Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Arbeit und Eigentum in der katholischen Soziallehre und in der frühen Programmatik der CDU | APuZ 39/1979 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 39/1979 Pius XI. zwischen Stalin, Mussolini und Hitler. Zur vatikanischen Konkordatspolitik der Zwischenkriegszeit Arbeit und Eigentum in der katholischen Soziallehre und in der frühen Programmatik der CDU

Arbeit und Eigentum in der katholischen Soziallehre und in der frühen Programmatik der CDU

Käthe Seidel

/ 58 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Als sich in den Monaten nach Kriegsende die ersten Parteigruppen etablierten, die sich entschlossen, ein „C" in ihrem Namen zu führen — als Bekenntnis zu ihrer Bindung an christliche Werte —, bot sich als ein relativ geschlossenes Konzept sozial-und wirtschaftspolitischer Grundsätze die katholische Soziallehre an. Insbesondere war es das stark sozialreformerische Rundschreiben Pius XL’ „Quadragesimo anno", das die Früh-programme der neuen Partei beeinflußte. Hinzu kam, daß der aktive Kern der Gründer-kreise sich vorwiegend aus der christlichen Arbeiterbewegung rekrutierte, so daß man sagen kann: „Die CDU ist gewissermaßen auf der Linken entstanden" (Alfred Grosser). Die verschiedenen Gründerkreise schufen sich Programme, die von „christlichem Sozialismus" geprägt waren. Als Höhepunkt der frühen Programmatik gilt allgemein das Ahlener Programm, das in den innerparteilichen Auseinandersetzungen Mitte der siebziger Jahre zu neuer Aktualität gelangte. Die Sozialausschüsse der CDU bekennen sich auch heute noch zu den Grundgedanken der Erklärung von 1947, während andere Unionspolitiker sich von ihr distanzieren, da es sich, wie sie sagen, um ein historisch bedingtes, nur regional gültiges oder im wesentlichen bereits eingelöstes Programm — wenn nicht überhaupt um eine Jugendtorheit der Partei — handle. Etwa zur selben Zeit, in der das Programm von Ahlen erschien, begann der Einfluß des christlich-sozialen Elements innerhalb der Union bereits zurückzugehen. Die Sozialausschüsse verloren an Boden, während sich durch den Zustrom konservativer und liberaler Kräfte in die Partei ein grundsätzlicher Bruch in der Parteilinie vorbereitete, der mit der programmatischen Übernahme von Erhards wirtschaftlichem Konzept Realität wurde. Die Düsseldorfer Leitsätze von 1949 bestätigen nur noch eine Wende, die sich bereits vollzogen hatte. Christliche Soziallehre war nicht mehr gefragt. Das „C“ im Parteinamen ist zum Problem geworden, das sich den Unionspolitikern immer aufs neue

Einleitung

Bis vor wenigen Jahren genoß die katholische Soziallehre in der Bundesrepublik Deutschland ein hohes, ja gelegentlich ein unverdient hohes Prestige. Politiker der großen Parteien ebenso wie Gewerkschafter beriefen sich auf päpstliche Enzykliken, wie man sich auf Autoritäten beruft. Der Nachweis, daß ein Parteiprogramm sich in Übereinstimmung mit der Soziallehre der Kirche befinde, diente der Erhöhung seines Ansehens. Etwa seit Mitte der sechziger Jahre scheint die katholische Soziallehre jedoch an Kredit und allgemeinem Interesse zu verlieren. Das Merkwürdige an diesem Prozeß ist, daß er gerade dort einsetzte wo der Einfluß der katholischen Kirche nach allgemein verbreiteter Ansicht seinen angestammten politischen Ort hat: bei den Unionsparteien, und zwar beginnt er latent bereits am Ende der Frühphase der Partei

Diese — ausgenommen im Arbeitnehmerflügel — bald einsetzende Scheu vor christlich-weltanschaulichen Festlegungen deutet auf einen Kurswechsel in der Parteilinie hin. Postulate der Frühzeit sind offenbar nicht mehr repräsentativ für die Mehrheit innerhalb der Partei, oder es geht darum, Wählerschichten zu gewinnen, auf die erkennbar christliche Forderungen eher abstoßend als zugkräftig wirken, vor allem, wenn es sich um radikal soziale Forderungen handelt.

Der Kurswechsel als Faktum müßte sich personell und ideell nachweisen lassen, personell durch einen Vergleich der politischen Herkunft der Gründer und der einflußreicheren Politiker um 1949, ideell durch einen Vergleich der Parteiprogramme. Für den personellen Nachweis fehlen zur Zeit noch umfassende Forschungsergebnisse. Der vorliegende Versuch, Antworten aus der Pro-grammatik zu erschließen, beschränkt sich auf die wichtigsten Frühprogramme, beschränkt sich weiter auf die CDU, sieht also von der bayerischen Schwesterpartei ab. Vor allem sollen die Aussagen im Bereich Arbeit und Eigentum untersucht und entsprechenden Aussagen der katholischen Soziallehre gegenübergestellt werden. Für den untersuchten Zeitraum bedeutet „katholische Soziallehre" primär die Enzyklika „Rerum novarum" Papst Leos XIII. von 1891, die bis in die Gegenwart eine Art kanonischen Ansehens genießt, sowie „Quadragesimo anno", Rundschreiben Pius'XL, das zwar bereits 1931 veröffentlicht wurde, durch die Zeitereignisse — unter dem Druck faschistischer Diktaturen und während des Zweiten Weltkrieges traten andere Probleme in den Vordergrund — aber erst verspätet zu einer angemessenen Resonanz kam, schließlich einige Ansprachen Pius'XII. Sekundär schließt „katholische Soziallehre“ aber auch die Auslegung und Fortentwicklung der päpstlichen Lehräußerungen etwa in Hirtenbriefen, Veröffentlichungen katholischer Sozialwissenschaftler und Beschlüsse der Katholikentage mit ein.

Da es „die" katholische Soziallehre nicht gibt, wird es in einigen Fällen notwendig sein, divergierende Schulmeinungen nebeneinander zu stellen. Dieser Pluralismus ist legitim. Professor Wallraff prägte dafür das umstrittene Wort von der katholischen Soziallehre als einem „Gefüge offener Sätze" Nur aus der Distanz wirkt die Soziallehre wie ein monolithischer Block; aufgrund ihrer Verankerung im Naturrecht wird sie zuweilen fälschlich für etwas Statisches gehalten. In Wahrheit bewirkt der innere und äußere Dialog, in dem sie steht, einen kontinuierlichen Zuwachs an Erkenntnissen. Um die Tendenzen der Weiterentwicklung aufzuzeigen, wird es einigemal notwendig sein, Linien über den Zeitraum zwischen 1945 und 1949 hinaus zu ziehen. Ähnliches gilt für die Pro-grammatik der CDU Schließlich besteht eine Schwierigkeit, die im Thema selbst liegt: Seit es keine „katholische" Partei mehr gibt, ist es außerordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich geworden, politische Handlungen und Äußerungen eindeutig auf ihren Ursprung im katholischen Gedankengut zurückzuführen. Nur in den seltensten Fällen wird es möglich sein, eine bestimmte Persönlichkeit, eine bestimmte Gruppe oder Arbeitsgemeinschaft innerhalb der Partei als Urheber zu identifizieren. Meist vermeidet man es in der Union aus Gründen konfessioneller Parität, nähere Hinweise zu geben, beziehungsweise man bemüht sich, „die Spuren der Erstgeburt zu verwischen"

Die Aufgabe der Soziallehre besteht darin, mit allgemeinen Prinzipien eine Kontrolle über die Richtigkeit von Einzelzielen zu ermöglichen und „die Gewissen der Praktiker so zu schärfen, daß sie durch ihre Entscheidungen niemals die Würde der Mitmenschen beeinträchtigen“

I. Gründungsprogramme

„In sozialen Fragen ist der Papst ein Feldherr ohne Offizierskorps und ohne Armee." So kennzeichnet der katholische Sozialwissenschaftler Oswald v. Nell-Breuning das Verhältnis zwischen katholischer Soziallehre und Politik Der Papst verkündet Gesellschaftslehre jedoch nicht als bloße Gesinnungsethik, sondern er wendet sich an die Praktiker, damit sie „diese Lehre in die Tat umsetzen" Die kirchlichen Verlautbarungen haben von der Zeit Bismarcks bis in die ersten Monate des „Dritten Reiches" Politikern, Gewerkschaftern und zahllosen in der Arbeiterbewegung Tätigen als Orientierungslinie für ihr politisches Handeln gedient. Die sozialpolitischen Leistungen insbesondere der Deutschen Zentrumspartei sind ohne die Lehre der Päpste nicht denkbar. Zwar wehrte sich die DZP dagegen, für eine konfessionelle Partei gehalten zu werden, sie war es auch nicht de iure, wohl aber de facto. Ihr integrierendes Moment lag im Religiösen, während es politisch in ihr ein äußerst breites Spektrum von Anschauungen gab.

Mit dem Zentrum ging die spezifische politische Repräsentation des Katholizismus verloren. Weil nach dem Zweiten Weltkrieg eine vergleichbare Partei nicht wiederstand, boten sich dem politischen Gesinnungspluralismus des katholischen Volksteiles Parteien verschiedener Richtung als Ort der politischen Betätigung an. Wenn Katholiken sich den-noch mit Vorliebe in der Christlich-Demokratischen Union engagierten, so hatte das zunächst seinen Grund in einer personellen Kontinuität zum alten Zentrum. Vor allem waren es Politiker des linken Flügels der früheren DZP, die in den ersten Nachkriegsjahren maßgeblichen Einfluß in der CDU gewannen: ehemalige Führer der christlichen Gewerkschaften und der Katholischen Arbeiterbewegung. über sie gelangten Grundsätze der katholischen Soziallehre in die Frühprogramme, da in der Anfangsphase der Partei Mitglieder anderer politischer und konfessioneller Herkunft noch kein ähnlich geschlossenes ideologisches Konzept anzubieten hatten.

Nach den bitteren Erfahrungen kirchenfeindlicher Diktatur war die deutsche Bevölkerung in den ersten Jahren nach dem Kriege besonders offen für soziale Werte auf der Grundlage der christlichen Lehre. Darin lag die große Chance einer Partei, die sich entschlossen hatte, nicht nur in ihren Namen, sondern auch in ihre Programmatik christliche Verhaltensmodelle aufzunehmen. Die CDU begann also mit allen Chancen einer durch keine politische Vergangenheit belasteten Neugründung und zugleich in einer ideellen Tradition, die der Kirchenkampf unter dem Nationalsozialismus kreditwürdig gemacht hatte.

