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Grundtendenzen der sowjetischen Außenpolitik im südlichen Afrika | APuZ 46/1978 | bpb.de

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APuZ 46/1978 Artikel 1 Die sowjetischen Dissidenten Grundtendenzen der sowjetischen Außenpolitik im südlichen Afrika

Grundtendenzen der sowjetischen Außenpolitik im südlichen Afrika

Winrich Kühne

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Sowjetunion hält Afrika derzeit für ein erfolgversprechendes Feld, ihren Machtanspruch sowohl gegenüber dem Westen als auch gegenüber China zu demonstrieren. Im südlichen Afrika kommt ihr dabei zum einem der Kampf um die noch verbliebenen Bastionen weißer Vorherrschaft gelegen, da sie sowohl eine gegenüber dem Status quo aggressive Ideologie als auch militärische Unterstützung anzubieten hat. Zum anderen werden die ethnischen Probleme angesichts der sozioökonomischen Bedingungen in den meisten schwarzafrikanischen Staaten noch lange Zeit erhebliche Schwierigkeiten bei ihrer Konsolidierung zu staatlichen und gesellschaftlichen Einheiten bereiten. Das ist eine nicht weniger schwer kontrollierbare Quelle von Unruhe und Gewalttätigkeit. Sie bietet für die Einmischung außerafrikanischer Mächte zahlreiche Ansatzpunkte und damit auch Gelegenheit, die gegenwärtige Kräfteverteilung im internationalen System zu verschieben. Im Zusammenhang mit der westlichen, insbesondere der westeuropäischen Energieversorgung über die Kaproute sowie den Rohstofflieferungen aus dem südlichen Afrika kommt es deswegen im Westen zu manchmal fast apokalyptischen Vorstellungen über eine mögliche Ausweitung des sowjetischen Einflusses in Afrika. Tatsächlich ist die Bedrohung der Kaproute aber schon aus militärischen Gründen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als bedeutend einzuschätzen. Zutreffend ist dagegen, daß von der Sowjetunion an den Küsten Afrikas Hafennutzungsrechte etc. angestrebt werden, um die sowjetische Flotte im Indischen Ozean ohne allzu großes Risiko präsent sein lassen zu können. Auch be' züglich der Rohstoffe dürfte für die Sowjetunion und die übrigen RGW-Staaten die Sicherung eigener ökonomischer Interessen das vorrangige Motiv sein, nicht aber eines, langfristig angelegte Strategie des Rohstoffembargos gegenüber dem Westen. Objektive Faktoren des Weltmarktes lassen eine solche Strategie auch kaum zu. Ohne Zweifel ist die Errichtung sozialistischer oder explizit marxistisch-leninistischer Regime eine von der Sowjetunion geförderte Erscheinung, da sie nicht nur ihrem welt-revolutionären Anspruch Glaubwürdigkeit zu verleihen scheint, sondern auch der Wahrnehmung der begrenzten maritimen und ökonomischen Interessen dienlich ist. Die ideologischen Formeln vom „nationalen und sozialen Befreiungskampf in der Dritten Welt" und vom „nicht-kapitalistischen Entwicklungsgang mit sozialistischer Orientierung", ausgeführt von „national-demokratischen Regimen", gewinnen in diesem Zusammenhang ihre praktische Bedeutung. Der überwiegend nationalistische Charakter der sozialistischen Regime im südlichen Afrika, die Aversion gegen jede Form der „weißen" Bevormundung, die ökonomische Schwäche der RGW-Staaten und andere Faktoren setzen der Ausweitung des sowjetischen Einflusses allerdings langfristig erhebliche Grenzen. Eine wichtige Variable ist in diesem Zusammenhang auch die Politik der westlichen Staaten. Je mehr sie zu einer übertriebenen Verdammung und Isolierung sozialistischer Staaten und Bewegungen im südlichen Afrika neigt und um so weniger sie zu einem Abbau der Vorherrschaft weißer Minderheitsregime im südlichen Afrika beiträgt, desto mehr wird sich der sowjetische Einfluß im südlichen Afrika ausweiten.

I. Ausweitung des Ost-West-Konflikts in Afrika

Die Eskalation des sowjetisch-kubanischen Engagements am Horn von Afrika hat den seit dem offenen Eingreifen Kubas im angolanischen Bürgerkrieg bestehenden Eindruck bestätigt, daß die Sowjetunion Afrika derzeit für ein erfolgversprechendes Feld hält, um ihren Machtanspruch sowohl gegenüber dem Westen als auch gegenüber China zu demonstrieren.

Zwei Grundtatsachen der innerafrikanischen Situation, die Afrika in den nächsten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, zu einem der internationalen Krisenherde machen werden, kommen ihr dabei entgegen. An erster Stelle ist der Kampf um die noch verbliebenen Bastionen weißer Vorherrschaft im südlichen Afrika zu nennen, insbesondere in der Republik Südafrika. Ein derartiger Konflikt spielt der sowjetischen Politik in die Hände, da sie eine gegenüber dem Status quo aggressive, solche Konflikte bewußt aufgreifende Ideologie und die entsprechende militärische Unterstützung anzubieten hat. Zweitens bieten die ethnischen und sozio-ökonomischen Probleme Schwarzafrikas und die daraus resultierenden Schwierigkeiten einer Konsolidierung der verschiedenen Regionen als staatliche und gesellschaftliche Einheit (nation-building) für die Einmischung außerafrikanischer Mächte zahlreiche Ansatzpunkte. Die Verführung ist groß, solche Eingriffsmöglichkeiten immer wieder zu einer Veränderung der Kräfteverteilung auch im internationalen System auszunutzen.

Ein Teil der vor allem sicherheitspolitisch orientierten Publizistik im Westen hat vor diesem Hintergrund den Ost-West-Antagonismus zu einem dominierenden Faktor der Entwicklungen im südlichen Afrika stilisiert. Zuweilen wird ein fast apokalyptisches Bild des sowjet-kommunistischen Vormarsches in Afrika gezeichnet. Die Tatsache, daß die Sowjetunion trotz der Entspannungspolitik nie aufgehört hat zu verkünden, daß für sie der Befreiungskampf in der Dritten Welt ein entscheidender Beitrag zur Verschiebung des globalen Kräfteverhältnisses ist, trägt zu dieser Haltung ebenso bei wie die im südlichen Afrika lagernden Rohstoffe und die Bedeutung der Kaproute für die westeuropäische Ölversorgung. Da im Westen Öffentlichkeit und außenpolitische Elite mit der kommunistischen Bedrohung weit vertrauter sind als mit den ethnischen, sozialen und politischen Besonderheiten der Völker Afrikas, fördert dies noch die gängige Betrachtungsweise, nicht zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland. Das führt manchmal zu derartig verzerrten Vorstellungen vom sowjetischen Einfluß in Afrika, daß zwar der spektakuläre Bündniswechsel der Sowjetunion am Horn von Afrika wahrgenommen wird, kaum aber die strategisch nicht minder wichtige Beschneidung der sowjetischen Nutzungsrechte des Hafens und des Flugplatzes von Conakry seit der Wiederannäherung Guineas an das frankophone Afrika. Es erklärt auch, warum die Propaganda des weißen Regimes in Südafrika, das letzte „Bollwerk der freien Welt in Afrika" zu sein, bei uns noch so häufig Gehör findet. Problematisch an dieser Sichtweise ist vor allem eines: Dadurch, daß die relativ große Eigenständigkeit innerafrikanischer Entwicklungen verkannt und ausgeblendet wird, verstärkt sich die Gefahr, daß genau die Ebenen, Handlungsspielräume und Nuancen der afrikanischen Szene verfehlt werden, die für eine erfolgreiche Afrikapolitik des Westens ausschlaggebend sind.

Eine Begründung dieser These erfordert -die Beantwortung der Frage, welches für den Westen im militärischen, ökonomischen und ideologisch-ordnungspolitischen Bereich tatsächlich die längerfristig neuralgischen Punkte der sowjetischen Einflußnahme auf das südliche Afrika sind. Dazu sollen nachfolgend einige Überlegungen angestellt werden. Aus-geklammert bleiben in dieser kurzen Abhandlung Fragen der sowjetisch-chinesischen Konkurrenz, obwohl sie ohne Zweifel ein entscheidender Beweggrund für das sowjetische Engagement in Afrika sind und die Frage, in welchem Verhältnis das kubanische Engagement zur sowjetischen Einflußnahme auf Afrika steht

II. Das südliche Afrika und die maritime Präsenz der Sowjetunion im Indischen Ozean

Bei der Diskussion um die maritime Präsenz der Sowjetunion im Indischen Ozean werden zwei Aspekte leicht vergessen Einmal kann die Sowjetunion im Einklang mit der geltenden Ordnung des Völkerrechts und der dem entspannungspolitischen Bipolarismus zwischen den Supermächten zugrunde liegenden macht-und ordnungspolitischen Ratio durchaus für sich in Anspruch nehmen, ein legitimes Interesse an einer gewissen militärischen Präsenz im Indischen Ozean zu haben. Die Sowjetunion betont hier vor allem — die Sorge vor einer Bedrohung des sowjetischen Territoriums vom Indischen Ozean aus durch amerikanische, mit Kernwaffen ausgerüstete U-Boote;

— die Notwendigkeit, der eigenen kommerziellen Nutzung des Indischen Ozeans einen gewissen militärischen Schutz zu bieten. Hier geht es um die relativ reichen Fischgründe vor den Küsten des östlichen und südlichen Afrika Anzumerken ist hier auch die Bedeutung der Kaproute für die Schiffahrt der Sowjetunion, da sie die einzige, das ganze Jahr über eisfreie Seeverbindung zwischen dem europäischen und dem fernöstlichen Rußland ist

Der andere, ungleich wichtigere Aspekt der sowjetischen Präsenz im Indischen Ozean ist der der Kontrolle der westlichen Schiffahrt auf der Kaproute. über sie gehen fast 70 vH des westeuropäischen Rohölbedarfs sowie eine Anzahl weiterer wichtiger Rohstoffe.

