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Kritische Bemerkungen zu Denkansätzen in der politischen Bildung. Rückblick nach einem Dezennium | APuZ 1/1979 | bpb.de

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APuZ 1/1979 Kritische Bemerkungen zu Denkansätzen in der politischen Bildung. Rückblick nach einem Dezennium Artikel 1

Kritische Bemerkungen zu Denkansätzen in der politischen Bildung. Rückblick nach einem Dezennium

Hans-Günther Assel

/ 88 Minuten zu lesen

„Ordnung und Konflikt als Grundprobleme der politischen Bildung" — so lautete eine Bestandsaufnahme von Erwin Schaaf über die theoretisch-didaktischen Ansätze der sechziger Jahre, die als erster Aufsatz des Jahrgangs 1970 in dieser Zeitschrift erschien. Nun, da das letzte Jahr dieses Jahrzehnts beginnt, sei im folgenden — wiederum als erstes Heft — eine Bilanz gebracht, die im wesentlichen eine Kritik an der . Konfliktpädagogik'beinhaltet. Konnte E. Schaaf seinen Beitrag noch mit den Worte schließen: „Die vorausgegangene Analyse didaktischer Konzeptionen der politischen Bildung macht deutlich, daß eine Überbetonung des Konflikts von der Theorie her nicht gegeben ist...", so kommt H. -G. Assel auf Grund der Entwicklungen in diesem Dezennium natürlich zu anderen Ergebnissen. Der Verf. sucht in seinen Positionsbeschreibungen nicht die Konfrontation um jeden Preis, sondern weist, entsprechend seinem Ansatz einer rationalen Konfliktlösung, über das Trennende hinweg auf Gemeinsamkeiten hin. Die Redaktion

I. über den Doppelaspekt der politischen Realität

1. Zum Dualismus von Integrationsund Konflikttheorie Vor einem Jahrzehnt vertrat ich die These, daß man in der Didaktik der politischen Bildung nicht die Konfliktkategorie verabsolutieren dürfe 1). Damals vollzog Giesecke die Wende vom Partnerschaftszum Konfliktdenken, und viele begrüßten seinen Denkansatz als einen erheblichen Fortschritt Dieser Umbruch in der politischen Bildungstheorie ließ sich nicht zuletzt mit der Veränderung des historisch-politischen Hintergrundes, mit einer gewandelten sozialphilosophischen Einstellung und mit einer spezifisch anthropologischen Sichtweise begründen. Die pluralistische Gesellschaft mit ihrer parlamentarisch-demokratischen Regierungsform teilte die Vorstellung, daß zum politischen Leben Spannungen und Konflikte gehören. Nur totalitäre Systemordnungen unterdrückten Macht-und Interessenkonflikte, Wert-und Bedürfnisdifferenzen. Ein soziales System, das seine innere Harmonie propagiert und Konflikte negiert oder sie als gelöst betrachtet, muß mit dem Wort gemessen werden: „Nicht das Vorhandensein, sondern das Fehlen von Konflikten ist erstaunlich und abnormal."

Ralf Dahrendorf griff als Antipode der „Integrationstheorie" die Systemsoziologie von Talcott Parsons scharf an und warf ihr Einseitigkeit vor, weil sie den Konflikt stets als pathologisches Phänomen kritisiert. Parsons plädierte für Konsensus und Gleichgewicht, für Funktionsfähigkeit und die Erhaltung der Systemstabilität. Die Systemleistung besteht für ihn darin, oberste Systemwerte mit den Interessen der einzelnen und der Gruppen zu verbinden. Nach Parsons wird der Bestand eines sozialen Systems von außen und innen gefährdet, weil egoistische und aggressive Menschen und Gruppen, aber auch Herausforderungen durch die technologische Entwicklung Anpassungsvorgänge erfordern. Der statische Aspekt blieb zwar bei ihm im Vordergrund, aber die Strukturbewahrung vollzieht sich bei flexibler Anpassung durch Selbstregulierung im „Fließgleichgewicht" Dahrendorf entwickelte seine Konflikttheorie im bewußten Gegensatz zur Konzeption von Parsons. Seine Opposition zur Systemsoziologie kam durch die dominante Kategorie des Konfliktes zum Ausdruck. Er baute sein Konfliktmodell auf den Komponenten des Wandels, des Zwanges und des Konfliktes auf. Nach seiner Auffassung halten nicht der Konsens, sondern Zwang und Kontrolle die Gesellschaft zusammen. Er stützte seine These auf die Bemerkung: „Wir setzen voraus, daß der Konflikt allgegenwärtig ist, weil der Zwang allgegenwärtig ist, wo immer Menschen sich soziale Verbände schaffen." Der Konflikt erhält bei Dahrendorf eine positive Bewertung, weil er eine schöpferische Funktion besitzt. Aber er forderte andererseits für sein Konfliktmodell keine ausschließliche Geltung, denn er räumte ein, daß jede Gesellschaft über ein Doppelgesicht verfügt: „eines der Stabilität, der Harmonie und des Konsensus und eines des Wandels, des Konfliktes und des Zwanges"

Trotz dieser hervorragenden Einsicht, welche den Doppelaspekt der politischen Zielperspektive mit Integration (Konsensus) und Konflikt (Wandel) beschrieb, verlagerte sich sein Interesse auf die Konflikt-seite, ohne den erwähnten Doppelaspekt zu berücksichtigen. Als liberaler Konflikttheoretiker interpretierte er die sozialen Ungleichgewichte nicht im Sinne von Marx als antagonistische Konflikte der Klassengesellschaft, denn er lehnte eine monokausale Erklärungsweise mit dem Hinweis ab, daß Eigentum an privatem Produktionsmittelbesitz keineswegs die einzige Form von Herrschaft sei, sondern nur eine ihrer zahlreichen Gestalten Dahrendorf empfahl daher den Konfliktgruppen, sich zu organisieren, demokratische Spielregeln zu akzeptieren und mit ihnen Konflikte zu regeln (die aber damit nicht verschwanden). In der rationalen Konfliktregelung erkannte er die zentrale Aufgabe der Politik. Diese liberale Konflikttheorie beeinflußte seither die Theorie der politischen Bildung.

Nach Hermann Gieseckes Ansatz von 1965 deckt die Konfliktanalyse das Umstrittene in der Gesellschaft auf. Er bezeichnete „aktuelle politische Kontroversen als den eigentlichen Gegenstand des politischen Engagements und Erkennens" Das Politische betrachtete er unter dem Aspekt der Auseinandersetzung, ohne den Andersdenkenden als „Abweichler" zu denunzieren. Giesecke bemerkte: „Daß sich politische Bildung heute auf den Konfliktcharakter des politischen Lebens stützen kann, ohne den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sprengen, führt Dahrendorf darauf zurück, daß sich die Gegensätze der Klassengesellschaft so vermindert hätten, daß ihre Institutionalisierung und damit eine Regelhaftigkeit ihres Austragens möglich sei" Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen erhalten mit Hilfe der Konflikttheorie ihre Deutung, aber -systemtheoretisch gesprochen -man zieht mit gutem Recht eine Grenze, weil man eine rationale Regelung der Konflikte mit Hilfe ihrer Institutionalisierung fordert. Konflikte lassen sich als soziopolitische Phänomene positiv bewerten. Als aktuelle Ereignisse, die noch offen und nicht abgeschlossen sind, bilden sie den Gegenstand der politischen Bildung. Das Unbehagen richtete sich jetzt auf die „Partnerschaftserziehung", weil diese das Miteinanderleben und das Gespräch der Partner, Toleranz und Kompromiß stark betonte, so daß sie in den Verdacht geriet, den Realitäten der pluralistischen Industriegesellschaft nicht gerecht zu werden. Es bedeutet in der Tat eine Einschränkung der Sichtweise, wenn man das Politische auf das Miteinander im Sinne von „Partnerschaft" begrenzt. -In der Nachkriegsära hatte sich das pragmatische Partnerschaftsmodell zur weithin akzeptierten politischen Bildungstheorie entwickelt, weil man Verhaltensweisen fördern wollte, die sich gegen eine staatsidealistische und totalitäre Einstellung wendeten. Zweifellos eignete sich das Plädoyer für ein verantwortungsethisch geprägtes Menschenbild und für die pragmatische Sozialphilosophie dazu, Fehlansätze der Vergangenheit, wie die idealistische „Staatspädagogik" und die „Unterwerfungspädagogik", zu kritisieren und sich gegen die Vergöttlichung des Nationalstaates und gegen die Gemeinschaftsideologie des Dritten Reiches zu wehren. In der Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit ging es zuerst um das „überleben", und in den fünfziger Jahren stand der Wiederaufbau im Mittelpunkt.

Deshalb war es nichts Außergewöhnliches, wenn man damals den Gedanken der Zusammenarbeit betonte und sich fern von aller großen Politik auf das eigene soziale Schicksal konzentrierte Mit der starken Betonung des Sozialen beschrieb Friedrich Oetinger die praktische und pragmatische Aufgabe der Politik, die das Leben der fünfziger Jahre gestaltete. Der Jugendliche sollte mit Hilfe eigener Erfahrung in die junge Republik hineinwachsen und sich nicht, wie die Generation zuvor, an ein Glaubensdogma verlieren. Die neue Grundkategorie „Partnerschaft" zog ihre Substanz aus der sozialen Bestimmung dieser Zeit-lage. Das mitmenschliche, kooperative Prinzip erzeugte zugleich einen stark innenpolitischen Bezug, denn es vermochte die Konsensfähigkeit zu stärken, ohne daß dabei die großen Irrwege der Nation vergessen wurden. Insofern kämpfte Oetinger gegen die Hörigkeit gegenüber jeder Ideologie. Freiheit offenbarte sich in der Lernbereitschaft, das zu werden, wozu man befähigt war, und im Willen, die Aufgaben des Lebens gemeinsam zu meistern Weil sich die Bevölkerung in Deutschland nicht gegen die Machtpolitik nach 1945 wehren konnte, welche infolge der entgegengesetzten Interessen der Supermächte die faktische Teilung Deutschlands herbeiführte, erhielten zunächst die private Existenz und der Mikrobe-reich im Sozialleben den Vorrang.

Das liberale Harmoniemodell von Oetinger, welches die Menschen zum Zusammenleben auf der Grundlage von Mitbürgerlichkeit und Toleranz anregte, stieß mit der Etablierung der Verhältnisse auf den Vorwurf, weder der außenpolitischen noch der innenpolitischen Realität gerecht zu werden, denn der Kalte Krieg verschärfte sich und die pluralistische Gesellschaft, welche dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft folgte, ließ erste Spuren von sozialen Ungleichgewichten erkennen. Es zeigte sich, daß sich weder in der großen Politik noch in der Gesellschaftspolitik Kategorien wie „Freund-Feind" oder „Konflikt" ausklammern ließen. Nicht nur die äußeren, auch die inneren Spannungslagen nahmen zu. Daß die junge Generation mangelnde Bereitschaft zum politischen Engagement entwickelte, nahm man als Indiz für eine unpolitische „politische Erziehung".

Mit dem gesellschaftlichen Aspekt rückte zugleich die „Kritik" an der sozialen Restauration und der . kapitalistischen'Gesellschaft in den Mittelpunkt, welche die Integrations10 Ideologie und die Entpolitisierung des Bewußtseins breiter Schichten rügte und den Vorwurf mangelnder ökonomischer und politischer Mitbestimmung erhob. Der Wille zur Konsensfähigkeit, zur Toleranz und Kompromißbereitschaft verlor mit dem Beginn der sechziger INHALT I. über den Doppelaspekt der politischen Realität 1. Zum Dualismus von Integrationsund Konflikttheorie 2. über das „begrenzte" Konfliktdenken II. Zum Denkstil der Emanzipationspädagogik 1. Vorbemerkung 2. Hans-Jochen Gamm: Emanzipatorische Erziehung mit marxistischer Zielsetzung 3. Rolf Schmiederer: „Herrschaft" und „Emanzipation" als Schlüsselbegriffe radikaldemokratischer Erziehung 4. Hermann Giesecke: Uminterpretation der liberalen Konflikttheorie III. Zur Standortbestimmung friedenspolitischer Erziehung 1. Vorbemerkung 2. Friedenspolitische Bildung -Kind des Atomzeitalters 2. Zum Begriff und zur Aufgabe der Friedenspädagogik 4. Zur Kritik und Typologisierung der Friedenspädagogik von Hamburger 5. Zur Kritik und Phaseneinteilung der Friedenspädagogik von Schierholz 6. über Realisierungschancen der Friedenspädagogik IV. Politische Rationalität als Leitziel politischer Bildung 1. Vorbemerkung 2. Manfred Hättich: Rationalität als Ziel politischer Bildung 3. Bernhard Sutor: Politische Rationalität und freiheitliche Demokratie V. Zur Situationsbeschreibung der Gegenwart Jahre seine Integrationskraft, weil sich opponierende Gruppen bildeten, die zunehmend das westliche Gesellschaftssystem in Frage stellten. Dabei zeigte sich, daß die einzelnen Interpreten der „politischen Realität" diese nur von spezifischen Aspekten her erfaßten, „je nach dem jeweiligen Gesellschafts-und Politikverständnis, der jeweiligen wissenschaftskonzeptionellen Grundorientierung, der fachlichen Spezialisierung etc., aber auch je nach dem jeweiligen politischen Standort."

Gegen die eindimensionale Deutung des „Politischen", die sich auf Systemstabilität und Konsensfähigkeit stützte, wurden neue Facetten des Politischen artikuliert, welche Beachtung verdienten. Jetzt legte man den Nachdruck auf den Dissens und auf die Struktur-verhältnisse. Diese Betrachtungsweise setzte dem „Partnerschaftsmodell" mit seiner genossenschaftlichen, kooperativen und sittlichen Komponente und den Spielregeln Transparenz, Namentlichkeit, Toleranz und Kompromiß das „Konfliktmodell" entgegen, welches den akuten Zusammenprall der konfligierenden Gruppen in bezug auf Machtinteressen und Wert-konflikte analysierte. Hermann Giesecke baute die strikte Gegenposition zur „Partnerschaft" auf. Nur wenige bestritten der sich damals rasch verbreitenden Konflikttheorie, daß Spannungen und Konflikte zur „politischen Realität" gehörten und daß man diesen Aspekt in der politischen Bildung vernachlässigt hatte. Aber indem man das politische Wissen jetzt schlechthin als „Konflikt-Wissen" bezeichnete, verengte man den Gesichtspunkt in ähnlicher Weise wie jene, die es als bloßes „Integrationswissen" verstanden hatten.

2. über das „begrenzte" Konfliktdenken

Giesecke thematisierte die Unterschiede zwischen der Notwendigkeit eines die unterschiedlichen Positionen überbrückenden, zusammenhängenden Wissens über die Politik einerseits und dem Wesen des Politischen, das Auseinandersetzung und Konflikt sei, andererseits. Die politische Didaktik sollte klären, ob diese Widersprüche auflösbar seien. Sie hatte zu prüfen, wie man das Politische im Blick behielt und wie sich ein Wissen lehren ließ, das Orientierung und eine Erfahrung vom Konflikt ermöglichte Er bemerkte: „Wenn aber ein solcher Wissenszusammenhang das Politische verfehlen muß, weil er allein einer harmonischen Gesellschaft angemessen wäre, so bleibt nur übrig, das politische Leben grundsätzlich kontrovers zu sehen, also als in Konflikten begriffen." Diese Sichtweise setzte sich bald durch und mit ihr bezog man die strikte Gegenposition zur Partnerschaft. Dagegen vertrat ich die These, daß man mit dem „Konfliktdenken" allein nicht dem Politischen gerecht werde. Ich bemerkte: „Ebenso wichtig wie die Heranbildung eines Verständnisses für Konflikte, die man in einer pluralistischen Gesellschaft nicht unterdrücken darf, ... ist die . ideologiekritische'Haltung, die sich gegen Revolution und Reaktion als gefährliche Feinde wendet, gegen jeden Irrationalismus und totaldemokratischen Utopismus, gegen alle konflikt-losen Gemeinschafts-und klassenlosen, herrschaftsfreien Gesellschaftsideologien."

Zwischen Reaktion und Revolution sollte man den mühsamen Weg der Reformpolitik beschreiten. Meine Kritik wandte sich gegen den Status quo, der die freiheitliche Veränderungsstrategie blockiert, und gegen die Revolution, welche die Konflikte verschärft, um sie als bloßes Mittel der Systemüberwindung zu gebrauchen. Politische Bildung hat weder der affirmativen noch der revolutionären Pädagogik das Wort zu reden. Dabei kann sich der Konflikt durchaus seine positive Funktion für die pluralistische Gesellschaft erhalten, denn er fördert sozialen Fortschritt und Wandel.

In der pluralistischen Systemordnung lassen sich Konflikte über Interessen und Werte nicht unterdrücken. Insofern konnte man Erwin Schaaf zustimmen, wenn er bemerkte: „Rechtverstandene Konflikte intendieren Ordnung, und wahre Ordnung bejaht Konflikte als Faktoren realer Ordnungsverwirklichung. Konflikte beseitigen, hieße deshalb demokratische Ordnung aufheben." Schaaf wandte sich jedoch gegen jede Bekämpfung des Konfliktes, auch gegen meine Differenzierung der konstruktiven und destruktiven Konflikte und kritisierte meine Einwände, die sich gegen eine Verabsolutierung des Konfliktdenkens richteten, obwohl er die kritische Frage nach den „Grenzen" des Konflikts für berechtigt hielt Das Problem bestand darin, rechtzeitig vor einer Übersteigerung des Konfliktdenkens zu warnen, denn es erschien fraglich, im „Konflikt" den dominanten Grundbegriff politischer Bildung zu erblicken, weil man damit eine Tendenz unterstützte, die schließlich in der „Konfliktideologie" endete. Ich bemerkte dazu: „Eine Konflikttheorie, die sich als Schein-manöver erweist oder ihren berechtigten Aspekt verabsolutiert oder bis zur Destruktion steigert, trifft nicht das Anliegen, das man von ihr erwartet: einen konstruktiven Beitrag zur Erklärung von politischen Phänomenen zu leisten." Zu leicht geriete man in einen theoretischen Circulus vitiosus, wenn man ständig bestimmte Schlüsselbegriffe verabsolutierte.

Jede konkrete Systemordnung stellt ein multipolares Spannungsgefüge dar, deren Pole Konsens und Konflikt bilden. Es gibt System-ordnungen, die den Konsens erzwingen und jeden Konflikt mit repressiven Mitteln unterdrücken. Dieser „Monolithismus" hat sich als typisches Charakteristikum für ideologische Einheitsbewegungen in unserer Zeit herausgebildet, welche jede freie Meinungsäußerung und individuelle Freizügigkeit untersagen. Der undemokratische Zwangsbekenntnisstaat, der seine Bürger in die Verbannung schickt oder ins Ausland abschiebt, um sich nicht mit ihren kritischen Argumenten auseinanderzusetzen, beharrt auf seiner rigiden zentralistischen Systemstruktur. Totalitäre Systeme gewähren nur den „Frieden in der Unfreiheit". Das ist eine unverlierbare Erkenntnis der Geschichte dieses Jahrhunderts.

Eine Politik, welche Starrheit und Immobilität nicht überwindet, bleibt steril und dissoziativ, weil ihr eine kreative Erweiterung des Options-und Aktionsradius'nicht gelingt. Systeme, die sich intern als „konfliktlos" bezeichnen, verschleiern ihre Probleme. Die Maximierung eines Aspektes des Politischen führt zur Überdehnung des gewählten Schlüsselbegriffes, sei es „Partnerschaft" oder „Konflikt" oder „Emanzipation". Solche Vereinseitigung verursacht immer Folgekosten, die man gewöhnlich verschweigt. Dafür lassen sich zahlreiche Beispiele anführen. Funktionalisten erblicken den Normalzustand der Gesellschaft in Kooperation und Integration und beurteilen deshalb Konflikte als pathologische Erscheinung. Sie verstehen die Systemordnung als funktionales Gebilde und führen Konflikte auf metasoziale Ursachen, d. h. auf psychologische Störungen zurück Bei ihnen liegt offensichtlich ein mangelndes Konfliktverständnis vor. Marxisten wiederum überdehnen den Konfliktbegriff, weil nach ihrer Ansicht antagonistische Konflikte allein durch Revolution aufhebbar sind, welche erst die neue Systemqualität verbürgt. Marxisten sind Anhänger einer Konfliktaktivierungsstrategie, die man als Mittel der Systemüberwindung einsetzt.

