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Entwicklungszusammenarbeit -Lehrstücke praktischer Politik | APuZ 50/1978 | bpb.de

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APuZ 50/1978 Artikel 1 Entwicklungszusammenarbeit -Lehrstücke praktischer Politik Zur Wirtschafts-, Finanz-und Währungspolitik in den achtziger Jahren Perspektiven und Alternativen

Entwicklungszusammenarbeit -Lehrstücke praktischer Politik

Udo Kollatz

/ 52 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Entwicklungshilfe ist umstritten. Obwohl man im Grundsatz übereinstimmt, daß die wirtschaftlich florierende Bundesrepublik Deutschland ärmeren Völkern helfen müsse, bleibt der Weg zur Verwirklichung dieses Grundsatzes kontrovers. Die Studie erläutert Faktoren, die die praktische Politik bestimmen. Entwicklungszusammenarbeit als langfristig zu konzipierende und nur langfristig wirkende Politik ist in starkem Maße anfällig für tagespolitisch motivierte Interventionen. Es geht in dem Beitrag nicht um Bekenntnisse für oder gegen entwicklungspolitische Theorien oder Strategien, sondern um die Bewußtmachung und Klärung von Zielkonflikten und um das Aufzeigen von Widersprüchen zwischen proklamierten Zielen und eingeleiteten Maßnahmen. Viele Anläufe mißlingen, weil Projekte und Maßnahmen um des vermeintlich schneller vorzeigbaren Erfolges willen an Schein-und Nebenzielen ausgerichtet werden — zum Schaden des dauerhaften Erfolges. Entwicklungszusammenarbeit krankt daran, daß Planungsvorgaben — z. T. wider besseres Wissen — zu eng gehalten und z. B. immer wieder auf den laufenden Haushalt bezogen statt auf die Zukunft projiziert werden, obwohl die Maßnahmen erst Jahre später zum Tragen kommen und dann an den Randbedingungen gemessen werden, die zur Zeit dieser späteren Ausführung bestehen. Zukunftsorientierte Politik drängenden Tagesinteressen gegenüber konsequent durchzuhalten, stellt an die politische Führung hohe Ansprüche, zumal diese hierbei nicht von einer potenten Lobby abgestützt wird. Defizite politischer Führung werden nicht nur auf internationalen Konferenzen transparent, wenn man auf Zeitgewinn spielt, ohne die politischen und wirtschaftlichen Kosten dilatorischer Behandlung zu kalkulieren. Sie äußern sich in vielfältiger Form auch im politischen Alltag, wo die der jeweiligen Situation angemessene Gewichtung jener vier Faktoren zu bestimmen ist, die bei jeder entwicklungspolitischen Maßnahme zu integrieren sind, nämlich Außenpolitik, Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik. .

I. Einleitung

INHALT I. Einleitung Am Anfang steht die Gretchenfrage — Von der Schwierigkeit, das auf Dauer Richtige zu tun II. Transparenz als politisches Problem III. Doppelfunktionen von Zielangaben und Zielkonflikte IV. Entscheidungskomponenten Die außenpolitische Komponente — Große Gesten und nicht minder große Folgen Die finanzpolitische Komponente — Die „Kasse“ macht nicht die Musik — Problematische Argumente — Reale Zukunftsorientierung? — Der Ostblock als Alibi? — Alltagsgeschäfte — Wirtschaftspolitische Kompoڨ

Entwicklungszusammenarbeit bleibt fragwürdig. Die meisten Bürger unseres Landes wollen den Menschen in Entwicklungsländern helfen. Aber sie sind zugleich voller Mißtrauen: Einmal gegen die Regierungen der Entwicklungsländer. Man hört ja immer von Korruption und Verschwendung, vom Hang der Mächtigen, sich persönlich zu bereichern, die Armen zusätzlich auszubeuten und zu unterdrücken. Man liest von Faulheit, Arroganz und Mißwirtschaft. Auf internationalen Konferenzen konstatiert man vehemente Attacken gegen die Marktwirtschaft, verbissene Kritik an den Industrie-ländern, obwohl wir — wenn schon nicht Dankbarkeit — doch wenigstens Anerkennung für unser Bemühen erwarten könnten.

Nicht weniger Mißtrauen gilt deutschen Regierungsstellen, die sich mit Entwicklungshilfe befassen. Gehen sie sorgfältig mit unseren Steuergroschen um? Erreichen unsere Maßnahmen in fernen Ländern überhaupt die Armen? Können sie ihnen bei der Deckung ihrer Grundbedürfnisse helfen? Nützen die Projekte auch im erforderlichen Maße unserer Wirtschaft? Offnen sie Exportchancen? Sichern sie unsere Arbeitsplätze? Das alles ist kaum zu durchschauen.

Auch die veröffentlichte Meinung zu Fragen der Entwicklungszusammenarbeit ist auffallend ambivalent. Konkrete Aktionen finden in der Regel Unterstützung und positive Resonanz. Das zeigt sich Jahr für Jahr an den auf an-schauliche Programme abgestellten großen Sammelaktionen der Kirchen und anderer freier Träger. Das gilt nicht minder für konkrete Einzelaktionen, wie u. a.der alle Erwartungen übertreffende Erfolg des Spendenaufrufs einer Illustrierten „Rettet die Hungernden" für Äthiopien noch 1974 bestätigt hat. Auch der einzelne Entwicklungshelfer, der aus dem Nachbarort aufgebrochen ist, um die Trinkwasserversorgung in Nepal zu verbessern oder heimtückische Krankheiten in Afrika zu bekämpfen, findet für seine Berichte und Vorträge breiten Raum in der heimatlichen Presse. Eine wohlwollende Bewertung seines Tuns ist ihm sicher. Sobald Entwicklungszusammenarbeit sich nicht konkret faßbar präsentiert, sondern sich in Berichten über die Tätigkeit staatlicher oder internationaler Institutionen niederschlägt, in der Analyse von internationalen Konferenzstrategien, in der Diskussion über Haushaltstitel und langfristige Etatplanungen, kurz, sobald offizielle Stellen damit befaßt sind, wird die Einstellung ungleich kritischer, der Ton der Kommentierung ungeduldig, besserwisserisch und aggressiv. Dabei ist diese Kritik in sich nicht konsistent, ersichtlich unfähig, Alternativen oder Gegenpositionen schlüssig herauszuarbeiten. Aber etwas davon bleibt immer hängen. An Theorien und Fremdworten, an Ideologen und Propheten ist ohnehin kein Mangel. Der Bürger spürt zwar, daß viele der mit Emphase vorgetragenen Argumente hohl klingen, daß sie so nicht stimmen können; aber er kann nicht genau sagen, woran das eigentlich liegt.

Die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) veranlaßten Meinungsbefragungen bringen ähnlich diffuse Resultate, aber in einem Punkt über mehrere Jahre hinweg keine Änderung: 54 °/o der Befragten bekunden nach wie vor ein starkes bis mittleres Interesse am Thema. 46 °/o beurteilen die Entwicklungspolitik der Bundesregierung positiv, 27 0/0 negativ und 26 % haben keine Meinung dazu. Als Grund dafür wird u. a. „das bestehende Informationsdefizit bei der Bevölkerung“ vermutet

Wenn bei überwiegendem Interesse an einer Thematik über Jahre hinweg ein Informationsdefizit festzustellen ist — keineswegs nur bei den „Normalbürgern" dieses Landes, sondern in eklatantem Maße auch bei führenden Politikern —, obwohl Informationen verfügbar sind, nachgerade überreichlich in allen Formen und Medien geboten werden und seit der Olpreiskrise und der ihr folgenden Rezession auch nicht mehr des unmittelbaren Bezuges zu jedem einzelnen von uns. entbehren, dann sind Verständnisdefizite m. E. nicht mit fehlender Information über Fakten zu erklären, wohl aber mit der Unsicherheit, diese Fakten zu ordnen und zu werten. Mit anderen Worten: Sowohl das Verhalten der politischen Parteien, ihr Schattenboxen um Scheinprobleme, als auch das politisch sich nicht umsetzende Interesse der Bevölkerung an der Thematik weisen darauf hin, daß politische Führung fehlt, daß eine politische Zielansprache nicht deutlich wird.

Am Anfang steht die Gretchenfrage Bevor man sich mit Programmen, mit Thesen und Theorien auseinandersetzt, muß man die Gretchenfrage stellen: Wie halten wir es mit der Entwicklungshilfe? Was wollen wir eigentlich mit ihr erreichen? Was kann sie leisten? Welche Determinanten bestimmen ihr Handeln? Sind die eingesetzten Mittel geeignet, die proklamierten Ziele zu verwirklichen? Und: Wie teuer kommen uns Folgen und — eine sehr wichtige Gegenkontrolle! — die Unterlassungen unserer Politik auf längere Sicht zu stehen?

Entwicklungspolitik ist hier also nicht als Bekenntnis zu thematisieren, sondern als Analyse praktischer Politik. Nicht ihre Absichten sind zu testen, sondern ihre Glaubwürdigkeit. Das ist Aufgabe der politischen Bildung und zugleich ihre Legitimation, sich mit dem Thema zu befassen.

Von der Schwierigkeit, das auf Dauer Richtige zu tun Entwicklungszusammenarbeit ist ein Versuch, akuten Notlagen und Bedürfnissen der Entwicklungsländer durch dauerhaft tragende Strukturverbesserungen abzuhelfen. So wird sie in vielen internationalen Dokumenten an-gesprochen. So ist sie in der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesrepublik Deutschland definiert.

Entwicklungszusammenarbeit ist also ihrer Natur nach mittel-und langfristig angelegt. Das unterscheidet sie von anderen Maßnahmen, die sich ebenfalls an Menschen in Entwicklungsländern richten.'

Zelte und Decken, die z. B. das Rote Kreuz oder andere Organisationen nach einer Naturkatastrophe an die überlebenden verteilen, Nahrungsmittel, die dort ausgegeben werden, sind unmittelbar Überlebenshilfe. Man bezeichnet das als humanitäre Hilfe. Entwicklungszusammenarbeit setzt in diesem Beispiel erst auf einer späteren Stufe ein, wenn der Aufbau beginnt, die zerstörten Verkehrswege wieder hergestellt, öffentliche Einrichtungen zweckmäßig neu gestaltet, Arbeitsplätze geschaffen, Genossenschaften zum Bau neuer, möglichst erdbebensicherer Häuser gefördert werden.

In dem bekannten chinesischen Sprichwort: „Gib den Hungernden einen Fisch und Du machst ihn für diesen Tag satt. Lehrst Du ihn aber das Fischen, wird er niemals verhungern" beschreibt der erste Teil die humanitäre, der zweite die entwicklungspolitische Komponente unserer Zusammenarbeit mit der Dritten Welt. Jede dieser Maßnahmen folgt anderen Kriterien und ist nach eigenen Maßstäben zu beurteilen.

Wird humanitäre Hilfe in der akuten Not nicht schnell, effizient, reichlich und vorbehaltlos aus vorhandenen Beständen abgerufen und geleistet, sind die von der Katastrophe Betroffenen verhungert oder durch Kälte und Seuchen umgekommen, bevor andere Hilfsmaßnahmen anlaufen und greifen können. Werden andererseits z. B. Geschenke von Lebensmitteln zu lange fortgesetzt, weil wir aufgehäufte Agrarüberschüsse dabei günstig und für einen edlen Zweck zu verwerten glauben, wird die von der Naturkatastrophe heimgesuchte Landschaft zusätzlich veröden. Die Bauern werden ihre Felder nicht wieder bestellen, sondern sie endgültig aufgeben und verlassen. Gegen geschenkte Nahrungsmittel zum „Nulltarif" können sie mit ihrer mühseligen Produktion nicht ankommen. Auch Geschenke machen bekanntlich nur glücklich, wenn sie zur rechten Zeit im richtigen Maß gegeben werden. Entwicklungszusammenarbeit muß immer darauf bedacht bleiben, im Entwicklungsland möglichst viel Eigen-kräfte zu mobilisieren.

In der Praxis sind die Übergänge zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe fließend. Das ist auch nur vordergründig eine Kompetenzfrage im Sinne der Zuständigkeit von Institutionen. Wirksame humanitäre Hilfe wird so angelegt sein, daß sie über den Augenblick hinausweist; Entwicklungszusammenarbeit verleugnet nicht humanitäre Aspekte. Wesentlich ist allein, daß man die grundsätzliche Orientierung nicht aus dem Auge verliert.

Daß es in der Politik nicht genügt, die richtigen Pläne und Vorstellungen zu haben, bleibt eine Binsenwahrheit. Der Erfolg einer Politik wird an dem gemessen, was sie durchsetzen kann. In der Entwicklungspolitik ist die Gefahr besonders groß, von den langfristig als richtig erkannten Maßnahmen immer wieder durch kurzfristig motivierte Einwirkungen abgedrängt zu werden. Dies gilt für beide Seiten, für die ihre Hilfe anbietenden Industrieländer nicht minder als für die Entwicklungsländer selbst.

Die Entwicklungsländer erliegen z. B. oft der Versuchung, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, d. h. um des vermeintlich schnelleren und besser vorzeigbaren Erfolges willen ins Auge fallende Einzelmaßnahmen vorzuziehen und den mühevollen, weniger spektakulären Ausbau der Infrastruktur darüber zu vernachlässigen. Das hat gewöhnlich zur Folge, daß die glanzvoll gedachten, voreilig begonnenen Einzelmaßnahmen dahinkränkeln, weil eine sie stützende und tragende Infrastruktur fehlt und nur langsam nachwächst.

