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Entwicklungsphänomen Israel: Vom Kibbuz zum Kapitalismus? | APuZ 4/1979 | bpb.de

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APuZ 4/1979 Artikel 1 Entwicklungsphänomen Israel: Vom Kibbuz zum Kapitalismus? Wandlungen in der Wirtschaftspolitik Israels Judentum und Holocaust im deutschen Schulunterricht

Entwicklungsphänomen Israel: Vom Kibbuz zum Kapitalismus?

Christiane Busch-Lüty

/ 62 Minuten zu lesen

Einführung

Abbildung 1

Die dramatischen Verhandlungsschlachten, die seit Monaten auf der weltpolitischen Bühne um eine Friedenslösung im Nahen Osten geschlagen werden, haben in dieser Zeit fast völlig von einem anderen Schauplatz der israelischen Politik abgelenkt, auf dem ebenfalls vor nunmehr gut einem Jahr die Zeichen auf Kurswechsel gestellt wurden: gemeint ist die „Neue Wirtschaftspolitik", die am 29. Oktober 1977 mit einer Überraschungsaktion vom israelischen Finanzminister Simcha Ehrlich in Szene gesetzt worden war mit der erklärten Absicht, Israels Wirtschaft in Zukunft auf einen stärker marktwirtschaltlich gesteuerten Kurs zu führen.

Dieser Kurswechsel dokumentierte sich zunächst in Liberalisierungsmaßnahmen im Bereich der Währungspolitik, die zu einer Freigabe und Abwertung des israelischen Pfundes führten Insgesamt sollte über die schrittweise Befreiung von bürokratischen Reglements und die Zurückdrängung staatlicher und kollektiver Aktivitäten zugunsten privater Initiativen längerfristig das seit drei Jahren stagnierende Wirtschaftswachstum angekurbelt werden, mit Schwerpunkt auf den exportorientierten Industriesektoren. Darüber hinaus sollte eine Senkung der extrem hohen israelischen Inflationsrate von über 40 Prozent durch Drosselung der öffentlichen und privaten Nachfrage, sowie eine allgemeine Steigerung der Produktivität vor allem durch Rationalisierungsmaßnahmen erreicht werden

Gerade die jüngsten Fortschritte auf dem Weg zu einer zumindest partiellen Befriedung im Nahen Osten haben vielfach als Signal gewirkt, Überlegungen und Planungen, aber auch Spekulationen und Zukunftsvisionen über die damit frei werdenden wirtschaftlichen Entwicklungskräfte und ihre Möglichkeiten etwa im Rahmen einer israelisch-ägyptischen Kooperation oder gar eines größeren „Gemeinsamen Marktes" in Nahost anzustellen.

Sicherlich ist es an der Zeit, den Fragen der sozialökonomischen Entwicklung in diesem Raum stärkere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Zweifellos hat gerade in der deutschen Of-fentlichkeit die Tatsache bisher relativ wenig Beachtung gefunden, daß Israel in den dreißig Jahren seiner bisherigen staatlichen Existenz eben nicht nur seine vielerorts bewunderte politische und militärische Lebenskralt bewiesen, sondern auch eine soziale und wirtschaftliche Entwicklungsdynamik gezeigt hat, die ähnlich der Wiederaufbauleistung im Nachkriegs-Deutschland durchaus als „Wirtschaftswunder“ etikettiert werden kann

Die besonderen Bedingungen und Formen dieser erstaunlichen wirtschaftlichen Entwicklung sind — wie fast alles in diesem neuen israelischen Gemeinwesen — geprägt und damit nur erklärbar aus der Verarbeitung geschichtlicher Erfahrungen des jüdischen Volkes und den daraus im Zionismus entwickelten sozialen Wert-und Ordnungsvorstellungen für die Errichtung einer neuen Gesellschaft, wie sie in der Pionierphase der jüdischen Einwanderung nach Palästina in die Praxis umgesetzt worden sind Der neue wirtschaftspolitische Kurs der Regierung Begin bedeutet in seiner auf Liberalisierung und ökonomische Effizienz gerichteten Intention offensichtlich einen Bruch mit den kollektiven Idealen dieser Pioniergeneration, die einem „konstruktiven Sozialismus" huldigte, und mit den bisher in Israel vorherrschenden Ordnungsvorstellungen einer . Labour Economy

Abseits aller ideologischen Wertungen stellt sich damit für dem ökonomisch geschulten Betrachter die Frage, wie weit ein Programm des Wirtschaftsliberalismus den zukünftigen Entwicklungsaufgaben von Wirtschaft und Gesellschaft in Israel unter den in diesem Land gegebenen speziellen Bedingungen gerecht werden und mit den bisherigen Grundlagen und Handlungsmaximen der israeli-sehenWirtschaftsgesellschaft vereinbart werden kann.

Die Frage nach der Adäquanz alternativer wirtschaftspolitischer Philosophien und Programme mündet damit ein in die Problematik einer langfristigen sozialökonomischen Entwicklungskonzeption für Israel, unter Berücksichtigung vor allem der historischen, geopolitischen und natürlichen Rahmenbedingungen. Dieses Problem ist nur anzugehen, wenn zunächst einmal die Hauptlinien der bisherigen sozialökonomischen Entwicklung in Israel nachgezeichnet und dabei neben den Ergebnissen auch die wesentlichen Triebkräfte dieses Prozesses herausgestellt werden (I).

In einem zweiten Schritt müssen dann die Schlüsselprobleme der israelischen Entwicklungspolitik auf dem weiteren Weg in die Industrialisierung identifiziert werden: Schwachstellen und Engpässe als retardierende Momente ebenso wie erfolgversprechende Ansatzpunkte für eine weitere Entwicklung als stimulierende Faktoren (II).

Erst danach können in einem dritten Schritt gewisse Schlußfolgerungen und sachlich begründete Aussagen gewonnen werden über notwendige Formen und Inhalte israelischer Entwicklungspolitik, die möglicherweise auch für den aktuellen Widerstreit wirtschafts-und strukturpolitischer Ordnungsvorstellungen in Israel eine Orientierungshilfe bieten können (III).

Israel stellt als Entwicklungsland trotz aller Sonderbedingungen aufgrund seiner räumlich begrenzten Dimensionen und zeitlich gerafften Abläufe sowie der hohen Transparenz seiner internen Daten und Prozesse einen fast idealen sozialökonomischen „Laborversuch" dar, dessen Ergebnisse und Erkenntnisse zweifellos trotz gebotener Vorsicht bei ihrer verallgemeinernden Anwendung auch für andere Entwicklungsländer verwertbar sind. Auch wenn damit Israel nicht als „entwicklungspolitischer Modellfall" schlechthin etikettiert werden kann und soll, ergeben sich daraus doch in der Vergangenheit und erst recht für eine friedlichere Zukunft Möglichkeiten und Chancen des Wirkens von Israel über seine Grenzen hinaus als — passives — Entwicklungsmodell und als — aktiver — Entwicklungshelfer (IV).

I. Bilanz eines dreißigjährigen „Wirtschaftswunders" in Israel

Tabelle 1

1. Ergebnisse Die „Entwicklungsformel“ der israelischen Wirtschaft in den 30 Jahren seit der Staats-gründung wurde auf einer internationalen entwicklungspolitischen Tagung in aller Kürze umschrieben als „rapid economic expan-sion combined with social effort": schnelles wirtschaftliches Wachstum verbunden mit sozialen Anstrengungen“). Sucht man nach Indikatoren, die in aller Kürze ein Bild des israelischen „Wirtschaftswunders“ vermitteln, so wird man neben den üblichen globalen Wachstumsgrößen vor allem strukturelle Entwicklungen von Produktion und Verteilung beachten müssen.

Das fast atemberaubende Tempo des dreißigjährigen Wachstumsprozesses der israelischen Wirtschaft dokumentiert sich zunächst einmal recht eindrucksvoll in der überschlägigen Verneunfachung des realen Bruttosozialprodukts (BSP) in Israel im Zeitraum von 1950 bis 1973 Da das Jahr 1973 mit dem Yom-Kippur-Krieg auch in der wirtschaftlichen Entwicklung Israels einen tiefen Einschnitt mit nachfolgenden national und international bedingten Stagnationstendenzen brachte, empfiehlt es sich, diese Zäsur auch in der Terminierung der relevanten Daten zu berücksichtigen.

Mit + 6, 6°/o für 1974, + 2, 2% für 1975, + 0, 9% für 1976 und + 0, 5% für 1977 wird der starke Abfall des Entwicklungstempos des BSPs besonders deutlich, wenn man die Werte dieser letzten vier Jahre mit der durchschnittlichen jährlichen realen Wachstumsrate von 10, 5% in den 25 Jahren zuvor vergleicht

Mit diesem extrem steilen Entwicklungspfad hatte Israel — neben Japan — in dies 5% in den 25 Jahren zuvor vergleicht 8).

Mit diesem extrem steilen Entwicklungspfad hatte Israel — neben Japan — in diesem Zeitraum das Wachstumstempo aller anderen Länder der Welt in den Schatten gestellt. In eben diesen ersten 30 Jahren hat sich die Bevölkerung des Staates Israel mehr als vervierfacht; dennoch ist das Bruttosozialprodukt pro Kopi jährlich bis 1973 im Durchschnitt um 6% gestiegen: von einem Niveau von 473 US-Dollar im Jahre 1950 auf 1 225 US-Dollar 1972 9).

In einer Untersuchung aus dem Jahr 1965 kommt Rene L. Frey 10) bei einem internationalen Wohlstandsvergleich anhand von vier Wohlstandsindikatoren (Prokopfeinkommen; Industrialisierungsgrad, gemessen am Anteil der im primären Sektor Beschäftigten; Lebenserwartung bei Geburt; Kalorien je Einwohner) zu dem Ergebnis, daß Israel 1961 bereits das Wohlstandsniveau damals „mittelreicher" europäischer Staaten (z. B. Italien, Norwegen) erreicht hatte und beim Indikator . Lebenserwartung'sogar an erster Stelle rangierte. Unter Zugrundelegung der israelischen Entwicklungsplanung rechnete Frey damals damit, daß Israel bis 1975 das Wohlstandsniveau der höchstentwickelten europäischen Staaten zu Beginn der sechziger Jahre erreichen würde; da die realisierten Wachstums-werte in Israel in dieser Zeit eher insgesamt über den Plandaten lagen, dürfte sich diese Erwartung erfüllt haben.

Vor allem bis 1973 war die Entwicklung der israelischen Wirtschaft mit starken strukturellen Veränderungen in der Zusammensetzung des Sozialprodukts verbunden In der ersten Dekade hatte die Landwirtschalt unter dem Gesichtspunkt der Versorgung und Beschäftigung der durch Einwanderung rapide wachsenden Bevölkerung höchste Priorität. Als Ende der fünfziger Jahre die verfügbaren Boden-und Wasserressourcen praktisch vollständig genutzt waren und die geringe Einkommenselastizität der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten sich in einer stagnierenden Binnennachfrage auswirkte, flachte die steile Wachstumskurve der landwirtschaftlichen Erzeugung ab. Zusammen mit der fortgesetzten Produktivitätssteigerung durch technischen Fortschritt wirkte diese Entwicklung dahin, daß der Anteil der in der israelischen Landwirtschaft Beschäftigten von 15% der Gesamtbeschäftigung im Jahre 1955 auf etwa 7% im Jahre 1973 zurückging und damit sich bereits stark den in hochentwickelten westlichen Industrieländern üblichen Strukturdaten annäherte. Entsprechend sank der Anteil der landwirtschaftlichen Produktion am Netto-Inlandsprodukt Israels zu Faktorkosten von 11,4% 1952 auf 5,8% 1973 12).

Im Zeitraum der Anteil des gleichen hat gewerblichen Sektors wesentlich zugenommen. So beschäftigte die verarbeitende Industrie.

1954 erst 24%, 1973 bereits 29% aller Arbeitnehmer und steigerte in dieser Zeit ihren Beitrag zum Netto-Inlandsprodukt von 21,7% auf 26,2%. Auffallend hoch im internationalen Vergleich ist der Anteil des Tertiären Sektors im weiteren Sinne (Transportwesen, Handel, Banken, öffentliche Dienste) mit im Zeitablauf relativ konstanten etwa 50%; er weist auf den gewichtigen Anteil des öffentlichen Sektors im israelischen Wirtschaftsgefüge hin — vor allem von Aktivitäten im Bereich des Infrastrukturausbaus —, zugleich aber auch auf die dadurch gewissermaßen „eingebauten" Bremsen für globale Produktivitätssteigerungen. Wenn häufig festgestellt wird, daß Israel nach gängigen Kriterien seit seiner Gründung in zunehmendem Maße wirtschaftlich über seine Verhältnisse gelebt habe und noch lebe, so ist damit die Tatsache angesprochen, daß das Land von seinen Anfängen an etwa ein Fünftel, nach zwischenzeitlicher Abnahme neuerdings sogar bis zu einem Drittel seiner insgesamt verbrauchten Ressourcen von außen „zugeschossen“ bekam. Anders ausgedrückt: Das Brutto-Inlandsprodukt deckte in den letzten Jahren nur zu etwa zwei Dritteln die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die Angebotslücke wurde durch Importüberschüsse aufgefüllt, bei einem Anteil des militärischen Sektors von gut einem Drittel am Bruttosozialprodukt (seit dem Yom-Kippur-Krieg 1973) in erster Linie durch ausländische Waffenlieferungen. Da diese durchweg über Kanäle des Staatshaushalts laufen und ihn entsprechend aufblähen, erklärt sich daraus die fast absurd erscheinende Relation, daß der Umfang des israelischen Staatsbudgets heute etwa 90 % des Volumens des israelischen Bruttosozialprodukts entspricht.

Die Verwendung dieser gesamten Ressourcen (Bruttosozialprodukt plus Importüberschuß) sah seit 1973 folgendermaßen aus (vgl. Tab. 1 13)Gerade der Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland macht dabei den hohen Anteil der Verwendung der israelischen Ressourcen für nichtinvestive Zwecke des Staates — zu Lasten des privaten Verbrauchs und der Investitionen — deutlich.

Bedingt durch die chronischen Defizite vor allem in seiner Außenhandelsbilanz sowie in allen Bereichen der öffentlichen Güterversorgung lebt Israel von Anfang an unter starkem inflationären Druck. Während sich in den ersten 25 Jahren die Inflationsrate stets um die 7— 8°/o-Marke hielt, ist sie nach dem Yom-Kippur-Krieg bedrohlich angestiegen und bewegt sich in den letzten Jahren zwischen 30 und 40 °/o. Komplizierte indexabhängige Ausgleichsmechanismen, die ihrerseits wieder inflationstreibend wirken, sorgen vor allem im Kreditbereich und bei den Einkommen für eine Kompensation dieser Geldentwertung für den einzelnen durch Überwälzung auf die Allgemeinheit, d. h. die Staatskasse. Auf diese Weise wird jedenfalls die gleichmäßige Verteilung der Inflationslasten erreicht.

Die Erfolge der israelischen Entwicklungsformel „rapid economic expansion combined with social effort" können ohnehin nicht eingeschätzt werden, ohne das Resultat eben dieser „sozialen Bemühungen" bei der Verteilung des materiellen Wohlstandszuwachses zur Kenntnis zu nehmen. Hier scheint das egalitäre Verteilungsideal der israelischen Gründer-generation sich in beachtlichem Maße gegen die dem ökonomischen Entwicklungsprozeß innewohnenden Differenzierungstendenzen durchgesetzt zu haben. Die Einkommensverteilung Israels ist eine der gleichmäßigsten der Welt und übertraf darin z. B. Anfang der sechziger Jahre nach Norwegen noch Länder wie Dänemark, Großbritannien und Schweden und sogar sehr beträchtlich die Niederlande, die Bundesrepublik Deutschland und erst recht die USA u). Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung nahm dann die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Israel bis 1967 leicht zu, danach setzte sich der egalitäre Trend wieder stärker durch (vgl. Tab. 2).