Obwohl die Bedrohung der Kaproute in der westlichen Publizistik viel Popularität genießt, sprechen mehrere Gründe dagegen, daß ihre umfassende oder begrenzte Unterbrechung durch sowjetische Einheiten für absehbare Zeit ein wirklichkeitsnahes Szenarium 'ist. Einmal reicht die militärische Stärke der Sowjetunion im Indischen Ozean — vor allem wenn man berücksichtigt, daß die sowjetische Führung im militärischen Bereich traditionell zu einer „low risk" -Politik neigt — für derartige Aktionen nicht aus Gewaltsame Unterbrechungen des Seeverkehrs würden sofort die in der Region stationierten westlichen Verbände (USA, Frankreich, Großbritannien) und die amerikanische Pazifikflotte auf den Plan rufen. Sie verfügen, im Gegensatz zu den sowjetischen Einheiten, über die notwendige Luftunterstützung bei der taktischen Kampfführung und Aufklärung. Auch das Eingreifen regionaler Kräfte (Iran, Saudi-Arabien) müßte von der Sowjetunion einkalkuliert werden. Gegenwärtig sind die. sowjetischen Einheiten im Indischen Ozean lediglich so stark wie die französischen

Zum anderen dürfte der sowjetischen Führung klar sein, daß ein derartiger Schritt, da er eine Lebensader des Westens träfe, das Vorspiel zu dem von ihr selbst nicht gewollten Dritten Weltkrieg sein könnte. Im Hinblick auf einen globalen Konflikt gäbe die Sowjetunion durch die Eröffnung von kriegerischen Aktionen gerade im Indischen Ozean zudem einen entscheidenden globalstrategischen Vorteil aus der Hand, nämlich das zu ihren Gunsten bestehende Überraschungsmoment in Mitteleuropa. Ferner müßte sie bei jeder Art von Übergriffen auf die Kaproute mit westlichen Vergeltungsschlägen gegen für sie wichtige Seeverbindungen in anderen Regionen der Welt rechnen.

Dagegen kann man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß es von Anfang an eine mit der sowjetischen Präsenz im Indischen Ozean verbundene Zielsetzung gewesen ist, westlichen, insbesondere amerikanischen Interventionen in innerafrikanischen Konflikten entgegenzuwirken. Angesichts des Rohstoffreichtums im südlichen Afrika, insbesondere in der Südafrikanischen Republik, wird die sowjeti-

sche Führung derartige Interventionen trotz der von der Regierung Carter und Westeuropa vollzogenen politischen Wende gegenüber Südafrika nach wie vor nicht ausschließen wollen. Das darf allerdings über eines nicht hinwegtäuschen: Auch aus sowjetischer Sicht liegt im nächsten Jahrzehnt das im Vergleich zum südlichen Afrika weit wichtigere Konfrontationsfeld strategischer Interessen der Sowjetunion und der USA im Persischen Golf aufgrund seiner Olreichtümer. Vom Nahen Osten aus erstreckt sich deswegen über das Horn von Afrika und den Persischen Golf ein strategisches Kontinuum bis zum südlichen Afrika, das hier aber stark an Intensität verliert.

Der sowjetischen Führung geht es indessen auch darum, selbst ein Potential für begrenzte Interventionen an der Hand zu haben. Die Erfahrungen in Angola und nun vor allem am Horn von Afrika haben das illustriert. Eventuelle sowjetische Interventionen darf man sich wegen der Anwesenheit westlicher Seestreitkräfte und der Rückwirkungen auf die internationale Öffentlichkeit, insbesondere in der Dritten Welt, allerdings kaum als ein di-rektes Anlanden sowjetischer Verbände vorstellen Das Bestreben der sowjetischen Führung richtet sich wohl mehr darauf, bestimmte Einwirkungsformen auf innerafrikanische Konflikte, wie massive Waffenlieferungen, die Entsendung militärischer Berater oder das Anladen oder Einfliegen von Truppen befreundeter Staaten, militärisch abschirmen zu können. Hier sind natürlich vor allem kubanische Kampfeinheiten zu nennen. (An dieser Stelle wird bewußt nicht von einer „Stellvertreter" -Rolle der Kubaner gesprochen. Das wäre eine irreführende Klassifizierung des Verhältnisses zwischen sowjetischer und kubanischer Afrikapolitik.) Bei dem Eingreifen kubanischer Truppen in den angolanischen Bürgerkrieg waren vor der Küste Angolas angeblich ein sowjetischer Raketenzerstörer, ein großes Landungsboot sowie das größte Versorgungsschiff der sowjetischen Flotte postiert Der Ausbau der über die Flugrouten im Nahen Osten führenden sowjetischen Lufttransportkapazitäten und die maritime Präsenz müssen deswegen im Hinblick auf diese Interventionsfähigkeit der Sowjetunion in engem Zusammenhang gesehen werden.

Neben der Verbesserung gezielter Einwirkungsmöglichkeiten kommt es der sowjetischen Führung weiter darauf an, durch das mit der Präsenz ihrer Einheiten verbundene „Flagge-Zeigen" auf das machtpolitische Klima in der Region Einfluß zu nehmen. Der politisch-psychologischen Bedeutung militärischer Machtsymbole wird in der sowjetischen Außenpolitik bekanntlich ein hoher Stellenwert eingeräumt. Ob das angesichts der Empfindlichkeit der meisten Afrikaner gegen Symbole äußerer Bevormundung längerfristig tatsächlich in der von der Sowjetunion erhofften Richtung wirkt, ist allerdings sehr zweifelhaft. Sowjetische Afrikaexperten sind sich dieser Empfindlichkeit bewußt. Das militärische Engagement Kubas als einem Vertreter der Dritten Welt ist für sie deswegen besonders wertvoll.

Und schließlich hat die Region des Indischen Ozeans eine entscheidende Bedeutung bei dem Wettlauf der Supermächte, die südliche Hälfte des Globus mit see-, land-und welt-raumgestützten (Satelliten) Mitteln möglichst lückenlos zu überwachen (u. a. Frühwarnung im Hinblick auf feindliche Interkontinentalraketen) sowie ein umfassendes Kommunikationssystem für den militärischen und zivilen Seeverkehr aufzubauen. Hier befinden sich die USA, insbesondere seit die Sowjetunion ihre Fernmeldeanlagen in Berbera verloren hat, mit ihren Anlagen in Australien, Diego Gärcia, auf den Seychellen etc. in einer ungleich besseren Ausgangsposition.

Ein weiterer für den Westen neuralgischer Punkt der sowjetischen Afrikapolitik ergibt sich aus logistischen Problemen der sowjetischen Flotte im Indischen Ozean. Ohne ausreichende Hafennutzungsrechte oder Stützpunkte ist die Versorgung der hier stationierten Einheiten für die Sowjetunion eine sehr kostspielige, in Kriegs-und Krisenzeiten vielleicht sogar unlösbare Aufgabe Darüber hinaus sind diese Einheiten im Falle eines militärischen Konflikts im Indischen Ozean einer tödlichen Gefahr ausgesetzt. Die sowjetische Flotte verfügt nach wie vor kaum über einen mobilen, das heißt trägergestützten Luftschirm Auch das ist Folge der Tatsache, daß die Kriegsmarine in der strategischen Planung der Sowjetunion lange Zeit nur die Rolle einer „Coastal defence force" hatte Ihre Einheiten müssen deswegen, wenn sie fernab der Sowjetunion operieren, auf die notwendige Luftunterstützung bei der taktischen Kampfführung und Aufklärung verzichten. Das macht sie, wie schon angedeutet wurde, im Falle einer direkten Konfrontation äußerst verwundbar.

Zwangsläufig muß sich deswegen ein Hauptaugenmerk der sowjetischen Außenpolitik darauf richten, an den Küsten Afrikas Hafen-nutzungsrechte oder Stützpunkte eingeräumt zu bekommen. Letzteres ist ihr bisher nicht gelungen Dabei kann ihr allerdings allein die vertragliche Zusicherung derartiger Rechte nicht genügen. Einen strategischen Wert haben diese für die Sowjetunion erst dann, wenn sie ihr auch in Krisen-und Konfliktzeiten nicht ohne weiteres entzogen werden können. Das heißt, daß die Regime in den jeweiligen Küstenstaaten innen-und außenpolitisch in eine Einflußstruktur zugunsten der Sowjetunion eingebettet werden müssen. (Das gilt für westliche Stützpunkte natürlich ähnlich.) Hierbei spielt neben der umfangreichen Lieferung sowjetischer Waffen die ideologisch-ordnungspolitische Einflußnahme der Ostblockstaaten auf sozialistisch orientierte Regime und Bewegungen in Afrika eine entscheidende Rolle. Darauf wird noch genauer eingegangen.