1. Kölner Leitsätze

Vorgeschichte

Die Vorgeschichte der Union ist eng mit der Opposition gegen Hitler verbunden. Zwischen verschiedenen Widerstandskreisen, in denen zum Teil schon Jahre vor dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes Pläne für eine neue Staats-und Gesellschaftsordnung erarbeitet wurden, hatte das Dominikanerkloster Walberberg bei Köln eine Art Schlüsselfunktion: 1941 wandten sich Männer des Kölner Widerstandszentrums der KAB an den damaligen Dominikanerprovinzial Laurentius Siemer mit der Bitte um gemeinsame Erarbeitung des Entwurfes einer neuen Ordnung für die Zeit nach dem voraussehbaren Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Der Dominikanerkonvent war als Ort für solche Gespräche wie prädestiniert. Dort engagierte man sich stark für eine Fort-CDA Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft

CDUD Christlich Demokratische Union Deutschlands (im Berliner Gründungskreis übliche Abkürzung) DDP Deutsche Demokratische Partei De reg. pr. Thomas v. Aquin: De regimine principum DNVP Deutschnationale Volkspartei DVP Deutsche Volkspartei DZP Deutsche Zentrumspartei KAB Katholische Arbeitnehmer-Bewegung

MM Mater et magistra. Sozialenzyklika Johannes'XXIII. von 1961 O. P. Ordo fratrum Praedicatorum (Dominikaner)

PP Popularum progressio. Entwicklungs-Enzyklika Pauls VI. von 1967 QA Quadragesimo anno. Sozialenzyklika Pius'XI. von 1931 RN Rerum novarum. Sozialenzyklika Leos XIII. von 1891 SJ Societas Jesu (Jesuiten)

S. th. Thomas v. Aquin: Summa theologica

PIT Pacem in terris. Enzyklika Johannes'

XXIII. von 1963 entwicklung der katholischen Soziallehre im Sinne einer Reform der Wirtschafts-und Sozialverhältnisse nach der thomistischen Staatslehre Als zweiten Mönch aus Walberberg zog Siemer Pater Eberhard Welty hinzu, der nach dem Krieg einer der bekanntesten katholischen Gesellschaftswissenschaftler werden sollte. Zu den Teilnehmern des Kreises — ausschließlich katholische Arbeiter-und Gewerkschaftsführer — gehörten Johannes Albers, Karl Arnold, und im letzten Kriegsjahr Andreas Hermes. Alle Mitglieder waren ständigem Druck und Verfolgungen ausgesetzt; einige namhafte Persönlichkeiten unter ihnen erlebten das Kriegsen-de nicht mehr. Aus Berlin nahmen einige Male Jakob Kaiser und Bernhard Letterhaus an den Zusammenkünften teil. Der Kreis unterhielt Beziehungen zu Wilhelm Leuschner und wurde von Pater Alfred Delp und Karl Friedrich Goerdeler besucht. Einen Aufenthalt in Berlin benutzte Pater Siemer zur Kontaktaufnahme mit weiteren Männern des politischen und kirchlichen Widerstandes: Max Habermann, Eugen Gerstenmaier, Prälat Otto Müller, Klaus und Dietrich Bonhoeffer. Verbindungen und Einflüsse des Walberberger bzw. Kölner Kreises gingen also weit über die Grenzen parteipolitischer und konfessioneller Bindung hinaus. Was in seinen Tagungen theoretisch erarbeitet wurde, war auf eine progressive Art der katholischen Soziallehre verpflichtet

In einer knappen Studie mit dem Titel: „Was nun?" stellte Welty, von dem Kreis beauftragt, schon im März 1944 den Entwurf einer neuen, christlich orientierten Staats-und Gesellschaftsordnung fertig. Keine zwei Wochen nach der Besetzung der Stadt Köln entwarf Hans Schäfer, der spätere Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, ein Programm für eine „Christlich Demokratische Partei" Auf der Basis dieser beiden Programme verfaßte Leo Schwering (früher Vorsitzender des „Volksvereins für das katholische Deutschland", später — bis zur Ablösung durch Adenauer — Vorsitzender der Kölner CDU) einen eigenen Programmentwurf. Dieser lag am 17. Juni 1945 vor, als 18 führende ehemalige DZP-Politiker die Gründung einer interkonfessionellen Partei beschlossen. Schwerings Entwurf plädierte — unter dem Einfluß der Walberberger — für „Verstaatlichung und Sozialisierung“, wo diese „im Interesse der Allgemeinheit" lägen

Aus der Erkenntnis, daß es für eine neugegründete Partei zu den ersten Erfordernissen gehört, sich in ihren Grundsätzen vorzustellen, wurde eine Programmkommission berufen, die vom 30. Juni bis zum 2. Juli 1945 im Kloster Walberberg das Programm der „Christlichen Demokraten“ erarbeitete. Außer den Patres Siemer und Welty gehörten der Kommission vor allem frühere Zentrumsmitglieder an, aber auch eine kleine Gruppe von Protestanten verschiedener politischer Provenienz. Die Programmtagung verlief nicht ohne Spannungen. Der Kurs der Walberberger tendierte stark zum Sozialismus („christlicher Sozialismus"), während konservative Kräfte mit ihnen zwar darin übereinstimmten, daß die Verarmung des deutschen Volkes eine soziale Umstrukturierung notwendig mache, aber das Risiko einer näheren Festlegung scheuten. Siemer verließ die Beratungen vorzeitig wegen dieser Meinungsverschiedenheiten: „Ich selbst hatte eine christlich-sozialistische Union beantragt, drang aber mit meiner Meinung nicht durch", schreibt er in seinen „Aufzeichnungen"

Einige Wochen nach Abfassung der „Kölner Leitsätze", bzw.des im Juni vorgelegten „Vorläufigen Entwurfs zu einem Programm", lud Adenauer Pater Siemer ein. Er zeigte dem Dominikanerprovinzial eine nicht nur formal, sondern auch inhaltlich modifizierte Fassung der Parteibeschlüsse. „Er nahm fast jede von mir geübte Kritik dankbar an, zeigte aber keine große Bereitwilligkeit, die von mir gewünschten Umänderungen des Abschnitts über die sozialen Forderungen der CDU vorzunehmen", erinnert sich Siemer In der endgültigen Fassung der „Leitsätze" ist der Terminus „christlicher Sozialismus“ gestrichen. Die Änderung der ersten Fassung geht auf die Initiative Adenauers zurück, der bemüht war, Ressentiments bei der Bildung einer Sammlungspartei zu vermeiden.

Das erste Programm einer christlich-demokratischen Gruppe hatte also bereits eine längere Entstehungsgeschichte, als es der Öffentlichkeit übergeben wurde. Waren gewerkschaftliche und kirchlich-sozialreformerische Kräfte bei der Abfassung maßgebend, so zeigte sich doch bald, daß sich die neugegründete Partei weder aus Personen einheitlicher politischer Ausrichtung zusammensetzte noch eine Zukunft ohne Richtungskämpfe zu erwarten war.

Kölner Leitsätze und katholische Soziallehre Menschenbild

Inhaltlich stellen die Kölner Leitsätze nicht mehr als eine Grundsatzerklärung dar; konkrete Details wurden der künftigen politischen Entwicklung überlassen. Den Programmpunkten geht eine Präambel voraus: ein Bekenntnis zur Demokratie angesichts der Katastrophe, die das deutsche Volk — nicht ohne eigenes Verschulden — getroffen habe. Voraussetzung jeder Politik sei ein bestimmtes Menschenbild; folgerichtig wird der programmatische Teil durch eine Aussage über den Menschen eingeleitet: „Die Würde des Menschen wird anerkannt. Der Mensch wird gewertet als selbstverantworliche Person, nicht als bloßer Teil der Gesellschaft." Auch im folgenden fällt die Fixierung auf das Individuum ins Auge: Der Mensch ist „selbstverantwortlich", nicht bloß, das wird besonders hervorgehoben, Teil eines Kollektivs.

Zum Vergleich mit diesem Programm soll kurz das Menschenbild der katholischen Soziallehre skizziert und dieser Aussage gegenübergestellt werden:

Den Menschen zeichnet vor anderen Geschöpfen Geistigkeit aus. Sein Geist ist Abglanz des göttlichen Geistes, daher wird er „Ebenbild Gottes" genannt. „Was den Menschen adelt und ihn zu der ihm eigenen Würde erhebt, das ist der vernünftige Geist", so kennzeichnet Leo XIII.den wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier (RN 5). Pius XII. bezeichnet den Menschen als „auch im Sturz noch groß, eben dank jener göttlichen Ebenbildlichkeit, die sein Geist trägt Die Natur des Menschen umfaßt zwei Komponenten: Der Mensch ist sowohl Individual-als auch Sozialwesen. Als Geist-wesen erhebt er sich über den Zwang der Kausalgesetzlichkeit, auf den die übrige Schöpfung festgelegt ist, und strebt frei aus eigener Einsicht nach eigenen Plänen. Er ist also „selbstverantwortlich" und darum „Person“. Zugleich ist der Mensch gesellschaftliches Wesen, zu seiner Erhaltung von Menschen abhängig, zu seiner Entfaltung auf geistigen Austausch angewiesen.

Das christliche Menschenbild steht als ausgewogene Mitte zwischen zwei anderen Vorstellungstypen: dem Individualismus und Kollektivismus. Stellt der Individualismus den einzelnen mehr oder weniger von Bindungen frei, so belastet der Kollektivismus die Glieder der Gesellschaft mit Bindungen, die bis zur Verneinung des Selbst führen. Die christliche Sicht des Menschen ist kein Kompromiß, sondern Gleichgewicht zwischen Extremen 14 Verglichen mit der kirchlichen Lehre „hinkt" die Eingangserklärung der Kölner Leitsätze: eine ganze Dimension, die Gesellschaftlichkeit, findet keine Erwähnung (bzw. nur eine negative: „nicht bloß.. Diese Einseitigkeit dürfte historisch begründet sein: Eine Epoche, die mit Vorliebe von „Volksgemeinschaft“, „Massen" und „Menschenmaterial" sprach, forderte notwendig eine individualistische Reaktion heraus. Die nicht ausdrücklich erwähnte soziale Komponente steht dennoch einschlußweise in den Forderungen der Leitsätze, und zwar in den Abschnitten, die Eigentum und Arbeit betreffen.

Eigentum

„Das Recht auf Eigentum wird gewährleistet". Das ist eine grundsätzliche Aussage; sie bedeutet nicht notwendig eine Anerkennung der konkreten Eigentumsverteilung. Daher ergänzt das Programm: „Die Eigentumsverhältnisse werden nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit und den Erfordernissen des Gemeinwohls geordnet." Korrekturbedürftig seien die Eigentumsverhältnisse da, wo Konzentration wirtschaftliche Macht verleiht, die die „soziale Gleichberechtigung aller Schaffenden" gefährdet. Maßstab eines „gerechten Güterausgleichs" sei das Gemeinwohl: „Das Gemeineigentum ist soweit zu erweitern, wie das Allgemeinwohl es erfordert." In vier Bereichen erscheint eine Vergesellschaftung unbedingt geboten: „Post und Eisenbahn, Kohlenbergbau und Energieerzeugung sind grundsätzlich Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes."

Welty, der diese Leitsätze inspirierte, setzte mit seinem gesellschaftlichen Ordnungsbild bei Thomas von Aquin an. Ein von Thomas übernommener Zentralbegriff der katholischen Soziallehre, der im wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Teil der Kölner Leitsätze eine Schlüsselfunktion einnimmt, ist das „Gemeinwohl“ (bonum commune). Thomas versteht darunter das universelle zeitliche Glück der Gemeinschaft, die notwendige Basis zur Übung der Tugenden, ohne die das höchste Ziel der Gesellschaft, die Vereinigung mit Gott, nicht erreicht werden kann

Im Spannungsfeld zwischen Gemeinwohl und Einzelwohl liegt das Eigentumsrecht. Es ist eines jener Gebiete, auf denen sich die katholische Soziallehre als „Gefüge offener Sätze“ erweist. Als Institution ist das Recht auf Privateigentum in der katholischen Sozialleh-re unbestritten. Die Differenzen betreffen 1. die Anwendung: Wie weit gehen die Verfügungsrechte über das Eigentum und inwieweit ist infolgedessen der Staat legitimiert, in die Eigentumsordnung einzugreifen?, und 2. die Begründung: Ist das Eigentumsrecht im Bereich des primären oder des sekundären Naturrechts anzusiedeln?

