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Die Bewältigung des Strukturwandels in der Marktwirtschaft | APuZ 47/1978 | bpb.de

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APuZ 47/1978 Artikel 1 Die Bewältigung des Strukturwandels in der Marktwirtschaft Wirtschaftlicher Wandel und Strukturpolitik Ein Curriculum-Baustein zur Wirtschaftslehre Zur Rolle Japans in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der westlichen Industrieländer Internationale Strukturpolitik als Aufgabe

Die Bewältigung des Strukturwandels in der Marktwirtschaft

Otto Graf Lambsdorff

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Zusammenfassung

Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/78, S. 3— 13 Strukturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland soll die Marktkräfte nicht ersetzen, sondern ergänzen und unterstützen. Strukturpolitik ist deshalb kein Fremdkörper in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Bundesrepublik Deutschland verdankt ihren materiellen Wohlstand einem ständigen wirtschaftlichen Strukturwandel. Die Wirtschaftspolitik hat diesen Strukturwandel nicht aufzuhalten versucht, sondern ihn, wo es nötig war, abgefedert, um bruchartige Veränderungen zu vermeiden. Anpassung überholter Strukturen geschieht am ehesten durch Wettbewerb auf dem Markt. Das gilt national wie international. Die Bundesregierung wendet sich daher gegen Kartellierung und Protektionismus. Sie tritt für den Abbau von Handelshemmnissen ein. Weitere Bereiche strukturpolitischer Aktivität sind neben der Wettbewerbs-und Außenhandelspolitik die Mittelstands-, Haushalts-und Steuerpolitik, die Forschungs-, Arbeitsmarkt-, Industrie-und Regionalpolitik. Aber auch für alle diese Bereiche gilt: Strukturpolitik ist Hilfe zur Selbsthilfe. Die indirekte Förderung hat grundsätzlich deutlichen Vorrang vor direkten, gezielten Hilfen. Die Bundesregierung lehnt offizielle strukturpolitische Prognosen ab. Sie sieht in solchen — zwangsläufig unsicheren — Vorhersagen amtlicher Art die Gefahr, daß sich ganze Branchen fehlorientieren könnten. Die Unternehmen müssen die strukturellen Entwicklungen selbst abschätzen und ihre autonomen Entscheidungen allein treffen. Grundlage der Strukturpolitik bleibt die freie Entscheidung von Unternehmen und Arbeitnehmern, aber der Staat verhält sich strukturpolitisch nicht abstinent.

I. Einleitung

INHALT I. Einleitung II. Gründe des strukturellen Wandels III. Für offene Märkte sorgen IV. Der Staat fördert den Strukturwandel V. Mittelstandspolitik als Strukturpolitik VI. Aktive Wettbewerbspolitik VII. Ist Strukturwandel voraussehbar?

Das Prognoseproblem VIII. Regionale Strukturpolitik:

Mehr Arbeitsplätze IX. Fazit

Strukturpolitik und strukturpolitische Fragestellungen haben nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in allen industrialisierten Ländern der westlichen Welt in den vergangenen Jahren — vor allem seit der Ölpreiskrise des Jahres 1973 — neue Bedeutung und größere Dimensionen gewonnen. Strukturwandel und strukturpolitische Antwortversuche darauf sind zu Begriffen geworden, die nicht nur von denen immer wieder benutzt werden, die glauben, daß mit marktwirtschaftlicher Ordnungs-und Konjunktur-politik den weltweit auftretenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht mehr begegnet werden kann. Lediglich sehr konservative Geister sehen immer noch einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen marktwirtschaftlichen Grundprinzipien und strukturpolitischen Aktivitäten des Staates und der öffentlichen Hand.

Im Ernst wird heute niemand mehr bestreiten können, daß Strukturpolitik ein entscheidender und unverzichtbarer Bestandteil der Wirtschaftspolitik aller Industrieländer geworden ist und so gehandhabt werden kann (ich meine: so gehandhabt werden muß), daß sie in das Ordnungssystem einer sozialen Marktwirtschaft ohne Bruch eingepaßt werden kann. Die Bundesregierung hat jedenfalls keinen Zweifel daran gelassen, daß sie eine solche Kombination für notwendig und auch für praktizierbar hält. Ihre Strukturpolitik beweist diese Vereinbarkeit. Freilich bedarf es dazu einer klaren Grundeinstellung: Strukturwandel, auch schmerzhafter Strukturwandel, ist notwendig und wünschenswert. Er bietet bei allen damit verbundenen Härten überwiegend gesamtwirtschaftliche Vorteile und Chancen und ist jedenfalls dann, wenn abrupte Veränderungen in den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausbleiben, der beste und auf Dauer allein gangbare Weg in einer freien und weltoffenen Wirtschaft, um den Wohlstand der Bürger zu erhalten und zu mehren.

Tatsächlich zeigt die gesamte Nachkriegs-entwicklung, daß gerade unser Land einen ganz wesentlichen Anteil seines Wohlstandes einem ständigen erfolgreichen Strukturwandel verdankt. Die Unternehmen haben sich schnell an neue Entwicklungen angepaßt, und die Arbeitnehmer haben genügend Mobilität gezeigt, um diese gesamtwirtschaftlich erforderliche Anpassung mitzuvollziehen. Das ist nicht in allen Ländern so gewesen. Es gibt durchaus Beispiele, in denen durch staatliche Konservierungspolitik Wirtschafts-und Produktionsstrukturen lange Zeit künstlich am Leben gehalten wurden und werden. Auf den Wohlstand dieser Länder, ihre Wachstumsraten und ihre Stellung im Welthandel hat dies eher negativ gewirkt. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben jedenfalls alle miteinander — Staat, Unternehmen, Gewerkschaften und Arbeitnehmer —, stets den Mut gehabt, uns den Herausforderungen der Weltwirtschaft und des internen Strukturwandels zu stellen. Das hat sich ausgezahlt. Auf diese Weise gelang es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur, unsere Wirtschaft sehr schnell von der Kriegs-auf die Friedenswirtschaft umzustellen. Zugleich war es auch möglich, in wenigen Jahren Millionen von Flüchtlingen in die westliche Wirtschaft einzugliedern und die Bundesrepublik in derselben Zeit voll in die Weltwirtschaft zu integrieren. Ohne den bewußten Willen zu einer permanenten, aktiven Strukturveränderung stünden wir heute anders, stünden wir schlechter da.

