden. Im politischen Abstimmungsprozeß wird sich die Umweltpolitik allerdings nur behaupten können, wenn es ihr gelingt, die allgemeinen Zielaussagen zu konkretisieren und die in vielen Bereichen bisher bestehende „Programmlücke'1 aufzufüllen.

Nur durch eine stärkere Ziel-, Aufgaben-bzw.

Programmorientierung kann die Umweltpolitik ihre langfristige Stabilisierungsaufgabe erfüllen; das bedeutet nicht, Umweltpolitik müsse einem „politischen" Gesamtkonzept folgen;

derartige Ansätze sind in aller Regel nicht vollziehbar. Die Umweltpolitik muß jedoch in höherem Maße ihre unvermeidlich kleinen Schritte auf der Grundlage eines langfristigen Orientierungsrahmens gehen. Die dem Umweltprogramm der Bundesregierung zugrunde liegenden Prinzipien (Vorsorge-, Verursacher-und Kooperationsprinzip) reichen dazu in ihrer bisherigen allgemeinen Form nicht aus, da aus ihnen direkt keine konkreten Folgerungen für Ziele und Instrumente abgeleitet werden können.

Zu den dringendsten Abstimmungsproblemen einer gestaltenden Umweltpolitik zählt die Einbeziehung ökologischer Kriterien in eine Raumgestaltungspolitik. Dazu ist es erforderlich, daß die Raumordnung ihre Konzeption der räumlich-funktionalen Arbeitsteilung ausfüllt und ergänzt; dies gilt insbesondere für die Vorranggebiete, für die Abgrenzungs-und Bewertungskriterien entwickelt werden müssen. Schließlich muß die siedlungsstrukturelle Konzeption des Schwerpunkt-Achsen-Systems auf ihre ökologischen Konsequenzen überprüft und auch auf ihre Anwendbarkeit in Vorrang-gebieten untersucht werden.

Darüber hinaus muß sich aber auch die Umweltpolitik stärker räumlich differenzieren, d. h. sowohl regional unterschiedliche Güte-vorstellungen entwickeln als auch regional differenziert wirkende Programme und Instrumente einsetzen, die den unterschiedlichen Belastbarkeiten und Belastungsvorstellungen Rechnung tragen. Die Möglichkeiten einer Regionalisierung, die sich beispielsweise zum Abwasserabgabengesetz bieten, sind unter diesem Aspekt bisher nicht genutzt worden. Eine Regionalisierung der Umweltpolitik ist jedoch nicht nur aus ökologischen, sondern vor allem aus ökonomischen Gründen unerläßlich. Die Diskussion um die Fortschreibung der TA-Luft (Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft) hat deutlich gemacht, daß schon die strikte Anwendung der derzeitigen Immissionswerte — von einer weiteren Verschärfung ganz abgesehen — in bestimmten hochbelasteten Regionen nach und nach Investitionen bestimmter Branchen verhindert. Dieser in umweltpolitischer Sicht durchaus erwünschte Effekt auf die Branchen-und Regionalstruktur setzt jedoch Vorstellungen über künftige Standort-reserven und -alternativen mit möglicherweise unterschiedlichen Anforderungen voraus, wenn ein Interessenausgleich mit der Wirtschaftspolitik erreicht werden soll. Im übrigen bedeutet Regionalisierung keinen Verzicht auf Mindeststandards.