Die Vergleichszahlen aus der Bundesrepublik Deutschland zeigen übrigens, daß die israelischen Verteilungswerte insgesamt in der Tat dem Gleichheitsideal etwas mehr angenähert sind. 2. Wesentliche Entwicklungsfaktoren Fragt man nach den Hauptfaktoren, die sowohl stimulierend als auch retardierend die wirtschaftliche Entwicklung Israels seit seiner Gründung im wesentlichen bestimmt haben, so muß zunächst zur Kenntnis genommen werden, was David Horowitz, prominenter israelischer Ökonom und langjähriger Präsident der Zentralnotenbank in Jerusalem, mit der Kompetenz des Insiders so zusammenfaßt:

. Exogenous extraeconomic factors play an exceptionally large role in the development of Israel. Geopolitical and Strategie conjunctures, the historical background, psychological and ideological forces, and ethnic diversity are among the most powerful determinants of Israel's social and economic pattem, and no analysis of its formation and growth can af-ford to disregard them. The political background especially must always be kept in mind. Political events exert a much more de-cisive influence on Israel s economy than is usual in other countries, owing to the special role of immigration and Capital Import, and regional events and developments . . („Exogene außerökonomische Faktoren spielen in der Entwicklung von Israel eine ungewöhnlich große Rolle. Geopolitische und strategische der historische Hintergrund, psychologische und ideologische Kräfte, ethnische gehören zu den wirksamsten Bestimmungsgründen der israelischen Sozial-und Wirtschaftsbedingungen, und eine Analyse ihres Werdens und ihrer Gestaltung ist nicht möglich ohne sie . . . Speziell der politische muß berücksichtigt unbedingt werden. Politische Ereignisse üben einen weitaus entscheidenderen Einfluß auf die Wirtschaft Israels aus, als es in anderen Ländern die Regel ist, und zwar wegen der besonderen Bedingungen der Einwanderung und des Kapitalimports, wegen regionaler Verhältnisse und Entwicklungen . . .")

Eben diese Dominanz politischer Bestimmungsgründe erschwert die Identifizierung jener ökonomischen Faktoren, die als Hauptantriebskräfte bzw. -hindernisse der israelischen Wirtschaftsentwicklung gewirkt haben. Folgt man dem Schema der ökonomischen Produktionsfaktoren: Arbeit — Natur — Kapital, so kann man damit immerhin gewisse Anhaltspunkte für eine solche Identifizierung gewinnen, die allerdings zusätzlich noch die wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Aktivitäten zu berücksichtigen hat.

Entscheidender Entwicklungsiaktor Arbeit Der entscheidende und maßgebliche Bestimmungsgrund der ökonomischen und sozialen Entwicklung Israels liegt in seiner Bevölke rung: „Demography is the crucial and conclusive determinant of the economic and social development of Israel." („Die Demographie ist der kritische und entscheidende Bestimmungsgrund der ökonomischen und sozialen Entwicklung Israels.") Die Tatsache, daß das rapide Bevölkerungswachstum Israels (von 810 000 1948 auf 3 610 000 1978, das ist eine Zunahme um 350 °/o) nur zum kleineren Teil aus natürlichem Wachstum resultiert, überwiegend aber — zu 65 °/0 — durch Einwanderung zustande kam, unterscheidet die demographische Entwicklung des Landes ganz erheblich von der anderer Entwicklungsländer.

Mit einer Jahresrate von etwa 6% im Durchschnitt des Zeitraums 1948 bis 1970 (in der ersten Dekade sogar von 15 °/o) übertrifft die Wachstumsrate der israelischen Bevölkerung selbst die Bevölkerungsexplosion mancher Entwicklungsländer um gut das zwei-bis dreifache. Horowitz spricht insofern zu Recht von dem israelischen Phänomen als einer „Bevölkerungstransplantation", -deren treiben de Kräfte nicht den historischen Kolonisierungsmustern folgend von ökonomischen Anreizen dominiert und daher auch nicht durch Absorptionsgrenzen des Landes limitiert waren „Israel is not a colonization venture of traditional pattem but rather a transplantation of population, a transplantation that took place in the form of a transfer, in sudden tides, of immigrants possessing the prerequisites of skill and Capital and automatically providing their own internal market." („Israel stellt nicht ein Kolonisierungsunternehmen traditioneller Art dar, sondern eher eine Bevölkerungstransplantation, bei der in jähen Einwanderungswellen ein Transfer von menschlichem und finanziellem Kapital stattgefunden hat, der automatisch seinen eigenen Binnenmarkt geschaffen hat.") Daß die Absorption des Bevölkerungswachstums durch die interne Wirtschaftsentwicklung in Israel zumindest beschäftigungspolitisch gelang, beweist die dauerhaft sehr geringe Arbeitslosenrate des Landes (in den Jahren 1968 bis 1970 sogar partielle Engpässe am Arbeitsmarkt). Daß Israel als Einwandererland in seiner Wirtschaftspolitik dem Ziel der Vollbeschäftigung Priorität einräumen mußte, — auch um den Preis höherer Inflationsraten —, bedarf trotz des eben betonten Vorherrschens nicht-öko-nomischer Einwanderungsmotive zwar der Erwähnung, aber wohl kaum weiterer Diskussion.

Neben dem quantitativen Volumen der Bevölkerungstransplantation nach Israel verdient vor allem deren qualitative Struktur Beachtung: Hier ist immer wieder auf die große Bedeutung des kostenlosen Imports an . Know-how'und , skill‘ durch die Einwanderer, vor allem aus den Industrieländern Europas und Amerika, hingewiesen worden Ohne daß generell die „Infusions" -Wirkung dieser Importe an Geist und Können für das israelische Staats-und Wirtschaftsgebilde bestritten werden soll, muß dabei doch zweierlei beachtet werden: — Eben die besonderen Bedingungen der Transplantation, z. B. die Verpflanzung ganzer jüdischer Gemeinschaften nach Israel im Zuge der verschiedenen Einwanderungswellen, brachten es mit sich, daß die berufliche Qualifikation der Einwanderer nur ausnahmsweise den Erfordernissen der Besiedelung und der wirtschaftlichen Entwicklung in Israel entsprachen. Hunderttausende früherer Handelsleute, Hausierer und Büroangestellte mußten „umsteigen" auf Landwirtschaft, Hoch-und Tiefbau, militärische Aktivitäten. Erst in einem späteren Stadium der Entwicklung im Zuge der Industrialisierung des Landes kann man davon ausgehen, daß die israelische Wirtschaft direkt vom Import von Arbeitskräften mit aniorderungsgerechter Qualifikation profitiert hat. — Nicht übersehen werden darf auch das sehr unterschiedliche Qualifikationsniveau jüdischer Einwanderer aus den verschiedenen Ursprungsländern: So waren etwa ein Drittel der männlichen Einwanderer aus asiatischen und afrikanischen Ländern, die nach 1948 das Gros der Einwanderung stellten, Analphabeten, und die mittlere Dauer ihrer Schulbildung lag im Durchschnitt mit weniger als sechs Jahren um gut fünf Jahre unter der mittleren Schulbildung der europäischen und amerikanischen Juden

Will man die qualitativen Aspekte des Faktors Arbeit als Entwicklungsfaktor „Humankapital" in Israel richtig einschätzen, müssen demnach neben der „Importkomponente" unbedingt die intensiven Bemühungen und Erfolge in der sozialen und ökonomischen Integration und Assimilation sowie im systematischen Ausbau des im Lande verfügbaren Qualifikationspotentials durch ein außerordentlich differenziertes Erziehungs-und Bildungswesen Beachtung finden. Die Schwierigkeit, dies in Kürze durch geeignete Zahlen zu indizieren, ist offenkundig. Der hohe Stellenwert des Erziehungswesens in Israel ist allenfalls an seinem 3. Platz im Staatshaushalt (nach Schulden-und Verteidigungslast) abzulesen, an der ständigen Abnahme der Analphabeten-quote bis in die Nähe des auch in hochentwickelten westlichen Industrieländern üblichen Bodensatzes von 2— 5 % der Gesamtbevölkerung einerseits und der stetigen Zunahme des Anteils der Studenten andererseits. 14 °/o der arbeitenden Israelis haben heute eine akademische Ausbildung; das ist der höchste Prozentsatz in der ganzen Welt, vor den USA und Kanada mit 13, 2 °/o

Erst recht jeder quantitativen Indizierung entzieht sich ein Entwicklungsfaktor, der in Israel wesentlich zur Aktivierung und Effektivität des vorhandenen Potentials an Humankapital beigetragen hat; er hat sehr wenig mit üblichen ökonomischen Motivationen zu tun und kann am ehesten sehr pauschal als der „spezifisch jüdische Pioniergeist" umschrieben werden. Horowitz kennzeichnet diesen unwägbaren Produktionsfaktor so „The threat of physical destruction, a national singleness of purpose, the sense of grim necessi-ty and historical mission, the psychology of siege , with our backs to the sea': all were instrumental in giving a tremendous thrust to the work of reconstruction . .." („Die Bedrohung durch physische Vernichtung, nationale Zielstrebigkeit, ein Empfinden gebieterischer Notwendigkeit und historischer Mission, die psychologische Situation der Belagerung , mit dem Rücken zum Meer': all dies hat für das Werk des Wiederaufbaus als gewaltige Antriebskräfte gewirkt.")

Dabei spiegelt das Wort vom „Wiederaufbau" in sich schon ein wesentliches Element der Motivation wieder, womit zugleich sichtbar wird, daß jedenfalls dieser Entwicklungsfaktor möglicherweise nur zeitlich begrenzt wirksam ist. Mit welch dauerhaftem Ergebnis für die Ausformung neuer sozialökonomischer Strukturen das aber verbunden sein kann, zeigt etwa der geschichtliche Vergleich mit den Hugenotten oder Puritanern, deren Vertreibung und Neuansiedlung einem ähnlichen politischen und religiösen „Transplantationsmuster" folgte wie das zeitgenössische Schicksal des jüdischen Volkes.

Kärgliche natürliche Ressourcen Gemessen an seinen natürlichen Ressourcen ist Israel ein ausgesprochen armes Land: Bei ohnehin geringer geographischer Ausdehnung besteht es zu fast zwei Dritteln aus Wüste oder Bergland und nur zu etwa einem Drittel aus landwirtschaftlich nutzbarer Fläche. Die natürlichen Wasservorräte sind dürftig; Bodenschätze sind außer einigen chemisch verwertbaren Mineralien im Toten Meer und Negev sowie spärlichen Kupfervorkommen am Roten Meer so gut wie nicht vorhanden, -ähnliches gilt für natürliche Energiequellen. Diese Kargheit der natürlichen Bedingungen hat insofern gewirkt, als strukturbildender Faktor als er von vornherein alle Anstrengungen der Israelis auf die totale Mobilisierung des technischen Fortschritts bei der Erschließung und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes gelenkt hat. Dank der qualitativ reichen menschlichen Ressourcen des Landes konnten seine durch die Natur und erst recht durch seine geopolitische Situation gesetzten Engpässe vielfältig kompensiert werden: Parade-beispiele dafür sind z. B. die in Israel entwik-kelten Bewässerungstechniken und Projekte zur Energiegewinnung.

In einem Bericht aus dem Jahre 1968 urteilte eine Expertenkommission der Weltbank über die Ursachen des Wirtschaftswunders in Israel, daß dieses im wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen sei: das oben skizzierte Humankapital im Lande (...... a capable and determined population with a broad base of well-educated and energetic people who proved able to overcome the difficulties of economic development with great ingenuity . . .") (...... eine fähige und entschlossene Bevölkerung, gestützt auf eine breite Basis gebildeter und energiegeladener Menschen, die sich den Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung mit großem Einfallsreichtum gewachsen zeigte . . .") und den Kapitalimport („. . . and a relatively large and continuous flow of foreign Capital originating chiefly from private donations of American Jews and from reparation payments by West Germany") („. . . und ein relativ breiter und kontinuier-licher Zustrom ausländischen Kapitals, das primär privaten Dotationen amerikanischer Juden und Wiedergutmachungszahlungen Westdeutschlands entstammte.")

Kapitalbildung dank Auslandshilic Um die Bedeutung des Kapitalimports für die wirtschaftliche Entwicklung Israels einschätzen zu können, ist zunächst das Ausmaß der Kapitalbildung im Lande zu beachten: Von 1950 bis 1972 wuchs der reale Produktivkapitalstock um mehr als das zwölffache, die Kapitalausstattung pro Beschäftigten um mehr als das fünffache Allerdings ist die bis 1973 generell hochliegende gesamtwirtschaftliche Investitionsquote in den letzten Jahren stark rückläufig.

Die volkswirtschaftliche Finanzierung dieser Kapitalbildung sah so aus, daß zwar eine durchschnittliche private Sparquote von 5— 7 0/0 festzustellen ist, diese aber durch die laufenden Budgetdefizite der öffentlichen Hand vollständig absorbiert wurde, so daß in der Tat die gesamtwirtschaftliche Sparquote in Israel meist negativ war und damit — rechnerisch — praktisch die gesamte Kapitalbildung durch Kapitalimporte gedeckt wurde

Im Zeitraum von 1950 bis 1973 überstieg dieser Kapitalimport den gesamten Importüberschuß um 2 Milliarden Dollar und bestand zu zwei Dritteln aus einseitigen Kapitalübertragungen, davon etwa je ein Drittel aus deutschen Quellen und aus solchen des Auslands-judentums und ein Drittel aus langfristiger Schuldenaufnahme Daß sowohl das Ausmaß der Abhängigkeit Israels von ausländischen Kapitalübertragungen (in den allerletzten Jahren zunehmend aus US-Quellen) wie auch die hohe Schuldenlast ein hohes politisches wie auch wirtschaftliches Risiko für Israel beinhalten, ist offenkundig. Dennoch kann nicht ohne weiteres entsprechend dem oben zitierten Urteil der Weltbank konstatiert werden, daß die Kapitalimporte eine . Conditio sine qua non'der israelischen Wirtschaftsentwicklung gewesen seien. Eher scheint es sinnvoll, einer Argumentation zu folgen, die den Haupteffekt der Auslandshilfe darin sieht, daß sie die Notwendigkeit interner Kapitalbildung durch Sparen (z. B. mit Hilfe höherer Besteuerung) reduziert und damit eine Entwicklung des Konsums und eine Steigerung des israelischen Lebensstandards ermöglicht habe, die ihrerseits eine wichtige Funktion für die Integration der Einwanderer allgemein und besonders als Leistungsanreiz vor allem für die unternehmerischen Kräfte und die technische Intelligenz im Lande erfüllt habe Dank der Verfügbarkeit von Auslandskapital blieb damit den Israelis ungleich dem Schicksal anderer Völker in Vergangenheit und Gegenwart das „Erdarben" der industriellen Entwicklung durch Konsumverzicht weitgehend erspart, womit in der besonderen existentiellen und politischen Situation des jüdischen Volkes in Israel sicherlich das Maß des Menschenmöglichen überstrapaziert gewesen wäre.