Dem Naturrecht im engeren Sinne (primäres Naturrecht) sind Forderungen zuzuordnen, die sich unmittelbar aus dem Wesen des Menschen ergeben, ohne deren Erfüllung es kein in vollem Sinne menschliches Sein gibt. Daß die Nutzung der Dinge durch die gesamte Menschheit primäres Naturrecht sei, darüber gibt es keine Uneinigkeit, wohl aber darüber, ob dieses allgemeine Eigentumsrecht notwendig in der heute üblichen Form des Privateigentums wahrgenommen werden müsse. Der konservative Flügel, der sich auf RN stützt, argumentiert ähnlich wie die Liberalen: Eigentum dient dem Schutz der persönlichen Freiheit. Es erhält eine eigene Prägung durch die persönliche Arbeit, deren Frucht es ist. Einige gehen so weit, von einer „Ausdehnung der Person in die Sachenwelt hinein" zu sprechen Für den progressiven Flügel — und ihm ist auch Welty zuzurechnen — ist dagegen im thomistischen Sinne das Gemeinwohl der letzte Richter über das Privateigentum. Die Sicherung der Freiheit und Würde des einzelnen ist dem Nutzungsrecht aller untergeordnet.

Schon Pius XL korrigierte gewisse Einseitigkeiten Leos XIII.: „Eigentumsrecht und Eigentumsgebrauch sind wohl zu unterscheidende Dinge" (QA 45 u. 47). Besonders verurteilte er das Anwachsen wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger, zu dem ein „hemmungsloser Wettbewerb" geführt habe.

Die Eigentumslehre der Kirche findet unverkennbar ihren Niederschlag im wirtschaftspolitischen Teil der Kölner Leitsätze:

Die Soziallehre unterscheidet grundsätzlich zwischen Eigentumsrecht und konkreter Eigentumsverteilung Das Eigentumsrecht, auch an Produktionsmitteln, bleibt generell unbestritten, aber die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse sind wandelbar. Der Staat ist berechtigt, sie, wo es das Gemeinwohl erfordert, zu korrigieren Das sei vor allem da notwendig, wo Privateigentum eine unangemessene Herrschaftsstellung verleiht. Die Kölner Leitsätze gewährleisten das Eigentumsrecht und wollen zugleich die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse gerechter gestalten. Das soll geschehen durch die Mittel eines (nicht näher definierten) Güterausgleichs und der Vergesellschaftung der wichtigsten Grundindustrien und Dienstleistungsunternehmen unter dem Rechtsanspruch, daß das Gemeinwohl dies erfordere. Der Güterausgleich dient einer breiten Vermögensstreuung, die ihrerseits, ebenso wie die angestrebte Förderung der Mittel-und Kleinbetriebe, der „Entproletarisierung zugeordnet “ ist.

Arbeit

Das Programm verlangt eine grundsätzliche Aufwertung der Arbeit:

„Die menschliche Arbeit wird gewertet als sittliche Leistung, nicht als Ware." Es tritt ein für den Zusammenschluß der Arbeiter in Gewerkschaften, für das Betriebsräterecht der Arbeitnehmer, für eine „soziale Lohngestaltung", die „es dem Nichtbesitzenden ermöglicht ..., zu Eigentum zu kommen“ für „einen Lohn, der ihm die Gründung und Erhaltung einer Familie ermöglicht“.

Das Christentum ist die einzige Weltreligion, die der körperlichen Arbeit einen hohen sittlichen Wert beimißt; die heidnische Antike verachtete sie als eines freien Mannes unwürdig. Das abendländische Mönchtum maß ihr heiligende Wirkung zu. Mit der Neuentdeckung der Antike trat insofern eine Akzentverschiebung ein, als nun vor allem der Lastcharakter der Arbeit in den Blickpunkt rückte. In dieser Tradition steht auch RN. Leo XIII. zitiert das Wort vom „Schweiß des Angesichts" (Gen. 3, 19) und bringt in Zusammenhang mit der menschlichen Arbeit Begriffe wie „Buße" und „Last“, „Beschwernis" und „Plage" (RN 34) als notwendige Begleiterscheinungen. Eine neue Sicht der Arbeit kündigt sich bei Pius XL an. Er spricht in QA von einer „Verwirklichung des göttlichen Weltplanes ... soweit Menschen dies gegeben ist" (QA 136). Gegen eine Sicht, nach der Arbeitskraft verkauft, persönliche Leistung als bloßer Produktionsfaktor verrechnet wird, erklärt Pius entschieden: Arbeit ist „keine feile Ware“ (QA 83). Dieses Rundschreiben hat die Programmkommission von Walberberg deutlich beeinflußt: Arbeit ist „sittliche Leistung", nicht „Ware".

Klar findet auch die Lehre der Päpste vom »gerechten Lohn" (RN 34, 35, QA 70, 71) ihren Niederschlag in den Kölner Leitsätzen. Die Sozialenzykliken nennen vier Gesichtspunkte zur Lohnbemessung: 1. Grundforderung der Gerechtigkeit ist der Familienlohn. Er geht nicht von der tatsächlichen Familiensituation aus, da er nicht nur den Unterhalt, sondern auch die Gründung einer Familie ermöglichen soll.

2. Der Lohn darf sich nicht auf einer Ebene halten, die nur das Existenzminimum des Arbeiters und seiner Familie sichert, sondern muß dem Arbeitnehmer auch Rücklagen und den Erwerb eines bescheidenen Vermögens gestatten.

3. Die Lohnhöhe ihre Grenze am muß obere wirtschaftlichen Tragbaren finden, damit die Stillegung von Betrieben und damit Arbeitslosigkeit vermieden wird.

4. Mit Rücksicht auf das Gemeinwohl ist es Aufgabe der Wirtschaftspolitik, für die rechte Balance zwischen Löhnen und Preisen unter dem Gesichtspunkt der Vollbeschäftigung zu sorgen 20).

Für den „Aufbau von Gewerkschaften und sonstigen Berufsvertretungen", den die Leitsätze fordern, treten die Päpste seit RN ein aufgrund des Rechtes, das „dem natürlichen Trieb des Menschen zu gegenseitiger Vereinigung entspricht" (RN 38); der Staat kann dieses Naturrecht nicht aufheben, seine Aufgabe ist vielmehr, es zu schützen 21). Gerade die wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Programmpunkte weisen die Kölner Leitsätze als ein Programm aus, das eindeutig und umfassend von der katholischen Sozial-lehre geprägt ist. Von Interesse für einen Vergleich mit den CDU-Programmen seit Düsseldorf (1949) ist der an den Anfang gestellte Grundsatz: „Das Ziel der Wirtschaft ist die Bedarfsdeckung des Volkes.“ Der Satz hat eine antiliberalistische Spitze, wie an einem Vergleich mit den Diskussionsergebnissen des Walberberger Kreises deutlich wird. Dort erscheint die gleiche Aussage in folgendem Wortlaut: „Die Wirtschaft erzeugt nicht für den Markt, sondern für den Bedarf.“ 22) Das Programm setzt sich ab vom Kapitalismus wie vom herkömmlichen Sozialismus und seinen „falschen kollektivistischen Zielsetzungen". Hinter seinen Forderungen, ob es sich um eine gerechtere Eigentumsordnung, die Aufwertung des Arbeiters und seiner Arbeit oder um Mittelstandspolitik handelt, steht das katholische Harmonie-denken, das nicht auf Austragung, sondern auf Abbau von Spannungen gerichtet ist, nicht auf Konfrontation, sondern auf Integration. 20)

2. Berliner Gründungsaufruf Vorgeschichte

Unter den Initiatoren der Berliner Parteigründung finden wir einige wieder, deren Namen schon im Zusammenhang mit dem Walberberger bzw. Kölner Kreis genannt wurden, darunter Andreas Hermes. Da ein Befehl des sowjetischen Oberbefehlshabers schon seit dem 10. Juni 1945 die Gründung antifaschistischer Parteien zuließ, bemühte Hermes sich sofort um die Gründung einer neuen Partei. Er sammelte bekannte Politiker und Gewerkschaften um sich, die zum Teil Widerstandsgruppen gegen Hitler angehört hatten — einen Kreis von Menschen differenzierter politischer und konfessioneller Herkunft — und schlug ihnen die Bildung einer demokratischen Sammlungspartei vor. Daß diese heterogene Gruppe sich für den Namen „Christlich-Demokratische Union Deutschlands" (CDUD) entschied, dürfte auf den vorherrschenden Einfluß früherer Zentrumspolitiker und insbesondere christlicher Gewerkschafter zurückzuführen sein. Die Bezeichnung „Union“ sollte nicht nur die Offenheit der Partei für Christen beider Konfessionen, sondern auch für Menschen verschiedener sozialer Herkunft zum Ausdruck bringen.

Bereits am 26. Juni 1945 wurde die Union offiziell konstituiert. Den Gründungsaufruf, der den Charakter eines Grundsatzprogramms hat, unterschrieben 35 Personen. Hermes scheint sich bemüht zu haben, dem Aufruf repräsentativen Charakter zu geben: Zu den Unterzeichnern gehören bekannte Parteipolitiker und Gewerkschafter, Persönlichkeiten des Widerstandes und Männer der Kirche, Wissenschaftler von Rang, Angestellte, Arbeiter und Frauen. Der politischen Herkunft nach handelt es sich zu gleichen Teilen um Zentrumsleute und Konservative, sowie eine etwas schwächere Gruppe von Liberalen. Die Namen scheinen eine breite weltanschauliche und soziale Basis zu garantieren. In der Kulturpolitik ist diese Weite sicher gegeben, anders in der Gesellschaftspolitik. Die christlichen Gewerkschafter, besonders die Autorität Jakob Kaisers, gaben dem Parteiprogramm ein sozialreformerisches Gepräge

Außer dem starken gewerkschaftlichen Element des Gründerkreises selbst sind diese Tendenzen vermutlich auf die engen Kontakte zum Kölner Kreis zurückzuführen sowie auf Einflüsse des Kreisauer Kreises. In diesem Zentrum des Widerstandes gegen Hitler hatte man, ähnlich wie in Walberberg, Pläne für eine demokratische Gesellschaftsordnung nach dem Krieg erarbeitet. Gerstenmaier, der diesem Kreis angehört hatte, erläuterte später: „Dort haben wir gemeint, daß man sich eine deutsche Nachkriegswirtschaft nur vorstellen könne auf der Grundlage der sozialisierten Grund-und Schlüsselindustrien Von den Berliner Gründern hat zum Beispiel Theodor Steltzer dem Kreisauer Kreis angehört.

Inhalt

Der Berliner Gründungsaufruf richtete sich nicht speziell an Berliner Bürger, sondern appellierte an das gesamte deutsche Volk. Er forderte zur Bildung einer Reichs-CDU auf und bezeichnete den Sitz der Berliner Christlichen Demokraten als „Reichsgeschäftsstelle der . Christlich-Demokratischen Union Deutschlands'Etwa ein Drittel des Textes ist angesichts „der schwersten Katastrophe, die je über ein Land gekommen ist", auf den Terror des zusammengebrochenen Regimes und die Mitschuld des deutschen Volkes gerichtet. Das Idealbild eines „wahrhaft demokratischen Staates", der auf „der Achtung vor dem Recht der Persönlichkeit" gründet, leitet den programmatischen Teil ein. Der menschlichen Persönlichkeit wird „Ehre, Freiheit und Menschenwürde" zuerkannt, eine Aussage, die allgemein genug ist, um den Vorstellungen jeder weltanschaulichen Gruppierung zu entsprechen.