Auf Seiten der Industrieländer, insbesondere in den westlichen Demokratien, fehlt der Entwicklungspolitik die Unterstützung durch organisierte Interessen bei politischen Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfen. Während andere Gruppen, deren Belange tangiert werden, sich als Betroffene zu Wort melden (Rentner, Lehrer, Bundesbahn, Wohnungsbau usw.) und dadurch allzu einseitigen Entscheidungen zu ihren Lasten vorbeugen, kann die Entwicklungszusammenarbeit eigene Hilfstruppen in diesem Sinn nicht aufbieten, ein Gleichgewicht der Kräfte in der akuten Auseinandersetzung niemals herstellen. Ihre Waffe bleibt immer nur der Appell, das langfristig Richtige über dem kurzfristig Drängenden nicht zu vernachlässigen. Aktualisierende Hilfskonstruktionen (z. B. die Kampagne unter der Parole „Entwicklungshilfe sichert Arbeitsplätze") haben bisher weder die in der innenpolitischen Auseinandersetzung benötigte Unterstützung verschaffen noch Gegenkräfte ausreichend neutralisieren können. Auch die gewandteste Präsentation konnte kaum überdecken, daß eine langfristig und allgemein durchaus nachweisbare Sicherung von Arbeitsplätzen durch Entwicklungszusammenarbeit dem einzelnen Betrieb und dem einzelnen Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung hier und heute konkret bedroht sehen, nur geringen Trost zu bieten vermag. Dahinter steht die heikle Frage, ob zur Schau gestellter (langfristig durchaus gerecht-5 fertigter) Optimismus angesichts unverkennbarer konkreter Schwierigkeiten eher Zuversicht vermittelt oder Ablehnung auslöst, weil der Betroffene aus seiner Sicht die Zukunftsvision als Ablenkungsmanöver empfindet.

Dieser Beitrag will einige der Determinanten und Komponenten aufzeigen, die entwicklungs-politische Entscheidungen beeinflussen. Ein großer Teil der Unzufriedenheit, die mit der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland auf allen Seiten und in unterschiedlichen Gruppierungen zu beobachten ist, beruht m. E. auf Fehleinschätzungen solcher Faktoren — sei es, daß man sie übersieht, sie grotesk überschätzt, zuviel von ihnen erwartet oder verkennt, daß sie in ihrer Auswirkung sich oft gegenseitig aufheben. Hierüber größere Klarheit zu schaffen, ist unerläßlich, wenn man die Entwicklungspolitik und die Diskussion darüber aus dem Zwielicht der Randfragen und Scheinargumente herausführen und auf den politischen Kern konzentrieren will.

II. Transparenz als politisches Problem

Abbildung 2

Was den Umgang mit Entwicklungspolitik schwierig macht, ist ihre Transparenz. Diese Transparenz besteht — und das ist außergewöhnlich — auf der politischen Seite, sie betrifft politische Entscheidungen oder Unterlassungen und deren Folgen. Diese werden sichtbar, nicht die administrativen Einzelmaßnahmen, die ansonsten bei Verwirklichung von Politik üblicherweise im Vordergrund stehen und von einer Kontrolle politischer Grundpositionen eher ablenken.

Es gibt wohl keinen Politiker, der nicht erklärte, daß er für Transparenz wäre. Aber die permanente Durchleuchtung von mehreren Seiten zugleich, der die Entwicklungspolitik ausgesetzt ist, macht manchem zu schaffen, der es nicht gewohnt ist, daß seine Worte so exakt in Taten nachgemessen werden. Jenes Phänomen, das Lübbe anschaulich als die wachsende Animosität der Politiker gegen die Langzeitfolgen ihrer eigenen Entscheidungen beschreibt kommt in der Entwicklungspolitik verstärkt zur Geltung, weil der Grad ihrer Transparenz höher ist, als man es auf anderen Politikfeldern gewohnt ist; die Konfrontation mit den Folgen der eigenen Entscheidungen oder Nichtentscheidungen ist institutionell . gesichert'.

Gegenseitiges Mißtrauen — positiv formuliert: löblicher Wetteifer — hat eine einzigartige Einrichtung geschaffen, das Development As-sistance Committee (DAC) bei der OECD in Paris Diese Institution prüft, ob die von den Industrienationen an die Entwicklungsländer erbrachten Leistungen wirklich Entwicklungshilfe im Sinne vereinbarter Kriterien sind. Dadurch ist ausgeschlossen, daß Maßnahmen, die wesentlich anderen Zwecken dienen, in internationalen Statistiken als Entwicklungshilfe verbucht werden. Auch wenn es immer Grenzfälle geben wird (dient der Auslandslehrer im Entwicklungsland z. B. mehr den Kindern ansässiger Europäer, ist er Missionar der Kultur der früheren Kolonialmacht oder fördert er Eingeborene, so daß sein vom Mutterland gezahltes Gehalt der Entwicklungshilfe zugerechnet werden kann?), bleibt die Kontrolle durch das DAC nützlich und seine Existenz heilsam.

Das DAC prüft nicht nur qualitativ, es kontrolliert auch quantitativ. Während zuweilen in der Politik das Wort genügt, um einen Anstoß zu geben, um etwas politisch in Bewegung zu setzen, schaut das DAC auf nüchterne Taten, die sich buchungsmäßig als bewirkte Zahlungen darstellen. Ihm genügt nicht das Wollen, sondern es zählt das Vollbringen. Deshalb folgt optimistischen Ankündigungen verstärkter eigener Bemühungen gelegentlich ein ernüchternder DAC-Bericht — Eine weitere Gelegenheit, bei der ein über die Zusammenhänge nicht informierter Betrachter den Eindruck gewinnen könnte, daß in der Entwicklungszusammenarbeit einiges drunter und drüber gehe, weil man wechselnde Zahlen und Tendenzen vermelde. Auch Transparenz hat ihre Probleme. Sie will verstanden, verantwortungsvoll gehandhabt und richtig bewertet sein.

Bei alledem ist das DAC keine internationale Superbehörde. Es verfügt über einen nur kleinen Stab. Die Effizienz der Institution liegt in der Mitarbeit der Mitglieder, die sich selbst gegenseitig prüfen, indem z. B. Dänemark und Frankreich die deutschen Leistungen inspizieren, Japan und die Bundesrepublik die französischen überprüfen usw., wobei die Prüfer im Turnus wechseln.

Damit nicht genug. Entwicklungspolitik ist von der Aufwandseite her (d. h. innenpolitisch bei uns, nicht im Erfolg bei den Entwicklungsländern) nicht nur bis auf den Pfennig meßbar, sondern sie wird auch in ihren politischen Zielrichtungen nachgerade automatisch transparent. In der Regel stehen nach einer politisch betonten Ankündigung, z. B. die Landwirtschaft, die Befriedigung der Grundbedürfnisse oder einen anderen Sektor im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt fördern zu wollen, in der Jahresendanalyse trotz allen Bemühens wieder annähernd dieselben Prozentzahlen für die Sektoren wie ehedem. Das wirkt politisch fatal. Dabei sind der Sachverhalt und seine Gesetzmäßigkeiten einfach.

In den letzten Jahren hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit beispielsweise mit breiter politischer Zustimmung die Lieferung von Schiffen (vornehmlich von Spezialschiffen und Hafenausrüstungen) an Entwicklungsländer besonders gefördert, um damit zugleich akute Beschäftigungsprobleme der deutschen Werften zu mildem Es ist leicht einzusehen, daß jede für Schiffe ausgegebene Mark statistisch eine relative Minderung der Ausgaben für alle anderen Sektoren bedeutet. Schiffe sind technische Erzeugnisse, die der Infrastruktur dienen; sie sind in diesem Sinne weder der Landwirtschaft noch der Bevölkerungspolitik noch der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse zuzurechnen. Innerhalb einer prozentual aufzuschlüsselnden Jahresleistung werden folglich durch ein Schiffsbauprogramm alle „Nicht-Schiff-Sektoren" relativ reduziert, auch wenn die Gesamtaufwendungen für die Befriedigung der Grundbedürfnisse, das Genossenschaftswesen oder die angepaßte Technologie absolut gesehen ebenfalls noch gestiegen sind. Es ist erstaunlich, in welchem Maße viele Politiker und Publizisten, die soeben noch vorbehaltlos einem Schiffbauprogramm (und man könnte jedes andere Schwerpunktprogramm an dessen Stelle setzen!) applaudieren, die Folgen ihrer eigenen Meinung kritisieren, wenn sie statistisch evident werden, d. h. sich folgerichtig in geringeren Zuwächsen bei anderen Sektoren niederschlagen. Insgesamt wirkt dieser Mechanismus jedoch stabilisierend, d. h. bei einer vernünftigen Projektstreuung, pendeln sich alle Sektoren auf Durchschnittswerte ein; wesentliche Ausschläge und Verschiebungen sind weder zu erwarten noch zu bewirken.

Natürlich wirkt dieselbe Gesetzlichkeit auch bei innenpolitischen Verteilungskämpfen. Was in das Defizit der Bundesbahn gesteckt wird, steht nicht mehr für den Straßenbau zur Verfügung, was Rentner an sozialen Einrichtungen brauchen, kann nicht mehr den Schulen gegeben werden und umgekehrt. Nur wird das normalerweise nicht so unangenehm transparent, weil die Bezugsgrößen verschwommen bleiben. Der Politiker kann sich dabei leichter echte Anliegen in beliebiger Zahl nach Opportunitätserwägungen zu eigen machen. Wenn später jedes Anliegen sein kleines Pflästerchen bekommt, wird untereinander nicht mehr verglichen, und eine Gesamtkontrolle findet ohnehin nicht statt, die Frage nach den Folgen wird weder gestellt noch beantwortet

Die sorgfältig fortgeschriebenen statistischen Analysen der Entwicklungspolitik und ihr überschaubarer Rahmen, der auch an den Rändern dank der Wachsamkeit des DAC nicht ausfranst, schließen entsprechende Unterfangen in der Entwicklungspolitik sicher nicht aus, aber sie machen sie transparent. Wer hier etwas sagt oder verspricht, muß es auch meinen und zu seinen Konsequenzen stehen.

Nach meinem Eindruck hat diese immanente Rigorosität der Entwicklungspolitik den Vorwurf des Dogmatismus an die Adresse ihrer Exponenten stärker begründet als deren eigenes politisches Verhalten. Entwicklungspolitiker haben sich häufig unbeliebt gemacht, weil sie auf unausweichliche Folgen bestimmter politischer Entscheidungen rechtzeitig und zutreffend aufmerksam machten. Wer Politik auf dieser Stufe der Transparenz ansonsten nicht gewohnt ist, wird sich durch solche Hinweise irritiert fühlen. Um so schlimmer für den Warner, wenn sich zwangsläufig nach wenigen Jahren herausstellt, wie recht er hatte. Hat er nicht damit Entwicklungspolitik bei anderen zusätzlich in Verruf gebracht? Ist er nicht Schuld, wenn Widersprüche zwischen Worten und Taten nicht in üblicher Weise vertuscht, sondern sogar noch auf internationalen Foren offengelegt werden? * Der hier aufgezeigte Zusammenhang macht die Frage nach den politischen Zielen noch dringlicher. Auch wer Politik nicht als Strategie konzipiert, sondern sich mit Taktik begnügt, braucht für den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit möglichst konsistente Bündel untereinander konformer Ziele. Diese liegen teils auf der Ressortebene, teils greifen sie weit darüber hinaus. Ungenauigkeiten und Unsicherheiten werden jedenfalls durch das System der mehrfachen Durchleuchtung und Transparenz automatisch zu Tage gefördert. Politik, die sich dessen nicht bewußt bleibt, wird sich zwangsläufig auch öffentlich in Widersprüche verstricken.

III. Doppelfunktionen von Zielangaben und Zielkonflikte

Abbildung 3

Entwicklung ist ein mühevoller und sehr komplexer Prozeß. Wenn die Regierung eines Entwicklungslandes einzelne Bereiche zu stark forciert, etwa die Industrialisierung einseitig und mit aller Macht vorantreibt, riskiert sie nicht nur verheerende soziale Folgen, sondern sie steht in aller Regel nach einiger Zeit vor dem totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Trotzdem ist es notwendig, die Wichtigkeit einzelner Bereiche immer wieder herauszustellen. Denn nur der Hinweis auf ein konkretes Problem findet Aufmerksamkeit und kann zu besonderer Anstrengung anspornen; die ständige Betonung einer sattsam bekannten Problematik hat diesen Effekt erfahrungsgemäß nicht.

Weltbankpräsident McNamara hat es sich deshalb zur Gewohnheit gemacht, in seinem jährlichen Rechenschaftsbericht auf der großen Weltbankkonferenz jeweils einen Aspekt der Entwicklungsarbeit besonders herauszustellen. Das ist in dem einen Jahr die landwirtschaftliche Entwicklung, das nächste Mal die Gesundheitspflege, die Wasserversorgung, die Lage in den Slums der großen Städte oder die Handelspolitik, die den Entwicklungsländern den Zutritt zu den Märkten künstlich erschwert, wenn nicht verwehrt. Die Hervorhebung eines dieser Bereiche bedeutet nicht, daß auf den anderen Gebieten alle Probleme gelöst seien. McNamara betont vielmehr diesen einen Aspekt, um ihn in die allgemeinen Bemühungen deutlicher einzubeziehen.