Weil das so war und weil das reibungslos funktionierte, ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an der Strukturpolitik vergleichs-3 weise gering gewesen. Der Strukturwandel in den fünfziger und sechziger Jahren konnte ohne große Schwierigkeiten für Beschäftigung und Produktion vollzogen werden, weil die wirtschaftlichen Wachstumsraten jahrelang infolge des hohen Nachholbedarfs außergewöhnlich groß waren. Inzwischen hat sich das geändert. Eine seit 1975 im Jahresdurchschnitt bei etwa vier Prozent liegende Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik zeigt die seit der weltweiten Wirtschaftskrise von 1973/74 eingetretenen Veränderungen an. Und daher ist es kein Wunder, daß sich auch die strukturpolitische Diskussion so kräftig belebt hat. Manche sehen Strukturpolitik seitdem als Wunderwaffe der Zukunft an. Sie ist es nicht. Aber man kann diese Politik vernünftig „gebrauchen“.

II. Gründe des strukturellen Wandels

Ich nenne einige von vielen Gründen, die zu der Verschärfung der strukturpolitischen Fragestellungen geführt haben: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich in vielen Ländern der Welt rapide geändert. Das alte Wechselkursgefüge zwischen den nationalen Währungen hat sich tiefgreifend verschoben. Der Kursanstieg der Deutschen Mark an den internationalen Devisenbörsen hat über den dadurch ausgelösten Konkurrenzdruck des Auslands strukturelle Probleme verschärft. Nachdem die Mark jahrzehntelang international unterbewertet war, hatten sich hinter diesem Schutz wirtschaftliche Strukturen entwickelt, die nun teilweise aufgegeben werden mußten. Ein Beispiel: Es war für einen großen Automobilproduzenten nicht mehr möglich, gewinnbringend nach den USA zu exportieren; aber es lohnte sich sehr wohl, in den Vereinigten Staaten eine Produktionsstätte für den US-Markt zu eröffnen.

Die Rohstoff-und Energiepreise sind seit der Energiekrise des Jahres 1973 teilweise explosionsartig mit für einige Länder nur schwer überwindbaren Zahlungsbilanzfolgen gestiegen. Die Entwicklungsländer haben ihre Exportmöglichkeiten kräftig verbessert und manche traditionellen einheimischen Produktionen im Wettbewerb verdrängt.

In der Bundesrepublik Deutschland wie in den anderen Industrieländern haben die Lohnkosten eine ungewöhnliche Steigerung erfahren (in den Vereinigten Staaten von Amerika spricht man inzwischen von der Mindestlohn-arbeitslosigkeit).

Ferner hat sich der technische Fortschritt — zum Beispiel im Maschinenbau, aber nicht nur dort — rapide beschleunigt. Auch die Nachfragestruktur hat sich gewandelt. Es gibt zumindest in gewissen Bereichen der Konsumgüternachfrage unverkennbare Sättigungserscheinungen. Alte Kapazitätsstrukturen stimmen daher mit der Nachfrage und den Anforderungen der Märkte nicht mehr überein.

Das und andere Entwicklungen haben dazu geführt, daß Teile der Wirtschaft vor weitreichenden Anpassungsnotwendigkeiten stehen: Das ist auch ein Grund für die höheren Arbeitslosenzahlen in allen Industriestaaten (es gibt sie, nebenbei bemerkt, auch in den kommunistisch regierten Ländern; nur werden sie dort nicht offiziell statistisch erfaßt).

In dieser Situation kommt es darauf an, die gesamtwirtschaftlichen Vorteile und Chancen dieses Strukturwandels zu nutzen. Das Gebot der Stunde heißt, Produktion und Verteilung zu modernisieren und damit die einzel-und gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Solche Strukturanpassungen sind auch ein wesentliches Element auf dem Weg zu einer Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion. Nur mit einer modernen Wirtschaftsstruktur in allen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft wird es möglich sein, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu betreiben. Strukturpolitik ist also nicht nur eine nationale Aufgabe; sie reicht weit über die Grenzen eines Landes hinaus.

Aber auch dann gilt nach unserer Meinung: Die Bewältigung des Strukturwandels, die richtige Einstellung auf neue weltwirtschaftliche und nationale Daten ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmen selbst. Ohne ihre Initiative, Risikobereitschaft und Beweglichkeit kann der Strukturwandel in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht gelingen. Natürlich müssen und können Regierungen und andere öffentliche Stellen die geeigneten Rahmenbedingungen schaffen, um die vom Markt ausgehenden Anpassungs-und Neuerungsprozesse zu unterstützen. Sie müssen versuchen, bruchartige Entwicklungen zu vermeiden, zumindest abzufedern. Aber jede staatliche Förderung dieser Art bleibt in unserer Ordnung wirkungslos, wenn die Hauptanstrengungen nicht von den Unternehmen selbst getragen werden. Auch partielle Kapazitätsvernichtungen sind, gesamtwirtschaftlich gesehen, keineswegs immer ein Nachteil. Sie können aus dieser Sicht notwendig, ja sogar erwünscht sein, um neue und andere Kapazitäten auf einem höheren technischen Standard zu errichten, um bessere Waren herzustellen und so den Lebensstandard der Menschen zu erhöhen. Dabei ist es unbestreitbar, daß verhaltenes wirtschaftliches Wachstum die notwendige strukturelle Anpassung erschwert. Ein befriedigendes Wirtschaftswachstum macht den Strukturwandel gleitender und lautloser; viele Schwierigkeiten, die mit diesem Wandel verbunden sind, entstehen bei ausreichendem Wachstum gar nicht rst oder werden doch substantiell gemindert. Denn Arbeitsplätze, die im Strukturwandel verlorengehen, werden bei angemessenem Wirtschaftswachstum in anderen Branchen der Volkswirtschaft neu und zusätzlich angeboten. Daher hat die Bundesregierung mit ihren 1977 und 1978 beschlossenen mittelfristigen Programmen zur Wachstumsförderung und Nachfragebelebung auch die strukturpolitischen Notwendigkeiten bedacht. Es bleibt unser Ziel, ein mittelfristiges Wirtschaftswachstum zu erreichen, das über der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsrate je Erwerbstätigen liegt. Dafür ist eine ausreichende Investitionsgüternachfrage der wichtigste Bestimmungsfaktor. Und um dies zu erreichen, ist es notwendig, ausreichende Absatz-und Ertragserwartungen zu sichern, das eindeutig größer gewordene Investitionsrisiko zu verringern und stärkere Impulse für die technische Erneuerung der Betriebe zu geben.

Die Unternehmen haben den Strukturwandel in der Marktwirtschaft auch dann zu leisten, wenn dessen Bewältigung nur in einem schmerzlichen und vorübergehend verlustreichen Anpassungsprozeß möglich ist. Diese Notwendigkeit, die in der Logik unserer Wirtschaftsordnung begründet ist, wird aber offensichtlich von manchen Unternehmen und Verbänden gerne übersehen. Deshalb möchte ich mit aller Deutlichkeit auch hier klarstellen: Marktwirtschaft ist keine Wirtschaftsordnung nur für Schönwetterzeiten. Wer Gewinne verteidigt und als legitim ansieht, beim Auftreten von Verlusten jedoch Importbeschränkungen, Kartelle oder erhebliche öffentliche Subventionen fordert, der demoliert diese Ordnung gründlicher und nachhaltiger als alle jene Kritiker, die aus ganz anderen Gründen gegen die Marktwirtschaft eingestellt sind.