Aufgabe der politischen Bildung ist, das Doppelgesicht des Politischen adäquat zu interpretieren und jede Überdehnung der Schlüsselbegriffe zu vermeiden. Zweifellos kam der neuen Konfliktpädagogik das Verdienst zu, ihre Aufmerksamkeit auf aktuelle politische Kontroversen zu richten. Aber schon die liberale Konflikttheorie, die Giesecke im Anschluß an Dahrendorf übernahm, rückte den Konflikt so zentral in den Mittelpunkt, daß er zur dominanten Kategorie wurde. Hier lag der Keim -bei konsequenter Fortentwicklung -für die Radikalisierung dieser Kategorie mit den noch zu analysierenden Folgen. Eine realistische Einstellung zum Politischen hat dagegen die Doppelaufgabe zu erfüllen, zur Integrationsfähigkeit junger Menschen in komplexen politischen Systemen ebenso zu erziehen wie auch ihre aktive Konfliktfähigkeit zu entwikkeln, weil man in einer pluralistischen Gesellschaft Machtkämpfe, Interessendivergenzen und Wertkonflikte auszutragen hat. So sehr die schöpferische Dynamik des Konflikts zu bejahen ist, so sehr ist darauf zu achten, daß man jene „erträgliche Grenze" im Konflikt nicht überschreitet, die den Bestand der freiheitlichen und sozialen Ordnung aufs Spiel setzt

Die Leidenschaft, sich für die freiheitliche Ordnung zu engagieren und mit ihr Augenmaß und Mäßigung zu verbinden, verkehrte sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in eine leidenschaftliche Systemanklage. Die liberale Konflikttheorie von Giesecke verwandelte sich in der großen Aufbruchstimmung der Protest-bewegung in eine radikale Demokratisierungstheorie. Der neue historisch-politische Hintergrund unterstützte die konfliktorientierten Vorstellungen, denn Ereignisse wie z. B. die erste ernsthafte wirtschaftliche Rezession in der Bundesrepublik oder der steile Aufschwung der NPD oder die Bildung der Großen Koalition, welche der außerparlamentarischen Opposition Auftrieb gab, signalisierten einen radikalen Durchbruch des politischen Denkens

II. Zum Denkstil der Emanzipationspädagogik

1. Vorbemerkung

Die . Emanzipationspädagogen'übernahmen weitgehend das marxistische Dogma von der antagonistischen Gesellschaft, das den Klassenkonflikt betont und für eine Entwicklung zur herrschaftslosen Gesellschaft plädiert. Sie stützten sich bei ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der westlichen Demokratie und ihrer kapitalistischen Struktur auf die sichtbare Kluft von demokratischem Anspruch und demokratischer Realität. Dabei vermieden sie jede punktuelle Kritik, die nur zu Änderungen und Verbesserungen von Mißständen im bestehenden System geführt hätte. Ihr Ziel bestand darin, eine Fundamentalkritik zu leisten und eine Alternative zum westlichen System aufzuzeigen. Der mühevolle, mit Verzögerungen und Enttäuschungen verbundene Reform-weg erschien ihnen als fragwürdig. Die Zielscheibe der Kritik richtete sich auf die „Überflußgesellschaft" mit ihrem Erwerbs-und Leistungsdenken und auf den Gefälligkeits-und Versorgungsstaat, der ihrer Deutung nach das politische Bewußtsein der breiten Schichten einschläferte und ein aktives Mitdenken und Mitgestalten blockierte. Gegen den Status quo und die politische Stagnation setzten sie sich für eine umfassende Demokratisierung ein. Das Grundthema, das sie behandelten, hieß: Transformation der Demokratie durch Emanzipation. Die marxistischen und neomarxistischen Pädagogen, die sich an Marx oder an den Vertretern der „Kritischen Theorie" der Frankfurter Schule orientierten, klagten das bestehende System an: Durch Systemzwang und bewußte Unterdrückung werde Demokratisierung und Emanzipation verhindert. Die Stoßrichtung dieser Begriff zielte auf die „pluralistische Demokratie". Die vom Pluralismus vertretene Vorstellung beinhaltete, daß die komplexe Industriegesellschaft nicht sozial homogen zu gestalten sei, weil weitgehende Egalisierungstendenzen auf Grenzen stoßen. Die Kritik der Emanzipationspädagogen thematisierte die soziale Ungleichheit, die man von der Wurzel her beseitigen wollte. Dichotomisches Denken, das nur zwischen Affirmation und Emanzipation unterscheidet und „Parteilichkeit" für die eigene Intention fordert und damit rigide Kompromißlosigkeit, charakterisiert diesen Denkstil, der den Veränderungswillen im Sinne der Systemüberwindung mobilisiert. Zugleich plädierte man mit Nachdruck für das Gleichheits-B postulat, das als eine „gleichmäßige" Gleichheit, nicht nur als Gleichheit vor dem Recht und als gleiches Wahlrecht, verstanden wurde.

Schon Wolfgang Lempert wies darauf hin, daß Emanzipationsbewegungen egalitär denken:

„Sie zielen auf die Gleichheit der Rechte und Pflichten aller Gesellschaftsmitglieder." Er definierte: „Emanzipation meint Verringerung von Beschränkungen für die Artikulation und Befriedigung menschlicher Bedürfnisse." Lempert orientierte sich damit an Jürgen Habermas, aber er wollte die pauschal-kritische Funktion emanzipatorischen Denkens überwinden, weil er eine generelle und übereilte Emanzipation des Menschen aus vorgegebenen Abhängigkeiten für eine bloße Parole hielt, denn der einzelne könne sich nicht von allen Prägungen und Bindungen, von allen Traditionen und Überlieferungen im „plötzlichen Akt der Befreiung" lösen Der Sozialisationsprozeß, der solche Abhängigkeiten sowie Anpassungen an gesellschaftliche Normen thematisiert, wurde jetzt zum zentralen Aspekt der politischen Bildung.

Soziale Verhaltensweisen und Wertüberzeugungen gewinnt man in den einzelnen Sozialisationsfaktoren: Schule, Familie, Freundeskreis, Arbeitsgruppen etc., wobei einzelne Faktoren ihr besonderes Gewicht erlangen. Anstoß erregte dabei die „schichtspezifische Sozialisation". Schichtspezifische Bindungen sind in der Tat bei der Ausformung der soziopolitischen Einstellung von Individuen immer mit zu berücksichtigen. Eine Gesellschaftsordnung kann optimale Sozialisationschancen gewähren, aber auch verhindern. Es bestand der Verdacht, soziale Disparitäten zu erhalten, um Emanzipation zu verhindern Hier ließ sich die politische Bildung als „Korrektiv" einsetzen, denn das Bildungssystem tradierte nicht nur die geltenden Normen, sondern auch die Verhaltensmuster und die gesellschaftlichen Maßstäbe, und es stellte zugleich die Institution dar, die zur Herrschaftsstabilisierung beitrug. Durch die in diesem Bildungssystem vorgenommene Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, durch die Verinnerlichung und Anerkennung der Wertmaßstäbe setzte sich im Sozialisationsprozeß ein „konservatives Element" durch, das -so Schmiederer -„in erster Linie der Erhaltung und Rechtfertigung der Gesellschaft in ihrer konkreten Ausformung" diente Im Kampf um politischen Einfluß erhielt die Schule als Institution somit einen hohen Stellenwert. Die große Distanz der Jugend zur Politik erklärte man schließlich aus Unterdrückungsmaßnahmen, welche die freie und ungehinderte Artikulation eigener Bedürfnisse blockierten.

Die politische Bildung als „Korrektiv" hatte nach dieser Ansicht mehr zu leisten, als sich lediglich in den Dienst der staatlichen Institutionen zu stellen. Daher lenkten die Emanzipationspädagogen ihre Aufmerksamkeit auf diese Sozialisationsprobleme. Giesecke bemerkte: „Die Kinder der Unterschicht werden demnach autoritär, unselbständiger und motivationsärmer sozialisiert als Kinder der Mittelschicht, und es liegt nahe, den Grund dafür in den kognitiv, emotional und motivational reduzierten Funktionen der Unterschicht am Arbeitsplatz zu suchen."

Die Frage nach Chancengleichheit im Bestehenden verknüpfte sich notwendig mit der Frage der strukturellen Organisation, denn rigider Zentralismus und starre Bürokratie engten Entfaltungsmöglichkeiten ein. Politische Bildung sollte die Festschreibung hierarchischer Verhältnisse transparent machen und Unterdrückung, die Abriegelung von Selbstverwirklichungschancen und die bloße Abrichtung der Menschen für die Bedürfnisse eines repressiven Systems aufdecken. Nach Auffassung der Vertreter der emanzipatorischen Pädagogik hatte man den Widerstand gegen Manipulation und Vereinnahmung des Individuums für bloße Systemzwecke zu wekken denn soziale Disparitäten verursachten schon in der frühen Kindheit Benachteiligungen, die später mithalfen, bestimmte Charakterstrukturen, z. B.den autoritären Menschentyp, auszuprägen Deshalb berief man sich auf die politische Verhaltens-und Sozialisationsforschung, weil sich zeigen ließ, wie hoch der Einfluß von gruppen-und schichtspezifischen sozialen Bindungen war, der sich auf die Kenntnisse und Einstellungen der einzelnen auswirkte. Behrmann bemerkte dazu: „So unterscheiden sich Unterschicht und Mittel-schicht durch die größere Distanz der Unter-schicht zur Politik, durch eine dort verstärktere Verbreitung von dichotomischen gegenüber pluralistischen Gesellschaftsvorstellungen ..." Und er zählte weitere Merkmale auf: das geringere Vertrauen zu den eigenen Einflußchancen, die schwächere Verinnerlichung demokratischer Werte, der stärkere Autoritarismus, die Bereitschaft zu . durchgreifenden'Lösungen, die geringere Neigung zum Dialog und die größere Bereitschaft zu Sanktionen

Kritische Theorie und Pädagogik, die sich an der Vorstellung antagonistischer Systemstrukturen orientierten, entwickeln wegen der Negation der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse einen „Anti-System-Affekt", der unterschiedliche Aspekte in bezug auf die anklagende Systemverurteilung besitzt. Im folgenden seien drei unterschiedliche Typen des „Anti-System-Affektes" dargestellt: 1.der revolutionäre, 2.der demokratisch-sozialistische und 3.der linksliberale Typus.

2. Hans Jochen Gamm: Emanzipatorische Erziehung mit marxistischer Zielsetzung

Um das „Elend der spätbürgerlichen Pädagogik" zu charakterisieren, entwickelte Hans Jochen Gamm die revolutionäre Variante der Emanzipationspädagogik. Er engagierte sich für das Prinzip einer proletarischen Erziehung, die den Klassencharakter des bestehenden Systems kritisiert, weil man mit dem Vokabular der „bürgerlichen" politischen Bildung nicht aktuelle Probleme von Herrschaft und Emanzipation löse. Mit seinem Bildungsprinzip „kritische Parteilichkeit" versuchte er eine Wendung im Kampf gegen die leeren Wort-hülsen bürgerlicher Phraseologie von Menschenwürde und Freiheit herbeizuführen

Die marxistische Kritik an der komplexen Industriegesellschaft, wie sie nicht zuletzt auch die Bundesrepublik Deutschland repräsentierte, bezog sich auf die folgenden wesentlichen Punkte: den Widerspruch von Kapital und Arbeit; Lohnabhängige leben am Rande des Existenzminimums; politische und soziale Mitbestimmung wird von den Herrschenden vereitelt; die große Masse besitzt schlechte Bildungs-und Ausbildungschancen; das System „infantilisiert“ die unterworfenen Menschen und erzeugt eine Konsummentalität und fortschreitende Entpolitisierung das System unterstützt die schleichende Kriminalisierung vieler Gesellschaftsbereiche die Wissenschaft selbst nimmt einen „Warencharakter" an; kapitalistisches Karrieredenken untergräbt das nötige Klassendenken; die Demokratie verwandelt sich zum Anhängsel technologischer Effizienz, und Politik wird schließlich zu einer konsumierbaren Ware Wer diese Kritikpunkte unterstützte, schloß sich der Auffassung von Gamm an: das gegenwärtige System deformiert, vergewaltigt und erniedrigt den Menschen.

Gamm plädierte für den Sozialismus als Alternative zur Kümmerform des bestehenden Systems. Konsequent formulierte er: „Wer die Befreiung der Menschheit aus den Fesseln einer verbrämten Sklaverei für unabdingbar hält, wird dieses Ziel nur mit den Methoden des Sozialismus zu erreichen vermögen . . Er wollte den Klassenkampf aktivieren, weil nur mit ihm der Konflikt von Herrschaft und Abhängigkeit sich löse: Mit der parteilichen Solidarisierung der Massen vollziehe sich auch der humane Wandel. Gamm sah die politische Bildung am Anfang der siebziger Jahre vor diese eine Alternative gestellt: Parteilichkeit für die Interessen der Massen oder Parteilichkeit zugunsten der Herrschenden. Eine Emanzipation der Massen setzt Politisierung und Parteilichkeit voraus. Eine „objektive" politische Bildung läßt sich bei diesem Entweder/Oder nur als Hirngespinst bezeichnen, weil es keine interessenfreien Standpunkte gibt: „Parteinahme für die Unterprivilegierten beginnt mit der Denkhilfe für deren Interessen und mit der Einübung wirksamer Gegenargumente und solidarischer Handlungsweisen."

Bei seiner „kritischen Parteilichkeit" ging es Gamm um sozialistische Bewußtseinsbildung, denn mit ihr bereite man der „Herrschaft der Herrschenden" ein Ende. Die zu treffende Entscheidung hieß: Für oder wider den Sozialismus, denn „menschenwürdige Arbeitsbedingungen lassen sich nur schaffen, wenn die Voraussetzung für den Sozialismus erfüllt ist, wenn die Arbeiter Eigentümer der Produktionsmittel geworden sind" Dieser dichotomische Denkstil stellte defektes und perfektes Gesellschaftsbild schroff nebeneinander.

Brutalität und Angst, Stumpfsinn und soziale Ungleichheit beherrschen nach dieser Meinung das Bestehende, während Glück und menschliche Gleichheit, Mündigkeit und soziale Gerechtigkeit sich erst im Sozialismus verwirklichen. Auf dieses perfekte Gesellschaftsmodell hin sollte nach Gamm erzogen werden.

Dabei ging es um die Ausschaltung aller dem Sozialismus widerstreitenden Kräfte, die man mit Hilfe politischer Bildung kritisierte. Die für den Erzieher zu leistende Aufgabe beschrieb er unmißverständlich: „... so hätte ein . parteilicher'Lehrer die Aufgabe, die Schüler nicht an ideale Begriffe zu fesseln, sondern sie kämpferisch für das in ihrer Gesellschaft konkret geschehene Unrecht zu erschließen und sie zu ermutigen, sich mit den Ausgebeuteten solidarisch zu erklären" Emanzipation bewirke „Auflösung eines Herrschaftsoder Abhängigkeitsverhältnisses, Abbau von Fremdbestimmung und wachsende Eigenverfügung des Individuums ..."

Gamm begrenzte Emanzipation nicht auf den einzelnen, sondern verstand sie auch als solidarisches Verhalten, das sich in der Gemeinschaft vollziehe: „Der Versuch einer individuellen Befreiung bewirkt gesellschaftliche Isolation und Aggression, bedeutet Zerstörung eines politischen Handlungsgefüges und definitive Auslieferung an jene soziale Strukturen, die es durch den Akt der Emanzipation gerade zu überwinden galt." Emanzipation ließ sich hemmen oder beschleunigen, sie war aber weder aufzuhalten noch in ihrer Richtungstendenz zu verändern. Parteilichkeit und Politisierung erfüllten ihren Zweck, wenn sie den Prozeß beschleunigten. Die Überwindung des bestehenden Systems war als eine solidarische Aufgabe zu verstehen. Wenn Gamm von einem „mehrdimensionalen Emanzipationsprozeß" sprach, so meinte er damit, daß Wissenschaftler in ein Kooperationsverhältnis mit den Arbeitern eintreten sollten und daß die Erwachsenenbildung zu einer „kulturpolitischen Drehscheibe" werden müsse, welche diesen Prozeß in Gang setzt, indem sie „Information über die sozialen Widersprüche des eigenen Systems gibt"

Wir gehen nicht fehl in der Interpretation, wenn wir betonen, daß Gamm „Emanzipation" mit der Aktivierung einer Konfrontationsstrategie und einer subversiven Aktivität gleichsetzt, um letztlich mit der Revolution den Emanzipationsakt zu vollziehen. Soziale Konflikte auf dem Wege einer gewaltfreien Strategie zu lösen, wurde von ihm strikt abgelehnt, weil er dem revolutionären Kampf vor einer „naiven" Friedensidee und einer Friedenserziehung den Vorzug gab Verankert war sein Gedanke in der Sicht von Marx, der den Menschen als „Gattungswesen" interpretierte. Danach war der individuelle Mensch nur eine Erscheinung der „bürgerlichen Gesellschaft", die den „wahren" Menschen als Gattungswesen deformiert. Marx sah, wie Kerstiens zutreffend formulierte, „die Individualität als Privatheit, als Absonderung von dem anderen Menschen, der nur Schranke, nicht Verwirklichung der eigenen Freiheit ist; er möchte daher dieses egoistische Wesen des Menschen aufgehoben sehen, damit das reine, allgemeine Gattungswesen Mensch leben kann"

Die Marxsche Emanzipationstheorie erhielt ihre Sprengkraft, weil sie sich mit der Klassentheorie verknüpfte. Danach konnte nur das Proletariat eine radikale Emanzipation durchführen, durch die sich der Mensch als „Gattungswesen" verwirklichte. Nur das Proletariat würde die parzellierte und partikulare Existenz des Menschen aufheben und seine Freiheit als Form allgemeiner Menschlichkeit auf der Grundlage des Gemeinbesitzes und einer Gemeinschaft der Gleichen verankern. Zwei unterschiedliche Freiheitsbegriffe: die Freiheit der sozialistischen Gemeinschaft und die individuelle Freiheitsidee, stoßen hier diametral aufeinander. Die bürgerlichen Freiheiten wurden als egoistisch und die Grund-und Menschenrechte als bürgerliche Privilegien, als Privatinteresse und Privatwillkür interpretiert Im Grunde forderte Marx die

Preisgabe der personalen Identität zugunsten des „Gattungswesens", dessen Verwirklichung in der bisherigen Geschichte noch ausstehe. Mit Recht bemerkt Sutor dazu: „Der Marxsche Emanzipationsbegriff liegt nicht in der Linie der bürgerlich-liberalen Freiheitsbewegung und ihrer sozialstaatlichen Ergänzung und Korrektur, begreift nicht freiheitliche und gerechte Ordnung als ständige Aufgabe . .."

Die Vorstellung mit einem Akt der Revolution die „wahre Auflösung des Streits . . . zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung" zu vollziehen und damit das „Rätsel der Geschichte" zu lösen, bleibt eine unerfüllte marxistische Hoffnung, die aber den Gedanken einer Reduktion von Herrschaft immer wieder neu bewegt hat. Auch Gamm entzieht sich nicht diesem Zauber. Während das gegenwärtige System als anrüchig erscheint, fällt aller Glanz auf die noch nicht realisierte „neue" Ordnung, die sich durch Emanzipation verwirklichen wird. Dabei klingt auch bei Gamm der Gedanke durch, daß die propagierte Transformation sich nicht von heute auf morgen vollzieht: „Es dürfen vielmehr noch Jahrzehnte vergehen, ehe die Widersprüche des Systems auf ein gesellschaftlich entwickeltes, d. h. politisch und pädagogisch aufbereitetes Bewußtsein treffen, das neue Praxismodalitäten der Massen entwikkeln kann."

Dieser Denktyp, den auch Gamm repräsentiert, beruft sich auf den Grundgedanken von Marx, daß der Mensch sein Leben produziert und dessen soziale Beziehungen wiederum durch die Produktionsweise der Gesellschaft bestimmt werden. Die Entfaltung der Person, ihre Fähigkeit, die Welt sich anzueignen, sich selbst zu verwirklichen und mit anderen Menschen zu kommunizieren, werden durch die Gesellschaftsverhältnisse bestimmt. Das Proletariat wird zu der Klasse erhoben, die im Geschichtsprozeß zu dem Ziel der „neuen" Ordnung hinführt und den Menschen in eine Gemeinschaft einfügt, in welcher er seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden vermag und in der Selbstbestätigung, Freiheit und Spontaneität zur Realität werden.

Kritisch ist zu bemerken, daß jede nahtlose Überführung von Theorie in Praxis bisher jedenfalls utopische Vorstellung gebieben ist. Die politische Bildung hat daher eine solche Demokratietheorie zu befragen, ob nicht mit ihrer Parteilichkeitsthese das ideologische Bekenntnis an die Stelle der Erkenntnis, die politische Strategie an die Stelle kritischer Analyse gesetzt wird.

3. Rolf Schmiederer: „Herrschaft" und „Emanzipation" als Schlüsselbegriffe radikaldemokratischer Erziehung

Ziel der politischen Bildungsarbeit war und ist für RoH Schmiederer Demokratisierung und Emanzipation Er stützt sich in seiner Argumentation auf die bekannte Vorstellung von Galbraith, daß die intellektuellen und materiellen Ressourcen ausreichen, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen Die „Gesellschaft im Überfluß" bietet die Chance, auf den Zwang zur Arbeit zu verzichten und das Leistungsprinzip als „immer überflüssiger" aufzuheben. An die Stelle von Herrschaft und Repression werden daher Kooperation und Solidarität treten, welche den Konkurrenzkampf durch Kommunikation ersetzen. Dazu Schmiederer: „Entfällt aber die ökonomische Notwendigkeit von Herrschaft, dann bedeutet dies die Chance für die Emanzipation des Menschen -denn Emanzipation bedeutet letztlich die Befreiung von Herrschaft." Damit wird die ideale Zielrichtung mit „Herrschaftslosigkeit" beschrieben, mit der Beseitigung der sozialen Zwänge und der endgültigen Aufhebung von Herrschaft. Wer sich diesem grundlegenden Systemwandel widersetzt, zieht sich die Anklage zu, den Interessen von (überflüssiger) Herrschaft zu dienen.

Emanzipation heißt daher: „Befreiung von überflüssig gewordener Herrschaft und Unmündigkeit, von entfremdeter Arbeit und Lustverweigerung, bedeutet Verlust an Herrschaftspositionen und Privilegien für die Herrschenden und privilegierten Minderheiten in der Gesellschaft." Schmiederer beruft sich auf die „Kritische Theorie", und er vertritt mit ihren Repräsentanten die Überzeugung, daß „der einzelne, während sein . Lebensstandard'steigt, immer stärker in das System verflochten und den gesellschaftlichen Mechanismen und Institutionen gegenüber ohnmächtig wird .. Er übernimmt die für Emanzipationstheoretiker typischen Begriffe und weist der politischen Bildung eine Zielrichtung zu, die mit Demokratisierung und Emanzipation besonders Mündigkeit und Aufklärung, Selbst-und Mitbestimmung sowie gesellschaftliches Bewußtsein und Engagement anstrebt. Seine Kritik wendet sich im Anschluß an das antagonistische Gesellschaftsbild von Marx gegen Fremdbestimmung und Verdinglichung, gegen Unmündigkeit und Herrschaft. Mit dieser Begriffssprache setzt sich letztlich die dichotomische Denkweise durch, welche die Kluft zwischen der bestehenden Systemordnung und einer „kritischen Rationalität" charakterisiert. Demokratische Erziehung betreibt Herrschaftsanalyse und unterstützt den Widerstand gegen Ausbeutung und Herrschaft; sie tritt für die Transformation der Gesellschaftsordnung ein. Demokratische Erziehung kritisiert autoritäre Strukturen und ein entpolitisiertes Bewußtsein, welches die Ohnmacht der Menschen spiegelt. Das Programm für demokratische Erziehung enthält daher folgende Punkte: 1. Darstellung der irrationalen und inhumanen Beziehungen, Strukturen und Institutionen der Gesellschaft, welche die Selbstbestimmung des Menschen blockieren. 2. Aufklärung über die historischen Kräfte, welche die Transformation des Systems bewirken, und über die Formen des politischen Engagements, welche die Gesellschaft verändern. 3. Erörterung der gesellschaftlichen Strukturen, die für die Entfremdung des Menschen verantwortlich sind und seiner freien Entfaltung entgegenwirken. 4. Begründung der Frage, warum einzelne und soziale Gruppen Interessen folgen, die dazu dienen, andere Menschen zu beherrschen, zu unterdrücken und auszubeuten

Im Sinne langfristiger Strategie hat die Schule für mehr Demokratie und Humanität und für weniger Repression und Entfremdung zu wirken, d. h., sie trägt dazu bei, in der „kommenden Generation das Potential für gesellschaftliche Veränderungen zu entwickeln" Schmiederer folgt der Theorie von Jürgen Habermas, der sich für „eine Entwicklung der formellen zur materiellen, der liberalen zur sozialen Demokratie" einsetzt 54). Dabei wird die Frage, wie der Ausbau der sozialen Demokratie zu erfolgen hat und wie er mit dem Abbau der Staatsmacht zu verbinden ist, nicht erörtert

Aufklärung heißt: den Kampf gegen Affirmation und Systemerhaltung führen. Insofern ist Schmiederer konsequent, wenn er „den sozialen Interessenkonflikten eine vorrangige Stelle im politischen Unterricht einräumt."

