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Die lautlose Krake. Klassenkampf der Staatsbürokratie gegen die private Gesellschaft | APuZ 15/1979 | bpb.de

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APuZ 15/1979 Artikel 1 Die lautlose Krake. Klassenkampf der Staatsbürokratie gegen die private Gesellschaft Von Tintenfischen und Fabelwesen. Replik zu Ulrich Lohmar Staatsbürokratie: Der falsche Adressat. Eine Antwort auf U. Lohmars Thesen Altbausanierung" statt Radikalkur .Bemerkungen zu Ulrich Lohmars „Staatsbürokratie — Das hoheitliche Gewerbe" Mündiger Bürger, was tun?" Zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung

Die lautlose Krake. Klassenkampf der Staatsbürokratie gegen die private Gesellschaft

Ulrich Lohmar

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

1. Die Bürokratien des Staates führen einen neuen Klassenkampf, vor allem gegen die Arbeitnehmer, freiberuflich Tätigen und kleinen Unternehmen in der privaten Gesellschaft. 2. Dieser Klassenkampf drückt sich aus in den Privilegien der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, in dessen personeller Expansion und in der Gängelung der Bürger durch zahllose Vorschriften. 3. Die dürre und dürftige Verwaltungssprache sondert die Verwaltungen des Staates gegenüber dem Bürger ab. 4. Demokratische Institutionen behaupten gegenüber der Staatsbürokratie immer weniger politische Eigenständigkeit und Gestaltungskraft. Die Parlamente sind zwar noch die Uhren unseres politischen Systems, aber die Uhrzeiger sitzen in der Staatsbürokratie. 5. Die demokratischen Kriterien der Chancengleichheit, Transparenz, Kontrolle, Partizipation, des Mandats auf Zeit und des Spielraums für Minderheiten werden durch die Staatsbürokratie in ihr Gegenteil verkehrt oder doch erheblich eingeschränkt. 6. Eine wirksame Bürokratiereform muß versuchen, Demokratisierung und Effizienz unserer Gesellschaft auf einen Nenner zu bringen.

Ulrich Lohmars jüngste Verölientlichung: „Staatsbürokratie. Das hoheitliche Gewerbe"

(Goldmann-Taschenbuch Nr. 11 186) hat vielerorts Aufsehen erregt. Dazu trugen zumindest zwei Gründe bei: Zum einen kennt der Autor als Beamter, Wissenschaftler und Politiker die komplexe Vielseitigkeit dieser Materie, zum anderen wird das Thema . „Staatsbürokratie“ in zunehmendem Maße zum Synonym für „Staatsverdrossenheit" und damit zum Katalysator für öffentlich geäußerten Unmut.

Im folgenden faßt U. Lohmar die Ergebnisse seiner Arbeit zusammen; dazu — wie zu den Thesen seines Buches — nehmen drei Autoren Stellung. Im letzten Beitrag wird aufgrund einer Literatur-

und Gutachtenanalyse zur Reform der öffentlichen Verwaltung über erste praktische Ergebnisse berichtet. Die Redaktion

I.

Wählerstimmen kann man zählen, Leistungen messen. Insoweit ist Demokratie in gewisser Weise ebenso quantifizierbar wie die Berufswelt. Sobald sich aber an die Stelle meßbarer Kriterien ideologische Formeln schieben, wird deren Bewertung eine Frage der Überzeugung und der Meinungen. Meinungen jedoch kann man nur haben, aber nicht beweisen. Was die Demokratie anbelangt, so lassen sich Mehrheitsentscheidungen bis zu einem erheblichen Grade auch inhaltlich gewichten. Eine Gesellschaft ist z. B. soweit demokratisch, wie sie den Strukturmerkmalen der Chancengleichheit, Transparenz, Information, Kontrolle, der Partizipation, dem Mandat auf Zeit und Minderheiten Raum gibt. Eine solche Demokratie muß nicht im Gegensatz zur Effektivität des gesellschaftlichen Systems stehen, wenn damit gemeint ist, welchen konkreten Nutzen der einzelne Bürger von seinem Gemeinwesen hat.