III. Für offene Märkte sorgen

Wichtigste Triebfeder zur Anpassung überholter Strukturen ist der Wettbewerb auf dem Markt. Ohne diesen Wettbewerb würde der Zwang zum technischen Fortschritt verringert und damit die Konkurrenzfähigkeit einer gesamten Volkswirtschaft gefährdet. Die Aufgabe des Staates ist es, die Märkte offenzuhalten und sie nach Möglichkeit noch weiter zu öffnen. Das gilt für das einzelne Land, das gilt für die Europäische Gemeinschaft und das gilt auch weltweit. Öffnung der Märkte bedeutet zunächst, daß der Wettbewerb nicht durch Fusionen, Kartelle und Marktabsprachen beschränkt werden darf. Er muß vielmehr durch das Hinzukommen neuer Unternehmen verstärkt werden. Diesem Ziel offener Märkte dient in der Bundesrepublik Deutschland das Kartellgesetz mit seinen Novellen (davon wird später noch die Rede sein). Die Zielrichtung dieses Gesetzes ist darauf gerichtet, den Wettbewerb — keineswegs immer zur Freude der betroffenen Unternehmen — zu aktivieren und zu verbessern. Denn nur so wird die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft auf Dauer erhalten.

Offene Märkte und mehr Wettbewerb sind freilich nicht nur eine nationale Angelegenheit. In Europa, in der Europäischen Gemein-schäft, gibt es die zentrale Aufgabe, den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsländern zu sichern und die noch bestehenden Handels-schranken abzubauen. Das muß geschehen durch die Angleichung immer noch vorhandener unterschiedlicher Rechts-und Verwaltungsvorschriften und den Abbau gesellschaftsrechtlicher Hindernisse für die Zusammenarbeit der Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft. Im internationalen Bereich über Europa hinaus wird es schwieriger, aber unumgänglich sein, den Liberalisierungsgrad des Welthandels zu erhalten und auszubauen. Gerade für die Bundesrepublik Deutschland ist die Abwehr eines weltweit wachsenden Protektionismus ein existentielles wirtschaft-und strukturpolitisches Problem, denn wir sind — wie kein anderes Land — vom Außenhandel abhängig. 27 Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes werden exportiert; in Japan sind es nur 16, in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht mehr als acht Prozent. Wir müssen uns daher auch in unseren strukturpolitischen Anstrengungen dieser Außenhandelsverflechtung stets bewußt sein.

Abbau des Protektionismus ist für uns nur über die Politik der Europäischen Gemeinschaft möglich, deren Außenhandelsaktivitäten wir auch dann mitzuverantworten haben, wenn wir von anderen Mitgliedsländern in unseren Bestrebungen zuweilen allein gelassen werden. Denn tatsächlich hat es den Anschein, als würden die Gefahren eines wachsenden Protektionismus noch nicht in allen Mitgliedsländern der Gemeinschaft gleich gesehen. Immer wieder ist die Rede von einer weltoffenen Gemeinschaft, aber das darf sich nicht auf Sonntagsreden der Politiker beschränken. Wir müssen uns rechtzeitig gegen jeden Neoprotektionismus zur Wehr setzen, weil er auf die Dauer die Existenzgrundlage unserer Wirtschaft, der europäischen Wirtschaft, der Weltwirtschaft zerstört.

Das gilt sicher besonders für die Bundesrepublik Deutschland: Aufgrund der in Jahrzehnten gewachsenen hohen Exportabhängigkeit unseres Landes würde uns ein zunehmender Protektionismus stärker treffen als andere Staaten. Aber verlieren würden nicht nur wir, sondern alle am Welthandel beteiligten Länder. Wenn wir beispielsweise schleppende Auslandsnachfrage bedauern, dann muß auch gefragt werden, ob diese Entwicklung nicht auch durch eigene Selbstbeschränkungsabkom-men und andere den Welthandel behindernde Maßnahmen begünstigt wird. Die Entwicklungsländer werden eben nicht genügend Devisen zum Kauf europäischer Waren haben, wenn Europa seine eigenen Märkte für Produkte dieser Länder abschottet. Man kann • nicht immer mehr Industrieanlagen in Entwicklungsländer exportieren und dann erstaunt sein, wenn die damit produzierten Güter auch auf unseren Märkten erscheinen. Wir müssen diese Güter hereinlassen, weil wir nur so die Chance haben, auf die Dauer den Export zu ermöglichen, der unserer Wirtschaftsstruktur entspricht. Und wir können von wirtschaftlich schwächeren Ländern nicht mehr handelspolitische Liberalität erwarten, als wir selbst bereit sind zu praktizieren.

Um diesen deutschen Standpunkt zur Strukturpolitik zu erläutern und zu bekräftigen, habe ich im Mai 1978 im Europäischen Ministerrat ein Memorandum zur Strukturpolitik in der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt. Darin wird eindringlich vor dirigistischen und protektionistischen Tendenzen gewarnt. Ich habe dargelegt, daß es nach Auffassung der Bundesregierung falsch wäre, auf die Veränderungen der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen defensiv mit strukturkonservierenden Maßnahmen zu reagieren. Dies gilt um so mehr, weil nach aller Erfahrung Wirtschaftszweige, für die einmal strukturerhaltende Maßnahmen getroffen worden sind, nur ganz selten wieder in den normalen Wettbewerb entlassen werden. In der Tat hat sich gezeigt, daß alle derartigen Maßnahmen, die protektionistische Abschottung ganzer Branchen, mit großen Verlusten an Produktivität und Wachstum verbunden sind. Unproduktive Anlagen werden so künstlich am Leben gehalten, während Investitionen in anderen produktiveren Bereichen unterbleiben. So hemmt man den technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. So wird auf Dauer die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder einer Wirtschaftsgemeinschaft beeinträchtigt.

Daher sind alle solche Maßnahmen nicht geeignet, durch den Strukturwandel gefährdete Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern.

Außenwirtschaftlicher Protektionismus verstärkt zudem den in der Welt weit verbreiteten Wachstumspessimismus; die Aussicht auf schrumpfenden Welthandel ist alles andere als investitionsfördernd. Dieser Protektionismus verringert schließlich nicht, sondern er verstärkt das Gefälle zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern. Er ist kein Beitrag zu mehr Wohlstand, sondern zu weniger Wohlstand gerade bei den Ärmsten der Welt.

