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Ausgewählte Dokumente zur Geschichte des Novemberpogroms 1938 | APuZ 44/1978 | bpb.de

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APuZ 44/1978 Artikel 1 Ausgewählte Dokumente zur Geschichte des Novemberpogroms 1938 Schuljugend und Neo-Faschismus -ein akutes Problem politischer Bildung

Ausgewählte Dokumente zur Geschichte des Novemberpogroms 1938

Wolfgang Scheffler

/ 67 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Jahr 1938 ist in der nationalsozialistischen Judenpolitik durch eine zunehmende Verschärfung antijüdischer Maßnahmen gekennzeichnet. Durch die gezielte Einengung der Existenzmöglichkeiten strebte das Regime die Ausschaltung der deutschen Juden aus der Wirtschaft an. Die wirtschaftliche Verelendung sollte den jüdischen Bevölkerungsteil zur Auswanderung zwingen. Das Attentat von Paris bot den Anlaß, die ohnehin angestrebten Ziele schneller zu realisieren. Dabei wurden drei Absichten mit dem Novemberpogrom verwirklicht: 1. Zerstörung jüdischer Gotteshäuser, Verwüstung von Geschäften und auch Wohnungen, Terror gegenüber einer . artfremden'Minderheit. 2. Energisches Vorantreiben der Ausschaltung der deutschen Juden aus dem Wirtschaftsleben durch das Verbot der Ausübung ihrer Berufe, Zwangsarisierungen, „Milliardenbußgeldzahlung“ usw. 3. Verstärkter Auswanderungsdruck durch die Verhaftung von ca. 30 000 Juden, deren Entlassung aus den Konzentrationslagern im wesentlichen von der Vorlage der Auswanderungspapiere abhängig gemacht wurde. Der Pogrom, verharmlosend auch „Reichskristallnacht" genannt, markierte einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der NS-Judenpolitik. Von der Jahreswende 1938/39 an gingen die entscheidenden Impulse der Vertreibungs-und späteren Vernichtungspolitik in zunehmendem Maße von der Geheimen Staatspolizei aus, während die Bürokratie mit Gesetzen und Verordnungen die administrativen Ergänzungen lieferte. Die wiedergegebenen Dokumente, vornehmlich nationalsozialistische Quellen, spiegeln in zumeist bisher wenig bekannten Verlautbarungen die verschiedenen Stadien des Pogroms wider. Schon die SD-Berichte lassen erkennen, daß es sich um einen „Parteipogrom" handelte, während die Masse der Bevölkerung nicht beteiligt war.

I. Zur Situation der nationalsozialistischen Judenpolitik im Jahre 1938

I. II. INHALT Zur Situation der nationalsozialistischen Judenpolitik im Jahre 1938 Dokumente A. Dokumente zur Befehlsgebung Aussage des Münchener Polizeipräsidenten Himmlers Befehle Heydrichs Fernschreiben Das Oberste Parteigericht zur Rede des Reichspropagandaministers B. Dokumente zur Durchführung des Pogroms Bericht des Gauleiters Bürckel vom 18. 11. 1938 über die Ereignisse in Wien Erfahrungsbericht des SD-Unterab-Schnitts Wien vom 18. 11. 1938 Aktennotiz betr. Sitzung im Gauwirtschaftsamt wegen der Vor勉A

Die unseligen Schüsse, mit denen der siebzehnjährige deutsch-polnische Jude Herschel Grynszpan am 7. November 1938 in der Deutschen Botschaft in Paris den Gesandtschaftsrat vom Rath niederstreckte, fielen zu einem Zeitpunkt, zu dem das nationalsozialistische Regime fest entschlossen war, den deutschen Juden Schritt für Schritt die ökonomischen Existenzgrundlagen zu entziehen. Es heißt nicht, die Bedeutung der Tat von Paris herunterzuspielen, wenn man darauf hinweist, daß dieser Vorgang lediglich die ohnehin angestrebte Entwicklung in Deutschland — in allerdings dramatischer Weise und in Formen, wie sie beispiellos in der neueren deutschen Geschichte waren — beschleunigte Auch ohne Berücksichtigung der durch den Novemberpogrom eintretenden Konsequenzen waren die an der judenfeindlichen Politik führend beteiligten deutschen Stellen im Herbst 1938 dabei, die Schlußfolgerungen aus der nach ihrer Meinung zu schleppend vorankommenden Ausschließungspolitik zu ziehen und die Formen einer schnelleren Gangart anzuvisieren. Wenn der Pogrom — der nach allem, was wir wissen, ausschließlich von Joseph Goebbels initiiert und mit Hitler abgesprochen für das Regime überhaupt einen Sinn (außer der Befriedigung primitivster antisemitischer Haßgefühle) hatte, so den, den Verelendungsprozeß der deutschen Juden voranzutreiben und sich weitgehend des jüdischen Vermögens zu bemächtigen.

Das angestrebte Ziel antijüdischer Politik im Jahre 1938 — die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben voranzutreiben und den Auswanderungsdruck auf den jüdischen Bevölkerungsteil zu verstärken — wurde seit Beginn des Jahres mit einer Vielzahl verschiedener einschneidender Verordnungen forciert; es konnte daher aufmerksamen Beobachtern schon vor den Novemberereignissen nicht entgehen, daß die gesamte antijüdische Politik eine erhebliche Verschärfung erfuhr. Was eine schnellere Verwirklichung dieser Ziele im Sinne der deutschen Führung beeinträchtigte, war weniger ein Mangel an Vorstellungen und Mitteln als vielmehr ein Zuwenig an Koordination aller Maßnahmen Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß sich vor allem diejenigen Kräfte in der Zukunft als die entscheidenden Faktoren herausstellen sollten und die Führung in der antijüdischen Politik 1939 zunehmend übernahmen, die bereits 1938 über ein mehr oder minder klares Konzept verfügten: die sich ausschließlich auf diese Politik konzentrierenden Dienststellen unter Heydrichs Führung bzw. Heydrich als Exponent dieser Politik.

Trotz der angedeuteten Schwierigkeiten und unter Berücksichtigung der 1938 eintretenden Entwicklung im außenpolitischen und wehr-wirtschaftlichen Bereich wurde der Weg zur ökonomischen Entrechtung und Isolierung der jüdischen Bevölkerung, behält man auch die für das Regime gegebenen zeitbedingten und taktischen Gegebenheiten im Auge, während des ganzen Jahres bis zum November . folgerichtig'betrieben. Die wesentlichen Stationen waren a) Verschiedene Stufen der Vorbereitung zur Vermögenserfassung mit dem Ziel der Aneignung des jüdischen Eigentums für die deutsche Wirtschaft. So die Verordnung gegen die Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe Damit wollte man die Verschleierung der Eigentumsverhältnisse verhindern, um bei der sich verstärkenden „Arisierung" (d. h. die immer ausschließlicher zwangsweise werdende Veräußerung jüdischer Geschäfte, Betriebe etc. an nichtjüdische Käufer) bessere Zugriffsmöglichkeiten zu haben. Am 26. April 1938 wurde die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden erlassen Danach mußten alle Juden (einschließlich ihrer evtl, nichtjüdischen Ehepartner) ihr gesamtes Vermögen über 5 000 RM bis zum 30. Juni 1938 registrieren lassen und etwaige Veränderungen ihrer Vermögensverhältnisse von nun an sofort anzeigen. Im § 7 dieser Verordnung hieß es bezeichnenderweise: „Der Beauftragte für den Vierjahresplan kann die Maßnahmen treffen, die notwendig sind, um den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens im Einklang mit den Belangen der deut-sehen Wirtschaft sicherzustellen." Damit wurde klar, daß der Staat in der Zukunft je nach Belieben seine Hand auf das jüdische Vermögen legen wollte. Es ging dabei um Vermögenswerte in Höhe von sieben Milliarden RM, wie der damalige Reichswirtschaftsminister Funk im November 1938 enthüllte, von denen bis November bereits zwei Milliarden „in deutschen Besitz" überführt, d. h. „ari-siert" worden waren Gleichfalls vom 26. April 1938 an war auch die Neueröffnung von Betrieben durch Juden genehmigungspflichtig Schließlich wurde am 14. Juni 1938 mit der 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz der Begriff „Jüdischer Gewerbebetrieb" geschaffen und deren Registrierung Juni 1938 mit der 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz der Begriff „Jüdischer Gewerbebetrieb" geschaffen und deren Registrierung angeordnet 10). b) Begleitet wurden diese Verordnungen von den verschiedensten Berufsverboten, von denen am bedeutendsten die Löschung der Approbation der Ärzte 11) und das Ausscheiden der Rechtsanwälte 12) waren. Von beiden Berufsgruppen wurden nur wenige als „Krankenbehandler" und „jüdische Konsulenten" zur Behandlung bzw. als Vertreter von Juden wieder zugelassen. Andere Berufsgruppen schloß man mit dem Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung aus 13). c) Weitere Maßnahmen sollten die jüdische Gemeinschaft als Ganzes und den einzelnen in diffamierender, bewegungseinschränkender und den sozialen Status herabsetzender Weise treffen. So wurden am 1. April 1938 die jüdischen Kultusvereinigungen ihrer Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts entkleidet und zu eingetragenen Vereinen degradiert 14). Alle Juden wurden dem Kennkartenzwang unterworfen die Reisepässe eingezogen und bei Neuherausgabe mit einem „J" versehen Besonders diffamierend war die Einführung des Zwangs zum Tragen vorgeschriebener Vornamen: wer keinen in einer Liste aufgeführten jüdischen Vornamen trug, war verpflichtet, den Vornamen Israel bzw. Sara in Zukunft zusätzlich zu führen d) Auch eine Reihe gewaltsamer Ereignisse konnte man vor dem November beobachten: Synagogenzerstörungen (München, Nürnberg, Dortmund), Straßenkrawalle (in Berlin und an anderen Orten), gezielte Verhaftungswellen (so im Juni 1938) verunsicherten die deutschen Juden Es folgte nach dem sogenannten Anschluß Österreichs die unglaublich radikale Nachholung der antisemitischen Praxis des Altreichs. Was dort fünf Jahre gedauert hatte, wurde in Osterreich binnen weniger Monate nachgeholt. Besonders beunruhigte dabei Göring die schamlose Bereicherung an jüdischem Besitz durch Angehörige nationalsozialistischer Organisationen. Der „Nachholkomplex" ließ dabei eine von Berlin gewünschte „geordnete Arisierung" ein Wunschtraum bleiben

Am wenigsten zufrieden war die nationalsozialistische Führung jedoch mit den Ergebnissen der Auswanderungspolitik. Bis zum Herbst 1938 hatten zum Leidwesen der interessierten Kreise nur knapp 150 000 Juden ihr Vaterland verlassen. Es bestand wenig Aussicht bei Beibehaltung dieser Entwicklung und in Anbetracht der Zurückhaltung des Auslands, jüdische Emigranten aufzunehmen, dieses Problem in kurzer Frist zu lösen Aber auch hier schufen die Ereignisse in Österreich ein Vorbild: dank der rücksichtslosen Praxis der dorthin entsandten Gestapo-und SD-Ange-hörigen wurden binnen weniger Monate bis zum November 50 000 Juden zur Auswanderung gezwungen. Erreicht wurde dies durch die Zentralisierung aller am Auswanderungsvorgang beteiligten Behörden, durch rücksichtslose Beschlagnahme vorhandener Vermögenswerte, wobei der dort seine Karriere als entscheidender Akteur der nationalsozialistischen Judenpolitik begründende unscheinbare Adolf Eichmann das Prinzip erfand, mit dem Vermögen wohlhabender Juden die Auswanderung der ärmeren zu finanzieren Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Verfahren im übrigen Reichsgebiet ein-geführt werden würde. Daß die Radikalisierung in dieser Frage unübersehbar wurde, zeigte Ende Oktober 1938 die Ausweisung der früher polnischen Juden aus dem Reichsgebiet; ihnen hatte die polnische Regierung die Staatsangehörigkeit aberkannt, woraufhin jetzt die staatenlosen polnischen Juden vom Reich nach Polen abgeschoben wurden. Hierunter waren im übrigen auch die engsten Angehörigen des jungen Grynszpan, der als Hauptmotiv für die Tat vom 7. November in Paris diesen Sachverhalt angab.

So bot die antijüdische Politik Ende Oktober 1938 das Bild einer auf vielen Gebieten gegenüber den früheren Jahren wesentlich energischer fortschreitenden Entwicklung auf dem Weg zu der angestrebten Lösung der Judenfrage. Den eigentlichen Schwerpunkt dieser Entwicklung umriß jedoch Göring am 14. Oktober 1938 auf einer Sitzung im Reichsluftfahrtministerium, auf der die künftigen Anstrengungen der Wirtschaft für eine forcierte Aufrüstung erörtert wurden: „Er stünde vor ungeahnten Schwierigkeiten. Die Kassen seien leer, die fabrikatorischen Kapazitäten für Jahre hinaus mit Aufträgen vollgepfropft. Trotz dieser Schwierigkeiten werde er die Lage unter allen Umständen ändern. Denkschriften nützten ihm nichts, er wünsche nur positive Vorschläge. Er werde die Wirtschaft, wenn es notwendig ist, mit brutalen Mitteln umdrehen, um dieses Ziel zu erreichen .., Die Judenfrage müsse jetzt mit allen Mitteln angefaßt werden, denn sie müßten aus der Wirtschaft raus. Unter allen Umständen zu unterbinden ist aber die wilde Kommissarwirtschaft, wie sie sich in Österreich ausgebildet hat. Diese wilden Aktionen müßten aufhören und die Erledigung der Judenfrage darf nicht als ein Versorgungssystem untüchtiger Parteigenossen angesehen werden." „Pogrom" — das aus dem Russischen stammende Wort bedeutet „Verwüstung, Zerstörung, Krawall", vor allem die, wie im Brockhaus formuliert wird, „mit Plünderung und Gewalttaten verbundene Hetze, besonders gegen die Juden“. Beispiele hierfür bot die Geschichte in reichem Maße. Die in der Nacht vom 9. zum 10. November einsetzenden Ereignisse, im allgemeinen als „Reichskristallnacht" bezeichnet, waren das Musterbeispiel eines Pogroms. Man sollte daher diesen Vorgang auch als einen solchen bezeichnen und die oft übliche Kennzeichnung als „Kristallnacht", die lediglich die eine Seite, nämlich das Zerschlagen der Fensterscheiben, versinnbildlicht, nur als Fußnote verwenden.

Es wurden jedoch nicht nur Fensterscheiben eingeschlagen und Geschäfte verwüstet. Der größte Teil der Gotteshäuser einer religiösen Minderheit unseres Volkes wurde in Brand gesteckt und vernichtet. Wie im finstersten Mittelalter trat man die Türen von Wohnungen ein, zertrümmerte mit pedantischer Gründlichkeit die Einrichtungen, terrorisierte Hunderttausende, jagte sie, wenn es sich ergab, schoß einige blindlings über den Haufen oder warf einige von ihnen sogar in die Gewässer. Ein . Rachefeldzug'ohnegleichen brach über eine Minderheit herein, deren einzige Schuld darin bestand, vom Regime zur „Rasse" und zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt worden zu sein.

Das ist in wenigen Worten der Vorgang jener Novembertage, der tiefer in der deutschen Geschichte haftet als die viel bejubelten Revisionen der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges oder die Lösung des Arbeitslosenproblems. * Die im folgenden abgedruckten, fast ausschließlich nationalsozialistischen Quellen entstammenden Dokumente geben vielfältigen Aufschluß über den Ablauf und die unmittelbaren Folgen des Pogroms. Festzuhalten ist vor allem, daß es ein Parteipogrom war. Auch die noch so häufige Wiederholung von der Rache der „kochenden Volksseele" konnte schon damals — wie aus den Dokumenten hervorgeht----kaum darüber hinwegtäuschen, daß ein allein von den Parteiorganisationen organisierter „Feldzug" inszeniert worden war, während „das Volk" am unmittelbaren Geschehen im wesentlichen unbeteiligt blieb. Für einige Tausend (nimmt man alles zusammen) befehlshöriger, aber auch von ihrem Tun überzeugter und fanatisierter Angehöriger der NSDAP, der SA, SS usw. bot sich hier die Gelegenheit, nicht nur Befehle auszuführen, sondern auch alte Erinnerungen an eine glorifizierte „Kampfzeit" von vor 1933 aufzufrischen. Der Vorgang erinnert aber auch an die Beschreibung, die der Untersuchungsbericht der Geheimen Staatspolizei über das Verhalten des Gauleiters Streicher gab: „Gauleiter Streicher liebt es, Menschen mit der Reitpeitsche zu verprügeln, vorausgesetzt, daß er sich in Begleitung mehrerer ihm helfender Personen befindet."