Angesichts allgemein schrumpfender Finanzierungsspielräume ist auch und vor allem die Umweltpolitik zu einer wirtschaftlicheren Verwendung ihrer Mittel gezwungen, will sie auf Dauer einer Legitimationskrise entgehen. Das hat Konsequenzen sowohl für die umweltpolitische Programmebene als auch für die Einzel-maßnahmen und Instrumente. Auch die Umweltpolitik hat zu berücksichtigen, daß die für sie zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind, begrenzt im Verhältnis zu anderen politisch bedeutsamen Mittelverwendungen, aber auch im Verhältnis der für einzelne Umwelt-medien oder zur Verminderung einzelner eingesetzten Schadstoffe Mittel untereinander. Die Einbettung einer gesellschaftspolitisch orientierten Umweltpolitik in langfristige strukturpolitische Rahmenvorstellungen erscheint auch unter einem anderen Aspekt erforderlich: Die langjährige Vernachlässigung des Umweltschutzes hatte zu einem aufgestauten Nachholbedarf geführt. Zu seiner Deckung ist seit Beginn der „eigentlichen" Umweltpolitik die private Umweltschutzinvestitionstätigkeit durch Gebote und Verbote, durch Abgabenregelungen und öffentliche Subventionen sowie die öffentliche Investitionstätigkeit durch Sonderprogramme und Budgetumverteilungen intensiviert worden. Dies trägt bei anhaltender Tendenz zu einem Kapazitätsausbau der Entsorgungsgüterindustrie und zu einer Kapazitätsauslastung der Bauwirtschaft bei, die konjunkturpolitisch sicher erwünscht, strukturpolitisch aber vor allem dann nicht unproblematisch ist, wenn die Deckung dieses vorübergehenden Nachholbedarfes auf einen allzu kurzen Zeitraum konzentriert wird. Es besteht dann die Gefahr, daß unter kurzfristigen Gesichtspunkten Kapazitäten geschaffen und erhalten werden, die nach der Deckung des Nachholbedarfes und einem relativ abrupten Übergang zu einer Phase erheblich geringeren Bedarfs nicht mehr ausgelastet werden können, soweit sich nicht zusätzliche Exportchancen ergeben. Auch zur Verhinderung der damit u. U. verbundenen wirtschaftlichen Stabilitätsprobleme sind dort, wo es ökologisch vertretbar ist, Stufenlösungen vorzuziehen, die zu einer langsamen Erhöhung von notwendigen und beabsichtigten Umweltanforderungen führen und auch den öffentlichen und privaten Mitteleinsatz gleichmäßiger über die Zeit verteilen.

Dies entspricht auch den Interessen der Umweltpolitik, da sie aus der konjunkturpolitischen Diskussion ausgeklammert und langfristig verstetigend angelegt sein sollte. Um den umweltpolitischen Normadressaten und Investoren eine sichere Kalkulationsgrundlage und Entscheidungsbasis zu bieten, verlangt ein solches Vorgehen allerdings die Transparenz von Stufenlösungen, d. h. langfristig ausgerichtete und gültige Programmziele und -vorgaben, bei denen auch die zeitliche Dimension für die Anpassung abschätzbar wird.

Der Rat weist nochmals auf die Kriterien einer rationalen Umweltpolitik hin. Umweltpolitik muß danach zunächst auf der Planungsebene schrittweise Qualitätsziele festzulegen versuchen; bei ihrer Fixierung und Fortschreibung sind in einem permanenten Rückkopplungsprozeß ihre sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen zu berücksichtigen. Dabei müssen insbesondere Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit räumlicher Differenzierungen überprüft werden. Die politische Entscheidung über Umweltqualitätsziele setzt allerdings voraus, daß die mit der angestrebten ökologischen Verbesserung verbundenen Nutzen und die dafür erforderlichen Kosten von Programmen und Einzelmaßnahmen transparent gemacht werden. Im einzelnen müssen daher bestehende, sich abzeichnende oder vermutete Umweltbelastungen auf ihre sozio-ökonomische Bedeutung untersucht werden. Sind schwerwiegende Beeinträchtigungen wichtiger Produktions-und Konsummöglichkeiten zu erkennen oder zu befürchten, so sind die technisch verfügbaren Maßnahmen zur Vermeidung oder Verminderung von Schäden bzw. zur Qualitätsverbesserung nach ihren Kosten zu ordnen. Die Informationen über die Kosten alternativer Programme und Maßnahmen zur Emissionsverminderung oder vorsorglichen Emissionsvermeidung erlauben dann Aussagen über Ausrichtung, Struktur und Niveau umweltpolitischer Eingriffe. Die Programm-und Instrumentenauswahl erfolgt dann nach dem Kriterium der geringstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten, bezogen auf die jeweils angestrebten ökologischen Ziele. Schließlich kann durch eine Gegenüberstellung der sozio-ökonomischen Nutzen und der volkswirtschaftlichen Kosten unterschiedlicher Grade der Umweltqualität (sverbesserungen) am besten die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit umweltpolitische Eingriffe gerechtfertigt und zweckmäßig sind.