Eine ähnliche Funktion haben Fachkonferenzen der Vereinten Nationen, etwa die Welternährungskonferenz, die Weltbevölkerungskonferenz, die Weltfrauenkonferenz, in jüngster Vergangenheit die Konferenz über menschliche Siedlungen („Habitat”) in Vancouver, die Weltbeschäftigungskonferenz in Genf, die Weltwasserkonferenz in Mar del Plata und die Weltwüstenkonferenz in Nairobi. Eine Weltwissenschaftskonferenz befindet sich in Vorbereitung. Jede dieser Veranstaltungen will die Aufmerksamkeit der globalen Öffentlichkeit auf ihr spezielles Thema lenken, ohne die

Wichtigkeit anderer Sektoren dadurch in Frage zu stellen. Neben dieser Signalfunktion ist freilich auch ein gewisser Mobilisierungseffekt beabsichtigt. In der Regel versuchen die Entwicklungsländer, auf einer Fachveranstaltung die Gründung eines neuen Fonds durchzusetzen, der dringliche Maßnahmen aus dem angesprochenen Bereich finanzieren soll. Dahinter steht die Hoffnung, durch solche Neugründungen Zusätzliche Mittel zu mobilisieren, zumindest die eigene Position als Antragsteller zu verbessern; denn nicht alle Entwicklungsländer sind von denselben Übeln gleichermaßen geplagt, nicht alle kommen jeweils als Antragsteller in Frage. Die Hoffnung auf zusätzliche Mittel wird sich in der Regel nicht erfüllen. Da sich die Aufforderung, den Fonds zu dotieren, stets an denselben begrenzten Kreis von Geberländern richtet, bewirkt eine Neugründung lediglich eine Umverteilung von Mitteln. Der Nutzen wird durch die Kosten der separaten Administration des neuen Fonds erfahrungsgemäß zusätzlich reduziert

Auch innenpolitisch kann die Entwicklungszusammenarbeit auf Signale und Mobilisierungsappelle nicht verzichten. Trotzdem lassen sich die auf der internationalen Ebene üblichen Verfahren nicht ohne weiteres in die Innenpolitik übertragen.

Für uns Peutsche sind die Beziehungen zu den Völkern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas nicht so selbstverständlich wie für die früheren Kolonialmächte. Weil Entwicklungszusammenarbeit innenpolitisch eine originäre Unterstützung durch organisierte Gruppen nicht hat, ist sie darauf angewiesen, für ihre Ziele bei wichtigen Interessentengruppen zu werben. Das geschieht in der Regel durch Betonung jener Aspekte, von denen man sich am ehesten Resonanz erhofft.

Der zuständige Minister hat kürzlich bekräftigt, daß er — insoweit fast wortgleich mit seinen unmittelbaren Vorgängern — frei vom Streben nach „reiner Lehre", wohl aber auf Effizienz bedacht, Strategien zur vorrangigen Befriedigung von Grundbedürfnissen der Menschen in Entwicklungsländern unterstütze. Dabei verleugneten wir nicht eigene Interessen. Konkret wurde in diesem Zusammenhang das deutsche Interesse an Rohstoffen ebenso erwähnt wie die Arbeitsplätze in der Bundesrepublik, die durch Entwicklungszusammenarbeit und durch Käufe der Entwicklungsländer bei uns gesichert werden

Damit müßte eigentlich jedermann sein Kuscheleckchen finden, in dem er sich für Entwicklungszusammenarbeit erwärmen kann, die Vertreter ideeller und humanitärer Belange (Grundbedürfnisse) nicht weniger als die Unternehmer (Rohstoffe) und die Arbeiter (Arbeitsplätze), die Pragmatiker (keine reine Lehre, was immer das sei), die Technokraten (Effizienz) oder die Außenpolitiker (eigene Interessen). Wie sieht das aber aus, wenn man konkret wird? Muß man nicht zwangsläufig be-* stimmte Erwartungen enttäuschen, wenn man andere befriedigt? Bei näherem Hinsehen schließen sich nämlich die wichtigsten dieser Ziele untereinander aus, wenn man sie unmittelbar verwirklichen will.

Am leichtesten zu demonstrieren ist das, wenn man die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse in Entwicklungsländern in Beziehung setzt zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik. Grundbedürfnisse — das ist Nahrung, Obdach und Bekleidung; wenn man etwas weiter greift, gehören dazu auch Gesundheit, Ausbildung und Arbeitsmöglichkeiten. Zu alledem kann die hoch technisierte deutsche Exportwirtschaft mit ihrem Angebot herzlich wenig beitragen. Gefragt sind dann andere Artikel, landwirtschaftliche Berater, Fachlehrer, Ausbilder. Selbst der Wohnungsbau muß sich unter den Bedingungen der Entwicklungsländer arbeitsintensiv vollziehen, auf ortsübliche Verfahren und Materialien zurückgreifen, möglichst auf genossenschaftlicher Basis organisiert werden.

In administrative Kategorien und in Haushalts-titel übersetzt, müßte eine darauf ausgerichtete Politik zu einer deutlichen Dominanz der Technischen Hilfe führen, zu einer starken Steigerung und Unterstützung von Projekten der Kirchen und anderen freien Träger, zu einem Ausbau der Genossenschaftsprojekte, wie sie vornehmlich von politischen Stiftungen betreut werden, Hand in Hand mit einer Aufstockung aller Ausbildungsprogramme für Stipendiaten aus Entwicklungsländern vor Ort, aber auch in der Bundesrepublik. Unsere Industrie dagegen erhält die Chance zu ins Gewicht fallenden Lieferungen im wesentlichen bei Investitionsprojekten. Diese werden typischerweise durch die Kapitalhilfe finanziert, wie z. B. Anlagenbau, Eisenbahnbau, Fernmeldenetze, Schiffe und , Off-shore-Gerät'.

Wie die Gewichte bei den beiden wesentlichsten Haushaltstiteln insoweit tatsächlich programmiert sind, zeigt weiter unten Tabelle 2. Auch wenn man die kleineren Spezialpositionen des Haushalts, auf deren Darstellung lediglich der besseren Übersicht halber verzichtet wird, jeweils hinzurechnet, verändert sich das Größenverhältnis nicht entscheidend. Stünde die Befriedigung der Grundbedürfnisse wirklich so eindeutig im Vordergrund, wie jetzt erklärt wird, müßten die Verpflichtungsermächtigungen für Technische Hilfe die für Kapitalhilfe übersteigen oder ihnen wenigstens gleichkommen. Tatsächlich ist aber der Ansatz für die Kapitalhilfe seit jeher deutlich größer als der für Technische Hilfe.

Wie groß die Kongruenz zwischen den von der Selbstdarstellung einer Politik besetzten Fel-B dem und den im Haushaltsplan dazu ausgesetzten Beträgen schicklicherweise zu sein hat, haben in erster Linie Regierung und Parlament zu entscheiden und zu verantworten. Bei unserer Betrachtung steht ein anderer Gesichtspunkt im Vordergrund: Muß nicht ein Bürger, der sich angesprochen und aufgerufen fühlte, mit seinen Steuergroschen vornehmlich zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der armen Menschen in Entwicklungsländern beizutragen, sich düpiert fühlen, wenn die Mittel weit überwiegend für andere Zwecke eingeplant und verwandt werden? Wird andererseits nicht derjenige, der nach offizieller Äußerung in der Entwicklungszusammenarbeit ein Instrument zur Förderung der Interessen unserer Wirtschaft zu erkennen glaubte, den aus dieser Sicht viel zu hohen Anteil der Mittel, die anderen Prioritäten dienen, für schlecht angelegt und zweckentfremdet halten? Sich entsprechende Beispiele und Gegenbeispiele auch für die anderen Fallgruppen selbst zu bilden, dürfte niemand schwerfallen, so daß wir hier darauf verzichten können. Ergebnis: Weil Entwicklungspolitik versucht (oder wenigstens vorgibt), es allen recht zu machen, erntet sie am Ende Unzufriedenheit und Stirnrunzeln auf allen Seiten.

Auf der politischen Ebene eskalieren Zielkonflikte dieses Zuschnitts sehr schnell emotional. Man hält und erklärt sich gegenseitig für weltfremde Spinner, Kapitalistenknechte, Ideologen oder betriebsblinde, perspektivlose Macher — je nach intellektueller Kapazität und wort-schöpferischer Kraft.

Dabei ist auch dies nur einer der zahlreichen Scheinkonflikte, die im wesentlichen durch Kurzsichtigkeit genährt werden, überlegt man nämlich, unter welchen Voraussetzungen Entwicklungsländer überhaupt auf Dauer zahlungsfähige Kunden für ausgereifte industrielle Erzeugnisse (wie wir sie auf dem Weltmarkt anbieten) werden, dann lautet die simple Antwort, daß dies geschieht, sobald sich auch bei ihnen Massenkaufkraft bildet. Um diese Stufe zu erreichen, um die Produktivität ihrer Landwirtschaft zu steigern, um den Massen in den Großstädten Beschäftigungsmöglichkeiten zu erschließen, bedürfen die Entwicklungsländer auf absehbare Zeit in hohem Maße der Ausbildung, Anleitung und unmittelbaren Hilfe. Mit der Lieferung von ein paar Maschinen ist das nicht getan. Und man darf auch nicht schon morgen auf sichtbare Erfolge hoffen.

Erst wenn man deshalb Entwicklungszusammenarbeit auch politisch als langfristige Aufgabe begreift, hat man eine Argumentationsbasis, um den Druck kurzfristig begründeter Nebeninteressen abwehren und — gemeinsam mit den Partnerländern — die langfristig und damit am besten und dauerhaftesten auch unseren wirtschaftlichen Interessen dienenden Maßnahmen und Projekte zu vereinbaren. Bei einem Zugzwang, Auftragsschwankungen der eigenen Industrie kurzfristig und termingebunden über Entwicklungshilfeprojekte zu mildern, die dann primär im Hinblick auf eine hohe Lieferquote für bestimmte Produkte auszuwählen sind, bleibt das Desaster vorprogrammiert. Was der schnell wachsende Markt in den Entwicklungsländern für unsere Exportwirtschaft im Vergleich mit anderen Exportmärkten bedeutet, zeigt Schaubild 1. Aus öffentlichen Mitteln, über Entwicklungshilfe also, wurden nur 5 bis 10% dieser Exporte finanziert. Um so wichtiger ist es, alle öffentlichen Mittel nach sorgfältiger Überlegung im Sinne der langfristig wirksamsten Initialzündung zum optimalen Nutzen beider Seiten einzusetzen. Dieser Nutzen ist mit Lieferprogrammen, die bei uns strukturkonservierend wirken, nicht zu erreichen.

IV. Entscheidungskomponenten

Schaubild 1: Exporte der Bundesrepublik; regionale Verschiebungen zwischen 1973 und 1977 Quellennachweise und Tabellen der Einzelwerte siehe Udo Kollatz, Deutschland zwischen Vergangenheit und Zukunft. Verständnisdefizite in unserem Verhältnis zur Dritten Welt, in: Stabilität im Wandel, Festschrift für Bruno Gleitze, herausgegeben von Bodo B. Gem-per, Berlin 1978.

Entwicklungszusammenarbeit vollzieht sich im Kraftfeld der Außenpolitik; sie ist Teil unserer offiziellen Beziehungen zu anderen Staaten und Bestandteil unserer Mitarbeit in internationalen Organisationen. Weil Entwicklungszusammenarbeit auf die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung zielt — die Steigerung der kaufkräftigen Nachfrage in Entwicklungsländern, die Verbesserung des Austausches von Waren und Dienstleistungen —, ist sie zugleich Wirtschaftspolitik. Außerdem sind ihre haushaltswirtschaftlichen Implikationen nicht zu unterschätzen. Jede entwicklungspolitische Entscheidung muß folglich vier Komponenten integrieren: Sie hat immer eine entwicklungspolitische, eine außenpolitische, eine wirtschaftspolitische und eine haushaltspolitische Dimension. Was sich dabei — je nach Art der zu treffenden Entscheidung — von Fall zu Fall ändert und auch ändern muß, ist die Gewichtung dieser Komponenten. Darüber gibt es viele Mißverständnisse.

Die außenpolitische Komponente Zunächst ist die Außenpolitik in Vorhand. Sie entscheidet, ob und mit welchen Staaten wir Zusammenarbeit unter Einsatz staatlicher Gelder beginnen können, ob die Betätigungsmöglichkeiten und der Aktionsradius von Experten und Mitarbeitern vor Ort gesichert sind.

Die Außenpolitik ist auch am Zuge, wenn wesentliche Interessen des eigenen Staates tangiert sind. Dazu gehört, daß unsere Partner für uns wesentliche Belange nicht verletzen. Die Hallstein-Doktrin z. B. mußte scheitern, weil auf Dauer nicht plausibel zu machen war, daß wir unsere'diplomatischen Beziehungen zur UdSSR nach anderen Kriterien auszurichten gedachten als etwa die Beziehungen zu Polen oder Jugoslawien. Es wäre auch heute sehr kurzsichtig von uns, einem kleinen, weltpolitisch wenig erfahrenen Staat Vertragsklauseln über den Status von Berlin aufnötigen zu wol-len, auf deren Anerkennung wir andernorts keineswegs rechnen können.

Aber wenn ein Staat es für richtig hält, seinerseits eine Berlinklausel sogar jenes Typs abzulehnen, den selbst die Sowjetunion in internationalen Verträgen akzeptiert hat — was in der Praxis meistens nicht kraft eigenen Geistes geschieht, sondern unter dem Einfluß von Beratern aus der DDR oder anderen Staaten jener Gruppe, die zwar Waffen liefert, aber kein Brot —, dann sind nicht* wir es, die mit der Not anderer Schindluder treiben, wenn wir auf unserem Rechtsstandpunkt beharren und die ordnungsgemäße Unterzeichnung üblicher Texte zur Voraussetzung von Hilfe aus Steuer-geldern machen.