Entwicklungshilfe ohne wachsenden Welthandel bringt den armen Ländern überhaupt keinen dauernden Nutzen.

Die Bundesregierung wird also nicht ihr Heil in dirigistischen und protektionistischen Konzepten der Strukturpolitik suchen. Ihre Politik ist vielmehr darauf angelegt, den marktwirtschaftlichen Spielräum für die Fortentwicklung der Strukturpolitik zu nutzen. Das ist mühsamer, oft auch unpopulärer als Staats-subventionen oder das Aufbauen von Handelsbarrieren. Aber es ist auf die Dauer der einzig erfolgversprechende Weg.

IV. Der Staat fördert den Strukturwandel

Wenn wir in unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung von den Unternehmen und Arbeitnehmern erwarten, daß sie Strukturprobleme in eigener Verantwortung und auch auf eigenes Risiko lösen, so bedeutet das nicht, daß sie dabei allein gelassen werden. Der Staat erleichtert und flankiert in unserem Wirtschaftssystem den Anpassungsprozeß, sichert ihn ab. Schon in dem Strukturbericht 1969 der Bundesregierung heißt es dazu: „Der Staat fördert den Strukturwandel, indem er vor allem für einen funktionsfähigen Wett-bewerb sorgt. Er muß darüber hinaus den Strukturwandel aber auch auf jede andere angemessene Weise begünstigen."

Nach demselben Strukturbericht, zu dem sich die Bundesregierung auch heute, bekennt, soll dies „in erster Linie dadurch geschehen, daß der Staat die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsablauf transparent macht, Anpassungshemmnisse abbaut und das wirtschaftlich relevante Recht zweckmäßig gestaltet, «damit wachstumsträchtige Strukturveränderungen erleichtert werden. Er muß günstige Voraussetzungen dafür schaffen, daß durch Forschung und Entwicklung neue Kenntnisse entstehen und in neuen Produkten und Verfahren nutzbringend eingesetzt werden. Ferner muß er die berufliche Bildung ausbauen und insgesamt die berufliche und geistige Mobilität der Erwerbstätigen erhöhen. Je besser und je früher diese strukturpolitischen Aufgaben mit allgemein wirkenden Mitteln erfüllt werden, um so geringer ist die Gefahr, daß es zu krisenhaften Anpassungsschwierigkeiten kommt."

Strukturpolitik des Staates äußert sich also in seiner Wettbewerbspolitik, in der Mittelstandspolitik, in der Haushalts-und Steuerpolitik, in seinen industriepolitischen Vorhaben, in der Forschungs-, Arbeitsmarkt-und in der Regionalpolitik. Alle diese Politikbereiche, die nicht voneinander zu trennen sind, haben in den vergangenen Jahren eine zunehmende Bedeutung gewonnen. Dabei ist es wichtig, daß nach Möglichkeit die im Strukturbericht 1969 bereits zitierten „allgemein wirkenden Mittel" anwendbar werden und daß gezielte Hilfen, die mehr oder weniger einen direkten staatlichen Eingriff bedeuten, so sparsam wie möglich eingesetzt werden. — Aber es gibt sie selbstverständlich; ich erinnere etwa an die Energiepolitik der Bundesregierung, die unter anderem darauf ausgerichtet ist, die einheimische Kohleförderung zu unterstützen.

Ferner an die Hilfen für Schiffbau, an Bürgschaften für die Saar-Stahlindustrie, an die massive Unterstützung der deutschen Flugzeugproduktion. Dennoch müssen solche direkten Förderungsmaßnahmen die Ausnahmen bleiben, wenn unsere Wirtschaftsordnung funktionsfähig erhalten werden soll.

Im Strukturbericht 1969 wird dazu folgendes ausgeführt: „Nur in besonderen Fällen werden ... spezielle und eng gezielte Hilfen zur Verbesserung der regionalen und sektoralen Wirtschaftsstruktur wie auch der Struktur der Unternehmensgrößen eingesetzt werden müssen. Die Aufgaben in diesen Bereichen sind eng miteinander verbunden; sie müssen gleichzeitig und gleichlaufend verfolgt werden." Und es heißt weiter:

„— Spezielle staatliche Hilfen und andere Eingriffe kommen nur dann in Betracht, wenn sich die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für einzelne Sektoren besonders rasch und einschneidend ändern und ein sich selbst überlassener Prozeß zu unerwünschten volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Konsequenzen führen würde;

— staatliche Hilfen können nur Hilfe zur Selbsthilfe sein und nur dann gewährt werden, wenn die Wettbewerbsfähigkeit dadurch nachhaltig gestärkt werden kann;

— die Hilfen müssen zeitlich befestigt und degressiv gestaltet sein, sie dürfen die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs nicht beeinträchtigen." Solche direkten Hilfen können nur dann gewährt werden — und haben dann allerdings auch ihren Sinn —, wenn durch direkte staatliche Hilfe plötzliche Entwicklungen mit unvertretbaren sozialen Härten vermieden werden. Ich weiß, daß das Prinzip der zeitlichen Begrenzung in der Praxis keineswegs immer erfüllt wird. Ich bedaure das, denn für Dauer-subventionen ist in einer marktwirtschaftlich geordneten Wirtschaft grundsätzlich kein Platz. Wer Subventionen auf Dauer verlangt, trägt jedenfalls nicht zur Festigung der marktwirtschaftlichen Ordnung bei; er stellt sie in Frage.

Der taat legt in der Strukturpolitik die Hände also nicht in den Schoß. Im Jahreswirtschaftsbericht 1978 hat die Bundesregierung dazu folgendes gesagt: Die strukturpolitischen Bemühungen auf den verschiedenen staatlichen Ebenen „müssen vor allem dazu beitragen, a) durch einen zukunftsorientierten und umweltgerechten Ausbau der Infrastruktur die Voraussetzungen für mehr arbeitsplatzschaffende Investitionen zu verbessern, b) in der Wirtschaft die Entwicklung und Anwendung marktorientierter Neuerungen zu erleichtern, c) die Mobilität von Arbeit und Kapital zu verbessern und — soweit notwendig und gesamtwirtschaftlich vertretbar — Anpassungsprozesse durch flankierende Maßnahmen zu unterstützen."