Sinn und Zweck eines solchen Vorgehens, das immer wieder als Norm vorgegeben werden muß, ist es vor allem, den Abstimmungsprozeß zwischen Umweltpolitik und anderen politischen Teilbereichen bereits bei der Ziel-und Programmentwicklung aufzunehmen und ihn nicht erst anhand der Konsequenzen von Einzelmaßnahmen nachzuholen.

Zum Vorsorgeprinzip Eine in diesem Sinne rationale Umweltpolitik umfaßt auch das von der Bundesregierung dem Umweltprogramm bzw.seiner Fortschreibung zugrunde gelegte Vorsorgeprinzip; im Unterschied zum Verursacherprinzip hat sich der Rat mit diesem Prinzip bisher nicht eingehend befaßt. Er beschränkt sich auf einige grundsätzliche Bemerkungen. Die Bundesregierung hat das Prinzip wie folgt umschrieben: „Umweltpolitik erschöpft sich nicht in der Abwehr drohender Gefahren und der Beseitigung eingetretener Schäden. Vorsorgende Umweltpolitik verlangt darüber hinaus, daß die Naturgrundlagen geschützt und schonend in Anspruch genommen werden" (Umweltbericht 76, S. 26). In dieser Definition besagt das Vorsorgeprinzip nur, daß bei allen Entscheidungen ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen, und zwar nicht erst zur Abwehr drohender und zur Beseitigung bereits bestehender Schäden, sondern gerade zur Verhinderung von Entwicklungen, die künftig zu Umweltbelastungen führen können. Vorsorgende Umweltpolitik wäre insoweit eine „vernünftige" Umweltpolitik unter Berücksichtigung von Langfristwirkungen, die ihr bisheriges Defizit an Zielkonkretisierung und Programmkonzeption abbauen muß, dabei jedoch bereits Restriktionen aus anderen Politikbereichen zu berücksichtigen hat.

Das Vorsorgeprinzip umschließt nämlich weder eine Vorentscheidung zugunsten einer bestimmten Eingriffsintensität der Umweltpolitik noch eine Festlegung auf eine bestimmte Strategie: Vorsorgende rationale Umweltpolitik kann sich z. B. sowohl des Gemeinlastals auch des Verursacherprinzips bedienen. Vor allem aber ist keine Priorität für den Umweltschutz in den Fällen festgelegt, in denen zukünftige Umweltgefährdungen vermutet werden; eine solche Vorausentscheidung würde auch der von der Bundesregierung formulierten Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit ökologischer und ökonomischer Ziele widersprechen. Ein Ansatz für eine Verdeutlichung des Prinzips gerade in diesem entscheidenden Punkt könnte sich in einer Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung vom 15. Juni 1972 finden, die auch von der Konferenz der für Umweltfragen zuständigen Minister aufgegriffen wurde. Danach wird der Umweltpolitik stets dann der Vorrang eingeräumt, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse droht oder die langfristige Sicherung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung gefährdet ist.

Das Vorsorgeprinzip bleibt vorerst dennoch inhaltlich und instrumentell unbestimmt. Ohne weitere Operationalisierung kann es allenfalls eine allgemeine konsensbildende Wirkung erzeugen, nicht jedoch die umweltpolitische Entscheidungsfindung erleichtern, da es keine konkrete Entscheidungsalternative ausschließt. Das wird vor allem dort deutlich, wo versucht wird, vorsorgende Umweltpolitik als Politik mit einem höheren Sicherheitsfaktor zu umschreiben. Das müßte — konsequent zu Ende gedacht — nämlich bedeuten, daß im Zweifelsfalle für den Umweltschutz zu entscheiden ist. Das soeben genannte Abwägungsgebot steht dem aber entgegen. Gerade ökonomische Gesichtspunkte können daher offensichtlich auch nach dem Vorsorgegrundsatz zu einer durchaus unterschiedlichen Gewichtung von Restrisiken führen.