Große Gesten und nicht minder große Probleme So wichtig außenpolitische Gesichtspunkte in bestimmten Konstellationen auch sind, die Außenpolitik darf nicht gänzlich entscheidend sein. Es entstehen spezifische Schwierigkeiten, wenn die an Außenpolitik interessierten und damit beauftragten Stellen versuchen, auf die Art der Zusammenarbeit, auf das Volumen und den Zeitpunkt von Zusagen unter den für sie maßgebenden Kategorien generell Einfluß zu nehmen. Ein typischer Interessenkonflikt sei hier nur angedeutet: Einem Auswärtigen Amt und einem Botschafter vor Ort ist schwer einsichtig, daß beste Beziehungen zu einem Land keine ausreichende Begründung sind, diesem in gewohnter und eingespielter Weise weiterhin Entwicklungshilfe zu gewähren, wenn dieses Land inzwischen reichlich mit Oleinnahmen gesegnet ist oder aus anderem Grunde überraschend prosperiert. Nach außen-politischem Verstände sind überdies „historische" Anlässe, Jubiläen, Staats-und Minister-besuche oder Änderungen der politischen Konstellation in einer Region für sich bereits Grund genug, unverzüglich ansehnliche Beträge bereitzustellen und entsprechende Vereinbarungen feierlich zu unterzeichnen. Das macht sich tagespolitisch gut. Runde Zahlen werden in der Presse gerne abgedruckt, sie sind beeindruckend und pflegen kritische Fragen kaum auszulösen. Aber damit ist das Problem — übrigens auch politisch! — nicht gelöst, sondern erst geschaffen.

Wer je Investitionsentscheidungen zu verantworten hatte, weiß darum, welch gründlicher Vorbereitung sie bedürfen. Zu dieser Vorbereitung bleibt keine Zeil, wenn diplomatische Gesichtspunkte dominieren. Es läßt sich statistisch untermauern, daß fast alle Projekte, die ihre Entstehung außenpolitisch großen Gesten verdankten, später nicht minder große Problem-projekte geworden sind. Sie haben deshalb auch die Freundschaft zwischen den Partnern eher belastet als gefördert.

Die Gründe für diesen Bumerangeffekt, der entsprechende Aversionen gegen Entwicklungshilfe auch in der eigenen Öffentlichkeit verstärkt, sind naheliegend: Die Intensität, mit der eine Investition vorzubereiten ist, wächst mit der Größe des Objekts. Einen Eindruck von der Vorsicht und zeitraubenden Gründlichkeit, die dabei walten muß, konnte die deutsche Öffentlichkeit z. B. in jüngster Zeit bei der Entscheidung des Volkswagen-werks gewinnen, eine Zweigproduktion in den USA einzurichten. Die Einrichtung nur einer mittleren Zuckerfabrik in einem afrikanischen Staat hat für den gesamten Staat und seine Wirtschaft viel tiefgreifendere Konsequenzen, als es selbst das geschlossene Abwandern des ganzen Volkswagenwerkes nach den USA für uns je haben könnte.

Auch in sich sind Investitionsentscheidungen in Entwicklungsländern komplizierter, die Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die sorgfältig kalkuliert werden müssen, entsprechend größer. Das beginnt bei der allgemein labilen politischen Lage und umfaßt so komplexe Fragen wie das Bevölkerungswachstum, die Unbeweglichkeit der Verwaltung, Einflüsse der Verstädterung und der Stammeszugehörigkeit, den Umbruch der Lebensgewohnheiten, Analphabetismus, tropische Krankheiten. Fast immer fehlen einschlägige Erfahrungen und statistische Grunddaten. Häufig mangelt es überdies an einfachen Meßwerten, über die wir bei uns seit Jahrhunderten verfügen. Auch in trockenen Gebieten Asiens und Afrikas können in unregelmäßigen Abständen von mehreren Jahren heftige Regenfälle auftreten. Wie regensicher muß eine kostenmäßig noch vertretbare Lösung sein, wenn es zwar poesie-volle Schilderungen vergangener Unwetter, aber keine Meßwerte gibt und man auch nicht das nächste Jahrzehnt abwarten kann, um eine erste Reihe von Niederschlagsmessungen zu erhalten? Das Ermitteln von Näherungswerten aus vergleichbaren Regionen ist nur eine der notwendigen, aber zeitaufwendigen Hilfskonstruktionen zur Lösung einer einzigen winzigen Frage, die sich bei uns mit schnellem Blick in eine vorhandene Tabelle beantwortet.

Die Dauer der Prüfungsverfahren ist zweifellos eine Belastung der Partnerschaft. Wie berechtigt die Klagen der Entwicklungsländer darüber auch sind, wie wichtig die Bemühungen um eine größtmögliche Beschleunigung'auch bleiben, so verfehlt wäre es, notwendige Vorbereitungszeiten durch demonstrative politische Gesten überspielen zu wollen. Denn was geschieht?

Die mit Aplomb vorzeitig verkündete Maßnahme erzeugt auf beiden Seiten hohen Erwartungsdruck. Niemand hat ja offen ausgesprochen, daß hier statt eines Kindes, das normalerweise in einem Jahr Laufen lernt, allenfalls ein Embryo vorzeitig ans Licht der Welt gezerrt wurde, der der langwierigen Behandlung und Pflege im Brutkasten bedarf, der viel Sorge und viel Glück braucht, um überhaupt jemals lebensfähig zu werden, und der sich deshalb auch späterhin langsamer entwickeln und anfälliger bleiben wird als ein robustes Normalkind. Der Erwartungsdruck behindert noch zusätzlich die Fürsorge, deren gerade dieses Projekt dringend bedürfte. Denn die Regierung des Entwicklungslandes ist sichtlich enttäuscht, wenn die Bagger nicht schon in wenigen Wochen an der Baustelle auffahren. Hat sie doch ihres Wissens alle Voraussetzungen geschaffen, alle Unterlagen aufbereitet und sogar die Frage nach den Niederschlägen zutreffend dahin beantwortet, daß es zwar hier im allgemeinen nicht, aber von Zeit zu Zeit eben doch sehr stark regne. Deshalb fühlt sie sich durch das Prüfungsverfahren, das sie ihrerseits mit dem Staatsakt zu überspielen hoffte, regelrecht düpiert. Dahinter stehen Probleme der Hierarchie, der Psychologie und der Einschätzung von Experten-wissen. Nach dem Selbstverständnis vieler Regierungen in Entwicklungsländern ist nicht einzusehen, warum Ingenieure noch Fragen stellen, wenn sich Spitzenpolitiker längst geeinigt haben. Daß nachgeordnete Angestellte es sogar wagen, unverfroren noch Alternativen zu prüfen, grenzt bei dieser Einstellung an Hochverrat. Denn wenn der Fachexperte mit seinen Zweifeln und Gegenvorstellungen recht behielte, verlöre der Politiker an Gesicht. Die eigenen Techniker des Entwicklungslandes haben längst begriffen, daß ihnen solcher Zwei-fei nicht bekäme. Sie werden deshalb dem rückfragenden Politiker gerne bestätigen, daß aus ihrer Sicht alles klar sei und die zusätzlichen Fragen der fremden Experten auch ihnen als übertrieben erschienen.

Bei uns pflegt nach einiger Zeit der Bundestag die Regierung beim Wort zu nehmen. Man fragt, was aus der großartigen Sache und den dafür bewilligten Mitteln inzwischen geworden sei. Auf politischer Ebene entlastet man sich in solchen Situationen gerne gegenseitig, indem man beschließt, die müde Fachbürokratie endlich auf Trab zu bringen. Schließlich soll die große politische Geste nicht nachträglich durch kleinliche Zweifel an ihrer Durchführbarkeit entwertet werden. An dieser Stelle siegen in der Regel kurzfristige tagespolitische Erwägungen zum zweiten Mal. Bedenken werden nicht ausgeräumt, Schwachpunkte nicht beseitigt, sondern unterdrückt; denn jetzt muß sichtbar etwas geschehen. Das geschieht. Die ungeklärten Probleme und Fehleinschätzungen werden in das Projekt definitiv eingebaut. Damit werden sie irreparabel. Nach einiger Zeit sind sie nicht mehr zu übersehen. Jeder fragt dann, wie das eigentlich möglich war, wie so etwas passieren konnte.

Der deutsche Botschafter, der seinerzeit mit viel Mühe in bester Absicht den Staatsbesuch oder die Ministerbegegnung arrangierte und der wirklich hoffte, die Beziehungen damit nachhaltig zu festigen und zu verbessern, ist inzwischen turnusmäßig auf einen anderen Posten versetzt. Sein Nachfolger zerreibt sich im Kleinkrieg um die Deckung immer neu auftretender zusätzlicher Kosten des Projekts, das nicht funktionieren will und für das Gastland wie für ihn bei jeder Begegnung zur Quelle unerquicklicher Erörterungen wird. Damit die Schwierigkeiten endgültig und mit einer generösen Geste aus der Welt geschafft werden, setzt er seinen ganzen Einfluß ein, um über das Auswärtige Amt einen neuen, möglichst hochrangigen Besuch zu arrangieren: Natürlich dürfe man dabei nicht kleinlich sein, sondern müsse eine große Zusage für ein unkonventionell und schnell zu realisierendes Großprojekt machen, in das die Regierung des Entwicklungslandes höchste Priorität setze und das sie mit ihrem ganzen politischen Prestige stütze. — Und damit wiederholt sich der Lauf der Welt.

Wer daraus einseitig generelle Kritik am auswärtigen Dienst herauslesen wollte, hätte den Kern des Problems nicht erkannt. Die meisten Botschafter, vor allem die der jüngeren Generation, sind in der Entwicklungszusammenarbeit stark engagiert und arbeiten unter komplizierten Verhältnissen mit schwierigen Partnern ausdauernd und erfolgreich. Der hier geschilderte Ablauf ist kein Reservat diplomatischer Aktivitäten, auch wenn er dort strukturell leichter Nährboden findet. Er ist vielmehr das Resultat eines verengten Politikverständnisses und einer unzulänglichen Politik-steuerung auf hoher Ebene. Denn dort wird der Verzicht auf langsamer reifenden, dafür langfristig wirkenden Erfolg ausgesprochen. Die Neigung dazu wächst in dem Maße, in dem Politik ihrer selbst so wenig sicher ist, daß sie es sich leisten kann, schon mittelfristige Konsequenzen zu Gunsten tagespolitisch angeblich „ankommender“ Aktivitäten zu vernachlässigen.

Hier verbirgt sich eine generelle Schwäche der meisten Regierungen unserer Zeit. Wenn man sich zu Entscheidungen nur noch durchzuringen vermag, nachdem man sich selbst unter Termindruck gesetzt und damit in Zugzwang gebracht hat, gilt ein „gutes Regiment", eine gleichbleibend qualifizierte und umsichtige Regierungsund Verwaltungsarbeit immer weniger. Auch der letzte Referent merkt allmählich, daß er Aktionen erfinden, Probleme erzeugen muß, um seine Vorgesetzten und die politischen Spitzen unter Termindruck zu setzen, damit Entscheidungen getroffen werden, die bei einer rationelleren Organisation kontinuierlich ergehen müßten. Ein beachtlicher Teil der Phantasie und des Eifers, der andernfalls der Qualität der Regierungsund Verwaltungsarbeit zu Gute käme, wird auf diese Selbstüberlistung permanent verwandt. Auch Ministerien, denen prinzipiell an langfristig kontinuierlicher Arbeit gelegen sein müßte, halten zwangsläufig unentwegt nach Anlässen Ausschau, um z. B. finanzpolitische Entscheidungen durchzusetzen, die eigentlich zur Routine gehören sollten, von weiterführenden strategischen Entscheidungen ganz zu schweigen. Daß man auf künstlich geschaffenen Höhepunkten dramatisch dasteht, mag zutreffen. Ob sich die Qualität von Entscheidungen durch diese Verfahren bessert, ob die Dauerfolgen dadurch sorgfältiger bedacht werden, bleibt zweifelhaft.

Die finanzpolitische Komponente Die finanzpolitische Komponente wirkt ebenso subtil wie nachhaltig. Sie vollzieht sich auf zwei großen Ebenen. Die Eckdaten eines Etats, die globalen Anteile der einzelnen Ressorts am Gesamthaushalt, die allgemeinen Zuwachs-und Kürzungsraten sind übergeordnete politi13 sche Entscheidungen — oder sollten es wenigstens sein. Erst nachdem diese Entscheidungen als politische Führungsentscheidungen getroffen oder durch Nichtentscheidung dem konservierenden Kräfteparallelogramm der Ressorts überlassen und damit vertagt wurden, setzt die subkutane Beeinflussung durch das Finanzministerium ein. Bei der Darstellung der politischen Seite müssen wir weiter ausholen.