Schmiederer gerät bei diesem Problem allerdings in eine zwiespältige Situation, denn der politische Unterricht erfordere einerseits politische Aktivität, weil sich die Solidarität der Betroffenen und der Engagierten sowie das praktische Verhalten in Konfliktsituationen nicht abstrakt lernen läßt und weil eine „rein verbale Aufklärung" nicht genügt. Andererseits aber erklärt er, daß „politische Aktivität kein absolutes Ziel sein kann. Sie darf keineswegs hypostasiert werden", und er fügt hinzu, daß man sich von der „politischen Aktion keine Wunder an Veränderungen der Verhältnisse oder der Bewußtseinsstrukturen versprechen" darf. Da nun allen gesellschaftlichen Interessen die „Intention einer Verwirklichung" zugrunde liege, vor allem denen, die man als Inhalt des eigenen Interesses erkennt, plädiert Schmiederer für eine „aktive Konfrontation mit der gesellschaftlichen Realität", um auf ihre „Konflikte, Widersprüchlichkeiten und Auseinandersetzungen situationsgerecht und realistisch" vorzubereiten

Wie soll dies konkret geschehen? Die Institution „Schule" hat sich dem Einfluß mächtiger Gesellschaftsgruppen zu unterwerfen und ist dem Zwang zur Anpassung und Integration ausgesetzt. Daher ist es „illusorisch, Schule und politische Bildung als den Hebel zur Reform der Gesellschaft anzusehen" Dennoch plädiert Schmiederer für eine „kritische" politische Bildung im bestehenden System. Seine Hoffnung richtet sich auf eine neue Generation von Politiklehrern, die sich gegen eine affirmative Bildung wenden soll.

Politische Bildung mit dem Ziel kritischer Aufklärung ist seiner Meinung nach Herrschaftsund Ideologiekritik und als Kritik der politischen Ökonomie zu interpretieren. Der junge Mensch soll lernen, sich in seiner Umwelt zurechtzufinden, um seine eigene Situation und sein Verhalten als gesellschaftlich bestimmt zu erkennen. Er soll seinen politischen Standort in der Gesellschaft finden, um mitverändernd in die soziopolitischen Auseinandersetzungen einzugreifen. Grundlage für die politische Bildung ist die Analyse der bestehenden Macht-und Gesellschaftsverhältnisse, der politischen Interessen und der sozialen Strukturen. Nicht realisierbar sind solche Forderungen von einem politischen Unterricht, der „von einem harmonischen Gesellschaftsbild ausgeht. Das Ziel kann auch nicht erreicht werden durch einen geistes-und ideengeschichtlich orientierten Unterricht, geschweige denn durch eine reine Darstellung von Institutionen, Staatsorganen und Organisationen" Schmiederer beruft sich auf Mollenhauer, der das Profil der politischen Bildung nicht mehr mit Begriffen wie Verantwortung, Gemeinwohl, Kooperation und Partnerschaft, sondern mit Kategorien wie Interesse, Herrschaft und Konflikt beschreibt, weil Herrschaftsstrukturen, Interessen und Ideologien im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang transparent zu machen sind.

Bei der Behandlung von Konflikten im Unterricht kommt es darauf an, nicht allen Scheingefechten der Massenkommunikationsmittel oder der Parlamente zu folgen, sondern vor allem die aus dem Bewußtsein verdrängten Konflikte „als strukturelle Widersprüche der Gesellschaft zu erklären und von bloßen Symptomen derartiger Konflikte zu unterscheiden" (Negt) Schmiederer will die gegenwärtige Gesellschaft beim Wort nehmen und ihr -nach der berühmten Formulierung von Marx -ihre eigene Melodie vorsingen. Ihr eigener Anspruch soll mit der gesellschaftlichen Realität konfrontiert werden. Schmiederer versteht Demokratie als Gesellschaftsverfassung, welche der Emanzipation des Menschen und dem Subjektcharakter des einzelnen dient. Er bezeichnet es als Aufgabe einer demokratischen politischen Erziehung, an der Beseitigung von Institutionen und Strukturen mitzuwirken, welche eine demokratisch nicht zu legitimierende Herrschaft aufrechterhalten. Schmiederer stellt als eine Hauptaufgabe der politischen Bildung die Aufdeckung von Manipulationstechniken und Verschleierungsmechanismen dar. Sie versteht sich zugleich als Ideologiekritik, aber diese soll sich nicht nur auf „fremde Staaten, Systeme und Ideologien richten, sondern muß vordringlich die eigene Gesellschaft mit deren eigenen Ansprüchen und dem Ziel menschlicher Befreiung konfrontieren" In Übereinstimmung mit Oskar Negt tritt Schmiederer für die Methode der systemimmanenten Kritik ein, die er für den Politikunterricht empfiehlt, der sich davor bewahren sollte, selber zur Ideologie zu werden.

Eine exzessive Fremdkritik ist ebenso wie eine radikale immanente Kritik zu problematisieren, weil diese Kritiktypen zu einer verzerrenden „Eindimensionalität" führen können. Weder die eine noch die andere Methode bietet eine Gewähr für eine „Kritische Rationalität", weil entweder die eine oder die andere Gesellschaftsform unter massive Anklage gestellt wird. Bei Schmiederer steht die Rationalität im Dienst der gesellschaftlichen Emanzipation. Der Verdacht fällt dabei immer auf die Interessenstrukturen, die den Bewußtseinsinhalten gesellschaftlicher Gruppen zugrunde liegen. Herrschaft und politische Macht sind der rationalen Kontrolle zu unterwerfen, um Widersprüche in der Gesellschaft aufzudecken und Ideologien zu entschleiern. Schmiederers Kritik richtet sich stets auf die eigene Gesellschaftsform, die verändert werden soll, während er andere Gesellschaftsformationen ausspart oder sie nicht mit der gleichen Akribie und der gleichen Kritikstrenge untersucht.

Hier liegt jedoch die Crux, weil sich die Antisystem-Vorstellung nur als „reale Utopie", als große Hoffnung auf die Möglichkeit von mehr Demokratie, Menschlichkeit und Freiheit fassen läßt. Die Kritik soll keine Systemkorrekturen bewirken und auch nicht zur Verbesserung des Systems beitragen, sondern die Verwirklichung der „realen Utopie" mit in Gang setzen. Dazu Schmiederer: „Unter einer realen Utopie verstehen wir nicht das in Einzelheiten festgelegte Bild einer zukünftigen Gesellschaft, die Postulate einer konkret ausgemachten, geschlossenen Zukunftsvision, die zum Dogma gerinnt. Es kann keine exakte Erforschung eines zukünftigen Zustandes geben . .."

Im Sinne von Ernst Bloch geht es um eine Funktion des Verstandes, in der die utopische Phantasie zur Geltung kommt, die sich „demnach über das Begreifen der bestehenden Wirklichkeit hinaus zum Begreifen des noch nicht Realisierten, aber real Möglichen" entwickelt. Die Utopie als „reale Utopie" stellt das „reale Gegenbild der bestehenden Wirklichkeit (dar), das in dieser schon angelegt ist und das zur Verwirklichung drängt, das aber, wenn es sich verwirklicht, das Bestehende überwindet"

Typisch an dieser Auffassung ist, daß man das Bestehende in seiner „inneren Begrenzung" sieht, die offenbar die radikale Negation rechtfertigt, ohne daß man eine Verantwortung für das Kommende übernimmt. Nur mit einer optimistischen Veränderungseinstellung läßt sich eine „Antizipation des guten Lebens" rechtfertigen. Die politische Erziehung hat aber im Blick auf eine „reale Utopie" auch mögliche Fehlentwicklungen, Risiken und Nebenfolgen mit zu bedenken, denn politische Entscheidungen tragen Wagnischarakter und niemand kann mit apodiktischer Sicherheit den Entwicklungsgang der Geschichte voraussagen. Wer glaubt, daß man die gesellschaftliche Entwicklung immer auf das Wünschbare und Bessere hinlenken kann, mißachtet gewöhnlich die harten Realitäten. Die Funktion der „realen Utopie" besteht in dem Entwurf eines Gegenbildes, und man verteidigt sie mit dem Hinweis, daß sie aus der kritischen Analyse bestehender Zustände deduziert wurde. Auf diese Weise findet die Erziehung „für die Zukunft" Ziele für das politische Handeln, die man einseitig fixiert, so daß die Versicherung von Schmiederer: „Eine Utopie im so verstandenen Sinne ist offen für eine beständige Revision durch die konkrete Wirklichkeit . . ." wenig glaubhaft klingt, weil für die Möglichkeit beständiger Korrektur jede Erfahrung fehlt, so daß sich „Offenheit" letztlich als reiner Verbalismus erweist

Schmiederer übernimmt in seinen Ansatz die gesellschaftskritische Variante des Neomarxismus, die ein emanzipatorisches Interesse fordert und die sich nicht zuletzt durch ihr Pathos der Herrschaftskritik auszeichnet. Er distanziert sich auch von linksliberalen Autoren, obwohl diese affirmative Positionen bekämpfen und Kritikfähigkeit und Kontroversen als wesentliche Faktoren politischer Urteilsbildung bezeichnen. Reduziert man, wie Schmiederer, die Gesellschaftsanalyse auf den Gegensatz: affirmativ — emanzipatorisch, so muß man sich mit einer Grobeinstellung von konservativer und progressiver Einstellung zufriedengeben. Politische Bildung hat danach zwei mögliche Funktionen: „Sie kann einerseits eine in die Zukunft weisende, fortschrittliche, den bestehenden gesellschaftlichen Zustand transzendierende, und andererseits eine affirmative, den Status quo konservierende und die bestehenden Herrschaftsverhältnisse verteidigende Funktion haben."

Dieser dichotomische Denkstil verengt die Problemlage, weil man die Position der Progressiven differenzieren muß und weil man eine affirmative Einstellung nicht nur kritisieren sollte. Tradition und Fortschritt sind in der politischen Bildung zu beachten, denn keine politische Gesellschaft kann Abschied von ihrer Geschichte nehmen, und keine kann sich Veränderungen entziehen. Dennoch plädiert Schmiederer für die Position der „stringent auf dem Marxismus fußenden Linken zur Politischen Bildung". Er hebt die gesellschaftlichen Antagonismen hervor, weil er in den ökonomischen Strukturen und politischen Machtverhältnissen Barrieren für die soziale Demokratie erblickt. Eine sozialwissenschaftlich bestimmte politische Bildung bietet für ihn die Gewähr, sich auf der Grundlage „kritischer Theorie" für Systemveränderung einzusetzen. A. Holtmann bezeichnet diese Position als „demokratisch-sozialistische Konzeption einer antagonistischen Gesellschaftsauffassung"

Diese kritische „linke" Didaktik ist nach Schmiederer aber nur in Ansätzen vorhanden. Ihr Fehlen erklärt er mit der Tatsache, daß politische Bildung nur wenig zur Veränderung von Grundstrukturen tun kann, weil sie letztlich „Erziehung zur Anpassung" bleibt und lediglich eine aufklärende Funktion ausübt. Ihr Schwergewicht verlegt die linke Didaktik dorthin, wo die politische Bildung bisher ihre größten Lücken besitzt: auf die Reflexion über die „gesellschaftliche Funktion" der politischen Erziehung, auf die Untersuchung über die sozialen Bedingungen und „Determinanten", welche politischen Unterricht bestimmen, sowie auf die Erörterung des Verhältnisses von politischer Bildung und Handeln. In ihrer Zielsetzung geht sie aus von „der realen Utopie einer gesellschaftlichen Emanzipation des Menschen und der Notwendigkeit einer Demokratisierung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens"

Als prominenter Vertreter dieser Richtung beharrt Schmiederer, wie andere sozialistische Politikwissenschaftler auf dem Standpunkt, daß die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht als „pluralistische", sondern als „Klassengesellschaft" einzustufen ist. Er teilt mit anderen den Vorwurf, daß Unterdrückung und Ausbeutung, strukturelle und personale Gewalt ihre Kennzeichen seien. Diese Einstellung rückt er in das Zentrum seiner Didaktik. Für den methodischen Ansatz empfiehlt er das kasuistische Prinzip, welches sich von dem üblichen „aktuellen Einstieg" oder „Aufhänger" unterscheidet. Mit dem Fallprinzip werden aktuelle und relevante Probleme, Konflikte und Ereignisse bearbeitet Das Interesse für den politischen Unterricht fördert man am besten durch die Analyse eines Falles, der die Eigeninitiative und Spontaneität der Schüler anregt.

Schmiederers Kritik richtet sich gegen das Prinzip der enzyklopädischen Vollständigkeit mit dem Hinweis, daß man sich auf das „Wesentliche" durch Schwerpunktbildung zu beschränken hat. Das Exemplarische im Unterricht bezieht sich auf ein Problem: auf den gesellschaftlichen Konflikt, der als „der relevante soziale Tatbestand" (Oskar Negt) bezeichnet wird Neuerdings wendet sich seine Kritik gegen die „derzeitige technokratische Wende in der Bildungspolitik". Die intensive Beschäftigung mit „oberster Lernziel-findung" und mit der „Legitimationsproblematik" führt zu einem „objektivistisch orientierten Unterricht", der, ob lernzielorientiert oder stofforientiert, immer stark lehrerzentriert ist, weil er den Schüler außer acht läßt und damit in eine Tendenz einmündet, die Schmiederer „entfremdetes Lernen" nennt. Als Konsequenz fordert er einen offenen Unterricht: den „schülerzentrierten Unterricht" als didaktisches Grundprinzip für den Politikunterricht Seine Kritik an der affirmativen Erziehung, am „entfremdeten" Unterricht und an der Anpassungsdidaktik zielt auf eine „kritische" Konzeption politischer Bildung, die sich neuerdings „zur unbegrenzten Analyse aller Systeme, Einrichtungen, politischen Richtungen usw." bekennt

Ein prinzipiell zu erörterndes Problem bleibt bei Schmiederer das utopische Denken, zu dem der Schüler befähigt werden soll. „Reale Utopien im Sinne von noch nicht erreichten, aber erreichbaren Zielvorstellungen" sind zu entwickeln und dabei „Elemente aufzuspüren, die im Vorhandenen schon das Zukünftige beinhalten, in denen ein zukünftiger, besserer Zustand zur Verwirklichung drängt" Dieser zukünftige, stets bessere Zustand ist nach seiner Interpretation als „herrschaftsloser Zustand" zu verstehen. Man muß die Frage stellen, ob nach historischer Erfahrung solche positive Zielsetzung nicht utopisch bleibt, weil sich Herrschaftslosigkeit nicht realisieren läßt

Karl Otto Hondrich weist in seiner Untersuchung über „Theorie der Herrschaft" darauf hin, daß durch die Neomarxisten die „verdeckte" Herrschaft in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist, denn es gibt Individuen in der Gesellschaft, die mit ihrer ökonomischen Macht die Bedürfnisse anderer Gesellschaftsmitglieder manipulieren. Die pluralistische Demokratie unterstützt nach dieser Interpretation Sonderinteressen und Privilegien. „Herrschaft" wird damit „negativ" als Barriere gegen jede gesellschaftliche Veränderung gedeutet. Sie wirkt als „ökonomische Herrschaft" in alle Lebensbereiche hinein Diese Auffassung erhält von Werner Hofmann folgende

Formulierung: „Herrschaft soll hier bedeuten institutionell gesicherte Nutznießung eines Teils der Gesellschaft gegenüber einem anderen", das heißt: „Herrschaft bezeichnet ein soziales Grundverhältnis, welches sich von der Macht und Autorität unterscheidet" Hof-72) mann erklärt Herrschaft als einen sozio-ökonomischen und nicht als politischen Tatbestand. Er bezeichnet die „Diktatur des Proletariats" nicht als Herrschafts-, sondern als Machtordnung.

Die Tendenz, das Herrschaftsphänomen auf kapitalistische Verhältnisse einzugrenzen, wird damit deutlich. Man versteht, warum man Herrschaftskritik und Herrschaftsabbau fordert, welche Ziele man mit der Herrschaftsveränderung verfolgt und weshalb „Herrschaftslosigkeit" einen zentralen Stellenwert in der emanzipatorischen politischen Bildung erhält:

Sie soll soziale Energien für den antiherrschaftlichen Kampf entwickeln, weil die „pluralistische Gesellschaft" nicht als reformierbar gilt. „Herrschaft" als ubiquitäres Phänomen zu begreifen, welches in allen Gesellschaftsformen auftritt, entspricht nicht dem erkenntnisgeleiteten Interesse dieser politischen Bildungsauffassung. Herrschaftskritik soll ihren polemischen und strategischen Funktionswert behalten. Man klammert wichtige Fragestellungen aus, welche die moderne Industrie-und Leistungsgesellschaft betreffen, die man heute vielfach als „postindustriell" oder „technotronisch" bezeichnet Die Fragen beziehen sich auf den Antagonismus von Kapital und Arbeit, der von Marxisten als das entscheidende Kriterium interpretiert wird, aber in Gesellschaften mit fortgeschrittener Entwicklungsstufe offensichtlich nicht mehr den gleichen Stellenwert erhält. Hondrich verweist darauf, daß Marxisten die Ansicht teilen, daß „jede theoretische Deutung kapitalistischer Staaten, die nicht von dem entscheidenden Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital ausgeht, das Wesen dieser Gesellschaft" verkenne. Jede andere Interpretation müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie den Interessen des Kapitals Vorschub leiste und der revolutionären Praxis, die ja ihre Impulse aus diesem Gegensatz beziehe, bewußt entgegenarbeite Die Beschwörung des Klassenkonfliktes ist aus theoretischen Gründen eine conditio sine qua non. Aber mit Recht stellt Hondrich die Frage, ob man den Klassenkonflikt noch als das grundlegende Merkmal der modernen Industriegesellschaften bezeichnen darf und ob sich soziale Veränderungen allein mit revolutionärer Strategie durchführen lassen Der Herrschaftsbegriff wird auf sozio-ökonomische Phänomene begrenzt und enthält eine bewußt antikapitalistische Tendenz, die sich auch in der politischen Bildung artikuliert. Dieser Parteilichkeitsaffekt ist typisch für die emanzipatorische Pädagogik, die sich als progressiv-fortschrittlich versteht und allen anderen Ansätzen und affirmative Züge vorwirft, obwohl es kein Bildungssystem gibt, in dem nicht affirmative Züge dominieren Auch Schmiederer ist sich dieses Sachverhaltes bewußt, wenn er bemerkt: „Keine gesellschaftlich herrschende Klasse und keine Regierung hat es sich je nehmen lassen, das Schulwesen -direkt oder indirekt, explizit oder implizit -als Forum zur Verbreitung der . richtigen', d. h. ihr genehmen politischen Auffassungen und Gesellschaftsbilder zu nutzen. " Dennoch kritisiert er die affirmative politische Bildung und setzt sich für die Utopie der Herrschaftslosigkeit ein, weil das Bestehende mit seinen inneren Begrenzungen überwunden werden soll. Es kommt für Schmiederer darauf an, im politischen Unterricht jene Phantasie zu entwickeln, die bereits das „real Mögliche und historisch Wünschenswerte" antizipiert und damit das Bestehende transzendiert. Mit dieser utopischen Phantasie hofft er jene politische Sensibilität zu entwickeln, die auf soziale Mißstände reagiert und Entfremdung und Unfreiheit anprangert. In der Kluft zwischen dem Bestehenden und dem historisch Möglichen sollen neue gesellschaftliche Organisationsformen entwickelt werden, welche die „deformierten Bedürfnisse" ablösen.