III. Die RGW-Staaten und die Rohstoffe im südlichen Afrika

Strukturen, Daten und längerfristige Entwicklungstendenzen der ökonomischen Beziehungen zwischen den Staaten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und denen der Dritten Welt sind bis jetzt im Westen nur vereinzelt untersucht worden. Es lassen sich daher nur schwerlich zuverlässige Aussagen über die Bedeutung des südlichen Afrika als Rohstoffversorger für den RGW einerseits und als Markt für Güter aus dem RGW andererseits machen.

Ähnlich wie bei den militärstrategischen Fragen wird auch im ökonomischen Bereich die Unsicherheit über Absichten und Möglichkeiten des östlichen Vorgehens bei westlichen Beobachtern vielfach in der Weise überspielt, daß der denkbar schlimmste Fall im Spektrum möglicher sowjetischer Zielsetzungen zu dem in Wirklichkeit wahrscheinlichsten hochstilisiert wird. So neigt auch hier ein Teil der sicherheitspolitisch orientierten Literatur sehr schnell zu der Vermutung, daß es der Sowjetunion letztlich — und nicht nur auf der propagandistischen Ebene — darum gehe, den Westen von den Rohstoffen im südlichen Afrika abzuschneiden. Das wäre ein weiterer Schritt auf dem Wege, das kapitalistische System zum Einsturz zu bringen. Anlaß für diese Vermutung ist die Tatsache, daß eine gewisse Abhängigkeit der westlichen Industrie'von den Rohstoffen des südlichen Afrika be-steht Von anderer Seite ist allerdings darauf hingewiesen worden, daß diese Abhängigkeit durch wirtschaftspolitische Maßnahmen wie Diversifizierung, Substituierung oder Vorratshaltung gemindert werden kann

Es sind vor allem Objekte Bedingungen des Weltmarktes, die eine derartige Manipulation des Rohstoffmarktes im Sinne eines von der Sowjetunion gesteuerten und gegen den Westen gerichteten Embargos praktisch unmöglich machen. Die Sowjetunion verfügt über die meisten der im südlichen Afrika vorkommenden Rohstoffe selbst in ausreichendem Maße. Die Rohstoffströme aus dem südlichen Afrika könnten deswegen ohne größere öko-'nomische Kosten nur in engen Grenzen in den Ostblock umgeleitet werden. Die Kosten für die Durchführung von Embargomaßnahmen würden aber sehr schnell die ökonomische Leistungsfähigkeit der afrikanischen Staaten und der Sowjetunion selbst, insbesondere auf dem Kapitalsektor (Devisenmangel), übersteigen. Wie massiv die ökonomischen Zwänge dieser Staaten in deren Außenverhalten durchschlagen, belegt u. a. die Tatsache, daß der Wirtschaftsverkehr zwischen Mozambique und Südafrika trotz der totalen politischen Gegnerschaft zwischen den beiden Regimen bisher nicht unterbrochen wurde.

Ein weiteres Beispiel ist die Tatsache, daß auch nach der Machtergreifung der MPLA (Movimento Populär de Libertaqäo de Angola)

im angolanischen Bürgerkrieg die amerikanische Olförderung im großen und ganzen ungehindert fortgesetzt werden konnte, obwohl der amerikanische Geheimdienst gleichzeitig die FNLA (Frente Nacional de Libertacäo de Angola) gegen die MPLA unterstützte. Heute bewachen kubanische Truppen diese Anlagen. Kein afrikanischer Staat wird angesichts seiner internen Entwicklungsprobleme also bereit und in der Lage sein, zur Förderung sowjetischer Interessen auf das für seinen Aufbau so notwendige Deviseneinkommen aus dem Rohstoffhandel mit den westlichen Industrieländern zu verzichten.

Es entbehrt nicht der Ironie, daß einerseits von Südafrika und auch von westlichen Stimmen immer betont wird, wie schädlich und gefährlich für die westlichen Volkswirtschaften der Einsatz auch nur begrenzter Wirtschaftssanktionen gegenüber Südafrika wäre, andererseits gerade dieselben häufig besonders heftig mit der Gefahr eines Rohstoffembargos durch sozialistische Regime im südlichen Afrika und die Sowjetunion argumentieren.

Auch wenn im südlichen Afrika weitere sozialistische Regime entstehen, wird der Einfluß der Sowjetunion auf die westliche Rohstoffversorgung darauf beschränkt bleiben, jene Länder bei ihren Versuchen zu unterstützen, die Rohstoffe unter für sie günstigen Bedingungen (nationale Kontrolle der Ressourcen, Preispolitik, Zusammenschluß zu Kartellen ä la OPEC etc.) an die Industrieländer abzusetzen. Die Haltung westlicher Staaten, insbesondere der USA, Japans und der Bundesrepublik Deutschland, in der Frage eines integrierten Rohstoffprogramms hat deswegen nicht nur Bedeutung für das Nord-Süd-Verhältnis, sondern auch im Hinblick auf den längerfristigen Einfluß des Ostblocks im südlichen Afrika.

Daneben bestehen aber durchaus Gründe, die auf ein in erster Linie ökonomisch und nicht systemantagonistisch bedingtes Interesse der Sowjetunion und der übrigen RGW-Staaten an einem Zugang zu den Rostoffen im südlichen Afrika schließen lassen. Auch ein solches Interesse steht natürlich in Konkurrenz mit dem Interesse der westlichen Industriestaaten an einer ungehinderten Rohstoffversorgung. Die Konkurrenzsituation ist aber — modellhaft vereinfacht — eine grundsätzlich andere: Im Widerstreit liegen nur begrenzte Interessen der Rohstoffbedarfsdeckung, nicht aber das unbegrenzte Interesse an einer möglichst großen Schwächung der Gegenseite im Rahmen des Systemantagonismus. Natürlich stehen in der außenpolitischen Wirklichkeit ökonomische Konkurrenz — genauer: die Konkurrenz der Rohstoffsicherungspolitiken östlicher und westlicher Staaten — und politisch-ideologischer Antagonismus nicht beziehungslos nebeneinander. Aber die Beantwortung der Frage, auf welche Bedrohungen sich der Westen im südlichen Afrika einzurichten hat, erfordert es, das unterschiedliche Gewicht dieser beiden Aspekte in der sowjetischen Außenpolitik genauer abzuschätzen. Die Gründe für ein ökonomisches Eigeninteresse der RGW-Staaten sollen hier nur mit einigen Stichworten skizziert werden: — Unsicherheiten über die künftige Erschließbarkeit von Rohstoffen in den kälteren Regionen der Sowjetunion. Sie resultieren aus technologischen Schwierigkeiten der sowjetischen Wirtschaft und ihrer mangelhaften Kapitalausstattung

— Im Zusammenhang damit: kostengünstigere Erschließung von Rohstoffen im südlichen Afrika. Im Hinblick auf den Blockzusammenhalt ist es für die Sowjetunion ein Imperativ, die Rohstoffversorgung der übrigen RGW-Staaten nicht nur sicherzustellen, sondern dabei auch die Hand im Spiel zu behalten Dementsprechend findet die Erforschung von Rohstofflagerstätten in den Wirtschaftsund Entwicklungshilfebeziehungen der Sowjetunion mit den afrikanischen Staaten ein besonderes Gewicht

— Schließlich die Möglichkeit, daß die RGW-Staaten an der internationalen Arbeitsteilung vorteilhafter und intensiver teilhaben als bisher, indem Rohstoffe oder andere Produkte aus dem südlichen Afrika gegen Entwicklungshilfeleistungen, militärische Ausrüstung und Industriegüter ausgetauscht werden

Hinsichtlich der Absicherung dieser ökonomischen Interessen durch den Ostblock wiederholt sich allerdings ein Vorgang, dessen Problematik für den Westen schon bei den militärischen Aktivitäten der Sowjetunion angeschnitten worden ist. Die RGW-Staaten benötigen auch hier ein über die bloße Erfüllung ihrer Interessen hinausgehendes Maß an Ein-wirkungsmöglichkeiten, um die Strukturen zu schaffen, innerhalb derer die ökonomische Kooperation mit den Staaten des südlichen Afrika für sie überhaupt machbar und vorteilhaft ist. Tauschhandel (sogenannte Barter-Geschäfte) und Planbarkeit sind in diesem Zusammenhang für die Staatshandelsländer des RGW von ausschlaggebender Bedeutung. Sie versuchen deswegen gerade bei Handelspartnern in der Dritten Welt, die sich für einen nicht-kapitalistischen Entwicklungsweg entschieden haben, darauf hinzuwirken, daß diese ihr ökonomisches und politisches System dementsprechend einrichten. Der Abschluß von Verträgen über die Koordinierung und Beratung sowie die Unterstützung bei der Abfassung und Durchführung von Wirtschafts-und Entwicklungsplänen sind dabei ein wichtiges Instrument sowie ideologisch-politischer, unter Umständen aber auch militärischer Einfluß eine wichtige Bedingung.