Zum politischen Stellenwert von Verpllichtungsermächtigungen in der Finanzplanung In der unmittelbaren Zusammenarbeit von Staat zu Staat — in der bilateralen Entwicklungshilfe — bestimmen die Verpflichtungsermächtigungen den Rahmen, in dem künftige Projekte vorbereitet und realisiert werden können. Das wird oft übersehen. Indessen darf man Spitzenpolitikern (der Bundeskanzler z. B. war bis 1974 Finanzminister, der derzeitige Finanzminister Parlamentarischer Staatssekretär im BMZ) nicht unterstellen, daß sie diese Zusammenhänge nicht durchschauten. Soweit haushaltspolitische Gründe 1974 bei dem Rücktritt von Erhard Eppler vom Amt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Rolle spielten, lagen diese deshalb auch nicht in einer Kürzung der Baransätze des Haushalts. Davon ist in der Rücktrittsbegründung vom 4. Juli 1974 an keiner Stelle die Reden). Ausschlaggebend war vielmehr die Kürzung der Finanzplanung, Hand in Hand mit einer einschneidenden Reduzierung der Verpflichtungsermächtigungen. Wie Tabelle 1 zeigt, haben sich die öffentlichen Leistungen der Bundesrepublik — gemessen am Bruttosozialprodukt — zwar noch 1975 erhöht (auf Grund früherer Verpflichtungsermächtigungen, bei stagnierendem Bruttosozialprodukt). Danach sind sie dann kontinuierlich gesunken und werden so bald nicht wesentlich steigen (siehe dazu auch weiter unten Tabelle 3). Ein einmal verspielter Planungs-und Vorbereitungsvorlauf ist nicht leicht wieder aufzuholen.

Tabelle 1 macht evident, daß es bei den Kürzungen der Verpflichtungsermächtigungen im Jahre 1974 nicht um eine kurzfristige Maßnahme ging, die zum Ausgleich des Haushalts für das laufende Jahr erforderlich war und sich deshalb in ihren Konsequenzen ebenso kurzfristig wieder hätte regulieren lassen. Damals fiel eine politische Grundsatzentscheidung. Aber sie wurde in der Öffentlichkeit kaum als solche erkannt und wohl auch von der Mehrzahl der Abgeordneten des Bundestages in ihrer Langzeitwirkung unterschätzt.

Ein weiteres Dilemma der Entwicklungszusammenarbeit ist damit angesprochen: Es ist schwierig, komplexe Sachverhalte so zu umreißen, daß der Kern des Problems, das zur Entscheidung steht, richtig erfaßt und ausdiskutiert wird. Wo ein Außenstehender den Eindruck gewinnt, daß Entwicklungspolitiker sich in der Stunde des Budgetausgleichs nicht an der Rauferei um das Bargeld beteiligen, vielmehr für Planzahlen streiten, deren reale Bedeutung diesem Zuschauer so schnell nicht einleuchten kann, verfestigt sich einmal mehr das Klischee, den Entwicklungspolitikern fehle der Bezug zur Realität. Dadurch wird es wiederum leichter, mit nur kurzfristig relevanten Erwägungen die aus langfristig unausweichlichen Konsequenzen begründeten Argumente beiseite zu schieben. Entwicklungszusammenarbeit als langfristige Politik hat sich nicht nur ständig der vermeintlichen „Vordringlichkeit des Befristeten” (Luhmann) zu erwehren; sie trägt zusätzlich das Handikap, die notwendige Andersartigkeit ihrer Funktionen und Verantwortungen erst erklären, d. h. rechtfertigen zu müssen.

Obwohl die internationale Zielgröße für öffentliche Leistungen an Entwicklungsländer seit längerem 0,7 % des Bruttosozialprodukts ist und die öffentlichen Leistungen der Bundesrepublik 1977 relativ auf den tiefsten Stand seit der Gründung des BMZ im Jahre 1962 absanken, blieben im Haushalt des BMZ 1977 noch bare Mittel übrig. Sie konnten nicht ausgegeben werden, weil in den Vorjahren die zur Einleitung von Projekten erforderlichen Verpflichtungsermächtigungen nicht bewilligt waren. Dieses Bild wird sich auch Ende 1978 kaum ändern. Bundesministerin Schlei hatte zwar eine in der Öffentlichkeit stark beachtete Aufstockung der Barmittel erreicht, vermochte jedoch nicht, rechtzeitig ausreichend Verpflichtungsermächtigungen in den Haushaltsvorlagen der Regierung durchzusetzen.

Daß Projekte erst dann konkret geplant und vorbereitet werden dürfen, wenn entsprechende Verpflichtungsermächtigungen im Haushaltsplan ausgebracht sind, beruht auf folgenden Erwägungen: Einseitige Planungen (Schubladenprojekte) für fremde Länder sind nicht denkbar. Wenn man andererseits eine Projekt-idee mit der Regierung eines Partnerlandes erörtert und durchplant, bekundet man damit die Bereitschaft, das Projekt auch zu fördern, wenn es sich als machbar erweisen sollte. Denn sonst hätten Verhandlungen keinen Sinn; anders kann sie der Partner nicht verstehen. Damit entstünde aber haushaltswirtschaftlich ein Zugzwang, d. h. in künftigen Haushaltsplänen müssen Mittel für das Projekt bewilligt werden, weil sich die Bundesregierung im Verhältnis zur Partnerregierung bereits darauf festgelegt hat. Da unsere Regierung aber das Parlament nicht einfach für künftige Haushalte präjudizieren darf, werden im Haushaltsplan neben den laufenden Ausgaben zugleich die Summen festgesetzt, bis zu deren Höhe die Exekutive mit Einwilligung des Parlaments weitere Verpflichtungen für künftige Haushalte eingehen darf. Das sind die Verpflichtungsermächtigungen.

Es gibt also sozusagen zwei Haushalte: Der eine enthält die Barmittel, die im laufenden Haushaltsjahr unmittelbar oder aufgrund früher eingegangener Verpflichtungen auszuzahlen sind. Der zweite steckt mit seinen Zahlen den Rahmen ab, in dem neue Verpflichtungen eingegangen werden dürfen, die ganz oder teilweise erst in künftigen Jahren kassen-mäßig zu bedienen sind. Es leuchtet sofort ein, daß beim Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit die politischen Akzente in diesem zweiten Haushalt liegen: in den Verpflichtungsermächtigungen. Denn sie umreißen die Zusagen, die den Entwicklungsländern neu gemacht werden dürfen. Bei den Verpflichtungsermächtigungen fällt die Entscheidung, an wen und für welchen Zweck Mittel vergeben werden. Die in den kommenden Jahren darauf zu leistenden Zahlungen sind lediglich technische Konsequenzen dieser Entscheidung.

Deshalb wird es der Sache nicht gerecht, wenn Kommentatoren in Presse und Rundfunk nach Bekanntgabe des Haushalts sich Jahr für Jahr in scharfsinnigen Analysen von Veränderungsraten bei den Baransätzen ergehen, aber kaum ein Wort über die Verpflichtungsermächtigungen verlieren. Das erinnert an Bemühungen, die Zukunft aus mehrfach überbrühtem Kaffeesatz lesen zu wollen, obwohl jeder Wahrsager wissen sollte, daß hierzu allein frisch aufgebrühter Kaffee (= die neue Verpflichtungsermächtigung) taugt. Freilich macht es die spröde Materie selbst den Fachleuten der Presse nicht leicht, den Finger jeweils auf die entscheidende Stelle zu legen

Problematische Argumente: Zu geringe Planungskapazität und zu geringe Aufnahmefähigkeit der Entwicklungsländer Angesichts von abnehmenden Leistungen der Bundesrepublik an Entwicklungsländer wird neuerdings von offizieller Seite zunehmend auf die geringe Aufnahmefähigkeit der Entwicklungsländer und auf ihre begrenzte Planungskapazität hingewiesen Darin steckt ein wahrer Kern. Aber wäre es dann nicht unsere Aufgabe, den Entwicklungsländern gerade bei der Überwindung dieser Engpässe zu helfen, sie angesichts ihrer offenkundigen Notlage verstärkt planungsfähig zu machen? Das sollte um so eher möglich sein, als es bei uns seit Jahren ein Überangebot in planerischen Berufen aller Art gibt. Nicht alle, aber sicherlich viele Bewerber sind für eine Verwendung im Ausland geeignet und wären dazu auch bereit. Man hätte entsprechende Beratungs-und Planungsprojekte in größerem Stil mit Entwicklungsländern vereinbaren können. Diesen Weg ist die Bundesrepublik jedoch nicht gegangen. Im Gegenteil, sie hat ihren Planungsrahmen für Entwicklungsprojekte generell drastisch eingeschränkt. Eine Übersicht über die Verpflichtungsermächtigungen bei den beiden dafür wichtigsten Haushaltstiteln macht das deutlich (Tabelle 2). Die optisch erfreulichen Zuwachsraten der letzten Jahre dürfen nicht zu dem Schluß verleiten, daß damit der Einbruch wieder ausgeglichen sei. Denn einmal war die Ausgangsbasis gering und zum anderen ist das Bruttosozialprodukt inzwischen beachtlich gewachsen.

Da die Verpflichtungsermächtigungen über den effektiven Planungsrahmen das künftige Ausgabevolumen bestimmen, wirken sich vor allem bei der Kapitalhilfe die ab 1974 gekürzten Verpflichtungsermächtigungen jetzt und weiterhin bremsend aus. Bei einer durchschnittlichen Projektlaufzeit für Investitionsvorhaben von etwa acht Jahren fallen die meisten Ausgaben zwischen dem vierten und dem sechsten Jahr an. Denn zunächst entstehen Vorbereitungs-und Anlaufkosten, danach wird einige Jahre mit voller Kraft gebaut und eingerichtet, während gegen Auslaufen des Vorhabens noch Schlußbeträge abzurechnen sind.

Die nach 1974 verringerten Verpflichtungsermächtigungen haben — das war politisch so gewollt — den Planungsrahmen reduziert, so daß in der Tat nicht genügend Projekte in Angriff genommen wurden, auf die heute — dem Baufortschritt entsprechend — größere Zahlungen zu leisten wären. Projekte der Technischen Hilfe haben — von der Ausgabenseite her gesehen — eine kürzere Reifezeit. Aber selbst hier wirken sich die damaligen Kürzungen gegenwärtig noch aus, auch wenn die neuerdings aufgestockten Verpflichtungsermächtigungen schneller zu steigenden Ausgaben führen werden. Die jüngsten Anhebungen des Verpflichtungsrahmens der Kapital-hilfe dagegen können allenfalls Mitte der achtziger Jahre zu effektiven Ausgaben und damit zu ansteigenden Leistungen an die Entwicklungsländer in dieser Sparte führen. Im übrigen bleibt der für 1979 vorgesehene Betrag noch unterhalb des Ansatzes für 1974. Dieser Trend wird auch nicht dadurch verbessert, daß die Bundesrepublik künftig bei den ärmsten Entwicklungsländern auf die Rückzahlung früher gewährter Kredite verzichten will. Der Verzicht auf Rückzahlung erleichtert zwar die Schuldenlast einiger Entwicklungsländer, ermöglicht aber keine zusätzlichen Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit.

Die Aufnahmefähigkeit der Entwicklungsländer für Entwicklungsprojekte aller Art, insbesondere für Industrialisierungsprojekte — im Fachjargon Absorptionskraft genannt —, hat mit diesem Trend wenig zu tun. Niedrige Absorptionskraft manifestiert sich u. a. in geringen administrativen Fähigkeiten und fehlender Infrastruktur des Entwicklungslandes. Werden durch überstürzte Maßnahmen Arbeitskräfte freigesetzt, Arbeitsplätze in traditionellen Wirtschaftsformen vernichtet, bevor an anderer Stelle in ausreichendem Maße neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen sind und bevor die Betroffenen überhaupt die Möglichkeit hatten, sich darauf umzustellen und sich für die neuen Anforderungen zu qualifizieren, sind die sozialen Folgen bedenklich. Sie stellen in den meisten Fällen auch den erstrebten wirtschaftlichen Erfolg wieder in Frage. Geringe Absorptionskraft einzelner Entwicklungsländer kann dazu führen, daß dort weniger Projekte begonnen und Projekte langsamer durchgeführt werden. Um so notwendiger wäre es dann, entsprechend mehr Projekte früher und mit längerem Atem vorzubereiten, also die Verpflichtungsermächtigungen zu erhöhen und nicht noch zusätzlich zu kürzen. Davon abgesehen: Absorptionsfähigkeit ist jeweils projektbezogen zu beurteilen. Daß es den Entwicklungsländern insgesamt an Absorptionskraft fehle, so daß aus diesem Grunde eine globale Senkung der Zusagen der Geber-länder nicht nur vertretbar, sondern geradezu geboten sei, ist auch von den verwegensten Theoretikern bisher nicht behauptet worden.

Dieser Terminus sollte deshalb nicht herhalten, um sinkende Leistungen nachträglich zu beschönigen. Denn die Bedingung dafür haben wir selbst gesetzt. Schon mittelfristig wäre eine ausreichende Absorptionskraft der Entwicklungsländer für jedes Leistungsvolumen, das bei unserer Wirtschaftskraft überhaupt in Frage käme, ohne Zweifel gegeben. Nur müßten wir diese Maßnahmen dann auch mittelfristig vorbereiten. Wenn wir uns allerdings scheuen, heute für morgen zu planen, um uns nicht dementsprechend für übermorgen verpflichten zu müssen, dann tendiert die Absorptionskraft der Entwicklungsländer für diese Art von Hilfe tatsächlich gegen Null.

Auch dieser Zusammenhang ist einsichtig oder wenigstens einsichtig zu machen. Aber wie reagiert ein Bürger, der an demselben Tag in den Zeitungen von der Not der Entwicklungsländer, ihren Forderungen und Wünschen an uns, vom Zurückgehen unserer Leistungen, von an sich vorhandenen Kassenmitteln und — bei Arbeitslosigkeit in planerischen Berufen — von unüberwindlichen Engpässen in der Planung bei uns und in Entwicklungsländern lesen kann, welchen Reim soll er sich darauf machen?

Reale Zukunftsorientierung?