Um diese positive Korrelation von Demokratie und Effizienz geht es. Die Staatsbürokratie, das hoheitliche Gewerbe unserer Republik, entzieht sich einer Bewertung unter den Aspekten der Demokratie und Effizienz durch eine ideologische Argumentationsreihe. Sie geht davon aus, daß jeder „Staatsdiener" seine Pflicht tue, am Gemeinwohl orientiert sei, sachgerechte Meinungen vertrete und objektiv entscheide. Bei Licht besehen sind alle diese Formeln nicht meßbar, sondern das Ergebnis einer „Staatsgesinnung". Denn auch an Gesinnungen kann man nur glauben, sie lassen sich nicht als Tatsachen festmachen.

II.

Unter dieser ideologischen Dunstglocke — der Pflichterfüllung, der Gemeinwohlorientierung, Vertretung sachgerechter Meinungen und objektiver Entscheidungen — hat die Bürokratie in der Bundesrepublik (und in anderen Industriestaaten) einen Klassenkampf gegen die Mehrheit der Bürger in der privaten Gesellschaft vom Zaun gebrochen. Dieser Klassenkampf ist den meisten Beamten in den Staatsbürokratien nicht oder kaum bewußt, noch weniger ist er absichtlich herbeigeführt worden. Es handelt sich'also bei der These, daß dieser Klassenkampf der öffentlichen Hände und ihrer Bürokratien gegen die private Gesellschaft massiv geführt wird, nicht um ein moralisches Werturteil über den Stand der Beamten, sondern um einen gesellschaftlichen Tatbestand, der mit der subjektiven moralischen Haltung unserer Staatsbeamten, ihrem „Pflichtbewußtsein", gar nicht kollidieren muß — denn Gesinnungen sind eben nicht meßbar. Paradoxerweise kann man sogar sagen, daß die meisten Beamten den von ihnen beherrschten Klassenkampf gegen die Arbeitnehmer, freiberuflich Tätigen und kleinen Unternehmer in der privaten Gesellschaft ehrlichen Glaubens leugnen, weil er in ihr subjektives politisches Bewußtsein nicht eingedrungen ist. Aber es ist ja nicht erst seit heute bekannt, daß „Sein" und „Bewußtsein" nicht immer übereinstimmen müssen.

Der Klassenkampf der öffentlichen Bürokratien gegen die private Gesellschaft wird vor allem in drei Richtungen geführt: Er zeigt sich in der Etablierung sozialer Privilegien der Angehörigen des öffentlichen Dienstes sowie in dessen personeller Expansion, in dem tief verwurzelten und umgreifenden „Ordnungsbedürfnis''der Staatsbürokratien in die Gesellschaft hinein und in der Verwaltungsgängelung des Bürgers auf den unteren Staatsebenen. Die sozialen Privilegien und die personelle Expansion sind in den Zeiten der wirtschaftlichen Hochkonjunktur der Bundesrepublik geschaffen und verfestigt worden; niemand in den öffentlichen Bürokratien dachte allerdings daran, solche Vorrechte wieder abzubauen, als die Konjunktur durch die Arbeitslosigkeit getrübt wurde und das wirtschaftliche Wachstum zurückging. Die Durchdringung und Gängelung der privaten Gesellschaft durch Verordnungen und Vorschriften tausendfältiger Art wiederum ergibt sich aus dem Umstand, daß die Staatsbürokratie mit sich selber noch nicht genug zu tun hat und deshalb ihren Ehrgeiz dareinsetzt, die übrige Gesellschaft nach ihrem eigenen Bild zu formen. Die Sozial-und Personalpolitik im öffentlichen Bereich kann man eine Politik der offenen Hand nennen. Der Zugriff auf die private Gesellschaft erfolgt so, wie man sich eine lautlose Krake in ihren Bewegungen vorstellen mag.