Das Vorsorgeprinzip bedarf daher noch der begrifflichen Klärung, um die sich der Rat bemühen wird. Erste Überlegungen könnten darauf abzielen, den Vorsorgegedanken dadurch zu verankern, daß Umweltpolitik bzw. Umweltschutz nicht erst und nicht nur dann erzwungen wird, wenn eine Schadwirkung privaten und öffentlichen Handelns eindeutig nachgewiesen ist, sondern bereits dann, wenn negative Umwelteinwirkungen zu vermuten sind. Auf diesem Wege könnte für die Umweltpolitik eine Umkehrung der Beweislast im politischen Zielfindungsund Entscheidungsprozeß bewirkt werden.

Unabhängig von den Definitionsund Präzisierungsschwierigkeiten, die das Vorsorge-prinzip noch aufwirft, sieht der Rat in der Forschungs-und Technologieförderung einen wesentlichen Bestandteil längerfristig vorsorgender Umweltpolitik. Allerdings hat es die langfristig angelegte Forschung gerade im Umweltbereich schwer, sich durchzusetzen, weil sie vielfach Probleme nur als Hypothesen formulieren kann, deren Bearbeitung und Klärung keinen unmittelbaren Nutzen verspricht. Aber wenn es richtig ist, daß die entscheidende Dimension der Umweltproblematik in der mittel-und langfristigen weiteren Entwicklung der technisch-industriellen Zivilisation liegt, und daran zweifelt der Rat nicht, dann ist die Förderung dieser Forschung auf allen Gebieten der Umweltwissenschaften von ausschlaggebender Bedeutung. Dabei geht es generell um die Beobachtung langfristiger Trends in der natürlichen Umwelt, um das möglichst frühzeitige Erkennen drohender Gefahren, um die Bestimmung neuer Forschungsfelder und um die Diskussion hypothetischer Problemstellungen. Nur wenn im ganzen Spektrum der umweltrelevanten Wissenschaften — etwa in der Ökologie, Toxikologie, Hydrologie, Meteorologie und den Agrarwissenschaften ebenso wie in den Rechts-und Sozialwissenschaften — die langfristige und die freie Grundlagenforschung nachhaltig gefördert wird, steht zu hoffen, daß ein Teil der zukünftigen Gefahren zu einem früheren Zeitpunkt abgefangen werden kann, als dies in den letzten Jahrzehnten der Fall war.

Anregungen für die allgemeine Umweltpolitik

Anerkennung von Risiken Die Bedeutung längerfristiger Umweltgefahren und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens potentieller Umweltschäden sind nicht genau abzusehen, zumal es für sie in der Regel keine Präzedenzfälle gibt und sie weder experimentell noch durch Extrapolation hinreichend belegt werden können. Daher müssen sich alle umweltpolitisch Verantwortlichen daran ge-

wöhnen, auch mit Schätzungen umzugehen und die Existenz von Risiken anzuerkennen. Gerade im Umweltbereich darf der Vorwurf einer spekulativen Denkweise — bei aller Anforderung an genaue Analysen — nicht zu einer Diskreditierung langfristiger Prognosen und Perspektiven führen, selbst wenn sie nicht in allen Punkten präzisiert und mit Exaktheit begründbar sind. Bei der Einschätzung der Entwicklung, der Gefahren und der möglichen Schäden im Umweltbereich sollten daher pessimistische und optimistische Standpunkte gleichermaßen toleriert werden.

Längerfristige Perspektiven und Umweltschutzverbände Der Rat erkennt an, daß Umweltschutzverbände und zahlreiche Bürgerinitiativen über aktuelle Einzelprobleme hinaus sich ernsthaft mit der Entwicklung der Umwelt befassen und in Kategorien langfristiger Schadensvermeidung und -Vorbeugung denken. Ihre umwelt-politischen Perspektiven überzeugen jedoch häufig nicht, weil die Randbedingungen der Strategien und die Folgen der Lösungsvorschläge nicht hinreichend berücksichtigt oder zumindest nicht deutlich gemacht werden. Auch einem Teil der politischen Führung sind die Umweltprobleme und daraus resultierende Wachstumshemmnisse bewußt; ob und in welchem Ausmaß daraus konkrete politische Konsequenzen gezogen werden, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Resonanz der Umwelt-gedanke in der Öffentlichkeit findet.