Weniger allgemeinverbindlich ist das Wirtschaftsprogramm: „Straffe Planung ... ohne jede Rücksicht auf persönliche Interessen und wirtschaftliche Theorien" wird angesichts der allgemeinen Not zum Gebot der Stunde erklärt. „Dabei ist es unerläßlich, schon um für alle Zeiten die Staatsgewalt vor illegitimen Einflüssen wirtschaftlicher Macht-zusammenballungen zu sichern, daß die Bodenschätze in Staatsbesitz übergehen. Der Bergbau und andere monopolartige Schlüssel-unternehmen unseres Wirtschaftslebens müssen klar der Staatsgewalt unterworfen werden." Angesichts des Mangels am Notwendigsten, an Nahrung, Kleidung und Wohnung, herrschte (mindestens bis zum „Ahlener Programm") allgemein die Überzeugung, daß nur staatliche Planung und Lenkung der allgemeinen Not Herr werden könne. Die Heilung wurde nicht von einer Rückkehr zu den Wirtschaftsformen vor 1933 erwartet, sondern von einem durchgreifenden regulativen Prinzip.

Allgemein war im Nachkriegsdeutschland auch die Überzeugung, daß das verhängnisvolle Zusammenwirken politischer und wirtschaftlicher Macht dem nationalsozialistischen Staat zu seiner unumschränkten Macht verhülfen habe und der Staat deshalb „für alle Zeiten" vor den „Einflüssen wirtschaftlicher Zusammenballungen“ bewahrt werden müsse. Als Sicherheit gegen den illegitimen Einfluß wirtschaftlicher Macht betrachtet der Gründungsaufruf die Verstaatlichung von Monopolbetrieben. Ähnlich wie in den Kölner Leitsätzen wird, und zwar mit Berufung auf „christliche und demokratische Lebensgesetze", eine „einheitliche Gewerkschaftsbewegung der Arbeiter und Angestellten zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rechte" begrüßt.

Berliner Gründungsaufruf und katholische Soziallehre

Die Verstaatlichungsforderungen finden eine Stütze in der Enzyklika QA, in der die „Ungeheuerlichkeit" der „Vermachtung der Wirtschaft", die „Zusammenballung von Macht" als Ergebnis eines rücksichtslosen Kampfes um Machtgewinn im politischen und wirtschaftlichen Bereich angeprangert wird 25). Pius XI. bezog Stellung gegen eine angemaßte Herrschaft des Eigentums: „Mit vollem Recht kann man ja dafür eintreten, bestimmte Arten von Gütern der öffentlichen Hand vorzubehalten, weil die mit ihnen verknüpfte übergroße Macht ohne Gefährdung des öffentlichen Wohls Privathänden nicht überantwortet bleiben kann." Auch Pius XII. machte sich die Aussage seines Vorgängers zu eigen. Mit der Einschränkung, dies sei natürlich nicht der Regelfall, stellt er fest: „In den rechten Grenzen erlaubt die Kirche die Verstaatlichung." Dies ist im übrigen eines der wenigen Beispiele, daß ein Papst den Terminus „Verstaatlichung" gebraucht. Gewöhnlich lassen es die kirchlichen Dokumente offen, in die Hand welcher Institution vergesellschafteter Besitz übergehen soll; ein omnipotenter Staat liegt nicht in der Absicht der katholischen Soziallehre, die nach dem Subsidiaritätsprinzip für das Recht der kleineren Kreise eintritt. Das politische Programm gibt die für die Soziallehre kennzeichnende Auffassung von der Doppelnatur des Eigentums: „seine individuelle und seine so-25) ziale ... Seite" geradezu beispielhaft wieder: „Wir bejahen das Privateigentum, das die Entfaltung der Persönlichkeit sichert, aber an die Verantwortung für die Allgemeinheit gebunden bleibt."

Der „Zusammenschluß aller Schaffenden" in einer Einheitsgewerkschaft, der im Berliner Gründungsaufruf begrüßt wird, entspricht, so heißt es dort, „den christlichen und demokratischen Lebensgesetzen" (RN 37, 38), begründet das Koalitionsrecht der Arbeiter natur-rechtlich. Es wären einzelnen hat den Anschein, als die Abschnitte des Berliner Gründungsaufrufes in unterschiedlichem Maße auf die verschiedenen Gruppierungen innerhalb des Gründungskreises zurückzuführen. Die „klare Scheidung der kirchlichen und staatlichen Aufgaben“ und „die Lehre echter Humanität" als Grundlage des sittlichen Wiederaufbaus zeigen etwa, daß das Kulturprogramm nicht in der Zentrumstradition, sondern auf liberalem Boden steht. Dagegen geht der wirtschaftspolitische Teil, wie die große Nähe zur katholischen Soziallehre zeigt, offenbar auf gewerkschaftliche und christliche Impulse zurück.

3. Frankfurter Leitsätze

Eine gewisse Sonderstellung nimmt unter den frühen Gründungen der Frankfurter Kreis ein. Unter dem Namen „Christlich Demokratische Union Groß-Hessen" wurde im November 1945 die Bildung einer Landespartei beschlossen. Bei dieser Frankfurter Gründung waren wiederum frühere Zentrumspolitiker der bestimmende Teil, und zwar vor allem Politiker, die im breiten Spektrum politischer Möglichkeiten innerhalb der DZP den „linken" Flügel vertraten.

Ursprünglich bestand die Absicht, einem Neuerstehen der Zentrumspartei und der SPD mit der Gründung einer sozialen Vplkspartei, einer Art „Labour-Party“, zuvorzukommen. Ein solcher Plan, der den Zusammenschluß christlich-sozialreformerischer Kreise und „rechter" Sozialdemokraten erfordert hätte, wurde gegenstandslos, als die SPD in traditioneller Form wiedererstand. So schlossen sich die „sozialistischen" Kräfte der neugegründeten CDU Groß-Hessen im „Oberurseler Kreis" zusammen, auf dessen Einfluß die jahrelange Koalition mit den Sozialdemokraten in Hessen zurückzuführen ist. Auf bundespolitischer Ebene vermochte der Kreis eine ähnliche Entwicklung, einen „Sozialismus der Freiheit“, nicht zu verwirklichen. Mit Erlö-sehen des Parteienbündnisses verlor er seinen Einfluß auch auf die Union des Landes, worauf die Mitglieder des Kreises sich zum großen Teil von der Parteibindung lösten

Weltanschauliche Zurückhaltung

In allen Frühprogrammen der Christlichen Demokraten schwingt etwas von der idealistischen Begeisterung des Neuanfangs mit. Fast euphorisch erscheint der Anfang der Frankfurter Leitsätze: „Wir wollen ein neues Deutschland, ein ganz anderes, als durch das vergangene Regime zu einem Gegenstand des Hasses der ganzen Welt geworden ist, ein anderes aber auch, als es vor 1933 oder vor 1914 gewesen ist .. Walter Dirks, einer der Mitverfasser, erinnert sich fast 20 Jahre später, wie damals für ihn und die anderen die Stunde der Kirche gekommen schien, ihre Soziallehre zu verwirklichen: „Niemals in unserem Leben erschienen uns die Chancen und die Aufgaben christlicher Erneuerung so groß.“

Um so erstaunlicher ist es, daß die Frankfurter Grundsätze einen Einfluß der katholischen Soziallehre im herkömmlichen Sinne kaum erkennen lassen. In dem umfangreichen Programm nimmt der kulturpolitische Teil den breitesten Raum ein. Weit konsequenter als die Berliner trennt er Kirche und Staat — von der Schulpolitik bis in die finanzielle Grundlage hinein: „Wir wünschen eine reinliche Abgrenzung der Zuständigkeit der staatlichen und kirchlichen Autorität ... Politik ist Sache des Staates, Seelsorge Sache der Kirchen." Obwohl „das lebendige Christentum aller Bekenntnisse als Grundlage unseres politischen Handelns" bezeichnet wird, geht es um keine Politik mit christlichen Ausgangs-und Zielvorstellungen, sondern um die Übernahme einer demokratischen Politik durch Christen. Das „christliche Menschenbild", das diesem Programm zugrunde liegt, ist ausdrücklich auf die Züge verkürzt, die es auch „vielen Nichtchristen" als Bild „einer weltlichen Humanität" annehmbar machen: es ist das Bild „der freien und verantwortlichen Persönlichkeit".

Der wirtschaftspolitische Teil ist überschrieben: „Sozialismus und Eigentum". Er beginnt mit den Worten: „Wir bekennen uns zu einem wirtschaftlichen Sozialismus auf demokratischer Grundlage." Als „sozialistische Maßnahmen" werden „die Überführung gewisser großer Urproduktionen, Großindustrien und Großbanken in Gemeineigentum“ und die „Schaffung neuen Eigentums für die besitzlosen Schichten" genannt. Es wird ein System „planvoller Wirtschaftslenkung" vertreten. In den Frankfurter Leitsätzen handelt es sich also um dieselben Forderungen wie in den anderen Gründungsprogrammen, jedoch in einer auffälligen Distanz von allem, was sie in die Nähe „katholischer Sozialideologien" rükken könnte. Möglicherweise ist es das Festhalten am Labour-Party-Konzept, das diese Zurückhaltung eines Kreises von überwiegend katholischen Mitgliedern geboten erscheinen läßt. Es gilt, auch nur den Anschein konfessioneller oder auch allgemein kirchlicher Gebundenheit zu vermeiden. Denn wie das Programm aussagt, sind die Gründer „jederzeit zur politischen Zusammenarbeit mit Gruppen und Parteien anderer Richtungen bereit", sofern diese demokratisch sind und „keine dem Christentum feindlichen Ziele erstreben"..

Mitbestimmung

Schließlich bleibt eine programmatische Forderung, die hier zum ersten Mal in der CDU-Programmatik erscheint, in ihrem Verhältnis zur katholischen Soziallehre zu untersuchen: Nach einem Bekenntnis zum gewerkschaftlichen Zusammenschluß treten die Frankfurter Leitsätze für die „Mitbestimmung (der Arbeitnehmer) in den Betrieben" ein und für eine „Weiterentwicklung dieser sozialen Grundrechte in Richtung auf eine gleichberechtigte Teilnahme der Arbeitnehmerschaft an der Führung der Wirtschaft".

In der katholischen Soziallehre gibt es zur Mitbestimmung, ähnlich wie bei der Frage des Eigentums und in engstem Zusammenhang mit ihr, divergierende Auffassungen. Ausgangspunkt ist ein Satz der Enzyklika Pius’ XI. „Quadragesimo anno", der im offiziellen deutschen Text wiedergegeben wird: „Arbeiter und Angestellte gelangen auf diese Weise zu Mitbesitz oder Mitverwaltung (curatio) oder zu einer Art Gewinnbeteiligung." Einige Interpreten gelangen von der lateinischen Fassung her zu dem Ergebnis, daß Pius an Mitverwaltung durch Mitbesitz gedacht habe Andere dagegen legen die deutsche Übersetzung zugrunde. Danach würde „Mitverwaltung" nicht auf gemeinsamem Eigentum, sondern auf Mitarbeit beruhen Der konservative Flügel, dessen bedeutendster Vertreter Gundlach war, lehnte jede wirtschaftliche Mitbestimmung ab. Die „Heiligkeit" (= Unantastbarkeit) des naturrechtlich begründeten Eigentums, sein Charakter als „Ausfluß der Person", lassen eine Einschränkung der Verfügungsrechte als unangemessene Forderung erscheinen.