Andererseits decken die Dokumente aber ebenso die Verlegenheit auf, in die die nationalsozialistische Führung angesichts des Ver-Stoßes gegen die von ihr angeblich repräsentierte „Ruhe und Ordnung“ durch den schnell außer Kontrolle geratenden Pogrom geriet, als auch die Nutzanwendung, die sie aus nun einmal eingetretenen Vorgängen zog: 1. Die rasche Verwirklichung der schon im Laufe des Jahres angelegten Entwicklung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben. 2. Der sich daran anschließende Zugriff auf das jüdische Vermögen. 3. Der durch die vorübergehende Verhaftung von nahezu 30 000 Menschen (für das Konzentrationslager Sachsenhausen schätzte man die Zahl der Eingelieferten auf etwa 10 000, während für Buchenwald und Dachau die genauen Zahlen vorliegen) ausgeübte Auswanderungsdruck:

Die Entlassung der Häftlinge wurde zum größten Teil von der Vorlage der Auswanderungspapiere abhängig gemacht. Insofern war der Pogrom ein willkommener Anlaß, den einmal eingeschlagänen Weg mit größerer Schnelligkeit fortzusetzen 23a).

Nutznießer der Ereignisse war aber auch die Sicherheitspolizei unter Heydrich. Göring, nunmehr endgültig mit der Koordination aller antijüdischen Maßnahmen betraut, delegierte die entscheidenden Befugnisse auf Heydrich. Alle wichtigen Vorgänge auf dem Weg zur „Endlösung der Judenfrage" trugen daher seit 1939 im wesentlichen dessen Handschrift und die seines Vorgesetzten Heinrich Himmler.

II. Dokumente

A. Dokumente zur Befehlsgebung

Aussage des Münchener Polizeipräsidenten RA. Pelckmann: Herr Zeuge! Wo waren Sie am 9. November 1938?

Von Eberstein: Am 9. November 1938 war ich in München.

RA. Pelckmann: Welche Dienststellung hatten Sie damals in der Allgemeinen SS?

Von Eberstein: Ich war in der Allgemeinen SS SS-Obergruppenführer und Führer des SS-Oberabschnitts Süd, außerdem Polizeipräsident von München.

RA. Pelckmann: Schildern Sie bitte, wie Sie zuerst von Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte in dieser Nacht Kenntnis erhielten. Von Eberstein: Ich habe an diesem Tag, wie das'meiner dienstlichen Pflicht oblag, Hitler begleiten müssen zu dem Treffen der alten Kämpfer im alten Rathaussaal. Dort wurde Hitler mitgeteilt, daß der Gesandtschaftsrat vom Rath seinen Verletzungen erlegen sei.

Hitler war dadurch stärkstens beeindruckt und lehnte es ab zu sprechen, was er sonst immer tat. Er hatte während dieses Essens eine außerordentlich eindringliche Unterredung mit Goebbels. Was gesprochen wurde, konnte ich nicht verstehen. Hitler ist kurz darauf in seine Wohnung gefahren, wohin ich ihn auf Grund meiner dienstlichen Bestimmungen begleiten mußte. Im Anschluß daran hatte ich die Sicherheits-und Absperrmaßnahmen auf dem Odeonsplatz verantwortlich zu leiten. Es fand jedes Jahr in der Nacht vom 9. auf 10. November dort die Vereidigung der neuen Rekruten der Waffen-SS statt. Als ich dorthin kam, auf den Odeonsplatz, wurde mir gemeldet, daß eine Synagoge brenne und die Feuerwehr dort behindert würde.

Kurz darauf erhielt ich einen Telephonanruf durch den Landrat München, der mir mitteilte, daß das dem jüdischen Baron Hirsch gehörige Schloß Planegg an der Stadtgrenze Münchens von unbekannten Tätern angezündet sei. Die Gendarmerie bittet um Hilfe. Zeitlich war dies etwa um 23. 45 Uhr. Um 24. 00 Uhr kam Hitler zu der Vereidigung. Da ich meinen Platz nicht verlassen konnte, schickte ich den nächsthöheren SS-Führer, Brigadeführer Diehm, zu der Synagoge, um dort Ordnung zu schaffen. Außerdem entsandte ich ein Überfallkommando der Polizei, unter einem Offi-zier, nach Planegg mit dem Auftrag, die Täter zu stellen und das Feuer ablöschen zu lassen. Unmittelbar nach dem Appell, nach dieser Vereidigung, war ich wie alle anderen höheren SS-Führer zu Himmler befohlen. Dort in dem Hotel unterrichtete mich der Stellvertretende Gauleiter Niepolt, daß im Anschluß an den Abgang Hitlers aus dem Rathaussaal Goebbels eine wüste Hetzrede gegen die Juden gehalten hätte. Infolgedessen sei es zu erheblichen Ausschreitungen in der Stadt gekommen. Ich fuhr sofort mit dem Kraftwagen durch die Stadt, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich traf eingeschlagene Schaufenster an, einige Geschäfte brannten. Ich habe zunächst selbst sofort eingegriffen und habe dann alle verfügbaren Polizeikräfte auf die Straße geworfen mit dem Auftrag, die jüdischen Geschäfte bis auf weiteres unter Schutz zu stellen. Außerdem habe ich im Zusammenwirken mit einer städtischen Dienststelle Münchens dafür gesorgt, daß die Schaufenster vernagelt wurden, um Diebstähle und dergleichen zu verhindern. (Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, (IMT) Bd. XX, S. 320 f.)

Himmlers Befehle Eidesstattliche Erklärung Zur Person: Schallermeier, Luipold, SS-Hauptsturmführer der Waffen-SS, geb. am 12. 3. 1911 in München, geschieden, 1 Kind, Kriegsteilnehmer 1939— 45. Wohnhaft in Wiessee/Obb., Seestraße 18. Mitglied der NSDAP und SS seit Mai 1933.

Zur Sache: Ich war vom 27. 12. 1933 bis 15. 12. 1939 im Persönlichen Stab des Reichsführers-SS persönlicher Referent des SS-Gruppenführers Wolff in dessen Eigenschaft als Chef des Persönlichen Stabes Reichsführer-SS, Heinrich Himmler.

Am Abend des 9. November 1938 rief gegen 23. 15 Uhr der Führer vom Dienst der Staatspolizeileitstelle München im Hotel Vier Jahreszeiten an und meldete dem Gruppenführer Heydrich, mit dem Gruppenführer Wolff, Hauptsturmführer Hajo von Hadeln, Hauptsturmführer Dr. Brandt und ich zusammen waren, daß die Gaupropagandaleitung München-Oberbayern einen Befehl über den Ausbruch der sogenannten „Judenpogrome“ durchgegeben habe, wonach sich die Staatspolizei in die Aktion nicht hindernd einmischen dürfe. Der Führer vom Dienst fragte an, welche Befehle Gruppenführer Heydrich in seiner Eigenschaft als Chef der Sicherheitspolizei erteile. Gruppenführer Heydrich erklärte, daß er ihn — den Führer vom Dienst — wieder anrufen werde. Heydrich und Wolff wußten von dieser Aktion nichts. Gruppenführer Wolff fuhr daraufhin sofort zu den in der Führerwohnung in der Äußeren Prinzregentenstraße sich beim Führer aufhaltenden Reichsführer-SS Himmler, um ihm den Sach verhalt vorzutragen. Gegen 1. 00 Uhr traf der Reichsführer-SS im Hotel Vier Jahreszeiten ein und gab dem Gruppenführer Heydrich folgenden Befehl für alle Staatspolizei-Leitstellen: „Die Staatspolizei-Leitstellen haben sich nach den Wünschen der PropagandaÄmter zu richten, vornehmlich Plünderungen zu verhüten und für den Schutz der Personen und Sicherung des jüdischen Vermögens zu sorgen." Der Reichsführer-SS betonte des weiteren in diesem Befehl, daß die Gaupropaganda-Ämter federführend in dieser Aktion seien und daß die Staatspolizeistellen nur Schutz-aufgaben wahrzunehmen hätten. Gegen Plünderer solle nachdrücklichst und unnachsichtlich eingeschritten werden. Bei Synagogen-bränden sei dafür Sorge zu tragen, daß die umliegenden Gebäude durch die Feuerwehr unbedingt zu schützen seien. Die zum kirchlichen Ritus verwendeten Gegenstände und Geräte seien sicherzustellen. Diesen Befehl des Reichsführers-SS an Gruppenführer Heydrich hat Hauptsturmführer Dr. Brandt stenografisch niedergelegt und nach Diktat des Gruppenführers Heydrich an die Fernschreibstelle der Staatspolizei-Leitstelle München sofort telefonisch zur Weitergabe an alle Staatspolizei-Leitstellen des Reiches im Sammelschreibverkehr durchgegeben.

Im Anschluß daran berief der Reichsführer-SS die im Hotel Vier Jahreszeiten anläßlich der Feier des 9. November wohnenden SS-Oberabschnittsführer der Allgemeinen-SS in sein Hotel-Appartement. Auch sie wurden von ihm in meiner Gegenwart von diesem Befehl verständigt. Die Oberabschnittsführer telefonierten anschließend in der Zeit von etwa 1. 30 bis 2. 30 Uhr aus meinem Zimmer mit ihren Heimatdienststellen. Diese Gespräche habe ich selbst als Blitzgespräche angemeldet und mitgehört. Von den Oberabschnittsführern wurde die telefonische Anweisung an die Allgemeine SS gegeben, im Bedarfsfälle die Staatspolizeistellen beim Schutz jüdischer Personen und bei der Sicherung der jüdischen Objekte gegen Plünderung aller Art zu unter-B stützen. Gegen 3. 00 Uhr des 10. November diktierte mir der Reichsführer-SS in meinem Zimmer eine Niederschrift folgenden Inhalts: „Ich bin am 9. 11. beim Führer gewesen, als gegen 23. 30 Uhr der Gruppenführer Wolff zu mir kam und mich von den Befehlen des Gau-propaganda-Amtes München unterrichtete. Ich habe den Führer befragt, welche Befehle er für mich habe. Der Führer antwortete mir, daß sich die SS aus dieser Aktion heraushalten solle. Die Staatspolizeistellen sollten für die Sicherstellung des jüdischen Eigentums und für den Schutz der Juden sorgen. Die in den Standorten verbleibende Allgemeine SS solle nur, wenn erforderlich, zu Schutzmaßnahmen herangezogen werden. Ich habe diesen Führerbefehl dem Gruppenführer Heydrich für die Staatspolizeistellen und den Oberabschnittsführern für die Allgemeine SS sofort bekanntgegeben. Als ich den Führer fragte, hatte ich den Eindruck, daß er von den Vorgängen nichts wußte. Der Befehl kommt von der Reichspropaganda-Leitung und ich vermute, daß Goebbels in seinem mir schon lange aufgefallenem Machtbestreben und in seiner Hohlköpfigkeit gerade jetzt in der außenpolitisch schwersten Zeit diese Aktion gestartet hat."

Dieses Diktat mußte ich persönlich in die Maschine schreiben. Der Reichsführer-SS unterschrieb die Niederschrift, steckte sie in einen Umschlag und versiegelte den Umschlag mit seinem Siegelring. Nach Rückkehr nach Berlin übergab ich dem Reichsführer-SS diesen versiegelten Brief, den er in meiner Gegenwart in seinem Panzerschrank einschloß.

(IMT Bd. XLII, S. 510 ff., Affidavit SS (A) -5)

Heydrichs Fernschreiben Abschrilt des Blitz-Fernschreibens aus München vom 10. 11. 38, 1 Uhr 20.

An alle Staatspolizeileit-und Staatspolizei-stellen. An alle SD-Oberabschnitte und SD-Unterabschnitte Dringend! Sofort dem Leiter oder seinem Stellvertreter vorlegen!

Betr.: Maßnahmen gegen Juden in der heutigen Nacht.

Aufgrund des Attentats gegen den Leg. Sekretär vom Rath in Paris sind im Laufe der heutigen Nacht — 9. auf 10. 11. 1938 — im ganzen Reich Demonstrationen gegen die Juden zu erwarten. Für die Behandlung dieser Vorgänge ergehen die folgenden Anordnungen: 1) Die Leiter der Staatspolizeistellen oder ihre Stellvertreter haben sofort nach Eingang dieses Fernschreibens mit den für ihren Bezirk zuständigen politischen Leitungen — Gauleitung oder Kreisleitung — fernmündlich Verbindung aufzunehmen und eine Besprechung über die Durchführung der Demonstrationen zu vereinbaren, zu der der zuständige Inspekteur oder Kommandeur der Ordnungspolizei zuzuziehen ist. In dieser Besprechung ist der politischen Leitung mitzuteilen, daß die Deutsche Polizei vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei die folgenden Weisungen erhalten hat, denen die Maßnahmen der politischen Leitungen zweckmäßig anzupassen wären:

a) Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (z. B. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung vorhanden ist).

b) Geschäfte und Wohnungen von Juden dürfen nur zerstört, nicht geplündert werden. Die Polizei ist angewiesen, die Durchführung dieser Anordnung zu überwachen und Plünderer festzunehmen.

c) In Geschäftsstraßen ist besonders darauf zu achten, daß nichtjüdische Geschäfte unbedingt gegen Schäden gesichert werden.

d) Ausländische Staatsangehörige dürfen — auch wenn sie Juden sind — nicht belästigt werden. 2) Unter der Voraussetzung, daß die unter 1) angegebenen Richtlinien eingehalten werden, sind die stattfindenden Demonstrationen von der Polizei nicht zu verhindern, sondern nur auf die Einhaltung der Richtlinien zu überwachen. 3) Sofort nach Eingang dieses Fernschreibens ist in allen Synagogen und Geschäftsräumen der Jüdischen Kultusgemeinden das vorhandene Archivmaterial polizeilich zu beschlagnahmen, damit es nicht im Zuge der Demonstrationen zerstört wird. Es kommt dabei auf das historisch wertvolle Material an, nicht auf neuere Steuerlisten usw. Das Archivmaterial ist an die zuständigen SD-Dienststellen abzugeben.

4) Die Leitung der sicherheitspolizeilichen Maßnahmen hinsichtlich der Demonstrationen gegen Juden liegt bei den Staatspolizeistellen, soweit nicht die Inspekteure der Sicherheitspolizei Weisungen erteilen. Zur Durchführung der sicherheitspolizeilichen Maßnahmen können Beamte der Kriminalpolizei sowie Angehörige des SD, der Verfügungstruppe und der allgemeinen SS zugezogen werden. 5) Sobald der Ablauf der Ereignisse dieser Nacht die Verwendung der eingesetzten Beamten hierfür zuläßt, sind in allen Bezirken so viele Juden — insbesondere wohlhabende — festzunehmen, als in den vorhandenen Haft-räumen untergebracht werden können. Es sind zunächst nur gesunde männliche Juden nicht zu hohen Alters festzunehmen. Nach Durchführung der Festnahme ist unverzüglich mit den zuständigen Konzentrationslagern wegen schnellster Unterbringung der Juden in den Lagern Verbindung aufzunehmen. Es ist besonders darauf zu achten, daß die aufgrund dieser Weisung festgenommenen Juden nicht mißhandelt werden. 6) Der Inhalt dieses Befehls ist an die zuständigen Inspekteure und Kommandeure der Ordnungspolizei und an die SD-Oberabschnitte und SD-Unterabschnitte weiterzugeben mit dem Zusatz, daß der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei diese polizeiliche Maßnahme angeordnet hat. Der Chef der Ordnungspolizei hat für die Ordnungspolizei einschließlich der Feuerlöschpolizei entsprechende Weisungen erteilt. In der Durchführung der angeordneten Maßnahmen ist engstes Einvernehmen zwischen der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei zu wahren. Der Empfang dieses Fernschreibens ist von den Stapoleitern oder deren Stellvertretern durch FS an das Geheime Staatspolizei-amt — z. Hd. SS-Standartenführer Müller — zu bestätigen.

gez. Heydrich, SS-Gruppenführer Berlin, den 10. 11. 1938

Fernschreiben (Blitz)

1) an alle Staatspolizei(leit) stellen und Staatspolizeistellen. 2) an alle SD-Oberabschnitte und SD-Unter-abschnitte. , Dringend sofort vorlegen!