Die Rohstoffe im südlichen Afrika sind deswegen — neben der oben erwähnten Einflußnahme auf eine für den Westen unbequeme Nationalisierungs-, Kartell-und Preispolitik — für die RGW-Staaten ein Ansatzpunkt, um auf die Neuordnung der Weltwirtschait, genauer: auf die Schaffung eines soziafistischen Subsystems der Weltwirtschaft, stärker Einfluß nehmen zu können als bisher. Das kollidiert zwar mit den westlichen Bestrebungen in bezug auf die Neuordnung der Weltwirtschaft, ist aber angesichts des im Vergleich zum Westen geringen Volumens des Handels-und Wirtschaftsaustausches zwischen den RGW-Staaten und dieser Region weit weniger dramatisch als die oft im Westen gehegten Befürchtungen, durch das Engagement der Ostblockstaaten von den Rohstoffen im südlichen Afrika abgeschnitten zu werden.

IV. Die ideologisch-ordnungspolitischen Erwartungen der Sowjetunion

Die ideologisch-ordnungspolitischen Erwartungen der Sowjetunion im Hinblick auf das südliche Afrika sind ablesbar an den Grundformeln, mit denen seit der Ära Chruschtschow das Verhältnis der Sowjetunion zu den Emanzipationsbestrebungen in der Dritten Welt beschrieben wird.

An erster Stelle wird in der Doktrin vom nationalen und sozialen Befreiungskampf auf das nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sich immer mehr ausbreitende Anliegen der Dritten Welt hingewiesen, „to do away with the colonial regime and win political inde-* pendence" Aus sowjetischer Sicht hat diese Phase, abgesehen von den letzten Bastionen weißer Vorherrschaft im südlichen Afrika, ihren Höhepunkt bereits überschritten und wächst hinüber in eine zweite, die des antiimperialistischen Kampfes und der „sozioökonomischen Transformation“ Zwei Grundtendenzen kennzeichnen hier — so die östliche Literatur zu diesem Thema — eine für das sozialistische Lager günstige Verschiebung des globalen Kräfteverhältnisses: das Entstehen „national-demokratischer Bündnisse“ bzw. „national-demokratischer Staaten" und der Versuch einiger Länder der Dritten Welt, den Weg einer „nichtkapitalistischen Entwicklung mit sozialistischer Orientierung“ zu beschreiten

Das national-demokratische Bündnis setzt sich zusammen aus der Arbeiterschaft (soweit vorhanden), progressiven Kleinbauern sowie den national und anti-westlich gesinnten Teilen der Bourgeoisie. Wenn sich dieses Bündnis unter Führung von Mitgliedern der nationalen Intelligenz zu einer Einheitsfront zusammenschließt, wird es für Moskau gerade in Afrika zur derzeit entscheidenden gesellschaftspolitischen Machtkonstellation, um mit Unterstützung des sozialistischen Lagers den antiimperialistischen Kampf zu führen. Die Bedeutung genuin kommunistischer Parteien ist für die sowjetische Afrikapolitik dementsprechend mehr und mehr zurückgegangen. Moskau hat nie viel Aufhebens gemacht, wenn diese am national-demokratischen Bündnis nicht teilhatten oder auch in den als progressiv eingeschätzten Staaten Afrikas mit zum Teil drakonischen Maßnahmen verfolgt wurden (z. B. Guinea, Mali, Ägypten, Ghana und Algerien in den sechziger Jahren).

Ähnlich zielt auch die Formel von der nicht-kapitalistischen Entwicklung nicht darauf ab, einen unmittelbaren Übergang dieser Länder zum Marxismus-Leninismus zu betreiben Vielmehr soll ihre antiimperialistische Front-stellung verstärkt werden, wobei vorrangig die Herauslösung der Entwicklungsländer aus dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem angestrebt wird Daß dabei nicht nur ideologische, sondern auch ökonomische Gründe eine Rolle spielen, wurde bereits ausgeführt. Die Formel von der nicht-kapitalistischen Entwicklung darf nicht als ein theoretisch umfassendes und fundiert begründetes Entwicklungsmodell verstanden werden. Als prinzipielle Elemente werden neben der Frontstellung gegenüber dem Imperialismus lediglich die Bedeutung des staatlichen Sektors bei der Überwindung von Feudalismus und Kapitalismus sowie die Abschaffung des feudalen Grundbesitzes herausgestellt. Der Staat soll sowohl die Rolle eines Promoters „konzentrierter gesellschaftlicher Akkumulation" als auch die eines Organs der zentralen Lenkung übernehmen. Getragen vom national-demokratischen Bündnis kann er dann zum Initiator einer sozialistisch orientierten Entwicklung werden Darüber hinaus beinhaltet die Formel in ihren konkreten Vorschlägen im großen und ganzen nicht mehr als eine Zusammenstellung pragmatischer Schlußfolgerungen aus a) den offensichtlichen Schwierigkeiten der Entwicklungsländer, b) dem Versuch ihrer Herauslösung aus der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung und c) der Sicherung bestimmter ökonomischer Interessen der RGW-Staaten. Oft weichen die östlichen Vorstellungen gar nicht sehr ab von denen westlicher Entwicklungstheoretiker und -Politiker.

Die Formeln vom nationalen und sozialen Befreiungskampf finden auf den verschiedensten Ebenen der sowjetischen Außenpolitik ihren praktischen Niederschlag. Für den Kampl um die nationale Unabhängigkeit sind die Lieferung von Waffen und die Schulung von Guerillakämpfern im Einklang mit der von der Sowjetunion immer betonten Völkerrechtskonformität des gewaltsamen Befreiungskampfes bekanntlich bis heute die herausragenden Elemente. Durch sie wird die Sowjetunion auch einen starken Einfluß auf den Ablauf der Ereignisse in Rhodesien/Simbabwe, Namibia/Südwestafrika und schließlich Südafrika ausüben, soweit es nicht gelingt, Lösungen für einen friedlichen Machtwechsel zu finden. Vor allem im Hinblick auf die chinesisch-sowjetische Konkurrenz war in diesem Zusammenhang wichtig, daß in Angola den Afrikanern die „Unfehlbarkeit" der These vom „geschichtlich notwendigen Erfolg“ eines sozialistischen und mit sowjetischer Unterstützung geführten Befreiungskampfes vor Augen geführt werden konnte.

Bei ihrem praktischen Engagement zur Durchsetzung des national-demokratischen Konzepts versuchen die Sowjetunion und die übrigen Ostblockstaaten durch die Entsendung von Beratern und die intensive Unterstützung bei der Kaderschulung Einfluß zu nehmen auf den Aufbau der Befreiungsbewegungen in Richtung auf sich revolutionär bzw. national-demokratisch verstehende Einheitsparteien sowie auf die Organisation derjenigen Teile des Staatsapparates, die für den Machterhalt und die sozialistisch-orientierten Zielsetzungen dieser Einheitsparteien wichtig sind.

Der Mangel an den materiellen Voraussetzungen für einen genuinen Sozialismus, insbesondere was das Vorhandensein einer breiten Arbeiterschaft betrifft, soll in diesen Ländern also ersetzt werden durch ein massives Engagement des sozialistischen Lagers bei der Errichtung von staatlichen und gesellschaftlichen Organisationsstrukturen, die sich an marxistisch-leninistischen Prinzipien orientieren. Schulung und Beratung von Führungskadern für den Staats-und Parteiapparat, Schulung, Beratung und zum Teil auch unmittelbare Durchführung von Aufgaben im Bereich des Presse-und Iniormationswesens sowie im Bereich der inneren Sicherheit und Verwaltung sind dabei die drei Schwerpunkte. Gerade in diesem Bereich spielt die DDR nicht nur als Vasall der Sowjetunion, sondern auch aufgrund ihrer eigenen ökonomischen und außenpolitischen Interessenlage eine führende Rolle 27

Hinsichtlich der nicht-kapitalistischen Entwicklung beschränkt sich das Engagement der Ostblockstaaten im wesentlichen darauf, Unterstützung bei der Erstellung und Durchführung von Wirtschaftsplänen anzubieten. Dazu sind die Verträge über Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit und verschiedene Arten von Kooperationsabkommen ein wichtiger Ansatzpunkt. (Wahrscheinlich haben die Freundschaftsverträge allerdings für die im Hinblick auf solche Verträge recht legalistisch und propagandistisch denkende Sowjetunion einen ungleich höheren Stellenwert als für die afrikanischen Partner.) Eine Entwicklungshilfepolitik im westlichen Sinne spielt dagegen in diesem Zusammenhang keine zentrale Rolle (sie beschränkt sich in der Regel auf einzelne Projekte). Hierin liegt eine zunehmend deutlicher werdende Schwäche der sowjetischen Afrikapolitik. Angesichts der ökonomischen Probleme in den Ostblockstaaten selbst wird sie sich auch längerfristig nicht beseitigen lassen. Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht das gezielte Engagement einiger Ostblockstaaten, insbesondere Kubas, im Bildungs-und Gesundheitswesen und in anderen Bereichen der internen Infrastruktur vergessen werden. Länder wie Angola und Mocambique können nur auf diesem Wege die zum Teil erdrückenden Engpässe überbrücken, die durch den Abzug der Portugiesen entstan-den sind Das gibt der kubanischen Präsenz, trotz aller Aversionen ihr gegenüber, eine besondere Bedeutung.