Der reformistische Flügel der katholischen Sozialwissenschaftler trat mit seinen Argumenten erst nach der Mitbestimmungsforderung des Bochumer Katholikentages von 1949 massiv an die Öffentlichkeit. Da jedoch Forderungen dieser Art eine längere geistige Vorgeschichte haben, sollen die Argumente dieses Flügels (in einem zeitlichen Vorgriff) den konservativen gegenübergestellt werden: Während die Gegner der wirtschaftlichen Mitbestimmung vom Eigentumsrecht her argumentieren, gehen die Befürworter von der Menschenwürde aus: Die Personwürde des Arbeiters teilt sich seiner Tätigkeit mit und begründet den Vorrang des Faktors Arbeit vor dem nur instrumentalen Kapital. Die Eigentumsrechte können sich nur auf Sachwerte erstrecken, niemals auf Menschen. Bedarf daher der Eigentümer, um über sein Produktiveigentum sinnvoll zu verfügen, fremder Hilfe, „so verleiht sein Eigentumsrecht ihm keinerlei Anspruch darauf, daß andere Menschen sich seiner Befehlsgewalt unterwerfen. Vielmehr muß er mit diesen Bedingungen aushandeln. Diese aber sind befugt, ihre Mitwirkung davon abhängig zu machen, daß ihnen ein vollkommen gleichberechtigtes Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird." Mitbestimmung entspricht darüber hinaus der natürlichen Anlage des Menschen, Verantwortung zu übernehmen, und dient daher der persönlichen Entfaltung Die Argumentationsbasis verschiebt sich seit Johannes XXIII. immer mehr zugunsten der Befürworter der Mitbestimmung

Wichtig ist, daß die Mitbestimmungsforderungen auch der progressiven katholischen Wissenschaftler nie unter dem Gesichtspunkt eines Positionsgewinnes im Klassenkampf stehen, sondern grundsätzlich eine harmonische Gesellschaftsordnung, ein friedliches Nebeneinander der „Stände" anstreben. In dieser Gedankenordnung steht auch die Frankfurter Forderung nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer.

Die wirtschaftspolitischen Programmpunkte liegen im Rahmen dessen, was die katholische Soziallehre vertritt oder was von katholischen Gesellschaftswissenschaftlern noch diskutiert wird; aber der sozialistischen Bündnisfähigkeit zuliebe sind die Spuren der Herkunft verwischt.

II. Programme in der Phase des Parteizusammenschlusses

1. Führungsrolle des Kölner Kreises

Die etwa zum gleichen Zeitpunkt unabhängig von einander in verschiedenen Städten erfolgenden christlich-demokratischen Parteigründungen beweisen, daß dieses politische Modell nach dem Kriege einem Bedürfnis weiter Kreise der deutschen Bevölkerung entsprach. Kristallisationspunkte waren die Gründungen von Köln und Berlin. Es war kaum zu vermeiden, daß es auf dem Wege des fortschreitenden Parteizusammenschlusses zu einer Rivalität zwischen beiden Zentren kam. Die Entwicklung der Spannungen soll knapp skizziert werden; ohne sie bliebe unverständlich, wieso sich das Gewicht der programmatischen Arbeit bald eindeutig nach Nordrhein-Westfalen verlagerte.

Im Aufruf vom 26. Juni 1945 verstand sich die Berliner Gründung noch als „Reichsleitung der CDUD". Ein erstes „Reichstreffen" der neuen Partei in Bad Godesberg (vom 14. — 16. 12. 1945) schien den Primat Berlins zu verankern: Die Teilnehmer des Treffens übernahmen für die Gesamtpartei den Namen* „Christlich-Demokratische Union Deutschlands“, der auf eine Anregung des damaligen Berliner Vorsitzenden Andreas Hermes zurückgeht. In einer gemeinsamen Entschließung wurden für die wirtschaftliche und soziale Neuordnung die Formulierungen des Berliner Gründungsaufrufes fast wörtlich übernommen Zu dem Treffen hatte Hermes von den Sowjetbehörden keine Ausreisegenehmigung erhalten; die Delegation des Parteiverbandes der britischen Zone stand unter dem Vorsitz von Konrad Adenauer und Friedrich Holzapfel. Am 28. Februar 1946 wurde Adenauer auf der Zonentagung zu Neheim-Hüsten zum Ersten Zonenvorsitzenden gewählt. Etwa gleichzeitig begannen nach Schikanen gegen einzelne Führungspersönlichkeiten, besonders Andreas Hermes, die Abschnürungsmaßnahmen gegen die CDU der sowjetisch besetzten Zone. Bis dahin stellte die Ostzonen-CDU das stärkste Element der Partei dar. Sie war zentralistischer und straffer organisiert als die CDU im Westen Im April 1946 versuchte Jakob Kaiser während eines längeren Aufenthaltes in den Westzonen, den Berliner Führungsanspruch geltend zu machen. Es war weniger dieser Anspruch als vielmehr der Gegensatz in einigen grundsätzlichen Fragen, der bald zu schweren Spannungen zwischen Kaiser und Adenauer führte: Ein Grund war das sozialpolitische Konzept, der „christliche Sozialismus", an dem Kaiser festhielt, auch lange nachdem der Begriff auf Beschluß der westlichen Verbände zurückgezogen worden war. Mit diesem Begriff verband sich für Kaiser eine bestimmte Vorstellung: Ursprünglich hatte er, wie einige Mitglieder der Widerstands-und Gründungskreise, auf eine Vereinigung von Christen und Sozialisten in einer Partei der Arbeit gehofft. Nachdem ein solcher Zusammenschluß nicht zustande gekommen 'war, versuchte Kaiser, in Berlin dem Marxismus eine neue sozialistische Kraft entgegenzusetzen. Er hielt vorübergehend eine Zusammenarbeit mit der SED für möglich und suchte einem Bruch zwischen West und Ost entgegenzuarbeiten, wobei der Berliner CDUD eine Brückenfunktion zukommen sollte. Adenauer dagegen erblickte in diesen Vorstellungen den Ausdruck politischer Naivität. Sein eigenes Konzept sah ein möglichst schnelles politisches und wirtschaftliches Er

starken Westdeutschlands vor, dem dann eine Wiedervereinigung mit dem östlichen Teil folgen sollte Die Voraussetzung dafür war eine „Zusammenfassung aller auf christlichen und demokratischen Grundlagen stehenden Kräfte" zum Schutz gegen die „aus dem Osten drohenden Gefahren" In diesem Sinne strebte Adenauer eine Koalition mit den Freien Demokraten an; Kaiser — für Adenauer der „Antibürger" — sah dagegen im Neoliberalismus das Hindernis zur Verwirklichung einer sozialen Demokratie. Er befürwortete noch 1950 im Namen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft eine „Große Koalition"

Adenauers Position in der Partei war in dieser Phase noch keineswegs stärker als die Jakob Kaisers. Das Ringen um den Führungsanspruch wurde 1947 mit dem gewaltsamen Ausschluß Kaisers aus der CDU der sowjetischen Besatzungszone zugunsten Adenauers entschieden. Damit war auch die Entscheidung gegen die christliche „Sozialismus" -Konzeption gefallen, die seitdem der Sache nach nur noch in der CDA einen politischen Ort hat.

2. Das Programm von Neheim-Hüsten

Vorgeschichte und Inhalt

Am 1. März 1946 veröffentlichte die CDU der britischen Zone auf ihrer Zonentagung in Neheim-Hüsten zum erstenmal ein Programm, das Verbindlichkeit über die Grenzen eines Ortsverbandes hinaus beanspruchte. Es ist das erste Programm, auf das Adenauer positiv Einfluß nahm. In ihren Formulierungen gründet die Erklärung deutlich auf den „Kölner Leitsätzen", bringt aber einige Ergänzungen und Neuansätze: Das Programm von Neheim-Hüsten geht davon aus, der Faschismus sei eine Folge der materialistischen Weltanschauung gewesen, die konsequent „zur Verachtung des Rechts und zur Anbetung der Macht, zur Verneinung der Würde der Person und der Freiheit, zur Vergottung des Staates" geführt habe. Es fordert eine sittliche Erneuerung auf der Grundlage christlicher Ethik, denn sie allein „gewährleistet Recht, Ordnung und Maß, Würde und Freiheit der Person und damit eine wahre und echte Demokratie". Was die Präambel bereits über den Menschen sagt, ergänzt die erste Aussage des Kapitels „Einzelpersonen und Staat": „An der Würde und den unverkäuflichen Rechten der Person findet die Macht des Staates ihre Grenzen," Das Kapitel „Wirtschaftliches und soziales Leben" übernimmt die Grundaussage der Kölner Leitsätze: „Ziel aller Wirtschaft ist die Bedarfsdeckung des Volkes,“ Unter dem Gesichtspunkt persönlicher Entfaltung verlangt das Programm eine umfassende paritätische Mitbestimmung, ein Recht, „das Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichberechtigter Tätigkeit in Führung und Verantwortung verpflichtet". Interessant ist die Zielrichtung: „Hierdurch wird eine soziale Neuordnung in Wirtschaft und Gesellschaft und eine gerechte Verteilung des wirtschaftlichen Ertrages erreicht und der Geist des Klassenkampfes überwunden."

Zum erstenmal gelingt den liberalen Kräften der Union ein in die wirtschaftspolitische Programmatik: „Freiheit der Person auf und auf politischem Freiheit hängen Gebiet eng zusammen. Die Gestaltung und Führung der Wirtschaft darf dem einzelnen nicht die Freiheit seiner -Per son nehmen." Folgerichtig ist von Planung und Lenkung der Wirtschaft nicht mehr die Rede. Die eigentümliche Koppelung wirt-, schaftlicher und politischer Freiheit ist aus einem anderen Geist als der übrige Text.

Das Programm fährt fort mit der Wiederaufnahme früherer Programmpunkte der Union:

Verhinderung wirtschaftlicher Machtzusammenballungen, Koalitionsrecht der Arbeitnehmer (und Arbeitgeber), Anerkennung des Privateigentums. In der Vergesellschaftungsfrage konnte sich Adenauer gegenüber den Sozialreformern durchsetzen: Am Ende einer Diskussion, in der die Meinungen „hart aufeinander prallten" wurde die „sich aufdrängende Frage der Vergesellschaftung" als „zur Zeit nicht praktisch“ erklärt, „da die deutsche Wirtschaft nicht frei ist". Einzig für die Bergwerke wird noch die Überführung in Gemeineigentum verlangt. Adenauer zeigte sich hier durchaus als Realist: Die Besatzungsmächte hatten sich in ihrer am 5. Juni 1945 in Berlin unterzeichneten Erklärung ausdrücklich die oberste Gewalt in der deutschen Wirtschaft Vorbehalten. Seit November 1945 bestand die Beschlagnahme verschiedener großer Konzerne. Die damals eminente Bedeutung des Kohlenbergbaus ließ es geraten erscheinen, Vorstöße bei den Alliierten zunächst auf diesen Sektor zu konzentrieren. Es ging Adenauer jedoch bei der Absetzung früherer Forderungen seiner Partei nicht nur um diesen Gesichtspunkt. In seinen Memoiren erklärt er das Erreichen des Kompromisses als „äußerst wichtig", da die Partei sonst wahrscheinlich auseinandergebrochen wäre. „Ich halte die Tagung der CDU in Neheim-Hüsten für eine der entscheidendsten Tagungen der CDU. In ihr überwanden wir die Kräfte, die eine zu starke Sozialisierung befürworteten.“

Das Programm von Neheim-Hüsten und die katholische Soziallehre

Das erste Programm der CDU in der britischen Zone stellt sich nicht nur in der Präambel ausdrücklich auf den Boden „christlicher Weltauffassung". Der Nivellierung der Persönlichkeit im Überwundenden nationalsozialistischen System setzt es die Würde und die unveräußerlichen Rechte der Person entgegen, an denen die Macht des Staates ihre Grenzen habe — wie in den Leitsätzen von Köln fehlt diesem Menschenbild allerdings die soziale Komponente. In exemplarischer Form wird dagegen die katholische Lehre von der Doppelfunktion des Eigentums formuliert: glei „Das Eigentumsrecht verdient -chen Schutz und erleidet die gleiche Einschränkung wie andere Privatrechte. Es hat zu weichen gegenüber ... einem auch nach ethischen Grundsätzen höheren Recht.“

Der Abschnitt über die Mitbestimmung macht in beispielhafter Weise wieder einen Grundzug der katholischen Soziallehre deutlich: Niemals geht es der Kirche nur um einen kurzfristigen gesellschaftspolitischen Impuls, sondern hinter den einzelnen Forderungen steht ein Ordnungsmodell. Dem entspricht das Vorgehen der Programmkommission von Neheim-Hüsten: Als Ziel der Mitbestimmung wird über die „gleichberechtigte Tätigkeit (der Arbeitnehmer und Arbeitgeber) in Führung und Verantwortung“ hinaus eine „soziale Neuordnung" angestrebt, durch die „der Geist des Klassenkampfes überwunden" werden soll. Das gesellschaftliche Leitbild ist dasjenige, das in der deutschen Übersetzung von QA „berufsständische Ordnung" genannt wird Die angestrebte gemeinwohlgerechtere Ordnung sieht anstelle der herrschenden* Klassen-und Gruppenstruktur mit ihren Antagonismen eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Glieder der Gesellschaft vor. Der Arbeiter steht gleichberechtigt wie im demokratischen Staat auch in der Wirtschaftsgesellschaft neben dem Unternehmer.