Wie gezeigt, liegt das Problem weder in Planungsengpässen technischer Art noch in der Absorptionskraft der Entwicklungsländer. Es liegt anders: Wenn die Verpflichtungsermächtigungen von heute im wesentlichen bereits das Ausgabevolumen festlegen, das daraufhin in drei bis vier Jahren möglich ist, muß man die Verpflichtungsermächtigungen an dem Bruttosozialprodukt orientieren, das man für die Zeit in drei bis vier Jahren erwartet. Denn die Größe, auf die die jeweiligen Leistungen bezogen werden, ist das Bruttosozialprodukt zur Zeit der Auszahlung. Orientiert man die Verpflichtungsermächtigungen dagegen an Bezugsgrößen von heute, werden die zu bewirkenden Leistungen — bei wachsendem Bruttosozialprodukt — nicht einmal mit der Wirtschaftsentwicklung Schritt halten. An ein Aufholen zurückgegangener Leistungen ist dann gar nicht mehr zu denken.

Die Floskel von der zukunftsorientierten Politik ist gängige Münze. Eine Zeitspanne von nur vier Jahren aber intellektuell und politisch zu überbrücken, erscheint in der politischen Praxis als unlösbares Problem, zumindest bei der Entwicklungspolitik.

Der Ostblock als Alibi?

Egon Bahr hat seinerzeit als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit erstmals in aller Deutlichkeit auf internationalen Konferenzen und in breiter Öffentlichkeit die Diskrepanz betont, die zwischen der verbalen Unterstützung der Entwicklungsländer und der minimalen Hilfe liegt, die ihnen real von wohlhabenden Ostblockstaaten zufließt. Sein Ziel war es, auch den Ostblock durch internationalen Druck allmählich zu mehr Hilfe und entsprechend zu weniger Aufrüstung und Waffenlieferungen zu bewegen. Das Petitum ist seither in vieler Munde. Aber es wurde auch in der Zielrichtung verändert. Heute gewinnt der Hinweis auf dürftige Leistungen des Ostblocks zunehmend Alibicharakter, etwa in dem Sinn, daß sich erst einmal der Ostblock anstrengen solle, der ja im Vergleich noch viel weniger beitrage als wir. Wie denn das, fragt sich der Bürger, der soeben belehrt wurde, daß Entwicklungszusammenarbeit unsere Wirtschaft mit Rohstoffen versorge, Arbeitsplätze sichere, dem Weltfrieden diene, eine Frage der Menschlichkeit sei: Sollen wir Rohstoffversorgung und Arbeitsplätze, Weltfrieden und Menschlichkeit wirklich nach Maßstäben ausrichten, die der Ostblock setzt?

Finanzstrategien, als Alltagsgeschäit Jedes Finanzministerium muß aufpassen, daß der nach langjährigen Erfahrungen kalkulierte Mittelabfluß nicht unversehens verändert wird. Es ist legitim, scharf darauf zu achten, daß durch neue Maßnahmen keine haushaltsmäßig nicht gedeckten Zugzwänge für künftige Haushalte geschaffen werden. In der Praxis neigen Finanzministerien freilich dazu, auch darüber hinaus ihr Ermessen an die Stelle der Sachentscheidung der fachlich kompetenten Behörde zu setzen.

Es macht nicht nur einen Unterschied, ob Mittel innerhalb einer Globalsumme als Zuschüsse oder als Darlehen vergeben werden, auch die Art der Projekte beeinflußt die Geschwindigkeit, mit der Mittel abgerufen werden. Bei der Finanzierung eines größeren Staudammes z. B. sind die Anlaufkosten (über Jahre sich hinziehende Bodenuntersuchungen, Messungen, Berechnungen) im Verhältnis zur Gesamtsumme gering. 100 Millionen DM für ein Projekt dieser Art haben einen anderen Abflußrhythmus als derselbe Betrag z. B. für ein Düngemittelprojekt oder die Lieferung von Last-kraftwagen, für landwirtschaftliche Beratung oder Schädlingsbekämpfung unter Einsatz einer größeren Zahl deutscher Experten.

Darüber hinaus wird immer wieder versucht, indirekt wirkende zusätzliche Sperrventile einzubauen. Wenn es z. B. gelingt, Mittel für Planungsmaßnahmen zu verknappen, kann man sich bei den Mitteln für die Folgemaßnahmen großzügig zeigen: Diese können ohnehin nicht abgerufen werden; die Folgemaßnahme fängt nicht an, weil die Vorbedingung nicht erfüllt ist.

Das komplizierte Feld der Entwicklungszusammenarbeit bietet für Manöver dieser Art zahlreiche und im Anlauf gut getarnte Ansatzpunkte. Das gehört zum Alltagsgeschäft. Allerdings gewinnt die Scheidemünze, mit der im täglichen Kleinkrieg der Ressorts herausgegeben wird, politische Qualität, sobald sie ein Ausmaß erreicht, das auf den Kurs durch-schlägt und Gesamttrends beeinflußt. Auch das ist eine verläßliche Skala, um die Wirksamkeit politischer Führung abzulesen.

Wirtschaftspolitische Komponenten Entwicklungszusammenarbeit — Ökonomen wissen es — entscheidet nicht über Exporte, sondern über etwas viel Wesentlicheres, nämlich die Struktur der Weltwirtschaft von morgen. Trotzdem ist der Einfluß kurzfristig motivierter Exportinteressen nicht zu unterschätzen. Aus entwicklungspolitischen Gründen und im Interesse des Entwicklungslandes spricht alles dafür, Projekte in Entwicklungsländern international auszuschreiben. Im Prinzip ist auch die deutsche Wirtschaft dafür, zumal ihre Position im Wettbewerb relativ günstig ist. Aber wenn andere günstiger anbieten, wird die Freude an marktwirtschaftlichen Prinzipien ersichtlich gedämpft. Obwohl das Entwicklungsland Kreditnehmer und Bauherr ist, den Kredit in der Regel voll zurückzahlen und — wenn auch zu günstigeren Bedingungen — verzinsen muß, hält man es für angemessener, daß es in der Bundesrepublik ordert, auch wenn unser deutsches Angebot unter wirtschaftlichen Aspekten nicht mehr überzeugt als andere. Dieses Begehren wird um so stärker, je geringer die internationale Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Branchen ist. Das ist logisch, denn wer wirtschaftlich vorne liegt, braucht politischen Druck nicht auszuüben. Wer wirtschaftliche Probleme hat, sucht in der politischen Intervention einen Ausweg.

Die politischen Parteien sind sich — mit der Bundesregierung — darüber einig, am Prinzip der Liefer-Ungebundenheit festzuhalten. Ob dieses auch für die Fälle gelten wird, in de-nen künftig Zuschüsse anstelle von Krediten gegeben werden sollen, bleibt abzuwarten. Bei Zuschußgewährung müßte das Verfahren ohnehin anders aufgebaut werden, damit nicht notwendige Steuerungs-und Kontrollelemente („Selektionsfunktion’'des Zinses u. ä.) ersatz-los entfallen. Damit wäre niemandem gedient.

Neben der Versuchung, Entwicklungshilfemittel gegen den Markt strukturkonservierend zur Stützung bestimmter Wirtschaftszweige einzusetzen, gibt es noch eine weitere Ein-bruchstelle: die staatliche Exportförderung durch andere Nationen. Diese sind keineswegs zimperlich und in ihren Methoden alles andere als marktwirtschaftlich. Daraus entsteht ein Druck auf die Entwicklungspolitik, deren Instrumentarium sozusagen kompensierend für ein Exportsubventionssystem einzusetzen, das sich andere geschaffen haben, das aber wir uns aus guten Gründen nicht schaffen wollen. Andere europäische Staaten waren nur allzu bereit, von ihnen mitgeschaffene und getragene Wettbewerbsregeln und Subventionsbegrenzungen im Zeichen der Nächstenliebe zu unterlaufen und sich dafür sogar auf internationaler Bühne erfolgreich als die großen Gönner der Entwicklungsländer feiern zu lassen.

Im Schiffbau gilt z. B. innerhalb der OECD die Regelung, daß Bankkredite durch staatliche Zinssubventionen zur Erleichterung der Finanzierung bis auf 8 0/o verbilligt werden dürfen, eine Maßnahme also, die ohnehin nur bei einem höheren Zinsniveau zum Zuge kommt. Entwicklungshilfekredite dürfen nicht nur, sondern müssen einen höheren Subventionsgehalt aufweisen; sonst werden sie vom DAC nicht als Hilfe anerkannt. Was lag näher, als bei der Projektauswahl Entwicklungsländer auf die ihnen wohl noch fehlenden Schiffe besonders aufmerksam zu machen? Einige jener Länder, die in der internationalen Geberstatistik (siehe unten Tabelle 3) geradezu als Musterknaben plaziert sind, haben diese Position nur erreicht, weil sie diese Art von Geschäften in großem Stil betrieben — ein entwicklungspolitisch wie strukturpolitisch gleichermaßen fragwürdiges Verfahren.

Aktuelle Lieferinteressen können sich mit außenpolitischen Gleichgewichtsvorstellungen oder ähnlichen Motiven verbinden und das Volumen der Hilfe sowie die Projektwahl präjudizieren. Eine Kumulation derartiger Faktoren pflegt entwicklungspolitische Kriterien in den Hintergrund zu drängen. Auch wenn das einzelne Projekt sich noch relativ gut entwickeln mag, stellt sich — vor allem bei größeren Zusagen — die Frage nach der entwicklungspolitischen Funktion des Mitteleinsatzes. Denn die im Augenblick bestehende Interessenlage ist mit Sicherheit überholt, bevor die in diesem Zeichen begonnenen Projekte zum Tragen kommen

Als der Deutsche Bundestag vor mehr als zwei Jahrzehnten die Entwicklungszusammenarbeit einleitete (er drängte auch später auf die Errichtung eines besonderen Ministeriums für diese Aufgabe formulierte er den Auftrag sehr bewußt als „Festigung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den Entwicklungsländern, insbesondere in Fällen, in denen die Gewährung von Wirtschaftshilfe nicht unmittelbar im Interesse der deutschen Ausfuhrförderung erfolgt" Die politische Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit ist seither gewachsen. Um so wichtiger ist es, sich immer wieder an den Grundlagen dieser Politik zu orientieren.

Die entwicklungspolitische Verantwortung Begreift man Politik als das Gewinnen von Konsens und parlamentarischer Unterstützung, dann korreliert der Erfolg des für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Ministers gerade in einer Koalitionsregierung sehr deutlich mit seinem eigenen politischen Gewicht. Ein politischer Rückhalt in der Regierungsspitze, ein Interesse oder Desinteresse des Bundeskanzlers an diesen Fragen, seine Sicht der Probleme, sein Verständnis der Problema-tik kann dieses Gewicht vergrößern oder schwächen.

Unabhängig davon bleibt dem Ressortminister die Verantwortung für die entwicklungspolitische Konsistenz und den Erfolg aller aus öffentlichen Mitteln finanzierten Projekte. Er kann dieser Aufgabe in dem Maße genügen, in dem es ihm gelingt, die entwicklungspolitischen Aspekte jeweils in der Entstehungsphase von Zusagen und Projekten durchzusetzen. Was dabei verfehlt wird, ist nachher allenfalls durchzustehen, aber nicht mehr zu reparieren. Aber wie ist die Orientierung auf das langfristig richtige Ziel zu gewinnen und zu behaupten?

Von allen Ministern in diesem Amt hat wohl Erhard Eppler dieses Dilemma am klarsten gesehen. Seine Antwort bestand in einer Konzeption, in der Aufstellung entwicklungspolitischer Grundsätze. Eppler hat nie daran gedacht, diese Prinzipien kompromißlos durchzusetzen. Sie hatten vielmehr die Funktion, die in der praktischen Politik unerläßlichen Kompromisse zu verdeutlichen, ihren Preis erkennbar und kalkulierbar zu machen. Der dadurch ausgelöste Rechtfertigungszwang für Abweichungen fiel manchem lästig. Aber dieser Zwang konzentrierte Auseinandersetzungen um Entwicklungszusammenarbeit auf die Kernfrage: Cui bono? In wessen Interesse liegt es?

Die Epplersche Konzeption, seinerzeit vom Kanzler gestützt und vom Kabinett akzeptiert, war politische Richtlinie, war Führungsentscheidung. Diese Führungsentscheidung unter dem Stichwort, der Absage an Ideologie dadurch außer Kraft zu setzen, daß man eine Reihe heterogener Ziele zu verfolgen proklamiert, wäre ebenfalls politische Führungsentscheidung, nämlich der Entschluß, auf die Setzung von bestimmten Prioritäten zu verzichten (und insofern nicht weniger „ideologisch"). Um es mit einem Bild zu veranschaulichen: Eppler wußte, daß man nicht auf gerader Linie durch einen Wald laufen kann, ohne sich schon am nächsten Baum den Kopf zu stoßen. Aber er hatte eine Marschzahl auf dem Kompaß, um Umwege zu registrieren. Ob die Umwege größer oder kleiner werden, wenn man den Marschkompaß endgültig zuklappt und in die Tasche steckt, um fröhlicher fürbaß zu schreiten, bleibt eine aktuelle Frage.

In Wechselwirkung zur politischen Klarheit der Zielvorgabe steht die Rationalität der Ausführung. Wer Effizienz , an sich'für möglich hält, verwechselt sie mit Betriebsamkeit. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit ist Effizienz nur möglich und meßbar an einer genau bestimmten Aufgabe. Mehrdeutigkeit der Ziele schließt meßbare Effizienz aus.

V. Auf der internationalen Bühne

Tabelle 1: Anteil der öllentlichen Mittel für die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern am Bruttosozialprodukt Quelle: Dritter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Deutscher Bundestag, Drucksache 8/1185, Anlage 11 Tab. 26; Angaben für 1977 nach OECD-Mitteilungen ergänzt.