Die Kompetenzspielplätze der Staatsbürokratie sind expansiv geworden, und sie bedienen sich dabei auch der Verwaltungssprache als einem Herrschaftsmittel. Die Sprache der Staatsbürokratie ist dürr und dürftig, sie verlangt die totale sprachliche Anpassung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes als Voraussetzung beruflichen Erfolges in diesem Bereich unserer Gesellschaft. Nach außen wirkt die Verwaltungssprache exklusiv, abschirmend, und nach unten richtet sie Sprach-barrieren gegenüber der großen Mehrheit der Bürger auf, die sich den Staatsbürokratien mit ihren Umgangssprachen oder auch mit einem normalen Hochdeutsch nähern möchten. Am Ende dieses Prozesses steht nicht der mündige Bürger, sondern der verwaltete Jemand, ein Mensch, der sich in den Drahtverhauen nicht mehr zurechtfindet, die die Staatsbürokratien oben und unten um ihn herum errichtet haben. Der Bürger versteht das alles nicht mehr, und er muß dafür auch noch Steuern bezahlen. Einen Klassenkampf nenne ich den beschriebenen Zustand deshalb, weil die Staatsbürokratie auf Grund ihrer politischen, rechtlichen und organisatorischen Eigenarten als geschlossenes Ganzes nach außen und nach unten agiert, als politische Klasse also. Die Marxisten haben in der ihnen eigentümlichen Denkwelt den Klassenbegriff leider für die Produktionsmittelfrage reklamiert. Aber dies würde ihr Stammvater Karl Marx heute wohl anders sehen: Er hat im vorigen Jahrhundert die Klassenfrage ja nicht deshalb in der Produktionsmittelfrage gesehen, weil ihm sonst nichts eingefallen wäre, sondern weil sie zur damaligen Zeit der wesentliche Schlüssel zum Verständnis der Herrschaftsstruktur der Gesellschaft war. Heute liegt dieser Schlüssel in dem Verhältnis begründet, das sich zwischen den Staatsbürokratien und der privaten Gesellschaft herausgebildet hat.

III.

Dieser Klassenkampf konnte sich in einer Gesellschaft etablieren, die von der Verfassung her auf Demokratie hin angelegt ist. Er entfaltet sich im Rahmen der vielen demokratischen Regelkreise und Kulissen in der Bundesrepublik und hat es zuwege gebracht, die demokratischen Institutionen mehr und mehr vor den Karren der Staatsbürokratien zu spannen. Wie konnte das geschehen?

Es gibt mehrere Gründe dafür. Zum einen haben die Angehörigen der Staatsbürokratie die Parlamente der Länder und des Bundes weitgehend „besetzt". Der Anteil der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes im Bundestag liegt knapp unter 50 °/o, in den Landtagen gelegentlich noch darüber. Zum zweiten haben die Parteien nicht mehr allein parlamentarische Mehrheiten als politisches Ziel im Sinn, sondern sie versuchen, die Staatsbürokratie mit „ihren" Leuten zu durchsetzen, weil sie mit Recht meinen, daß dort die Hebel der Macht gestellt und bedient werden. Die Parlamente sind zwar die Uhren in unserem politischen System, die Uhrzeiger aber sitzen in den Staatsbürokratien. Das hat das Grundgesetz nicht gewollt, aber zugelassen. Zum dritten hat die Staatsbürokratie die Kriterien der Demokratie in ihrer eigenen Struktur und Arbeitsweise geradezu auf den Kopf gestellt: Informationen werden als Herrschaftsmittel gehandhabt und soweit wie möglich nach außen abgeschirmt, Transparenz findet nicht statt, Parlamente und Journalisten werden vielmehr als politische „Gegner" empfunden; Kontrolle ist nur möglich, wenn Information und Transparenz bei denjenigen gegeben sind, die kontrollieren sollen — das ist nur bedingt der Fall; das Mandat auf Zeit gibt es nur für Spitzenbeamte, die meisten sind unkündbar; Minderheiten kommen nur innerhalb der Staatsbürokratie zur Geltung, nach außen werden sie selten sichtbar; Partizipation findet nur innerhalb der Kompetenzgehege der öffentlichen Bürokratien statt, während jede spontane Mitwirkung durch Parlamente, öffentliche Meinungsbildung oder Bürgerinitiativen den Bürokratien des Staates geradezu abgetrotzt bzw. aufgenötigt werden muß.

Die Ursache für diese Pervertierung demokratischer Postulate liegt in eben der ideolo-'gischen Argumentationsreihe begründet, die das Denken der Bürokratie bestimmt: Pflicht, Sachgerechtigkeit, Objektivität, Gemeinwohl.