Die Schwerpunkte des östlichen Engagements deuten darauf hin, daß der Sowjetunion an einem möglichst direkten Zugang zu denjenigen Zentren» des Partei-und Staatsapparates gelegen ist, die für den innenpolitischen Machtkampf in den jungen afrikanischen Staaten eine Schlüsselfunktion haben. Nur so kann sie angesichts der im Vergleich zu den westlichen Industriestaaten großen ökonomischen Schwäche des östlichen Lagers hoffen, ihren Einfluß auch über die für sie ideologisch und militärisch günstigen Phasen des gewaltsamen Befreiungskampfes hinaus halten zu können. Das ist, wie ausgeführt wurde, für sie aber dringend notwendig, um die Erfüllung bestimmter strategischer und ökonomischer Interessen absichern zu können. Massive Waffenlieferungen können diese Schwäche, wie die Erfahrung zeigt, nicht dauerhaft ausgleichen. 28

V. Sowjetische Erwartungen und afrikanische Realität

Die Tatsache, daß die nationalen, sozialen und ökonomischen Aspekte der Unabhängigkeit der Dritten Welt von der sowjetischen Politik von Anfang an als Zusammenhang behandelt worden sind, macht ohne Zweifel eine ihrer Stärken aus. Eine derartige Betrachtungsweise entspricht dem Problemverständnis der Mehrheit der afrikanischen Führer, insbesondere der jüngeren Generation. Von westlichen Regierungen und Institutionen wurde diesem Zusammenhang aufgrund post-kolonialer Interessen und einer rein legalistischen Betrachtungsweise der Dekolonisierungsfrage lange Zeit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt Dennoch ist die Hoffnung der Sowjetunion auf Konstellationen im südlichen Afrika, die ihr langfristig einen gegenüber den westlichen Staaten überlegenen Einfluß garantieren, mit Skepsis zu betrachten — eine Skepsis, die auch in den seriösen Abhandlungen sowjetischer Afrika-Experten anklingt. Eine kurze Gegenüberstellung derjenigen Faktoren in der afrikanischen Realität, die für die sowjetischen Erwartungen sprechen, und derjenigen, die dagegen sprechen, soll das verdeutlichen. •

Eine derartige Gegenüberstellung muß bei der Frage beginnen, welche Bedeutung das Kernstück des von der Sowjetunion postulierten Weges, nämlich die Bildung eines national-demokratischen Bündnisses und die Betonung der zentralen Rolle von Partei-und Staatsapparat, für die Führungseliten im südlichen Afrika hat. Ohne Zweifel wollen auch diese Eliten ihre Führungsrolle (sprich Herrschaft) über den Tag der Unabhängigkeit hinaus sichern. Spielregeln eines demokratischen Modells ä la Westminister spielen dabei keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Das hat unter anderem mit psychologischen und politischen Prozessen zu tun, die im Laufe eines längeren Befreiungskampfes eintreten, sowie mit traditionell andersartigen Formen der politischen Kultur in Afrika. Die Sicherung ihres Herrschaftsanspruchs bedeutet für fast alle afrikanischen Führer die Auseinandersetzung mit zwei grundlegenden Problemen: den stammesgebundenen Macht-und Loyalitätsstrukturen (Tribalismus) und der Notwendigkeit einer baldigen, gegenüber der kolonialen Zeit entscheidend verbesserten wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung (d. h.der Notwendigkeit zu einer tiefgreifenden sozio-ökonomischen Modernisierung). Beides zusammen ergibt ein für die innenpolitische Rivalität um die Vorherrschaft sehr labiles und explosives Klima. Die Realitäten des Stammesdenkens sind mit den Erfordernissen der Modernisierung häufig nicht kompatibel. Um die Probleme des Tribalismus und der Modernisierung in den Griff zu bekommen, sind sozialistische Formeln im allgemeinen und marxistisch-leninistische Vorstellungen im besonderen für afrikanische Führer aus mehreren Gründen attraktiv:

Erstens wird im Sozialismus das Problem des (ethnischen) „nation-building“ und der sozioökonomischen Modernisierung durch das Prinzip des Klassenkampfes (obwohl es in Afrika einen Klassenantagonismus gar nicht oder nur rudimentär gibt) in einen unmittelbaren theoretischen und praktischen Zusammenhang gebracht. Die Nationalitätenpolitik der Sowjetunion, insbesondere hinsichtlich der mongolischen Volksrepublik, hat für einige afrikanische Führer beispielhaften Charakter. Die „wissenschaftlich" begründete Zukunftsvision einer ökonomisch und politisch emanzipierten Gesellschaft wird zum Berufungsgrund für die Durchsetzung einer Politik, die angeblich oder tatsächlich jenseits von tribalistischen oder sonstigen partikularen Interessen steht. Sie rechtfertigt damit auch die entsprechende Herrschaftsausübung.

Diese integrative Funktion sozialistischer Formeln und Politik läßt sich an verschiedenen Stellungnahmen sozialistischer Regierungen in Afrika zu internen Schwierigkeiten ablesen, so z. B. Mozambiques, Angolas und der Volksrepublik Kongo Ihr kommt zugute, daß der Sozialismus bei dem überwiegenden Teil der Bevölkerung bis jetzt, anders als der Kapitalismus aufgrund der konkreten Erfah-rungen mit dem Kolonialismus, emotional nicht negativ besetzt ist. Im Gegenteil, bei dem Kampf um die staatliche Unabhängigkeit haben sich sozialistische Formeln als hilfreich erwiesen. Darüber hinaus besteht auf westlicher Seite nicht genügend Sensibilität für die Frage, ob afrikanische Regime angesichts der Tatsache, daß sie vor fast unlösbare Entwicklungsaufgaben gestellt sind, ohne ein straffes und im Hinblick auf die Zukunft optimistisches ideologisches Korsett überhaupt für längere Zeit zu einem konstruktiven Handeln in der Lage wären. (Die Regime eines Amin oder Bokassa sind möglicherweise die Kehrseite der Medaille.)

Zweitens dürfte den Aufbau-und Herrschaftssicherungsproblemen der afrikanischen Führer entgegenkommen, daß im Marxismus-Leninismus der Gedanke der avantgardistischen, d. h. letztlich elitären Einheitspartei eine so zentrale Rolle spielt. Das geht konform mit den Vorstellungen über eine disziplinierte Führung von Staat und Gesellschaft vor allem durch jene Gruppen, die eine lange Phase des Befreiungskampfes hinter sich haben. Zudem entspricht es der Notwendigkeit, der ethnischen Segmentierung afrikanischer Gesellschaften nicht nur ideolo-’ gisch, sondern auch institutionell, d. h. durch einen straff und zentralistisch organisierten Partei-und Staatsapparat, entgegenzuwirken. Natürlich besteht auch in der afrikanischen Wirklichkeit bei den Ein-Parteien-Systemen nur ein schmaler Grat zwischen bürokratischer Despotie einerseits und einer zwar autoritären, aber konstruktiven Entwicklungsdiktatur andererseits.

Drittens ist die Berufung auf sozialistische, insbesondere marxistisch-leninistische Formeln für afrikanische Regime ohne ausreichende interne Machtbasis natürlich ein probates Mittel, um eine entsprechende Unterstützung aus dem Ostblock zu erlangen. (Genauso wie sich umgekehrt manche afrikanische Regime, wie z. B. Zaire, auf ihre Bedeutung für den anti-kommunistischen Kampf besinnen, um in den Genuß westlicher Hilfe zu kommen.)

Unter den für den sowjetischen Einfluß ungünstigen Faktoren ist an erster Stelle die Aversion fast aller afrikanischen Führer gegen äußere, insbesondere weiße Bevormundung zu nennen. Aufgrund der militärischen Pattsituation zwischen den beiden Supermächten und der besonderen Stellung Chinas können die Afrikaner dieser Aversion durch eine mehr oder weniger geschickte Schaukel-politik immer wieder machtpolitische Realität verleihen. Unter anderem aus diesem Grund ist es unzutreffend, die Ausweitung des Ost-West-Konflikts auf Afrika allein den „bösen Machenschaften“ und dem Expansionsdrang außerafrikanischer Mächte zuzuschreiben. Die Akteure der innerafrikanischen Machtkämpfe und die der Ost-West-Konkurrenz versuchen sich vielmehr wechselseitig zu „instrumentalisieren". Für den sowjetischen Einfluß bedeutet das zweierlei: Zum einen wird vor allem die Zunahme der militärischen Präsenz der Sowjetunion und auch Kubas in der Region selbst mehr und mehr auf Gegenreaktionen stoßen. Am Horn von Afrika ist das unter Führung der saudi-arabischen Diplomatie bereits der Fall. Zum anderen werden sich — mit der einen oder anderen Ausnahme — nur solche Formen des Sozialismus durchsetzen können, die in erster Linie nationalistisch orientiert sind. Vorerst sind sozialistische Regime in Afrika — und das gilt für den „wissenschaftlichen Sozialismus" kaum weniger als für einen originär afrikanisch begründeten Sozialismus wie in Tansania oder Sambia — in erster Linie als ein Versuch der Afrikaner zu sehen, sich von den tiefsitzenden Spuren des Kolonialismus zu befreien und zu einer eigenen politischen und ökonomischen Identität zu finden. Als ein Beitrag zu der von Moskau propagierten Weltrevolution mit eindeutig hegemonialem Charakter können sie bis jetzt kaum angesehen werden.