Der Rat hat an anderer Stelle in diesem Gutachten darauf hingewiesen, daß die Bevölkerung für umweltpolitische Perspektiven durchaus empfänglich ist. Ihre Bereitschaft, Konsum-und Wachstumsverzichte zu akzeptieren, setzt allerdings voraus, daß deren Umfang deutlich gemacht werden kann und als Folge eines umweltverbessernden Programms glaubhaft beschrieben wird. Der Gedanke einer langfristigen Sicherung der Lebensgrundlagen wird daher nur dann eine breite Wirkung haben und mehrheitsfähig werden, wenn es gelingt, insbesondere die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen transparent zu machen. Dieser Anforderung sollten sich nicht nur Politik und Verwaltung, sondern vor allem auch die „Umweltschutzbewegung" stellen. Nur auf diesem Wege kann sie einen offenen Dialog und eine breite Akzeptanz ihrer längerfristigen Perspektiven erwarten.

Parteinahe Institute für Umweltfragen Der Rat hat in diesem Gutachten mehrfach betont, daß die wichtigen Entscheidungen in Umweltfragen politische Entscheidungen sind, die nicht ohne weiteres an Fachleute delegiert werden können. Im politischen System der Bundesrepublik Deutschland ist die aktive Mitwirkung der Parteien an der Umweltpolitik daher Voraussetzung für derartige Entscheidungen, Die Parteien müssen auch die Impulse, die von den Interessenverbänden oder den Bürgerinitiativen kommen, aufnehmen und in eine politische Gesamtkonzeption einfügen. Parteien sind jedoch in der Themenwahl und der Heranziehung neuer Experten oft konservativer als die staatlichen Behörden; die frei-17 willigen Aktivisten des Umweltschutzes stehen ohnehin meist am Rande oder außerhalb der Parteien. Die Mandatsträger und die politisch aktiven Mitglieder können auch bei großem Interesse nicht in allen Politikbereichen sattelfest sein. Daher ist es nötig, daß sie zusätzliche Informationen und Entscheidungshilfen von sachkundigen Personen oder Instituten beziehen. Das geschieht in der Regel bei solchen, die als gleichgesinnt empfunden werden.

Die Mitglieder des Rates haben den Eindruck gewonnen, daß die Politiker in Umweltfragen oft nicht umfassend beraten werden. Schließlich ist auch die Flut umweltpolitischer Literatur mit widersprüchlichen Thesen und unterschiedlichem Qualitätsniveau nicht dazu angetan, dem ernsthaften Interessenten eine Orientierung zu erleichtern. Es wäre daher empfehlenswert, daß Parteien auf Institutionen und auf Personengruppen zurückgreifen können, die in Umweltfragen sachkundig sind und darüber hinaus diese Fragen für die Partei aufarbeiten. Das Aufgabengebiet solcher Institutionen sollte auf Umweltfragen im engeren Sinne beschränkt sein; eine Ausweitung auf weitere Zivilisationsprobleme würde jene Spezialisierung verhindern, die für eine fachkundige Beratung der Politiker notwendig ist.

Ein Bundestagsausschuß für Umweltfragen Der Rat empfiehlt den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und in Sonderheit den Fraktionsführungen, die Einsetzung eines besonderen Ausschusses für Umweltfragen zu erwägen. Der Rat kann und will das Urteil der Abgeordneten nicht ersetzen, er hat jedoch in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, daß ein solcher Ausschuß mit einer sich entwickelnden Erfahrung auf dem genannten Gebiet des Umweltschutzes die Arbeit des Bundestages erleichtern, die gesetzgeberische Tätigkeit fördern und die parlamentarische Kontrolle verstärken würde. Vornehmlich der Innenausschuß ist bisher mit Umweltfragen im Deutschen Bundestag befaßt. Das Arbeitsgebiet dieses wichtigen Ausschusses ist aber derart groß, daß tendenziell Umweltfragen z. B. gegenüber Problemen der inneren Sicherheit, der allgemeinen Verwaltung oder der Besoldung des öffentlichen Dienstes in den Hintergrund geraten. Ein eigener Ausschuß für Umweltfragen wäre demgegenüber eher in der Lage, brennende Fragen aufzugreifen, weiterzuverfolgen und die Bundesregierung zu Gesetzentwürfen zu veranlassen. Auch die parlamentarische Kontrolle der Umweltpolitik könnte dadurch verbessert werden.