Schließlich darf nicht übersehen werden, daß zu den Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung neben Wachstum und Struktur der Produktionsfaktoren auch Produktivitätssteigerungen gehören, die auf so vielfältige Quellen wie etwa den Erziehungsund Ausbildungsbereich, die unternehmerische Effizienz, Einführung fortgeschrittener Technologien oder auch generell Verbesserungen der gesamtwirtschaftlichen Koordinationsmechanismen zurückzuführen sind: Hier ist eine Identifizierung einzelner ursächlicher Faktoren schlechthin ausgeschlossen. Entsprechend ist es auch müßig, im Anschluß an den amerikanischen Ökonomen Abba Lerner der Frage nachzugehen, inwieweit Fortschritte in diesen Bereichen einer entsprechenden israelischen Wirtschaftspolitik zuzurechnen seien: waren sie möglich „dak" oder — wie Lerner eher annimmt— „trotz" derselben?

Sicherlich kamen praktisch alle bisher skizzierten Entwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft in Israel unter starkem Regierungseinfluß zustande. Dies wird bereits deutlich aus dem Ausmaß direkter Beteiligung des Staates in allen Bereichen der Wirtschaft: z. B. aus dem etwa 50prozentigen Anteil des „kollektiven Sektors" (je zur Hälfte in staatlicher und in gewerkschaftlicher Regie) an der gesamten industriellen Produktion, oder aus der Schlüsselstellung der Regierung bei der Aufbringung und Verteilung der Finanzmittel im In-und Ausland (insbesondere nachdem die israelische Steuerquote in den siebziger Jahren zu einer der höchsten in der Welt geworden ist.)

Regierungsaktivitäten als Entwicklungs-impulse und -hetnmnisse Daß Regierungsaktivitäten als Entwicklungsfaktoren zumeist sowohl stimulierend als auch retardierend gewirkt haben, zeigen Beispiele auf der Einnahmen-wie auch auf der Ausgabenseite des Budgets: — Das israelische Steuersystem ist mit seinen extrem hohen Spitzensteuersätzen (80 % Einkommensteuer bei den nach deutschen Maßstäben gehobenen mittleren Einkommen) und durch seine starke Progression nach landläufigen Kriterien als außerordentlich leistungshemmend einzuschätzen. Dennoch war die gesamte Steuerlastquote in Israel bis in die siebziger Jahre hinein durchaus mit den Verhältnissen in den meisten westeuropäischen Industrieländern vergleichbar, weil durch eine Fülle von Ausnahmen, Abzügen und Sondervergünstigungen die Basis des versteuerbaren Einkommens in Israel extrem schmal ist Nicht anzuzweifeln ist aber der Beitrag des progressiven Steuersystems zu den oben bereits erwähnten stark egalitären Einkommensverhältnissen in Israel. Auch diese können — je nach Standort — als entwicklungsfördernd oder auch -hemmend eingestuft werden. Intime Kenner der israelischen Szene schätzen aber gerade das Fehlen von Vertei-lungskonllikten — zwischen unterschiedlichen Einkommensgruppen wie zwischen verschiedenen Wirtschaftssektoren, etwa Landwirtschaft und Industrie — als wichtige und hilfreiche Bedingung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung im Lande ein

Erklärt wird dieser Zusammenhang aus den sozialen Wertmaßstäben und gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen der bisherigen israelischen Führungselite, die weitaus stärker von nationalen Gemeinwohlidealen als von partikulären Gruppeninteressen bestimmt waren. Daraus resultiert insgesamt in Israel bis auf den heutigen Tag ein Verteilungsklima, in dem die verschiedenen Einkommens-gruppen für die Verbesserung ihres Lebensstandards eher auf eine allgemeine Steigerung des Volkseinkommens als auf eine Verbesserung ihrer relativen Position setzen, wie das in weniger durch Solidarität geprägten westlichen Industriegesellschaften der Fall ist. Auch die bemerkenswerte Abwesenheit von Korruption in Israel, für die die vielfältigen und verschlungenen Finanzkanäle, die ins Land führen, sicherlich einen optimalen Nährboden liefern könnten, zeugt von dieser guten Verteilungsmoral. Gerade verglichen mit Erfahrungen in vielen anderen Entwicklungsländern gehört sie sicherlich zu den klaren Aktivposten der israelischen Entwicklungsbilanz. — Als die wirtschaftliche Entwicklung eindeutig hemmender Faktor wird allgemein Israels im internationalen Vergleich fast unerreicht hohe Verteidigungslast eingestuft: zumal diese in den vergangenen 30 Jahren einen immer größeren Anteil der nationalen Ressourcen verschlungen hat. Lagen in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre die Verteidigungsausgaben noch unter 8 % des Bruttosozialprodukts, so brachten die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Folge jeweils auch langfristig erhebliche Steigerungen dieser Quote. Nach dem Sinai-Krieg 1956 stieg sie zwar nur langsam bis zum 6-Tage-Krieg 1967 auf 10%, erreichte aber danach bis 1970 26 %, die bis 1972 dank rapidem Wirtschaftswachstum auf 21 % zurückgingen

Nachdem der Yom-Kippur-Krieg 1973 etwa zwei Drittel des gesamten israelischen Bruttosozialprodukts dieses Jahres verschlungen und die Ressourcen des Landes völlig erschöpft hatte, sind seither die Verteidigungsausgaben nicht mehr unter 30— 35% des BSP gesunken. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß die für Israel insgesamt verfügbaren Ressourcen dank des erheblichen Importüberschusses um etwa ein Drittel das BSP übersteigen, der Anteil der Verteidigungsausgaben an dieser Gesamtgröße also „nur" knapp ein Viertel ausmacht, wird die gewaltige Belastung des israelischen Wirtschaftspotentials daraus deutlich — und der Gewinn eines möglichen Friedensschlusses auch in ökonomischen Kategorien abschätzbar.

Dennoch dürfen auch die Impulse für die israelische Wirtschaftsentwicklung aus dem Verteidigungsbereich nicht völlig vernachlässigt werden: Dies gilt für den Aufbau der so-genannten „science-based-industry" („Wissenschaftbegründete Industrien", s. u.) im Lande als außerordentlich wichtigem struktur-bildenden Faktor und auch — ä konto der „unwägbaren Entwicklungsfaktoren" — für die militärische Bedrohung als Integrationsund Motivationshilfe, aber erst recht für die Rolle der israelischen Streitkräfte als „Schmelztiegel" und „Schule der Nation" in einem entwicklungspolitisch höchst bedeutsamen Sinne ...... The Israel Defense Forces have been able to serve as a major instru-ment for acculturating, socializing, educating and providing skill training for successive cohorts of young generations. Israel could not have successfully absorbed so many newcomers without the contribution of the IDF. ” („Die israelischen Streitkräfte haben es vermocht, gleichzeitig als wichtiges Instrument der kulturellen und sozialen Integration, der Erziehung und Ausbildung für mehrere aufeinanderfolgende Generationen junger Israelis zu wirken. Israel hätte nicht erfolgreich so viele Neuankömmlinge absorbieren können ohne diesen Beitrag der IDF.")

II. Schlüsselprobleme israelischer Entwicklungspolitik auf dem weiteren Weg der Industrialisierung

Tabelle 2

Daß Israels zukünftige wirtschaftliche Entwicklung im wesentlichen auf dem Weg weiterer Industrialisierung zu suchen ist, wird nicht nur durch die bisherige Entwicklungsbilanz des Landes nahegelegt, sondern auch durch eine inzwischen zielstrebige Entwicklungsplanung seiner öffentlichen und privaten Stellen bestätigt und forciert. Will man ihre Erfolgsaussichten einschätzen und insbesondere geeignete Instrumente und Konzeptionen ihrer Realisierung beurteilen sowie auch deren Schlüsselprobleme erkennen, so darf nicht übersehen werden, daß die israelische Gesellschaft in'ihren Grundidealen und Wertvorstellungen keineswegs bereits eine typische „Industriegesellschaft''ist: Trotz aller Industrialisierungsanstrengungen und -erfolge sind die Ideale des Agrarzionismus der Pionierzeit noch immer als stark prägende Kraft wirksam: „The effort of industrialization was undertaken more as a result of unforeseen internal and external pressures than as an expression of national self-assertion or as the outcome of a specific ideology." („Die Industrialisierung wurde mehr als Ergebnis unvorhergesehener interner und externer Zwänge als als Ausdruck nationaler Selbstbehauptung oder Niederschlag einer spezifischen Ideologie betrieben.")

Es wird sich zeigen, daß es — wieder einmal — die historischen Wurzeln sind, die in hohem Maße Begründung, Besonderheit und Lösungsbedingungen auch für die Schlüsselprobleme der israelischen Wirtschaftsentwicklung der Zukunft bestimmen. 1. Schlüsselproblem: Humankapital Die bisherige Bestandsaufnahme dürfte trotz aller selektiven Kürze klargemacht haben, wie stark die wirtschaftlichen Entwicklungschancen Israels vom Produktionsfaktor Arbeit abhängen: da den Möglichkeiten von dessen quantitativer Expansion durch die primär politischen Bestimmungsgründe weiteren Einwanderungszuzugs, die Eigengesetzlichkeit demographischer Prozesse sowie schließlich auch gewisse Absorptionslimits eines beengten Territoriums auf mittlere Sicht relativ enge Grenzen gesetzt sind, konzentrieren sich die Erwartungen auf seine qualitative Dimension.

Nachdem Israel heute und in näherer Zukunft nur noch ausnahmsweise mit dem „Import" von Humankapital in Gestalt hochqualifizierter Einwanderer rechnen kann, ist die „Eigenproduktion" als zentrale Aufgabe eines gut ausgebauten Erziehungs-und Ausbildungswesens mit großer Breitenwirkung offenkundig. An dieser Stelle wäre dazu nur anzumerken, daß Israel mit seinem so umfassend und vertiefend wie nur möglich agierenden Bildungssystem ausdrücklich das Risiko einer temporären Überproduktion hochqualifizierter — zum Beispiel akademisch geschulter — Arbeitskräfte eingeht, weil es ihm gefährlich erscheint, mögliche internationale Wettbewerbsvorteile für sein politisches und ökonomisches überleben nicht voll auszuschöpfen

Die „kritischen Punkte" im Bereich der Entwicklung des Faktors Humankapital dürften in Israel eher auf einer anderen Ebene zu suchen sein: Es stellt sich nämlich die sehr grundsätzliche Frage, in welche Wandlungen der fortschreitende Industrialisierungsprozeß die „arbeitende Gesellschaft" unerbittlich zwingt, als die sich das jüdische Volk in Israel in seinem vom Zionismus geprägten Weltbild verstanden hat und besonders in Teilen seiner Führungselite bis heute versteht. Die Rolle der Arbeit als zentraler Wert und Medium der nationalen Befreiung und Selbstfindung des Jüdischen Volkes implizierte zugleich ein ganzheitliches Arbeitsideal — mit stark manuellem Akzent — unter strenger Betonung der Gleichberechtigung. Das hieß aber: Widerstand gegen Spezialisierung in der Arbeit und insbesondere die Verfemung von Arbeitslosigkeit, zumal als mögliches ökonomisches Regulativ.

Industrialisierung bedeutet aber nun einmal: zunehmende Spezialisierung und Differenzierung von Funktionen, Qualifikationen und auch Einkommen in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Erfahrungen mit fortgeschrittenen Industrialisierungsprozessen in westlichen Ländern belegen dies, und die israelische Entwicklung zeigt ähnliche Tendenzen, auch wenn die Statistiken bisher noch stark egalitäre Einkommensverhältnisse ausweisen. Aber es mehren sich bereits kritische Stimmen von Ökonomen, die auf den Mangel von Einkommensanreizen für den Erwerb höherer Ausbildungsqualifikationen oder allgemein als Mobilitätsfaktor in der israelischen Wirt-schäft hinweisen Stimmen, die gerade auch in der „neuen Wirtschaftspolitik" der Regierung Begin den Ton angeben. Bisher fehlt allerdings der Beweis, ob und gegebenenfalls wieweit die heutigen Israelis durch ökonomische Anreize dieser Ärt motivierbar und mobilisierbar sind. Für die zurückliegende Pionier- und Aufbauphase von Wirtschaft und Gesellschaft in Israel erscheint eher die Hypothese des Soziologen S. N. Eisenstadt plausibel daß gerade die Präierenz für nichtökonomische Werte die gemeinsame Motivationsstruktur der jüdischen Einwanderer-generation kennzeichnete, die ja in aller Regel eine Verschlechterung ihrer materiellen Lebensbedingungen in Kauf nahm zugunsten anderer Ideale, vor allem anderen der Schaffung einer „gerechten Gesellschaft"

Insofern war oben schon einmal mit gutem Grund auf die Konfliktarmut der weitgehend „klassenlosen" israelischen Gesellschaft und ihre egalitäre Verteilungssituation als wichtigem positiven Entwicklungsfaktor in der Vergangenheit hingewiesen worden.

Die mit dem fortschreitenden Industrialisierungsprozeß einhergehende Verschiebung in den Prioritäten sozialer Werte wird besonders deutlich am Beispiel der Textilindustrie in Israel: Als besonders arbeitsintensiver, d. h. arbeitsplatzschaffender Industriezweig war sie in der Aufbauphase zunächst mit bevorzugtem Standort in den Entwicklungsstädten des Landes besonders forciert worden. Nachdem mit zunehmender Exportorientierung sich die Leistungsfähigkeit der israelischen Wirtschaft stärker im internationalen Wettbewerb zu bewähren hatte, haben sich viele dieser Unternehmen als nicht lebensfähig erwiesen. Erst in jüngster Zeit wird von der drohenden Schließung eines der größten Textilwerke des Landes in einem Entwicklungsort berichtet, in dem 25 Prozent der Arbeitnehmer damit dem Schicksal der Arbeitslosigkeit ausgeliefert wären Von den Lehren, die aus diesen Erfahrungen für die planmäßige und forcierte

Entwicklung „zukunftssicherer" Industrien gezogen worden sind, wird später noch die Rede sein.

Eisenstadt bezeichnet es in diesem Zusammenhang als das Hauptproblem, „ . . . einen Weg zu finden, um die Resultate einer zunehmenden Differenzierung in Wirtschaft und Gesellschaft mit neu entstehenden Schichten und sozialen Konflikten in einem auf egalitären Ideologien beruhenden sozialen Rahmen zu kombinieren."