V. Mittelstandspolitik als Strukturpolitik

Kleine und mittlere Unternehmen in Handel, Handwerk, Industrie und im Dienstleistungsgewerbe bilden das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Sie werden gegenüber den großen Industriegiganten, deren Namen jeder kennt, oft übersehen. Aber rund 1, 8 Millionen kleine und mittlere Unternehmen bestimmen mehr als die weltweit bekannten Großunternehmen das wirtschaftliche Leben in der Bundesrepublik. Die Bundesregierung hat immer darauf hingewiesen, daß diese breite Schicht selbständiger und unabhängiger mittelständischer Unternehmen eine unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende freiheitliche Wirtschaftsordnung ist. Um die Existenz-und Wettbewerbsfähigkeit dieser Betriebe zu sichern, um ihre Leistungskraft zu erhöhen und ihre Anpassung an den ständigen wirtschaftlichen Strukturwandel zu erleichtern, größenbedingte Nachteile gegenüber ihren mächtigeren Konkurrenten möglichst auszugleichen, betreiben wir Mittelstandspolitik.

Für den Wettbewerb ist eine gesunde mittelständische Wirtschaft, die etwa zwei Drittel des Bruttosozialproduktes produziert, unabdingbar. Und die Entwicklung der jüngsten Zeit zeigt auch, daß es keinen Grund gibt, diesen Firmen eine pessimistische Prognose zu stellen.

Sicher hat es gerade in diesem Bereich viele Betriebsschließungen gegeben, aber es fehlt auch nicht an steigenden Neuzugängen. Die große Mehrzahl der Klein-und Mittelbetriebe hat den Strukturwandel gemeistert und behauptet sich gut im Konkurrenzkampf mit Großunternehmen.

Die Bedeutung dieser mittleren und kleinen Unternehmen geht über den Bereich der Wirtschaftspolitik hinaus. Von ihrer Existenz hängt die Verwirklichung vieler individueller Konsumwünsche ebenso ab wie die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Arbeits-und Ausbildungsplätzen. Ohne die mittelständische Wirtschaft wäre die freie Arbeitsplatzwahl in der Bundesrepublik entscheidend eingeengt.

Die Bundesregierung sieht also in einem gesunden Mittelstand zugleich eine wesentliche Voraussetzung für die Existenz einer freien und demokratischen Gesellschaft: Die Chance, sich selbständig zu machen, und die Möglichkeit, eigene Leistung in einer überschaubaren Betriebsgröße zu verwirklichen, müssen offengehalten werden, wenn unsere Wirtschaftsordnung und auch unsere gesellschaftspolitische Ordnung aufrechterhalten werden soll.

Zur Wirtschaftspolitik gehört demnach unabdingbar eine Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen. Sie geht von der Notwendigkeit eines aktiven Leistungswettbewerbs aus. Diese Mittelstandspolitik will Wettbewerbshindernisse und Wettbewerbs-verzerrungen abbauen und soziale Härten des Strukturwandels für den Mittelstand mildern. Die Mittelstandspolitik muß zugleich dafür Sorge tragen, daß die Märkte für Nachwuchs-kräfte und . Newcomer'offenbleiben.

Die Mittelstandspolitik verfügt zur Durchsetzung ihrer Ziele über ein breitgefächertes strukturpolitisches Instrumentarium. In der Steuer-, Wirtschaftsund Sozialgesetzgebung werden die besonderen Erfordernisse der mittelständischen Wirtschaft berücksichtigt. Ich nenne als Beispiele Freibetragsregelungen (etwa 50 Prozent aller Personenunternehmen zahlen keine Gewerbeertragsteuer). Für die Umsatz-, Einkommen-und Erbschaftsteuer sind Freigrenzen eingeführt, die gerade den kleineren Unternehmen zugute kommen. Durch besondere Auflagen wird dafür gesorgt, daß dieser Unternehmenskreis an öffentlichen Aufträgen beteiligt wird. Bestimmte Gebote und Verbote verbessern für diese Betriebe ihre Stellung im Wettbewerb. Und erhebliche Beträge werden als Zuschüsse und Darlehen zur Leistungssteigerung der mittelständischen Wirtschaft aus dem Bundeshaushalt gegeben. Dazu gehören unter anderem die Förderung der Unternehmensberatung, die Schulung von Führungskräften, die Förderung der Zusammenarbeit mittelständischer Firmen und die finanzielle Unterstützung von Forschungs-und Entwicklungsvorhaben.

Besondere Bedeutung kommt verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten zu. Aus'dem ERP-Sondervermögen werden der mittelständischen Wirtschaft langfristige Investitionsdarlehen zu verbilligten Zinsen und günstigeren Tilgungsbedingungen zur Verfügung gestellt. Die dafür aufgewandten öffentlichen Mittel sind von Jahr zu Jahr gestiegen. Diese Politik wird fortgesetzt.

Um dem unternehmerischen Nachwuchs den Start in die Selbständigkeit zu erleichtern, sind Existenzgründungs-Programme aufgelegt worden, die großen Anklang gefunden haben und ständig aufgestockt werden müssen. Wir sehen hierin eine besonders wesentliche Aufgabe des Staates: Nur wenn sich weiterhin genügend junge Menschen bereit finden, den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen, wird die soziale Marktwirtschaft ihre politische Ausstrahlungskraft und ihre wirtschaftliche Effizienz behalten. Nur so wird die Unterneh-mensgrößenstruktur unserer Volkswirtschaft auch in der Zukunft durchlässig und aufgefächert bleiben.

VI. Aktive Wettwerbspolitik

Zu den wichtigsten Bedingungen für eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur gehört ein funktionierender Wettbewerb: Selbständige und voneinander unabhängige Unternehmen bemühen sich darum, ihre Mitbewerber durch bessere Leistung zu übertreffen und damit möglichst viel Verbrauchernachfrage für sich zu gewinnen. Der Wettbewerb ist die Triebfeder unserer Wirtschaftsordnung. Aber dieser Wettbewerb ist ständig bedroht, denn fast in jedem Unternehmen besteht die Tendenz, den Wettbewerb einzuschränken, sich dem Wettbewerb zu entziehen, wenn man erst einmal eine gewisse Marktstellung erreicht hat. Denn Wettbewerb bedeutet nicht nur Chance, sondern auch unternehmerisches Risiko.

Die Aufgabe der Wettbewerbspolitik ist es, die Durchsetzung des Wettbewerbs zu sichern und damit die Struktur einer Volkswirtschaft durchlässig zu machen, leistungsfähig zu halten und auf diese Weise der Vermachtung von Märkten entgegenzuwirken. Es ist die Aufgabe des Staates, für Wettbewerb zu sorgen, Wettbewerb notfalls gegen den Widerstand der Unternehmen zu veranstalten. Diesem Ziel dienen vor allem die Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957, das — mehrfach novelliert — zumeist kurz als das „Kartellgesetz" bezeichnet wird. Kartelle, also Marktabsprachen und Fusionen, also die Verringerung der anbietenden Unternehmen, müssen verhindert, zumindest erschwert werden.