Betrifft: Maßnahmen gegen Juden.

Im Nachgang zu meinem Befehl von heute Nacht weise ich ausdrücklich darauf hin, daß Plünderungen unter allen Umständen durch entsprechende Maßnahmen zu verhindern sind.

Plünderer sind vorl. festzunehmen. Nähere Weisung ist von mir einzuholen. Das Reichs-justizministerium hat sämtliche General-staatsanwälte angewiesen, die Strafanstalten den Staatspolizei(leit) stellen zur Unterbringing festgenommener Juden zur Verfügung zu stellen.

Weiter ersucht das Reichsjustizministerium, zunächst in keinem Fall Haftbefehle gegen Personen zu beantragen, die etwa im Zuge der Aktionen festgenommen worden sind.

Schließlich hat das Reichsjustizministerium die Staatsanwälte angewiesen, keine Ermittlungen in Angelegenheiten der Judenaktionen vorzunehmen.

Dies dient lediglich zur dortigen Information. Der Chef der Sicherheitspolizei gez. Heydrich (IMT Bd. XXXI, S. 515 ff., PS-3051) 4 Das Oberste Parteigericht zur Rede des Reichspropagandaministers Am Abend des 9. November 1938 teilte der Reichspropagandaleiter Pg. Dr. Goebbels den zu einem Kameradschaftsabend im Alten Rathaus zu München versammelten Parteiführern mit,'daß es in den Gauen Kurhessen und Magdeburg-Anhalt zu judenfeindlichen Kundgebungen gekommen sei, dabei seien jüdische Geschäfte zertrümmert und Synagogen in Brand gesteckt worden. Der Führer habe auf seinen Vortrag entschieden, daß derartige Demonstrationen von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren seien, soweit sie spontan entstünden, sei ihnen aber auch nicht entgegenzutreten ... Die mündlich gegebenen Weisungen des Reichspropagandaleiters sind wohl von sämtlichen anwesenden Parteiführern so verstanden worden, daß die Partei nach außen nicht als Urheber der Demonstrationen in Erscheinung treten, sie in Wirklichkeit aber organisieren und durchführen sollte. Sie wurden in diesem Sinne sofort — also geraume Zeit vor Durchgabe des ersten Fernschreibens — von einem großen Teil der anwesenden Parteigenossen fernmündlich an die Dienststellen ihrer Gaue weitergegeben ...

(IMT Bd. XXXII, S. 20 ff., PS-3063)

B. Dokumente zur Durchführung des Pogroms

Bericht des Gauleiters Bürckel vom 18. 11. 1938 über die Ereignisse in Wien Sehr verehrter Herr Generalfeldmarschall!

Die Vorkommnisse in Wien, die in der Nacht vom 9. auf 10. H. eingeleitet wurden, sind seit Dienstag abend völlig beendet.

Im wesentlichen war der Hergang der folgende: Ein Erlaß des Reichspropagandaministers Dr. Goebbels, vor allem aber dessen Rede ... in München leiteten die sogenannten Unternehmungen ein. Wenn auch die Aufforderung etwas verschleiert war, so konnte ein anderer Schluß aus dem Erlaß nicht gezogen werden, denn es hieß darin: „Die Feuerwehr ist zu verständigen.“ Diese Anordnung ging nicht etwa in erster Linie an die Gauleiter, sondern die Gliederungen wurden zuerst verständigt, so daß es gar nicht in der Macht des Gauleiters lag, da und dort Gegenmaßnahmen zu treffen. Darüber hinaus gab es noch einzelne Befehle, die weiter gingen wie die Aufforderung von Dr. Goebbels. Hier in Wien hat man sogar in vielen Fällen morgens die Schulen geschlossen, damit die Jugend „anordnungsgemäß“ sich an den Demonstrationen beteiligen konnte. Wie es in solchen Fällen immer ist, gewannen sehr bald die rabiaten Elemente die überhand. Es brannte an 40 Stellen. Um die Mittagsstunde teilte der Oberbürgermeister mit, daß seine Feuerwehr nicht mehr Herr der Situation ist. Gleichzeitig begannen auch die Tumulte gegen die jüdischen Geschäfte. Das war der Auftakt, man kann sagen für den Tag und die Nacht der langen Finger. Wie verhielt sich nun die Partei in dieser Situation und zwar die politischen Leiter. Herr Feldmarschall, ich kann versichern, daß ich nach gründlichster Untersuchung heute feststellen muß, daß die politischen Leiter und zwar der Gauleiter und seine Kreisleiter das Verdienst haben, daß in Wien das Chaos überhaupt verhindert wurde. Unmengen von weggenommenen Waren, vor allem Schmuck und Wertsachen, wurden durch die Kreisleiter sofort sichergestellt und werden zur Zeit inventarisiert. Gold, Silber und Wertsachen lasse ich heute in einen Banktresor bringen. An eine Rückgabe der den Juden abgenommenen Gegenstände kann nicht gedacht werden, weil man ihre ursprünglichen Besitzer nicht kennt und zum anderen auch die Juden in diesem Fall die unerhörtesten verlogensten Angaben machen. Ich bin also gezwungen, Herr Feldmarschall, einen ausnehmend hohen Wertschätz sicherzustellen. Die übrigen Gegenstände und Waren werden aufgenommen und vor Weihnachten dem Handel zum Einkaufspreis überlassen, da ohnedies auf Grund unserer Gebietsschutzmaßnahmen eine Waren-verknappung auftritt... (PS-2237 — ungedr. — Bürckel hatte sich bereits am 11. 11. 1938 in der gleichen Angelegenheit an Hitler oder Heß gewandt, denn am 13. 11. 1938 antwortete ihm Bormann: „Auf Ihr Schreiben vom 11. 11. 1938 ... erwidere ich Ihnen, daß die von Ihnen genannten Weisungen vom Führer ausgingen. Damit von der erregten Volksmenge keinesfalls Synagogen und andere Judenhäuser, deren Brand zweifellos auf andere daneben liegende Gebäude übergegriffen hätte, in Brand gesteckt wurden, erging am 10. 11.früh morgens das Fernschreiben vom Stab des Stellvertreters des Führers.")

Erfahrungsbericht des SD-Unterabschnitts Wien vom 18. 11. 1938.

Die Aktionen sind in Wien durch die Weisungen von den vorgesetzten Dienststellen, die die Polizei erhielt, in die Wege geleitet worden. Der erste dieser Befehle langte am 9. 11. um 23 Uhr bei den Polizeiämtern ein, aber auch die Dienststellen der Partei, die Kreise und Ortsgruppen erhielten diesbezügliche Weisungen.

Am 10. 11. um 4 Uhr morgens bekamen die Polizeiämter den Auftrag, wohlhabende Juden zu verhaften, sie aus größeren Wohnungen zu entfernen und die Angehörigen in kleineren Wohnungen unterzubringen, ferner jüdische Geschäfte zu sperren und zu versiegeln. Zur selben Zeit erhielten die Einheiten der allgemeinen SS und die SS Verfügungstruppe den Befehl, in jüdische Tempel und Bethäuser einzudringen und sie zu demolieren. Die Gauleitung Wien gab an die Kreisleitungen bezügl.der Judenaktionen einen Befehl, dessen wichtigste Punkte waren: 1. Uniformverbot. 2. Strengstes Verbot bezgl. Plünderungen. 3. Brandstiftungen sind verboten.

In Niederdonau kam die Aktion in erster Linie durch die Weisungen der allgemeinen SS zustande. Die 52. SS Standarte in Krems erhielt am 10. 11. um 4 Uhr früh von Wien den telefonischen Auftrag, den Juden die Fensterscheiben und die Türen einzuschlagen. Die SA-Standarten erhielten durch einen SA-Gruppenbefehl Auftrag. Dieser lautete sinngemäß: Am 10. 11. finden Aktionen gegen die Juden statt, die im allgemeinen mit der Kreis-leitung durchzuführen sind. Diese Weisung hat naturgemäß jeder Auslegung freiesten Raum gelassen.

Der SD-Unterabschnitt Wien erhielt die 1. Verständigung durch die Außenstellen. Von Seiten der vorgesetzten Dienststelle kam keinerlei offizielle Verständigung. Am 10. 11. um 10 Uhr vormittags kam der Führer des SD-Unterabschnitts Wien, SS-Hauptsturmführer Trittner, von der Tagung der Sicherheitspolizei aus München zurück, wodurch der SD-UA *) offiziell Kenntnis erhielt.

Trotzdem aber waren die SD-Außenstellen und ein Sonderkommando vom SD-Unterabschnitt schon vor 7 Uhr morgens damit beschäftigt, die sinnlose Zerstörungen der Möbel und Vernichtung des SD wichtigen Materials hintanzuhalten. Bereits in den frühen Vormittagsstunden wurde seitens des SD-Unterabschnitts Wien versucht, mit der Gestapo sowie den Parteistellen Fühlung wegen der gedeihlichen Zusammenarbeit bei den Aktionen zu nehmen, dies war jedoch infolge der Arbeitsüberlastung bei diesen Stellen nicht immer möglich. Es gelang dem SD, verschiedene Schriften und Bücher, sowie Einrichtungsgegenstände vor der Vernichtung zu retten. Ferner konnten in verschiedenen Fällen Plünderungen verhindert werden.

Die Zerstörung der Tempel und Bethäuser erfolgte in Wien in den meisten Fällen durch Werfen von Handgranaten im Innern der Tempel und durch Anzünden des Mobiliars derselben.

Bei Geschäften wurden etwas solidere Methoden angewandt. In den jüdischen Wohnungen aber kam es verschiedentlich zu sinnlosen Zerstörungen von Einrichtungsgegenständen usw.

Die Ortsgruppenleiter, die mit Hilfe ihrer Mitarbeiter die Beschlagnahmungen derchführ-ten, befolgten teilweise strikte die Weisungen der Kreisleitungen, teils handelten sie nach eigenem Ermessen und ließen die Judengeschäfte ausräumen, wobei es mitunter zu unkontrollierbaren Verteilungen von Sachwerten kam.

Die größeren Aktionen, nämlich die gegen die Tempel und Bethäuser, wurden fast ausschließlich durch die SS durchgeführt, Auf besonders gute Tarnung legte man scheinbar keinen besonderen Wert. Der unbefangene Beobachter hatte sofort den Eindruck, daß es sich hier um anbefohlene und organisierte.

Aktionen handelte.

Die Aktion gegen die Geschäfte und Wohnungen wurde in der Hauptsache von politischen Leitern und SA-Angehörigen durchgeführt, wobei auch die allgemeine SS im Einvernehmen mit den Parteidienststellen vorging.

In einigen Bezirken beteiligte sich vereinzelt auch die HJ, welche meistens in roher Weise gegen die Juden vorging, was allgemein sehr ungünstig aufgenommen wurde.

Bei den Tempelzerstörungen war im großen und ganzen ein diszipliniertes Vorgehen festzustellen, wie überhaupt die SS strenge ihre Weisungen durchführte. In einigen Fällen wirkte sich dies derart aus, daß SS-Angehörige politische Leiter mit vorgehaltener Schußwaffe von Requirierungen und sonstigen Übergriffen zurückhielten.

Die Aktionen gegen Wohnungen und Geschäfte wären disziplinierter durchzuführen gewesen, in vielen Fällen wurde sinnlos zerstört und auch geplündert, bzw. bei den Transporten gestohlen.

In einigen Bezirken ließen die Ortsgruppenleiter die Wohnungen räumen und lagerten die Wren und Einrichtungsgegenstände bei den NSV-Stellen, nach vorheriger Inventur-aufnahme, ein.

Jedenfalls würden überraschende Haussuchungen in den SA-und NSKK-Heimen und bei deren Führern Erstaunliches an den Tag bringen. Diese Konfiskationen und sinnlosen Zerstörungen riefen naturgemäß bei der Bevölkerung schärfste Ablehnung hervor.

Die Behandlung der Juden war zum Großteil eine sehr harte und artete meistens in brutale Züchtigungen aus.

Das allgemeine Bekanntwerden dieser Einzelheiten wirkte auf die allgemeine Stimmung drückend, wodurch auch die anfängliche günstige Aufnahme der Gesamtaktion gegenwärtig in Mitleidenschaft gezogen wird. In Wien wurden ungefähr 4038 Geschäfte gesperrt. Im Kreis 1 allein wurden 1 950 Judenwohnungen ausgeräumt.

In Niederdonau wurden ähnliche Aktionen durchgeführt, doch konnten Plünderungen verhindert werden, da die Überwachung leichter ist als in Wien. Nur aus dem Kreise Lilienfeld wurden Übergriffe gemeldet, welche sich bei der dortigen Bevölkerung stimmungsmäßig schlecht auswirken. Von den Vorfällen in Wien, insbesondere von den Plünderungen, ist in Niederdonau fast nichts bekannt, so daß die Stimmung dort besser ist als in Wien ...

Die Durchführung der Aktion lediglich durch die SS hätte den Vorteil gehabt, daß in weitgehendstem Maße die Disziplin gewahrt worden wäre. Bei kommenden ähnlichen Anlässen wäre es sehr wichtig, den verschiedenen Rollkommandos SD-Angehörige mitzugeben, welche die Aufgabe hätten, SD wichtiges Material usw. vor der Zerstörung zu retten . . .

Der Führer des SD-Unterabschnittes Wien m. d. F. b. Trittner, SS-Hauptsturmführer. (Für diesen und die folgenden SD-Berichte: Archiv Yad Vashem, Jerusalem, 0-5/23-1 ff.; vgl. auch die „Tagesrapporte" der Staatspolizeistelle Wien im Bundesarchiv, R 58/1081. Zahlreiche weitere Hinweise zum Geschehen in Österreich enthält: Herbert Rosenkranz, Reichskristallnacht — 9. November 1938 in Österreich, Wien 1968)

Aktennotiz betr. Sitzung im Gauwirtschaftsamt wegen der Vorfälle am 10. 11. 1938 (Auszug)

.. . über die stimmungsmäßige Auswirkung der Aktion herrschte unter den Teilnehmern nur eine Meinung: Ablehnung und Erschütterung über die Tatsache, daß bei der Durchführung Skandalszenen vorgefallen sind, die das Ansehen der Partei und des Reiches aufs schwerste schädigen. So haben u. a. zwei Hoheitsträger erklärt, daß, wenn es heute eine andere Partei im Reiche geben würde, es Pflicht eines jeden anständigen Menschen sei, diese andere Partei zu unterstützen. Die Versammelten gaben einmütig ihrer Überzeugung dahin Ausdruck, daß Pogrome und Vandalismus nicht die Mittel sind, um die Judenfrage zu lösen, und daß Schändungen, Raub und Plünderung in der Bevölkerung und in weiten Kreisen der Parteigenossenschaft nur Abscheu hervorgerufen hat. In der Sitzung wurde festgestellt, daß in letzter Zeit überhaupt seitens der Politischen Leitung in rohester Form in das Wirtschaftsleben eingegriffen wird, daß die Kreisleiter herumfuhrwerken und nicht imstande sind, zu übersehen, welches Unheil sie anrichten ... Die Teilnehmer der Sitzung beurteilen die Aktion und die Ausschreitungen dahin gehend, daß eine Richtung zum Durchbruch gekommen ist, die unter Abkehr bisher gepredigter Grundsätze eine Politik betreibe, die von den Gegnern mit Vergnügen beobachtet wird. Die Entfesselung niedrigster Instinkte, die Anzettelung eines Aufruhrs, bei dem kommunistischer Mob in hervorragendem Maße beteiligt war, untergräbt die Staatsautorität und kann sich jederzeit auch anders auswirken.

Offiziell wird bekannt, daß die Zahl der Selbstmorde 680 ist, daß schwerste Mißhandlungen und in Linz öffentliche Schändungen vorgenommen wurden. gez. Seliger, SS-Hauptscharführer. (Yad Vashem, a. a. O.)