Demographische Umstrukturierung Hinter diesem generellen Differenzierungsprozeß steht allerdings ein Umstrukturierungsvorgang der israelischen Gesellschaft, den man stark vereinfachend gelegentlich als „Orientalisierung" oder gar „Levantinisierung" bezeichnet; auch vom Vordringen des „zweiten" gegenüber dem „ersten" Israel wird gesprochen

Gemeint ist die Tatsache, daß in den letzten zehn Jahren die Israelis mit einem europäisch-amerikanischen Vater, die „aschkenasi-sehen" Juden (das bislang sogenannte „erste Israel"), zahlenmäßig ins Hintertreffen geraten sind gegenüber den „sephardischen" Juden afro-asiatischer Herkunft (bisher das so-genannte „zweite Israel"). Bei den Wahlen zur Knesset 1973 wurden 43, 7% aschkenasisehe Juden gegenüber 47, 5 % sephardische Juden und 8, 8% Juden mit einem in Israel geborenen Vater gezählt

Die Entwicklung ist seither noch weiter fortgeschritten, so daß heute davon auszugehen ist, daß die Mehrzahl der in Israel lebenden Juden aus orientalischen Ländern stammt. Dieser ethnische Umschichtungsprozeß ist insofern sozialökonomisch relevant, als zwischen sephardischen und aschkenasischen Juden ein wesentliches Ausbildungs-und Einkommensgefälle besteht, das trotz aller staatlichen Bemühungen bisher auch keineswegs abgebaut werden konnte. So wurde noch 1971 festgestellt, daß das Durchschnittseinkommen des erwachsenen Juden orientalischer Abstammung nur 70 % des gesamtisraelischen Durchschnittseinkommens erreicht Fast noch eklatanter ist das Ausbildungsgefälle: Der Anteil der Schüler aus orientalischen Judenfamilien sinkt von 61, 2% in der 7. auf 46, 1 % in der 12. Klasse und auf 14% an den Universitäten ab

Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß mit der demographischen Struktur sich auch die Struktur der sozialen und ökonomischen Wertungen und Motivationen in Israel verändern wird: etwa durch eine Verlagerung weg von Wert-und Ordnungsvorstellungen der vor allem von den osteuropäischen Sozialisten geprägten Pionierphase hin zu einem stärker vom jüdischen Traditionalismus bestimmten geistigen Klima, über dessen Auswirkungen auf sozialökonomische Verhaltensnormen und -muster man allerdings vorerst nur spekulieren kann; ob der neuerliche Kurswechsel in Richtung Wirtschaftsliberalismus hier „ins Bild paßt", wird noch zu prüfen sein. Sicher scheint jedenfalls, daß es bei den Wahlen vom Mai 1977 gerade das durch die „Orientalisierung" Israels aufgebaute traditionalistisch orientierte Wählerpotential war, das die politische und in der Folge wohl auch die ökonomische Landschaft des jüdischen Staates entscheidend verändert hat.

So muß die Frage hier einstweilen zurückgestellt werden, welche neue sozialökonomische Entwicklungsideologie aus diesen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen resultiert und Qualifikationsniveau und Motivationsstruktur der israelischen Arbeit in Zukunft bestimmen wird. Vielleicht zeigt sie sich aber in Ansätzen bereits in der Art und Weise, wie heute in Israel ganz pragmatisch und konsequent die Aufgabe einer Modernisierung der Wirtschaft verstanden und bewältigt wird. 2. Schlüsselproblem: Technischer Fortschritt Eine „science-based-nation", eine auf der Wissenschaft basierende Nation, so hat ein amerikanischer Begutachter des „technologischen Israel" (Roy Popkin) emphatisch dieses Land genannt: alle technischen Errungenschaften seit Menschengedenken, von den Er-kenntnissen des Alten Testaments bis hin zu den modernsten Technologien von morgen, würden hier systematisch genutzt, um natürliche Grenzen und Hindernisse in der Entwicklung des Landes zu überwinden!

Diese grundsätzliche Orientierung aller israelischen Aktivitäten auf dem Gebiet wissenschaftlicher und technischer Forschung und Entwicklung spiegelt sich äußerst plastisch in einer Begebenheit, die Popkin von Dr. Chaim Weizmann, dem berühmten Naturwissenschafter, Zionistenführer und ersten israelischen Staatspräsidenten, erzählt. Auf die Frage eines Besuchers — etliche Jahre vor der Staatsgründung — in seinem Labor in Re-hovot nach dem Zweck eines gerade laufenden Experiments antwortete Weizmann: „I’m crea-ting absorptive capacity" (ich schaffe Absorptionskapazitäten)

Eben dieses Leitmotiv — die Lebensbedingungen für das jüdische Volk in seiner alten neuen Heimstatt quantitativ und qualitativ zu verbessern — beherrschte die Tätigkeit jüdischer Wissenschaftler und Techniker von den Anfängen der Rückwanderung nach Palästina an bis in die Gegenwart. Schon 1903 beauftragte der 6. Zionistische Kongreß eine Expertenkommission aus international renommierten jüdischen Wissenschaftlern — darunter auch der deutsche Ökonom Franz Oppenheimer — mit einer wissenschaftlichen Untersuchung des Entwicklungspotentials von Palästina. Auf ihre Aktivitäten gehen z. B. die Wiederentdeckung des biblischen „wilden Weizens" in Palästina sowie planmäßige Aufforstungen mit von den Agronomen als besonders geeignet empfohlenen Olivenbäumen zurück; auch die Basis für spätere Bewässerungsprojekte in Israel wurde damals bereits durch umfassende geologische Erkundigungen der Grundwasserverhältnisse im Lande geschaffen.

Israel wird heute mit gutem Grund als „das konzentrierteste Labor der Welt auf dem Gebiet der angewandten Wissenschaften" bezeichnet: einer Wissenschaft, die sich in ihrem Selbstverständnis voll in den Dienst der nationalen Notwendigkeiten stellt, die fernab einer Mentalität des „elfenbeinernen Turmes" anders als der moderne Wissenschaftsbetrieb in so manchem anderen westlichen Land die Orientierung an den menschlichen Bedürfnissen großschreibt. So gesehen gehören die spektakulären Entwicklungserfolge Israels dank seiner ingeniösen technischen Leistungen im weiteren Sinne auch auf die Aktivseite seines Humankapital-Kontos. Die planmäßige Forcierung des Aufbaus hochqualifizierter wissenschaftlicher Ausbildungs-und Forschungsstätten im Lande als „Eckpfeiler der nationalen Entwicklung" (David Ben-Gurion) liegt auf dieser Linie; Namen wie die des schon 1925 gegründeten-Technion in Haifa oder des Weizmann-Instituts für Naturwissenschaften in Rehovot repräsentieren ein Konzept der Wissenschaftsund Technologiepolitik, dessen Credo in einer Rede des früheren Ministerpräsidenten Levi Eshkol aus dem Jahre 1965 sehr deutlich wird „Technology is constantly proving that human re-sourcefulness can more and more overcome the limitations imposed on man by nature. Certainly, no one is more entitled than we Israelis, with our poor endowment of natural resources, to make use of the achievements of Science and technology... Whatever is done or not done by our scientific institutions in large measure determines our fate and our ability to develop this small country and to defend it, while at the same time absorbing millions of immigrants from the Diaspora." („Die Technologie stellt ständig unter Beweis, daß menschlicher Erfindungsreichtum mehr und mehr die Grenzen überwinden kann, die dem Menschen durch die Natur gesetzt sind. Gewiß ist kaum jemand wie wir Israelis mit unserer ärmlichen Ausstattung mit natürlichen Ressourcen darauf angewiesen, die Errungenschaften von Wissenschaft und Technologie zu nutzen ... Was immer von unseren wissenschaftlichen Institutionen getan oder unterlassen wird, bestimmt in hohem Maße unser Schicksal und unser Vermögen, dieses kleine Land zu entwickeln und zu verteidigen, und dabei zugleich Millionen von Einwanderern aus der Diaspora zu absorbieren . . .")

Das zionistische Motto des „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen .. .", das Theodor Herzl um die Jahrhundertwende seiner Zukunftsvision vom Judenstaat vorangestellt hatte, kennzeichnet auch heute noch Einstellung und Motivation der meisten Wissenschaftler und Ingenieure in Israel: Schon in Herzls „Altneuland" galten ja die Bewässerungsingenieure als die eigentlichen Staatsgründer.

Wie in allen Bereichen des Lebens in Israel, so knüpften auch Wissenschaft und Technik in vielem an das an, was seit Moses im Lande der Väter praktiziert wurde: Auch in dieser Hinsicht sind die Themen der Bibel und des Talmud in Israel aktuell geblieben und dienen bis heute als Quelle mancherlei technologischen Wissens. Dies gilt vor allem in allen Bereichen der Agrarund Bewässerungstechnologie; denn die Überwindung der Kargheit des Landes ist Israels Problem seit Moses'Zeiten. Diese selbstverständliche Fortführung jüdischer Traditionen kommt aber auch etwa zum Ausdruck in der Standortwahl für das Weizmann-Institut nahe Rehovot: Weizmann entschied sich 1933 für diesen Platz vor allem deswegen, weil er nahe bei den Ruinen von Yavne lag, wo die alten Juden in der Römer-zeit eine Technische Schule erbaut hatten; er sah das Institut als „modernes Yavne".

Höchstentwickelte Agrartechnologie Die Erfolge, die seit den frühesten Tagen der zionistischen Siedler auf dem Gebiet der angewandten landwirtschaftlichen Forschung und Agrartechnologie in Israel erzielt wurden und die ganz wesentlich die stürmische Entwicklung des Landes ermöglichten, können hier nur ganz pauschal konstatiert werden. Nach dem Urteil eines amerikanischen Experten „There is probably no other country in the world where applied agricultural Science has developed to such a high point." (Es gibt wohl kein anderes Land auf der Welt, in dem die angewandte Agrarwissenschaft einen so hohen Entwicklungsstand erreicht hat.")

Die strikte Orientierung aller Forschungs-

und Entwicklungsarbeiten an den drängenden Problemen der landwirtschaftlichen Praxis haben deren nahtlose und unmittelbare Umsetzung und Anwendung in neue Agrartechnologien garantiert; Probleme bestanden dabei allenfalls insofern, als neue technische Lösungen zumeist unter höchstem Zeitdruck zu suchen und zu realisieren waren. Denn dies war die typische Konstellation der Gründerjahre, nach einem Untersuchungsbericht aus dem Jahr 1969 gekennzeichnet durch: ...... the great optimism and faith of that period that believed that anything was possible and an extraordinary ability to improvise in solving current problems," eine Konstellation allerdings, „not conducive to quiet, long-term plan-ning", („ ...den großen Optimismus und das Vertrauen jener Jahre, daß alles möglich sei, und ein außerordentliches Geschick zur Lösung der Probleme durch Improvisation”, eine Konstellation allerdings, „die nicht gerade für eine bedächtige Langfristplanung förderlich ist"), wie der Bericht fortfährt.

Dennoch ist insgesamt gerade in der landwirtschaftlichen Entwicklung Israels eine langlri-stige Strategie durchaus erkennbar und hat sich als solche bewährt. Sie liegt zum einen im konsequenten Handeln nach der Erkenntnis, daß ein moderner Agrarsektor die Conditio sine qua non einer fortschrittlichen Wirtschaft darstellt — eine Erkenntnis übrigens, die in den wenigsten Entwicklungsländern beherzigt wird. Sie wird zum anderen sichtbar in einem kontinuierlichen Modernisierungsprozeß in Gestalt hoher Investitionen in allen Bereichen der Agrartechnologie, und dies auch zu Zeiten — wie etwa in den fünfziger Jahren —, als der bestehende Arbeitskräfteüberschuß eine stärkere Technisierung nach gängigen ökonomischen Kriterien eigentlich als unsinnig erscheinen ließ; auf diese Weise sicherte sich Israel einen auch heute im internationalen Vergleich hohen Leistungsstand seiner Landwirtschaft. Parallel dazu lief eine beständige Verbreiterung und Vertiefung des landwirtschaftlichen Könnens, des „agricultural skill", im Lande

Gerade für die letztgenannte Entwicklungskomponente kann die Bedeutung und Leistung der Kibbuzim in der israelischen Gesellschaft nicht hoch genug veranschlagt werden. Sie dokumentieren in Israels Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung das überwiegen des Elements der Kooperation gegenüber dem der Konkurrenz, jedenfalls bisher. Bei absolut stagnierendem, relativ sogar abnehmendem quantitativen Gewicht — nur etwa 3% der Gesamtbevölkerung leben heute in den Kibbuzim — stellen sie einen dennoch unübersehbaren Faktor auch in der Entwicklung Israels zu einer Industrienation eigener Prägung dar. Dank des ständigen Ausbaus eigener kleinerer Betriebe, vor allem der Leichtindustrie, in den letzten 15 Jahren — 1977 waren es bereits 295 Betriebe, und nur etwa 10% der genossenschaftlichen Siedlungen hatten noch keine zweite industrielle Basis — stammt heute bereits über die Hälfte der Einkommen der Kibbuzim aus dem außeragrarischen Bereich

Industrialisierung der Kibbuzim Dieser Industrialisierungsprozeß in den Kibbuzim geht in enger Verbindung und Ergänzung mit der Technisierung und Spezialisierung der Landwirtschaft vor sich und ist wie diese zunehmend exportorientiert. Kennzeichnend ist dabei der Einfallsreichtum im Aufspüren sowohl von der Fertigungswie von der Absatzseite her zur landwirtschaftlichen Produktion komplementärer industrieller Programme. Wesentliche Triebkräfte für diese Entwicklung stammen aber aus den sich wandelnden Arbeitsbedürfnissen: Zum einen favorisieren die älter werdenden Kibbuz-Vetera-nen die leichtere und besser dosierbare Fabrik- vor der Feldarbeit zum anderen suchen die nachwachsenden jungen Kibbuzniks nach Tätigkeitsfeldern, auf denen sie ihren guten wissenschaftlich-technischen Ausbildungsstand verwerten können und ihrer Neigung zur technischen „sophistication" folgen können. In einer empirischen Untersuchung aus dem Jahre 1969 wurde für die Verteilung der Betätigungswünsche junger Kibbuzniks folgendes ermittelt: 38% landwirtschaftliche Arbeit, 36 % Industriearbeit, 26 % Dienstleistungstätigkeit; demgegenüber sah die tatsächliche Verteilung so aus: 59% landwirtschaftliche, 31 % industrielle Arbeit und 10% Dienstleistungstätigkeit

Die Industrialisierung der Kibbuzim trägt zweifellos dazu bei, die junge Generation weitgehend in den ländlichen Siedlungen zu halten, und sie besorgt zugleich die schrittweise Integration der nicht-städtischen Bevölkerung in die Industriegesellschaft. Dennoch ist offenkundig, daß gerade im Hinblick auf die notwendige zunehmende Exportorientierung der israelischen Wirtschaft die Industrialisierungsbestrebungen der Kibbuzim allein keineswegs ausreichen können, zumal sie ihrer Natur nach auf Klein-und Mittelbetriebe beschränkt sind.

Betrachtet man die Schwerpunkte der vom Staat durch seine Forschungsund Technologiepolitik geförderten Entwicklungsanstrengungen, so ist aber bisher gegenüber Landwirtschaft, Verteidigungssektor und Grundlagenforschung die Förderung industrieller Technologien eher zu kurz gekommen Wichtiger als die in Zukunft möglicherweise für eine weitere Industrialisierung notwendige Umverteilung dieser Förderungsmittel scheint aber die Frage zu sein, ob und wie der wissenschaftlich-technische Fortschritts-elan, dieser oben beschriebene „Israeli way of doing things“ der die bisherige stürmische Entwicklung des Landes wesentlich ermöglichte, auch als Motor des angestrebten Aufbaus einer zukunftsorientierten Industrie-Struktur funktionieren kann. Dabei ist die „Zukunftssicherheit" einer solchen Struktur vor allem nach ihrer Eignung zu definieren, auf Dauer die notwendige Steigerung der israelischen Exporte zu sichern; denn nur auf diesem Weg kann auch langfristig die israelische Volkswirtschaft ins Gleichgewicht gebracht, weiterentwickelt und vom inflationären Überdruck befreit werden. Auch der Weg der Importsubstitution —-also der Eigenherstellung bisher importierter Güter — dient im Prinzip dem Ziel der Ausbalancierung der Volkswirtschaft; er bildete in Israel das Primärmotiv vor allem beim Aufbau eigener Waffenproduktionen.