Wettbewerbspolitik, wie sie in der Bundesrepublik betrieben wird, hat eine bedeutende strukturpolitische Komponente: Durch ein funktionierendes Wettbewerbsrecht sollen gerade die Marktchancen kleiner und mittlerer Unternehmen verbessert werden. Das geschieht zum Beispiel durch — das Verbot der durch Nachfragemacht veranlaßten Diskriminierung kleiner und mittlerer Unternehmen;

— eine strengere Fusionskontrolle, um das Eindringen von Großunternehmen in mittelständisch strukturierte Märkte einzudämmen; — die weitgehende Beschränkung der Möglichkeit von Großunternehmen, kleine Betriebe aufzukaufen;

— die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen.

Auch hier geht es — neben den übergeordneten wettbewerbspolitischen Zielen — um unternehmensgrößenbezogene Strukturpolitik. Und das geschieht nicht um einer Ideologie willen, sondern weil die Erfahrung gelehrt hat, daß nur in einem gesunden und ausgewogenen Nebeneinander von großen, mittleren und kleinen Unternehmen die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft aufrechterhalten und gesteigert werden kann. Dies erscheint uns als der einzig erfolgversprechende Weg, um auch den internationalen Strukturwandel erfolgreich zu bewältigen, das notwendige Wachstum der Wirtschaft zu sichern, einen hohen Beschäftigungsstand zu halten und damit nicht nur den materiellen Lebensstandard der Bürger zu sichern.

VII. Ist Strukturwandel voraussehbar? — Das Prognoseproblem

Strukturveränderungen in ihren unterschiedlichen Entwicklungsrichtungen haben die von manchen Politikern nicht oder nur ungern zur Kenntnis genommene Eigenschaft, daß sie in ihren Einzelheiten nur schwer, oft gar nicht voraussehbar sind. Eine Regierung, die seriös bleiben will, kann den Unternehmen nicht vorgeben, welches die richtigen künftigen Strukturen sein werden. Die Prognosekraft amtlicher Stellen ist beschränkt. Es ist daher kaum möglich, von Staats wegen sogenannte Wachstumsindustrien zu definieren oder jene Branchen zu benennen, die aller Voraussicht nach in ihrer Bedeutung zurückgehen werden. Entscheidend ist vielmehr die Wettbewerbsfähigkeit des einzelnen Unternehmens. Die deutsche Textilindustrie ist dafür ein besonders bemerkenswertes Beispiel. Insgesamt gesehen gehört sie sicher nicht zu den Bereichen, die expandieren: Dagegen spricht die massive Konkurrenz aus Billigpreisländern, die national und international von Jahr zu Jahr erfolgreicher geworden ist. Aber es gibt eben auch sehr viele erfolgreiche deutsche Unternehmen in dieser Branche, weil sie sich besonders beweglich auf die Erfordernisse des Marktes einstellen, weil sie einen besonders hohen Produktivitätsgrad erreichen, weil sie sich an eine Abnehmerschaft wenden, die aus Billigpreisländern eben nicht befriedigt werden kann.

Jede in Moll-Tönen gehaltene staatliche, offizielle Äußerung über die Zukunftschancen einer Branche kann also in vielen Fällen dazu führen, daß erfolgreiches Verhalten einzelner Unternehmen entmutigt und beeinträchtigt wird. Und wer auf die Idee kommt, eine Liste von Wachstumsindustrien aufstellen zu wollen, muß angesichts einer internationalen Konkurrenz mit nicht voraussehbaren Auswirkungen auf die eigenen Märkte von vornherein kostspielige Fehlinvestitionen mit negativen Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung einkalkulieren.

Auch Strukturkommissionen oder Branchen-räte sind nicht mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet. Auch sie können sich irren mit gesamtwirtschaftlich nur nachteiligen Folgen. Ich kann daher in solchen Institutionen keinen Nutzen für eine Volkswirtschaft und für die Wirtschaftspolitik sehen. Im Gegenteil, sie würden private Initiative und Verantwortung lähmen. Die Bundesregierung hat keinen Zweifel daran gelassen, daß nach ihrer Auffassung staatliche Branchenprognosen nicht mit hinreichender Treffsicherheit erstellt werden können. Im Jahreswirtschaftsbericht 1978 der Regierung heißt es dazu: „Da staatliche Branchenprognosen leicht als Ordnungen für das Verhalten der Marktteilnehmer verstanden werden, wäre mit ihnen das Risiko eines kumulativen Fehlverhaltens verbunden. Die Unternehmen müssen deshalb selbst die strukturellen Entwicklungen abschätzen und ihre Entscheidungen entsprechend treffen. Die Wirtschaftspolitik kann dabei auf allgemeine Entwicklungslinien hinweisen.“ Tatsächlich zeigt sich schon bei gesamtwirtschaftlichen Voraussagen seit Jahren, daß treffsichere Ergebnisse selten und häufig zufallsbedingt sind. Je kleiner der Wirtschaftsbereich ist, über den Voraussagen gemacht werden sollten, desto geringer wird diese Trefferchance. Was für die Volkswirtschaft oder eine Wirtschaftsgemeinschaft mehrerer Länder schon nicht hinreichend funktioniert, wird bei kleineren Aggregaten immer unsicherer und fragwürdiger. Tatsächlich ist es auch den Befürwortern der Investitionslenkung nicht gelungen, diese Hürde zu überspringen. Noch so leistungsfähige Datenverarbeitungsanlagen können die Marktentwicklung nicht voraussagen. Marktwirtschaftler überrascht das nicht. Denn hinter jeder Prognose, die für eine Branche gegeben wird, stehen Millionen nicht berechenbarer Einzelentscheidungen von Verbrauchern, Unternehmern, Gewerkschaften, Politikern im In-und Ausland. Ihr Verhalten ist nicht im voraus zu kalkulieren. Daher rührt die praktische Unmöglichkeit, sichere Branchenprognosen abzugeben. Natürlich hat auch das einzelne Unternehmen, wenn es Absatz-und Investitionspläne aufstellt, mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber derartige Einzelentscheidungen werden in ihrer dezentralisierten Form unter wesentlich günstigeren Bedingungen gefällt. Die größere Marktnähe und das Risiko, für Fehlentscheidungen mit eigenem Kapital und eigenem Besitz einstehen zu müssen, bieten die beste Gewähr für realitätsnahe Entscheidungen. Außerdem entscheiden die Unternehmen nicht uniform und gleichmäßig. Der Fehler des einen Betriebes kumuliert sich nicht zu den Fehlern eines gesamten Wirt-1 schaftszweiges. Was der eine falsch macht, machen nicht automatisch alle falsch. Genau dies aber wäre zu befürchten, wenn amtliche Strukturprognosen, die vom Staat oder gesellschaftlichen Gremien abgegeben werden, unrichtig sind. Dann würde nicht für ein Unternehmen, sondern eben für eine ganze Branche falsch entschieden. Die gesamtwirtschaftlichen Verluste wären ungleich größer. Außer dem könnten sich in einem solchen Fall rechtlich, zumindest politisch begründete! Schadenersatzansprüche gegenüber den amtlichen Prognostikern ergeben, wenn diese sich irren.