Die Idee mag utopisch wirken. Ihr klarer Kern dürfte sein, was Nell-Breuning zusammenfaßt: „Die Enzyklika will keine bestimmte Staatsform etablieren... Was überwunden werden soll, ist die um den Arbeitsmarkt zentrierte kapitalistische Klassengesellschaft, sie soll überführt werden in eine klassenfreie Gesellschaft."

3. Ahlener Programm

Allgemeines

Weniger als ein Jahr nach der Erklärung von Neheim-Hüsten veröffentlichte die CDU der britischen Besatzungszone abermals ein Programm. in seinen Forderungen, erlangte das Ahlener Programm einen Stellenwert in der politischen Diskussion, der nicht immer durch sachliche Argumente gerechtfertigt ist.

Die Vorarbeiten begannen bereits im Sommer 1946 in mehreren Diskussionskreisen. Köln, Königswinter, vor allem aber Kloster Walberberg waren die Zentren der programmatischen Arbeit. Welty nahm bei den Beratungen die führende Stellung ein. Antonius John, ein Teilnehmer bei den Programmdiskussionen, als Hauptdiskutanten Karl Arnold, Theodor Blank und auch Franz Etzel — das daß außer dem -bedeutet, dominieren den gewerkschaftlich-christlichen Element auch ein Anhänger liberaler Wirtschaftsvorstellungen ein entscheidendes Wort mitgesprochen hat. „Wenn die Erinnerung richtig geht, dann hat sich Konrad Adenauer bei den Debatten des Zonenausschusses ziemlich zurückgehalten."

Das Ahlener Programm ist auffallend uneinheitlich im Aufbau und teilweise auch im Inhalt. Mehrfache Wiederholungen bestimmter Gedankengänge, ein unsystematischer Wech-sei von zukunftsgerichteten Zielvorstellungen, Rückblicken in die Vergangenheit und Richtlinien für die unmittelbare Gegenwart lassen den Eindruck entstehen, als habe eine vereinheitlichende Redaktion gefehlt. Trotz dieser formalen Mängel stellt das Ahlener Programm als Summe aller bis dahin proklamierten Zielvorstellungen einen Höhepunkt in der Programmatik der Christlichen Demokraten dar.

Inhalt

Der Inhalt gliedert sich in drei Teile:

1. eine „programmatische Erklärung", die Präambel;

2. Grundsätze für eine künftige Wirtschaftsordnung (es handelt sich teilweise um eine Wiederholung von Erklärungen aus den Kölner Leitsätzen und dem Programm von Neheim-Hüsten); 3. das in sechs Abschnitte gegliederte eigentliche Ahlener Programm, das „sofort" in Form von Anträgen an den Nordrhein-Westfälischen Landtag aktualisiert werden sollte.

In einigen Punkten geht das Ahlener Programm über Neheim-Hüsten hinaus, was auf einen verstärkten Einfluß der sozialreformerisehen Kräfte schließen läßt. So führte die Erklärung von Neheim-Hüsten das Versagen der alten Ordnung ausschließlich auf die „materialistische Weltanschauung" zurück. Im Ahlener Programm heißt es dagegen konkreter: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen gerecht deutschen Volkes nicht geworden"; die Folgerung ist, daß „eine Neuordnung von Grund auf" erfolgen müsse. Richtschnur dieser neuen Ordnung soll das Gemeinwohl („Wohlergehen unseres Volkes sein. Von „einer gemeinwirtschaftlichen Ordnung" wird erwartet, daß sie der Würde des einzelnen und dem Frieden des ganzen Volkes am besten diene. Im Programmteil wird ausdrücklich ergänzt, daß Planung und Lenkung der Wirtschaft nicht nur in den gegenwärtigen Schwierigkeiten oder von Falll zu Fall als notwendig betrachtet werden, sondern daß sie „auch in normalen Zeiten der Wirtschaft in gewissem Maße notwendig“ seien.

Diese Auffassung begründet das Programm mit dem Leitsatz: „Ziel aller Wirtschaft ist die Bedarfsdeckung des Volkes" ), der schon in den Leitsätzen von Köln und Ne-heim-Hüsten den Einfluß Weltys erkennen ließ. Im „Urprogramm" des Kölner Kreises, der kleinen Schrift „Was nun?", drückt Welty genauer aus, was diese knappe Formulierung beinhaltet — und was sie ausschließt: „Die Wirtschaft (muß) vorbehaltlos auf Bedarfsdeckung umgeschaltet werden, also nicht mehr für den sogenannten freien Markt, sondern für den Bedarf arbeiten." Dadurch werde erreicht, daß nicht Luxusartikel, sondern lebensnotwendige Güter erzeugt würden, ferner: daß ungehemmtes-Gewinnstreben und zügelloser Wettbewerb überwunden würden. Kurz: Eine Rückkehr zum kapitalistischen Wirtschaftssystem, das den Interessen des Volkes „nicht gerecht geworden" ist, soll grundsätzlich unterbunden werden

Um so widersprüchlicher erscheint es, daß unvermittelt im folgenden Abschnitt das liberale Axiom von Neheim-Hüsten wiedererscheint: „Freiheit der Person auf wirtschaftlichem und Freiheit auf politischem Gebiet hängen eng zusammen." Und wiederum wird gefolgert, daß die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen gestärkt werden müsse.

Die Machtzusammenballung wirtschaftlicher Kräfte soll allerdings von vornherein ausgeschlossen werden, denn sie gefährde die wirtschaftliche und politische Freiheit; dem dient die Vergesellschaftung der Bergwerke, denn „Kohle ist das entscheidende Produkt der gesamten deutschen Volkswirtschaft" (Präambel). Diese schon 1946 programmatisch erhobene Forderung wird auch auf Wirtschaftszweige ausgedehnt, für die sie in Neheim-Hüsten noch als „zur Zeit nicht praktisch" galt, nämlich auf „die eisen-und stahlerzeugende sowie chemische Großindustrie und die Großindustrien mit monopolartigem Charakter" (3. Teil, 2. I.).

Die Forderung als solche ist nicht neu, wohl aber wird zum erstenmal angegeben, in wessen Trägerschaft das vergesellschaftete Eigentum übergehen soll: Nach dem „machtverteilenden Prinzip" ist eine „Beteiligung von Land, Gemeinden, Gemeindeverbänden, Arbeitnehmern und Genossenschaften" vorgesehen. (2. 1.).

Für Unternehmen monopolartigen Charakters in anderen Wirtschaftszweigen verlangt das Programm eine durch Kartellgesetze gesicherte staatliche Kontrolle, durch die gefährliche Machtkonzentrationen verhindert werden (II, 2).

Ein ausführliches Kapitel (III) behandelt die „Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Betriebe". Darunter versteht das Programm die gesetzliche Einführung der wirtschaftlichen und sozialen Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieben, „in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht“ (3. 1). „Durch geeignete Maßnahmen soll den Arbeitnehmern eine Beteiligung am Ertrage gesichert werden" (3. 5).

Wichtige Gesichtspunkte

So wenig das Ahlener Programm aus einem Guß erscheint, es hat doch einen Grundgedanken, der leitmotivisch alle Forderungen durchzieht: das sogenannte „machtverteilende Prinzip“. Mit diesem Begriff ist ein Anliegen Adenauers in die Erklärung eingebracht worden, das er in seinen „Erinnerungen" in die Worte faßt: „Zuviel Macht dürfte sich meiner Meinung nach nicht an einer Stelle, das heißt in den Händen von Einzelpersonen, Gesellschaften, privaten oder öffentlichen Organisationen konzentrieren." Im Ahlener Programm gibt eine Analyse der deutschen Wirtschaft zwischen 1918 und 1945 die historische Begründung für dieses Grundanliegen: Die Zusammenballungen industrieller Unternehmen in der Zeit um 1933, ihr undurchschaubarer, unkontrollierbarer Charakter, der in der Folgezeit eine De-facto-Umwandlung in Staatsbetriebe, einen „getarnten Staatskapitalismus" möglich machte — all'diese Fakten lassen es als geboten erscheinen, in Zukunft jedes Übergewicht an Macht von vornherein zu verhindern, sei es bei privaten Unternehmen, sei es beim Staat oder den Kommunen. Diesem Anliegen sind zugeordnet: die Kartellgesetze, die Vergesellschaftungen, der Ausbau des Genossenschaftswesens, die Kontrolle des Geld-und Bankwesens, die Förderung des Mittelstandes, die Lenkung der Wirtschaft durch Selbstverwaltungskörperschaften, in gewissem Sinne selbst die Mitbestimmung und die Gewinnbeteiligung. Abschließend gilt es festzustellen: Trotz des betont antikapitalistischen Charakters der Ahlener Erklärung handelt es sich um kein sozialistisches Programm. Zwar wird gefordert: — die Vergesellschaftung großer Unternehmen, aber zugleich soll „vermieden werden, daß der private Kapitalismus durch den Staatskapitalismus ersetzt wird“;

— „ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen“, aber zu-48) gleich ist „der dringend notwendigen Unternehmerinitiative. ..der erforderliche Spielraum zu belassen'.

Dennoch machten die radikalen Forderungen des Programms es bis in die jüngste Zeit zu einem umstrittenen Dokument, nicht bloß zwischen den Parteien, sondern mehr noch zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb der Union. Besonders ist die Vergesellschaftungsforderung Gegenstand des Streites. Sie wird zwar von jeder Seite für zeitbedingt erklärt: die eine stellt den Programmpunkt als geschickten Schachzug gegenüber den Alliierten dar, die andere als spontane Forderung der Volksmehrheit, deren Grundgedanke auch noch Gültigkeit habe.