Am Vorabend internationaler Konferenzen, auf denen Industrie-und Entwicklungsländer über ihre Beziehungen sprechen, finden wir in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit folgende Szenerie: Die Entwicklungsländer haben wieder einmal neue Bündel von Forderungen auf den Tisch gelegt. Ihre Vorschläge sind noch radikaler, noch dirigistischer und — aus Gruppensolidarität — maximal und kaum negotiabel. Presse und parlamentarische Opposition bei uns malen die wirtschaftsfeindliche Tendenz dieser Vorschläge in schwärzesten Farben. Zugleich verdächtigen sie die Bundesregierung, die soziale Marktwirtschaft in Wirklichkeit doch verraten zu wollen. Das Konferenzergebnis wird allein daran gemessen, ob es wieder einmal gelang, Konzessionen zu vermeiden oder diese möglichst gering zu halten und im übrigen Zeit zu gewinnen.

Wer sich mit Strategie befaßt, könnte mit vielen Beispielen belegen, daß Bemühungen, lediglich Zeit zu gewinnen (wofür eigentlich, was sollte inzwischen bei uns geschehen oder nicht geschehen, haben wir eine Gegenstrategie, was geschieht indessen auf der anderen Seite?), verbunden mit partieller Konzessionsbereitschaft, das sicherste Mittel sind, die eigene Position auf Dauer unhaltbar zu machen und damit alles zu verlieren. Wer die Initiative den anderen überläßt, gestattet ihnen, sie in ihrem Sinne und dort zu nutzen, wo sie die besten Erfolgchancen sehen. Für verspätete Konzessionen erwirbt man keinen Dank, nicht einmal Achtung.

Voraussetzungen alternativer Strategie Eine Gegenstrategie, die auf längere Sicht Aussicht auf Erfolg hätte, ist erst aufzubauen, wenn man die Beweggründe und wahrscheinlichen Züge des . Gegners'einigermaßen zutreffend analysiert hat und Mut und Entschlossenheit aufbringt, auch selbst einen Einsatz zu wagen. Wie stünde es damit?

Die Motive der Entwicklungsländer sind in Tabelle 1 abzulesen und werden durch Tabelle 3 nachdrücklich untermauert: Wenn Industrieländer internationale Solidarität so praktizieren, daß gerade die leistungsstärksten unter ihnen (USA; Japan; Bundesrepublik) sich dem international gemeinsam angestrebten Hilfevolumen in absehbarer Zeit nicht wesentlich nähern, werden die Entwicklungsländer (die zudem an den Lasten der Ölkrise in ihrer Mehrzahl schwerer tragen als wir) immer entschlossener versuchen, ihre Interessen auf anderen Wegen durchzusetzen: Alle Vorschläge für einen automatischen (und deshalb dirigistischen) Ressourcentransfer zugunsten der Entwicklungsländer laufen letztlich darauf hinaus, den Industrieländern endlich abzufordern, was diese zu geben zwar versprochen, aber nicht gehalten haben. Ob die Industrieländer politisch in der Lage waren, ihre Versprechen einzulösen, ob die von den Entwicklungsländern jetzt so nachdrücklich verfolgten Vorschläge wirtschaftlich sinnvoll sind und den erstrebten Erfolg überhaupt haben könnten, steht dabei auf einem anderen Blatt. Tatsache ist, daß die Forderungen der Entwicklungsländer auf strukturelle Änderungen der Weltwirtschaft (Neue Weltwirtschaftsordnung u. ä.) eskalieren, seit ihnen klar wurde, daß die Industrieländer ihre Zusagen nicht nur nicht einhielten, sondern außerdem versuchen, ihre Märkte gegen Konkurrenz aus Entwicklungsländern mit keineswegs marktwirtschaftlichen Mitteln ihrerseits zusätzlich abzuschirmen. Dieser letzte Vorwurf ist im Hinblick auf die Bundesrepublik zwar weniger gerechtfertigt als bei anderen Industrieländern, aber auch wir können uns davon nicht ausnehmen.

Wie bei anderen politischen Krisen spielt auch hier die Glaubwürdigkeit eine Rolle. Wenn wir heute auf internationalen Konferenzen Vorschläge der Entwicklungsländer ablehnen, mögen wir das mit in der Sache noch so schlüssigen Argumenten begründen: Wir werden nicht überzeugen; denn man wertet das als Vorwand, um Gegenvorschläge der Entwicklungsländer zu torpedieren. Zeitgewinn bei uns ist bei den anderen angesichts unserer deutlich abnehmenden Leistungen Ausflucht. Die Berufung auf marktwirtschaftliche Grundsätze wirkt auf Partner wenig überzeugend, denen wir — auch über die EG — den Zugang zu unseren Märkten durch Kontingente und Abschöpfungen aller Art erschweren. Daß in dieser Konstellation die Situation sich verhärtet, daß Forderungen eskalieren, die Lage allmählich kritisch wird, kann nur den verwundern, der im eigenen Nabel den Mittelpunkt der Welt sieht.

Wie könnte also eine Gegenstrategie aussehen? Sie müßte zuerst bei diesem Verlust an Glaubwürdigkeit ansetzen, also den Entwicklungsländern demonstrieren, daß Berufung auf marktwirtschaftliche Prinzipien für uns nicht nur Vorwand ist, um unsere Hilfe weiter zu reduzieren. Wenn und während wir unsere Hilfe so aufstocken, daß dieser Verdacht entkräftet wird — angesichts eines vereinbarten Zieles‘von 0, 7 % des Bruttosozialprodukts bei einer kontinuierlichen Reduzierung in den letzten Jahren von 0, 4 °/o auf 0, 27 °/o ein hartes, um so notwendigeres Unterfangen! —, könnten wir die Probleme zugleich aktiv angehen.

Nicht für die Politik anderer zahlen ...

Bisher machen andere, Entwicklungsländer wie Industrieländer, die Vorschläge. Sie bestimmen die Themen. Es gibt für die Dritte Welt z. B. Cheysson-, Corea-, Giscard-, Kreisky-und andere Pläne in Hülle und Fülle. Weder die Initiatoren noch die von ihnen vertretenen Länder und Institutionen hätten je die Mittel, zu ihren eigenen epochalen Vorschlägen auch nur mit angemessener Quote beizutragen. Das meiste davon sollen wir zahlen. Wir sind darüber keineswegs glücklich, halten die Pläne auch nicht für überzeugend, mäkeln daran herum, freuen uns, wenn hier und da Verbesserungen gelingen, Schlimmeres abgewehrt wird — und zahlen am Ende doch, ohne politisch etwas davon zu haben. Im Gegenteil: Wir werden noch als die großen Bremser beschimpft. ... sondern mit (eigenem) Geld (eigene) Politik machen Das Gegenbeispiel? Wir erkennen eine internationale Thematik als dringlich an (z. B. die Milderung extremer, ökonomisch nicht mehr rationaler Preisausschläge bei bestimmten Rohstoffen, denen einzelne Entwicklungsländer hilflos ausgesetzt sind). Die Bundesrepublik Deutschland kündigt an, zur Lösung des Problems eine Mrd. DM als ihren Beitrag bereitzustellen, selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß die anderen Nationen zusammen nach einem festzulegenden Schlüssel noch weitere vier Mrd. DM hinzulegen. Zugleich veröffentlichen wir unseren deutschen Lösungsvorschlag. Damit bestimmen wir die Schwerpunkte der Diskussion nach unseren Vorstellungen. Wir entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Freigabe unseres Beitrags von den anderen mit erfüllt sind. Jene kommen in Zugzwang: Können sie einen so großherzigen Vorschlag durch kleinliche Bedenken blockieren und die bereitgestellten Mittel verfallen lassen?

Im Ergebnis haben wir natürlich eine Mrd. DM zu zahlen. Aber wir bringen sie dann für eine Problemlösung auf, die wir entscheidend geprägt haben. Nach bisher üblichem Verfahren hätten wir in vergleichbarer Situation nach langem Hin und Her mit Sicherheit auch gezahlt, erfahrungsgemäß noch wesentlich mehr, und das für Fonds oder Modelle, die uns nicht passen, die unseren Interessen nicht dienen und die man uns auch nicht dankt.

Es gibt bei uns — quer durch die Parteien — ein sehr subalternes Politikverständnis. Man hält es nicht für solide, eigene Ideen zu entwickeln, die eventuell Geld kosten. Man erwartet, daß zunächst ausgereifte, allseits vor-geprüfte Vorlagen unterbreitet werden. Innenpolitisch ist das ein gesundes Prinzip. Es deshalb unbesehen auf internationale Verhandlungen anzuwenden, zeugt von Provinzialität. Denn dann werden die Ideen und Vorschläge von anderen gebracht, die Probleme von ihnen artikuliert, die Akzente von ihnen gesetzt. Nur Zahlmeister Europas oder der Welt zu sein, ist die treffende Charakterisierung einer ins Außenpolitische verlängerten kreuzbraven Funktion des gehobenen Dienstes, d. h. Verzicht auf Politik.

Dies ist übrigens einer der Fälle, in denen die jeweilige parlamentarische Opposition nicht weniger stilbildend wirkt als die Regierung selbst und deshalb Ergebnisse und Folgekosten unzulänglicher Defensivstrategien in hohem Maße unmittelbar mit zu verantworten hat.

VI. Verfälschende Akzente: Lehrstück Mogadischu

Tabelle 2: Verpllichtungsermächtigungen für Maßnahmen der bilateralen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern (Finanzielle Zusammenarbeit /Kapitalhilfe und Technische Zusammenarbeit /Technische Hilfe) seit 1970 Quelle: Bundeshaushaltspläne Kap. 23 02 (für 1979 vorläufige Angaben nach Regierungsvorlage) FZ (früher KH) = Tit. 866 01, ab 1978 auch 866 03; TZ (früher TH) = Tit. 686 01, ab 1978 896 03

Die Vorstellung von dem, was in der Dritten Welt vor sich geht, bleibt bei uns allgemein nebelhaft. Deshalb ist die Wirkung falsch pointierender Herausstellung besonders groß. Ein klassisches Lehrstück dafür ist die Zusammenarbeit mit Somalia. Somalia, eines der ärmsten Länder dieser Welt hatte auf Grund seiner politischen Annäherung an den Ostblock nach dem Abklingen der Dürrekata-Strophe im Sahel Zusagen für neue Maßnahmen von uns nur in geringem Umfang erhalten. Im Frühjahr 1977 wurden die — aus diplomatischen Gründen vertraulich zu haltenden — Planungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die den zuständigen Ausschüssen des Bundestages vorzulegen sind durch gezielte Indiskretion in die Öffentlichkeit gebracht. Presse und Opposition wollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Bundesministerin Schlei wieder einmal Unterstützung des Kommunismus in Afrika vorzuwerfen. Dabei war u. a. von einem Projektvolumen von ca. 5 Mio DM für Somalia die Rede. Man fand das unerhört.

Wenige Monate später war alles ganz anders. Auch die heftigsten Kritiker dieser Planung, die es nicht nur in einer bestimmten Presse und bei der Opposition, sondern offensichtlich auch im Regierungslager gegeben hatte (denn man stand dem ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Minister nicht bei), konnten nicht mehr übersehen, daß Somalia den Beratern aus der DDR den Laufpaß gegeben und politische Handlungsfreiheit zurückgewonnen hatte. Als mit Hilfe der somalischen Regierung die Überwältigung von Piraten und die Befreiung der Passagiere der „Landshut" gelang, konnten den vorher so entschiedenen Kritikern innerhalb und außerhalb der Regierung die Mittel für Somalia nicht hoch genug sein: Ein das Ehrgefühl des somalischen Volkes kränkender Vorgang, der nur deshalb ohne ernstere Folge blieb, weil unsere Publizistik und die Fragestunden unseres Parlaments in der Weltöffentlichkeit geringe Resonanz haben.

Hier geht es nicht darum, ob ein Minister, ob ein Ministerium die schon im Frühjahr 1977 sichtbaren Anzeichen eines Wechsels des politischen Klimas in Mogadischu schneller aufgenommen und richtiger gedeutet haben als andere. Wer heute mit seiner Prognose richtig liegt, kann sich morgen irren. Hier geht es um die Verantwortung oder Verantwortungslosigkeit, mit der politische Fragen bei uns thematisiert und behandelt werden. Eine wichtige politische Funktion der Entwicklungszusammenarbeit liegt darin, Anknüpfungspunkte für langfristige Zusammenarbeit zumindest offen zu halten, auch wenn sich die politischen Meinungen vorübergehend entfremden. Zwischen entwicklungspolitischer Schwerpunktbildung, einem durchschnittlichen Engagement und einem Minimalprogramm, das lediglich Optionen offenhält (aber natürlich auch für diese Zeit gewisse Mittel erfordert), bestehen erhebliche Unterschiede. Eine Opposition, die nicht sachlich differenziert, sondern ideologische Kreuzzüge führt, eine Regierung, die nicht gelassen und maßvoll reagiert, sondern sich von der nicht sehr fundierten öffentlichen Meinung treiben läßt, statt ihr entgegenzutreten, verfehlen das Ziel.