Wer daran glaubt, kann die elementare Bedeutung alternativen politischen Denkens und offen ausgetragener Konflikte in seinem Weltbild gar nicht unterbringen und muß deshalb darum bemüht sein, „Einbrüche" von außen möglichst abzuwehren oder in ihren Auswirkungen doch in engen Grenzen zu halten.

IV.

In meinem Buch „Staatsbürokratie", München 1978, habe ich die These vom Klassenkampf der öffentlichen Hand gegen die private Gesellschaft mit 100 Beispielen belegt. Um es nicht bei der Analyse bewenden zu lassen, wurden 50 politische Alternativen zur Debatte gestellt, von denen man hoffen kann, daß sie uns wieder ein ganzes Stück Wegs in die demokratische Richtung bringen könnten. Ich kann weder die Thesen noch die Alternativen hier im ganzen ausbreiten; man kann sie nachlesen. Bei diesem knappen Resümee geht es mir vielmehr darum, auf das Entstehen des Buches und die Reaktionen yon Lesern und Kritikern zu sprechen zu kommen. In die Analyse und auch in die Alternativen sind Meinungen vieler Gesprächspartner eingegangen: Von Abgeordneten, Arbeitnehmern, Unternehmern, Architekten, Staatsbürokraten, Ärzten usw. Insgesamt zehn Diskussionsgruppen mit je acht bis zwölf Teilnehmern hatte ich bei mir zu Gast, bevor ich mich ans Schreiben gemacht habe. Die Namen dieser Gesprächspartner konnte ich nicht bekanntgeben, weil das so vereinbart war. Der Grund liegt auf der Hand: Ungefilterte Meinungen erfährt man in Bonn nur dann, wenn man den Informanten schützt. Auch das ist ein Stück politische Wirklichkeit in der Bundeshauptstadt! Unter meinen Gesprächspartnern waren solche, die eher meiner eigenen Auffassung zuneigen, und andere, die ganz anderer Ansicht sind; denn mir ging es ja gerade darum, kontroverse Auffassungen als Materialgrundlagen zu sammeln und zu sichten. Zum anderen half mir die Journalistin Carmen Thomas vom Westdeutschen Rundfunk. Sie forderte die Hörer ihres Senders auf, mir ihre — guten oder weniger guten — Erfahrungen mit staatlichen Bürokratien zu schreiben. Das haben nicht wenige getan, und 33 exemplarische Briefe dieser Art sind in meinem Buch enthalten. Sie illustrieren die Analyse auf eine lebendige, aber oft auch fatale Weise.

V.