Wie sich gerade in Somalia wieder erwiesen hat, verträgt sich dieser Nationalismus, selbst wenn er sich gleichzeitig marxistisch-leninistisch definiert, nur begrenzt mit der von Moskau erwarteten außenpolitischen „Solidarität". Das schließt nicht aus, daß diese Regime, wie es z. B. bei Neto in Angola und Machel in Mogambique derzeit der Fall ist, der sowjetischen Formel vom „proletari-sehen Internationalismus" ihren rhetorischen Tribut erbringen. Gerade deswegen spielt die Politik der Blockfreiheit für diese Regime auf der anderen Seite eine so wichtige Rolle, nämlich um sich von der Sowjetunion abzugrenzen, ohne gleichzeitig prowestliche Positionen beziehen zu müssen

Eine permanente Gefährdung marxistischleninistisch orientierter Regime und damit der von der Sowjetunion erhofften Einflußmöglichkeiten ergibt sich natürlich auch aus den Loyalitätsstrukturen des Tribalismus Denn: „Tribal structure is the lifehood of Africa. You can draw from this structure the will and the Support of the people." Möglicherweise hat sich die Sowjetunion den Tribalismus, obwohl sie ihn aufs schärfste verurteilt bei dem Putsch von Nito Alves und Jose van Dunen gegen Neto im Mai 1977 selbst zunutze machen wollen. Das soll bei anderen sozialistischen Führern Afrikas, unter anderem Machel, einigen Unwillen und Mißtrauen gegenüber der Sowjetunion hervorgerufen haben.

Schließlich haben sich marxistisch-leninistisch orientierte Entwicklungsmodelle — sieht man einmal von den Sonderfällen China und Kuba ab — in der Dritten Welt bisher nicht als prinzipiell erfolgreicher erwiesen als andere, wie sie z. B. in Tansania, Sambia, Ghana, der Elfenbeinküste oder anderswo praktiziert werden. Quantität und Qualität östlicher Unterstützungsmaßnahmen reichen nicht annähernd aus, um die früher oder später eintretende Ernüchterung darüber abzufangen, daß die mit der Übernahme mar-xistisch-leninistischer Vorstellungen erhofften Erfolge nicht oder nicht schnell genug eintreten

VI. Schlußfolgerungen für die westliche Politik

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich die wichtigsten Ansatzpunkte für einen längerfristigen Einfluß der Sowjetunion in Afrika schon seit längerem vor allem aus zwei Erscheinungen in Afrika ergeben: Einmal aus dem Kampf gegen die noch verbliebenen Bastionen des Kolonialismus und der weißen Vorherrschaft, zum anderen aus der zumeist mit ethnischen Differenzen zusammenhängenden Schwierigkeit zahlreicher afrikanischer Staaten, ihren'territorialen Zusammenhalt und ihre politische Stabilität zu wahren. Die Sowjetunion ist hierauf eingegangen durch die militärische, ideologische und politische Unterstützung von Befreiungsbewegungen, die von der OAE als solche offiziell anerkannt sind, sowie die Bereitschaft zu einem militärischen Engagement für den territorialen Zusammenhalt und die politische Stabilität der jungen afrikanischen Staaten. Dieses Vorgehen paßt sich in die wichtigsten, um nicht zu sagen „geheiligten" Legitimitäts-und Legalitätsvorstellungen Gesamtafrikas ein, die bisher im Zentrum der Charta und der Tätigkeit der OAE stehen: Kampf gegen den Kolonialismus und territoriale Integrität der jungen Staaten (vgl. Art. II und III der Charta).

Diese Tatsache, daß insbesondere Kuba und die Sowjetunion in Afrika bei der Verfolgung ihrer Ziele, auch der revolutionären und expansiven, in erster Linie als Unterstützer und nicht als Gegner von Ordnungsprinzipien auftreten, wird im Westen noch zu wenig wahrgenommen. Als Hauptelement der sowjetischen Afrikapolitik vermutet man vielfach noch ein umstürzlerisches Vorgehen, so wie es zu Zeiten der Komintern und der Kominform in der sowjetischen Außenpolitik vorherrschend war obwohl es tatsächlich in der sowjetischen Afrikapolitik an Bedeutung abgenommen hat.

Das sowjetische Verhalten in den gegenwärtig aktuellen Konfliktherden im südlichen Afrika — Namibia, Rhodesien/Zimbabwe und Zaire (Shaba) — spiegelt dieses Grundmuster der sowjetischen Afrikapolitik wider. In Namibia und Rhodesien/Zimbabwe werden die von der OAE anerkannten und protegierten Befreiungsbewegungen seit Jahren von der Sowjetunion, Kuba und anderen Ostblockstaaten politisch und militärisch unterstützt, um den Einfluß des Ostblocks in dieser Region auszubauen. (In Namibia die SWAPO unter Sam Nujoma und in Rhodesien/Zimbabwe die in der Patriotischen Front mit der ZANU verbündete ZAPU unter Joshua Nkomo.) Dieser Legitimitätsschiene des Ostblocks hat man von westlicher Seite, wenn auch leider sehr spät und deswegen möglicherweise ohne allzu großen Erfolg, durch den anglo-amerikanischen Plan für Rhodesien/Zimbabwe und die Namibia-Initiative der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder (USA, Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Kanada) eine andere Legitimitätsschiene entgegenzusetzen versucht, nämlich die eines unter internationalen Auspizien ausgehandelten „friedlichen" Machtüberganges von den weißen Minderheiten auf die schwarzen Mehrheiten. Am Shaba-Konflikt ist die andere Seite der stark legalistischen Grundhaltung der sowjetischen Afrikapolitik abzulesen. Den zahlreichen, aber unsubstantiellen Gerüchten in der westlichen Presse zum Trotz zeichnet der Ostblock mit einiger Wahrscheinlichkeit im wesentlichen nicht für die Invasion Zaires durch die Katanga-Gendarmen verantwortlich. Der durch eine solche Unterstützung wegen der damit ruchbar gewordenen Verletzung grundlegender OAE-Prinzipien für die sowjetische Afrikapolitik entstandene Schaden stünde in keinem Verhältnis zu dem Gewinn, den die Sowjetunion aus einer Übernahme der Provinz Shaba oder ganz Zaires durch die Katanga-Gendarmen und ihre politischen Parteigänger gezogen hätte.

Dieser in erster Linie legalistische und nur in zweiter Linie „umstürzlerische" Ansatzpunkt der östlichen Einflußnahme auf Afrika hat wichtige Konsequenzen für die Konzeption der Afrikapolitik westlicher Staaten. Er beantwortet zwar noch nicht die Frage, inwieweit das östliche Engagement für die westlichen Staaten bedrohlich ist oder nicht. Er läßt aber in aller Regel eine Politik als unsinnig erscheinen, die den östlichen Einfluß dadurch einzudämmen oder zurückzudrängen sucht, daß der Westen sich bei innerafrikanischen Konflikten sogleich auf die Seite einer nicht vom Osten unterstützten Gruppe schlägt. Die Kontroverse zwischen CIA-Chef Turner und Präsidentenberater Brzezinski einerseits und Außenminister Vance und UN-Botschafter Young andererseits um eine Unterstützung der UNITA in Angola zeigt, daß derartige Überlegungen nicht nur in der französischen Außenpolitik lebendig sind. Eine derartige Politik hat die gefährliche Folge, daß sie die westlichen Staaten unweigerlich in Gegensatz zu den wichtigsten afrikanischen Legitimitätsund Ordnungsprinzipien bringen, wie sie oben genannt wurden. Und diese sind für Afrika nicht Ausdruck einer papierenen Legalität, sondern spiegeln auch machtpolitisch signifikante Grundströmungen der gesamtafrikanischen Realität wider.

Von der westlichen Politik wird deswegen mehr Subtilität verlangt Wenn es auch schwierig ist, auf die Frage nach dem sowjetischen Einfluß im südlichen Afrika eine umfassende und einheitliche Antwort zu geben so muß doch die vpn manchen westlichen Beobachtern vorgenommene Gleichsetzung von sowjetischer Präsenz mit sowjetischem Einfluß als zu undifferenziert zurückgewiesen werden. Das Bündnis mit der Sowjetunion ist für die Afrikaner bisher in erster Linie ein Mittel gewesen, um die einseitigen kolonialen oder post-kolonialen Muster westlicher Einflußnahme zurückzudrängen. Insoweit war es auch relativ erfolgreich. Erfolge bei der Zurückdrängung des westlichen Einflusses sind aber keineswegs gleichzusetzen mit Erfolgen der Sowjetunion bei ihrem Bemühen, einen eigenen pro-sowjetischen Einfluß aufzubauen.