Wissenschaft als Exportartikel Den größten komparativen Kostenvorteil am Weltmarkt besitzt Israel ganz zweifellos beim wissenschaftlich-technischen Know-how. Aufgrund von Kosten-Nutzenrechnungen des Weizmann-Instituts werden in einer unveröffentlichten Studie eines deutschen Bundesministeriums für 1977 folgende Vergleichszahlen für die durchschnittlichen Aufwendungen für Wissenschaftler genannt: USA: 60 000 Dollar/Jahr; Europa: 40 000 Dollar/Jahr; Weizmann-Institut: 20 000 Dollar/Jahr. Die Computer-stunde kostet nach den gleichen Berechnungen am Weizmann-Institut 48 Dollar gegenüber etwa 120 Dollar an der Harvard University.

Es liegt also nahe, daß Israel planmäßig Wissenschaft als Exportartikel nutzt; denn da das eigene Land angesichts der quantitativen und qualitativen Expansion von Ideen und Entwicklungen in den wissenschaftlichen Zentren des Landes zu begrenzt ist, bietet sich die ökonomische Verwertung der „überproduktion" an. In dieser Richtung laufen bereits recht umfangreiche „Export" -Aktivitäten israelischer Wissenschaftler, vor allem in amerikanischem Auftrag; auch mit der Bundesrepublik Deutschland bestehen in zunehmendem Maße derartige Auftragsverhältnisse. Daß sich hier auch ein weites Betätigungsfeld für eine wissenschaftlich-technische Entwicklungshilfe von Israel an Drittländer abzeichnet, liegt auf der Hand.

Für die israelische Volkswirtschaft insgesamt weitaus nutzbringender ist aber doch die industrielle Verwertung des wissenschaftlich-technischen Know-how im eigenen Land: also nicht der Export seiner kostbarsten „Naturschätze" als Rohstoff, sondern als verarbeitetes Fertigprodukt. Folgerichtig betreibt Israel in den letzten zehn Jahren mit allen Mitteln ein „Crash Program" zur Entwicklung sogenannter „science-based-industries": von Industriezweigen also, die in hohem Maße „wissenschaftsbegründet" sind, weil in ihre Produktion ein vergleichsweise hoher Anteil an wissenschaftlichen Leistungen und Knowhow eingeht — und die somit eine besonders hohe Wertschöpfungskapazität aufweisen. Offensichtliche Vorteile dieses Konzepts neben dem bereits erwähnten der Nutzung des „brain" -Reservoirs: Bei den Erzeugnissen dieses Industriesektors handelt es sich größtenteils nicht um Großserienprodukte, sondern um Neuentwicklungen und Spezial-anfertigungen, die beim Export nicht den Wettbewerb internationaler Massenhersteller zu fürchten haben. Und: Im Zuge der von Israel vor allem seit dem 6-Tage-Krieg von 1967 verfolgten Politik einer Importsubstitution auf dem Gebiet der militärischen Ausrüstung fiel in den neuerrichteten Betrieben ohnehin neues Know-how an, das in der Folge auch für die zivile Produktion nutzbar gemacht werden konnte. Besonders die Luftfahrt-und die Elektronikindustrien in Israel verdanken diesem -von der Regierung gezielt geförderten — Technologietransfer aus dem Rüstungsbereich wesentliche Entwicklungsimpulse „Inkubator-Service” für die Industrie Besonders gefördert wurde in Israel der Aufbau neu projektierter Unternehmen, die in Zusammenarbeit mit den Universitäten und wissenschaftlichen Instituten in Jerusalem, Haifa, Rehovot und Ramat Gan in eigenen Industrieparks errichtet worden sind und vor allem Erfindungen und Forschungsresultate zur Patentreife entwickeln und zunehmend für eine Exportproduktion verwerten. So erstreckt sich etwa das Fertigungsprogramm der dem Weizmann-Institut angeschlossenen Campus-Industrien, deren Gesamtentwicklung und -Organisation in den Händen einer eigenen Entwicklungsgesellschaft liegt, vor allem auf biomedizinische Ausrüstungen und biologische und plastische Produkte; in dem in Verbindung mit dem Technion in Haifa aufgebauten Industriezentrum dominieren Unternehmen der Elektronik-und Computerbranche. Ein Teil dieser Unternehmen arbeitet auf ausländischer oder jedenfalls gemischter Kapitalbasis. „We are selling brain power" lautet einer der Slogans, mit dem Israel seine Attraktivität bei der Werbung um Auslandsinvestoren unterstreichen will. Wenn auch die wissenschaftlichen Institute für die an sie angelehnten Industrieunternehmen zunächst eine Art „Inkubator-Service“ leisten so bietet dieses Modell doch zugleich die Chance, daß sich nach einer Anlaufperiode eher eine Symbiose herausbildet, die auch umgekehrt die industriellen Belange stärker auf den wissenschaftlichen Bereich einwirken läßt. Denn hier liegen nach dem Urteil von Insidern in Israel die Hauptprobleme einer effektiven Industrieentwicklung nach dem „science-based-industries“ -Konzept — Die bisher am nationalen Bedarf orientierte Forschungsrichtung der Wissenschaft muß sich umstellen auf „marktgängige" Entwicklungen, — was angesichts der oben gekennzeichneten patriotischen Motivierung der israelischen Wissenschaftler einen Umlernprozeß beinhaltet. — Mangels eines hinreichend entwickelten Know-how bei Marketing, Werbung, Verkaufsförderung und Service bestehen bei der Überführung technisch perfekt entwickelter Produkte in Marktgüter Schwierigkeiten

.... there is not sufficient awareness of the latter phase through wich a developed product becomes a marketable Commodity." . (........der letzten Phase der Überführung eines fertig entwickelten Produktes in ein Marktgut wird keine hinreichende Beachtung geschenkt".) — Es fehlt in Israel an genuinen Industriemanagern, — außer solchen, die entweder aus dem Wissenschaftsbetrieb oder dem Militär kommen —, die auf Dauer die erfolgreiche Führung neuer Unternehmen bei internationalem Wettbewerb gewährleisten können. Dieses Schlüsselproblem der israelischen Industrialisierung wird noch näher zu betrachten sein.

Wenn man gelegentlich als Zielvorstellung der israelischen Entwicklungspolitik findet, man wolle eine Art „Schweiz des Nahen Ostens" werden so wird man das möglicherweise weniger als Ausdruck der Hoffnung interpretieren dürfen, daß Israel in absehbarer Zeit zum internationalen Umschlag-zentrum zumindest des jüdischen Finanzkapitals aus aller Welt werden könnte sondern vielmehr gerade als Leitbild der zukünftigen industriellen Struktur des Landes, geprägt durch relativ kleine, hochspezialisierte und -technisierte Unternehmen im Sinne des „science-based-industries" -Konzeptes.

Daß zu diesem neben dem ökonomischen Kalkül in Israel auch ganz wesentlich politische Überlegungen beitragen, wurde bereits mit dem Stichwort der „Importsubstitution" im Bereich moderner Waffenproduktionen angedeutet. Darüber hinaus stellt es als Garant israelischer Überlegenheit im israelisch-arabischen Konflikt ein Politikum ersten Ranges dar, — und wird von arabischer Seite auch als solches eingeschätzt womit wieder einmal erwiesen wäre, daß in Israel ökonomische Sachzwänge bisher immer nur dann durchzuschlagen vermochten, wenn sie zugleich mit den politischen Erfordernissen konform gingen. 3. Schlüsselproblem: Industrielles Management und Organisation Ein modernes industrielles Unternehmertum und qualifizierte Manager für Großunternehmen sind in Israel Mangelware — „Israel’s scarcest resource", wie es heißt es fehlt an der „particular blend of formal education, acquired skill and above all long practical experience in modern industry that characte-rizes such individuals" („besonderen Mischung von formaler Erziehung, erworbener Fertigkeit und vor allem langer praktischer Erfahrung in modernen Industrieunternehmen, die solche Leute kennzeichnet''.)

Auch der offizielle Industrieentwicklungsplan der Regierung konstatierte ...... the absence of a specific industrial entrepreneurship of a sufficient educational and training level to ensure the growth of industry." („das Fehlen eines spezifischen Industrie-Unternehmertums, das hinreichend durch Ausbildung und Übung qualifiziert ist, um das Wachstum der Industrie zu gewährleisten".)

Der jahrhundertealte Ruf der Juden als geschäftstüchtige und begabte Handelsleute und Finanziers läßt gelegentlich die fehlende Tradition eines jüdischen Industrie-Unternehmertums übersehen. Schon in der Geschichte der jüdischen Wiederbesiedelung Palästinas in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dominierte so stark der Gedanke einer weltweiten Rückkehr des jüdischen Volkes zum „Land", daß die ersten industriellen Initiativen bezeichnenderweise in den Händen von Christen — z. B.deutschen Templern — lagen Zwar ist inzwischen im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung die Landwirtschaft als ökonomische Basis Israels zurückgedrängt worden. Aber die im Lande herangewachsene Managergeneration ist in Mentalität und Know-how im wesentlichen geprägt durch Erfahrungen im öffentlichen Dienst, im bisher tonangebenden gemeinwirtschaftlichen Sektor und in der Armee.

Die mangelhafte Effizienz der Management-prozesse in diesen Bereichen ä konto überbordender bürokratischer Verwaltungspraktiken („Planung durch Fortschreibung") und des Vorherrschens informeller Beziehungen aufgrund alter Kameraderie ist aber in Israel nicht nur Gegenstand literarischer Satiren, sondern auch selbstkritischer Expertenäußerungen: „Management development is our number one problem." („Management-Entwicklung ist unser Problem Nr. 1) Dabei ist es gerade in Israel fast unvermeidbar, daß die Qualität der Industriemanager an der der hohen Offiziere gemessen wird. Und wenn es in einer kritischen Äußerung des Direktors des israelischen Produktivitätsinstituts heißt: „Is-rael’s managers are too concerned with survival to pay attention to long-term prospects . . (Israels Manager sind zu sehr mit dem gegenwärtigen überleben beschäftigt, um auf langfristige Perspektiven achten zu können"), so wird daraus zugleich deutlich, wie sehr der „Kampf ums überleben" Denken und Handeln in allen Bereichen dieses Landes immer noch dominiert.

Eines der Mittel, mit denen man in Israel dieses Hindernis zu überwinden versucht, ist die Aktivierung jüdischer Industrieller im Ausland, die beim Erwerb von industriellem Management-Know-how, bei der Entwicklung von Marktbeziehungen und der Errichtung von neuen Betrieben behilflich sein sollen. Diesem Zweck dienten in der Vergangenheit verschiedene Wirtschaftskonferenzen mit weltweitem Echo in Jerusalem und Tel Aviv. Danach bestehen im Ausland nun vielfältige Ausschüsse, die die Bedürfnisse der israelischen Industrie gründlich erforschen und Kontakte zwischen ausländischen und israelischen Unternehmen schaffen sollen.

Diese Entwicklung wird durch das Assoziationsabkommen zur Schaltung einer Freihandelszone zwischen der EG und Israel vom Mai 1975 zusätzlich forciert; denn dieses erzwingt eine strukturelle Anpassung der israelischen Industrie, die danach bis 1985 schrittweise in die europäischen Wirtschaftsbeziehungen integriert werden soll.

Zu kleine Betriebsgrößen Hauptsorgenpunkt der Israelis im Zusammenhang damit ist das Betriebsgrößenproblem: Israels Betriebe sind im Durchschnitt sehr viel kleiner als die der EG (1971: 61 Arbeitnehmer), Großbetriebe fehlen in Israel fast völlig. Die Betriebsgrößenstruktur in Israel ist zum einen bedingt durch die Kleinheit des israeli-sehen Marktes, die potenziert wird durch die politisch bedingte Abschnürung von seinen natürlichen Nachbarmärkten und die bisher dank protektionistischer Maßnahmen weitgehende Abschottung gegenüber dem Weltmarkt. Sie wird aber auch erklärt aus „managerial atti-tudes" „The Israeli managet seems to be a much better improvisor in case of difficulty than a follower of instructions" („Der israelische Manager scheint weit besser im Improvisieren bei Schwierigkeiten zu sein als im Befolgen von Instruktionen"), dies etwa gerade im Vergleich mit Deutschen und Japanern.

Daraus folgt bei qualifizierten Managern in Israel die große Neigung zur Verselbständigung: „Whoever can, likes to be his own boss." („Wer nur immer kann, möchte sein eigener Boß sein.")

Angesichts des Mangels an risikobereiter Unternehmerinitiative in anderen Entwicklungsländern ist dies zweifellos als positiver Entwicklungsfaktor zu werten. Aber das mit ihm verbundene Problem geringer „economies of scale" verlangt eine entsprechende bewußte Strukturpolitik „. . . Israel will use pro-duction methods and spezialise in products and industries which are somewhat less de-pendant on large scale plants, and enterprises are bound to be somewhat smaller." („Israel wird Produktionsmethoden nutzen und sich spezialisieren auf Produkte und Industriezweige, die nicht zu stark auf Großbetriebe angewiesen sind, und die Unternehmen müssen zwangsläufig etwas kleiner sein.")

Die Politik der Regierung wird in dieser Hinsicht als widersprüchlich kritisiert: Einerseits werden Fusionen steuer-und wettbewerbs-rechtlich unterstützt, andererseits werden Kleinunternehmen durch die Steuerpraxis stark begünstigt, da sie sich leichter der Berichtspflicht zu entziehen vermögen

Insgesamt. hat sich in den letzten 20 Jahren die Industriestruktur zugunsten von Branchen verschoben „typical of small scale and longrundeclining cost-curves" (die gekennzeichnet sind durch kleine Serien und langfristig abnehmende Kostenverläufe) Die größten Exporterfolge hatte Israel bisher in Branchen mit vorherrschend kleinen und mittleren Unternehmen (Diamanten, elektronische Teile, medizinische Instrumente, Modeartikel); der fortschreitende Aufbau der beschriebenen „science-based-industries" liegt auf eben dieser Linie.

Auch in anderen kleinen Ländern wurde das überleben kleinerer Industrien und Unternehmen durch deren Spezialisierung gesichert: so etwa im Rahmen der EG in Dänemark durch „design-intensive” Produkte, oder auch durch die Möglichkeiten des „sub-contracting", die ja auch in Israel im Verbund mit europäischen Wirtschaftspartnern bereits genutzt werden.

Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist jedenfalls die Tatsache, daß nach einer Umfrage unter israelischen Industriellen und Experten diese die Wettbewerbsfähigkeit der israelischen Industrie sehr viel stärker von Qualitätsverbesserungen, Verbesserungen der Technologien, Spezialisierung im Produktionsprozeß und hoher Kapazitätsnutzung abhängig sehen als von der Unternehmensgröße Es gehörte schon immer zur Philosophie der Selbstbehauptung des Staates Israel, Qualität an die Stelle der Quantität zu setzen. 4. Schlüsselproblem: Gesamtwirtschaftliche Steuerung Nach Berechnungen von Abba Lerner und Haim Ben-Shahar sind etwa zwei Drittel des Wachstums des israelischen Sozialprodukts in der Periode von 1950 bis 1969 auf die Vermehrung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zurückzuführen; das restliche Drittel geht auf das Konto von Produktivitätssteigerungen Neben den bereits behandelten technischen und unternehmerischen Leistungskomponenten kommt auch ein möglicher Beitrag durch Effizienzsteigerungen im gesamtwirtschaftlichen Koordinations-und Steuerungsprozeß in Betracht, durch verbesserte Allokation der gesamtwirtschaftlichen Ressourcen. Lerner und Ben-Shahar, die die israelische Wirtschaftsentwicklung unter eben diesen Effizienzgesichtspunkten untersucht haben, kommen hier zu dem sehr kritischen Urteil, daß das glänzende Bild der israelischen Wirtschaftsentwicklung „. . . was achieved despite the basic inefficiency of its economic organization and structure, characterized by excessive use of central administra-tion and inappropriate use of price mechanisms" („... erreicht wurde trotz der grundlegenden Ineffizienz seiner wirtschaftlichen Organisation und Struktur, gekennzeichnet durch ein Übermaß an zentraler Administration und den falschen Gebrauch von Preis-mechanismen".)