Der Bundestag verfährt zwar nach der Regel, jedem Ressort nur einen Ausschuß gegenüber-zustellen, dies ist aber weder rechtlich verankert noch entspricht es notwendigerweise parlamentarischen Grundsätzen. Daher kann die Einrichtung eines Ausschusses für Umweltfragen unter den Gesichtspunkten der parlamentarischen Zweckmäßigkeit gesehen werden. Das Prinzip wird ohnehin nicht streng durchgehalten: So wird das Ressort des Finanzministers im Bundestag von zwei Ausschüssen, dem Finanzausschuß und dem Haushaltsausschuß, abgedeckt, und auch aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundesministers des Innern ist bereits der Politikbereich Sport mit einem eigenen Ausschuß bedacht worden.

Umweltschutz als staatliche Aufgaben im Grundgesetz Der Rat hat im Umweltgutachten 1974 festgestellt, daß die verfassungsmäßige Verankerung eines Anspruchs auf menschenwürdige Umwelt notwendig sei, „um den Stellenwert, den der Umweltschutz inzwischen ... erlangt hat, verfassungsrechtlich zu bestätigen und auf die Dauer zu verfestigen". Damals war der Rat noch der Auffassung, daß dieses Ziel am besten mit einem „Grundrecht auf menschenwürdige Umwelt” erreicht werden könnte.

Die verfassungsund verwaltungsrechtliche Diskussion hat inzwischen den Rat — wie fast alle Beteiligten — zu der Erkenntnis gebracht, daß ein einklagbares Grundrecht auf Umweltschutz weder praktikabel noch für die angestrebte Verankerung der Umweltpolitik zweckmäßig ist. Ein solches Grundrecht würde ja nicht zur Abwehr von unerwünschten Eingriffen des Staates in das Leben der Bürger dienen, sondern vielmehr Ansprüche der Bürger auf Tätigwerden des Staates begründen. Neben den Problemen, die dadurch für Rechtsprechung und Verwaltung entstünden, möchte der Rat zwei . gravierende Nachteile eines solchen Grundrechts betonen: Zum einen würde durch diese Judifizierung die Umweltqualität scheinbar juristisch bestimmbar, obwohl es sich bei den langwierigen Erörterungen umweltpolitischer Fragen herausgestellt hat, daß es bei der Umweltpolitik immer um die Abwägung zwischen widersprüchlichen und kaum quantifizierbar vergleichbaren Zielen geht. Zum zweiten würde die falsche Erwartung bestätigt, Umweltqualität sei ein Anspruch und Gut des einzelnen, obwohl es sich hierbei fast immer um kollektive Güter handelt. Insgesamt könnte eine solche Grundrechtsbestimmung den politischen Charakter der Umweltfragen eher verdrängen. Darüber hinaus sieht der Rat die Gefahr, daß bei dem hohen Umweltbewußtsein der Bevölkerung die Einfügung eines Grundrechts den Hoffnungen und Erwartungen der Bevölkerung einen Maßstab geben würde, der unrealistisch und unerfüllbar wäre und zu Enttäuschungen und schließlich zu Rückschlägen für die Umweltpolitik führen könnte.

Der Rat empfiehlt daher die Verankerung des Umweltschutzes als Staatsaufgabe im Grundgesetz. Er stimmt hierin weitgehend mit der Bundesregierung überein, die eine „Staatszielbestimmung" befürwortet, die als „Verfassungsauftrag für die Legislative" die Verpflichtung zu einem „wirksamen und möglichst umfassenden Umweltschutz" enthalten würde und gleichzeitig „als Auslegungsmaßstab auch für andere Bereiche des Rechts eine Ausstrahlungswirkung" entfalten könnte (Umweltbericht 1976). Allerdings sollte sich eine solche grundgesetzliche Bestimmung nicht nur an die Legislative richten. hinaus Darüber hält er den Begriff „Staatszielbestimmung" insoweit für ungeeignet, da mit diesem Begriff meist Ziele von solcher Bedeutung angesprochen werden, die den Gesamtcharakter des Staates prägen sollen. Daher ist der Begriff der Staatsaufgabe hier angemessener.