Diese utopische Phantasie bedarf m. E.der kontroversen Auseinandersetzung, denn der Jugendliche sollte nicht nur im Konfliktdenken und in der Interessengebundenheit des Handelns erzogen werden, sondern er muß auch wissen, welchen Spielraum er in einer freiheitlichen Demokratie erhält und welche Chancen ihm eine „Verfassung der Freiheit" einräumt. Realistisches und sachbezogenes Denken gehört in den politischen Unterricht, damit Problemlösungen diskutiert werden können. Die utopische Phantasie, welche eine herrschaftslose Gesellschaft als wünschenswert bezeichnet, kann mehr verführerische als aufklärende Wirkung besitzen, weil es der Jugend an dem nötigen Augenmaß und an politischer Nüchternheit fehlt, um zu sachgerechten Lösungen zu gelangen. Auch eine demokratisch organisierte Gesellschaft kommt nicht ohne Herrschaft aus, ohne Institutionen, um zu wirksamen Entscheidungen zu gelangen für Der emanzipatorische Pädagogen typische antiinstitutionelle Affekt findet sich bei Habermas vorgezeichnet Danach eröffnet erst der erfolgreiche Abbau repressiver Institutionen den Weg, um die Entfremdung der Individuen zu beseitigen. Effizienz und Funktionstüchtigkeit, die eine Grundlage für das „gute Leben" und für eine vielseitige Bedürfniserfüllung bilden, werden als das bloß „Technische" bezeichnet. Das institutionsfremde Denken behält die alte Unterscheidung von „Herr" und „Knecht" bei, denn Institutionen werden als ein „Gehäuse der Hörigkeit" gedeutet, in denen der Subjektcharakter der Individuen verlorengehe. Diese Gefahr sei allein durch politische Willensbildung zu bezwingen, die sich an das „Prinzip allgemeiner und herrschaftsfreier Diskussion" bindet

Die Auffassungsunterschiede treten deutlich hervor: Gegen die Überzeugung der Vertreter der „Kritischen Theorie" und gegen ihre Anhänger im Rahmen der politischen Bildung ist zu betonen, daß der Gedanke der Herrschaftslosigkeit kein sinnvolles Ziel für die politische Bildung der Gegenwart beschreibt. Hans Albert ist zuzustimmen, wenn er bemerkt: „Solange man ohne institutionelle Vorkehrungen dieser Art nicht auskommt -und es ist vorderhand nicht zu sehen, wie das zu bewerkstelligen wäre ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft nicht möglich. Die Idee einer solchen Gesellschaft gehört also in die Sphäre des utopischen Denkens." 4. Hermann Giesecke: Uminterpretation der liberalen Konflikttheorie („halbierter"

Marxismus)

Unter dem Eindruck der Spiegel-Affäre konzipierte Hermann Giesecke seine Konflikt-Didaktik 1965 und rückte die politische Konfliktsituation in den Mittelpunkt politischer Bildung. Unter dem massiven Verdacht der Protestbewegung, die seine Didaktik beschuldigte, die bestehenden Systemverhältnisse zu unterstützen, erfolgte mit seinem Neuansatz von 1972 eine Schwenkung von der liberalen Konflikttheorie Dahrendorfs zur „Kritischen Theorie" von Habermas. Der Anlaß hierfür lag sicherlich in der Aufbruchstimmung die sich in der Bundesrepublik durch folgenschwere Ereignisse ankündigte: z. B. durch die wirtschaftliche Rezession, den Aufschwung der NPD, durch die Studentenunruhen, die Verabschiedung der Notstandsverfassung etc. Giesecke litt unter der Behauptung, daß seine „Didaktik", welche die Lehrerschaft für die Konfliktanalyse gewann, die bestehende Herrschaft hypostasiere

Um so nachdrücklicher bekannte er sich jetzt zum Postulat einer „emanzipatorischen Erziehung", für die er konkrete Ziele suchte. Er interpretierte „Emanzipation" als Gegenbegriff zur bloßen Anpassung ans System, das sich durch Privilegierung und Unterprivilegierung kennzeichnen lasse. Emanzipation bedeute einen Zuwachs an Demokratisierung, mit dem man gesellschaftlich verursachte Abhängigkeiten beseitige. Dabei dachte er weniger an ein utopisches Fernziel der Gesellschaft, denn er versicherte nachdrücklich: „Es geht nicht um den Entwurf einer utopischen Erziehung für eine utopische (z. B. . sozialistische') Gesellschaft, der Boden dieses Konzeptes ist vielmehr die bestehende gesellschaftliche Gesamtverfassung mit ihren Konflikten und Widersprüchen." Es komme darauf an, den Emanzipationsgedanken ins Pädagogische zu übersetzen. Deshalb unterstrich er: „Emanzipation lernen ist keine Frage eines Ersatzes der . bürgerlichen'durch die . proletarische'Ideologie." Seine Position beschrieb er mit folgenden Worten: „Grundlage für meine eigene Konzeption ist das . erkenntnisleitende Interesse'an zunehmender Emanzipation und Demokratisierung." Pädagogisch wurde diese Zielrichtung in dem Augenblick relevant, als es gelang, bestimmte Lernleistungen zu initiieren und Lernziele zu definieren, die der Veränderung im Sinne einer Demokratisierung dienten. Giesecke intendierte, wie Kerstiens bemerkte, „dem jungen Menschen in seiner konkreten Lebenssituation Lernhilfen zu geben, die ihn motivieren und befähigen, an der Veränderung der Gesellschaft mitzuwirken, daß diese immer mehr gleichberechtigte Mitbestimmung aller zu ihrem Organisationsprinzip macht"

Giesecke erhob die „Mitbestimmung" zum neuen Zielbegriff, d. h., jeder Bürger sollte die politische Entwicklung hierzulande mit beeinflussen. Die Distanzierung zur proletarischen Emanzipation, auch zu Gedankengängen der „Kritischen Theorie" wurde deutlich, obwohl er den Emanzipationsbegriff für zentral hielt.

Giesecke bezog sich in seinem Neuansatz von 1972 auf die „Kritische Theorie", weil sie die „Totalität der Gesellschaft in historischer Dimension" darstelle und als „einzige gesamtgesellschaftliche Theorie" einen -wie er behauptete -fortgeschrittenen Diskussionsstand spiegele, der sich um eine inhaltliche Bestimmung des Demokratisierungsprozesses bemühe. Giesecke beschrieb diesen als einen Prozeß, „in dem Klassen und Gruppen um ihre politische Emanzipation, also um Freiheit von denjenigen, die über ihr Schicksal einseitig verfügen können, gegen andere Klassen und Gruppen kämpfen" Die liberale Konflikt-theorie verwandelte sich damit in eine marxistische. Er identifizierte die fördernden und hemmenden Kräfte in der Gesellschaft und versuchte, den jeweiligen Stellenwert der Gruppen in der Demokratiegeschichte zu bewerten. Strittig blieb für Giesecke, „ob die Herrschaft einiger über die Produktionsmittel noch jene Bedeutung hat, die Marx einmal an-nahm, und ob man aus diesem Tatbestand alle anderen menschlichen Abhängigkeiten hinreichend plausibel erklären kann". Strittig erschien ihm auch, ob die von Marx formulierte Arbeitskategorie „noch die große Bedeutung für die menschliche Selbstdefinition hat" Aus diesen Formulierungen geht eine gewisse kritische Distanz zu den orthodoxen und neomarxistischen Auffassungen hervor.

Für Giesecke blieb allein die Option für die „Kritische Theorie" übrig. Mit ihr übernahm er auch den dichotomisierenden Denkstil, der sich auf ein Entweder-Oder einstellt, aus dem sich unausweichlich „politische Parteilichkeit" ableitet, denn politische Bildung bleibt letztlich nicht neutral, weil sie sich für die Interessen der Schwächeren, Ärmeren und Unterprivilegierten einsetzt Dieses Engagement kann jedoch nicht „Revolution" heißen -„dazu taugt Pädagogik sowieso nicht noch Randalieren, noch hysterische Aktivität nach außen und schon gar nicht das Indoktrinieren politischer Phrasen", wie er bemerkte Auch mit dieser Passage distanzierte er sich von den marxistischen Theoretikern, aber er verzichtete nicht auf „Parteilichkeit", denn das allgemeine Lernziel politischer Bildung betreffe Kenntnisse und Fähigkeiten, die man zur Durchsetzung unterprivilegierter Interessen benötige. Ob solche Lernprozesse irgendwann zur Überwindung des kapitalistischen Systems beitragen, so wie es der didaktische Ansatz von Oskar Negt intendierte, bleibt für Giesekke offen. Mit der These vom klassenspezifisehen Charakter der politischen Bildung setzte Negt einen neuen Akzent in der bisherigen Diskussion den Giesecke durch einen weiteren ergänzte: „Der Bewußtwerdung dieser Klassenlage stehen alle offiziellen Instanzen der Gesellschaft im Wege: die Schulen, die Betriebe, die Massenkommunikation, sogar die übliche gewerkschaftliche Bildungsarbeit."

Als Fazit dieser Gedankengänge ergab sich für Giesecke folgende Einstellung: Er forderte als „historische Inhaltlichkeit“ eine „maximale ökonomische Unabhängigkeit" und bezeichnete diese als „Hauptziel aller Emanzipationsbestrebungen". Er setzte sich im neuen Ansatz für die fortschrittlichen Kräfte der Gesellschaft und ihre „Mitbestimmung" ein. Sein Parteilichkeitsstandpunkt unterschied sich von den marxistisch beeinflußten Theoretikern dadurch, daß er ein Plädoyer für den Klassenkampf vermied. Sein Eintreten für Unterprivilegierte bedeutete keine Zustimmung zur Revolution oder zum blinden Aktionismus. Eine emanzipatorisch politische Bildung habe sich der „formalen Un-Parteilichkeit oder Über-Parteilichkeit zu begeben", denn sie sei legitimiert, „Partei gegen diejenigen Gruppen oder Parteien zu ergreifen, die aufgrund ihrer objektiven Interessen Fortschritte an Demokratisierung zu verhindern trachten" Diese Parteilichkeitsthese richtete sich gegen die konservativen Vertreter der Disziplin und löste neue Kontroversen aus Mit dieser These wollte er die fortschrittlichen Implikationen des Grundgesetzes zum Ausdruck bringen: „Parteilichkeit heißt demnach nichts anderes, als die im Grundgesetz zugestandenen Chancen für die bisher Benachteiligten optimal zu realisieren." Ins Pädagogische übersetzt bedeutete es, man solle die obersten Lernziele aus dem Grundgesetz ableiten, das man historisch-dynamisch zu interpretieren hätte, d. h., es komme auf die optimale Durchsetzung der dort versprochenen Lebenschancen an Giesecke verkündete also keine neue Ideologie, sondern er versuchte, die Möglichkeiten und Grenzen emanzipatorischer Erziehung in diesem Rahmen aufzuzeigen

Mit Recht hat Kerstiens darauf aufmerksam gemacht, daß mit der Formulierung der Globalziele bei Giesecke noch nichts darüber ausgesagt wird, wonach sich das Individuum in seiner Selbst-und Mitbestimmung zu orientieren hat, weil die Sinnfrage offen bleibt. Gewiß soll der Jugendliche lernen, daß gesellschaftliche Verhältnisse veränderbar sind, aber diese sind nicht nur in ihrer Negativität zu interpretieren. In dieser Gefahr bleibt nach der Interpretation von Kerstiens aber jede emanzipatorische Pädagogik. Gieseckes oberstes Lernziel Mitbestimmung beinhaltet nach seiner Deutung „planmäßige Veränderung in Richtung auf zunehmende Demokratisierung der Gesamtgesellschaft". Hier ist die Frage zu stellen, wie sich dieses Hauptziel realisieren läßt. Nach Gieseckes Ansatz ergeben sich fünf Teilziele, die er mit der „Fähigkeit zur Analyse aktueller Konflikte", mit dem „Training systematischer gesamtgesellschaftlicher Vorstellungen", mit dem „historischen Bewußtsein, das Abhängigkeiten überwindet", sowie mit „selbständiger Informationsermittlung und -Verarbeitung" und mit dem „Training praktischer Handlungsformen, welche Interessen und Ziele verfolgen", beschreibt Gelernt werden muß, sich in Konflikten zu engagieren, eigene Interessen durchzusetzen und die Demokratisierung voranzutreiben. Eine Voraussetzung hierfür bietet die Fähigkeit, politische Konflikte richtig zu analysieren. Der jeweilige Konfliktfall ist in einen größeren Zusammenhang zu stellen

Gieseckes Politikbegriff bleibt auch in seinem neuen Ansatz erhalten, denn „Politik wird unter dem Aspekt der Widersprüche bzw.der Auseinandersetzung zwischen Menschen und Gruppen" gesehen Der aktuelle Konflikt soll bestehende Widersprüche aufdecken, so z. B.den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Eine Reflexion über gesellschaftliche Zusammenhänge und ökonomische Determinanten, über Interessen und über Verhaltens-leistungen ist in Gang zu setzen, damit man Selbständigkeit und Solidarität entwickelt, aber auch Strategien für die Konfliktlösung lernbar macht

Die politische Didaktik findet immer eine historisch entstandene Erziehungswirklichkeit vor, die sie zu erklären und nach den Maßstäben Emanzipation und Mitbestimmung zu kritisieren hat. Diese Kritik richtet sich gegen politische Entscheidungen, welche zu der bestehenden Erziehungswirklichkeit führten (Richtlinien, Lehrpläne etc.). Die Kritik an den politischen Institutionen untersucht, ob diese Chancen oder Behinderungen für den Bildungsauftrag bedeuten. Die politische Didaktik muß sich nach dem Diskussionsstand der Fachwissenschaften orientieren und mögliche Veränderungen beachten. Erst wenn die Fach-wissenschaft ihre Modelle revidiert, kann auch eine Korrektur der Didaktik-Modelle erfolgen. Giesecke ordnet daher die politische Didaktik in die Erziehungswissenschaft und nicht in die Politikwissenschaft ein. Er bemerkt dazu: „In diesem Sinne ist die politische Didaktik eine . Aufgaben-Didaktik'; sie thematisiert einen Komplex von Lernaufgaben, der aus dem Sinn unserer politischen Verfassung erwächst und den Unterrichtsfächern -und den auf diese bezogenen Hochschulfächern -vorgegeben ist." Aber für eine bestimmte inhaltliche Zielvorstellung will er sich weder in der Politik noch in der Pädagogik festlegen lassen, weil es nur „konkurrierende Endzielvorstellungen" gibt.

In diesem Sinne setzt sich Giesecke für kurzfristige Zielsetzungen ein, die der geschichtlichen Situation angemessen sind und die man im Laufe der Zeit überprüfen und revidieren kann. Sein Einwand gegen (auch partikulare) Endziele lautet: „Welchen Sinn kann es haben, heute z. B. das wünschenswerte Endergebnis der Sozialisation eines Arbeiterkindes sich auszumalen, wenn die gesellschaftliche Entwicklung bis zu seiner Volljährigkeit nicht ebenfalls antizipierbar ist?" Plausibler erscheint es ihm, unter Berücksichtigung seiner Leitideen charakteristische Situationen zu ermitteln, die Mitbestimmung und eine Rollen-erweiterung ermöglichen. Dieses Verfahren hält er nicht nur für praxisnäher, sondern auch für schneller revidierbar, d. h., er setzt sich für ein historisch-dynamisches Konzept ein, das „vom Standpunkt des jeweils erreichten historischen Entwicklungsstandes aus argumentiert". Dennoch bleibt die wissenschaftliche Grundlegung bei Giesecke unklar, denn Didaktik solle sich nicht nur nach der Fachwissenschaft, sondern auch an einer politischen Theorie orientieren. Giesecke bleibt aber auf seinem Wege vom liberalen zum marxistischen Konfliktdenken auf halbem Wege stehen.

Habermas richtete einst seine Kritik gegen den „positivistisch" halbierten Rationalismus. Wir kritisieren hier Gieseckes „halbierten" Marxismus und seine ablehnende Einstellung gegenüber der Systemtheorie. Die im Funktionalismusstreit aufgebrochene Kontroverse zwischen „Kritischer Theorie" und funktionaler Systemtheorie bringt letztlich das theoretische Denken nicht weiter: Weder der Handlungs-noch der Systemaspekt dürfen isoliert betrachtet werden, und weder der eine noch der andere Theorieaspekt sind zu verabsolutieren, denn die Individuen handeln immer in sozialen Systemen; ihr Handeln erfüllt dabei bestimmte Funktionen, die der Erhaltung des Systems, aber auch seiner zeitgemäßen Veränderung dienen.

Das Handeln ist daher als ein Element in der Funktionsstruktur des Systems aufzufassen. Es steht im Dienste von integrierenden, aber auch differenzierenden und strukturverändernden Prozessen, d. h., im Spannungsfeld dieses Handelns können sich Beziehungsverhältnisse herausbilden, die auf Konsens oder Konflikt beruhen. Die dichotomische Denkweise, die der „Kritischen Theorie" zugrunde liegt, gerät in eine Sackgasse, weil sich neue Problemlösungsformen durchsetzen, die an Stelle der „Revolution" eine „innovative Integration" verfolgen, denn „Integration erhöht die Fähigkeit eines Systems, sich in dieser komplexen und risikoreichen Umwelt seine Identität und Handlungsfähigkeit zu erhalten", wie Helmut Willke formuliert Diese Integrationsfähigkeit wird heute wegen der zahlreichen Herausforderungen an politische Systeme -unabhängig von ihren ideologischen Grundlagen -

gefordert. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele, die sich für die politische Bildung nutzen lassen. Diese hat die nötigen Problemlösungsfähigkeiten im Rahmen der praktischen Politik zur Darstellung zu bringen. Dabei geht es nicht mehr ausschließlich um Konfliktanalyse und Erziehung zum Konfliktdenken. In diesem Zusammenhang ist an die europäische Integrationsbewegung ebenso zu erinnern wie an gewerkschaftliche Integrationsprobleme und andere Beispiele. Daß man Integrationsprozesse stets gegen große Widerstände durchzuführen hat, bedarf keines Hinweises. Deshalb ist die Heranbildung von Konsensfähigkeit für jede politische Erziehung eine adäquate Aufgabe.

Wer im konkreten Aufklärungsdenken den Handlungs-und Systemaspekt zu berücksichtigen lernt, erkennt, daß es primär nicht mehr um die Beseitigung einer „Klassenlage", sondern um die zu entwickelnde Fähigkeit geht, sich in der komplexen, aber nicht determinierten Welt durch „gekonnte" Selektionen zu orientieren. Diese Problemlage gewinnt für die politische Bildung an Bedeutung. Daß sich „gekonnte" Selektionen auf der Grundlage eines gefestigten Wertbewußtseins vollziehen, bleibt unbestritten. Dieses Wertbewußtsein drückt sich heute in den Postulaten Frieden, personale Freiheit und sozialer Fortschritt aus. Eine praktische Politik, die sich zu diesen Werten als Leitzielen bekennt und für die sich eine politische Bildung engagiert, leistet für die Menschen mehr als Revolutionstheorien mit ihren Glücksversprechungen. Die Grenzen der Erkenntnis der . Emanzipationspädagogen'sind dort zu ziehen, wo sie integrative Tendenzen verurteilen, weil diese als Integrationsideologien nach ihrer Ansicht antagonistische Klassenstrukturen verschleiern. Daß konträre Interessenlagen und auch ideologische Gegensätze die praktische Politik in vielen Fällen nicht mehr hindern, Kooperationsverträge zwischen unterschiedlichen Gesellschaften abzuschließen, um wenigstens partielle Interessenkonvergenz herzustellen, wird von dieser politischen Bildungsform nicht thematisiert.

Dennoch schleifen sich ideologische Gegensätze durch die Praktizierung einer rationalen Politik ab, ohne daß sie damit verschwinden würden. Unbeschadet aller ideologischen Gegensätze steht die praktische politische Zusammenarbeit, die den Austausch von Menschen, Gütern und technologischem Know-how erleichtern soll, heute höher im Kurs als der Streit um ideologische Prinzipien. Dieser nüchterne Sinn, der die praktische Politik bestimmt, ist auch von der politischen Bildungsarbeit zu beachten.

III. Zur Standortbestimmung friedenspolitischer Erziehung

1. Vorbemerkung

Es ist recht still um die friedenspolitische Bildung geworden. Neuere Untersuchungen verfolgen den Verlauf und die Struktur der friedenspädagogischen Diskussion und machen eine kritische Bestandsaufnahme. Mit dem unüberhörbaren pessimistischen Unterton verbindet sich eine allgemeine Unzufriedenheit über ihre Leistung. Schierholz hat sie formuliert: „Diese . Friedenspädagogik'weist jedoch . . . wichtige logisch-theoretische . . . Defizite auf und ist in weiten Teilen auch an den Bedürfnissen und den Ansprüchen einer wissenschaftlich reflektierten Praxis schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit vorbeikonzipiert." Er bezeichnet die Disziplin als „Etikett für sehr heterogene Konzeptionen theoretischer oder didaktischer Ausrichtung, die unterschiedlichen Wissensgebieten wie Soziologie, Psychologie oder Politikwissenschaft entstammen" Offensichtlich ist auch er mit den Resultaten unzufrieden, denn es gelang nicht, einen Konsens über die Schlüsselkategorien Frieden, Konflikt und Gewalt zu erzielen. Die Kritiker der Friedenspädagogik monieren die Heterogenität der Ansätze, ihre Praxisferne, ihre Folgenlosigkeit und tadeln nicht zuletzt die Zersplitterung der Disziplin.

Während die Friedensforschung den skandinavischen Ländern und den USA weitreichende Anregungen verdankt, gehen die friedens-pädagogischen Diskussionen vor allem auf bundesrepublikanische Beiträge zurück. Die lange Dauer des Kalten Krieges und die damit verknüpften Gefahren regten die Aktivität der Friedensforscher an, die sich seit der Mitte der fünfziger Jahre intensiv mit dem Syndrom beschäftigten, welches man mit dem Begriff „organisierte Friedlosigkeit" (Senghaas) interpretierte.

In der politischen Praxis jener Jahre setzte sich die Drohpolitik durch, die den totalen Einsatz der Nuklearwaffen forderte, um „Abschreckung" zu erzielen Das bilaterale Abschreckungssystem beseitigte aber weder Zweifel noch Ängste, noch trug es zu einer ausgleichenden Konfliktregelung bei, die den „Abschreckungsfrieden" überwand. Auf der Drohpolitik lasteten neue Hypotheken, die einen verläßlichen und dauerhaften Frieden verhinderten. Der „negative" Frieden beruhte auf der Abwesenheit von Krieg und vermied kollektive Gewaltanwendung, aber er setzte sich dem Verdacht der Sanktionierung sozialer Unrechtszustände aus

2. Friedenspolitische Bildung -Kind des Atomzeitalters

Es ist kein Zufall, daß sich die friedenspolitische Bildung im Atomzeitalter als Sonder-zweig politischer Bildung und Pädagogik entwickelte. Die permanente Fortentwicklung der Zerstörungswaffen, der Rüstungswettlauf und die damit verbundene Gefahr der Selbstauslöschung der Menschheit gaben damals den Anstoß zu neuen theoretischen und didaktischen Überlegungen, mit denen man eine Friedenstheorie und Friedenspraxis verfolgte. Ohne das Wettrüsten und das Krisenbewußtsein und ohne die ideologische Konfrontation zwischen Ost und West hätte sich der Gedanke, eine allgemeine Bewußtseinsveränderung bewirken zu müssen, nicht durchsetzen können. Kurzfristig gesehen, ging es um das überleben und um die Entkrampfung der gegenseitigen Selbstfesselung von Ost und West sowie um die Erkenntnis, daß eine „Politik der Stärke" keiner Seite Vorteile bringen konnte. Darum fand die grundlegende These von Carl Friedrich von Weizsäcker ein breites Echo: „Der Weltfriede ist notwendig. Er ist die Lebensbedingung des technischen Zeitalters."

Weizsäcker, der Mitunterzeichner der Göttinger Erklärung von 1957, in der sich die Atomwissenschaftler weigerten, an einer Atomrüstung der Bundesrepublik mitzuarbeiten, forderte eine praktisch-moralische Anstrengung für den Weltfrieden, weil nur eine solche den humanen Gebrauch der Technik verbürge. Der Appell an die praktisch-politische Vernunft, eine Vertrauens-und Versöhnungsbasis zu schaffen, sollte das Feind-und Konfliktdenken eindämmen. Weizsäcker deutete die Friedlosigkeit als „seelische Krankheit", weil der Mensch seine eigene Friedlosigkeit in seine Umwelt projiziere. Friedlosigkeit mußte sich einstellen, da es nicht gelang, zwei Extreme zu vermeiden: destruktive Aggressivität und die blinde Emotion des Klassenkampfes Mittelfristig gesehen, hoffte er auf polyzentristische Tendenzen, d. h. auf eine allmähliche Auflösung des starren Blockdenkens; langfristig plädierte er für einen „Weltstaat" mit einem Waffenmonopol, welches den stabilen Frieden sichere.

Niemand bestreitet seit den fünfziger Jahren die Notwendigkeit, die Bipolarität zu überwinden. Es lag nicht zuletzt im Interesse der Supermächte, sich durch geeignete politische Schritte aus dieser Erstarrung zu lösen und partielle Kooperationen einzugehen. Mit der Pioklamation einer „friedlichen Koexistenz" verstärkte sich das Bemühen, die Politik der Trennung und Isolierung abzubauen. Die Friedensforscher richteten den Blick auf die großen Zukunftsaufgaben der Menschheit und auf die Möglichkeiten ihrer Realisierung. Auch Pädagogen bezogen jetzt das politische Macht-und Prestigedenken sowie die Hintergründe für die ideologische Konfrontation mit in ihr Denken ein und überprüften Sündenbocktheorien und einseitige Schuldkataloge. Dabei entwickelten sich unterschiedliche Denkansätze, die bestimmte Aspekte und Determinanten in den Vordergrund rückten.