Gegen ein Buch, das im Streit der Meinungen liegt, werden auch Einwände erhoben — in Rezensionen, Debatten und Gesprächen. Acht Schwerpunkte dieser Kritik an der „Staatsbürokratie" zeichnen sich ab: 1. Ein methodischer Einwand meint, das dem Buch zugrunde liegende Material sei nicht breit genug angelegt, um daraus so weitreichende Schlußfolgerungen ziehen zu können. Damit wird ein uraltes Problem wissenschaftlicher Forschung angesprochen: Wann ist es methodisch zulässig, Beobachtungen zu verallgemeinern? Ich möchte diesen Einwand dennoch abweisen, denn es liegt in der Natur des Themas „Staatsbürokratie", daß etwa statistische Erhebungen darüber ebensowenig aussagen können wie eine Einbeziehung und stückweise Erweiterung der wissenschaftlichen Literatur. Meine Thesen zum Klassenkampf der öffentlichen Hand gegen die private Gesellschaft sind zudem politisch, nicht akademisch gemeint. 2. Der eine oder andere Kritiker hat gemeint, ich hätte ja die nützlichen Müllmänner, Krankenschwestern oder Feuerwehrleute vergessen, die schließlich auch zum öffentlichen Dienst zählten. Ich habe sie nicht vergessen, sondern deshalb nicht erwähnt, weil sie im Zusammenhang mit der Staatsbürokratie keine Rolle spielen, sondern allenfalls von der Gewerkschaft OTV als Rammböcke bei Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst eingesetzt werden. Die Leute in den Dienstleistungsbereichen der öffentlichen Hand sind sozusagen das letzte Alibi, das den Bürokratien verbleibt, wenn sie ihre eigene Existenz sozial begründen wollen. Daß in vielen Kommunen — wegen der gestiegenen Personalko5 sten der Verwaltungen — solche Dienstleistungen von der öffentlichen Hand weg auf private Unternehmer verlagert wurden, wird dabei gerne verschwiegen. Nein, es geht nicht um die Müllmänner und andere nützliche Mitbürger, sondern um die Inhaber bürokratischer Herrschaftspositionen. 3. Auf einer ähnlichen Linie liegt das Argument, der Staat sei schließlich dazu da, ein soziales Regulativ zugunsten der sozial Schwachen zu sein. Schön wäre es. Aber in Wirklichkeit gilt dieses Argument nur für wenige Mitbürger, die ganz unten auf der sozialen Stufenleiter stehen und deren sich staatliche Institutionen mehr oder weniger zufällig annehmen. Ihnen zu helfen, ist selbstverständlich auch eine vornehme Pflicht des Sozialstaates — aber um welchen Preis geschieht das? Müssen denn dafür die produktiven Gruppen unserer Gesellschaft — die Arbeitnehmer, Selbständigen und kleinen Unternehmer in der privaten Gesellschaft — derart zur Ader gelassen werden? Und wie steht es mit der Sprache der Verwaltungen? Kann der einfache Mann mit diesem Behördenchinesisch denn wirklich etwas anfangen, hilft man so den schwachen Mitbürgern? Schließlich: Die Sozialleistungen für diejenigen Mitbürger, die sich nicht selber helfen können, werden ja nicht von den staatlichen Bürokratien erwirtschaftet, sondern von ihnen nur verteilt. Verdient werden müssen diese Mittel von den produktiven Gruppen in unserer Gesellschaft, die wiederum auf die Verteilung und die Maßstäbe dafür kaum einen Einfluß gewinnen können. 4. Für zutreffend halte ich den kritischen Hinweis, bürokratische Machtzentren gäbe es ja nicht nur beim Staat, sondern auch in großen privaten Industrieunternehmen. Das ist auch mir nicht entgangen, und die Mentalitäten sind hier wie da ziemlich ähnlich. Die großen Unternehmen sind es auch, die sich auf alle denkbaren Weisen einen wesentlichen Anteil der Mittel (in Form von Förderungsgeldern, Strukturzuweisungen oder Subventionen) von der staatlichen Bürokratie zurückholen, die sie zuvor an Gewerbesteuer etc. aufgebracht haben. Gerade für die Kooperation mancher Großunternehmen mit der staatlichen Bürokratie trifft die These vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus" zu, so unsinnig sie in ihren anderen Aspekten auch sein mag.