Die Kosten falscher Prognosen trüge also der Steuerzahler. Und um Fehler nicht eingestehen zu müssen, setzte sich der Staat in einen immer stärkeren politischen Zugzwang, der Einsatz seines gesamten wirtschaftspolitischen Instrumentariums an fragwürdigen Strukturprognosen und damit eben oft auch gegen die Markttendenzen zu orientieren! Dies alles würde letzten Endes das Ergebnis haben, daß die staatliche Wirtschaftspolitik auch dann noch Prognosen und Vorhersagen zu verifizieren versucht, wenn sie sich bereits als falsch erwiesen haben. Der Staat müßte dann auch Risiken abnehmen, Verluste „sozialisieren" und würde sich zwangsläufig dann dafür an den Gewinnern schadlos halten. Die gesellschaftlichen Kosten einer solchen Politik sind nicht mehr zu kalkulieren.

Um aber die Überschaubarkeit über gesamtwirtschaftlich wichtige strukturelle Veränderungen zu erleichtern, hat die Bundesregie-B rung den Aufbau einer regelmäßigen Strukturberichterstattung durch wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute beschlossen. Die Vorarbeiten dafür sind abgeschlossen und entsprechende Aufträge sind an das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut, das Münchener Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, das Institut für Weltwirtschaft in Kiel und an das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen erteilt worden. Die Strukturanalysen sollen von den Instituten getrennt, das heißt im Wettbewerb vorgenommen werden, damit möglichst breite Forschungsaktivitäten ausgelöst werden. Wir hoffen, daß 1979 erste Zwischenberichte der Institute vorliegen. Erst danach wird zu entscheiden sein, wann die Endberichte vorgelegt werden können.

Bei dieser Strukturberichterstattung handelt es sich sowohl methodisch als auch statistisch um ein sehr ehrgeiziges Vorhaben. Wir versuchen, auf diese Weise von unabhängigen Stellen ein möglichst umfassendes Bild der strukturellen Entwicklungsprozesse zu erhalten. Die empirische Wirtschaftsforschung betritt hier Neuland. Ziel dieser Strukturberichterstattung ist es, den Zusammenhang zwischen strukturellen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen aufzuhellen, die Einwirkung der globalen Wirtschaftspolitik auf die Wirtschaftsstrukturen besser zu erkennen, Informationen zu erhalten, um die strukturpolitischen Aktivitäten besser einschätzen zu können und die Informationsmöglichkeiten der Wirtschaft zu verbreitern.

Durch diesen höheren Erkenntnisstand, den wir damit zu erlangen hoffen, sollen die Voraussetzungen für eine Verringerung der Anpassungsschwierigkeiten beim Strukturwandel verbessert und die Effizienz des Marktmechanismus gefördert werden. Deshalb betrachten wir die Strukturberichterstattung als einen Beitrag zur Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Aufträge sehen vor, daß alle Institute die strukturellen Veränderungen bei Nachfrage, Produktion und Produktionsfaktoren sowie deren Ursachen für denselben Zeitraum analysieren. Innerhalb ihrer Berichte sollen die Institute für einzelne Bereiche vertiefte Analysen vornehmen. Diese Strukturanalysen sollen im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfolgen. Es sind keine Prognosen, sondern sie stellen die abgelaufene Entwicklung dar, aus der die Empfänger, wenn sie es wol-len, Schlüsse für die Zukunft ziehen können.

Die mit der Strukturberichterstattung verbundenen Ziele werden sicher nur schrittweise zu verwirklichen sein. Man wird wohl eine längere Experimentierzeit brauchen, um verschiedene Ansätze für derartige Strukturuntersuchungen zu entwickeln und zu testen.

Es gibt freilich trotzdem Kritiker, die meinen, eine derartige Strukturberichterstattung sei mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht vereinbar. Ich kann die Berechtigung dieser Kritik nicht erkennen, denn die Regie-, rung hält an ihrer marktwirtschaftlich ausgerichteten Strukturpolitik fest. Allerdings wollen wir erreichen, daß die Informationsmöglichkeiten sowohl des Staates wie der Wirtschaft verbessert werden.

Ich verspreche mir hier gerade eine Erleichterung für kleine und mittlere Unternehmen, die, anders als ihre größeren Konkurrenten, nicht die Möglichkeit haben, selber intensiv Strukturuntersuchungen anzustellen. Insoweit ist die Strukturberichterstattung auch als ein Beitrag gedacht, die Chancengleichheit zwischen großen und kleinen Unternehmen zu verbessern. Und wir wollen die Voraussetzungen schaffen, um Hemmnisse des Struktur-wandels besser und früher zu erkennen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß dadurch die Effizienz des Marktmechanismus und auch die Effektivität der Marktwirtschaft gefördert werden können.

VIII. Regionale Strukturpolitik: Mehr Arbeitsplätze

über den staatlichen Hilfen zur Strukturanpassung bestimmter Industriezweige (zum Beispiel Flugzeugbau oder Bergbau), zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation sowie den Erleichterungen für den Mittelstand darf ein Hauptpfeiler unserer Strukturpolitik nicht übersehen werden: die regionale Wirtschaftspolitik, deren Ziel es ist, die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede in der Bundesrepublik zu verringern und einzuebnen. In unserem Land existieren unterschiedliche Grade regionaler wirtschaftlicher Entwicklung. Es ist die Aufgabe der Regionalpolitik, diesem Auseinanderlaufen entgegenzuwirken, so daß die Lebensverhältnisse der Bewohner der Bundesrepublik weitgehend einander angenähert werden. Deshalb versteht sich die regionale Wirtschaftspolitik als Entwicklungspolitik im Inland. Sie setzt sich folgende Ziele: — Schaffung von zusätzlichen und Modernisierung von bestehenden Arbeitsplätzen;

— Erhöhung der Einkommen von Arbeitnehmern, Unternehmern und damit verbunden auch des Wohlstandes der Gebietskörperschaften in den schwächeren Regionen;

— Verbesserung der öffentlichen Einrichtungen für die Wirtschaft (wirtschaftsnahe Infrastruktur) und die privaten Haushalte (Erhöhung des Wohnund Freizeitwertes).