Die wichtigste Aufgabe friedenspolitischer Bildung erblickte die erste Generation der Friedensforscher darin, sich gegen die kollektive Gewalt und gegen die Abschreckungspolitik zu wenden. Weil sie sich für eine „gewaltfreie" Problemlösung engagierten und integrative Tendenzen förderten, stießen sie bald auf eine wachsende Skepsis der jüngeren Friedensforscher, die den „manipulierten" Frieden kritisierten, weil ganze Bevölkerungsschichten in einen Zwangsfriedenszustand gerieten, der sich zum Vorteil für die „Herrschenden" auswirkte, da er „strukturelle" Abhängigkeiten konservierte. Diese jüngere Generation beurteilte die Strategie, die von einer symmetrischen Konfliktlage ausging, noch wesentlich kritischer als die ältere Generation, weil diese die asymmetrischen Konflikte, die sich aus der Nord-Süd-Spannung ergaben, noch weitgehend ausklammerte

Das Friedensdenken bewegte zuerst die Frage: Wie wird der „große" Krieg vermieden? Es kam darauf an, die Supermächte vor irrationalen Handlungsweisen zu bewahren und sie für eine „rationale" Politik zu gewinnen, welche der partiellen Kooperation Impulse gab. Johan Galtung als Symbolfigur dieser Forschergeneration trat für „symmetrische Kooperation" und für den Aufbau supranationaler Organisationen ein Er beschrieb die einzelnen Elemente einer Friedensstruktur, die eine autonome und gerechte Entfaltung des Ganzen in seinen Teilen ermöglichte, mit folgenden Begriffen: Symbiose (Interdependenz der Teile), Symmetrie (gleiche Abhängigkeit voneinander), Homologie (strukturelle Gleichartigkeit), Entropie (Verflechtung der einzelnen Akteure) und Transparenz (supranationale Organe sollten den einzelnen Akteuren als Treffpunkt für Verhandlungen dienen).

Die Zunahme gegenseitiger Abhängigkeit machte Assoziation dringlicher als Dissoziation. Ein erfolgreicher Entkrampfungsprozeß der isolierten Blöcke mit ihrer ideologischen Intoleranz erforderte den Aufbau eines Beziehungsnetzes, welches der assoziativen Politik eine Chance gab, Kommunikationen über ideologische Barrieren hinweg zu knüpfen. Doch die Verfechter der „assoziativen" Politik stießen auf harte Kritik, weil sie den kooperativen Aspekt überdehnten, ohne den bestehenden Konfliktlagen gerecht zu werden. Den „Fusionspolitikern" unter den Friedensforschern widersprachen nun jene, die den Akzent auf Abgrenzung legten und die antagonistischen Interessen herausstellten.

Seit dem Vietnamkrieg und dem innenpolitischen Protest in den westlichen Demokratien konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Disparitäten in den Lebensbereichen der einzelnen Gesellschaften und auf die dominanten Abhängigkeitsstrukturen, welche das Macht-gefälle zwischen den Zentrum-und Peripherienationen spiegelten. Damit sprach man die ungleiche Chancenverteilung innnerhalb des Beziehungsgeflechtes von Industrie-und Entwicklungsstaaten an, und man warf das Problem der Ungerechtigkeit und Ausbeutung aufgrund der bestehenden Strukturen auf. Der Ausbeutungsbegriff erhielt in diesem Zusammenhang einen Doppelaspekt: Er thematisierte das starke Gefälle von Industrie-und Entwicklungsnationen und das soziale Problem der ungleichen Chancen, welches sich aus der vertikalen Arbeitsteilung ergibt, die solche Abhängigkeitsstrukturen zementiert. Das vielschichtige Dominanz-Dependenz-Verhältnis verlieh der Imperialismusforschung neue Akzente, die besonders den asymmetrischen Konfliktlagen nachging

Die jüngeren Friedensforscher legten ihren thematischen Schwerpunkt nicht auf die Eindämmung der Konflikte und ihre Regelung, sondern auf die Herrschaftsanalyse und auf die Enthüllung emanzipationshemmender Strukturen. Damit verschoben sich die Aspekte, denn die „kritische“ Richtung betonte nicht — wie die „traditionelle " — die Konflikt-reduktion, Kompromiß und Kooperation, gegenseitiges Vertrauen und Integrationsprozesse (die man jetzt vielfach negativ bewertete), sondern aktivierte die Konfliktfähigkeit, die man wegen der gesellschaftlichen Widersprüche und wegen des Zusammenhanges von Herrschaft und gesellschaftlicher Struktur legitimierte. Der Wandel dieser Forschungsinteressen läßt sich am Beispiel der Thesen von Hermann Schmid darstellen. Hatte Galtung noch für den symmetrischen Konflikt assoziatives und integratives Friedensdenken befürwortet, so stellte Schmid die inkompatiblen Interessen heraus. Antagonistische Konflikte lassen sich nach seiner Auffasssung nicht durch den rationalen Dialog oder durch ’ Spielregeln bereinigen, sondern dazu bedürfe es struktureller Veränderungen Nach dieser Auffassung kam es darauf an, die Machtverhältnisse zwischen den Kontrahenten so zu verändern, daß sich der Strukturwandel durchsetzen ließ. Ihre Kritik richtete sich gegen eine Friedensideologie, die sich für eine kooperative und integrative Strategie einsetzte, sich für Kompromisse und für einen gewalt-freien Handlungsstil aussprach. Während die Integrationstheoretiker sich mit der assoziativen Strategie dem Ideologieverdacht aussetzten, verfolgten die Polarisationstheoretiker eine revolutionäre Methode. Eine Konfliktvermeidungsstrategie blockiert nach ihrer Version die Revolution, welche erst die „strukturelle Gewalt” beseitigen würde.

Die Kontroverse hierüber teilte das Lager der Friedensforscher. Lars Dencik, Symbolfigur für die kritisch-revolutionäre Richtung, hielt die Revolution zwar für eine „komplizierte, aber notwendige Methode zur Erlangung einer qualitativen Veränderung der etablierten Machtstrukturen .. Die „konservative" Friedensforschung bot danach keinen realistischen Problemlösungsweg an, weil man die friedenserhaltende Funktion des Abschrekkungssystems bezweifelte. Dazu Dencik: „Die Errichtung des , Friedens im Sinne von Abwesenheit von Gewalt'wird damit gleichsam zu einem Synonym für Befriedung und Friedensforschung wird zu ihrer Technologie. Eine auf dieser Annahme beruhende Friedensforschung wird, wenngleich nicht absichtlich, so doch implizit, den Interessen der Mächtigen und dem Status quo dienen. Sie wird zur konservativen Ideologie im . wissenschaftlichen'Gewand."

Jede Theorie der Konfliktregeiung und eines Ausgleiches des Machtgefälles zog sich nun den Vorwurf einer Verschleierung der unüberbrückbaren Kluft von Privilegierten und Unterprivilegierten zu, weil eine folgenlose Reformstrategie die bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse nicht verändere. Damit wurde die Kluft zwischen der Integrations-und Polarisationstheorie sichtbar. Ihr jeweiliger Begriffs-apparat, das Erkenntnisinteresse und die Forschungsstrategien unterschieden sich deutlich voneinander: Die . funktionalistische'Perspektive zielte auf Konsensfähigkeit und Interessenkonformität, während die . revolutionäre'Perspektive den Dissens und Interessenantagonismus, die strukturbedingte Inkompatibilität und die Gewalt herausarbeitete. Eine Uberbrückung dieser beiden Denkrichtungen, die bald zur Polarisierung der neuen Forschungsrichtung führten, war nicht in Sicht, weil man ein gemeinsames Verständnis in bezug auf den Friedens-, Konflikt-und Gewaltbegriff nicht entwickeln konnte. Die jüngeren Friedensforscher setzten sich für eine Verschärfung der Argumentation ein; Lars Dencik plädierte dafür, den systemkonservierenden Pazifismus durch Marxismus, den „negativen" Frieden durch Revolution zu ersetzen. Die marxistische Theorie als Denkrichtung brach in die Friedensforschung ein, indem sie Konfliktaktivierung und Revolution als Mittel der Problemlösung empfahl Beide Denkrichtungen beeinflußten die Friedenspädagogik, die sich mit dieser Kontroverse auseinander-zusetzen hatte. Die Renaissance des Marxismus machte sich auch in diesen Teilbereichen der politischen Pädagogik bemerkbar. Über die Aspekte und die adäquaten Aufgaben einer friedenspolitischen Bildung mußten nunmehr zusätzliche analytische und praxeologische Reflexionen angestellt werden.

3. Zum Begriff und zur Aufgabe der Friedenspädagogik

Für die Wirksamkeit der Friedensforschung war ihr Einfluß auf die politische und pädagogische Praxis wesentlich, denn sie wollte als „angewandte" Disziplin auch Beiträge zur allgemeinen politischen Bewußtseinserhellung leisten. Mit der friedenspädagogischen Dimension rückte sie neue Schwerpunkte in den Mittelpunkt des Interesses. Zwar folgten die ersten Vertreter der Friedenspädagogik noch weitgehend ihren eigenen Intentionen, aber diese neue Disziplin geriet mit der Zeit in ein „Abhängigkeitsverhältnis zur Friedensforschung .. ., das ihr die Funktion zuwies, Erkenntnisse und Ergebnisse der Friedens-und Konfliktforschung in politische Bewußtseinsbildung umzusetzen"

Eine solche Umsetzung verlangte von der jungen Generation, daß sie ein Verständnis für die gegenwärtigen Strukturen im Weltstaatensystem, für die sozio-ökonomischen Prozesse in den Systemen und für die Triebstruktur des Menschen entwickelte. Man mußte ein realistisches Bild der Verhältnisse auf diesen Betrachtungsebenen entwerfen und die „Schizophrenie unseres Zeitalters" enthüllen, die sich in der Zerrissenheit und Aufsplitterung in feindliche Blöcke und Gruppierungen darstellte. Aber man durfte andererseits nicht jene Prozesse übersehen, die eine „globale Interdependenz" durch funktionale Kooperationen wachsen ließen, und solche Bestrebungen brauchten andere als nur konfliktorientierte Verhaltensweisen. Mit dem Willen zur friedlichen Zusammenarbeit mußte man über nationale, ideologische und auch religiöse Konflikte hinaus denken lernen: „Der bessere Frieden von morgen verlangt von uns: Schutz gegen jede Form von Gewalt, militärische und strukturelle, Schutz gegen weltweite und innerstaatliche soziale Ungerechtigkeit, Beseitigung ungleicher Chancenlagen, Herstellung der Gedankenfreiheit in aller Welt, größere Selbst-und Mitbestimmung der betroffenen Menschen."

Friedenspädagogik förderte Lernprozesse auf den drei Hauptebenen: sie erklärte und analysierte die zwischenstaatlichen Systemstrukturen, die sozio-ökonomischen und auch die personalen Strukturen. Damit stellte der Friedenspädagoge sein Wirken in den Dienst einer erweiterten Bewußtseinshaltung, die sich mit aller Klarheit die Alternative vor Augen hielt: „Wir werden in einem Zustand leben, der den Namen Weltfriede verdient, oder wir werden nicht leben" (C. F. v. Weizsäcker).

Der Begriff „Friedenspädagogik" läßt sich von drei verschiedenen Ebenen her interpretieren: 1. Die erzieherische Ebene bemüht sich um intentionale Erziehungsmaßnahmen für den Frieden;

2. die didaktische Ebene arbeitet Vorschläge, Modelle und Unterrichtseinheiten aus;

3. die wissenschaftliche Ebene reflektiert über die Ziele, Inhalte und Methoden, um zu einer Friedenstheorie zu gelangen. Danach war es wichtig, daß man theoretische, didaktische und praktische Erörterungen miteinander verschränkte Anfangs richteten die Friedenspädagogen ihre Aufmerksamkeit mehr auf eine generelle Gesinnungsreform, mit der sich der Wandel im Denken vollziehen sollte. Sie stützten sich auf den berühmten Satz in den Gründungspapieren der Unesco:

„Da Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen, muß in den Köpfen der Menschen Vorsorge für den Frieden getroffen werden." Mit der Hoffnung auf eine weltbürgerliche Gesinnung verknüpfte sich die optimistische Einstellung, religiöse und rassische Vorurteile und auch nationale Klischees abzubauen. Eine internationale Verständigung hing nicht zuletzt von der allgemeinen Mißbilligung physischer und psychischer Gewalt ab. Sie konnte durch die Begegnung der Jugend und durch Jugend-austausch aktiv gefördert werden, weil erst die praktische Erziehung Grundlagen für die Friedensfähigkeit schuf, welche der Leitlinie folgte: „. .. nicht der Krieg, sondern der Friede (ist) das allein erstrebenswerte und für den Fortbestand der Menschheit notwendige Ziel“ Der pädagogische Einsatz dafür ließ sich nicht zuletzt auf der affektiven Ebene führen.

Hartmut von Heutig beschrieb Friedenserziehung als „Erziehung zur Empfindsamkeit, ja zur Empfindlichkeit, zum Leiden am Unrecht .. ." Hentig gehörte mit zu den ersten Pädagogen, welche die Aufgabenfülle, die sich auf der kognitiven, affektiven und normativen Ebene ergab, in Einzelpunkten zusammenfaßte.

In etwas verkürzter und modifizierter Form lauteten sie: Erziehung zum Leiden an Unrecht und zur Gewaltlosigkeit, zur Erkenntnis der Schrecken des Krieges und dazu, daß der Friede keine totale Harmonie bedeutet; Erziehung zu kritischer Haltung und zum Mißtrauen gegen ideologische Dogmen sowie zum Ungehorsam und Widerstand, zum Streit und Konflikt, weil starre Anpassung und Konformität den Freiheitsspielraum des einzelnen einengen; Erziehung zu kritischer Realitätsprüfung und zur Veränderung internationaler, nationaler, sozialer und seelischer Verhaltensweisen; Erziehung zu neuen Bewußtseinsformen, welche antiquierte Begriffssysteme überwinden; Erziehung zum sozialen Weltfrieden und zur Entwicklungshilfe als weltweitem Lastenausgleich Dieses Programm skizzierte die Größe der zu leistenden Aufgabe und es vermittelte einen Eindruck von dem Unterschied zur traditionellen Pädagogik. Es signalisierte, daß sich eine Sonderdisziplin entwickelte, für die es keine Vorläufer gab. Die große Aufmerksamkeit, welche die Friedenspädagogik selbst im Ausland fand, beruhte auf der Hoffnung und Chance, das alte Feinddenken -trotz der ideologischen und strukturellen Probleme -zu überwinden. Die tiefe Abneigung gegen kriegerische Gewalt artikulierte sich in vielen öffentlichen Stellungnahmen, nicht zuletzt in denen der Kirchen. Beispielhaft sei auf die evangelische Denkschrift „Friedensaufgaben der Deutschen" verwiesen, welche sich an die Vernunft und das Gewissen der Politiker wandte, sich der vordringlichsten Aufgabe, dem politischen und sozialen Weltfrieden, zu widmen

4. Zur Kritik und Typologisierung der Friedenspädagogik durch F. Hamburger

Franz Hamburger unternahm den Versuch, die heterogenen Ansätze der Friedenspädagogik zu ordnen und kritisch zu würdigen Er entwarf folgende Typologie zur Transparenz friedenspädagogischer Konzeptionen: 1. Der idealistisch-appellative Ansatz faßt die Arbeiten zusammen, die an Friedensgesinnung und Friedfertigkeit appellieren. Als exemplarisches Beispiel zitiert er Robert Ulich: „Alle echte Erziehung ist erfüllt von zwei sich überschneidenden Ideen. Die eine ist die Idee der Menschlichkeit, die andere ist die Idee der Menschheit." 2. Der individualistisch-einübende Ansatz erblickt seine primäre Aufgabe in der Verhaltens-und Einstellungsänderung des Individuums. Als exemplarisches Beispiel zitiert er Dieter Emeis: „Die Menschen müssen sich in ihrem Bewußtsein und in ihren Handlungsgewohnheiten ändern, damit sie die Verhältnisse zum Frieden hin ändern können." 3. Der gesellschaftsbezogen-aufklärende Ansatz richtet sich auf die Bewußtseinsveränderung der Individuen, welche den Wandel der gesellschaftlichen Strukturen bewirken. Als exemplarisches Beispiel läßt sich hier Dieter Senghaas anführen, der die Emanzipation des menschlichen Bewußtseins aus Zwängen und den Abbau von Herrschaftsverhältnissen als Voraussetzung zum Frieden bezeichnete

Mit dieser Typologie verknüpfen sich drei charakteristische Erziehungseinstellungen: 1. die Gesinnungserziehung, 2. die Verhaltenserziehung und 3. die Emanzipationserziehung, die jeweils ihren Schwerpunkt auf die abstrakte Friedensidee oder auf friedensfördernde Verhaltensweisen oder auf die gesellschaftlichen Strukturen verlegten.

Die friedenspädagogischen Schriften, die zum ersten Ansatz gehören, bezeichnen den Menschen als friedliebend, jedoch durch seine aggressiven Kräfte gefährdet. Der moralische Appell hat die Funktion, Aggressivität abzubauen und mit einer Kultivierung des Innen-lebens eine harmonischere Gesellschaft aufzubauen. Diese Idealisierungs-und Harmonisierungstendenz spiegelt sich im Begriff „Weltgemeinschaft". Damit umging man den politischen Aspekt des Friedens und stellte die affirmative Bindung an die gegebene System-ordnung heraus. Man verlegte die Ursachen von Konflikten in geistige und moralische Einstellungsfehler. Solch unpolitisches Selbstverständnis machte diesen Ansatz letztlich „zu einer politisch dienstbaren oder die politischen Strukturen stabilisierenden Friedenserziehung"

Die Texte des zweiten Ansatzes beschreiben die Aggression als vererbbare Anlage und als reaktives Phänomen. Man erörtert geeignete Aggressionsventile für den einzelnen, um ihn zur Friedensfähigkeit zu erziehen, aber die sozialen Ursachen der Aggression, d. h. die sozio-ökonomischen Strukturen, die Konflikte hervorrufen, bleiben ausgeklammert. Im reibungslosen Funktionieren der Gesellschaft erkannte man eine wesentliche Bedingung des Friedens Ähnlich dem Postulat nach gesellschaftlicher Integration der Individuen erhob man die Forderung nach Integration aller Nationen in eine einheitliche Weltordnung. Aber auch in diesem Fall fragte man -so Hamburger -nicht, ob „die Bedingungen der Integration für alle gleich sind oder ob die Forderung nach ausschließlich integrativen Konfliktlösungsregelungen partiellen Interessen entspricht"

Selbstbewußtsein und Ichstärke als anthropologische Bedingungen für Frieden thematisieren die Texte des dritten Ansatzes. Aber Drohpolitik und Abschreckung nach außen sowie die Konservierung von Herrschaftsverhältnissen nach innen blockieren solche Intentionen, so daß erst mit der Durchbrechung dieses Zirkels Frieden zu ermöglichen ist Im Abschreckungssystem konfrontiert man die Menschen ständig mit Freund-Feind-Bildern und induziert Aggressivität von höchster Stelle aus, daß eine „solche Politik einer politisch kalkulierten Erziehung der Gesellschaft zum Unfrieden" gleichkommt. Friedens-erziehung muß nach Senghaas „aus der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen kollektiven Unfriedens resultieren"

Hamburger verwies im Rahmen dieses Ansatzes auf zwei exemplarische Positionen: Die eine betont die gesellschaftlichen Strukturveränderungen und den Abbau von Herrschaft -also die „strukturellen Bedingungen von Frieden" -, die andere hebt die „geistigen Anstrengungen" hervor, die, „ähnlich wie beim idealistisch-appellativen Ansatz, Frieden als ein vornehmlich geistiges Problem erscheinen lassen". Diese zweite Position wird vom Verfasser vertreten. Senghaas hält die Konfliktlösungen erst dann für möglich, wenn man die strukturellen Ursachen beseitigt, während für den Verfasser geistige Leistungen der einzelnen, z. B. ein hohes Maß an „Verantwortungsethik", insbesondere bei den „Einsichtigen", nötig sind, um Frieden herbeizuführen.

Nach der Interpretation Hamburgers wird hier „Frieden als Sachproblem verstanden, das technisch-funktional gelöst werden muß". Die „Uneinsichtigen" sind dann diejenigen, die „Ideologien" verbreiten oder gar Revolutionen anstiften

Er kritisiert diese „technokratische Version der Friedensvorstellung", weil sie politische Alternativen ausschließe. Um zu einem solchen Friedensverständnis zu gelangen, wäre es nach Hamburger für die Autoren dieser Position nötig, einen obersten Wert zu setzen, der sich funktional dem Konfliktregelungs-Systemzuordnen ließe. Er bemerkte: „Dieser Wert wird von Assel abstrakt als „Weltgemeinwohl'angegeben. Auch von diesem unbestimmten Weltgemeinwohl her werden revolutionäre und dissoziative Tendenzen verurteilt, ohne daß gefragt wurde, wem dieses Weltgemeinwohl nützt..." Der Begriff „Weltgemeinwohl" hat nach seiner Auffassung die Aufgabe, bestimmte Interessen geschickt zu verbergen und eine rein ideologische Funktion auszuüben Bei der Erörterung dieses Begriffes ging ich von der Welthungerkatastrophe aus und betonte, daß wir unter Zeitdruck stehen, den sozialen Weltfrieden zu organisieren. Die Mittel hierfür müßten von Ost und West aufgebracht werden, wenn man die Gefahr der Nord-Süd-Spannung überwinden wolle. Die Solidarität mit der Dritten Welt erfordert neue politische Vorstellungsformen, d. h. ein „kooperatives Bewußtsein, das sich mit aller verfügbaren Aktivität in den Dienst eines . Weltgemeinwohls'stellt. Ideologische Konflikte von einst verblassen unter diesen neuen Aufgabenstellungen." Das „Weltgemeinwohl" läßt sich nur als regulative Idee verstehen, die ein neues Verantwortungsbewußtsein im politischen Handeln mit aufbauen helfen und die praktische Politik mit stimulieren soll, entsprechende Strategien zu entwickeln. Insofern wirkt der Begriff nicht abstrakter und utopischer als viele andere Zielbegriffe in der politischen Bildung. Hamburger kritisierte diese Position, weil sie im Dienste der Anpassung und Stabilisierung stehe und damit einen Beitrag zur Deformation der politischen Pädagogik leiste. Letztlich ging es bei dieser Debatte um die Frage, wie man dem friedlichen Zusammenleben der Völker Auftrieb geben und wie man aus unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen ein reziprokes Handeln entwickeln könnte.