Ein derartiger Verfassungsauftrag wird hier politisch begründet; er könnte die folgenden positiven Wirkungen für die Umweltpolitik haben:

a) Der Rang der Umweltpolitik könnte durch eine solche Deklaration erhöht werden.

b) Die neue Staatsaufgabe würde stärker als bisher in der verfassungspolitischen Diskussion berücksichtigt werden. c) Eine Verfassungsbestimmung dürfte auch eine Ausstrahlung auf die Rechtsprechung haben, und zwar nicht im Verwaltungsrecht, sondern auch im Zivilrecht. d) Durch eine grundsätzliche Erklärung des Umweltschutzes als Staatsaufgabe würde klargestellt, daß es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt, die nicht nur in den Aufgabenbereich eines Ressorts fällt. e) Eine grundgesetzliche Verankerung könnte auch die Berücksichtigung des Umweltschutzes in der politischen Bildung verstärken.

Bisher veröffentlichte Gutachten des Sachverständigenrates: 1. Sondergutachten „Auto und Umwelt"

104 Seiten, DIN A 5, kartoniert, erschienen im Oktober 1973, Preis: DM 9, — Verlag W. Kohlhammer GmbH, Postfach 42 11 20, 6500 Mainz 42 2. Sondergutachten „Die Abwasserabgabe"

90 Seiten, DIN A 4, kartoniert, erschienen im Februar 1974, Preis: DM 6, — Verlag W. Kohlhammer GmbH, Postfach 42 11 20, 6500 Mainz 42

Hauptgutachten „Umweltgutachten 1974"

320 Seiten, Format: 18, 4 X 26, 4 cm, Plastikeinband /erschienen im Juni 1974, Preis: DM 28, — Verlag W. Kohlhammer GmbH, Postfach 42 11 20, 6500 Mainz 42 (vergriffen)

als Bundestagsdrucksache 7/2802 320 Seiten, DIN A 4, geheftet, Preis: DM 8, 60 Verlag Dr, Hans Heger, Postfach 20 08 21, 5300 Bonn 2, Herdestr. 56 3. Sondergutachten „Umweltprobleme des Rheins"

258 Seiten, 9 mehrfarbige Karten, Format: 18, 4 X 26, 4 cm, Plastikeinband erschienen im Mai 1976, Preis: DM 20, — Verlag W. Kohlhammer GmbH, Postfach 42 11 20, 6500 Mainz 42 als Bundestagsdrucksache 7/5014 248 Seiten, 9 mehrfarbige Karten, DIN A 4, kartoniert, Preis: DM 11, 20 Verlag Dr. Hans Heger, Postfach 20 08 21, 5300 Bonn 2, Herdestr. 56

Fussnoten

Weitere Inhalte

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen Karl-Heinrich Hansmeyer, Prof. Dr. rer. pol., Köln; Günther Rincke, Prof. Dr. Ing., Darmstadt; Hartmut Bick, Prof. Dr. rer. nat., Bonn; Konrad Buchwald, Prof. Dr. rer. nat., Hannover; Johann Frank, Dr. rer. pol., MinDir. a. D., Bonn; Karl Kaiser, Prof. Dr. rer. pol., Bonn; Werner Klosterkötter F, Prof. Dr. med., Essen; Hermann Nebelung, Prof. Dr. -Ing., Aachen; Rudolf Preußmann, Prof. Dr. rer. nat., Heidelberg; Heinrich Schackmann, Prof. Dr. -Ing., Dr. rer. nat. e. h., Düsseldorf; Klaus Scholder, Prof. Dr. phil., Tübingen; Karl Schwarz, Dipl. -Ing., Essen.