Etwa 80 000 neue Arbeitsplätze entstehen jährlich in Industriebetrieben, die mit staatlichen Investitionshilfen in den sogenannten Fördergebieten der Regionalpolitik errichtet oder erweitert werden. In den letzten sechs Jahren wurden vom Staat mehr als 5 000 Errichtungen und fast 16 000 Erweiterungen von Betrieben gefördert, die zusammen ein Investitionsvolumen von über 50 Milliarden DM aufweisen.

Diese Regionalpolitik wird in der Bundesrepublik Deutschland in Form einer Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vollzogen. Ein Planungsausschuß von Bund und Ländern unter Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers legt die „Spielregeln“ für die Förderung fest, an die sich alle Beteiligten zu halten haben. Etwa 1, 5 Milliarden DM — von Bund und Ländern je zur Hälfte beigesteuert — werden jährlich aufgewendet als Investitionshilfen für die Wirtschaft und für die erforderliche Ergänzung der Infrastruktur.

In den Fördergebieten, die mit Hilfe von bestimmten Kennzahlen für Arbeitsplatzdefizite, Einkommensrückstand und Infrastruktur-schwäche abgegrenzt worden sind, leben 36 Prozent unserer Bevölkerung. Die Industrie-ansiedlung wird in der Regel nur in soge-nannten Schwerpunktorten gefördert, also in den 331 sorgfältig ausgewählten Gemeinden, die sich als Säulen einer vom Staat forcierten Regionalentwicklung beweisen müssen. Hier wird erschlossenes Industriegelände bereitgehalten. Die Investitionsanreize (Zuschüsse in Prozent der Investitionskosten) sind nach Dringlichkeit gestaffelt: Betragen sie normalerweise bis zu 15 Prozent, so können sie in „übergeordneten Schwerpunkten" 20 Prozent und im Zonenrandgebiet sogar 25 Prozent erreichen. Dieses Anreizsystem, im jährlich fortgeschriebenen Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" erläutert, hat in der Wirtschaft großen Anklang gefunden. Unter den neuen Betriebsstätten in den Fördergebieten befinden sich Zweigbetriebe namhafter in-und ausländischer Firmen. Seit 1972 wurden in 15 Fällen Betriebe mit einem Investitionsvolumen von jeweils mehr als 100 Millionen DM errichtet. Andererseits zeigen 3 000 Ansiedlungen, bei denen Investitionen von weniger als einer Million DM gefördert wurden, daß sich auch mittelständische Betriebe von diesem Förderungssystem angesprochen fühlen. Mit 135 000 neue Arbeitsplätzen, die mittelständische Unternehmen beisteuerten, ist ihre Bedeutung für die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur wohl deutlich beschrieben. Mit dem Europäischen Regionalfonds erhalten die nationalen Anstrengungen seit einiger Zeit neue Impulse. Für die Bundesrepublik Deutschland besteht dabei das Interesse weniger daran, viel Geld aus Brüssel zu bekommen. Wir erhalten nur sechs Prozent der Gesamtquote des Europäischen Regionalfonds und sind größter Nettozahler zugunsten Italiens, Irlands und Großbritanniens. Das deutsche Interesse am Europäischen Regional-fonds besteht in erster Linie daran, daß seine Mittel möglichst in den schwächsten Regionen Europas eingesetzt und damit die gravierenden, die weitere Integration erschwerenden strukturellen Regionalrückstände rasch abgebaut werden. Wenn die Förderung von Industrieansiedlungen im Mezzogiorno und in Irland ähnlich erfolgreich verläuft wie in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Deutsche Unternehmer werden künftig um so eher zu Investitionen in anderen europäischen Regionen bereit sein, als es über die Bereitstellung von Fondsmitteln hinaus gelingt, eine überzeugende regionale Struktur-politik auf europäischer Ebene durchzusetzen.

Wichtige Elemente der europäischen wie der nationalen Regionalpolitik sind regionale Entwicklungsprogramme und eine an die darin genannten Ziele anknüpfende Erfolgskontrolle. Verlangsamtes Wirtschaftswachstum und damit auch verringertes industrielles Verlagerungspotential zwingen zum sparsamen Gebrauch der Anreizinstrumente. Nur die dringlichsten Probleme können angepackt werden. Aber man kann sich leicht vorstellen, um wieviel schwieriger die Lage in diesen Problemgebieten wäre, gäbe es keine regionale Strukturpolitik. Sie wird unverzichtbarer Bestandteil unserer Wirtschaftspolitik bleiben.

IX. Fazit

Die Bemühungen, den Strukturwandel in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu bewältigen, äußern sich also auf vielfältige Weise. Neben den angeführten Beispielen einzelner Politikbereiche hätten Forschungspolitik und Arbeitsmarktpolitik eine ausführlichere Erwähnung verdient. Der immer wieder angeklungene Grundsatz, daß jede Unterstützung nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann, daß der Staat die freien Entscheidungen von Unternehmen und Arbeitnehmern nicht beeinträchtigt, sondern nur Anreize gibt, zieht sich als roter Faden durch unsere strukturpolitischen Anstrengungen.

Aber es ist wohl auch deutlich geworden, daß der Staat klare Rahmendaten setzt und umfangreiche Mittel des Steuerzahlers bereitstellt, um die Volkswirtschaft insgesamt in die Lage zu versetzen, mit den Herausforderungen eines weltweiten Wandels der Wirtschaftsstrukturen fertig zu werden. Dieser Wandel wird anhalten. Deshalb wird auch die Strukturpolitik ihren hohen Stellenwert innerhalb der gesamten Wirtschaftspolitik nicht verlieren.

Mir scheint, daß es in der Bundesrepublik Deutschland trotz unleugbarer Anpassungsschwierigkeiten in Einzelfällen alles in allem gelungen ist, die Herausforderungen des Strukturwandels anzunehmen und richtige Antworten darauf zu geben. Unsere Stellung in der Weltwirtschaft, die jeden Tag im internationalen Wettbewerb neu erkämpft werden muß, beweist das. Die marktwirtschaftliche Ordnung, in die unsere Strukturpolitik eingebettet ist, hat sich wirtschafts-und gesellschaftspolitisch als erfolgreich erwiesen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Otto Graf Lambsdorff, Dr. jur., geb. 1926 in Aachen; Rechtsanwalt, Bundesminister für Wirtschaft; seit 1968 Landesschatzmeister der FDP von Nordrhein-Westfalen; 1971 Mitglied der Programmkommission zur Vorbereitung der Freiburger Thesen; 1972 Mitglied des Bundesvorstandes; stellvertretender Vorsitzender der Wolfgang-Doering-Stiftung, Düsseldorf; Vorsitzender des Kuratoriums der Friedrich-Naumann-Stiftung, Bonn; stellvertretender Kurator des Johanniter-Krankenhauses in Rheinhausen; Mitglied des Bundestages seit 1972.