Das harte Urteil der ökonomischen Experten über das „Übermaß an zentraler Administration" und den „falschen Gebrauch von Preis-mechanismen" darf nicht als indirektes Plädoyer für eine einseitige marktwirtschaftliche Steuerung mißverstanden werden; daß man in Israel prinzipiell ohne Scheuklappen gegenüber alternativen ordnungspolitischen Konzeptionen agiert, wird vielmehr als eine Chance gesehen, die nur bisher leider nicht hinreichend genutzt worden sei: „A small country, with a strong and influential government, Israel could have properly combined central administration and market mechanism and thereby become a model that both deve-loping and developed countries could follow." („Als ein kleines Land mit einer starken und einflußreichen Regierung hätte Israel sehr wohl zentrale Administration und Markt-mechanismus sinnvoll miteinander verbinden und damit als Modell dienen können, das für Länder aller Entwicklungsstufen von Interesse wäre. ”)

Mit den Augen des Wirtschaftsfachmanns gesehen, ist in Israel die ökonomische Effizienz gegenüber sozialen und politischen Zwängen im gesamtwirtschaftlichen Steuerungsprozeß unnötigerweise ins Hintertreffen geraten; erklärt wird dies, jedenfalls zum Teil, mit „lack of understanding of the basic economic principles" („mangelndem Verständnis der grundlegenden ökonomischen Prinzipien") Sicher haben von den Anfängen an soziale und politische Wertvorstellungen und Handlungsmaximen die Gesellschaft und ihre Institutionen in Israel dominiert; ihr Leistungsdenken ist eher an Kategorien sozialer Gerechtigkeit und nationaler Behauptung orientiert als an ökonomischen Effizienzgesichtspunkten. Entsprechend groß ist die Neigung zur Intervention und zur Ausnahmeregelung (siehe Steuerungssystem), vor allem um persönliche Härten beim Wirken genereller ökonomischer Regelmechanismen auszugleichen. Zweifellos ist der Preis für ein derart stark protektionistisch arbeitendes Steuerungssystem zwangsläufig erhöhte Inflexibilität und damit eine mangelhafte Nutzung ökonomischer Entwicklungspotentiale. Allerdings wäre zu prüfen, welche alternativen „Kosten" an gesellschaftlichen Werten und Errungenschaften eine ökonomisch effizientere Steuerung möglicherweise den Israelis abverlangen würde, — eine Frage, die sich mit dem Widerstreit ordnungspolitischer Konzepte im Lande heute unabweisbar stellt und die daher zum Abschluß dieser Überlegungen nochmals aufzugreifen sein wird.

Bodenpreispolitik als Exempel Zur Verdeutlichung des angesprochenen Problems soll hier auf ein Beispiel verwiesen werden, das auch von Lerner/Ben-Shahar angeführt wird als Exempel für das Unvermögen der israelischen Regierung, sich von den Ideologien der Pionierzeit zu lösen und in stärkerem Maß Prinzipien der ökonomischen Effizienz zu folgen: Die Bodenpreispolitik

Auch vom Standpunkt des Ökonomen gibt es keine grundsätzlichen Einwendungen gegen das von Anbeginn in Israel praktizierte Dogma, daß der Boden als nationales Eigentum prinzipiell nicht verkauft, sondern nur verpachtet wird: dies allerdings nur, solange die Pachtsätze eine nach Kriterien ökonomischer Effizienz optimale Nutzung des Bodens sicherstellen. Da alle landwirtschaftlichen Siedler in Israel gleich viel Land bekommen, und dies zu einem Pachtzins, der weit unter dem „Marktpreis" liegt (der dem „Grenzprodukt" des landwirtschaftlich genutzten Bodens entsprechen müßte), verschieden „gute" Siedler aus ihrem Landstück aber unterschiedlich „viel" erwirtschaften, verhindert ein solches administratives Allokationssystem eine Ausweitung der „besser" bebauten Flächen durch Verkauf und Zukauf „schlechter" bebauter Flächen zwischen den Siedlern. Das entspricht zwar der jüdischen Siedlungsideologie, widerspricht aber ökonomischen Prinzipien, zumal der zu niedrige landwirtschaftliche Pachtzins insgesamt auch noch dazu führt, daß landwirtschaftliche Siedlungen möglicherweise weit mehr Boden beanspruchen, als es ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen entspricht, — etwa verglichen mit alternativen Bodennutzungen für touristische oder industrielle Zwecke.

Gerade an diesem Beispiel wird besonders deutlich, daß das Problem einer effizienteren Gestaltung gesamtwirtschaftlicher Steue-rungsprozesse in Israel nicht einfach ein Ra-tionalisierungsproblem für Experten ist; es ist vielmehr ein Problem des Unidenkens: Von den Anfängen an mit der . arbeitenden Gesellschaft'der Juden in Israel gewachsene Wert-und Zielorientierungen müssen kompatibel gemacht werden mit den Erfordernissen wirtschaftlicher Entwicklungsdynamik im Zeichen von Industrialisierung und Weltmarktorientierung.

III. Wirtschaftsund strukturpolitische Ordnungsvorstellungen im Widerstreit

1. Vom „konstruktiven Sozialismus" der Gründergeneration zum „Wirtschaftsliberalismus" der Begin-Regierung Der eingangs skizzierte Kurswechsel der Begin-Regierung vor gut einem Jahr ist allgemein im In-und Ausland über die konkreten wirtschaftspolitischen Änderungen hinaus als Wende in den Wirtschaft und Gesellschaft des Staates Israel beherrschenden Ordnungsvorstellungen empfunden worden. Viel beigetragen zu dieser ideologischen Interpretation hat die Tatsache, daß die geistige Vaterschaft an dem neuen Kurs dem Chicagoer Nationalökonomen und Nobelpreisträger Milton Friedman in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsberater der Begin-Regierung zugesprochen wurde; zumal dieser in zahlreichen Verlautbarungen die währungspolitischen Liberalisierungsmaßnahmen in Israel emphatisch als Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus gefeiert hat „These measures spell a revolutionary change in the dominant philosophy guiding Israel — away from Socialism and toward free-market Capitalism. They promise greater human freedom, a lessening of internal strains that have been produced by the exces-sive politicizing of all issues, a stronger, heal-thier, more cohesive society . . ." („Diese Maßnahmen bedeuten einen revolutionären Wandel in der Israel dominierenden Philosophie, weg vom Sozialismus und hin zu einem marktwirtschaftlichen Kapitalismus. Sie verheißen größere menschliche Freiheit, weniger interne Spannungen, die durch ein Übermaß der Politisierung aller Fragestellungen entstanden sind, eine stärkere, gesündere Gesellschaft mit größerem Zusammenhalt. ”)

Wenn der , New Deal'der Begin-Regierung in der internationalen Presse vor allem als Abkehr von „kollektivistischen Pionieridealen" und „paternalistischem Dirigismus" verstanden und weithin begrüßt wurde so suggeriert dies den \/ollzug einer Neuorientierung, von der Wirtschaft und Gesellschaft Israels in Wirklichkeit noch weit entfernt sind. Vor allem aber ist dieser Wandlungsprozeß der israelischen Gesellschaft im Zuge der industriellen Entwicklung des Landes mit den Spannungspolen von . sozialistischer Planwirtschaft'und . kapitalistischer'bzw. . sozialer Marktwirtschaft'eher irreführend etikettiert. Wenn auch stark vergröbernd, so kommt dann die SPIEGEL-Version dazu dem Kern des Problems schon näher, wnn sie dem „amerikanischen Kapitalismuspropheten Milton Friedman" vor Amtsantritt des „rechten Premiers Begin" den Ausspruch in den Mund legt: „Zwei jüdische Traditionen liegen in Israel im Widerstreit: 100 Jahre alter Glaube an eine paternalistische sozialistische Regierung, die freie Marktwirtschaft ablehnt, und eine 2000jährige Erfahrung der Juden, sich selbst helfen zu müssen."

Widerstreit der Traditionen Dieser Widerstreit der Traditionen hat von den Pionierzeiten an schon immer in Israel für eine im Prinzip pluralistische Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft gesorgt. Starkes staatliches Engagement in der Wirtschaft, ein intensiver Interventionismus in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen und der Ausbau eines wohlfahrtsstaatlichen Systems umfassender sozialer Sicherungen waren in Israel zuallererst Produkte politischer und praktischer Notwendigkeiten beim Aufbau des neuen Staatswesens und nicht Realisierung ideologischer Konzeptionen. Anderenfalls wäre z. B. nicht erklärbar, warum es in Israel nie eine zentrale Planung der Wirtschaft gegeben hat und gibt. Ideologien haben diese Ordnung allerdings sehr wohl insofern geprägt, als eine von den Prinzipien der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung geprägte . arbeitende Gesellschaft'der Juden im Lande Israel von jeher das Leitziel aller zionistischen Bestrebungen war und als solches auch dem Willen zur politischen und ökonomischen Unabhängigkeit voranging. Die Siedlungspioniere, — insbesondere der zweiten Aliyah die später im wesentlichen den Kern der politischen und ökonomischen Schlüsselinstitutionen des neuen Staates bildeten, — waren eine ideologische Gemeinschaft, deren kollektive Identität eben in ihren ideologischen Grundsätzen lag: der-Betonung der Gleichberechtigung und der Ablehnung der Spezialisierung in der Arbeit. Entsprechend wurde die Entwicklung des Landes zunächst vornehmlich in kollektiven Formen betrieben, vor allem im landwirtschaftlichen, aber auch im industriellen Sektor. Daß unter diesen Bedingungen in einem auf Harmonie angelegten Gemeinwesen die Prinzipien von Kooperation und Koordination stärker als das der Konkurrenz das wirtschaftliche Hlandeln bestimmten, — also Bewährungsproben am offenen Markt nicht zu bestehen waren —, daß darüber hinaus sich die Inhaber der neu institutionalisierten Funktionen in Staat und Wirtschaft mehr als Sachwalter nationaler Interessen denn als Vertreter bestimmter Gruppeninteressen fühlten: dies alles stellte eine relativ folgerichtige Entwicklung dar, die eben auch beinahe zwangsläufig durch minimale Verteilungskonflikte aller Art gekennzeichnet war Gleiches gilt für die sozialen Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates Israel als Annäherung an Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit jenseits aller ökonomischen Kategorien.

Dies alles also beinhalten die „kollektivistischen Pionierideale", von denen sich das heutige Israel angeblich distanzieren müßte.

Konflikt der Generationen Der Wandlungsprozeß der Ideale und sozialen Werte in der israelischen Gesellschaft ist aber keineswegs neu; am konkretesten läßt er sich fassen als Generationskonflikt: zwischen den „Ideologen" der Pioniergeneration und den-„Pragmatikern“ der im Lande geborenen 2. und 3. Generation von Israelis, die in ihrer sachlicheren, funktionelleren Haltung und Denkweise gegenüber den Anforderungen der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung eher mit den ökonomischen Grenzen des insgesamt Machbaren zu leben bereit sind; anders als ihre Väter, die mit dem zionistischen Elan des „wenn ihr wollt ..." alles möglich machen zu können glaubten. In der Deutung des Soziologen Avni-Segre heißt das „... An agrar-ian elite society directed by a westernized plantocracy has found itself changed into a non-European industrialized society increasingly run by a non-ideological technocracy. .." („Eine elitäre Agrargesellschaft, geführt von einer verwestlichten , Plantokratie’, ist übergegangen in eine nicht-europäische industrielle Gesellschaft, die in zunehmendem Maße vor einer nicht-ideologischen Technokratie bestimmt wird. ”)

Der Durchbruch dieser neuen Gesellschaft wird mit dem Sechstage-Krieg datiert:

„ .. . the June war Consolidated the supremacy of industry over agriculture. It was the Air Force and advanced technology that won the war in the first three hours of conflict. It was industry and technology that proved they could assure the economic and political future of the state. Productivism has thus be-come a widespread new idea in Israel . .

(„Der Junikrieg besiegelte die Vorherrschaft der Industrie über die Landwirtschaft. Es waren die Luftwaffe und die moderne Technologie, die den Krieg in den ersten drei Stunden des Konfliktes gewannen. Es waren Industrie und Technologie, die unter Beweis stellten, daß sie die ökonomische und politische Zukunft des Staates zu sichern in der Lage sind. , Produktivismus‘ ist auf diese Weise zum verbreiteten neuen Ideal in Israel geworden.")

Muß das aber nun heißen, daß die neue industriell geprägte Generation in Israel mit fliegenden Fahnen in das Lager des Wirtschaftsliberalismus westlicher Prägung abwandert, weil die kollektiven Ideale der Siedlungsväter für sie überholt sind? Für diese Annahme könnte auf den ersten Blick das Vordringen des „zweiten Israel" sprechen, also der zunehmende Einfluß der aus traditionellen afroasiatischen Kulturen in das moderne Israel verpflanzten sephardischen Juden: Weitgehend unberührt von den Idealen des Agrarzionismus, repräsentieren sie in der neuen is83) raelischen Industriegesellschaft zweifellos ein materiell motivierendes, auf ökonomische Anreize reagierendes und damit prinzipiell marktwirtschaftlich gut steuerbares Element Aber: ein Programm der „Wirtschaftsliberalisierung''wird, trotz aller gegenteiligen Bekundungen der Politiker, immer „die Reichen reicher und die Armen ärmer" machen, — und damit in erster Linie gerade die sephardischen Juden materiell benachteiligen. Mit der von der Regierung Begin erhofften „Anspruchsbescheidung der Arbeitnehmerschaft" des Landes könnte ohnehin langfristig nur gerechnet werden, wenn es keine persönlich zurechenbare und wahrnehmbare Nutznießerschaft dieser „Bescheidung" gäbe.

Soziale Kraitproben programmiert Der in Israel bisher praktisch nicht existente Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit wird damit unausweichlich programmiert; die ersten Proben sind in den Streiks des Jahres 1978 bereits durchexerziert worden. Angesichts der dominierenden Arbeitgeberposition des Staates bzw.der Histadrut erscheint es in der politischen Situation Israels als völlig ausgeschlossen, daß das Land sich echte soziale Kraftproben leisten kann.

Wie steht es aber mit den hochgespannten Erwartungen, dem „Promise of Capitalism", die mit den Liberalisierungsmaßnahmen für Israel verbunden wurden? Milton Friedmans Version dazu „If Israel's dash to freedom is maintained I predict that it will produce the same kind of economic miracle that Ger-many’s similar dash produced in 1948 ... It may also convert Israel into a major financial centre, a partial replacement for Beirut . .

(„Wenn Israels Sprung in die Freiheit von Dauer ist, sage ich voraus, daß er das gleiche Wirtschaftswunder hervorbringen wird wie der ähnliche Sprung in Deutschland 1948 ... Er könnte Israel auch zu einem der großen Finanzzentren machen, einem teilweisen Ersatz für Beirut...")

Die „Entfesselung schlummernder Produktiv-kräfte", auf die der neue wirtschaftspolitische Kurs spekulierte, hat bisher jedenfalls nicht stattgefunden. Ganz sicher waren und sind die politischen Rahmenbedingungen für Israel im Nahen Osten auch nicht annähernd denen der Bundesrepublik Deutschland in der Wiederaufbau-und Wirtschaftswunderphase nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar. Außerdem haben die angestellten Überlegungen für die Schlüsselprobleme zukünftiger Entwicklungspolitik in Israel besonders hinsichtlich der Mängelerscheinungen im industriellen Management und im gesamtwirtschaftlichen Steuerungssystem gewisse Begrenzungen sichtbar werden lassen, die einer „kapitalistischen Radikalkur", jedenfalls bis auf weiteres, gesetzt sind.