Ansätze zu einer differenzierten Betrachtungsweise der afrikanischen Verhältnisse und der Rolle der Ostblockstaaten für diesen Kontinent zeichnen sich seit einiger Zeit sowohl in der bundesdeutschen Außenpolitik als auch in der anderer westlicher Staaten ab, insbesondere der der USA unter UN-Botschafter Young und Außenminister Vance. Sie muß ausgehen von der Tatsache, daß im Süden Afrikas der Trend zu sozialistisch orientierten Regimen eher zu-als abnehmen wird. Dabei kann es sich um die verschiedensten Erscheinungsformen des Sozialismus handeln. Sie werden alle, genauso wie die meisten nichtsozialistischen Regime Afrikas, westlichen Maßstäben der parlamentarisch-pluralistischen Repräsentation, der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit nicht entsprechen. Statt dessen werden sie mehr oder weniger offen den Charakter von Ein-Partei-Regimen haben, bei denen nur ein schmaler Grat besteht zwischen einer konstruktiven Entwick-lungsdiktatur und einer Despotie des Partei-und Staatsapparates.

Ost und West werden es gleichermaßen begreifen müssen, daß in Afrika weder die Stunde der Diktatur des Proletariats noch die der parlamentarischen Demokratie geschlagen hat. Die westlichen Staaten werden dewegen zusätzliche Optionen für ihre Afrikapolitik nur erschließen können, wenn sie die Existenz sozialistisch bzw. marxistisch-leninistisch orientierter Regime in Afrika und deren begrenzte Zusammenarbeit mit dem sozialistischen Lager als legitim anerkennen und dementsprechend zumindest im Regelfall auf eine Isolierungsoder gar Destabilisierungspolitik verzichten. Man sollte nicht vergessen, daß gerade diejenigen afrikanischen Führer und Regime, die sich ernsthaft für eine Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung engagieren, ihre außenpolitischen Verbindungen häufig aus „einer internen Situation der Verzweiflung" und sehr viel weniger aus einer ideologisch eindeutig festgelegten Überzeugung wählen. Das gilt insbesondere für intensive Verbindungen einzelner Regime mit Kuba. Die scharfe und einseitige Verurteilung derartiger Verbindungen von westlicher Seite demonstriert für viele Afrikaner nur ein geradezu verletzendes Unverständnis im Westen für die außerordentlichen und nicht zuletzt aus dem Kolonialismus stammenden Schwierigkeiten Afrikas. Im Falle Angolas hat der lateinamerikanische Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez erst kürzlich die desparate Situation, wie sie von den Portugiesen hinterlassen wurde, beschrieben

Ohne Zweifel unterscheidet man auf afrikanischer Seite deutlich zwischen der Rolle der Sowjetunion und der Kubas. Sowohl die südliche Mentalität der Kubaner, ihr außerordentlicher entwicklungspolitischer Einsatz, die geringe Größe ihres Landes als auch ihre Dritte-Welt-Verbundenheit sind dafür — trotz des mit Skepsis beurteilten militärischen Auftretens der Kubaner in einigen Staaten — verantwortlich. Das Engagement der Kubaner ist für viele Afrikaner nicht identisch mit der Ost-West-Konkurrenz um Afrika. Angesichts der unklaren kubanischen Haltung im Eritrea-Konflikt war und ist dieses positive Image der Kubaner allerdings in Gefahr — in Afrika ähnlich wie in der Bewegung der Blockfreien.

Für den Einfluß der Sowjetunion und der übrigen Ostblockstaaten in Afrika muß weiter gesehen werden, daß es zwischen den Interessen der Sowjetunion und den von ihr zur Durchsetzung dieser Interessen zum Einsatz gebrachten politischen Instrumenten sowie den Interessen der Afrikaner zahlreiche Bruchstellen von grundsätzlicher Bedeutung gibt. Sie lassen sich besonders in vier Bereichen konstatieren: — Zunahme der afrikanischen Aversion gegen äußere Bevormundung mit Zunahme der sowjetischen Präsenz, insbesondere der militärischen; — geringe Quantität und zum Teil auch mangelnde Qualität der östlichen Entwicklungshilfe (Kuba nimmt hier allerdings eine Sonderstellung ein); — objektive Daten der Weltwirtschaft — die westlichen Industriestaaten werden sowohl der wichtigste Rohstoffmarkt als auch der Hauptlieferant von Investitionsgütern und Kapital für die Entwicklungsländer bleiben; — Interessendivergenzen bei der Neuordnung der Weltwirtschaft insoweit, als die Entwicklungsländer auch von den Industrieländern des Ostblocks mehr Entwicklungshilfeleistungen sowie eine entwicklungsländergerechte Anpassung ihrer Außenhandelsstrukturen verlangen (UNCTAD IV)

Die Ereignisse im südlichen Afrika stellen aber nicht allein — das soll zum Abschluß ausdrücklich betont werden — eine Herausforderung an die konzeptionellen Fähigkeiten und diplomatische Raffinesse der westlichen Außenpolitik dar. Das größere Problem dürfte in den im Westen — und nicht zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland — gängigen Vorstellungen über Schwarzafrika und den Sozialismus in Afrika liegen. Kommt es hier nicht zu einem von den Medien und der politischen Führung initiierten Bewußtseinswandel, so wird jede noch so gut konzipierte Afrikapolitik schon an innenpolitischen Widerständen scheitern. Namibia und Rhodesien/Zimbabwe, vor allem aber die in ihrer vollen Schärfe noch ausstehende Auseinandersetzung um das Apartheidregime in der Republik Südafrika werden die deutsche Öffentlichkeit und die deutsche Politik in dieser Hinsicht noch erheblichen Belastungen aussetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. hierzu Colin Legum, The Soviet Union, China and the West in Southern Africa, in: For-eign Affairs, Vol. 55, No. 4 (Juli 1976), S. 745 bis 762.

  2. Vgl. John A. Marcum, Lessons of Angola, in: Foreign Affairs, Vol. 54, No. 3 (April 1976), S. 407— 425; Wolf Grabendorff, Das außenpolitische Profil Kubas nach der Intervention in Angola, Ebenhausen, Dezember 1976 (SWP-AP 2121), sowie Manfred Wöhlcke, Modellexport und Revolutionshilfe: Umfeld und Motivationsanalyse des kubanischen Engagements in der Dritten Welt, Ebenhausen, September 1978 (SWP-AP 2189).

  3. Die Bemühungen der Sowjetunion, im Indischen Ozean zu einer größeren maritimen Machtentfaltung zu gelangen, setzten schon zu Beginn der sechziger Jahre ein. Sie gipfelten aber erst 1969 in der ständigen Abordnung sowjetischer Uberwasserstreitkräfte in den Indischen Ozean: Vgl. Alvin J. Cottrel/R. M. Burrel, Soviet-US-Naval Competition in the Indian Ocean, in: Orbis, Vol. 18, No. 4 (Winter 1975), S. 1109— 1128 (1112); ausführlicher zur Problematik des Indischen Ozeans vgl. Dieter Braun, Der Indische Ozean als Aktionsfeld der Supermächte, in: Polarität und Interdependenz — Beiträge zu Fragen der internationalen Politik (hrsg. v. d. Stiftung Wissenschaft und Politik), Baden-Baden 1978, S. 337 ff.

  4. Vgl. Chester A. Crocker, Africa and the Indian Ocean, in: Orbis, Vol. 20, No. 3 (Herbst 1976), 637— 667 (652).

  5. Der Anteil des über die südlichen Routen laufenden Transportvolumens liegt zwar unter 1 vH. Im Falle eines länger andauernden Konflikts mit China kann diese Route wegen der leichten Zerstörbarkeit der Transsibirischen Eisenbahn dennoch größere Bedeutung erhalten; vgl.: Australia and the Indian Ocean Region, Report from the Senate Standing Committee of Foreign Affairs and Defence, Canberra 1976, S. 188 f.

  6. Vgl. hierzu ebd., S. 114: „The typical deploy-ment in recent years has consisted of a guided-missile destroyer, two destroyer escorts, attack submarine, two mine sweepers, intelligence collector, tank-landing ship and support vessels, inclu-ding three oilers, support ship and barracks ship."

  7. Helmut Heinzlmeir, Der Indische Ozean in der Weltpolitik, in: Marine-Rundschau, Nr. 5 (1978), S. 301— 309 (307).

  8. Darf man den entsprechenden Presseberichten trauen, so ist die Sowjetunion inzwischen aber immerhin schon so weit gegangen, daß sie durch die Beschießung Massauas von sowjetischen Kriegsschiffen aus direkt in die Auseinandersetzung zwischen den eritreischen Rebellen und dem Regime in Addis Abeba eingegriffen hat (vgl. z. B. Neue Zürcher Zeitung vom 26. 5. 1977, S. 4).