5. Zur Kritik und Phaseneinteilung der Friedenspädagogik durch H. Schierholz Henning Schierholz übte mit der These: „Die Friedenspädagogik ist in die Krise geraten" eine umfassende Kritik an der jungen Dis-ziplin Er führte die Krise vor allem auf konzeptionelle Mängel zurück. Senghaas z. B. kritisierte zu Recht die sich reproduzierenden Bedingungen des Unfriedens durch die „organisierte Friedlosigkeit", welche einen qualitativen Wandel in der Politik nötig mache Die Beseitigung von latenten und manifesten Gewaltstrukturen lasse sich nur durch eine objektive Analyse der Konflikte einleiten. Schierholz rügte an dieser Blickrichtung die Ausblendung der pädagogischen Dimension, aber sprach ihr das Verdienst zu, den gesellschaftspolitischen und herrschaftssoziologischen Aspekt in der Friedensproblematik eingeführt zu haben

Schierholz bewertete auch die einsetzende Abkehr von den Triebkonzepten als positiv, weil er im Gegensatz zu anderen Autoren in der Triebkomponente kein Hauptmerkmal für die gesellschaftliche Unfriedensstruktur erblickte. Er verwies auf die von Herbert Selg geübte Kritik am Triebmodell, der die Lehrmeinungen von Lorenz und Freud ablehnte Mit der Relativierung dieser Konzepte konnte man die biologisch orientierten friedenspädagogischen Auffassungen kritisieren.

Mit der Analyse der jungen Disziplin stellte sich für Schierholz vor allem die Frage, ob sich der Anspruch einlösen und die Vermittlung von Theorie und Praxis realisieren lasse. Er wollte den praktischen und wissenschaftlichen Stellenwert der Friedenspädagogik ermitteln, wobei er eine Phasen-Einteilung vornahm, die als erste Phase die Jahre 1965-1969, als zweite Phase die Jahre 1969-1971 und als dritte Phase die Jahre 1972-1975 umfaßte.

Ich fasse seine Ergebnisse in verkürzter Form zusammen, um einen Überblick über die einzelnen Ansätze zu geben. Die einschlägigen Arbeiten spiegeln in der Frühphase eine humanistische Gesinnung, die sich auf die großen Ideale von Menschenwürde und Freiheit beruft. Schierholz zitiert hier besonders Hermann Röhrs und H. J. Gamm. Ihre Intention heißt: durch Friedenserziehung eine Friedens-gesinnung aufzubauen, welche Verantwortung fördert. Der Mensch soll zum Gestalter einer friedfertigen Welt werden, die kritisches Bewußtsein, weltpolitisches Verständnis, welt-bürgerliche Gesinnung und internationale Verständigung durch den Abbau von Vorurteilen leistet. Dieses besonders von Röhrs formulierte Programm zielt auf einen Wandel im Denken und ist der geisteswissenschaftlichen Tradition verpflichtet Der Friedenserziehungsprozeß soll durch Tourismus, internationale Begegnungen, Schüleraustausch und Gast-lehrer Unterstützung erhalten. Durch sozial-erzieherische Maßnahmen und durch permanente Aufklärung will man die gewünschte Friedensgesinnung aufbauen In dieser Phase tritt z. B. F. Roth für die Identifikation des Individuums mit „höchsten Kulturwerten''ein und Dieter Emeis thematisiert die Humanität. Hentigs tiefe Abneigung gegen Gewalt kann man als spezifisches Merkmal dieser Diskussion hervorheben.

Die zweite Phase bezeichnet Schierholz als „Konsolidierungsphase" der Friedenspädagogik. In dieser Phase beschäftigt sich die politische Bildung mit Friedensforschung und der Umsetzung ihrer Ergebnisse ins pädagogische Verständnis. Als Beispiele seien die Arbeiten von F. Minssen und vom Verfasser genannt. Minssen bezeichnet Frieden als dynamischen Prozeß; Friede selbst wird als Abwesenheit von Hunger und Not, von Aggressivität und Gewalt interpretiert. Minssen setzt sich für den Aufbau eines differenzierten Bewußtseins ein, um Konflikte zu bewältigen und die sekundäre Angriffshemmung zu verstärken. Soziopolitische Konflikte fordern vom einzelnen, daß „man mit ihnen zu leben vermag, daß man lernt, sie rational zu erfassen, sie friedlich auszureagieren und nach Möglichkeit zu einem Konsens zu gelangen .. ."

Dieser Tenor: „mit Konflikten leben zu lernen", stößt aber auf kritische Vorbehalte. Karin Priester z. B. bezweifelt, ob ein solches Verhalten genügt, das „für die Gesellschaft lebenswichtige Funktionsabläufe sichert". Sie tadelt, daß der Konflikt als ontologische, schicksalhafte Kategorie Verwendung findet, denn mit dieser „Prämisse sei es relativ einfach, gesellschaftliche Konflikte zu psychologisieren (Aggressions-Ansätze) und psychische, zwischenmenschliche Konflikte nicht nach ihren gesellschaftlichen Ursachen zu befragen"

Neue Akzente bringt Fritz Vilmar in die Diskussion. Folgende Gesichtspunkte finden Erörterung: gesellschaftliche Selbstkritik, didaktische Umsetzung der Ideologiekritik, Didaktik realer Utopien sowie realistische Abrüstungsprozesse und die Einübung demokratischen (herrschafts-und gewaltfreien) Verhaltens Vilmar geht von der Prämisse aus, daß „eine breit und radikal angelegte Theorie und Didaktik der Demokratisierung -also des universalen Herrschaftsabbaus -die Achse sein muß, um die sich Praxeologie, friedenspolitisches Handeln wie auch friedenspädagogische Bewußtseins-und Aktionsbildung drehen . . Die primäre Ursache der „organisier. en Friedlosigkeit" wird in der unkontrollieren, repressiven sozialen Herrschaft gesehen und die geschichtliche Konkurrenz rivalisierender Herrschaftsgruppen dafür verantwortlich gemacht. Nach Schierholz stellt Vilmar forschungsstrategische Defizite deutlich heraus, weil er sozialwissenschaftliche Überlegungen -besonders die Herrschaftsproblematik -in die Diskussion einführt, aber er klammert die eigentlich pädagogischen Probleme aus und die Frage läßt der Umsetzung der aufgelisteten Stoffkataloge unbeantwortet In der Tat wendet sich Vilmars Kritik gegen idealistisch-pädagogische Appelle und gegen technokratische Konzepte. Er richtet den Blick auf die sozio-ökonomischen Herrschaftsstrukturen der Industriemächte und bemängelt im Anschluß an Senghaas die These, daß Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen, als undifferenziert. Die Friedensproblematik sei nicht allein vom Individuum her zu lösen. Vilmar ritt für den gesellschaftlichen Wandel mit dem eindeutigen Ziel der Auflösung starrer Herrschaftsstrukturen ein. Für ihn gibt es keinen Zweifel, daß eine „radikal verstandene Demokratisierung -die Herstellung einer klassenlosen Gesellschaft -ein sehr langfristiger Prozeß, wenn auch ein durch die Abschaffung von Mangel und Dissoziation der Menschheit objektiv real möglicher" sei Am Ende des langfristigen Prozesses setzt sich eine harmonische Vorstellung durch: die konflikt-, herrschafts-und klassenlose Gesellschaft.

Einen weiteren Fortschritt für die Diskussion bringt Arno Klönne mit seinem Aufsatz „Friede und politische Bildung" Klönne geht bei seinen Überlegungen von der komplexen Industriegesellschaft aus, die zugleich tendenziell „planetarisch" ist.

Die weltweiten Interdependenzen sind durch tiefgreifende Unterschiede der politisch-ökonomischen Systeme charakterisiert, so daß eine „permanente Austragung vielfältiger Differenzen sicher" erscheint. Um so notwendiger werde die Anerkennung planetarischer normativer Prioritäten. Der Weltfrieden durch neues Weltrecht gilt zwar vielen als „schlechte Utopie", aber der hohe Grad an funktionaler Interdependenz erfordert übergreifende Normen und Institutionen. Friedenspädagogik kann daher auf Sozialisationsleistungen vorbereiten, die historisch gesehen ohne Beispiel sind. In diesem Sinne fordert Klönne, die „Rationalität bis in die Substanz des Systems vorzutreiben" Auch wenn die sozialwissenschaftliche Diskussion in der zweiten Phase der Friedenspädagogik zunimmt und ältere Ansätze der zurückdrängt, bleibt Eklektizismus der nebeneinander stehenden pädagogischen Theorien nach dem Urteil von Schierholz erhalten. Erst in der dritten Phase setzt sich eine stärkere sozialwissenschaftliche Orientierung durch. Der Friedensbegriff erhält eine Erklärung, die über die negative Formulierung „Abwesenheit von Gewalt" hinausgeht, weil man jetzt die personale und strukturelle Gewaltaufhebung im Blick hat, die erst zusammen „soziale Gerechtigkeit" fördern „Soziale Gerechtigkeit" wird damit zu einer positiven Friedens-formel.

Für diese Phase ist die Aufarbeitung der Erkenntnisse der „kritischen" Friedensforschung charakteristisch, aber Schierholz bezweifelt, ob* die „Friedenspädagogik''damit eine neue Qualität gewinnt. Die Erkenntnis „struktureller Gewalt" fördert eine solche Aufarbeitung, aber das Operationalisierungsproblem bleibt offen und gibt keine Antwort auf die Frage, wie Friedenserziehung konkret aussehen soll. Schierholz hält das Problem der didaktischen und methodischen Umsetzung für nicht gelöst, und es stellt sich die Frage, ob es überhaupt lösbar ist. Schierholz wird zum Kritiker jener Kritiker, die immer mehr Gesellschaftskritik fordern, ohne anzugeben, nach „welchen Vorstellungen Herrschaft bzw. Gesellschaft denn dann strukturiert sein sollen" Auch Denciks Unterscheidungen von „progressiver" und „unterdrückender Gewalt" bringen nach seiner Auffassung für die Formulierung einer friedenspädagogischen Strategie nur wenig ein. Schierholz beruft sich auf die Aussage von D. J. Löwisch, der bemerkt: „Frieden kann als Endzweck von Friedenserziehung . .. nur dann angesetzt werden, wenn man sich bemüht, ihn außerhalb von Pädagogik und Politikwissenschaft begrifflich positiv zu erfassen oder ihn wenigstens positiv zu umschreiben."

Trotz vieler bisher nicht zufriedenstellend gelöster Probleme tritt die Friedenspädagogik in der dritten Phase ins Zentrum der Diskussionen in der Bundesrepublik. Das spiegelt sich in zahlreichen Fachkonferenzen, in Publikationen, Sammelbänden und Zeitschriften-Sondernummern Diese Publikationspraxis hat nach Schierholz mit zur „Desorientierung und Verunsicherung nicht nur des Praktikers, sondern auch vieler Wissenschaftler" beigetragen Seine Kritik läßt sich in wenigen Hauptpunkten zusammenfassen: 1. Der Theorie-PraxisBezug wird, wenn überhaupt, nur unzureichend thematisiert. 2. Die Struktur der friedens-pädagogischen Diskussion läßt sich mit dem Modell der Einweg-Kommunikation vergleichen, d. h. Kontroversen über unterschiedliche Ansätze finden kaum statt. 3. Die Zersplitterung und die Heterogenität der Friedenspädagogik hat noch weiter zugenommen.

6. Eine Anmerkung zu den Realisierungschancen der Friedenspolitik

Friedenspolitik und Friedenspädagogik stehen in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis: Praktische Friedenspolitik ist die unerläßliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Bemühen der Friedenspädagogik; diese aber kann nur dann wirken, wenn sie ihrerseits theoretisch und praktisch einen angemessenen Beitrag zur Unterstützung friedenspolitischer Ziele zu leisten vermag.

Heterogene Überzeugungen und Interessen, die im sozio-politischen Leben mit aller Härte aufeinanderprallen und Konfliktlagen erzeugen, lassen sich gewaltfrei nur dann regeln, wenn die Kontrahenten in der Lage sind, eine über ihren Standpunkten liegende Betrachtungsebene einzunehmen, die einen konstruktiven Kompromiß ermöglicht. Zivilisierte Streitregelung setzt voraus, daß die Beteiligten die elementaren Konfliktursachen erkennen und die Gründe dafür analysieren. Die Aufklärungsarbeit gehört zur Vorbedingung einer friedlichen und rationalen Ausgleichspolitik, die nicht nur Bewußtsein, sondern auch Strukturen verändert. Wenn man Widersprüche und Konflikte zum Ausgangspunkt friedenspädagogischer Bemühungen macht, läßt sich eine Korrektiv-Funktion entwickeln, welche die Hindernisse beseitigt, die einer friedlichen Veränderungsstrategie entgegenstehen. Die Beteiligten aber müssen dazu bewegt werden, mit ihrem Friedenswillen jene Kompromißfähigkeit zu entwickeln, die allein die gewaltsamen Lösungen verhindert. Sie erfordert eine Dominanz bestimmter politischer Tugenden, die durch Erziehungsprozesse zu fördern sind: die Fähigkeit zur ideologischen Toleranz und zur Anerkennung der Gleichberechtigung für alle sowie die Bereitschaft zum reziproken Interessenausgleich und zu konstruktiven Kompromissen.

Politische Bildung als friedenspolitische Erziehung kann mithelfen, Voraussetzungen für eine gesellschaftsverändernde Friedenspolitik zu schaffen; sie allein kann diese Veränderun -gen jedoch nicht herbeiführen. Dazu bedarf es auch des konkreten staatlichen Handelns.

IV. Politische Rationalität als Leitziel politischer Bildung

1. Vorbemerkung

Die Bedeutungsminderung der Friedenspädagogik im Verlauf der siebziger Jahre findet -neben der theoretischen Zersplitterung -eine Erklärung darin, daß sich die Verbindung theoretischer und praktischer Anliegen nicht realisierte, weil dazu die bewußte Mitarbeit an der Basis als Vorbedingung für eine theoretisch-praktische Bewährungsprobe gehört. Die Kritik richtet sich am Ende der siebziger Jahre auch gegen die Vertreter der Emanzipationspädagogik wegen ihrer Emanzipationstheorie und ihres Anti-System-Affektes, ferner gegen den Einbruch der Curriculumtheorie in die Didaktik der politischen Bildung. Diese bietet Methoden an, den Unterricht durch die Formulierung von Lernzielen und mit Hilfe der Lernpsychologie effektiver zu gestalten als bisher. Damit verknüpft sich jedoch die Gefahr einer perfekten Planung von Lernsequenzen, welche den Spielraum für die Selbsttätigkeit weitgehend einengt, d. h., das Curriculum orientiert den Lehrer zu starr an den Richtzielen und baut eine ausgefeilte Unterrichtstechnologie auf, die man als Kontrollmechanismus für den Lehrer auffassen kann. Damit wird das Blickfeld in unnötiger Weise verengt und die erzieherische Funktion des Lehrers, ja überhaupt eine freiheitliche Gestaltungsmöglichkeit unterbunden. Die Curriculumtheorie setzt Ziele, Inhalte und Methoden fest, aber sie beruft sich im Unterschied zu den alten Lehrplänen auf wissenschaftliche Verfahren, die solche Festsetzungen rechtfertigen

In dieser Situation haben einige Autoren 1976 „Grundlagen und Zielprojektionen" für die politische Bildung veröffentlicht, die „sowohl die Wertnormen der Verfassung als gemeinsamen Bezugspunkt sozialer, politischer und wissenschaftlicher Pluralität als auch die Strukturprinzipien freiheitlich-demokratischer Ordnung als konstitutive Elemente in ein Konzept politischer Bildung einbringen" Dieses Konzept soll eine Doppelfunktion erfüllen: Hilfe und Maßstab für eine rationale Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und Poli160) tik leisten und zugleich eine Alternative für die Emanzipationspädagogik bieten. Das Konzept orientiert sich an den Grundwerten der Verfassung und überträgt ihre Zielvorstellungen auf die öffentlichen Schulen.

Konstitutiv für die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ist die Bindung an den vorstaatlichen Wert der Menschenwürde, mit der Forderung an den Staat, diese Würde nicht zu verletzen und sie zugleich zu schützen. Die formulierten Menschen-und Grundrechte werden in zweifacher Weise als Abwehrrechte gegen den Staat und als Gestaltungsnormen für die politische Ordnung interpretiert. Das Grundgesetz stellt den Menschen in die polare Spannung von Individualität und Sozialität, d. h. Eigenständigkeit der Person und soziale Schranken, die der Gesetzgeber zieht, bilden ein wechselseitiges Bedingungsfeld. Aus der Geschichtlichkeit leitet sich ferner die polare Spannung von Tradition und Fortschritt ab.

Politische Bildung orientiert sich, von diesem Grundverständnis her gesehen, an der Personalität des Menschen, die in die Spannung von Individualität und Sozialität, von Tradition und Fortschritt gestellt wird und das menschliche Zusammenleben nach den Prinzipien Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit ordnet. Dieses Konzept geht von der pluralistischen Demokratietheorie aus, denn eine freiheitliche Demokratie respektiert unterschiedliche Interessen, Meinungen und Wertvorstellungen durch den Grundsatz der Organisationsfreiheit und eine freie politische Willensbildung im Rahmen des Rechtsstaates. Die Autoren betonen: „Konkurrenz und Konflikt einerseits, Konsens und Integration andererseits sind freiheitsverwirklichende Grundtatsachen des politischen Lebens."

Die pluralistische Demokratietheorie ist nicht als wertneutral oder wertfrei aufzufassen, denn sie ist politisches Ordnungsprinzip, das drei Elemente umfaßt: das konstitutionelle, repräsentative und plurale. Alle drei Elemente sind für die Verwirklichung von Freiheit, Legitimität und Partizipation konstitutiv. Im Interesse dieser Werte ist jede demokratische Ordnung ständig auf ihre Funktionsfähigkeit, auf eventuelle Defizite ebenso wie auf Entwicklungschancen zu befragen. Als allgemeines Ziel der politischen Bildung wird die Be-fähigung des Menschen zur Rationalität des Urteilens über soziopolitische Sachverhalte hervorgehoben. Diese Zielformulierung, die sich von der Emanzipationsforderung unterscheidet, verlangt eine eingehende Begründung.

2. Manfred Hättich: Rationalität als Ziel politischer Bildung

Rationales Urteilen und die Befähigung zu rationalem Handeln als Ziel politischer Bildung beansprucht nach Hättich „kaum attraktive Originalität". Dennoch hofft er mit dem Rationalitätspostulat der politischen Bildung eine solide Grundlage zu geben, da er sie „zumindest teilweise und unter bestimmten Gesichtspunkten (für) unsolide" hält: „Für unsolide halte ich es, wenn an die politische Bildung übertriebene, nicht einlösbare Forderungen und Erwartungen herangetragen werden." Für Hättich ist ein Verhalten in dem Maße rational, in dem es als Folge vorausgehenden Urteilens anzusehen ist. Dieser Bereich des Urteilens wird zum Arbeitsfeld politischer Bildung gemacht. Die Rationalität eines Urteils nimmt ab, wenn man sich gegen zugängliche Informationen sperrt. Identifiziert sich jemand mit einer politischen Partei, dann verhält er sich gegenüber den Informationen seiner Partei offener und weniger mißtrauisch als gegen die des parteipolitischen Gegners. Stellt man diesen Sachverhalt bei seinen eigenen Urteilen in Rechnung, dann verhält man sich „schon beachtlich rational", weil man davor bewahrt wird, an absolute Wahrheiten in der Politik zu glauben

Hättich zeigt im Anschluß an Max Weber, der zwischen Gesinnungs-und Verantwortungsethik unterschied, daß ein Handeln nach prinzipieller Gesinnung -ohne Rücksicht auf Folgewirkungen -zwar wertrational, aber politisch verantwortungslos ist. Die reine Gesinnungsethik im Politischen, die sich in Europa im Nationalismus ausprägte, hat mit ihrer nationalen oder vaterländischen Gesinnung als dem einzigen Kriterium politischen Verhaltens verheerende Auswirkungen gehabt.

Es sind entscheidende Fragen zu stellen: In welchem größeren Zusammenhang stehen die einzelnen Zwecke, die man verfolgt? Wie versteht sich der einzelne in den Zusammenhängen, die er erfährt und erkennt? Was macht das Urteilen und Handeln sinnvoll oder widersinnig? Hättich betont, daß die Bedeutung von Einzelerkenntnissen nur in der Zusammenschau und vom Horizont des Ganzen her zu gewichten ist, denn wo dies nicht geschieht, kommt es zu Entstellungen. Das Thema „Radikale im öffentlichen Dienst" läßt sich nach Hättich nicht mit der „Verfolgung von Intellektuellen in sozialistischen Diktaturen" gleichgewichten, denn zur politischen Grund-einsicht gehört die Erkenntnis, daß es unter den politischen Systemen, als Ganzheit betrachtet, fundamentale Unterschiede gibt. Hättich benutzt dieses Beispiel, um das wechselseitige Verhältnis von Vernunft und Verstand in der Politik zu demonstrieren: Vernunft konzentriert sich auf Grundeinsichten, der Verstand auf Einzelerkenntnisse.

Erziehung, welche Rationalität mit Intellektualismus verwechselt, vernachlässigt den Aufbau der moralischen Person. Die Förderung und die Hemmung von Wertvorstellungen und von moralischen Verhaltensweisen hängt auch davon ab, wie soziale Prozesse in der Schule ablaufen.

Hättich tritt für eine konsensfähige Zielvorstellung für den politischen Unterricht ein, der an öffentlichen Schulen erteilt wird. Diese sollen nicht zu einer aktiven Einstellung für eine Partei oder Gewerkschaft oder Religion erziehen. Er widerspricht auch der Tendenz, mit Hilfe der Schule das politische und soziale System radikal zu verändern. Vielmehr soll sich die Gruppengesellschaft darauf einigen, die politische Bildung für eine rationale Urteilsfähigkeit einzusetzen. Politische Bildung, wie er sie versteht, ist von der allgemeinen Sozialerziehung abzugrenzen. Die politische Bildung soll Ziele formulieren, die „von der Schule grundsätzlich und tatsächlich halbwegs überprüfbar erreicht werden können"

Hättich hält es für verhängnisvoll, das „Tun vor das Lernen, das Bekenntnis vor das Nachdenken zu setzen". Er bemerkt: „Wer politische Bildung und politische Aktion gleichsetzt, setzt sich dem Verdacht aus, daß er die Schüler für bestimmte politische Positionen instrumentalisieren will."