Das Diktat der politischen Zwänge wurde bereits deutlich am Schicksal des israelischen Staatsbudgets für 1978, das im Zeichen des neuen Kurses erstmals in Volumen und Struktur die Zurückdrängung des Staates zumindest tendenziell hätte erkennen lassen müssen. Wie wenig Spielraum die die israelische Wirtschaftslage bestimmenden Sachzwänge den Politikern lassen, zeigt sich darin, daß dieses Budget — entgegen anderslautenden Proklamationen — praktisch keine Abstriche oder wesentlichen Umschichtungen im Bereich der öffentlichen Ausgaben realisieren konnte. Natürlich kann man dem Finanzminister Ehrlich — wie etwa Y. Bach es in seinem Beitrag tut — deswegen „Inkonsequenz" vorwerfen, — gemessen nämlich am „Entstaatlichungs" -Ziel des Liberalisierungskonzepts, — und seine „Nachgiebigkeit" gegenüber Forderungen von Ministerien und Interessentengruppen bedauern. Fraglich ist nur, ob einem verantwortlichen Regierungspolitiker in Israel heute angesichts der politischen und auch gerade der entwicklungspolitischen Erfordernisse überhaupt eine Alternative zum Handeln bleibt. Nicht umsonst hat Minister Ehrlich immer betont, daß man in Israel die Ratschläge von Milton Friedman nur „sehr selektiv" anwenden könne: „ ... wenn wir seine Theorie von Kopf bis Fuß anwenden, muß Israel binnen einem Monat alle Lichter ausschalten" 2. Das ordnungspolitische Gebot zukünftiger Entwicklungsaufgaben in Israel Wie die Untersuchung der wichtigsten Linien der wirtschaftlichen Entwicklung in Israel gezeigt haben dürfte, waren die Haupttriebkräfte der Expansion bisher außerökonomischer Art. Allerdings heißt das nicht, daß die israelische Gesellschaft nicht auch ökonomisch. motivierbar ist: „There exists ... an economic motivation relatively strong, and yet not pure’" („Es gibt eine relativ starke ökonomische Motivation, aber sie ist keineswegs , rein'ökonomisch.")

» Mit dem Kurswechsel zum Wirtschaftsliberalismus ist aber unausweichlich die Frage aufgeworfen, ob in Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung in Israel Priorität eingeräumt werden soll und kann eben indem man das „freie Spiel der Marktkräfte" entfesselt und sich ihm unterwirft.

Israel hätte nie seinen heutigen wirtschaftlichen Entwicklungsstand erreicht, wenn es nicht in besonderem Maße von Kräften profitiert hätte, die man etwas unkonventionell als „Produktionsfaktor Weltanschauung" bezeichnen könnte. „Ideology as a resource" hat in diesem Lande eine so einzigartige Produktivität bewiesen, daß der Zweifel legitim erscheint, ob die Entwicklungsdynamik Israels denn in Zukunft allein vom Spiel der ökonomischen Kräfte bewegt und geprägt werden kann. Sicher können die alten Pionierträume heute nicht mehr alleinige Leitidee auf dem weiteren Weg Israels zur Industrienation sein „The most intriguing aspect of con-temporay Israel is the männer in which the early Vision has adjusted — or failed to ad-just — to the present reality .. . The idyllic image of a nation of educated pioneers, plow in one hand, book in the other, could hardly sustain a modern, differentiated economy." Und: „ .. . There has yet to come a new dream to replace the old." („Der fesselndste Aspekt des heutigen Israel ist die Art und Weise, wie die Vision von früher sich angepaßt hat — oder auch nicht — an die heutige Realität .. . Die idyllische Vorstellung von einer Nation gebildeter Pioniere, den Pflug in der einen, das Buch in der anderen Hand, konnte schwerlich eine moderne differenzierte Wirtschaftsgesellschaft schaffen." Und: „... Es muß ein neuer Traum kommen, der den alten ersetzen kann.")

Welche Ansatzpunkte lassen sich aber in Israel heute finden, die diesen „neuen Traum" wenigstens andeutungsweise konturieren könnten, wenn es nicht Friedman's „Promise of Capitalism" sein kann oder soll? Nach wie vor lassen sie sich zwingend wohl nur aus den alten Grundidealen und -werten des Staates der Juden in Israel ableiten:

Traditionelle Wer(Orientierungen erhalten 1. Das Anreizsystem der israelischen Industriegesellschaft muß auch in Zukunft neben dem ökonomischen Gewinnstreben der Selbstverwirklichung des jüdischen Volkes im Rahmen seiner traditionellen Wertorientierungen Raum lassen. Das heißt aber:

— Das israelische Wirtschaftssystem kann nur pluralistisch sein.

— Die wirtschaftlichen Entscheidungsund Steuerungsmechanismen dürfen weder einseitig von Gruppeninteressen dominiert sein (weswegen der Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer über die ersten 'Ansätze im gemeinwirtschaftlichen Sektor hinaus sicher für Israel besondere gesellschaftspolitische Bedeutung zukommt), noch darf ein Übermaß von Anweisungsbürokratie den einzelnen wie auch die Gesellschaft reglementieren und strangulieren (weswegen Befreiung von bürokratischen Fesseln und Dirigismen als „Liberalisierung" das Gebot jeder zukunftsorientierten Entwicklungspolitik in Israel ist).

— Arbeitslosigkeit rührt in einer als „arbeitenden Gesellschaft" gegründeten und gewachsenen Industrienation an die Grundlagen der staatlichen Existenz; als Staatsfeind Nr. I wird sie keinesfalls akzeptabler, wenn sie als „Nebenprodukt" marktwirtschaftlicher Regelmechanismen auftritt. Die neuerdings erstmalig steigenden Arbeitslosenziffern in Israel könnten insofern dazu führen, daß dem Liberalisierungskonzept der Begin-Regierung von vornherein alle weiteren Bewährungschancen kategorisch abgeschnitten werden.

Enge Grenzen sozialer Ungleichheit 2. Wenn man im Sinne der egalitären Ideale der zionistischen Staatsgründer Israels (die insoweit durchaus verbreiteten Vorstellungen der Nationalökonomie entsprechen, modernen wie sie etwa der bekannte amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith vertritt) die Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft an der gerechten Verteilung des nationalen Einkommens mißt, so können einem entwicklungspo-litischen Konzept, das „die Reichen reicher und die Armen ärmer" machen muß, von vornherein nur geringe Chancen eingeräumt werden. Zumal vorher ja festgestellt wurde, welch positiven Beitrag die relativ egalitäre Verteilungssituation in Israel zur umfassenden Entwicklung des Landes geleistet hat.

Die starke Identifizierung der Israelis mit ihrem Staat als Inbegriff der arbeitenden Gesellschaft in Israel als Ganzes beruht mit darauf, daß dieser Staat eben kein Klassenstaat ist: „Zwar ist Israel nicht zu einem einzigen Kibbuz geworden, aber wahrscheinlich bildet es die am wenigsten in Schichten, Stände oder Klassen unterteilte Gesellschaft der freien Welt. Es gibt natürlich reiche Leute. Doch ... ist Israel der einzige Staat, in dem die Kapitalbesitzer keinen politischen Einfluß haben."

Diese Aussage kann natürlich nur ein persönliches Urteil widerspiegeln, deutet aber doch an, weshalb eine stärkere Einkommensdifferenzierung von der überwiegenden Mehrzahl der Israelis auch heute noch als unvereinbar mit den Grundidealen ihres Staates empfunden wird, zumal wenn sie in sichtbarem Luxuskonsum einerseits gegenüber fortgesetzt niedrigen Einkommensstandards andererseits in weiten Kreisen vor allem der orientalischen Juden zutage tritt Mit anderen Worten: Einer Verstärkung der sozialen Ungleichheit sind in Israel sicher sehr viel engere Grenzen gezogen als in anderen westlichen Industriegesellschaften, — und erst recht als in der Vorstellungswelt von Professor Milton Friedman.

Präierenz für „zusätzliche Dimensionen"

3. Schließlich gilt es auch, die (quantitative) „Orientalisierung" und (qualitative) „Judaisierung" der politischen Landschaft Israels als neue Entwicklung des alten Konflikts zwischen dem „ersten" und -dem „zweiten" Isra el einzubeziehen in die hier angestellten Überlegungen, welche Entwicklungsideologie das heutige Israel braucht. Vielleicht zeichnet sich zumindest die Richtung der Suche nach dem „neuen Traum" in einem Beitrag von Pinhas Lavon ab, der bezeichnenderweise überschrieben ist „Ein auserwähltes Volk und eine normale Gesellschaft" „I believe that the state of Israel requires additional di-mensions, not in technology and not in num-bers. It is clear (that this dimension) cannot be expressed in the economic field ... If there is no serious about-turn, we shall be a completely normal societey without any special attraction. We shall then be, in the last analysis, a Levantine country.“ („Ich glaube, daß der Staat Israel zusätzliche Dimensionen braucht, nicht in Technologien oder in Zahlen. Es ist klar, (daß diese Dimension] nicht im ökonomischen Bereich liegen kann... Wenn es kein ernsthaftes Umschwenken gibt, werden wir eine völlig normale Gesellschaft ohne jede besondere Attraktion sein. Wir werden ann, im eigentlichen Sinne, ein levan-tinisches Land sein.")

Angesichts der eher zunehmend gewichtigen Rolle religiöser Traditionen im heutigen Israel muß möglicherweise in Zukunft auch mit einer zunehmenden Neigung zur Herausbildung eschatologisch bestimmter gesellschaftlicher Zielvorstellungen gerechnet werden, wie sie ähnlich gewissen frühzionistischen Theorien eigen waren. Denn eine „auserwählte" Gesellschaft unterscheidet sich von einer „normalen" eben dadurch, daß sie nicht wie diese vorrangig nach Gesichtspunkten ökonomischer Effizienz handelt, sondern ideologischen Zeichen folgt. Die Präferenz für „zusätzliche Dimensionen" (Lavon) ist im traditionalistisch-konservativen Teil der israelischen Führungselite sicher stärker ausgeprägt als bei den geistigen Erben des Arbeiterzionismus, die heute eher dem Ideal einer offenen und pluralistisch strukturierten Industriegesellschaft anhängen. Insofern bleibt abzuwarten, ob die Anleihe, die die religiös-konservativ dominierte Regierung Begin beim „alten Traum vom Kapitalismus" gemacht hat, überhaupt die volle Laufzeit einer politischen Legislaturperiode erreichen wird. Denn es darf schließlich nicht übersehen werden, daß Liberalisierung jedenfalls ein Programm für den Frieden ist. Daß von einem wirksamen Friedensschluß in Israel starke Impulse für eine Entfesselung unternehmerischer und technologischer Produktivkräfte ausgehen könnten, wird kaum jemand bezweifeln. Solange aber Krieg und Belagerungszustand als tägliche Bedrohungen vor der Tür stehen, fehlt es sicherlich am rechten Klima für das Gedeihen einer freien Marktwirtschaft. Israel kann sich bis auf weiteres ein konsequentes Laissez-faire schon deshalb gar nicht „leisten", weil es eben auch zur Sicherung seiner politischen Lebensfähigkeit seine Entwicklung jederzeit beherrschen muß.

IV. Israel: Modellfall für Entwicklungsländer?

Trotz aller Einzigartigkeit vor allem seiner historischen und politischen Konstellationen bietet das „Entwicklungsphänomen Israel" doch einen Erfahrungsfundus an, der in mancher Hinsicht als entwicklungspolitisches Lehrstück von Interesse sein kann — und in der Tat auch schon häufig genutzt worden ist, vor allem von Entwicklungsländern Afrikas und Lateinamerikas. Denn Israel demonstriert exemplarisch, was üblicherweise in der ökonomischen Entwicklungstheorie als „balanced growth doctrine" bezeichnet wird: „Development requires an Overall sophisticated balance." („Entwicklung verlangt ein umfassen-des ausgeklügeltes Gleichgewicht".)

Der Modellfall Israel zeigt aber eben zugleich, daß das Postulat der . Ausgewogenheit'oder . Gleichgewichtigkeit'als Entwicklungsprinzip in einem weitaus umfassenderen Sinne zu sehen ist, als es bisher von der Entwicklungstheorie verstanden wurde: nämlich als Forderung nach einer ausgewogenen und parallel laufenden Entwicklung der landwirtschaftlichen und der industriellen Sektoren einer Volkswirtschaft; weil nur so die Herausbildung hinreichend großer und differenzierter Binnenmärkte bei gleichzeitiger Kaufkraftsteigerung der breiten Bevölkerung gewährleistet wird, die wiederum die notwendige Voraussetzung für weitere Investitionen und damit Wachstum sind.

Israels Entwicklungsmuster entspricht dieser „Doktrin" geradezu vorbildlich, zumal neben Landwirtschaft und Industrie gleichzeitig auch die Infrastruktur planmäßig ausgebaut wurde und innerhalb der Wirtschaftssektoren das Entstehen einseitiger Monokulturen bzw. -Produktionen weitgehend vermieden wurde; so sind die zunächst dominierenden Citrusfrüchte im Agrarexport längst durch weitere Qualitätsprodukte wie Blumen, Gemüse, Wein ergänzt worden.

Das Prinzip der . Ausgewogenheit' kennzeichnet aber darüber hinaus die israelische Entwicklung sehr viel weitgehender und vielschichtiger: 1. Israel hat unter Beweis gestellt, daß bestehende Mängel und Engpässe in der Ressourcenausstattung einer Volkswirtschaft im Prinzip auszugleichen sind; konkret wurde diese Austauschbarkeit menschlicher und materieller Ressourcen genutzt, um die natürliche Kargheit des Landes durch den Einsatz von . Humankapital'wirkungsvoll zu kompensieren. 2. Israel hat gleichermaßen investiert in die Entwicklung seines Produktivkapitals — in Gestalt von Anlagen aller Art — wie seines Humankapitals, also das Erziehungswesen im weitesten Sinne. Diese Ausgewogenheit der Entwicklung, die auch innerhalb des Erziehungssektors durch gleichmäßige Förderung aller Bereiche und Ebenen festzustellen ist, sicherte die weitgehende Übereinstimmung von Beschäftigungs-und Bildungssystem und verhinderte damit u. a. einen „brain drain", also die Talentabwanderung, unter der andere Entwicklungsländer so stark zu leiden haben. 3. Die israelische Führungselite aller staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche gleichermaßen hat nie als Sachwalter partikulärer Gruppeninteressen oder einseitiger Ideologien agiert, sondern aus einem breiten national orientierten Konsensus heraus gehandelt. Entsprechend sind Wirtschaft und Gesellschaft in Israel pluralistisch geordnet und pragmatisch gesteuert. Der „Blick aufs Ganze" hat sich dabei insbesondere bewährt in einem beachtlichen Gleichmaß von sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsanstrengungen; Integration und Egalität galten deshalb als so vorrangig, weil stärkere soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte vermieden bzw. abgebaut werden sollten.

4. Das Miteinander von „Pflug und Buch" in den Händen der jüdischen Palästina-Siedler hat sich in Israel erhalten als Einheit und Einigkeit von Wissenschaft, Technik und Produktion, von Theorie und Praxis; sie erweist sich als wichtige Bedingung einer optimalen Mobilisierung und Motivierung aller menschlichen Produktivkräfte.