Tatsache ist, daß eine mögliche Demontage der deutschen Industrie in der Programmdiskussion eine wichtige Rolle spielte. Die radikale Änderung der Besitzverhältnisse erschien vielen damals als das einzige Mittel, derartige Maßnahmen zu verhindern Andererseits ist es wahr, daß die Vergesellschaftungsforderungen mehr waren als ein Täuschungsmanöver gegenüber den Besatzungsmächten sie fanden damals viele überzeugte Befürworter auch in der politischen Mitte, da die Erfahrung mit dem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht noch allgemein das Bewußtsein prägte

Ahlener Programm und katholische Soziallehre

Änderung der Besitzverhältnisse Wie ist das Verhältnis der Ahlener Erklärung zur katholischen Soziallehre? Die Präambel verlangt eine neue Wirtschaftsordnung, da das kapitalistische Wirtschaftssystem versagt habe. Dieses Versagen wird als Folge der Vermachtung verstanden. — Diese Sicht entspricht der Sozialenzyklika Pius’ XI. Der Papst schildert die verhängnisvolle Wandlung in der kapitalistischen Wirtschaftsweise seit der Zeit Leos XIII. Zwar erklärt er, diese Wirtschaftsform sei „als solche nicht zu verdammen”, sie habe aber zu einer „ungeheuren Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner geführt". Zügelloses Gewinnstreben habe dem Wirtschaftsleben eine furchtbare Härte gegeben. Hinzu komme die gefährliche Verquickung des staatlichen und wirtschaftlichen Bereichs. — Die Schilderung gipfelt in den Sätzen vom „Finanzkapital, das sich überall da zu Hause fühlt, wo sich eine Beutefeld auftut" und das den „Blutkreislauf des ganzen Wirtschaftskörpers so beherrsche, „daß niemand gegen (sein) Geheiß auch nur zu atmen wagen kann“

Gegen die Vermachtung der Wirtschaft richten sich im Ahlener Programm die Pläne der Entflechtung in der Grundstoffindustrie wie die Vergesellschaftungsforderungen. Die „Änderung der Besitzverhältnisse in der Wirtschaft", die das Programm verlangt, ist nach QA gerechtfertigt, denn „wie die übrigen grundlegenden Bestandteile des gesellschaftlichen Lebens, so (ist) auch das Eigentum nicht umwandelbar".

Subsidiaritätsprinzip Antonius John bezieht mit Recht auch Adenauers „machtverteilendes Prinzip" auf das gesellschaftliche Ordnungsmodell der katholischen Soziallehre. Er schreibt: „Es mag sein, daß gewisse Elemente ständestaatlichen Denkens in das Programm Eingang fanden." Besonders deutlich wird das in dem Abschnitt des 3. Teiles, der mit „Planung und Lenkung der Wirtschaft" überschrieben ist. Zweimal wird hier der Terminus „Körperschaften" aus QA verwendet, und zwar in einem Sinne, der genau dem Modell „berufsständischer Ordnung" in dieser Enzyklika entspricht: „Die Planungs-und Lenkungsaufgaben sollen von Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft wahrgenommen werden. In diesen Selbstverwaltungskörperschaften müssen Unternehmer, Arbeiter und Verbraucher gleichberechtigt sein." — Die Delegierung von Eigentum und Lenkung nicht an den Staat, sondern Länder, Gemeinden oder andere „Körperschaften" ist Ausdruck eines der wesentlichsten Sozialprinzipien der katholischen Gesellschaftslehre, nämlich des. Subsidiaritäts-oder Zuständigkeitsprinzips. Es dient der Erhaltung der Eigenständigkeit des einzelnen und der kleineren gesellschaftlichen Zusammenschlüsse. Nach diesem Prinzip „verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordne-52) 53) te Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen ...

Solidaritätsprinzip Das Subsidiaritätsprinzip, das der Individualnatur des Menschen und dem Schutz der kleinen Kreise zugeordnet ist, wird ergänzt durch das Solidaritätsprinzip, das von der Sozialnatur des Menschen ausgeht und der gesellschaftlichen Verflochtenheit Rechnung trägt. Das Solidaritätsprinzip, von Pius XII. als „Angelpunkt" der natürlichen Gesellschaftsordnung bezeichnet betrifft die innere Rückbindung der Gemeinschaft nach dem Grundsatz: „Einer für alle, alle für einen." Die Soziallehre liebt es, nach einem biblischen Bild die Gesellschaft als Organismus darzustellen, dessen Glieder aufeinander angewiesen und zu einer höheren Ordnung verbunden sind. Das verbindende Band ist „Liebe“ (QA 90) — in der Politik spricht man stattdessen von „Partnerschaft“. So erklärt der CDA-Politiker Norbert Blüm: „Die partnerschaftliche Grundstimmung ist der originäre Beitrag der CDU zur Sozialreform."

Im Ahlener Programm kommt der partnerschaftliche Aspekt in der Mitbestimmungsforderung zum Ausdruck. Das Postulat eines Mitwirkens der Arbeitnehmer an der „wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung der Unternehmen ist zwar nicht neu, aufschlußreich aber ist die nähere Kennzeichnung der Betriebe, für die es gefordert wird, nämlich solche Unternehmen, „in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht" — wo also das Ideal partnerschaftlicher Zusammenarbeit, wie es die katholische Soziallehre anstrebt, aufgrund der Betriebsgröße nicht mehr gegeben ist. Das „machtverteilende Prinzip"

hängt also auf das engste mit den Prinzipien der Subsidiarität und der Solidarität zusammen und gehört damit zu den Grundelementen der katholischen Soziallehre.

Stärker noch als die Erklärung von Neheim-Hüsten ist das Ahlener Programm von Vorstellungen der christlichen Gesellschaftslehre geprägt: Nach dem Grundsatz „Gemeinwohl vor Eigenwohl" greifen die Forderungen tief in die bestehende Eigentumsordnung und die bisher mit dem Privateigentum verknüpften Rechte ein. Ziel der vorgesehenen Maß-nahmen ist die organische, klassenfreie Gesellschaft. Das Schicksal des Ahlener Programms In Konsequenz des Programms befürwortete die CDU-Fraktion des (ernannten) Landtages von Nordrhein-Westfalen noch im März 1947 fünf Anträge, die mit einer Mehrheit der Stimmen angenommen wurden; und zwar werden in enger Anlehnung an den Wortlaut des Ahlener Programms Entflechtung und Vergesellschaftung von Bergbau, eisenschaffender und chemischer Großindustrie sowie wirtschaftliche und soziale Mitbestimmung gefordert Die Anträge stießen bei der Besatzungsmacht auf kein Verständnis: Am 23. August lehnte General Bishop ein Gesetz zur Sozialisierung der Kohle ab Ein Landtagsbeschluß im folgenden Jahr wurde von der britischen Militärregierung mit der Begründung zurückgewiesen, daß eine solche Frage nur von einem gesamtdeutschen Parlament entschieden werden könne.

Nach im Februar 1950 brachte Theodor Blank im Bundestag einen Antrag zur Neuordnung der Besitzverhältnisse im Kohlenbergbau ein, den er mit dem Ahlener Programm begründete Die Koalitionspartner FDP und DP lehnten den Antrag ab, und er geriet als „Drucksache Nr. 109" nicht mehr über die Verweisung an einen Ausschuß hinaus. Die Forderung nach Entflechtung der Konzerne blieb auf halbem Wege stecken. Die meisten Konzerne wurden zwar entflochten aber bald schlossen sich Großbanken und Konzerne neu zusammen. Die Beratungen über ein (Anti-) Kartellgesetz schleppten sich über Jahre hin, bis das Gesetz endlich am 27. Juli 1957 in Kraft trat. Durch zahlreiche Ausnahmeregelungen gelockert, hatte es jedoch von Anfang an Kompromißcharakter.

Einen echten Erfolg stellte das „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betriebsräten und Vorständen des Bergbaues und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie" vom 21. Mai 1951 dar. Das Ahlener Programm wurde zum Impuls für die soge-nannte Montan-Mitbestimmung, deren Durchsetzung der großen Autorität des neugegründeten Deutschen Gewerkschaftsbundes der besonderen Freundschaft des DGB-Vorsit-zenden Hans Böckler mit Konrad Adenauer, nicht zum geringsten Teil aber einem Katholikentag (Bochum 31. 8. — 4. 9. 1949) zu verdanken war. In Bochum wurde nach eingehender und freimütiger Aussprache einstimmig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern folgender Beschluß angenommen: „Der Mensch steht im Mittelpunkt jeglicher volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Das Mitbestimmungsrecht gehört zu dem natürlichen Recht in gottgewollter Ordnung und ist zu bejahen wie das Recht auf Eigentum." Unter dem Einfluß des sozialen Katholizismus bekamen die gewerkschaftlichen Forderungen einen partnerschaftlichen Charakter und sind frei von klassen-kämpferischen Akzenten Welchen Einfluß damals die katholische Soziallehre hatte, beweist Böcklers ausdrückliches Bekenntnis zu Teilen der Enzyklika RN und zur Enzyklika QA.

Das Ahlener Programm vermochte, so bleibt zurückblickend festzustellen, über einen kurzen Zeitraum die Gesellschaftspolitik zu beeinflussen. Es stellte den Höhepunkt, aber auch den Endpunkt einer Phase dar, in der man in der CDU „sozialistische" und christliche Leitziele für vereinbar, ja deckungsgleich hielt. Im selben Zeitraum aber setzte in der Union etwas wie eine ideologische Schwerpunktverlagerung ein. Die christlich-gewerkschaftlichen Kräfte, die für die Aussagen der Frühprogramme bestimmend waren, gerieten in die Defensive. Die Sozialausschüsse, die sich als „soziales Gewissen und soziale Kraft der CDU" verstanden ließen nicht nach, die Partei an die Einlösung früherer Forderungen zu erinnern: „Wir haben damals das Ahlener Programm nicht als Museumsstück geschaffen, sondern dafür, daß es verwirklicht wird", erklärte Karl Arnold 1950 Im folgenden Jahr konstatierte er auf dem 2. Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe: „Mir kommt es manchmal so vor, als bestehe eine gewisse Scheu, sich auf das großangelegte Wirtschaftsprogramm zu besinnen, das vor mehr als vier Jahren in Ahlen erarbeitet worden ist.“

4. Düsseldorfer Leitsätze

Vorgeschichte

Als erstes und einziges Programm von übergeordneter Gültigkeit für CDU und CSU wurden am 15. Juli 1949 die Düsseldorfer Leitsätze der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Sie bedeuten die Darstellung und programmatische Absegnung eines bereits erfolgreich begonnenen Experimentes, das auf das engste mit der Person des späteren Wirtschaftsministers und Bundeskanzlers Ludwig Erhard verbunden ist. Erhard lernte 1941 den Wirtschaftswissenschaftler Alfred Müller-Armack kennen. Als der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates vorauszusehen war, arbeitete Müller-Armack nach Unterredungen mit Erhard, ausgehend von Denkmodellen der „Freiburger Schule“, ein Wirtschaftskonzept aus, für das er später, in der Auseinandersetzung mit der Wirtschaftslenkung der ersten Nachkriegsjahre, den Begriff „Soziale Marktwirtschaft" prägte. Es handelt sich um eine marktwirtschaftlich organisierte Wirtschaft mit einigen „systemfremden" sozialen Korrekturen. Der Staat sucht die Bedingungen der vollständigen Konkurrenz zu verwirklichen, indem er sich das Recht der Intervention, etwa gegen marktbeherrschende Unternehmen, vorbehält. (Der Staat hat also nicht mehr, wie im Altliberalismus, eine Nacht-Wächterfunktion 67)).

Seine Karriere in den folgenden Jahren ermöglichte es Erhard, dieses Modell in die Praxis umzusetzen: Im Sommer 1945 wurde er von der amerikanischen Militärregierung als Wirtschaftsberater herangezogen. Seit Herbst desselben Jahres bayerischer Wirtschaftsminister, entwarf er bereits 1946 in einem Zeitungsartikel das Bild einer Wirtschaftsordnung, die durch die klassischen Prinzipien der Marktwirtschaft: Wettbewerb und freie Preisbildung, gekennzeichnet ist Im September 1947 zum Vorsitzenden des Zweizonenwirtschaftsrates ernannt, bereitete er auf britisch-amerikanisches Geheiß eine Währungsreform vor. Dieser finanztechnische Schritt war zugleich als wirtschaftliche Reform konzipiert. 1948 berief man Erhard zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft. -Innerhalb der CDU (der Erhard selbst noch nicht angehörte) war der Duisburger Rechtsanwalt und Notar Franz Etzel ein überzeugter Verfechter der Wirtschaftspolitik'Professor Erhards. Noch vor der Währungsreform mußte Johannes Albers, Gründer und Leiter des Wirtschaftsausschusses des Rheinlandes, den Vorsitz an Etzel abgeben. Damit verlor der Arbeitnehmerflügel der CDU eine seiner einflußreichsten Positionen.