Unsere Entwicklungspolitik krankt daran, daß ihr langfristiges Hauptziel von der politischen Führung — das gilt für alle politischen Lager, auch für die Opposition — nicht genügend gestützt wird. Deshalb wird mit Nebenargumenten um Nebenpunkte gestritten. Auch Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Bundesministerien signalisieren Unsicherheit der Zielvorgabe, unterschiedliche Bewertungen von Haupt-und Nebenpunkten Da die Bundesregierung über ein selbständiges Ressort verfügt, das diese eminent politischen Punkte jederzeit auf Kabinettsebene artikulieren könnte, hat sie die Möglichkeit zur politischen Zielbestimmung. Führungsentscheidungen ersparen kann diese Organisationsform nicht, zumal es um ressortübergreifende Fragen geht; Entwicklungspolitik hat viele Komponenten und berührt nicht nur die Verantwortung eines Ressorts. Erst wenn diese Führungsentscheidungen getroffen, durchgehalten und nach außen verdeutlicht werden, kann Entwicklungszusammenarbeit, können ihre Konsequenzen für Bürger und Öffentlichkeit verständlich werden.

Solange man aber die prinzipielle Natur unerläßlicher Auseinandersetzungen und ihre politische Relevanz verkennt oder als Ressortquerelen abtut, an anderer Stelle gar das Nicht-Auffallen-Wollen zur Maxime erhebt, um keinen Anstoß zu erregen (womit man erfahrungsgemäß um so unangenehmer auffält), so-lange man sich für erfolgreich hält, wenn es gelang, wieder einmal nur Zeit zu gewinnen und Entscheidungen zu vertagen, ohne die Folgekosten solcher Erfolge zu kalkulieren, so-lange das alles so bleibt, wird die Gefahr von Eruptionen, auch von internationalen Kurzschlußhandlungen kollektiver Art, nicht ab-, sondern zunehmen.

VII. Fazit

Tabelle 3: Schätzung der für 1980 nach derzeitigen Indikatoren’) zu erwartenden öffentlichen Hilfe für Entwicklungsländer, ausgedrückt in Prozent des Bruttosozialprodukts der Geberländer

Unsere tour d'horizon über die Entwicklungszusammenarbeit als praktische Politik macht deutlich: Wenn man sich durch Randfragen nicht ablenken läßt, sondern den Dingen auf den Grund geht, stößt man allenthalben auf denselben Kern, auf die Frage nach der politischen Grundentscheidung. Was muß geschehen? Eine nachhaltige Aufstockung unserer Hilfe ist unerläßlich.

Diese Aufstockung eröffnet die Chance, internationale Probleme aktiv anzugehen und sachdienlichen Lösungen zuzuführen, die auch unseren Interessen entgegenkommen.

Zielproklamationen und Haushaltswirklichkeit sind aufeinander abzustimmen.

Die klare Betonung des langfristigen Charakters aller entwicklungspolitischen Bemühungen ist erforderlich, um die Konzentration der Anstrengungen auf dieses Ziel zu sichern.

Politik und Politikpräsentation dürfen nicht davon ablenken, daß allein die reale Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Entwicklungsländern und die Mobilisierung ihrer Eigenkräfte Ziel der Entwicklungszusammenarbeit sind.

Nur die Erreichung dieser Ziele, nicht kurzfristig motivierte schnelle Liefergeschäfte, können soziale Spannungen in den Entwicklungsländern abbauen und dem Frieden dienen; nur dies dient langfristig und nachhaltig auch den Interessen unserer Wirtschaft.

All das sind gemeinsame Aufgaben von Regierung und Parlament, unter Einschluß der Opposition, deren Mitverantwortung in allen Entscheidungen von langfristiger Wirkung besonderes Gewicht hat.

Wir wissen, daß unser Verhältnis zu den Entwicklungsländern die Welt von morgen prägen wird. Die Zusammenarbeit mit ihnen geht uns alle an. Man kann sich vor dieser Problematik nicht drücken, sie nicht überspielen. Entwicklungszusammenarbeit ist eine der großen politischen Aufgaben der Gegenwart, kein administratives Problem. An ihr kann sich Weitblick der politischen Führung, politisches Verständnis, politische Reife und Kraft des ganzen Volkes bewähren. Auch bei uns?

So gesehen, sind das keine Fragen der politischen Bildung mehr, keine bloßen Lehrstücke, sondern Existenzfragen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. BMZ-aktuell, herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Pressereferat, vom 9. Januar 1978. Die wichtigsten Ergebnisse der vorausgegangenen Erhebung aus dem Jahre 1975 sind als Vergleichszahlen in dieser Veröffentlichung mit angeführt.

  2. BMZ-aktuell vom 9. Januar 1978, S. 6.

  3. Die am 11. Februar 1971 von der Bundesregierung beschlossene Konzeption wurde 1973 ergänzt und zuletzt am 6. November 1975 fortgeschrieben. Diese z. Z. gültige „Fassung 1975" ist u. a. abgedruckt als Anlage 3 zum Dritten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, BT-Drucksache 8/1185. — Der Dritte Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung enthält — wie seine Vorläufer — im Anhang die wichtigsten Texte und Tabellen zur Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik; er wird als Sonderdruck vom BMZ auf Anforderung zur Verfügung gestellt.

  4. Hermann Lübbe, Wissenschaftspolitik. Planung — Politisierung — Relevanz, Texte und Thesen Nr. 84, Edition Interform, Zürich 1977, S. 18.

  5. Development Assistance Committee (Entwicklungshilfeausschuß) der Organization for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

  6. Die jährlichen Prüfungsberichte des DAC werden von der OECD unter dem Titel „Zusammenarbeit im Dienst der Entwicklung, Politik und Leistungen der Mitglieder des Ausschusses für Entwicklungshilfe" herausgegeben. In der Presse werden sie auch als OECD-Berichte, als DAC-Examen o. ä. bezeichnet.

  7. Das Journalisten-Handbuch Entwicklungspolitik 1978, herausgegeben vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, August 1978, beziffert (S. 93) die bereitgestellten Kredite auf 400 Mio DM, das dadurch bewirkte Auftragsvolumen für die deutschen Werften auf 800 Mio DM.

  8. Eberhard Moths, Politische Folgenkontrolle, in: Merkur, Heft 9, September 1978, S. 851 ff. (insbes. S. 857 ff.).

  9. Zur administrativen Problematik vgl. Udo Kollatz, Organisationsberatung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Eine verwaltungspolitische Betrachtung, in: Verwaltungsarchiv 1978, Heft 1, S. 74 ff.

  10. Entwicklungspolitik, Spiegel der Presse, herausgegeben vom Pressereferat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heft 23 vom 23. Juni 1978 mit Berichten zur entwicklungspolitischen Debatte des Deutschen Bundestages am 22. Juni 1978; im Tenor ähnliche Äußerungen bei zahlreichen anderen Gelegenheiten.

  11. Erhard Eppler, Das Schwerste ist Glaubwürdigkeit. Gespräche über ein Politikerleben, rororo aktuell, Hamburg 1978, S. 100 f.

  12. Wie Bruno Bandulet, Schnee für Afrika, Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München, Berlin 1978 bestätigt, kann man sogar Bücher schreiben, ohne den Unterschied zu bemerken. „ 56 Milliarden Mark Entwicklungshilfe haben die Deutschen bisher gezahlt", behauptet der Umschlagtext und wiederholt der Autor (S. 10). Das allerdings wäre die Summe der gesamten Zusagen (= kumulierte Verpflichtungsermächtigungen seit 1960), vgl. Dritter Bericht (oben Anm. 3) Ani. 11, Tab. 15 b. Die tatsächlichen Zahlungen sind wesentlich niedriger und werden im Haushaltsjahr 1978 die 40-Milliarden-Grenze übersteigen, vgl. Dritter Bericht, Ani. 11, Tab. 15 a. Auch das ist eine sehr große Summe und die Verfügung darüber verdient kritische Beobachtungen. Leider hat Bandulet auch sonst nicht mit Sorgfalt recherchiert. Die journalistisch überhitzte Nadel erweist der guten Sache, um die es Bandulet wohl auch geht, keinen Dienst. Sie entwertet Kritik auch dort, wo diese begründet und notwendig wäre.

  13. Vgl. z. B. FAZ vom 1. 8. 1978: „Bonn rechtfertigt deutsche Entwicklungshhilfe" („Es seien 1977 nur in beschränktem Ausmaß Zahlungen abgerufen worden...“); ähnlich Handelsblatt vom 1. 8. 1978: „Entwicklungshilfe-Leistung ist leicht zurückgegangen — Das BMZ führt technische Ursachen ins Feld"; siehe auch Handelsblatt vom 22. 9. 1978: „Für Entwicklungshilfe steht mehr Geld zur Verfügung", sowie BMZ Pressemitteilung Nr. 79/78.

  14. Z. B. am 22. 9. 1978: General-Anzeiger: „Brandt: Bonn soll mehr für Entwicklungshilfe tun"; Handelsblatt: „Für Entwicklungshilfe steht mehr Geld zur Verfügung .. . Vor allem ein Mangel an Verwaltungs-und Planungseinrichtungen und Experten sowohl in der Bundesrepublik als auch in den Nehmerländern verhindert einen sinnvollen Einsatz kurzfristig bereitgestellter Gelder."

  15. Wie Eduard Pestel (u. Mitautoren), Das Deutschland-Modell, Herausforderungen auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Stuttgart 1978, S. 221 ff. anschaulich darstellt, schaffen Transferzahlungen nach Art der Entwicklungshilfe keine zusätzliche Nachfrage, da die dazu benötigten Mittel den Bürgern zuvor weggesteuert wurden. Andererseits kann (so Pestel, S. 227) die noch nicht entwickelte Kaufkraft der Massen in der Dritten Welt langfristig einen Absatzmarkt der hochindustrialisierten rohstoffarmen Nationen schaffen. Deshalb gelte es, darauf verstärkt hinzuarbeiten.

  16. Dafür könnte Syrien ein aufschlußreiches Beispiel sein. Die jüngste Zusage erregte angesichts des Geschehens im Libanon Aufsehen. Bei dem relativ guten Pro-Kopf-Einkommen von Syrien — nach Weltbankunterlagen 780 US-Dollar — fand der Betrag von 130 Mio. DM auch unter diesem Aspekt Beachtung. In einem Interview der BildZeitung am 13. 10. 78 begründete der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Zusage des Betrages zu diesem Zeitpunkt im wesentlichen mit außenpolitischen Erwägungen (es gelte, Syrien „von der Friedensvereinbarung von Camp David zu überzeugen") und mit Lieferinteressen („ ... wollen die Syrer ihr Telefonnetz ausbauen — deutsche Firmen sind sehr an diesen Aufträgen interessiert.“). Es bleibt abzuwarten, ob diese Begründungen noch stechen, wenn die Projekte ins Ausführungsstadium kommen.

  17. Jürgen Dennert, Entwicklungshilfe geplant oder verwaltet? Entstehung und Konzeption des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gütersloh 1968, stellt diese Gründungsgeschichte und ihre politischen Implikationen an Hand der Akten und Parlamentsprotokolle sehr anschaulich dar.

  18. Die Formulierung findet sich in der Erläuterung zu dem 1956 vom Bundestag neu eingesetzten Haushaltstitel Kap. 05 01 962; damals — vor Gründung des BMZ — noch beim Auswärtigen Amt (d. h. nicht beim Wirtschaftsministerium!) etatisiert; beim Bundesministerium für Wirtschaft war damals in Kap. 09 02 613 ein Vorläufer der Technischen Hilfe angesiedelt; dieser Haushaltstitel ermöglichte insbesondere die Entsendung von Experten und Beratern in Entwicklungsländer und die Betreuung von Stipendiaten in der Bundesrepublik.

  19. Der Dritte Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung (siehe oben Anm. 3) gibt in Tab. 4, S. 92, für 1974 das Bruttosozialprodukt pro

  20. Die Bewirtschaftung nach vertraulichen Erläuterungen ergibt sich aus den Haushaltsvermerken, die bei den entsprechenden Titeln im Bundeshaushaltsplan ausgedruckt sind, z. B. bei Kap. 23 02 866 01; 23 02 866 03; 23 02 896 03 u. a. m.

  21. Schon Dennert (siehe oben Anm. 17) macht deutlich, daß es sich bei den legendären Kompetenzstreitigkeiten, die die ersten Jahre des BMZ begleiteten, im Kern um Sachfragen handelte, die der politischen Entscheidung bedurften, weil sie durch die Organisationserlasse des Bundeskanzleramtes offengelassen waren (S. 90). Dennert macht zugleich darauf aufmerksam, daß die lange vor der Gründung des BMZ üblichen Auseinandersetzungen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Wirtschaftsministerium in der Regel Auseinandersetzungen um den Vorrang der von dem betreffenden Ressort zu vertretenden Gesichtspunkte waren (z. B. Marktinteressen hier, besondere Aktivitäten des Ostens dort im Entwicklungsland), also ebenfalls Sachkonflikte waren, die in Form von Kompetenzstreitigkeiten ausgetragen wurden und politische Führungsentscheidungen erforderten (S. 33/34).

Weitere Inhalte

Udo Kollatz, Drejur., Dr. rer. pol., geb. 1931 in Königsberg (Pr.), Staatssekretär i. e. R., Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Darmstadt. Studium der Rechts-und Wirtschaftswissenschaften; richterlicher Dienst; Verwendung im Bundesministerium der Justiz; Hess. Ministerium der Justiz, Staats-kanzlei, Kultusministerium, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit; Visiting Professor an der Georgetown University, Washington, D. C., USA. Veröffentlichungen u. a.: Qualität trotz Gleichheit?, Frankfurt 1972; Eingeplante Fehler oder fehlgeplante Einflüsse?, in: transfer 4, Opladen 1977; zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften und Sammelwerken zu wirtschaftsrechtlichen, organisationsund verwaltungspolitischen Fragen, insbesondere zur Steigerung der Effizienz und Verbesserung der Kontrolle in der öffentlichen Verwaltung.