Aber ungeachtet dieses Zusammenspiels privater und öffentlicher Großbürokratien bleiben zwei gewichtige Unterschiede zwischen diesen beiden Erscheinungsformen bürokratischer Herrschaft bestehen: Unternehmen müssen auf die Dauer mit Gewinn arbeiten, wenn sie bestehen wollen; die staatlichen Bürokratien müssen das nicht. Und zweitens: In der Wirtschaft werden immer noch die Manager in die Wüste geschickt, die keinen wirtschaftlichen Erfolg für ihr Unternehmen gewährleisten können; ein Wachwechsel in den bürokratischen Spitzenpositionen des Staates passiert hingegen allenfalls als Ausnahme oder als Folge der Ergebnisse politischer Wahlen. Die eigentlichen Machthaber in den öffentlichen Bürokratien sind jedoch auch davon nur selten betroffen. 5. Zu Recht hat man in der Kritik meiner The-sen gesagt, ich hätte zwar das alternative „Was" beschrieben, nicht aber das „Wie". Das trifft für manche meiner Alternativen zu, und darin liegt das Dilemma jeder Form „literarischer Politik". Allerdings meine ich, daß man Politik nicht nur dadurch betreiben kann, indem man im Parlament sitzt oder wenn man innerhalb von Staatsbürokratien Entscheidungen fällt oder mit trifft. In einer demokratischen Gesellschaft ist die Bildung einer öffentlichen Meinung gleichfalls ein wesentliches Stück Politik. Dazu kann auch ein Buch beitragen, wenn es zur rechten Zeit zu einem heißen Thema geschrieben wird. Danach kann man dann — sozusagen in seiner Eigenschaft als Bürger — versuchen, politische Alternativen hier oder da zur Geltung zu bringen; denn kein Mensch vermag es, sich an allen politischen Fronten gleichzeitig zu engagieren. Bescheidung gehört auch zu den Maßen, die uns die Demokratie zugleich anbietet und aufzwingt. 6. Von den politischen Parteien ist überhaupt keine Reaktion auf die „Staatsbürokratie" erfolgt, es sei denn, man werte den Bürokratie-Kongreß der CDU so. Die meisten Zuschriften von den „Offiziellen" der Politik waren in der üblichen nichtssagenden Freundlichkeit abgefaßt, die dem Briefstil persönlicher Referenten und zugleich der Umgangssprache in Bonn entspricht. Es gab nur eine Ausnahme von dieser Regel: Die „Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen in der Berliner SPD" hat mich zu einer Diskussion über mein Buch eingeladen. Da waren sie alle versammelt: Taxiunternehmer, Metzgermeister, Maler, Schreiner, Elektriker, Buchhändler, freie Architekten, Gebäudereiniger, lauter kleine Unternehmer. Sie hatten das Buch längst Seite für Seite gelesen und wollten von mir eigentlich wissen, wie man innerhalb der Berliner SPD damit nun Politik machen könnte. Ich sollte ihnen helfen, politische Anträge für ihre Partei zu formulieren. Das haben wir dann auch gemeinsam getan, aber Hoffnung auf Wirkung hatten die Berliner Selbständigen kaum. Achselzuckend meinten sie, die Angehörigen des öffentlichen Dienstes hätten in der Sozialdemokratie das Heft fest in der Hand, und die Selbständigen dürften allenfalls noch sagen, was sie daran nicht gut fänden. Aber immerhin: Diese Aufrechten in Berlin wollten Flagge zeigen! Ansonsten blieb es bei der üblichen Taktik unserer Parteien: Man schweigt eine unangenehme Sache so lange tot, bis es eines Tages nicht mehr geht. 7. Ganz anders war die Reaktion vieler Leser. Ich habe an die hundert Briefe aus allen Teilen der Bundesrepublik bekommen. Da meine Anschrift in dem Buch nicht zu finden war, ist dies ein erstaunliches Ergebnis. Noch bemerkenswerter als die Zahl der Briefe finde ich es, daß die meisten Zuschriften handschriftlich abgefaßt waren. Die Schreiber hatten also weder eine Sekretärin noch eine Schreibmaschine zur Verfügung; sie gehörten zu den Betroffenen, für die ich mein Buch eigentlich auch geschrieben hatte. Diese Briefe kamen, bevor die Rezensionen überhaupt erschienen waren. Unter Studenten und liberalen Mitbürgern ist das Buch geradezu zu einem Geschenkartikel geworden: statt Blumen. Es kostet ja auch nur 5, 80 DM und wird — leider — nicht so schnell veralten wie manche rote Nelke. Nicht wenige unter den Brief-schreibern meinen, man könne gegen die Allmacht der staatlichen Bürokratie nur mir Hilfe neuer Parteien etwas ausrichten, denn die bestehenden Parteien seien mit den öffentlichen Administrationen zu stark verfilzt, um auf sie ernsthaft rechnen zu können. Junge Leute im Ruhrgebiet haben der Absicht die Tat folgen lassen und sind dabei, eine Art politische Partei auf die Beine zu stellen. Sie wollen dabei offenbleiben für die Kooperation mit einer der „Großen".