Bericht des SD-Unterabschnitts Salzburg an den SD-Führer des SS-Oberabschnitts Donau vom 11. 11. 1938 (Auszug)

.. . Stimmungsmäßig muß folgendes festgestellt werden: Infolge der mangelnden Propaganda und der geringen Anzahl von Zeitungslesern und Radiohörem waren weite Teile der Bevölkerung nicht einmal über das Attentat auf den deutschen Botschaftssekretär vom Rath bzw.dessen Ableben unterrichtet. Bei der Aktion gegen die Juden war infolgedessen die Bevölkerung in keiner Weise beteiligt. Die Durchführung erfolgte lediglich von Formationsangehörigen, die von ihren Vorgesetzten dazu befohlen wurden. Es ist unrichtig, wenn in den Zeitungen von einer spontanen Volksbewegung gesprochen wird, derartige Nachrichten nimmt die Bevölkerung mit einem leisen Lächeln auf.

Während die vorgenommenen Verhaftungen in weiten, auch n. s. gegnerischen Kreisen begrüßt werden und auf Verständnis stoßen, wird die Zerstörung der jüdischen Geschäfte mit dem Hinweis darauf, daß es sich dabei um Vernichtung deutschen Volksvermögens handelt, abgelehnt. Von gegnerischer Seite wird dabei auf dem Wege der Flüsterpropaganda das Argument geltend gemacht, daß kürzlich die Franziskaner, als sie fast wertloses Gerümpel bei der Räumung des Klosters aus den Fenstern auf die Straße warfen, wegen Zerstörung von Volksvermögen bestraft wurden und jetzt machen die Nationalsozialisten sinngemäß dasselbe und es wird von der Polizei geduldet. Die Einrichtung der Salzburger Synagoge ist restlos zerstört. Das in den Büroräumen der isr. Kultusgemeinde vorgefundene Aktenmaterial wurde zur Sichtung der hies. Dienststelle übergeben . . .

Der Führer des SD-Unterabschnittes Salzburg, Persterer, SS-Obersturmführer.

(Yad Vashem, a. a. O.) Bericht des SD-Unterabschnitts Tirol an den SD-Führer des SS-Oberabschnitts Donau vom 12. 11. 1938 In der Nacht vom 9. auf 10. ds. Mts. wurde von Seiten der Bevölkerung schlagartig eine Aktion gegen die Juden Innsbrucks unternommen. Im Verlaufe dieser Aktion wurden die Wohnungen aller noch nicht ausgewanderter Juden schwer beschädigt. Falls Juden bei der Aktion keinen Schaden erlitten haben, dürfte dies darauf zurückzuführen sein, daß sie übersehen wurden. Zu Plünderungen ist es nirgends gekommen. In 2 Fällen wurde das Eigentum von Ariern zerstört: in einem Fall aus Unkenntnis über die Abstammung des Wohnungsinhabers, im andern Fall war die Wohnung vor kürzerer Zeit in arische Flände gelangt.

Auch die Synagoge wurde zertrümmert. Darüber wurde in der Gaupresse berichtet. Abschließend liegt folgendes Ergebnis vor: Es wurden bis jetzt 3 Juden getötet. Es sind dies. Richard Graubart, Karl Bauer und Richard Berger, der Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde. Wilhelm Bauer liegt mit schweren Kopfverletzungen im Spital; die Ärzte zweifeln an seinem Aufkommen.

Außerdem wurden insgesamt 18 Juden festgenommen. Es handelt sich vorwiegend um arbeitsfähige Personen. Nahezu alle von ihnen waren verletzt, jedoch nur einer auf schwerere Art.

Das Ehepaar Popper wurde nach Zerstörung ihrer Wohnung in die Sill geworfen; es konnte sich jedoch ans Ufer retten. Der Mann befindet sich unter den Inhaftierten.

Die Wohnung eines Juden befand sich im selben Hause, in dem auch der italienische Konsul wohnt. Dieser war anfangs sehr empört, daß die Leute durch das Schlafzimmerfenster seiner Frau eingestiegen waren, um in die Wohnung des Juden zu gelangen. Nach Aufklärung des Sachverhaltes war er jedoch sofort beruhigt.

In einigen Teilen der Bevölkerung ist man der Meinung, daß es sich bei den Urhebern um Provokateure handelt. In manchen Kreisen glaubte man, daß es sich um Kommunisten handle. In liberalen Kreisen der Bevölkerung, sowie auch bei den Klerikalen äußerte man sich erwartungsgemäß gegen die Art und Weise des Vorgehens.

Irgendwelche Aktionen gegen Juden auf dem Lande konnten nicht festgestellt werden. Dies hat seinen Grund darin, daß die Anzahl der Juden auf dem Lande, besonders in Vorarlberg, eine äußerst geringe ist. Die näheren Einzelheiten der ganzen Aktion sind unter der Bevölkerung noch nicht bekannt. Daher gehen auch viele unsinnige Gerüchte herum. Unter den Nationalsozialisten wurde die Mitteilung von diesen Aktionen, sowie die Ankündigung noch zu erwartender Gesetze einmütig mit großer Genugtuung aufgenommen. Der Führer des SD-Unterabschnitts Tirol (Yad Vashem, a. a. O.)

Bericht des SD-Unterabschnitts Steiermark an den SD-Führer des SS-Oberabschnitts Donau vom 23. 11. 1938 (Auszug)

• ... Wirtschaftliche ungünstige Folgen und besondere Schäden sind im Zusammenhang mit der Aktion für Steiermark nicht festzustellen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß, im allgemeinen gesehen, die Juden aus dem Wirtschaftsleben bereits vollkommen ausgeschaltet sind. Für die Entfernung der Juden aus dem gesamten Gaugebiet sind aber an sich die Aktionen nicht besonders günstig. Es muß festgestellt werden, daß durch sie manche Grundlagen für die Auswanderung der Juden vernichtet wurden, die nun erst mühsam beschafft werden müssen. Die seinerzeitigen Anordnungen des Obersturmführers Eichmann hätten gewährleistet, daß mit 31. 12. auf dem Gebiet des Gaues Steiermark kein Jude mehr anwesend gewesen wäre, ob dies auch jetzt noch durchführbar sein wird, zumal die Sammelaktion Ansiedlung von 600 Juden in Palästina eine Verschiebung erfahren hat, ist fraglich.

Die Aktionen wurden in den Kreisen der ländlichen Bevölkerung und der Jugend zustimmend aufgenommen. Immerhin fanden sie einige Kritik. Ursache hierfür sind die körperlichen Züchtigungen und insbesondere das Niederbrennen der Zeremonienhalle. Seitens der hiesigen Dienststelle muß bemerkt werden, daß das Unterbleiben der Aktionen sowohl stimmungsmäßig als auch sachlich im Gebiet der Steiermark sicher besser gewesen wäre als ihre Durchführung. Die gesetzlichen Maßnahmen gegen die Juden haben jedenfalls ein viel besseres Echo gefunden als die Zerstörungen. Ferner muß ausdrücklich noch einmal festgestellt werden, daß sowohl der SD als die Geheime Staatspolizei zu spät in Kenntnis gesetzt wurden von der Absicht solcher Demonstrationen, das andere Partei-dienststellen zuverläßlich früher davon Kenntnis hatten. Sehr ungünstig machte sich auch bei solchen Gelegenheiten der Einsatz der SA bemerkbar, die anscheinend auf gewisse Rivalität zurückzuführen ist, aber dafür meist um so störender wirkt. Aufnahmen werden nachgereicht.

Der Führer des SD-Unterabschnittes Steiermark (Yad Vashem, a. a. O.).

Urteil des Sondersenats des Obersten Partei-gerichts in Sachen des SA-Scharführers und Pg. August Frühling in Lesum und des SA-Rottenführers Bruno Mahlstedt vom 20. Januar 1939 (Auszug)

... Für Recht erkannt: Das Verfahren wird eingestellt.

Begründung: In der Nacht vom 9. zum 10. 11. 1938 wurden in Lesum bzw. Platjenwerbe das jüdische Ehepaar Goldberg und der jüdische Elektriker Sinasohn in ihren Wohnungen erschossen. Sinasohn wurde nach der Erschießung vergraben .. . Die Ausführenden waren im Falle Goldberg der SA-Scharführer Frühling, im Falle Sinasohn der SA-Rottenführer Mahlstedt. Beide legten, zur Verantwortung gezogen, dar, über den Obersturmführer’ Jahns bzw.den Obertruppführer Harder von dem Sturmhauptführer Köster den Befehl zur Erschießung der Juden Goldberg und Sinasohn und zur Beiseiteschaffung des Sinasohn empfangen zu haben ... Sturmhauptführer Köster, Bürgermeister der Stadt Lesum, wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 um etwa 1/2 4 Uhr durch das Telefon geweckt. Sein Hausmeister, der ihn angerufen, teilte ihm mit, daß die Standarte 411 ihn zu sprechen wünsche. Auf der Standarte meldete sich ein Truppführer Seggermann. Es entwickelte sich folgendes Gespräch: „Hier Standarte 411. Am Telefon Truppführer Seggermann. Haben Sie schon Befehl?" Köster: „Nein". Seggermann: „Großalarm der SA in ganz Deutschland. Vergeltungsmaßnahmen für den Tod von vom Rath. Wenn der Abend kommt, darf es keine Juden mehr in Deutschland geben. Auch die Judengeschäfte sind zu vernichten. Sturmbannführer Roeschmann ist zu benachrichtigen." Köster hat den ganzen Befehl wiederholt und, überrascht durch den Inhalt des Mitgeteilten, nach der Wiederholung des Befehls noch einmal gefragt: „Was soll denn tatsächlich mit den Juden geschehen?", worauf ihm von Seggermann die Antwort (gegeben) wurde: „Vernichten!" Auf die weitere Frage von Köster, ob Sturmbannführer Roeschmann sich noch eine Bestätigung des Befehls holen solle, gab Seggermann die weitere Antwort: „Nein, handeln!"

Köster begab sich darauf zu dem Haus von Roeschmann ... Wegen der Bedeutung des Befehls wurden beide sich einig, sich eine Bestätigung bei der Gruppe zu holen... Dort meldete sich ...der Stumführer vom Dienst Gross. Roeschmann, der den erhaltenen Befehl am Fernsprecher nicht durchgeben wollte, sagte ... lediglich: „Ich habe hier so einen verrückten Befehl; hat das mit dem seine Richtigkeit?", worauf ihm Gross antwortete: „Jawohl, in Bremen ist schon die Nacht der langen Messer im Gange. Die Synagoge brennt bereits". Auf die Frage Roeschmanns: „Ist das amtlich?", antwortete Gross: „Das ist amtlich" ...

Roeschmann und Köster haben das von Gross Gesagte als eine Bestätigung des Befehls der Standarte aufgefaßt, also die „Nacht der langen Messer" auf die Beseitigung der Juden bezogen .. . Sowohl Roeschmann als auch Köster erteilten sodann an ihre Männer in der Gewißheit, daß ein solcher Befehl nur im Einverständnis mit den höchsten Stellen gegeben werde, im Innern erschüttert, entsprechende Befehle, wobei Köster, als ihn der Obertruppführer Harder im Falle Sinasohn bei der Befehlsausgabe noch einmal fragte, was denn nun getan werden solle, antwortete: „Vernichten, verschwinden lassen". Die Worte „verschwinden lassen", die nach der Meinung Kösters nur ein weiterer Ausdruck für vernichten sein sollten, faßte Harder wörtlich auf, so daß nach der Erschießung des Sinasohn durch Mahlstedt der Erschossene von Harder und seinen Leuten auf einer Weide begraben wurde. Köster selbst ging mit einem seiner Truppführer zu einer jüdischen Familie, verhaftet sie und fuhr sie mit seinem Wagen auf freies Feld, um sie zu erschießen. Er brachte die Erschießung jedoch ebensowenig wie sein Truppführer über sich, sondern ließ die Juden auf dem Feld unter Abgabe eines Schreckschusses laufen.

Bei den die Erschießungen Ausführenden, Frühling und Mahlstedt, handelt es sich um gut beleumundete Männer, die der SA seit 1935 angehören, die nicht vorbestraft sind und denen von ihren zuständigen SA-Führern nach Charakter und Führung ein gutes Zeug-15 nis ausgestellt wird. Irgendwelche selbstsüchtigen Motive waren bei keinem von ihnen festzustellen. Die Erschossenen sind sowohl Mahlstedt als auch Frühling unbekannt gewesen. Beide haben einem erhaltenen Befehl in selbstverständlichem Gehorsam’ nach schwerem inneren Kampf Folge geleistet.

... Mit dem Ausdruck „die Nacht der langen Messer" will Gross ferner lediglich von sich aus der Stimmung Ausdruck gegeben haben, die in der Nacht unter den SA-Führern geherrscht habe, nämlich, daß nunmehr der Zeitpunkt der völligen gewaltsamen Lösung der Judenfrage gekommen sei, bei der es auf das Leben eines Juden nicht ankomme.

Der Befehl des Gruppenführers, der dem Stabsführer der Gruppe, Oberführer Römpa-gel in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 telefonisch übermittelt wurde, ist von diesem wie folgt schriftlich zusammengefaßt worden:

„Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür zu sorgen hat, daß keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. Die Verwaltungsführer der SA stellen sämtliche Wertgegenstände einschließlich Geld sicher. Die Presse ist heranzuziehen.

Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen von der Feuerwehr. Jüdische anliegende Wohnhäuser sind auch von der Feuerwehr zu schützen, allerdings müssen die Juden raus, da Arier in den nächsten Tagen dort einziehen werden.

Die Polizei darf nicht eingreifen. Der Führer wünscht, daß die Polizei nicht eingreift.

Die Feststellung der jüdischen Geschäfte, Lager und Lagerhäuser hat im Einvernehmen mit den zuständigen Oberbürgermeistern und Bürgermeistern zu erfolgen, gleichfalls das ambulante Gewerbe.

Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen zu schießen.

An den zerstörten jüdischen Geschäften, Synagogen usw. sind Schilder anzubringen, mit etwa folgendem Text: Rache für Mord an vom Rath. Tod dem internationalen Judentum. Keine Verständigung mit den Völkern, die juden-hörigsind. Dies kann auch erweitert werden auf die Freimaurerei."

... Römpagel hat als Zeuge bekundet, daß er, nachdem er den Befehl erhalten, sich darüber klar gewesen sei, daß es Tote geben würde. Er habe aber weder den Gruppenführer gefragt, ob Juden umgelegt werden könnten, noch habe der Gruppenführer von sich aus Ähnliches gesagt. Erst um 2 Uhr sei ihm vom Gruppenführer durch den Befehl, daß die Juden in ein Konzentrationslager gebracht werden sollten, Klarheit geworden, was mit den Juden zu geschehen habe. Er selbst habe aber auch vor Erhalt des zweiten Befehls den ersten Befehl nicht so aufgefaßt, daß einfach bel jedem Juden Widerstand ohne weiteres anzunehmen sei, denn er habe selbst die Besitzer eines jüdischen Hotels ausgehoben, ohne diese irgendwie anzurühren. Allerdings sei die Meinung unter den SA-Führern, die auf der Gruppe erschienen waren, die gewesen, daß es nun auf Judenleben nicht ankomme, und daß ruhig der eine oder andere über die Klinge springen könnte ...

(Archiv Institut für Zeitgeschichte)

Einzelfälle — Mannheim 1. Bei Fritz Bloch ... wurde die ganze Wohnungseinrichtung demoliert, die Tastatur des Flügels durch Axthiebe schwer beschädigt.

2. Die 65jährige Witwe Josephine Levi, Rupp-rechtstraße 5, die sich allein in der Wohnung befand, wurde befragt: „Haben Sie Geld?" Auf ihre bejahende Antwort wurde sie aufgefordert, das Geld herzugeben. Das Geld wurde mitgenommen. Betrag unbekannt.

3. Bei Doernberg, Große Merzelstraße 7, wurden 6 000 RM, stammend aus dem vor wenigen Tagen abschlossenen Verkauf eines Einzelhandelsgeschäfts, ohne jede Quittung mitgenommen, desgleichen wurden dein 75 Jahre alten Vater der Frau Doernberg 300 RM abgenommen, gleichfalls ohne Quittung.