Die von Hättich vertretene Zielvorstellung ist nicht System-oder ordnungsneutral. Die Fähigkeit, das eigene politische Urteil mit Hilfe rationaler Kriterien zu überprüfen, setzt eine politische Ordnung voraus, welche bewußt Rationalität fördert. Wer vom Postulat der Menschenwürde ausgeht, sich für autonome Urteilsbildung engagiert, optiert zugleich für die freiheitliche Ordnung. Mit Recht kann Hättich darauf verweisen, daß in der Diktatur das Rationalitätspostulat revolutionären Charakter besitzt.

Zum Urteilen gehört die Aktualisierung des Wissens, aber auch die Beschreibung des Nichtwissens, d. h.der einzelne hat sich Rechenschaft über die Frage zu geben: Was müßte ich alles wissen, um den Sachverhalt richtig beurteilen zu können? Hierzu ist politische Kommunikation erforderlich: das Miteinander-sprechen-Lernen. Dabei spielt die Kunst des Fragens eine wesentliche Rolle: „Das Erlernen des Fragens scheint mir eine der wichtigsten Aufgaben politischer Bildung unter dem Aspekt der Rationalität."

Hättich setzt sich mit dem Ziel der Rationalität für eine politische Bildung ein, die „systemkonform bleibt, ohne den Menschen zu instrumentalisieren, da sie den Subjektcharakter ihres Adressaten nicht nur wahrt, sondern stützt". Der Subjektcharakter des Bürgers ist Wesensmerkmal der Ordnung. Der einzelne hat das Recht, sich mit Gruppen zu identifizieren. Aber weil in dem Identitäts-und Loyalitätsbedürfnis immer auch die Möglichkeit der Verführbarkeit steckt, hat politische Bildung solche Gefährdungen transparent zu machen.

Die politische Funktion der Rationalität beinhaltet zwei Dimensionen: Einmal ist der Rationalitätsgrad des Umgangs der Gruppen miteinander nicht ohne Einfluß auf die rationalen Urteile der einzelnen Bürger. Zum anderen bestimmt dieser Umgang die Qualität der Meinungs-und Willensbildungsprozesse. Das schließt mit ein, daß Möglichkeiten für die Partizipation geschaffen werden, d. h., daß man die Institutionen aufbaut und dem einzelnen die Qualifikationen vermittelt, die er für die Partizipation benötigt Ohne Emotionen lassen sich integrative Tendenzen nicht verstärken, weil Parteien, Verbände und Gruppen nicht allein auf der rationalen Integrationsfähigkeit aufbauen, sondern auch Loyalität und Solidarität zu motivieren haben. Indem Hättich auf solche Bindungen hinweist, erweitert er seine These, denn nicht nur rationale, sondern auch emotionale Kräfte stimulieren das Politische. Aber unter dem Blickpunkt der praktischen Probleme in der Politik gibt er dem rationalen Verhalten und der realistischen Problemsicht den Vorzug.

3. Bernhard Sutor: Politische Rationalität und freiheitliche Demokratie

Bernhard Sutor hat in seiner Arbeit „Grundgesetz und politische Bildung" 1976 den Versuch unternommen, Ziele und Kategorien für die politische Bildung abzuleiten. Wie Hättich stützt sich Sutor auf das Menschenbild des Grundgesetzes: „Der Inbegriff dieses Menschenbildes heißt Person; als konstitutiv für die Person ergeben sich Individualität, Sozialität und Geschichtlichkeit. Der konkrete Vollzug menschlichen Daseins in Gesellschaft und Geschichte bewegt sich in unaufhaltbaren Spannungen, in einer Dialektik sich gegenseitig bedingender und begrenzender Prinzipien." Die menschliche Freiheit ist auf soziale Voraussetzungen angewiesen.

Aus diesem Spannungsverhältnis von Individualität und Sozialität heraus lassen sich weitere Begriffspaare aufstellen, welche diese Situation als ein antinomisches Strukturgefüge beschreiben, das sich auf eine Fundamental-norm zurückführen läßt, die Menschenwürde als den obersten vorstaatlichen Wert. Dieses freiheitliche, aber spannungsvolle Struktur-gefüge hat Situationen zu bewältigen, die ein geregeltes Miteinander ermöglichen und ein Gegeneinander nicht zur Feindschaft werden lassen oder, wie Sutor formuliert: „Das Selbstverständnis, die Intentionen und Interessen aller Beteiligten bedürfen der friedlichen Vermittlung, wenn reale Freiheit aller erreicht werden soll." Freiheit für alle zielt auf Gleichheit, nämlich auf die gleiche Freiheit.

Neben dieser Grundspannung zwischen Individualität und Sozialität ergibt sich eine weitere zwischen Überlieferung und Fortschritt, d. h., es gibt keine endgültig gute und richtig geordnete Gesellschaft, weil die Zukunft offen bleibt. Daraus leitet Sutor einige Folgerungen für die politische Bildung ab: 1. Sie geschieht in erster Linie um des Bürgers willen, d. h., es geht um die Person und nicht um das System. 2. Bei der Orientierung an der Persönlichkeit ist die grundlegende Dialektik von Individualität und Sozialität, von Überlieferung und Fortschritt zu beachten. Diese Dialektik ist nicht auflösbar. 3. Sie basiert auf einem Freiheitsverständnis, welches ohne individualistische Verkürzung oder kollektivistische Über-steigerungen zu begreifen ist. 4. Sie hat Politik als ständige Aufgabe zu verstehen, die das menschliche Zusammenleben in Freiheit gewährleistet

Das von Sutor entwickelte Politikverständnis bezieht sich auf eine normativ-institutionelle Ordnung der Gesellschaft, und zwar in ihrer Herstellung, Erhaltung und Weiterentwicklung. Er vertritt die Auffassung, daß die Begriffe Ordnung, Normen und Institutionen nicht „konservativ" vorbesetzt sind -wie so viele kritisieren -, weil jede Politik auf diese Begriffe angewiesen ist. Die Tendenz der letzten Jahre ging dahin, Institutionen als freiheitsfeindlich und fortschrittshemmend zu bezeichnen. Diese von einem starken Demokratisierungspathos getragene Tendenz setzt sich mit der „kritischen Theorie" durch, nach der sich individuelle Freiheit und Institutionen widersprechen. Daß freiheitliche Institutionen Entscheidendes für die Selbstverwirklichung leisten und zum Garanten sozialer Gerechtigkeit werden, geht jenem Denkansatz mit seinem Anti-Institutionen-Affekt verloren.

Politik bewegt sich in einer Polarität oder in einer Dialektik von Grundgegebenheiten, die auch die politische Bildung zu reflektieren hat, wenn „sie nicht illusionär oder ideologisch an der Wirklichkeit vorbeizielen will". Diese polare Spannung läßt sich mit den Begriffspaaren Freiheit -Ordnung, Freiheit -Gleichheit, Kommunikation -Normen/Institutionen, Pluralität -Integration, partikulare Interessen -Allgemeininteresse (Gemeinwohl) und ferner mit Konflikt -Konsens, Partizipation -Repräsentation, Moralität -Erfolg (Gesinnungs-und Verantwortungsethik) und schließlich mit Utopie -Realität fassen Die Einsicht in diese multipolare Spannungsstruktur ist zunächst im Rahmen der politischen Bildung zu erarbeiten. Dabei ist zu zeigen, daß politische Ordnung eine Bedingung der Möglichkeit von Freiheit ist. Sie kann auch Freiheit gefährden, wie Beispiele aus der Geschichte beweisen. Kommunikation ist ohne akzeptierte Normen oder Regeln nicht denkbar. Sie kann unterbrochen werden und in Feindschaft enden. Freie Entfaltung der einzelnen und der Gruppen setzt eine pluralistische Struktur voraus, die aber andererseits ein Minimum an politischer Integration erfordert. Es ist legitim, wenn der einzelne und auch Gruppen ihre partikularen Interessen verfolgen, aber das gesellschaftliche Gesamtinteresse -Sutor verwendet den sozialethischen Begriff Gemeinwohl -darf als verpflichtende Aufgabe nicht aus dem Blickfeld geraten. Auch soziale Konflikte gehören zu einer pluralistischen Gesellschaft. Konflikt wird aber nicht als die alleinige Grundgegebenheit des Sozialen angesehen, weil die Gesellschaft nicht in den Zustand des . bellum omnium contra omnes'zurückfallen soll. Ein Grundkonsens muß nach Sutor über die Formen der Konfliktregelung aufgebaut werden. Sutor zieht für die Didaktik der politischen Bildung eine Reihe von Schlußfolgerungen. Er fordert ein Gefüge von Kategorien, das der Komplexität gesellschaftlicher Probleme angemessen ist. Die politische Bildung soll sich in der Schule nicht nur einer politikwissenschaftlichen Theorie verschreiben, sondern auch die Pluralität der Forschungsansätze beachten. Politik ist als Modus sozialer Interaktion und als Ergebnis von Integrationsprozessen zu begreifen. Sie hat die politische Relevanz der gesellschaftlichen Bereiche und die dort gegebenen Beteiligungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Da Politik mehr als ein Epiphänomen der Gesellschaft ist, hat sie neben den staatlichen Institutionen und Funktionen auch die auf die politische Ordnung hin gerichtete Seinsfrage zu behandeln, die Sutor für konstitutiv hält

Gegenstand der politischen Bildung ist nach Sutor die konkrete Politik, die in ihrer Aktualität, in der historischen und philosophischen Dimension zu erfassen ist, ferner unter dem Aspekt vielfältiger Aufgabenstellungen zu betrachten sei. Die Vielfalt der Gegenstände ist didaktisch so zu präsentieren, daß die Handlungs-und Entscheidungsdimension des Politischen erfahrbar wird. Die Neigung der Jugend, an Politik Heilserwartungen zu knüpfen, ist durch verantwortliche Urteilsbildung zu ersetzen. Hier bricht die personale Orientierung des Politikverständnisses von Sutor durch: Politische Bildung vertrage kein geschlossenes Curriculum, weil sie „dialogisch" angelegt und nicht durch eine einfache Zielformel zu be-schreiben sei: „Ziel politischer Bildung ist die Vermittlung von Fähigkeit und Bereitschaft zu politischer Beteiligung durch möglichst unvoreingenommene Information, gewissenhafte Urteilsbildung und verantwortliche Entscheidung nach Maßgabe der Grundnormen einer freiheitlich-demokratischen Ordnung." In dieser Formel werden das Kognitive, das Methodische und die Normative hervorgehoben.

Der „dialogische" Charakter der politischen Bildung verhindert es, den einzelnen zum Konsumenten eines curricularen Programms zu machen. Der dialogisch-kommunikative Politikunterricht stellt an den Lehrer hohe Anforderungen, die Sutor in einigen Punkten auflistet: 1. Fähigkeit zur Synopse und zur Reduktion des Vielfältigen. 2. Politisches Interesse und reflektiertes Engagement mit der Bereitschaft des Lehrers, seine Wertorientierung offen zu legen. 3. Fähigkeit, in Alternativen zu denken. 4. Respekt vor der Schülerpersönlichkeit. 5. Lernfähigkeit und Offenheit für neue Argumente. 6. Fähigkeit, Lernprozesse zu planen und zu steuern, ohne autoritär zu führen. 7. Grundgesetztreue ohne Neigung zum Dogmatischen

Da Politik durch Sprache vermittelt wird, spielen die Interpretation der Texte sowie Sprachkritik und die Erkenntnis verschiedener Formen der politischen Sprache eine eminente Rolle in der politischen Bildung. Sie hat daher auch zum rationalen Umgang mit der irrationalen Seite des Politischen zu befähigen. Vorurteile, Emotionen und dogmatische Fixierungen oder auch Wissenslücken müssen aufgedeckt werden. Dabei ist der Wille, den anderen zu verstehen und seine Argumente zu prüfen, mit zu unterstützen. Da es um Politik geht, spielt die „Betroffenheit" keine unwesentliche Rolle. Sutor bemerkt dazu: „Das Meinen und Bewerten, das Eintreten für Interessen und Rechte, darf und soll auch hier die Form des kämpferischen Verhaltens annehmen. Leidenschaft darf ins Spiel kommen, wenn sie nur rational kontrolliert bleibt . .. Politische Rationalität erweist sich in der schwierigen Kunst, Offenheit und Durchsetzungswillen, Sachlichkeit und Engagement miteinander zu verbinden."

Die Kritik hat Sutor vorgeworfen, daß es sich bei seinem Ansatz um ein farbloses „SowohlAls-auch", um eine profillose „Einerseitsandererseits-Haltung" handele, die weder In-174) teresse noch Engagement auszulösen vermöge. So bemerkt Hartwich: „Da es in der Gesellschaft jedoch nun einmal divergierende gesellschaftspolitische Profile gibt, muß man sie nennen, sie beim Wort nehmen, sich entscheiden." Hier wird politische Bildung wiederum vor die Alternative: affirmativ oder kritisch gestellt, wobei man die kritische Position für eine spezifische Theorie in Anspruch nimmt, um jede andere Position als „Anpassungsdidaktik" zu verdächtigen. Politische Realität aber wird weder unter dem Aspekt der Anpassung noch unter dem Aspekt eines kritischen Klassenstandpunktes allein erfaßt. Dieter Grosser hat diesem Vorwurf der Profillosigkeit ein „aufschlußreiches und beunruhigendes Verständnis politischer Bildung an öffentlichen Schulen" genannt.

Für einen dialogischen Unterricht mit Problematisierung, Diskussion und Urteilsbildung ist der Rückgriff auf das Kriterium der „Schülerbetroffenheit" hilfreich. Der Schüler soll zwar über das eigene politische System mehr lernen als über andere Staaten, aber die weltweite Interdependenz erfordert es, „den Zusammenhang unserer Probleme mit denen anderer Völker erkennbar zu machen und das Spezifische des eigenen Systems im Vergleich mit anderen zu erarbeiten, zumal da diese zum Teil als Herausforderung unserer Ordnung erkannt werden müssen" Mit dieser Sichtweise verbindet Sutor die notwendige systemimmanente Kritik mit einer komparativen, die das eigene System mit anderen Systemen vergleicht. Die enge Verbindung dieser beiden Kritiktypen bewahrt den Heranwachsenden vor einer falschen Einschätzung seines eigenen Systems, das er ebenso realistisch betrachten soll wie andere Systeme auch. Der Mangel der Emanzipationspädagogik lag darin, das eigene System kritischer und negativer zu sehen, als dies durch einen Vergleich mit anderen konkreten Systemen gerechtfertigt erschien, so daß sich jener Anti-System-Affekt entwickeln konnte, der mehr ideologisch als durch die Tatsachen bedingt war.

Aus der Fundamentalnorm „Menschenwürde" leitet Sutor die Ziele: Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden als Problem-und Aufgabenfelder ab. Die Fachwissenschaft trägt zur Erschließung und Strukturierung dieser Gegenstände in einem systematisierten Wissenszusammen-hang bei. Insgesamt betrachtet sprechen die von Sutor benutzten Kategorien für einen problemorientierten Unterricht, den Sutor wie folgt beurteilt: „Der problemorientierte, vom Betroffensein der Schüler ausgehende Unterricht, der ihm Kenntniserwerb zur Meisterung von Situationen, zur Urteilsfindung und Entscheidung sinnvoll macht, das ist der Unterricht, der nicht nur dem Prozeß-und Entscheidungscharakter des Politischen, sondern auch der Situation des Jugendlichen in der heutigen Welt entspricht."

V. Zur Situationsbeschreibung der Gegenwart

Die Notwendigkeit der politischen Bildung wird hierzulande nicht bestritten, weil die junge Generation Grundlagen für ihre politische Handlungsfähigkeit erwerben soll. Das heißt zuerst, Informationen zu vermitteln und die Erkenntnisfähigkeit zu entwickeln, damit der Heranwachsende lernt, den Dingen auf den Grund zu gehen, um jene Urteilsfähigkeit zu gewinnen, die für verantwortliche und rationale Entscheidungen Vorbedingung ist. Das schließt zugleich eine permanente Auseinandersetzung über die besseren politischen Problemlösungen und über die anzustrebenden Zukunftsziele mit ein.

Politische Bildung kann zum Instrument im Dienste einer bestimmten Ideologie werden. Die Auseinandersetzung darüber, ob sie letztlich der Systemerhaltung oder der Systemüberwindung dient, hat zu der bedenklichen Polarisierung der gesellschaftlichen Kräfte und der wissenschaftstheoretischen Ansätze hierzulande geführt. Die Dichotomie: Affirmation und Emanzipation ist dafür ein Beweis, denn sie beschreibt zwei antagonistische Typen politischer Bildung: eine konservative und eine progressive, wobei man bisher der „emanzipatorischen" alle Zukunftschancen einräumte. Die . Emanzipationspädagogen'bestimmten im letzten Jahrzehnt die öffentliche Diskussion, und erst seit geraumer Zeit macht sich eine gewisse Wende bemerkbar, die den Einfluß der „Kritischen Theorie" zurückdrängt. Diese Tendenzwende ist unübersehbar, obwohl der Begriff selbst für viele als Mode-und Schlagwort umstritten bleibt.

Mit der neuen Wende in der politischen Bildung wird eine Entwicklung gespiegelt, die mit dem alten Antagonismus: Kapitalismus contra Sozialismus nicht mehr zu bewältigen ist, zumal die erfolgten Strukturveränderungen in den „realen" sozialistischen Staaten nicht dafür sprechen, daß mit ihnen bessere Grundlagen für Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit sowie für mehr Glück und Wohlergehen aller Gesellschaftsschichten bisher gelegt wurden.

Die zunehmende Abhängigkeit von bestimmten Einflußgrößen schafft heute viel mehr Unsicherheit und läßt das Gefühl wachsen, auf Grenzen zu stoßen, die für alle politischen Systeme dieser Welt zum Problem werden. Wenige Stichworte unterstreichen diesen Gedanken: Die akuten Gefahren von Overkill-Potenzen machen eine fortschreitende Entspannung nötig. Nur mit einer Detente ist „Sicherheit" für alle zu gewinnen. Das gilt auch für die Gefahren der „strukturellen Gewalt", denn am Ende des Kolonialzeitalters muß das Übergewicht der Industrie-gegenüber den Rohstoffländern abgebaut werden, damit einseitige Dominanzverhältnisse durch neue Kooperationsformen ersetzt werden können. Nicht nur militärische und ökonomische Gewalt sind zu reflektieren, sondern auch die „sublimen" Gewaltformen, die sich als akute Gefahren erwiesen: als schädliche Wachstumsformen, als Auszehrung notwendiger Rohstoffe, als Raubbau und Vergiftung von Existenzgrundlagen und als Umweltzerstörung. Nicht zuletzt ist die Bevölkerungsexplosion einzudämmen. Hierfür sind Maßnahmen erforderlich, die sich in das bequeme ideologische Gegensatzschema: kapitalistisches und sozialistisches Lager kaum noch einfügen lassen. Für die weltpolitische Zukunftsentwicklung sind internationale Verhaltensregeln mit den beteiligten Akteuren in West, Ost und Süd auszuhandeln. Der Grundsatz der Gleichberechtigung und der Gegenseitigkeit der Beziehungen kann bisher bestehende Abhängigkeitsverhältnisse überwinden. Spezifische Fragen wie die Umweltschutzgesetzgebung, die Förderung energiesparender Techniken, Reaktorsicherheit etc. sind wichtige Probleme für die modernen Industriestaaten. Verbesserung der Agrarstrukturen, der Familienplanung, des Aufbaues eigener Industrien und der Festlegung angemessener Rohstoffpreise sind Probleme für die unterentwickelte Welt. Diese Umstrukturierungen bergen eine Fülle von sozialen Konflikten in sich. Eine „Antizipation des guten Lebens", welche den Menschen Freiheit, soziale Gleichheit und Glück verheißt, stößt am Ende der siebziger Jahre auf mehr Zurückhaltung und Vorbehalte, als dies noch in der Phase der Emanzipationseuphorie geschah. Dieser einst so starke utopische Impuls, der die Sehnsucht nach der Befreiung aus allen Zwängen und aus individueller Entfremdung weckte und die Hoffnungen auf die „herrschaftslose" Gesellschaft stimulierte, übte auf die junge Generation eine gewisse Faszination aus, weil sie den Schein als Realität nahm.

Das Vordringen der modernen Technologie in alle Lebensbereiche hinein verursacht ein Gefühl der Unsicherheit gegenüber denen, welche die Schalthebel solcher Apparaturen beherrschen. Deshalb erhalten grundlegende Normen wie die Respektierung der Menschenwürde, der Freiheit und des sozialen Rechtsschutzes eine große Bedeutung überall in der Welt, weil der moderne „Leviathan" nur durch die Beachtung solcher Grundwerte zu bändigen ist.

Die Auseinandersetzung der Gegenwart kreist um ein Doppelproblem: um soziale Stabilität und um die Respektierung demokratischer Grundwerte. Die auch hierzulande geführte Grundwertediskussion zeigt, daß ein politisches System mehr zu leisten hat, als seinen Bürgern allein materiellen Wohlstand zu garantieren. Die Erfahrung des letzten Jahrzehnts macht deutlich, welche Entwicklungen entstehen, wenn die Kluft zwischen Grund-wertvorstellung und Lebensrealität immer größer wird. Die Sinnkrise des Westens hängt mit der „versäumten Reform" und dem Mangel an positivem Wertbewußtsein eng zusammen. Dieses „ideologische Vakuum" ist von jenen ausgefüllt worden, die im Kapitalismus-Sozialismus-Gegensatz noch das grundlegende Kriterium der Zeit erblickten. Mit der Renaissance des Marxismus setzte sich ein Wandel im Wertbewußtsein durch, das Kollektiv und das Gleichheitspostulat rückten in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Der Kampf gegen die pluralistische Demokratie wurde mit den ökonomischen und legitimatorischen Krisenursachen gerechtfertigt. Jeder vermittelnde Gedanke, das gegenwärtige System durch Selbst-steuerung und Selbstkorrektur von eklatanten Mängeln und Defiziten zu befreien, um seine Konsens-und Funktionsfähigkeit zu erhalten, stieß auf massive Ablehnung.

Dieser Rigorismus, der seine ideologischen Wurzeln nicht verleugnen konnte, löste neue Reflexionen -auch in der politischen Bildung -aus. Unter dem Aspekt dieser Auseinandersetzung mußte erst wieder das Bewußtsein für die wertbewußte und streitbare pluralistische Demokratie und für ihre „Verfassung der Freiheit" aktiviert werden. Daher galt es, Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen, um unverzichtbare Errungenschaften dieser Demokratieform zu verteidigen. Der Vorwurf einer „Scheindemokratie" (mit der Implikation, sie würde allein den Herrschenden dienen) und die utopische Vorstellung einer „herrschaftslosen Gesellschaft" bedurften einer eingehenden Analyse.