  9. Vgl. Frankfurter Rundschau vom 6. 5. 1977, S. 23.

  10. Vgl. Crocker, Africa and the Indian Ocean, a. a. O., S. 652.

  11. Das Verhältnis zwischen der Ausrüstung den amerikanischen und sowjetischen Flotte mit Flugzeugträgern beträgt gegenwärtig 13: 1.

  12. Vgl. Admiral Standsfield Turner, The Naval Balance: Not Just a Number's Game, in: Foreign Affairs, Vol. 56, No. 2 (Jan. 1977), S. 339— 354 (342).

  13. Auch Berbera in Somalia war im eigentlichen Sinne kein Stützpunkt. Der durchaus wichtige Unterschied zwischen Nutzungsrechten und Stützpunkten geht in westlichen Darstellungen häufig unter. Stützpunkte stellen eine sowohl rechtlich als auch faktisch sehr viel massiver abgesicherte Form der Präsenz und Nutzung dar.

  14. Vgl. W. Ulbricht, Bergbauliche Ressourcen im Südlichen Afrika, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg 1976. Metalle der Platingruppe, Chromerze, Manganerze, Uranerze, Vanadium, Blauasbest und andere werden in diesem Zusammenhang genannt. Empfindlich ist die Abhängigkeit insbesondere bei den Chromerzen, bestimmten Metallen der Platin-gruppe und den Manganerzen, da sie nicht ohne weiteres durch andere Mineralien substituiert werden können.

  15. Wolfgang Schneider-Barthold, Die Beurteilung der Wirtschaftsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Republik Südafrika und zu den OAU-Staaten aus deutscher Sicht, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Berlin 1976, S. 74 f.

  16. OPEC = Organization of Petroleum Exporting Countries.

  17. Für den Energiesektor erörtert dieses Problem Jochen Bethkenhagen, Das sowjetische Westhandelspotential an Erdöl und Erdgas, in: Jahrbuch der Wirtschaft Osteuropas, Bd. 6, München 1975, S. 273— 316.

  18. Vgl. hierzu V. G. Solodownikow, Die Erfahrungen sozialistischer Veränderungen in der UdSSR und deren internationale Bedeutung, Moskau 1972, S. 53.

  19. Vgl. hierzu Henrik Bischof, Sowjetisches Engagement in Afrika im Spannungsfeld der gegenwärtigen internationalen Politik. Entwicklungspoli-

  20. Vgl. eine entsprechende Äußerung Kossygins, zitiert in der Prawda vom 2. 3. 1976; englischer Text bei Richard Löwenthal, Soviet „CounterImperialism", in: Problems of Communism, Vol. 25, No. 6 (Nov. /Dez. 1976), S. 52— 63 (52).

  21. V. G. Solodovnikov/M. Braginsky, The Working dass in the African Countries'Social Structure, in: International Affairs (Moskau), 1976, No. 10, S. 41— 49 (45).

  22. Ebd.

  23. Ausführlicher zu diesen Begriffen vgl. Klaus Lüders, Tansania in der Sicht der Sowjetunion. Eine Studie zur sowjetischen Schwarzafrika-Politik. Derzeit noch unveröffentlichte Dissertation an der Freien Universität Berlin, Berlin 1976. Siehe auch Bernhard von Plate, Aspekte der SED-Parteibeziehungen in Afrika und der Arabischen Region, SWP-AZ 2 185, Ebenhausen, August 1978.

  24. Allerdings macht sich in der östlichen Literatur immer mehr die Hoffnung breit, „daß es in den rückständigen Ländern möglich sein muß, zum Sozialismus zu kommen, ohne erst den Kapitalismus durchzumachen': A. Kiwa, Probleme der Wirt-

  25. Vgl. Rostislav Uljanovskij, Der Sozialismus weist den Weg — Theorie und Praxis des nationalen Befreiungskampfes nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, in: Neue Zeit, 1977, No. 27, S. 20— 22.

  26. Im übrigen sind für eine nicht-kapitalistische Entwicklung aus östlicher Sicht unter anderem die folgenden Punkte wichtig:

  27. Vgl. dazu Bernard von Plate, Prioritäten und Verhaltensmuster der DDR-Außenpolitik im Bereich der „Dritten Welt“ seit dem Durchbruch zur internationalen Anerkennung, SWP-AZ 2 122, Ebenhausen, Januar 1977. •

  28. „Indeed Cuba with a population of fewer than 10 million, is probably now providing more doctors, medical personnel and technicians to African than is the United Staates" (David Ottoway, Why the U. S. Outcry over Cubans in Africa?, in: International Herald Tribune vom 7. /8. 1. 1978, S. 4).

  29. Vgl. jetzt aber die Rede Bundesaußenminister Genschers vor der 32. Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN); Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung vom 30. 9. 1977, S. 861 ff.

  30. Der Kolonialismus vergangener Tage hat hier, durch künstliche Grenzziehungen, ökonomische Ausbeutung und die bewußte Ausnutzung von

  31. Vgl. Kommunique des Ministerrats von Mozambique über die gegenwärtige sozial-ökonomische Lage des Landes vom 17. 7. 1977 (MonitorDienst/Afrika, 20. und 21. 7. 1977, S. 1— 4); Beschlüsse der Vollversammlung des ZK der angolanischen Staatspartei „Ein Dokument der Selbstkritik“ (ebd., 12. 8. 1977, S. 8— 11); Kongo: Unsere Situation ist besorgniserregend (ebd., 7. 11. 1977, S. 1— 3).

  32. So sollte auf westlicher Seite aufmerksam registriert werden, daß in dem Bericht des ZK der Volksbefreiungsbewegung Angolas (MPLA), der auf dem Ersten Kongreß der MPLA im Dezember 1977 von Präsident Neto verlesen wurde, im Abschnitt „Prinzipien der Außenpolitik“ nicht nur die Politik der Blockfreiheit, sondern auch eines ihrer entscheidenden Elemente, das Verbot der ausländischen Stützpunkte, ausdrücklich erwähnt wird (Monitor-Dienst/Afrika vom 7. 12. 1977, S. 1 ff.).

  33. Ein amerikanischer Journalist hat für Angola eindrucksvoll beschrieben, daß an erster Stelle die ethnische Zugehörigkeit, an zweiter Stelle die ersten Ansätze eines nationalen und afrikanischen Bewußtseins und erst an letzter Stelle der Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus für den überwiegenden Teil der Bevölkerung die politisch relevanten Bezugsfelder sind (vgl. Leon Dash in: The Washington Post vom 9. 8. 1977, S. A 8).

  34. So Jonas Savimbi, Führer der UNITA (Angola), zitiert von Dash, ebd., 11. 8. 1977, S. A 24.

  35. Vgl. L. D. Jablochkov, Social Changes in Countries of Non-capitalist Development, in: Africa in Soviet Studies, 1973, S. 97— 120 (103).

  36. Die finanzielle Hilfe der Ostblockstaaten wurde von Minister Dos Santos (Mocambique) auf dem 3. Parteikongreß der FRELIMO im April 1977 als „sehr, sehr mäßig" bezeichnet (vgl. Blick durch die Wirtschaft vom 7. 4. 1977, S. 2). FRELIMO = Frente de Libertacäo de Mocambique, Befreiungsfront von Mocambique.

  37. Komintern = Kommunistische Internationale, 1919 gegründet und 1943 aufgelöst; Kominform = Kommunistisches Informationsbüro, 1947 gegründet und 1956 aufgelöst; beide waren Organe zur Koordinierung des Weltkommunismus und wichtige Instrumente der sowjetischen Außenpolitik.

  38. South West African People's Organization.

  39. Zimbabwe National Union.

  40. Zimbabwe People's Union.

  41. Uniao Nacional para a Independencia Total de Angola.

  42. Vgl. zur westlichen Politik auch Winrich Kühne, Die sowjetische Außenpolitik im südlichen Afrika — eine Bedrohung für den WesOn? Eben-hausen, Januar 1978 (SWP-AP 2158); Helmut Bley/Rainer Tetzlaff (Hrsg.), Afrika fand Bonn. Versäumnisse und Zwänge deutscher Afrikapolitik, Hamburg 1978.

  43. Genauer zum Begriff des Einflusses des Einflusses: Alvin Rubinstein, Soviel and Chinese Influence in the Third World, New York 1975.

  44. Gabriel Garcia Marquez, Verzweifelter Start nach einem tödlichen Exodus, in: Die Zeit, vom 17. 2. 1978.

  45. UNCTAD IV: Vierte Konferenz der VN für Handel und Entwicklung, die im Mai 1976 in Nairobi stattfand.

Weitere Inhalte

Winrich Kühne, Dr. jur., geb. 1944 in Groß Lüsewitz/Mecklenburg; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München. Veröffentlichungen u. a.: Das Völkerrecht und die militärische Nutzung des Meeresbodens, Leiden 1975; Zur Verbindlichkeit, Auslegung und Anwendung der Schlußakte von Helsinki — Einige rechtssoziologische Überlegungen, in: Die Friedenswarte 59 (1976); Die sowjetische Außenpolitik im südlichen Afrika. — eine Bedrohung für den Westen?, in: Polarität und Interdependenz — Beiträge zu Fragen der internationalen Politik (Band 1 der Reihe Internationale Politik und Sicherheit, hrsg. von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen), Baden-Baden 1978.