4. Bei Siegfried Plato, Augusta-Anlage 12, wurde die Wohnung bei Abwesenheit der Bewohner aufgebrochen. Es fehlen: eine silberne Toilettengarnitur, ein silbernes und ein goldenes Zigarettenetui, wahrscheinlich auch Wäsche. 5. Bei Dr. Eugen Siegel, Karl-Ludwig-Straße 31, schwere Zerstörung der Wohnungseinrichtung. Darunter eine Sammlung Frankenthaler" Porzellan, deren Stücke einzeln zertrümmert wurden. 6. Bei Max Lipmann, Konzertsänger, Elisa-bethstraße 11, der in Vorbereitung zur Auswanderung stand, wurden sämtliche, d. h. Dutzende von zum Teil wertvollen Opern-Klavierauszügen sowie handgeschriebene Lieder auf die Straße geworfen und verbrannt. Die Tastatur des Flügels wurde durch Axthiebe schwer beschädigt. 7. Bei Viktor Odenheimer, Augusta-Anlage 29, wurde vernichtet: eine „Meistersinger" -Partitur, mit eigenhändiger Widmung Richard Wagners, eine alte Meistergeige (mit der Axt zerschlagen), alt-chinesische Vasen im Wert von etwa 20 000 RM sowie ein wertvolles Mosaik. Der Wohnungsinhaber machte auf den unschätzbaren Wert dieser Dinge aufmerksam und erklärte sich bereit, alles einem Museum zu schenken. Trotzdem wurde alles vor den Augen der Wohnungsinhaber zertrümmert. Außerdem wurde eine Menge Noten auf die Straßen geworfen und verbrannt sowie die beiden Flügel mit Axthieben schwer beschädigt.... 9. Bei Rhonheimer ... wurden nicht nur alle, auch sehr wertvolle Gebrauchsgegenstände, Möbel, geschnitzte alte Stühle, Schränke, Spiegel, Teppiche bis aufs kleinste zerstört, zerbrochen, zerschnitten und besudelt, sondern auch Kunstgegenstände, Vitrinen mit Inhalt, und zwar Stück für Stück, so auch eine wertvolle Porzellansammlung. Daneben stand das Skelett eines Flügels, vor dem splitter-artige Überreste einer alten Geige und eines Cellos lagen. Eine wertvolle Bibliothek war zum größten Teil zerstört; unter anderem lag ein vielbändiges, in Schweinsleder gebundenes Werk über Friedrich den Großen zerfetzt und zertreten auf dem Boden. Im übrigen war die ganze Einrichtung einschließlich Badewannen, Waschtischen und Closettschüsseln in Splitter geschlagen. 10. Bei Sigmund Keller ... war die Zerstörung so vollkommen, daß weder ein Stuhl, noch ein Glas, noch eine Tasse oder ein Teller mehr heil und gebrauchsfähig war. 17. Am 10. 11. 1938 mittags gegen 1/2 1 Uhr wurde der Eingangsbau des jüdischen Friedhofs in die Luft gesprengt. Die Detonation war in der ganzen Stadt hörbar. Der jüdische Friedhof liegt in unmittelbarer Nähe des großen städtischen Krankenhauses. (Hans-Joachim Fliedner, Die Judenverfolgung in Mannheim 1933— 1945, Bd. II, S. 330 f„ Stuttgart 1971)

Hohenzollerische Blätter, 12. November 1938 Volkszorn zerstört Hechinger Synagoge Gerechte Vergeltungsmaßnahmen treffen das Judenpack Das Bekanntwerden des Ablebens des durch feige jüdische Mörderhand niedergestreckten deutschen Diplomaten, Parteigenossen vom Rath, hat, wie im ganzen Reich, so auch in unserer Stadt tiefste Empörung und gerechten Zorn des Volkes ausgelöst. In der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag sammelten sich in der Goldschmiedstraße vor der Synagoge empörte Volksgenossen, die in durchaus verständlicher und berechtigter Erregung diese jüdische Kultstätte zum Zielpunkt ihres Vergeltungswillens genommen hatten. Binnen kürzester Zeit waren die Türen erbrochen und die gesamten Einrichtungsgegenstände zerstört. In ihrem kaum zu überbietenden Zorn machten die Volksgenossen derart „ganze Arbeit", daß an eine Wiederherstellung der Innenausstattung für den bisherigen Zweck nicht mehr gedacht werden kann.

Das im Jahre 1775 erbaute Haus, welches seit seinem Bestehen den Juden als religiöser Versammlungsraum diente, gleicht innen einem Trümmerhaufen. Auch sämtliche Fenster und Türen sind zerschlagen. — Die schon in den frühen Morgenstunden des Donnerstag zur Goldschmiedstraße strömende Einwohnerschaft diskutierte erregt über den gemeinen Meuchelmord an einem hoffnungsvollen jungen Deutschen und gab unverhohlen ihrer Befriedigung über die empfindliche Vergeltung des heimtückischen Schurkenstreiches Ausdruck. Mit Abscheu spricht jedermann von dem jüdischen Pack, das nun auch hier in Hechingen die Faust des Volkes zu spüren bekam. Möge dieses Beispiel der Judenschaft zeigen, daß Deutschland nicht länger mit sich spielen läßt und seine Feinde dort zu treffen weiß, wo es sie am meisten schmerzt. — überflüssig zu sagen, daß von Ausschreitungen oder gar Plünderungen nirgends etwas bemerkt werden konnte. Wer Zeuge der antijüdischen Aktionen war, mußte sich vielmehr über die Disziplin, die von der Volksmenge trotz der Empörung über die jüdische Mordtat gehalten wurde, wundern.

Wie aus Haigerloch berichtet wird, ist auch dort die Synagoge vollkommen demoliert worden. Auch mehrere jüdische Behausungen nahm das erregte Volk zum Ziel seiner Vergeltungsmaßnahmen. In Tübingen drang die erregte Menge in die Synagoge ein und zerstörte die Einrichtungsgegenstände. Gegen 4 Uhr morgens stand die Synagoge in Flammen. Die herbeigerufene Feuerwehr mußte sich in der Hauptsache darauf beschränken, die nebenanliegenden Gebäude zu schützen. Das Feuer fand in der Holzkonstruktion des Gebäudes reiche Nahrung, so daß das Gebäude bald ausgebrannt war. Um jede Gefahr zu bannen, mußten die übriggebliebenen Trümmer eingerissen werden. Als in Stuttgart und im Gau Württemberg die Kunde eintraf, daß der Gesandtschaftsrat vom Rath in Paris seinen Verletzungen erlegen ist, fanden erregte Protestkundgebungen gegen die Juden statt. Gegen drei Uhr nachts standen die beiden großen Synagogen in Stuttgart und Bad Cannstatt in hellen Flammen, die bis zum Anbruch des Tages vollständig aus-und niedergebrannt waren. (Paul Sauer, Dokumente über die Verfolgung der jüdischen Bürger in Baden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933— 1945, II. Teil, S. 21, Stuttgart 1966)

Waisenhaus Eßlingen Am 10. November 1938 zwischen 12 und 1 Uhr erschienen im Speisesaal des Waisenhauses mit Äxten und schweren Hämmern bewaffnete Zivilisten und SA-Leute und zwangen uns unter den Rufen „Raus mit euch" das Haus zu verlassen und uns hinter dem Gebäude am Komposthaufen zu versammeln. Ein Teil der Kinder floh, die übrigen wurden mit uns von SA bewacht. Ich persönlich kannte keinen der Leute, habe aber einen besonders rohen Rothaarigen und einen Buckligen in steter Erinnerung. Während sich ein Teil unbeteiligt in den Gängen und außerhalb aufhielt, zerstörten die anderen, was erreichbar war. Aus den Zimmern der Lehrer und aus unserer Wohnung warf man Bücher, aus dem Betsaal Gebetbücher, Thorarollen und Gedenktafeln auf einen brennenden Scheiterhaufön. Den weinenden Kindern drohte einer dieser Rohlinge, man werde auch sie dort verbrennen. Uhren, Wecker, Ringe und andere Wertgegenstände wurden gestohlen ...

Wir fanden auf unserem Rückweg Lehrer Fritz Samuel bewußtlos geschlagen mit Keulen aus dem Turnsaal, Lehrer Jonas und mein Nann wurden mißhandelt, weil sie keine Auskunft über Geheimarchive, die im Waisenhaus existieren sollten, geben konnten. Wir wateten durch Glasscherben und zerrissene Bücher und wurden mit den Kindern in einem der Schulsäle eingeschlossen. Dann kam der Befehl, die Kinder noch vor Einbruch der Nacht wegzubringen. Nach langen Verhandlungen erlaubte man meinem Mann, Stuttgarter Bekannte anzurufen, um die Kinder mit Autos zu holen. Wir hatten zu unterschreiben, daß wir, mein Mann und ich, als Letzte das Haus bis 7. 30 Uhr nächsten Tages zu verlassen hätten, andernfalls man uns in Schutzhaft nehmen werde. Taxichauffeuren und Privatleuten, die Kinder wegbringen wollten, wurde jede Verbindung mit uns verboten. Ehemalige Zöglinge aus Stuttgart kamen auf Umwegen während der Nacht und halfen uns. Wir verließen das Haus mit Rucksäcken ... Einige Kinder hatten sich zu Fuß auf den Weg nach Stuttgart gemacht, sie fanden Hilfe unterwegs von Passanten. Meine Schwester und mein Schwager kamen während der Nacht auf der Flucht von Unterfranken ins Waisenhaus, sie wurden nach wenigen Minuten aus dem Hause gewiesen. Aus Angst gingen sie zu Fuß nach Stuttgart... (Paul Sauer, Die Schicksale der jüdischen , Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1933— 1945, S. 420, Stuttgart 1968)

Bericht des SD-Unterabschnitts Württemberg-Hohenzollern für das 4. Vierteljahr 1938 vom 1. Februar 1939 (Auszug)

Judentum Das Hauptereignis der Berichtszeit war die als Folge des Mordes an vom Rath entstandene Aktion gegen die Juden am 9. 11. 1938 und der folgenden Zeit. Zusammenfassend kann folgendes gesagt werden:

1. Der durch die Aktion entstandene Gesamtschaden beträgt RM 197 950.

2. Insgesamt wurden 18 Synagogen verbrannt, bei 12 Synagogen wurde die Inneneinrichtung demoliert.

3. Die Gesamtzahl der verhafteten Juden beträgt 878, von denen nunmehr noch 40 inhaftiert sind.

4. Im Verlauf der Aktion (einschließlich Dachau) ereigneten sich 13 Todesfälle. Außerdem wurden 2 Selbstmordversuche gezählt.

5. Insgesamt ereigneten sich 5 Plünderungen von Geschäften und Wohnungen, und zwar in Heilbronn und Stuttgart. 6. Die Aufnahme in Parteikreisen war durchwegs gut. Es wurde teilweise bemängelt, daß einzelne Pg. sich bei der Übernahme von jüdischen Geschäften und Besitzes unrühmlich benahmen.

Für die Aufnahme in konfessionellen Kreisen sei der Ausspruch eines evangelischen Pfarrers angeführt, der zu einem Eintopfsammler sagte: „Am Samstag zündet man Häuser an, am Sonntag kommt man zum Betteln. Das ist eine Gottlosigkeit, wie sie im Buche steht." 7. In Wirtschaftskreisen wurde die Aktion mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Als Beispiel für die schlechte Haltung eines Gewerbezweiges, der aus der Aktion nur hätte Nutzen ziehen können, sei die Tatsache angeführt, daß die Stuttgarter Glasermeister beschlossen, den Juden für die Anfertigung neuer Schaufenster einen billigeren Preis zu berechnen, da die Juden den Schaden ja nicht verursacht hätten. 8. Bezüglich der Auswanderung hat die Aktion bewirkt, daß von den verhafteten Juden 253 sich sofort zur Auswanderung bereiterklärten. Eine große Zahl dieser Juden wird sich als Zwischenstation bis zur endgültigen Einwanderung das Zielland England wählen. Das Ziel dieser Auswanderer ist nach den bisherigen Berechnungen zu 60 °/o Nordamerika, zu 20 % Südamerika, zu 10 °/o das Britische Weltreich, der Rest verteilt sich auf Portugal, Frankreich und Palästina.

Kirchenpolitische Entwicklung ... Katholische Kirche Zur Judenaktion werden katholischerseits nur zurückhaltende Stellungnahmen genommen. Kirchliche Kreise lehnen das Vorgehen gegen die Juden ab, • besonders aus der Erwägung, mit dem Katholizismus würde einmal ebenso verfahren werden, wie mit dem Judentum. Bezeichnend ist folgende Äußerung eines Katholiken: „Jetzt sind sie mit den Juden fertig, nun kommen wir dran.“ ...

Evangelische Kirche Obwohl sich die offiziellen Stellen und Personen der Landeskirche jeder Stellungnahme zur Judenfrage und zur Judenaktion enthielten, wurden doch die Vergeltungsmaßnahmen von dem Großteil der Geistlichkeit wie auch der ev. Bevölkerung mit Begründungen wie „Die Juden sind doch auch Menschen" und „Man darf doch keine Gotteshäuser anzünden, das ist doch Gotteslästerung" usw. abgelehnt. Die kirchlich-theologische Sozietät, der extremste Flügel der B(ekennenden) K(irche), gab an seine Anhänger und die zuverlässigsten Glieder der Gemeinden eine Vervielfältigung einer scharf und grenzenlos prosemitischen Schrift „Das Heil kommt von den Juden" heraus, die von dem berüchtigten Theologen Prof. Karl Barth, Basel, verfaßt worden war ...

Liberalismus ... Dazu kam dann die Judenaktion. Die eingefleischten Demokraten zeigten eine besondere Judenfreundlichkeit und bemitleideten die in Haft genommenen Juden sehr. Tolle Gerüchte über Selbstmorde und Todesfälle im Konzentrationslager wurden in Umlauf gesetzt. Die Zerstörung der Judengeschäfte und Synagogen wurde als Zerstörung von deutschem Volksvermögen erklärt. . .

Reaktion Die Judenaktion gab weitgehendst Anlaß zur Kritik. Es wurde hervorgehoben, daß die Zerstörung der jüdischen Geschäfte und auch der Synagogen in keiner Weise im Sinne des Vierjahresplanes sei. In diesen Kreisen wurde mit außenpolitischen Verwicklungen, ja selbst mit einem Kriege gerechnet. In Einzelfällen wurde auch eine mehr oder minder starke Judenfreundlichkeit bekannt. Z. B. schickte ein 81 Jahre alter Oberst (früher Stahlhelm, jetzt Pg.) einem Juden anläßlich der Aktion einen Blumenstrauß, um ihm seine innere Verbundenheit auszudrücken. In Creglingen verhalf ein NSKK-Mann und Angehöriger des NS-Reichskriegerbundes einem Juden zur Flucht, damit sich dieser der Festnahme entziehen konnte. Nachher setzte sich auch noch der Kreisführer des NS-Reichskriegerbundes für diesen Judenfreund ein. Erklärlich wurde dies durch die Feststellung, daß der betreffende Kreisführer einen Juden als Mieter hat.

Bemerkenswert ist, daß sich der Alldeutsche Verband ganz zu den Maßnahmen der Regierung gegen die Juden bekennt...

Nachträglich haben sich noch verschiedene Kriegerkameradschaften dem NS-Reichskriegerbund angeschlossen ... Bei der Eingliederung zeigte es sich, daß in manchen Offizierskameradschaften noch Juden geführt werden. Diese hatten es bis jetzt verstanden, die Ausstellung des verlangten arischen Nachweises zu verzögern ...

(Paul Sauer, Dokumente, a. a. O„ S. 53 ff.)

Aktionsjuden Gesamtzugänge im KL Dachau in der Zeit vom 10. 11. 1938 — 22. 12. 1938: 10 911.

Die Transporte kamen von: München, Regensburg, Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Augsburg, Bamberg, Fürth, Heilbronn, Ulm a. d. Donau, Stuttgart, Wien, Graz, Nürnberg, Frankfurt a. M., Saarbrücken, Köln, Offenbach, Düsseldorf, Wuppertal, Essen. Entlassungen in der Zeit von November 1938 bis August 1939: 10 415 Tote im gleichen Zeitraum: 185 Überstellungen: 95

Judenaktion vom 10. 11. 38 (KL Buchenwald) Die Zahl der eingelieferten Juden ins KL Buchenwald betrug in der Zeit vom 10. 11.

bis 14. 11. 1938 9 828 A. -Juden Am 17. 11. 1938 wurden noch eingeliefert 2 A. -Juden und am 8. 12. 1938 mit regulärem Sammeltransport 15 A. -Juden so daß die Zahl der eingelieferten Aktionsjuden 9 845 beträgt. Die Zahl der Abgänge beträgt in der Zeit vom 10. 11.