Aus meiner Praxis als Tageszeitungsjournalist weiß ich, daß Leserbriefschreiber oft Querulanten oder „Weltverbesserer" sind. Solche Zeitgenossen finden sich überhaupt nicht unter denjenigen, die mir zu meinem Buch geschrieben haben. Es sind vielmehr Leute, die nüchtern und praktisch denken, ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben und nicht einfach resignieren wollen. Ich denke, das sind gute Weggenossen für eine Reformpolitik. 8. In Diskussionen mit Beamten — Gruppen und einzelnen — habe ich drei unterschiedliche Reaktionen feststellen können:

Die einen meinten, meine Kritik sei zwar teilweise berechtigt, aber ich könne doch den meisten Beamten den guten Willen einfach nicht absprechen. Sie redeten dann immer davon, ich hätte die Bürokratie als ein „Krebsgeschwür" bezeichnet, obwohl dieses Wort in meinem Buch nirgendwo vorkommt. Nein, den guten Willen wollte ich den Beamten überhaupt nicht absprechen. Darum geht und ging es gar nicht, sondern um die Kluft zwischen dem subjektiven Pflichtbewußtsein und den objektiven gesellschaftlichen Wirkungen, die mit der öffentlichen Bürokratie verbunden sind.

Die zweite Gruppe war der Ansicht, in mancher Hinsicht müsse man meiner Analyse zwar folgen, aber der ganze Staatsapparat sei eben so kompliziert geworden, daß jede einschneidende Änderung noch mehr Schaden als Nutzen stiften werde. Diese Gesprächspartner haben oft eine unglaublich differenzierte Argumentation vorgebracht, was sie ja aus ihrem bürokratischen Alltag gewohnt sind und dort gelernt haben. Nur haben sie bei ihren Denkspielen verlernt, in dem Labyrinth möglicher Argumente die wenigen Gründe zu erkennen, die — gemessen an Demokratie und Effizienz — das Mosaikbild anders zusammenzusetzen erlauben. Kurz: Sie verlagern ihr Unbehagen am „Was" auf ihre Einwände gegen das vermeintlich nicht definirbare „Wie". Auch das ist Bonner Alltag.

Schließlich habe ich gute Gegner getroffen, die es mit einem Frontalangriff versuchten. Sie waren in der Regel Inhaber bürokratischer Spitzenpositionen und meinten mit der für diese Spezies häufig typischen Mischung von weihevoller Distanz, deklamatorischer Sprechweise und intellektueller Leutseligkeit, eigentlich könne man über einen solchen massiven Angriff, wie ich ihn in meinem Buch vorgetragen hätte, „seriös" gar nicht mehr diskutieren. Tue man es dennoch, dann deshalb, weil ich bisher ein sozusagen unbescholtener Bürger gewesen sei, nicht ganz ohne Ansehen auch bei der staatlichen Bürokratie. Solche Gesprächspartner kann man dann nur noch mit präziser Freundlichkeit bedienen, und nachher pflegen sie einem dann meist unter vier Augen einzugestehen: „Sie haben zwar so unrecht nicht, aber es schadet doch unserer Demokratie, wenn man das so einfach öffentlich sagt."

Genau dieser Meinung bin ich nicht, obwohl ich den Klassenkampf der öffentlichen Bürokratien gegen die private Gesellschaft natürlich bewußt pointiert beschrieben habe. Relativierung muntert nicht auf, sondern bestärkt die Resignation. Mir war jedoch daran gelegen — und das muß in dieser Sache auch sc bleiben —, daß sich etwas bewegt. Noch einmal: Demokratie und Effizienz sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Wir müssen sie von der Patina der Bürokratie befreien, die sie in der Bundesrepublik in mehr als drei Jahrzehnten angesetzt hat.

Fussnoten

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Ulrich Lohmar, Dr. sc, pol., o. Professor, geb. 1928 in Engelskirchen, -von 1954 bis 1967 Chefredakteur der Zeitschrift „Die Neue Gesellschaft"; 1967 bis 1969 Chefredakteur der „Neuen Westfälischen"; 1957 bis 1976 Mitglied des Deutschen Bundestages; seit 1969 Professor für Politische Wissenschaft, jetzt an der Gesamthochschule in Paderborn. Buch-Veröffentlichungen: Innerparteiliche Demokratie, Stuttgart 1963; Deutschland 1975, München 1965; Wissenschaftsförderung und Politikberatung, Gütersloh 1968; Das Hohe Haus — Der Bundestag und die Verfassungswirklichkeit, Suttgart 1975; Staatsbürokratie, München 1978.