Da die gewählten Zielsetzungen und die radikale Transzendierung des Systems sich nicht verwirklichten, setzte sich eine nüchterne Reflexion wieder durch, die das utopische Element im Politischen zurückdrängte. Es genügte nicht, eine „schlechte Realität" exzessiv zu kritisieren und sich für eine bessere politische Realität zu engagieren, ohne die konkreten Wege zu solchen Zielsetzungen mitzubedenken. Ziele, die sich nicht verwirklichen lassen, weil sie die Leistungsmöglichkeit einer Generation überfordern, verursachen letztlich Enttäuschung.

Die erstaunliche Funktionsfähigkeit der westlichen Demokratien -unbeschadet ihrer manigfachen Probleme -hat auch marxistische Theoretiker zum Umdenken bewegt, weil sich die attackierte Gesellschaftsform als so flexibel und innovativ erweist, daß sozialistische Staaten bereit sind, mit ihr engste wirtschaftliche Verflechtungen einzugehen. Damit erweitert sich die Uberlebenschance entgegen den ideologischen Behauptungen, die auf die vermeintlich widersprüchliche Koexistenz von politischer Ökonomie und liberaler Demokratie hinweisen. Das prophezeite Ende des „legitimatorischen Gleichgewichtszustandes" wird kaum eintreten, jedenfalls solange nicht, als es dieser Gesellschaftsform gelingt, die menschenwürdige und sozialstaatliche Demokratie zu repräsentieren.

Politische Bildung hat in der Gegenwart die Aufgabe, rationale Systemanalysen zu entwerfen sowie die Problemlösungs-und Verwirklichungsfähigkeit eines Systems zu bestimmen, weil erst die reale Praktizierung von Prinzipien über den wahren Stellenwert eines Systems entscheidet. Politische Bildung, die sich für eine Steigerung der Verwirklichungsfähigkeit ihrer freiheitlichen Prinzipien und spezifischen Aufgabenfelder einsetzt, engagiert sich zugleich für den Friedenswert und für eine bessere Gesellschaftsordnung, die durch soziale Stabilität und durch Erweiterung der Freiheitsrechte in aller Welt zu realisieren ist. Die eingetretene Blickveränderung der politischen Bildung -sich von der utopischen Zieldiskussion abzuwenden, um eine rationale Ziel-und Verwirklichungsdiskussion zu führen -bedeutet, dem Friedensziel in einem multipolaren Spannungsfeld der Weltpolitik eine Chance einzuräumen, die man nicht ohne die Fähigkeit zur politischen Rationalität wird nutzen können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, München 1965.

  2. Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, München 19651, S. 110.

  3. Vgl. Gabor Kiss, Einführung in die soziologischen Theorien II, Opladen 1973, S. 192 f., der die Kritik am „statischen Konzept" auf ein Mißverständnis zurückführt.

  4. Vgl. Ralf Dahrendorf, S. 212.

  5. Vgl.ders., S. 111, auch S. 124 f„ 130, 197 f.

  6. Vgl.ders., Soziale Klassen und Klassenkonflikt, Stuttgart 1957, S. 139.

  7. Vgl. Hermann Giesecke, S. 102.

  8. Vgl.ders., ebenda.

  9. Vgl. H. G. Assel, Partnerschaft -im Rückblick, in: Westermanns Pädagogische Beiträge 3/1978, S. 86 ff.

  10. Vgl. Friedrich Oetinger, Partnerschaft, Stuttgart 19563, S. 107 f„ 125 f., 133 f„ 137, 140.

  11. Vgl. B. Blanke, U. Jürgens, H. Kastendiek, Kritik der Politischen Wissenschaft 1, Frankfurt 1976, S. 31.

  12. Vgl. Hermann Giesecke, S. 24.

  13. Vgl.ders., S. 24 f.

  14. Vgl. H. G. Assel, Kritische Gedanken, S. 18.

  15. Vgl. Erwin Schaaf, Ordnung und Konflikt als Grundprobleme der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1/70, S. 5.

  16. Vgl.ders., S. 9.

  17. Vgl. H. G. Assel, Kritische Gedanken, S. 21.

  18. Vgl. H. ‘G. Assel, Kritische Gedanken, S. 19.

  19. Vgl. Wolfgang W. Mickel, Das Wertproblem in der politischen Bildung der Gegenwart, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 4/78, S. 7 ff., der meine Position interpretiert; ferner Ernst Wolfgang Buch-holz, Ideologie und latent sozialer Konflikt, Stuttgart 1968, S. 58, Ralf Dahrendorf, S. 115 f.

  20. Vgl. K. Huser, W. Beckers, F. Küpper, Politische Bildung in Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert, Neuwied, Darmstadt 1976, S. 95 ff.

  21. Vgl. Wolfgang Lempert, Zum Begriff der Emanzipation, in: Neue Sammlung 1973, S. 54 ff.

  22. Vgl. Ludwig Kerstiens, Modelle emanzipatorischer Erziehung, Heilbrunn 1974, S. 62.

  23. Vgl. dazu Lexikon der Soziologie, hrsg. von Werner Fuchs u. a., Opladen 1973, S. 623 f.

  24. Rolf Schmiederer, Zur Kritik der politischen Bildung, Frankfurt 1971, S. 12.

  25. Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, München 197610, S. 54.

  26. Vgl. Wilfried Gottschalch, Bedingungen und Chancen politischer Sozialisation, Frankfurt 1972, S. 23.

  27. Vgl. Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt 1973, S. 91 f., S. 190 f.

  28. Günther C. Behrmann, Soziales System und politische Sozialisation, Stuttgart 1972, S. 164.

  29. Vgl. Hans Jochen Gamm, Das Elend der spät-bürgerlichen Pädagogik, München 1972, S. 62.

  30. Vgl.ders,, S. 29 ff.; vgl. auch Andre Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, Frankfurt 19705, S. 97 ff„ der die Gefahr der „Verbürgerlichung werktätiger Massen in einer „Zivilisation des Wohlstandes“ sieht.

  31. Vgl.ders., S. 157, wo er die „Addition destruktiver Einflüsse durch die spätkapitalistischen Verhältnisse" für die Kinder-und Jugendkriminalität hervorhebt.

  32. Vgl. meinen Beitrag: Ideologisierung oder politische Bildung? Zur Problematik der Parteilichkeitsthese, in: Gesellschaft -Staat -Erziehung, 6. Heft 1972, S. 359 ff., S. 364.

  33. Vgl. Hans Jochen Gamm, S. 33.

  34. Ders., S. 58.

  35. Ders., S. 35.

  36. Ders., S. 62.

  37. Ders., S. 45.

  38. Ders., S. 46.

  39. Ders., S. 109 ff., bes. S. 112, S. 114.

  40. Ders., S. 62.

  41. Vgl. Ludwig Kerstiens, S. 18, der die Marxsche Emanzipationstheorie knapp darstellt (S. 16-22); vgl. auch Bernhard Sutor, Grundgesetz und politische Bildung, Hannover 1976, S. 82-86.

  42. Vgl. Karl Marx, Die Frühschriften, Stuttgart 1953, S. 192-199, wo die Marxsche Auffassung zur Emanzipation dargestellt wird; vgl. bes. S. 194-199.

  43. Vgl. Bernhard Sutor, S. 85.

  44. Vgl. H. J. Gamm, S. 143.

  45. Vgl. Rolf Schmiederer, Zur Kritik der politischen Bildung, Frankfurt 19712, S. 32.

  46. Vgl. John K. Galbraith, Gesellschaft im Überfluß, München/Zürich 1969.

  47. Rolf Schmiederer, S. 33.

  48. Ders., ebenda.

  49. Ders., S. 35.

  50. Vgl. Klaus Mollenhauer, Erziehung und Emanzipation, München 19703, S. 10.

  51. Rolf Schmiederer, S. 40.

  52. Ders., S. 52 f.

  53. Vgl. Bernhard Sutor, Grundgesetz, S. 24.

  54. Rolf Schmiederer, S. 53 ff.

  55. Ders., S. 26.

  56. Ders., S. 56 ff.

  57. Ders., S. 59; vgl. ferner Oskar Negt, Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen, Frankfurt 1968, S. 31.

  58. Vgl.ders., S. 58, S. 60 f. Ideologien werden hier in Übereinstimmung mit Werner Hofmann als Ausdruck der Interessen des überlegenen Teils der Gesellschaft interpretiert, d. h. sie besitzen einen sozial konservierenden Charakter und wirken ordnungsstabilisierend.

  59. Vgl.ders., S. 87.

  60. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 1. Bd., Berlin 1954, S. 153 (vgl. Rolf Schmiederer, S. 87).

  61. Vgl. R. Schmiederer, ebenda.

  62. Ders., S. 88-90.

  63. Ders., S. 22 f.

  64. Vgl.ders., Zwischen Affirmation und Reformismus, Frankfurt 1972, S. 176 f., wo er sich auf Holt-mann bezieht.

  65. Vgl.ders., Zwischen Affirmation und Reformismus, S. 181.

  66. Vgl. hierzu Wolfgang Abendroth, Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied, Berlin 1972.

  67. Rolf Schmiederer, Zur Kritik der politischen Bildung, S. 117 ff.

  68. Ders., S. 126; ferner Oskar Negt, S. 17.

  69. Ders., Politische Bildung im Interesse der Schüler, Hannover 1976, S. 78 f.

  70. Vgl.ders., S. 81. Diese neue Arbeit von Schmiederer bedarf einer ausführlichen Kommentierung im Detail, die hier nicht beabsichtigt ist. Interessant ist, daß manche Positionen nicht mehr in der früheren Schärfe vertreten werden. Zu kritisieren wäre, daß nun der Schüler eine überdehnte zentrale Stellung erhält. Daraus werden sich neue Kontroversen ergeben!

  71. Ders., S. 100 f.

  72. Ders., S. 101: „Utopisches Denken... steht... im Widerspruch zu jedem konservativen Denken, das zu Utopien unfähig ist, weil es glaubt, der Endzustand der Weltgeschichte sei schon erreicht". Offensichtlich sind Rückfragen an das utopische Denken nicht erwünscht!

  73. Karl Otto Hondrich, Theorie der Herrschaft, Frankfurt 1973, S. 16.

  74. Werner Hofmann, Stalinismus und Antikommunismus, Frankfurt 1967.

  75. Vgl. Zbigniew Brzezinski, Amerika im technokratischen Zeitalter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 22/68; ferner Amitai Etzioni, Die aktive Gesellschaft, Opladen 1975.

  76. Karl Otto Hondrich, S. 27.

  77. Ders., S. 27 f.

  78. Vgl. Bernhard Sutor, Grundgesetz, S. 121, der bemerkt, daß die politische Bildung nicht vor der Alternative . affirmativ'oder . kritisch'steht, weil die „kritische" Position nicht einseitig für eine bestimmte Theorie in Anspruch zu nehmen sei.

  79. Rolf Schmiederer, Zur Kritik der politischen Bildung, S. 22.

  80. Vgl. Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968, S. 164 f.

  81. Vgl. Bernhard Willms, Kritik und Politik, Frankfurt 1973, S. 151.

  82. Vgl. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie", Frankfurt 19747, S. 118 f., S. 158 f.

  83. Hans Albert, S. 181.

  84. Vgl. K. Huser, W. Beckers, F. Küpper, Politische Bildung in Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert, Neuwied, Darmstadt 1976, S. 66 ff., S. 95 ff., wo die Ansätze von Giesecke skizziert werden.

  85. Hermann Giesecke, Jugendarbeit, München 1971, S. 152 f.

  86. Ders., Einführung in die Pädagogik, München 1969, S. 95.

  87. Ders., Didaktik der politischen Bildung, München 197610, S. 9.

  88. Ludwig Kerstiens, Modelle emanzipatorischer Erziehung, S. 76 ff.

  89. Hermann Giesecke, Didaktik, S. 120.

  90. Ders., S. 122 f.

  91. Ders., S. 126.

  92. Ders., S. 127.

  93. Vgl. Hermann Gieseckes Darstellung des Ansatzes von Oskar Negt, in: Didaktik, S. 97 ff., besonders S. 102 f.

  94. Ders., S. 111.

  95. Ders., S. 44.

  96. Vgl. hierzu die Kontroverse zwischen Bernhard Sutor, Parteilichkeit politischer Bildung?, in: Materialien zur politischen Bildung, 4. Heft, 1974, S. 85 ff., und Hermann Giesecke, Wer macht den politischen Unterricht parteilich? Eine Antwort auf Bernhard Sutors Kritik, in: ebenda, 4. Heft 1974, S. 91 ff.

  97. Hermann Giesecke, Didaktik, S. 131.

  98. Ders., S. 132.

  99. Vgl. dazu die Darstellung von Ludwig Kerstiens, S. 75 ff.

  100. Hermann Giesecke, Didaktik, S. 139 ff.

  101. Ders., S. 147, wo diese fünf systematischen Schwerpunkte entwickelt werden.

  102. Ders., S. 161.

  103. Ders., S. 190 f.

  104. Ders., S. 227 und das folgende.

  105. Vgl. Helmut Willke, Zum Problem der Integration komplexer Sozialsysteme, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2. Heft 1978, S. 211 ff., S. 228 ff.

  106. Vgl. Henning Schierholz, Friedensforschung und politische Didaktik, Opladen 1977, S. 11 f.

  107. Vgl. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, Frankfurt 1969, S. 6.

  108. Vgl. Karl Kaiser, Friedensforschung in der Bundesrepublik, Hannover 1970, S. 31.

  109. Carl Friedrich von Weizsäcker, Der ungesicherte Friede, Göttingen 1969, S. 10.

  110. Vgl. die Darstellung des Ansatzes von Weizsäcker bei Paul Noack, Friedensforschung -ein Signal der Hoffnung?, Freudenstadt 1970, S. 72 ff.

  111. Vgl. zur Problemlage meinen Aufsatz: Innovation oder Revolution? Zum Problem der Friedens-strategien in der politischen Bildung, in: Zeitschrift für Politik, 2. Heft 1973, S. 123 ff.

  112. Vgl. Johan Galtung, Modelle zum Frieden, Wuppertal 1972, S. 15 f. Das „symmetrische Konfliktmodell" wirkte systemstabilisierend und ließ die Frage außer acht, ob das bestehende System erhaltenswert sei.

  113. Vgl. Dieter Senghaas (Hrsg.), Imperialismus und strukturelle Gewalt, Frankfurt 1972; E. Krippendorff, Probleme internationaler Beziehungen, Frankfurt 1972, S. 177 ff., S. 194— 203; Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Imperialismus, Köln 1970; Michael Bohnet, Das Nord-Süd-Problem. Konflikte zwischen Industrie-und Entwicklungsländern, München 1971.

  114. Vgl. Hermann Schmid, Friedensforschung und Politik, in: Dieter Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, Frankfurt 1971, S. 44 ff.

  115. Lars Dencik, Plädoyer für eine revolutionäre Konfliktforschung, in: D. Senghaas, a. a. O., S. 267.

  116. Ders., S. 252.

  117. Vgl. meine Darstellung: „Frieden in Freiheit" -eine zentrale Kategorie politischer Pädagogik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15/75, S. 25 ff.

  118. H. Schierholz, S. 53.

  119. H. G. Assel, Lernziel: Frieden als pädagogische Aufgabe, in: Welt der Schule, 10. Heft 1974, S. 345 ff., ferner meinen Aufsatz: Dialektik vom Krieg und Frieden als Problem politischer Bildung, in: Welt der Schule, 12. Heft 1972, S. 441-455.

  120. Vgl. H. Schicrholz, S. 54, der bemerkt, daß die meisten Ansätze sich höchstens auf zwei Ebenen beziehen lassen.

  121. Vgl. Karl Friedrich Roth, Erziehung zur Völkerverständigung und zum Friedensdenken, Donauwörth 1967, S. 18 ff., 52 f.

  122. Hartmut von Hentig, Spielraum und Ernstfall, Stuttgart 1969, S. 136.

  123. Ders., Erziehung zum Frieden, in: Spielraum, S. 146 ff.

  124. Vgl. „Friedensaufgaben der Deutschen", Studie, vorgelegt von der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für öffentliche Verantwortung, Gütersloh 1968, S. 8-10.

  125. Franz Hamburger, Friedenspädagogik. Zur Deformation politischer Pädagogik, Stuttgart u. a. 1973.

  126. Robert Ulich, Erziehung und die Idee der Menschheit, in: H. Röhrs, a. a. O., S. 67 ff.

  127. Dieter Emeis, Zum Frieden erziehen. Ein Arbeitsbuch, München 1968, S. 6.

  128. Dieter Senghaas, Erziehung zum Frieden in einer friedlosen Welt, in: Abschreckung, S. 268.

  129. Franz Hamburger, S. 23, der auf Bollnow, Ipfling und Roth als Beispiele verweist.

  130. Hamburger zitiert Dieter Emeis als exemplarisches Beispiel; vgl.seine a. a. O. angeführte Arbeit.

  131. Franz Hamburger, S. 26.

  132. Vgl. Dieter Senghaas, S. 258 ff., dessen Position als typisch für diesen Ansatz bezeichnet wird.

  133. Ders., S. 261.

  134. Franz Hamburger, S. 29.

  135. Ders., ebenda.

  136. Ders., S. 30, der bemerkt: „Frieden, verstanden als die Realisierung des Weltgemeinwohls unter den gegebenen internationalen Konstellationen, übernimmt eine ideologische Funktion, insofern mit diesem Friedensbegriff die ungestörte Aufrechterhaltung der Interessen der industrialisierten Länder abgedeckt wird."

  137. H. G. Assel, Friedenspädagogik, S. 164 f.

  138. Henning Schierholz, Friedensforschung und politische Didaktik, Opladen 1977.

  139. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden.

  140. Henning Schierholz, S. 64.

  141. Vgl. Herbert Selg (Hrsg.), Zur Aggression verdammt? Psychologische Ansätze einer Friedensforschung, Stuttgart 1971, S. 36 ff., 48 ff., 147 f. Der Angriff richtet sich auf das Triebmodell und die Frustrations-Aggressions-Theorie. Als Erklärungsmodell wird das lernpsychologische vorgestellt.

  142. Vgl. Hermann Röhrs, Erziehung zum Frieden. Ein Beitrag der Friedenspädagogik zur Friedens-forschung, Stuttgart 1971, S. 35 ff.

  143. Vgl. Dieter Jürgen Löwisch, Friedenspädagogik, Kritische Bemerkungen zur Einführung einer neuen pädagogischen Sonderdisziplin, in: Pädagogische Rundschau, 11. Heft 1972, S. 797.

  144. Vgl. Friedrich Minssen, Umgang mit dem Konflikt -Kern der Friedenserziehung, Bonn 1970 (Heft 90 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung).

  145. Karin Priester, Erziehung zum Frieden oder Die Abrichtung zur Zufriedenheit, in: betrifft: Erziehung, 6. Heft 1972, S. 27 ff., hier S. 31; vgl. auch die Kritik von H. Schierholz, S. 64 f.

  146. Fritz Vilmar, Systematischer Entwurf zur kritischen Friedensforschung, in: D. Senghaas, Kritische Friedensforschung, S. 370 f.

  147. Ders., S. 389 f.

  148. H. Schierholz, S. 67.

  149. Ders., S. 390 f.

  150. Arno Klönne, Friede und politische Bildung, in: H. O. Franco Rest, Waffenlos zwischen den Fronten, Graz, Wien, Köln 1971, S. 272-277.

  151. Ders., S. 284.

  152. Vgl. Johan Galtung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: D. Senghaas: Kritische Friedens-forschung, S. 56 ff.

  153. H. Schierholz, S. 72, der eine treffende Kritik an Karin Priester formuliert, vgl. auch S. 96 f.

  154. Vgl. D. J. Löwisch, S. 809.

  155. Vgl. Christoph Wulf, a. a. O. und: Friedenserziehung in der Diskussion, München 1973.

  156. FI. Schierholz, S. 75.

  157. Vgl. Wolfgang Billigen, Zur Didaktik des politischen Unterrichts I, Opladen 1976, S. 113 ff., sowie Saul B. Robinson, Bildungsreform als Revision des Curriculums, Neuwied, Berlin 1967, S. 45.

  158. Vgl. D. Grosser, M. Hättich, H. Oberreuter, B. Sutor, Politische Bildung. Grundlagen und Ziel-projektionen für den Unterricht an Schulen, Stuttgart 1976, Vorwort (später mit „Grundlagen" zitiert).

  159. Grundlagen, S. 21.

  160. Manfred Hättich, Rationalität als Ziel politischer Bildung, München 1977, S. 11.

  161. Ders., S. 24 f.

  162. Ders., S. 39.

  163. Ders., S. 48.

  164. Ders., S. 61.

  165. Ders., S. 76 f.

  166. Bernhard Sutor, Grundgesetz und politische Bildung, Hannover 1976, S. 49 (später mit „Grundgesetz" zitiert).

  167. Ders., S. 51; ferner ders., Das Menschenbild des Grundgesetzes. Minimalkonsens politischer Bildung, in: K. G. Fischer (Hrsg.), Zum aktuellen Stand der Theorie und Didaktik der politischen Bildung, Stuttgart 1975, S. 148 ff. (später mit „Menschenbild" zitiert).

  168. Ders., Menschenbild, S. 151 f.

  169. Ders., Grundgesetz, S. 54 f., wo die Begriffs-paare eingehend erläutert werden.

  170. Bernhard Sutor, Grundgesetz, S. 106 ff.

  171. Ders., Grundgesetz, S. 112.

  172. Ders., S. 110 f.

  173. Ders., S. 114.

  174. Hans Hermann Hartwich, Demokratieverständnis und Curriculumrevision, in: Gegenwartskunde, 2. Heft 1973, S. 144.

  175. B. Sutor, Grundgesetz, S. 118.

  176. Ders., Didaktik, S. 292.

Weitere Inhalte

Hans-Günther Assel, Dr. oec., Dr. phil., geb. 1918 in Breslau; Ordinarius für Politikwissenschaft am Fachbereich Erziehungs-und Kulturwissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: Weltpolitik und Politikwissenschaft. Zum Problem der Friedenssicherung (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 77), Bonn 1968; Die Perversion der politischen Pädagogik im Nationalsozialismus, München 1969; Ideologie und Ordnung als Probleme politischer Bildung, München 1970; Friedenspädagogik (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 88), Bonn 1971; Demokratie auf dem Prüfstand. Unsere Gesellschaft und ihre Kritiker, München 19742 (Heft A 41 der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit); Demokratischer Sozial-pluralismus, München-Wien 1975; Zum Strukturwandel politischer Ideologie, in: Die Mitarbeit. Zeitschrift zur Gesellschafts-und Kulturpolitik, Heft 1/2, 1976.