5. Schließlich zeigt das israelische Beispiel, daß „Sozialinnovationen" im weitesten Sinne, die sich in Israel ja keineswegs nur auf die bekannten Kibbuzim und ähnliche kooperative Siedlungsund Produktionsformen beschränken, für die gesamte sozialökonomische Entwicklung mindestens so wichtig sind wie die sonst so einseitig favorisierten Innovationen technologischer Art; sie sind allerdings ungleich schwerer zu imitieren als technische Errungenschaften.

Israel als Entwicklungshelfer Damit ist zugleich angesprochen, in welcher Richtung Israel neben seiner Rolle als mögliches Entwicklungsmodell auch als aktiver Entwicklungshelfer für Drittländer besonders viel zu bieten hat. Angesichts seiner hervorragenden Kompetenz für bedarfsgerechte Entwicklungstechnologien aller Art besteht ohnehin schon seit Jahren ein starkes Engagement in „technischer Hilfe", die vor allem im afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Raum sehr gefragt ist. Weit schwieriger als die Übertragung von Technologien läßt sich aber die Verpflanzung des sozialen Know-how spezifisch israelischer Machart bewerkstelligen, ohne das aber das „Entwicklungsmodell Israel" eben nicht funktioniert und jedenfalls nicht imitierbar ist.

Den Möglichkeiten Israels, wie sie gelegentlich beschworen werden, „to become the scientific-industrial pioneer serving as a bridge between the develpped and the newly developing world" („der wissenschaftlich-technische Pionier zu werden, der die Brücke zwischen dem bereits entwickelten und dem sich neu entwickelnden Teil der Welt schlägt") sind aber in weltweitem Maßstab ohnehin durch die Kleinheit des Landes und seiner Bevölkerung recht enge Grenzen gesetzt. Um so überzeugender könnte Israel aber diese Rolle in der Nahost-Region übernehmen, wenn mit einer Beseitigung der politischen Barrieren dort erst einmal die Bahn frei wäre für eine ungehemmtere soziale und ökonomische Entwicklung. Daß hier politisch zunächst nicht mehr als die Teillösung einer israelisch-ägyptischen Kooperation realisierbar erscheint, muß im Interesse einer halbwegs „beherrschten" sozialökonomischen Entwicklung eher positiv bewertet werden, zumal wenn die „balanced-. growth-doctrine" weiterhin erfüllt bleiben soll. Denn angesichts der zahlreichen an der internationalen Informationsbörse seit Monaten gehandelten israelisch-ägyptischen „Schubladenprojekte" — für die hier beispielhaft die geplante gemeinsame Erschließung der Sinai-Wüste auf der Grundlage eines großangelegten Kernenergie-und Bewässerungsprojekts genannt sei — wird deutlich, daß eine solche Entfesselung zentrifugaler Entwicklungskräfte nicht nur eine große ökonomische Chance bietet: sie könnte auch die junge israelische „Industrienation auf dem Wege" mit einer zu frühen Bewährungsprobe ihrer wirtschaftlichen Standfestigkeit und geistig-kulturellen Identität belasten. Auch deshalb ist es notwendig, daß es dem Judentum in Israel gelingt, diese seine Identität in einem „neuen Traum" zwischen Kibbuz und Kapitalismus zu finden und zu bewahren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die anfängliche Abwertungsrate von einem Drittel ist bis zum Spätherbst 1978 bereits auf über 60 0 o gestiegen.

  2. Vgl. hierzu den Artikel von Yaacow Bach in dieser Ausgabe, der als Vortrag vor einer deutschen Studiengruppe in Tel Aviv im Februar 1978 gehalten wurde und damit u. a. auch Ausgangspunkt für weitergehende Recherchen und die Beschäftigung mit entwicklungs-und strukturpolitischen Aspekten der israelischen Wirtschaftspolitik durch die Verfasserin dieser Arbeit wurde.

  3. So etwa auch im Bericht einer Weltbankkommission, der im Oktober/November 1968 zum Stand der wirtschaftlichen Entwicklung in Israel erstellt wurde; vgl. David Horowitz, The Enigma of Economic Growth. A case Study of Israel, New York 1972, S. XII f.

  4. Vgl. Walter Laqueur, Der Weg zum Staat Israel. Geschichte des Zionismus, Wien 1975, S. 287 ff.; Ernst Vogt, Zionismus und Sozialismus. Zur Rolle der jüdischen Arbeiterbewegung bis zur Gründung des Staates Israel; Schriften der Bundeszentrale füi politische Bildung, Bonn 1977, passim.

  5. Vgl. Theo Pirker, Die Histadrut, Tübingen 1965, passim.

  6. Moshe Sanbar, Israel’s Development Formula, in: Economic Growth in Developing Countries. Material and Human Resources. Proceedings of the 7th Rehovot Conference. Ed. by Yohanan Ra-mati, New York 1975, S. 11.

  7. Vgl. Abba Lerner, Haim Ben-Shahar, The Economics of Efficiency and Growth, Lessons from Israel and the West Bank, Cambridge, Mass. 1975, S. 73 f.

  8. Bank of Israel, Annual Report 1976, Jerusalem 1977, S. 4 f.

  9. Rene L. Frey, Strukturwandlungen der israelischen Volkswirtschaft, global und regional 1948 bis 1975, Basel-Tübingen 1965, S. 88 f.

  10. Vgl, Lerner/Ben-Shahar, a. a. O., S. 79.

  11. Vgl. Horowitz, a. a. O., S. Xll

  12. Ebenda, S. 15.

  13. Lerner/Ben-Shahar, a. a. O., S. 74 f.

  14. Horowitz a. a. O., S. 78.

  15. Vgl. Howard Pack, Structural Change and Economic Policy in Israel, New Haven/London 1971, S. 221.

  16. Vgl. Sanbar, a. a. O., S. 13.

  17. Vgl. Horowitz, a. a. O., S. 67.

  18. Tatsachen über Israel, a. a. O., S. 158.

  19. Horowitz, a. a. O., S. 68.

  20. Ebenda, S. XII f.

  21. Lerner/Ben-Shahar, a. a. O„ S. 75.

  22. Ebenda, S. 76.

  23. Bank, of Israel, a. a. O., S. 120 ff.

  24. Vgl. Pack, a. a. O„ S. 230 f.

  25. Vgl. Lerner/Ben-Shahar, a. a. O„ S. XIII: „The greater pari of Israel's economic success must be attributed to causes other than her economic poli-cy. Indeed, that success was achieved in considerable measure despite her economic policy ..." („Der größte Teil des israelischen Erfolges ist auf andere Ursachen als die Wirtschaftspolitik des Landes zurückzuführen. In der Tat wurde dieser Erfolg in beträchtlichen Umfang trotz dieser Wirtschaftspolitik erzielt . . .")

  26. Sie wurde in einer Untersuchung für die Jahre 1953 bis 1965 auf nur 3O°/o des israelischen Volks-einkommens beziffert; vgl. Lerner/Ben-Shahar, a. a. O„ S. 118.

  27. Vgl. Pack, a. a. O., S. 227 ff.

  28. Vgl. Carol S. Greenwald, Israel s Economic Future, in: Challenge, The Magazine of Economic Affairs, 18. 1975. 1, S. 34; Lerner/Ben-Shahar, a. a. O., S. 83.

  29. Eli Ginzberg, Manpower Policy in Nation Building: Lessons from Israel, in: Israel in the Third World, ed. by Michael Curtis and Susan A. Gitelson, New Jersey, S. 34.

  30. In der Tat bauten die zionistischen Siedler bis in die zwanziger Jahre ganz vorwiegend auf eine agrarische Entwicklung Palästinas, weil sie industrielle Unternehmen grundsätzlich als privatkapitalistische Domäne ansahen und daher aus ihrer Neigung zu kooperativ-sozialistischen Wirtschaftsformen heraus kaum in Betracht zogen. Vgl. Roy Popkin, Technology of Necessity, Scientific and Engineering Development in Israel, London 1971, S. 26 f.

  31. Dan Avni-Segre, Israel: A Society in Transition, in: World Politics. A Quarterly Journal of International Relations, Vol. XXI, 1969, 3. S. 345.

  32. Vgl. Ginzberg, a. a. O., S. 33.

  33. Vgl. Laqueur, a. a. O., S. 301 f.

  34. weisen So Lerner/Ben-Shahar, a. a. O., S. 114, darauf hin, daß die Lohnspannen in Israel so gering sind, daß die , rate of return’ auf qualifizierte Tätigkeiten nicht einmal der Verzinsung des erforderlichen Ausbildungskapitals entspricht.

  35. Vgl. S. N. Eisenstadt, in: Integration and Development in Israel, ed. by S. N. Eisenstadt, Rivkah Bar Yosel, Chaim Adler, Jerusalem 1970, S. 2; Pack, a. a. O., S. 221 ff.

  36. Vgl. Avni-Segre, a. a. O., S. 354.

  37. Vgl.: Israels Außenhandel, Tel Aviv, 12. Jg., Nr. 8, August 1978, S. 3.

  38. S. N. Eisenstadt, Die israelische Gesellschaft — Veränderung und Beständigkeit, Schweizer Monatshefte, 53. 1973. 5, S. 335 f.

  39. Vgl. Avni-Segre, a. a. O., S. 353 ff.

  40. Vgl. Michael Wolffsohn, Israels zweite Staats-gründung, Europa-Archiv, 18. 1977, S. 603.

  41. Ebenda, S. 604.

  42. Tatsachen über Israel, a. a. O., S. 156.

  43. Popkin, a. a. O., S. 7.

  44. Ebenda, S. 5.

  45. Ebenda, S. 7.

  46. Ebenda, S. 43.

  47. Ebenda, S. 8.

  48. Ebenda, S. 43.

  49. Vgl. Ginzberg, a. a. O., S. 33.

  50. Nachrichten für Außenhandel, Frankfurt, Nr. 185 v. 23. 9. 1977.

  51. The Times, 5. 5. 1976: „Kibbutzim turn increasingly to manufacturing".

  52. Uri Leviatan, The Industrial Process in Israeli Kibbutzim: Problems and Their Solutions, in: Israel, Social Structure and Change, ed. by Michel Curtis and Mordecai S. Chertoff, New Jersey 1973, S. 160.

  53. Ebenda, S. 161.

  54. Vgl. U. Hurvitz and M. Yavne, Statistical Indi-cators of Research and Development, The Case of Israel, in: Science Policy and Development, The Case of Israel, ed. by Eliezer Tal and Yaron Ezrahi, New York-London-Paris 1972, S. 342.

  55. Popkin, a. a. O., S. 3.

  56. Vgl. Samuel N. Bar-Zakay, Technology Transfer from the Defence to the Civilian Sector in Israel — Methodology and Findings, in: Technological Forecasting and Social Change, 10. 1977, S. 143 ff.

  57. S. Freier, The Development of Scince-based Industries in Israel, in: Science Policy and Development, a. a. O., S. 272 f.

  58. Ebenda, S. 271 f.

  59. Ebenda.

  60. Vgl. u. a. Popkin, a. a. O., S. 8.

  61. Vgl. z. B. Yaacow Bach in seinem Beitrag in dieser Ausgabe.

  62. Vgl. Antoine B. Zahlan, Der wissenschaftlich-technologische Graben im arabisch-israelischen Konflikt, Die Dritte Welt, Vierteljahresschrift zum kulturellen, sozialen und politischen Wandel, III. 1974. Nr. 1/2, passim.

  63. Michael Bruno, Economic Development Problems of Israel, 1970 bis 1980, in: Economic Development and Population Growth in the Middle East. Ed. by Ch. A. Cooper and S. S. Alexander, New York 1972, S. 153.

  64. Plan for the Development of Industry in Israel 1971-1976-1981. State of Israel, Ministry of Commerce and Industry, Center for Industrial Planning, Jerusalem 1973, S. 179.

  65. Vgl. Popkin, a. a. O., S. 26.

  66. Matthew Radom, Military Officers and Business Leaders: An Israeli Study in Contrasts, in: Columbia Journal of World Business, III. 1968. 2, S. 28.

  67. Ebenda.

  68. Benjamin Toren, Size and Scale Economies in the Israel Industry: Effects of the Free Trade Agreement with the Common Market, Kieler Arbeitspapiere Nr. 66, Kiel 1977, S. 30.

  69. Ebenda.

  70. Ebenda.

  71. Vgl. ebenda.

  72. Ebenda, S. 33.

  73. Ebenda, S. 38.

  74. Vgl. Lerner/Ben-Shahar, a. a. O., S. 78.

  75. Ebenda, S. 180 f.

  76. Ebenda, S. 181.

  77. Ebenda.

  78. Ebenda, S. 106 ff.

  79. Milton Friedman, „Entebbe Again“, Newsweek, New York 14. 11. 1977.

  80. Vgl. u. a.: H. R. Karner, Israels „neue Wirtschaftspolitik", Abkehr vom „paternalistischen Dirigismus", Neue Zürcher Zeitung v. 6. /7. 11. 1977; ders., Israels „New Deal" im Test der Wirklichkeit. Abkehr von kollektivistischen Pionieridealen, ¥ Neue Zürcher Zeitung v. 8. 12. 1977.

  81. Der Spiegel, 7. 11. 1977: Israel, Jumbo gelandet.

  82. 2. Aliyah = Einwanderungswelle nach Palästina zwischen 1905 und 1914.

  83. Vgl. Pack, a. a. O„ S. 226 ff.

  84. Avni-Segre, a. a. O., S. 263.

  85. Vgl. S. N. Eisenstadt, Israel: Traditional and Modern Social Values and Economic Development, in: Integration and Development in Israel, a. a. O„ S. 112 f.

  86. Milton Friedman, a. a. O.

  87. Teddy Preuß, Der Weg zum Paradies? Gespräch mit Israels Finanzminister Simcha Ehrlich, DIE ZEIT, 6. 1. 1978.

  88. S. N. Eisenstadt, Israel: ..., a. a. O., S. 109.

  89. Vgl. Leonard J. Fein, The Israeli Road from Underdevelopment Affluence, to in: From Underdevelopment to Affluence. Western, Soviet and Chinese Views, ed. by Harry G. Shaffer and Jan S. Prybyla, New York 1968, S. 356.

  90. Ebenda, S. 355.

  91. Ebenda, S. 353 f.

  92. Hervorhebung durch den Verf.

  93. Teddy Preuss, Alles auf eine Karte: Kann der totale Schwenk zur Marktwirtschaft Israels Kriegs-wirtschaft sanieren? DIE ZEIT, 18. 11. 1977.

  94. Howard Pack, Income Distribution and Economic Development: The Case of Israel, in: Israel — Social Structure and Change, a. a. O., S. 191.

  95. Vgl. Wolffsohn, a. a. O., S. 603 ff.

  96. Pinhas Lavon, A Chosen People and a Normal Society, New Outlook (Tel Aviv), Febr. 1962, S. 3 ff„ zitiert nach Avni-Segre, a. a. O., S. 359.

  97. Vgl. E. Kanovsky, Can Israel Serve als a Model for Developing Countries?, in: Israel in the Third World, a. a. O., S. 45 ff.; Jay Yanai Tabb, Isra-el’s Socio-Economic Planning and the Role of its Interest Groups, in: Industrial Relations and Economic Development, ed. by Arthur M. Ross, London 1966, S. 273 ff.

  98. Zdhlan, a. a. O„ S. 128.

  99. Vgl. INNOVATION. A monthly report on industrial R & D and Science based industry in Israel, Jerusalem, 26. Januar 1978, S. 1.

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