1938— 3. 1. 1939 8311 A. -Juden Zugang 9 845 Abgang 8 311 1 534 am 3. 1. 1939 abends.

(Wiener Library London, P. II. d. No. 750)

Bericht des Sondersenats des Obersten Partei-gerichts über die Vorgänge und parteigerichtlichen Verfahren, die im Zusammenhang mit den antisemitischen Kundgebungen vom 9. November 1938 stehen (Auszug) .. . In den Fällen 4— 16 handelt es sich um Tötungen auf Befehl, aufgrund unklaren oder vermeintlichen Befehls, ohne Befehl aus Haß gegen den Juden und aus der Auffassung heraus, daß nach dem Willen der Führung Rache genommen werden sollte für den Tod des Pg. vom Rath, oder um Tötungen aufgrund plötzlichen aus der Situation heraus in der Erregung gefaßten Entschlusses, wobei auch hier der innere Grund der erklärte Zweck der ganzen Aktion war, und die Vorstellung, daß in irgendeiner Form Vergeltung für den Pg. vom Rath geübt werden sollte.

Soweit ein klarer Befehl vorliegt ..., bedarf die Bitte um Niederschlagung des Verfahrens gegen die unmittelbaren Täter keiner weiteren Begründung. Der Befehl muß die Verantwortung verlagern vom Handelnden auf den Befehlsgeber. Die Männer haben zudem vielfach schwerste innere Hemmungen niederkämpfen müssen, um den Befehl durchzuführen. Es ist — wie auch verschiedentlich vonseiten der Täter zum Ausdruck gebracht wurde — eben nicht Sache unserer SA-und SS-Männer, nachts in Räuberzivil in Schlafzimmer einzudringen, um selbst den verhaßten politischen Gegner neben oder mit seiner Frau zu erledigen.

Die Nachprüfung der Befehlsverhältnisse hat ergeben, daß in all diesen Fällen ein Mißverständnis in irgend einem Glied der Befehls-kette entstanden ist, insbesondere dadurch, daß es dem aktiven Nationalsozialisten aus der Kampfzeit selbstverständlich ist, daß Aktionen, bei denen die Partei nicht als Organisator in Erscheinung treten will, nicht mit letzter Klarheit und in allen Einzelheiten befohlen werden. Er ist infolgedessen gewohnt, aus . einem solchen Befehl mehr herauszulesen, als wörtlich gesagt ist, wie es auch auf der Seite des Befehlsgebers vielfach Übung geworden ist, im Interesse der Partei — gerade wenn es sich um illegale politische Kundgebungen handelt — nicht alles zu sagen und nur anzudeuten, was er mit dem Befehl erreichen will. So hat wohl jeder, der im Rathaus-saal anwesenden Parteiführer die Weisung des Pg. Dr. Goebbels, daß die Partei diese Demonstration nicht zu organisieren habe, so aufgefaßt, daß die Partei als Organisator nicht in Erscheinung treten solle; Pg. Dr. Goebbels wird sie auch so gemeint haben, denn die politisch interessierten und darüber hinaus aktiven Kreise, die für solche Demonstrationen in Frage kommen, stehen eben in der Partei und ihren Gliederungen, Sie konnten selbstverständlich auch nur durch Dienststellen der Partei und der Gliederungen mobilisiert werden. — So hat auch eine Reihe von Unterführern die an sie mündlich oder fernmündlich gelangten, nicht immer sehr glücklich formulierten Befehle — z. B.: Nicht der Jude Grünspan, das ganze Judentum trage die Schuld an dem Tod des Pg. vom Rath, das Deutsche Volk nehme infolgedessen Rache am gesamten Judentum, im ganzen Reiche brennten die Synagogen, jüdische Wohnungen und Geschäfte seien zu verwüsten, Leben und Eigentum der Arier müsse geschützt, ausländische Juden dürften nicht belästigt werden, die Aktion werde auf Befehl des Führers durchgeführt, die Polizei sei zurückgezogen, Pistole sei mitzubringen, bei geringstem Widerstand sei rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen, als SA-Mann müsse nun jeder wissen, was er zu tun habe usw. — so verstanden, daß nun für das Blut des Pg. vom Rath Judenblut fließen müsse, daß es jedenfalls nach dem Willen der Führung auf das Leben eines Juden nicht ankomme ...

Es ist selbstverständlich, daß unter den geschilderten Umständen auch der unklare Befehl die Verantwortung nach oben verschieben muß. Das Gleiche gilt für den falschverstandenen Befehl...

Eine andere Frage ist die, ob der absichtlich unklar, in der Erwartung gegebene Befehl, der Befehlsempfänger werde den Willen des Befehlsgebers erkennen und danach handeln, nicht im Interesse der Disziplin der Vergangenheit angehören muß. In der Kampfzeit mochte er in einzelnen Fällen notwendig sein, um einen politischen Erfolg herbeizuführen, ohne dem Staat die Möglichkeit zu geben, die Urheberschaft der Partei nachzuweisen. Dieser Gesichtspunkt fällt heute weg. Auch die Öffentlichkeit weiß bis auf den letzten Mann, daß politische Aktionen wie die des 9. November von der Partei organisiert und durchgeführt sind, ob dies zugegeben wird oder nicht. Wenn in einer Nacht sämtliche Synagogen abbrennen, so muß das irgendwie organisiert sein und kann nur organisiert sein von der Partei. Der Soldat aber darf nicht in die Lage gebracht werden, Überlegungen anzustellen, was er nun eigentlich nach dem Willen des Befehlsgebers zu tun habe, ob der Befehl auch wirklich so gemeint sei, wie er lautet; denn möglicherweise kommen solche Überlegungen einmal in wichtigen Angelegenheiten zu einem falschen Ergebnis oder es werden Überlegungen angestellt, wenn der Befehlsgeber den Befehl nun wirklich wörtlich aufgefaßt und durchgeführt wissen will. In jedem Fall aber wird dadurch die soldatische und damit nationalsozialistische Auffassung von Disziplin und Verantwortung untergraben. Auch in den Fällen, in denen Juden ohne Befehl .. . oder befehlswidrig ... getötet wurden, konnten unlautere Motive nicht festgestellt werden. Die Männer waren innerlich der Überzeugung, ihrem Führer und der Partei mit ihrer Tat einen Dienst getan zu haben. Ein Ausschluß aus der Partei ist deswegen nicht erfolgt. Denn letzter Zweck der durchgeführten Verfahren und damit auch Maßstab für die Beurteilung muß nach Auffassung des Obersten Parteigerichts sein, diejenigen Parteigenossen zu decken, die aus anständiger nationalsozialistischer Haltung und Einsatzbereitschaft über das Ziel hinausgeschossen waren und auf der anderen Seite einen Trennungsstrich zu ziehen zwischen der Partei und denjenigen, die den völkischen Freiheitskampf der Partei gegen das Judentum in schnöder Weise zu persönlichen Zwecken mißbraucht oder darüber hinaus aus verbrecherischen Motiven gehandelt haben. Es ist infolgedessen auch in den Fällen befehlswidrigen Vorgehens lediglich die Disziplinwidrigkeit mit Strafen, die unter dem Ausschluß liegen, geahndet worden .. .

Der Bericht über das bisherige Ergebnis der Verfahren wird vorgelegt einmal, weil die polizeilichen Ermittlungen in den übrigen (insgesamt 91) Fällen von Tötungen noch nicht abgeschlossen sind, zum anderen, weil das bisherige Ergebnis — was insbesondere Beweggründe und Zusammenhänge betrifft — einen Ausschnitt und Überblick geben dürften, in Sonderheit aber, weil der Senat künftig davon absehen möchte, Verfahren wegen Tötungen von Juden im Rahmen der Aktion vom 9. 11. 1938 überhaupt durchzuführen, wenn nicht aufgrund der polizeilichen Ermittlungen der Verdacht besteht, daß eigennützige oder verbrecherische Beweggründe vorliegen. Der Inhalt dieses Berichts begründet diese Auffassung. Darüber hinaus hat die letzte Hauptverhandlung in der Sache Schenk ergeben, daß der erste bekanntgewordene Fall der Tötung eines Juden, und zwar des polnischen Staatsangehörigen, dem Reichspropagandaleiter Pg. Dr Goebbels am 10. 11 1938 etwa gegen 2 Uhr gemeldet und dabei der Auffassung Ausdruck gegeben wurde, daß etwas geschehen müsse, um zu verhindern, daß die ganze Aktion auf eine gefährliche Ebene abglitte. Pg. Dr. Goebbels hat nach der Aussage des stellvertretenden Gauleiters von München-Oberbayern sinngemäß darauf geantwortet, der Melder solle sich wegen eines toten Ju21 den nicht aufregen, in den nächsten Tagen würden Tausende von Juden daran glauben müssen. In diesem Zeitpunkt hätten sich die meisten Tötungen durch eine ergänzende Anordnung noch verhindern lassen. Wenn dies nicht geschah, so muß aus dieser Tatsache wie aus der Äußerung an sich schon der Schluß gezogen werden, daß der schließliche Erfolg gewollt, mindestens aber als möglich und erwünscht in Rechnung gestellt wurde. Dann hat aber der einzelne Täter nicht nur den vermeintlichen, -sondern den zwar unklar zum Ausdruck gebrachten, aber richtig erkannten Willen der Führung in die Tat umgesetzt. Dafür kann er nicht bestraft werden.

(IMT Bd. XXXII, S. 20 ff., PS-3063)

Rauch Es ist zeitig am Morgen und über die Adolf-Hitler-Brücke flutet der eben von der Nachtruhe erwachte Verkehr. Der Zementbelag des Radfahrerwegs ist schon merklich abgeschliffen. Still, fast befangen geht der Neckar seinen gewohnten Weg. Wohin das Auge auch blickt, überall hängen graue Schleier, ganz zart und fein, wie Spinnengewebe. Kein Zweifel mehr, es wird doch Winter werden! Das hat sich heute kundgetan.

Dieses schmutzige Grau, das dem ausschreitenden Morgen nicht weichen will, hat Tränen in den Augen und man fühlt, davon benetzt zu werden. Es ist wohl mit sich selbst nicht zufrieden. So müssen denn die schwarzen Rauchwolken, die aus den hohen Kaminen weit im Halbrund aufsteigen, in heilloser Vereinsamung durch den tristen Raum irren. Auch sie lehnen sich gegenseitig ab, und so erscheinen sie denn am Firmament als lang-gestreckte Fahnen, die über der Stadt stehen. Da ist nichts mehr von Jubel, von Farbe und Licht. Grau und Schwarz sind Diktator geworden. Werden sie stehen bleiben, werden sie weiter gehen? Wenn ihr Beharrungszustand über unsern Häusern sich löst, dann wird es viel Ruß regnen, der nur mit viel Seife wird wieder wegzuwaschen sein. h. (Neue Mannheimer Zeitung 10. November 1938, zitiert nach Hans-Joachim Fliedner, Judenverfolgung, a. a. O., S. 333)

C. Dokumente zur wirtschaftlichen Entrechtung

Denkschrift des Gauleiters Julius Streicher vom 14. April 1939 (Auszug)

... Die Judenaktion vom November 1938 ist nicht spontan aus dem Volke gekommen und darum wurde sie auch in ihrer Auswirkung selbst von vielen Parteigenossen nicht verstanden. Mit der Durchführung der Judenaktion waren Teile der Parteigliederungen beauftragt. Wenn nun Einzelfälle nachgewiesen sind, in denen Parteigenossen mit tadellosem polizeilichem Leumund sich beim Vollzug der Aktion irgendwelche Gegenstände aneigneten, so darf bei der Beurteilung dieses Geschehens nicht unbeachtet bleiben, daß diese Aneignung in einem Augenblicke geschah, in dem die Vernichtung von Sachwerten auftragsgemäß sich vollzog... Es ist verständlich, wenn auf dem Trümmerhaufen jener Judenaktion innerhalb dieses oder jenes Gaues in der Partei die Meinung entstand, es sei der Zeitpunkt gekommen, die Juden nun auch wirtschaftlich völlig zum Ausscheiden zu zwingen. Aus solcher Überlegung heraus entstanden auch in Nürnberg die unter Leitung des Gauleiter-Stellvertreters, Parteigenossen Karl Holz, vollzogenen Arisierungsmaßnahmen. Jene Maßnahmen sollten dem Gau die Mittel zum Bau einer Gauschule beibringen. Das Vorgehen des Parteigenossen Karl Holz kann nur im Zusammenhang mit der von der Partei im November 1938 durchgeführten Judenaktion verstanden werden ...

Als durch die Polizei den Juden der Führerschein entzogen worden war, begannen sie ihre Autos zu veräußern. Viele Nürnberger Händler kamen damit um billiges Geld in den Besitz einer Anzahl Judenautos. Die Gelegenheit, um mit wenig Geld zu einem Auto zu kommen, haben auch einige Parteigenossen wahrgenommen. Es handelt sich hier durchweg um unbescholtene, um die Bewegung hochverdiente Leute. Das Bewußtsein, hier nicht richtig gehandelt zu haben, ist diesen Parteigenossen erst dann gekommen, als ich den Befehl erteilte, die Judenwagen wieder zurückzugeben. Der Befehl wurde von jedem dieser Parteigenossen vollzogen. Auch die Häuser, die von einigen Parteigenossen (sie wollten dadurch die Möglichkeit bekommen, auch einmal menschenwürdig zu wohnen) für wenig Geld gekauft worden waren, wurden auf meinen Befehl hin wieder zurückgegeben ...

Ende Januar 1939 hatte ich eine Besprechung mit dem Beauftragten für den Vierjahresplan, Generalfeldmarschall Hermann Göring. Als mir dabei der Generalfeldmarschall erklärte, daß er nach Nürnberg zur Untersuchung der dort vollzogenen Arisierungsmaßnahmen eine Kommission entsenden wolle, erklärte ich ihm, daß diese Absicht meinem Wunsche entspräche. Würde ich damals aber gewußt haben, daß diese Kommission im Verlauf ihrer fast zehnwöchigen Tätigkeit ihr Feststellungsverfahren nur mit kriminellen, das Prestige der Partei schwer schädigenden Methoden durchzuführen beabsichtigte, dann hätte ich im Interesse der Bewegung darum gebeten, davon Abstand zu nehmen.

(PS-406, ungedr.)

Bericht der Geheimen Staatspolizei über die im Gau Franken zwischen dem 9. November 1938 und dem 9. Februar 1939 vorgenommenen „Arisierungen“ jüdischer Betriebe (Auszug) ... Aus der vorstehenden Darstellung ergibt sich, daß sich die Gauleitungen über die Zuständigkeit der Staatsbehörden zur Durchführung der Entjudung und den Umfang der Beteiligung von Parteidienststellen dabei nicht im unklaren sein konnten. Daß staatliche Behörden die Träger des Verfahrens sind, ging schon aus der Verordnung vom 26. April 1938 hervor. Die Anordnungen der Partei mußten den Gauleitungen ebenfalls bekannt sein. Wenn der Gauleiter-Stellvertreter Holz in seiner Äußerung vom 25. März 1939 meint, daß durch die in der Nacht und am Morgen des 10. November 1938 vorgenommene große Aktion gegen die Juden alle Richtlinien und alle Gesetze auf dem Gebiete der Judenfrage illusorisch gemacht worden seien und daß nunmehr die Partei selbständig habe handeln müssen, so kann diese Schlußfolgerung keineswegs als notwendig, ja nicht einmal als naheliegend angesehen werden, zumal bereits nach den Verordnungen vom 23. und 24. November 1938 erneut staatliche Behörden mit der Behandlung der Judenfrage betraut wurden und bald darauf die Verordnung vom 3. Dezember 1938 mit ausführlichen Vorschriften über die Entjudung erging. Zu welchen unmöglichen Folgerungen die im Gau Franken vertretene Auffassung geführt hat, geht aus einer Äußerung des Gauinspekteurs Ritter in seiner Vernehmung vom 24. März 1939 mit besonderer Deutlichkeit hervor. Er ist der Meinung, daß selbst eine Anordnung, wie die des Stellvertreters des Führers Nr. 89 vom 2. August 1938 durch die Ereignisse des 9. und 10. November 1938 als überholt, bestimmt aber als gelockert zu betrachten gewesen sei, obgleich diese Anordnung ausgesprochener-maßen den (unter allen Umständen verständlichen) Zweck verfolgte, Unregelmäßigkeiten zu vermeiden. Man kann nach dem Verlauf der Dinge weiter nur annehmen, daß man im Gau Franken auch die Anordnung des Reichs-schatzmeisters vom 2. September 1938, Nr. 57/38 über das Verbot finanzieller Gegenleistungen für die Mitwirkung der Partei an Entju-dungen und anderen wirtschaftlichen Aufgaben als überholt ansah und sich für befugt erachtete, dem Gau Franken im Zusammenhang mit den Arisierungen ansehnliche Geldbeträge zu verschaffen. Unter der Devise „Franken voran" glaubte man im Gau Franken sich über gesetzliche Vorschriften hinwegsetzen zu können, die in den übrigen Teilen des Reiches die erforderliche Beachtung fanden.

(1MT Bd. XXVIII, S. 55 ff., PS-1757, hier S. 66 f. Im Original umfaßt der Bericht 300 Seiten.)

Besprechung über die Judenfrage unter Vorsitz von Göring im Reichsluftfahrtministerium am 12. November 1938 (Auszug)

Göring: Meine Herren, die heutige Sitzung ist von entscheidender Bedeutung. Ich habe einen Brief bekommen, den mir der Stabsleiter des Stellvertreters des Führers, Bormann, im Auftrag des Führers geschrieben hat, wonach die Judenfrage jetzt einheitlich zusammengefaßt werden soll und so oder so zur Erledigung zu bringen ist. Durch telefonischen Anruf bin ich gestern vom Führer noch einmal darauf hingewiesen worden, jetzt die entscheidenden Schritte zentral zusammenzufassen.

Da das Problem in der Hauptsache ein umfangreiches wirtschaftliches Problem ist, wird hier der Hebel angesetzt werden müssen. Selbstverständlich ergeben sich daraus auch eine Reihe rechtlicher Maßnahmen, die sowohl in das Gebiet des Justizministers wie des Innenministers fallen, dann die daraus zu folgernden Propagandamaßnahmen, die in das Gebiet des Herrn Propagandaministers fallen, selbstverständlich auch Maßnahmen des Finanzministers und des Wirtschaftsministers ... Wir haben jetzt diese Sache in Paris gehabt. Darauf folgten wieder die Demonstrationen, und jetzt muß etwas geschehen! Denn, meine Herren, diese Demonstrationen habe ich satt. Sie schädigen nicht den Juden, sondern schließlich mich, der ich die Wirtschaft als letzte Instanz zusammenzufassen habe. Wenn heute ein jüdisches Geschäft zertrümmert wird, wenn Waren auf die Straße geschmissen werden, dann ersetzt die Versicherung dem Juden den Schaden — er hat ihn gar nicht —, und zweitens sind Konsumgüter, Volksgüter zerstört worden. Wenn in Zukunft schon Demonstrationen, die unter Umständen notwendig sein mögen, stattfinden, dann bitte ich nun endgültig, sie so zu lenken, daß man sich nicht in das eigene Fleisch schneidet. Denn es ist irrsinnig, ein jüdisches Warenhaus auszuräumen und anzuzünden, und dann trägt eine deutsche Versicherungsgesellschaft den Schaden, und die Waren, die ich dringend brauche — ganze Abteilungen Kleider und was weiß ich alles —, werden verbrannt und fehlen mir hinten und vorn. Da kann ich gleich die Rohstoffe anzünden, wenn sie hereinkommen.

Das Volk versteht das natürlich nicht, und deshalb müssen hier Gesetze gemacht werden, die dem Volk einwandfrei zeigen, daß hier etwas getan wird. Ich wäre wirklich dankbar, wenn durch die Propaganda einmal auf diesen Punkt hingewiesen werden könnte, daß der Schaden leider Gottes nicht den Juden trifft, sondern tatsächlich die deutschen Versicherungsgesellschaften.

Nun habe ich aber keine Lust, die deutschen Versicherungsgesellschaften diesen Schaden tragen zu lassen. Ich werde deshalb auf Grund meiner Vollmacht eine Anordnung erlassen und bitte da natürlich um die Mitarbeit der zuständigen Ministerien, damit das in das richtige Lot kommt und die Versicherungsgesellschaften den Schaden nicht zu tragen haben . . . . Sollen die jüdischen Läden wieder Funk: ..

aufgemacht werden?

Goebbels; Ob sie aufgemacht werden, ist eine andere Frage. Es handelt sich darum, ob sie wiederhergestellt werden. Ich habe Frist gestellt bis Montag.

Göring: Ob sie wieder aufgemacht werden, brauchen Sie nicht zu fragen. Dafür sind wir zuständig.

Goebbels; Nr. 2; es sind fast in allen deutschen Städten Synagogen niedergebrannt. Nun ergeben sich für die Plätze, auf denen die Synagogen gestanden haben, die vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten. Die einen Städte wollen sie zu Parkplätzen umgestalten, andere wollen dort wieder Gebäude errichten . . .

Ich bin der Meinung, daß das der Anlaß sein muß, die Synagogen aufzulösen. Alle, die nicht mehr vollkommen intakt sind, müssen von den Juden niedergelegt werden. Die Juden müssen das bezahlen . . . Wir können sie z. T. zu Parkplätzen umgestalten, z. T. werden dort andere Gebäude errichtet werden . . .

Weiterhin halte ich es für notwendig, daß die Juden überall da aus der Öffentlichkeit herausgezogen werden, wo sie provokativ wirken. Es ist z. B. heute noch möglich, daß ein Jude mit einem Deutschen ein gemeinsames Schlafwagenabteil benutzt. Es muß also ein Erlaß des Reichsverkehrsministers herauskommen, daß für Juden besondere Abteile eingerichtet werden und daß, wenn dieses Abteil besetzt ist, die Juden keinen Anspruch auf Platz haben, daß die Juden aber nur dann, wenn alle Deutschen sitzen, ein besonderes Abteil bekommen, daß sie dagegen nicht unter die Deutschen gemischt werden und daß, wenn kein Platz ist, die Juden draußen im Flur zu stehen haben.

Göring: Da finde ich es viel vernünftiger, daß man ihnen eigene Abteile gibt.

Goebbels: Aber nicht, wenn der Zug überfüllt ist.

Göring: Einen Moment: Es gibt nur einen jüdischen Wagen. Ist der besetzt, müssen die übrigen zu Hause bleiben.

Goebbels; Aber nehmen wir an: es sind nicht so viele Juden da, die mit dem Fern-D-Zug nach München fahren, sagen wir: es sitzen zwei Juden im Zug, und die anderen Abteile sind überfüllt. Diese beiden Juden hätten nun ein Sonderabteil. Man muß deshalb, sagen: die Juden haben erst dann Anspruch auf Platz, wenn alle Deutschen sitzen.

Göring: Das würde ich gar nicht extra einzeln fassen, sondern ich würde den Juden einen Wagen oder ein Abteil geben. Und wenn es wirklich jemals so wäre, wie Sie sagen, daß der Zug sonst überfüllt ist, glauben Sie: das machen wir so, da brauche ich kein Gesetz. Da wird er herausgeschmissen, und wenn er allein auf dem Lokus sitzt während der ganzen Fahrt. Goebbels: Das will ich nicht sagen. Ich glaube das nicht, sondern da muß eine Verordnung herauskommen.

Dann muß eine Verordnung herauskommen, daß es den Juden verboten ist, deutsche Bäder, Strandbäder und deutsche Erholungsstätten zu besuchen.

... Es wäre zu überlegen, ob es nicht notwendig ist, den Juden das Betreten des deutschen Waldes zu verbieten. Heute laufen Juden rudelweise im Grunewald herum. Das ist ein dauerndes Provozieren, wir haben dauernd Zwischenfälle . ..

Dann weiter, daß die Juden nicht in deutschen Anlagen herumsitzen können... Es gibt Juden, die gar nicht so jüdisch aussehen ...

Göring: Die sagen gar nicht, daß sie Juden sind.

Goebbels: ... Ich halte es für notwendig, daß man den Juden bestimmte Anlagen zur Verfügung stellt — nicht die schönsten — und sagt: auf diesen Bänken dürfen die Juden sitzen ... Es steht drauf: Nur für Juden! . ..

Göring: Ich bitte dann, Herrn Hilgard von der Versicherung hereinzurufen. Er wartet draußen ...

Göring: Nun kommt die dritte Kategorie.

Hilgard: Das sind die einfachen Diebstahlgeschädigten. Göring: Da muß ich eine Frage stellen. Wenn Waren jeder Art aus den Geschäften herausgenommen wurden und draußen auf der Straße verbrannt worden sind, fällt das auch darunter? ... '

Hilgard: ... Ich darf das vielleicht an einem praktischen Beispiel klarmachen. Der größte Fall, den wir auf diesem Gebiet haben, ist der Fall Margraf Unter den Linden. Das Juweliergeschäft von Margraf ist bei uns mit einer so-genannten kombinierten Police versichert. Da ist eigentlich jeder Schaden gedeckt, der passieren kann. Dieser Schaden ist bei uns in Höhe von 1, 7 Millionen angemeldet, weil der Laden vollkommen ausgeplündert worden ist.

Göring: Daluege und Heydrich, ihr müßt mir diese Juwelen wieder herschaffen durch Riesenrazzien!

Daluege: Das ist schon angeordnet. Die Leute werden dauernd kontrolliert. Nach den Meldungen von gestern nachmittag sind bisher allein 150 verhaftet.

Göring: Die Sachen werden sonst verschoben. Wenn einer mit Juwelen in ein Geschäft kommt und sagt, er hätte sie gekauft, müssen sie ihm rücksichtslos weggenommen werden ohne große Geschichten. Irgendwo hat er sie gestohlen oder gehandelt.

Heydrich: Im übrigen ist in rund 800 Fällen im Reich geplündert worden entgegen der Vermutung, aber wir haben Plünderer schon in einer Zahl von mehreren Hundert und sind auch dabei, das geplünderte Gut herbeizuschaffen. Göring: Und die Juwelen?

Heydrich: Das ist sehr schwer zu sagen. Sie sind z. T. auf die Straße herausgeschmissen worden und dort aufgegriffen worden. Ähnliches hat sich bei Pelzläden abgespielt, z. B. in der Friedrichstraße im Revier C. Da hat sich natürlich die Menge draufgeworfen, hat Nerze, Skunkse usw. mitgenommen. Das ist sehr schwer wiederzukriegen. Z. T. haben auch Kinder lediglich aus Spielerei sich die Taschen vollgesteckt. Man müßte anregen, daß H. J. nicht ohne Wissen der Partei eingesetzt werden darf und an solchen Dingen beteiligt wird. Solche Dinge sind sehr bald zerstört.

Daluege: Es wäre vor allen Dingen notwendig, von der Partei aus einen Befehl herauszugeben, daß sofort an die Polizei Meldung erstattet wird, wenn etwa die Nachbarsfrau — man kennt ja den Nachbarn ganz genau — einen Pelz umarbeiten läßt oder die Leute mit neuen Ringen oder Armbändern ankommen, daß uns die Partei da unterstützt.

Heydrich: Sachschaden, Inventar-und Warenschaden schätzen wir auf mehrere hundert Millionen, allerdings einschließlich des Schadens, den das Reich durch Steuerausfall erleiden wird. Umsatz-, Vermögen-und Einkommensteuer. Das wird der Herr Finanzminister sicher auch erfahren haben. v. Krosigk: Ich habe keinerlei Einblick in den Umfang.

Heydrich: 7 500 zerstörte Geschäfte im Reich. Daluege: . . . Die Waren, die sich in den Läden befanden, sind nicht Eigentum des Besitzers gewesen, sondern laufen größtenteils auf Rechnung von anderen Firmen, die diese Waren geliefert haben. Jetzt kommen die unberechneten Lieferungen von Firmen, die bestimmt nicht alle jüdisch, sondern arisch sind, die Waren, die auf Kommission gegeben waren. Hilgard: Die müssen auch bezahlt werden. Göring: Mir wäre lieber gewesen, ihr hättet 200 Juden erschlagen und hättet nicht solche Werte vernichtet.. .

Kerl: Ich glaube, man könnte es so machen: Soweit es Juden sind, wird sowieso nicht gezahlt. Soweit es Arier sind, muß gezahlt werden, und dann mag die Versicherungsgesellschaft über die Reichsgruppe mit uns in Verbindung treten, und wir prüfen die Fälle ...

Heydrich: Bei allem Herausnehmen des Juden aus dem Wirtschaftsleben bleibt das Grundproblem letzten Endes doch immer, daß der Jude aus Deutschland herauskommt. Darf ich dazu einige Vorschläge machen? Wir haben in Wien auf Weisung des Reichskommissars eine Judenauswanderungszentrale eingerichtet, durch die wir in Österreich immerhin 50 000 Juden herausgebracht haben, während im Altreich in der gleichen Zeit nur 19 000 Juden herausgebracht werden konnten, und zwar ist uns das durch Zusammenarbeit mit dem zuständigen Wirtschaftsministerium und den ausländischen Hilfsorganisationen gelungen ...

Durch legale Maßnahmen sind zum mindesten 45 000 Juden herausgebracht worden.

Göring: Wie war das möglich?

Heydrich: Wir haben das in der Form gemacht, daß wir den reichen Juden, die auswandern wollten, bei der jüdischen Kulturgemeinde eine gewisse Summe abgefordert haben. Mit dieser Summe und Devisenzuzahlungen konnte dann eine Anzahl der armen Juden herausgebracht werden. Das Problem war ja nicht, den reichen Juden herauszukriegen, sondern den jüdischen Mob.

Göring: Aber, Kinder, habt ihr euch das einmal überlegt? Es nützt doch auch nichts, daß wir vom jüdischen Mob Hunderttausende herauskriegen. Habt ihr euch überlegt, ob dieser Weg nicht letzten Endes so viele Devisen kostet, daß er auf die Dauer nicht gangbar ist?

Heydrich: Nur die Devisen, die jeder Jude bekommen hat...

Auf diese Weise. Darf ich Vorschlägen, daß wir eine ähnliche Zentrale im Reich unter Beteiligung der zuständigen Reichsbehörden einrichten und daß wir auf Grund dieser Erfahrungen unter Abstellung der mit Recht vom Herrn Generalfeldmarschall kritisierten Fehler eine Lösung für das Reich finden!? (Göring: Einverstanden.)

Das Zweite, um die Juden herauszubekommen, müßte eine Auswanderungsaktion für das Judentum im übrigen Reich sein, die sich auf mindestens 8 bis 10 Jahre erstreckt. Wir kriegen im Jahr nicht mehr als höchstens 8 000 bis 10 000 Juden heraus. Es bleibt also eine Unzahl Juden, drin. Durch die Arisierung und die sonstigen Beschränkungen wird natürlich das Judentum arbeitslos. Wir erleben eine Verproletarisierung des zurückbleibenden Judentums. Ich muß also in Deutschland solche Maßnahmen treffen, daß sie auf der einen Seite den Juden isolieren, damit er nicht in den normalen Lebenskreis des Deutschen eintritt. Ich muß aber auf der anderen Seite Möglichkeiten schaffen, die den Juden auf einen engsten Kundenkreis beschränken, aber eine bestimmte Betätigung zulassen, in der Rechtsanwaltsfrage, Arztfrage, Friseurfrage usw....

Für die Isolierung möchte ich rein polizeilich einige Vorschläge kurz unterbreiten, die auch wegen ihres psychologischen Einflusses auf die öffentliche Meinung von Wert sind. Z. B. die persönliche Kennzeichnung des Juden, indem man sagt: Jeder Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze muß ein bestimmtes Abzeichen tragen. Das ist eine Möglichkeit, die viele-andere Dinge erleichtert — in bezug auf Ausschreitungen sehe ich keine Gefahr —, die uns auch das Verhältnis zum ausländischen Juden erleichtert.

Göring: Eine Uniform!

Heydrich: Ein Abzeichen. Dadurch könnte man auch die Schäden abstellen, die dadurch entstehen, daß die ausländischen Juden, die sich in ihrem Äußeren nicht von inländischen Juden unterscheiden, in Mitleidenschaft gezogen werden . . .

Als Maßnahme würde ich weiter Vorschlägen, daß man alle persönlichen Berechtigungen wie Zulassungsscheine und Führerscheine den Juden entzieht, daß der Jude nicht Eigentümer von Kraftwagen sein darf, daß er aber auch nicht fahren darf, weil er damit deutsches Leben gefährden kann, daß man ihn weiterhin in seiner Freizügigkeit durch Aufenthaltsverbote beschränkt...

Zum Kurbetrieb darf ich folgendes sagen. Der Kurbetrieb in der Heilstätte ist an sich eine Zusatzangelegenheit der Körpergesundung, die nicht unbedingt für den einzelnen Menschen notwendig ist. Viele Millionen deutscher Volksgenossen sind nicht in der Lage, ihren Gesundheitszustand durch einen Besuch eines Heilbades zu verbessern. Ich sehe nicht ein, warum der Jude überhaupt in Bäder gehen soll.

Göring: In Heilbäder, nein.

Heydrich: Dann würde ich dasselbe für die Krankenhäuser vorschlagen. Ein Jude kann nicht im Krankenhaus mit arischen Volksgenossen zusammenliegen...

Göring: Noch eine Frage, meine Herren: Wie beurteilen Sie die Lage, wenn ich heute verkünde, daß dem Judentum als Strafe diese 1 Milliarde als Kontribution auferlegt wird? Bürckel: Die Wiener werden sehr damit einverstanden sein...

Göring: Ich werde den Wortlaut wählen, daß die deutschen Juden in ihrer Gesamtheit als Strafe für die ruchlosen Verbrechen usw. usw. eine Kontribution von 1 Milliarde auferlegt bekommen. Das wird hinhauen. Die Schweine werden einen zweiten Mord so schnell nicht machen. Im übrigen muß ich noch einmal feststellen: Ich möchte kein Jude in Deutschland sein.

V. Krosigk: Deswegen möchte ich erst einmal das stark unterstreichen, was Herr Heydrich zu Anfang gesagt hat: wir müssen alles versuchen im Wege eines zusätzlichen Exportes, die Juden herauszubringen ins Ausland. Das muß doch immer das Entscheidende sein, daß wir nicht das ganze Gesellschaftsproletariat hierbehalten. Es wird immer eine Last sein, sie zu behandeln, die fürchterlich ist r. .

Göring: Das zweite ist folgendes. Wenn das Deutsche Reich in irgendeiner absehbaren Zeit in außenpolitischen Konflikt kommt, so ist es selbstverständlich, daß auch wir in Deutschland in allererster Linie daran denken werden, eine große Abrechnung an den Juden zu vollziehen ...

(IMT, Bd. XXVIII, S. 499 ff., PS-1816)

Die „Pogromverordnungen"

Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit (12. 11. 1938)

Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt, erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne.

Ich bestimme daher auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans vom 18. Oktober 1936 (RGBl. I, S. 887) das Folgende: § 1 Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 1 000 000 000 Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt. § 2 Die Durchführungsbestimmungen erläßt der Reichsminister der Finanzen im Benehmen mit den beteiligten Reichsministern.

Der Beauftragte für den Vierjahresplan Göring Generalfeldmarschall (RGBl. I, S. 1579)

Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben (12. 11. 1938) § 1 Alle Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9. und 10. November 1938 an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden sind, sind von dem jüdischen Inhaber oder jüdischen Gewerbetreibenden sofort zu beseitigen. § 2 (1) Die Kosten der Wiederherstellung trägt der Inhaber der betroffenen jüdischen Gewerbebetriebe und Wohnungen.

(2) Versicherungsansprüche von Juden deutscher Staatsangehörigkeit werden zugunsten des Reichs beschlagnahmt. (RGBl. I, S. 1581)

Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben (12. 11. 1938) § 1 (1) Juden ... ist vom 1. Januar 1939 ab der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie der selbständige Betrieb eines Handwerks untersagt.

(2) Ferner ist ihnen mit Wirkung vom gleichen Tage verboten, auf Märkten aller Art, Messen oder Ausstellungen Waren oder gewerbliche Leistungen anzubieten, dafür zu werben oder Bestellungen darauf anzunehmen. (3) Jüdische Gewerbebetriebe ..., die entgegen diesem Verbot geführt werden, sind poli-zeilich zu schließen. § 2 (1) Ein Jude kann vom 1. Januar 1939 ab nicht mehr als Betriebsführer im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 tätig sein.

(2) Ist ein Jude als leitender Angestellter in einem Wirtschaftsunternehmen tätig, so kann ihm mit einer Frist von sechs Wochen gekündigt werden. Mit Ablauf der Kündigungsfrist erlöschen alle Ansprüche des Dienstverpflichteten aus dem gekündigten Vertrage, insbesondere auch Ansprüche auf Versorgungsbezüge und Abfindungen. § 3 (1) Ein Jude kann nicht Mitglied einer Genossenschaft sein.

(2) Jüdische Mitglieder von Genossenschaften scheiden zum 31. Dezember 1938 aus. Eine besondere Kündigung ist nicht erforderlich. § 4 Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern die zu dieser Verordnung erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Er kann Ausnahmen zulassen, soweit diese infolge der Überführung eines jüdischen Gewerbebetriebes in nichtjüdischen Besitz, zur Liquidation jüdischer Gewerbebetriebe oder in besonderen Fällen zur Sicherstellung des Bedarfs erforderlich sind.

(RGBl I, S. 1580)

Anordnung des Präsidenten der Reichskulturkammer über die Teilnahme von Juden an öffentlichen Veranstaltungen (12. 11. 1938) „... Nachdem der nationalsozialistische Staat es den Juden bereits seit über 5 Jahren ermöglicht hat, innerhalb besonderer jüdischer Organisationen ein eigenes Kulturleben zu schaffen und zu pflegen, ist es nicht mehr angängig, sie an Darbietungen der deutschen Kultur teilnehmen zu lassen. Den Juden ist daher der Zutritt zu solchen Veranstaltungen, insbesondere zu Theatern, Lichtspielunternehmungen, Konzerten, Vorträgen, artistischen Unternehmen (Varietes, Kabaretts, Zirkusveranstaltungen usw.), Tanzvorführungen und Ausstellungen kultureller Art, mit sofortiger Wirkung nicht mehr zu gestatten."

(Völkischer Beobachter, 14. 11. 1938, S. 1)

Polizeiverordnung über das Auftreten der Juden in der Öffentlichkeit (28. 11. 1938) § 1 Die Regierungspräsidenten in Preußen (der Polizeipräsident in Berlin), Bayern und in den sudetendeutschen Gebieten, die ihnen gleichstehenden Behörden in den übrigen Ländern des Altreichs, die Landeshauptmänner (der Bürgermeister in Wien) im Lande Österreich und der Reichskommissar für das Saarland können Juden deutscher Staatsangehörigkeit und staatenlosen Juden ... räumliche und zeitliche Beschränkungen des Inhalts auferlegen, daß sie bestimmte Bezirke nicht betreten oder sich zu bestimmten Zeiten in der Öffentlichkeit nicht zeigen dürfen. § 2 Wer den Vorschriften des § 1 vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft. § 3 Diese Polizeiverordnung tritt am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft.

(RGBl. I, S. 1676)

Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens (3. 12. 1938)

Artikel I Gewerbliche Betriebe § 1 Dem Inhaber eines jüdischen Gewerbebetriebes ... kann aufgegeben werden, den Betrieb binnen einer bestimmten Frist zu veräußern oder abzuwickeln. Mit der Anordnung können Auflagen verbunden werden. § 2 (1) In jüdische Gewerbebetriebe, deren Inhabern nach § 1 die Veräußerung oder die Abwicklung aufgegeben worden ist, kann zur einstweiligen Fortführung des Betriebs und zur Herbeiführung der Veräußerung oder Abwicklung ein Treuhänder eingesetzt werden, insbesondere wenn der Betriebsinhaber der Anordnung innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht nachgekommen und ein Antrag auf Verlängerung der Frist abgelehnt worden ist.

(2) Der Treuhänder ist zu allen gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigt, die der Betrieb des betreffenden Unternehmens, seine Abwicklung oder Veräußerung erforderlich machen. Seine Ermächtigung ersetzt in diesem Rahmen jede gesetzlich erforderliche Vollmacht. (4 ) Die Kosten der treuhänderischen Verwaltung trägt der Betriebsinhaber. § 4 Mit der Zustellung der Verfügung, durch die ein Treuhänder gemäß § 2 eingesetzt wird, verliert der Inhaber des Gewerbebetriebs das Recht, über die Vermögenswerte zu verfügen, zu deren Verwaltung der Treuhänder eingesetzt ist. Er erlangt dieses Recht erst wieder, wenn die Bestellung des Treuhänders aufgehoben wird. § 5 Die Genehmigung der Veräußerung nach § 1 der Anordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 ... ist auch in den Fällen notwendig, in denen die Veräußerung angeordnet ist; das gilt auch für die Veräußerung durch einen Treuhänder.

Artikel II Land-und forstwirtschaftliche Betriebe, Grundeigentum und sonstiges Vermögen § 6 Einem Juden ... kann aufgegeben werden, seinen land-und forstwirtschaftlichen Betrieb, sein anderes land-oder forstwirtschaftliches Vermögen, sein sonstiges Grundeigentum oder andere Vermögensteile ganz oder teilweise binnen einer bestimmten Frist zu veräußern. Mit der Anordnung können Auflagen verbunden werden. Die Vorschriften der §§ 2 bis 4 gelten entsprechend. § 7 (1) Juden können Grundstücke, grundstücks-gleiche Rechte und Rechte an Grundstücken nicht durch Rechtsgeschäft erwerben. § 8 (1) Die Verfügung über Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte durch Juden bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung. Die Verfügung über sonstige Vermögensteile bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung, wenn die Veräußerung nach § 6 dieser Verordnung angeordnet ist. Das gilt auch für die Verfügung durch einen Treuhänder.

Artikel III , Depotzwang für Wertpapiere § 11 (1) Juden haben binnen einer Woche nach Inkrafttreten dieser Verordnung ihre gesamten Aktien, Kuxe, festverzinslichen Werte und ähnlichen Wertpapiere in ein Depot bei einer Devisenbank einzulegen. Neu erworbene Wertpapiere sind binnen einer Woche nach dem Erwerb in ein solches Depot einzuliefern. Der Besitzer derartiger einem Juden gehöriger Wertpapiere darf die Wertpapiere nur an eine Devisenbank für Rechnung des Juden aushändigen. (2) Soweit zugunsten von Juden Wertpapiere bereits im Depot bei einer Devisenbank liegen oder Schuldbuchforderungen eingetragen sind oder bei einer Verwaltungsstelle Auslosungsscheine hinterlegt sind, auf Grund deren Vorzugsrenten gewährt werden, haben die Juden unverzüglich der Bank, der Schuldenverwaltung oder der Verwaltungsstelle durch eine schriftliche Erklärung ihre Eigenschaft als Juden anzuzeigen. Im Falle des Abs. 1 Satz 3 muß diese Erklärung gegenüber dem Besitzer abgegeben werden. (3) Die Depots und die Schuldbuchkonten sind als jüdisch zu kennzeichnen. § 12 Verfügungen über die in ein jüdisches Depot eingelegten Wertpapiere sowie Auslieferungen von Wertpapieren aus solchen Depots bedürfen der Genehmigung des Reichswirtschaftsministers oder der von ihm beauftragten Stelle.

Artikel IV Juwelen, Schmuck-und Kunstgegenstände § 14 (1) Juden ist es verboten, Gegenstände aus Gold, Platin pder Silber sowie Edelsteine und Perlen zu erwerben, zu verpfänden oder freihändig zu veräußern. Solche Gegenstände dürfen, abgesehen von der Verwertung eines bei Inkrafttreten dieser Verordnung zugunsten eines nichtjüdischen Pfandgläubigers bereits bestehenden Pfandrechts aus jüdischem Besitz, nur von den vom Reich eingerichteten öffentlichen Ankaufsstellen erworben werden. Das gleiche gilt für sonstige Schmuck-und Kunstgegenstände, soweit der Preis für den einzelnen Gegenstand 1 000 Reichsmark übersteigt. (RGBl. I, S. 1709)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine den heutigen Forschungsstand umfassende, grundsätzliche Darstellung des Novemberpogroms fehlt ebenso wie eine umfassende Gesamtdokumentation. Beste Gesamtdarstellung bisher:

  2. Die Bedeutung des Reichspropagandaministers bei entscheidenden Punkten der Judenverfolgung wird sehr oft zu wenig beachtet. So war er knapp zwei Jahre später ebenso entschiedener Befürwor—

  3. Wenn Uwe Adam (Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972, S. 204) die Ansicht vertritt, dje Ausschaltungspolitik sei 1938 im Herbst in eine Sackgasse geraten, und er dabei die Planlosigkeit der bisher getroffenen Maßnahmen unterstreicht, so liegt diese überpointierte und im Kern auch irrige Interpretation darin begründet, daß er der Versuchung nicht genügend widersteht, die Gesamtentwicklung der Judenpolitik des Nationalsozialismus an den Rigorismen der „Endlösung" zu messen, deren innere Entwicklung er ohnehin in seiner Untersuchung nicht detailliert berücksichtigt. Die Ereignisse des Jahres 1938 — interpretiert man sie vor dem Hintergrund der faktischen Entscheidungen des Jahres und aus den auch für das Regime damals gegebenen taktischen Möglichkeiten — zeigen im Gegenteil eine entschlossene Abkehr von der langsameren Gangart der vorangegangenen Jahre und den offensichtlichen Übergang zu einem forcierten Tempo in der antijüdischen Politik.

  4. Einen detaillierten Überblick über die antijüdischen Gesetze und Verordnungen usw. enthält: Bruno Blau, Das Ausnahmerecht für die Juden in Deutschland 1933— 1945, Düsseldorf 1954.

  5. RGBl. I, S. 404.

  6. Instruktive Beispiele für die gesamte Ausschaltungspolitik enthält Helmut Genschei, Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich, Göttingen 1966.

  7. RGBl. I, S. 414.

  8. IMT Bd. XXXII, S. 380 (Frankfurter Zeitung, 17. Nov. 1938).

  9. RGBl. I, S. 415.

  10. RGBl. I, 338.

  11. RGBl. I, 922.

  12. RGBl. I, 1342.

  13. Ministerialbl. d. RMdI, S. 1345.

  14. München: 9. 6. 1938; für Nürnberg: Fränkische Tageszeitung, 11. 8. 1938; ferner der Bericht Dr. Max Eschelbachers (Wiener Library, Nr. 151). Für die Juni-Aktion: Wolfgang Scheffler, Judenverfolgung im Dritten Reich, Berlin 1960 (mehrere Neudrucke), S. 29.

  15. Für Österreich vgl. u. a. Jonny Moser, Die Judenverfolgung in Österreich 1938— 1945, Wien 1966, und Herbert Rosenkranz, Reichskristallnacht, 9. XI. 1938 in Österreich, Wien 1968.

  16. Allgemeiner Überblick: Werner Rosenstock, Exodus 1933— 1939, Year Book I, Leo Baeck Institute, London 1956, S. 373 ff.

  17. IMT Bd. XXVIII, S. 532 (PS-1816).

  18. IMT Bd. XXVII, S. 161 ff. (PS-1301).

  19. IMT Bd. XXVII, S. 148 f„ PS-1757.

Weitere Inhalte

Wolfgang Scheffler, Dr. phil., geb. 1929; Studium der Politologie, Geschichte und des öffentlichen Rechts an der Freien Universität Berlin. 1956 bis 1959 Mitarbeit in einer Forschungsgruppe des Berliner Senats zum Thema „Widerstand in Berlin 1933— 1945“. 1959 bis 1964 wiss. Assistent am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Zeitgeschichtliche Forschungstätigkeit 1965 bis 1967; anschließend Senior Research Fellow an der University of Sussex; umfangreiche Gutachtertätigkeit in NSG-Verfahren. Veröffentlichungen u. a.: Judenverfolgung im Dritten Reid?, Berlin 1960 (1966); Der Nationalsozialismus — die faschistische Utopie, in: H. H. Hartwich (Hrsg.), Politik im 20. Jahrhundert, Braunschweig 1974; Faktoren nationalsozialistischen Herrschaftsdenkens, in: G. A. Ritter/G. Ziebura (Hrsg.), Faktoren der politischen Entscheidung, Berlin 1963; Hannah Ahrendt und der Mensch im totalitären Staat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 45/64; Zur Praxis der SS-und Polizeigerichtsbarkeit im Dritten Reich, in: G. Döker/W. Steffani (Hrsg.), Klassenjustiz und Pluralismus, Hamburg 1973.