Erhards Konzeption, die er im April 1948 vor der Vollversammlung des Wirtschaftsrates darlegte, stieß zunächst auf entschiedene Kritik; aber nach scharfen Debatten erlangte Ludwig Erhard Vollmacht für seine Pläne. Am 20. Juni 1948 wurde die Währungsreform durchgeführt. Zehn Tage später ließen Delegierte des 2. Parteikongresses der CDU der britischen Zone in Recklinghaüsen sowie Adenauer erkennen, so berichtet Erhard, „daß sie meiner Wirtschaftspolitik, die ich im Frankfurter Wirtschaftsrat eingeleitet hatte, zu folgen bereit waren" . Auf seinen Vorschlag hin habe im Februar 1949 ein Kreis von Unionspolitikern begonnen, ein Wirtschaftsprogramm zu entwerfen. Adenauer habe damals erklärt: „Herr Professor Erhard hat die Grundprinzipien so klar herausgestellt (in einem Referat in Königswinter), daß wir, wenn wir den Vortrag schriftlich haben, die Leitsätze sehr schnell daraus entnehmen können."

Am 15. Juli 1949 eröffnete die CDU den ersten Bundestagswahlkampf mit der Verkündung der „Düsseldorfer Leitsätze". Die Wahl brachte der Union eine knappe relative Mehrheit der Stimmen. Nach einer lebhaften Diskussion, in der zwischen’Adenauer, Strauß und Erhard Übereinstimmung herrschte, wurde ein Zusammengehen mit den Sozialdemokraten abgelehnt. Zu den Koalitionsgesprächen mit der FDP lud Adenauer den Arbeitnehmerflügel seiner Partei nicht ein.

Erhard faßte den Wahlerfolg von 1949 als „ein eindeutiges Votum für meine Politik und meine Person" auf. Er zitierte noch 1975 Franz Etzel: haben, es glatt „Wir wenn ich heraussagen darf, ja gar keine Wirtschaftspolitik der CDU, sondern die Wirtschaftspolitik von Professor Erhard gemacht, und von der Union her haben wir sie sanktioniert." In der Tat ist das, was in den Düsseldorfer Leitsätzen dargestellt wird, die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards, dem Müller-Armack bescheinigt: „Die Grundposition, in der er sich in allen Phasen seines Lebens treu blieb, war die eines dem Wettbewerbsgedanken verpflichteten liberalen Wirtschaftspoliti-kers." Nicht Erhard trat in die Doktrin der Union ein, sondern sie paßte sich seinem Kurs an. Daher beginnt, trotz einiger An-knüpfungen an das Ahlener Programm, mit den Düsseldorfer Leitsätzen ein neuer politischer Stil der CDU.

Inhalt

Die Düsseldorfer Leitsätze zeichnen sich formal und inhaltlich durch größere Einheitlichkeit aus als das Ahlener Programm. Sie sind in vier Teile gegliedert: Ein einleitendes Kapitel stellt den Tiefpunkt der deutschen Wirtschaft vor der Geldreform dar und die fundamentale Wende, die der Währungsschnitt gebracht habe.

Der zweite Teil erläutert in allgemeinverständlicher Form die Prinzipien der „Sozialen Marktwirtschaft" als „wesentlichen Impuls“ dieses Umschwungs.

Den umfangreichsten Teil stellen die eigentlichen Leitsätze zur Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft, eine Auflistung der notwendigsten Maßnahmen in Wirtschafts-, Finanz-und Außenpolitik, dar. Das Programm wird abgeschlossen durch ein Bekenntnis zur „echten Freiheit", die die Soziale Marktwirtschaft gewährleisten soll.

Die Präambel der Düsseldorfer Leitsätze nimmt bereits zu einem Vorwurf StellUng, der bis heute immer wieder gegen die Wirtschaftspolitik der CDU erhoben wird, nämlich: sie „führe zurück zu kapitalistischen Formen und zu altem Liberalismus unsozialer, monopolistischer Prägung“ Der Einwand wird als unberechtigt zurückgewiesen: „Nichts liegt der CDU ferner als ein solcher Weg. Aufbauend auf dem Ahlener Programm erstrebt sie die Soziale Marktwirtschaft." Noch zweimal erfolgt im Text ein Rückverweis auf „Ahlen": Die „eigentumsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Grundsätze des Ahlener Programms werden anerkannt", und: „Die von uns geforderte Wirtschaftsordnung (führt) neben den im Ahlener Programm genannten Mitteln zu wahrer Wirtschaftsdemokratie." Darüber hinaus gibt es jedoch zwischen beiden Programmen wenig Gemeinsamkeit. Was in den Düsseldorfer Leitsätzen dargestellt wird, ist kein eigentlich politisches Pro-7) gramm, sondern ein Wirtschaftssystem: „Die . Soziale Marktwirtschaft-ist die sozial gebundene Verfassung der gewerblichen Wirtschaft, in der die Leistung freier und tüchtiger Menschen in eine Ordnung gebracht wird, die ein Höchstmaß von wirtschaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle erbringt. Diese Ordnung wird geschaffen durch Freiheit und Bindung."

Die Darlegung kreist um die Marktsituation, wie sie sich für den produzierenden Unternehmer darstellt. Der Wettbewerb ist zum konstitutiven Prinzip erhoben; wer richtig plant, wird durch Erfolg „belohnt", wer falsch plant, wird durch Verlust „bestraft".

Dem „Erzeuger" steht der „Verbraucher" gegenüber; keine Lenkung und Planung beschänkt die Produktion und den Absatz des einen, die Konsumfreiheit des anderen. Die Soziale Marktwirtschaft stellt sich grundsätzlich in „scharfen Gegensatz zum System der 'Planwirtschaft... ganz gleich, ob in ihr die Lenkungsstellen zentral oder dezentral, staatlich oder selbstverwaltungsmäßig organisiert sind". Andererseits, wenn auch mit weniger Schärfe, steht die neue Wirtschaftsform in Gegensatz „zur sogenannten .freien Wirtschaft'liberalistischer Prägung". Das will besagen, daß sich der Staat in „elastischer Anpassung an die Marktbeobachtung" einen behutsamen Interventionismus vorbehält.

Die „soziale Bindung" dieses Systems ist schwer begreiflich zu machen. Sie besteht darin, das Volk vor extremen Auswüchsen der liberalistischen Wirtschaft zu schützen. Diesem Zweck dient die wiederholt (siebenmal) geforderte Monopolkontrolle; ein Kartellgesetz soll Sicherheit gegen monopolistische Vermachtung geben. Dabei ist nicht mehr die Absicht ausschlaggebend, die Verbindung wirtschaftlicher und politischer Macht zu verhindern, sondern es geht um die Sicherung des reinen Wettbewerbs. 'Für das Wettbewerbsprinzip, in dem die Unternehmer „ihr Daseinsrecht.. . beweisen" müssen, und das „vielen Tüchtigen Eigentum" verschaffen soll, werden keine ethischen Begründungen genannt; sein Erfolg ist seine Rechtfertigung. Ziel der Sozialen Marktwirtschaft soll — hier wird bewußt ein Terminus vorhergehender Programme wiederaufgenommen — die „Bedarfsdeckung" des ganzen Volkes sein. (Erinnert man sich freilich, daß für den Kölner Gründungskreis „Bedarfsdeckung" Herstellung des Notwendigen und Abstinenz von reinen Luxusgütern bedeutete, so wird eben an der Verwendung dieses Begriffes eine veränderte Wertordnung deutlich).

Von den „Mitteln" des Ahlener Programms, neben die gleichberechtigt die neue Wirtschaftsordnung tritt, wird die Vergesellschaftung zwar nicht grundsätzlich abgelehnt. Sie soll bejaht werden, „wenn sie wirtschaftlich zweckmäßig, betriebstechnisch möglich und politisch notwendig" ist; wegen ihrer Unverträglichkeit mit der Wettbewerbswirtschaft erkennen ihr die Leitsätze jedoch nur „eine nachgeordnete Bedeutung" zu.

Das Problem des gerechten Lohns — in der älteren Programmatik nur von den Kölner Leitsätzen aufgenommen — zeigt hier ganz andere Aspekte. Es geht nicht mehr um den Familienlohn als Grundforderung, sondern um „Leistungslohn und Lohnerhöhungen im Rahmen marktwirtschaftlich richtiger Preise", denn „sie erhöhen Kaufkraft und Nachfrage".

Düsseldorfer Leitsätze und katholische Soziallehre

Beherrscht von neoliberalem Gedankengut, enthält das Programm noch Spuren katholischen Harmoniedenkens in der Forderung: „Eine gerechte Verteilung der wirtschaftlichen Erträge und eine soziale Gesetzgebung müssen aus den vermögenslosen Schichten unseres Volkes in großem Umfange besitzende Eigentümer machen." In ähnlicher Weise forderten die Päpste im Dienst einer „Entproletarisierung des Proletariats" eine gerechtere Verteilung der Erdengüter und eine breite Streuung des Eigentums Von dieser Forderung abgesehen, hat das Programm jedoch einen anderen Geist als die katholische Soziallehre, einen anderen Geist auch als die früheren Programme der Union. Am deutlichsten wird das in der Stellung des Menschen. Die katholische Soziallehre erkennt ihm eine einmalige Würde als Ebenbild Gottes zu: „Keine Gewalt darf sich ungestraft an der Würde des Menschen vergreifen, da doch Gott selbst mit großer Achtung. . . über ihn verfügt", schreibt Leo XIII.

Um die „Würde" des Menschen ging es auch in den früheren Parteiprogrammen; ihr dienten die Forderungen nach einer gerechteren und sozialeren Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung, nach mehr Mitsprache und Mitverantwortung. Gewiß sollte es auch die Aufgabe der Düsseldorfer Leitsätze sein, dem Menschen zu dienen. Aber was hat der Mensch in diesem Grundsatzprogramm der Sozialen Marktwirtschaft noch mit dem christlichen Menschenbild zu tun? Hier ist der Mensch Arbeitsmarktpartei, er ist „Erzeu-ger“ oder „Verbraucher". In erster Linie geht es um den „Tüchtigen", der in die Arena des Leistungskampfes „bei gleichen Chancen" (sind sie wirklich gegeben?) und „fairen Wettkampfbedingungen in freier Konkurrenz" gerufen wird. Dieser Mensch ist „frei“ — in der Berufswahl, der Verfügung über sein Eigentum, er darf Gewerbefreiheit, Konsumfreiheit und Freizügigkeit beanspruchen. Ihm fehlt dagegen das Merkmal, das in christlichem Verständnis den Kern der Freiheit ausmacht, nämlich die bejahte Bindung. In dem Programm ist der Mensch grundsätzlich ein einzelner. Wenn aber nur von Rechten und Freiheiten des Individuums die Rede ist, so bedeutet das ein Herausrücken aus der Mitte und damit eine liberalistische Einseitigkeit.

Der Gemeinwohlbegriff korrespondiert diesem Menschenbild: Die in den Leitsätzen genannte „Wohlfahrt...des ganzen Volkes" besteht im „Höchstmaß von wirtschaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle". Näher betrachtet, hat er eine vorwiegend materielle Bedeutung, entsprechend dem späteren Wahlslogan Erhards: „Wohlstand für alle“. Der christliche Gemeinwohlbegriff entspricht dem christlichen Menschenbild, in dem ein starker Schutz gegen einseitige Fehlurteile liegt: Das Gemeinwohl schließt ebensosehr einen einseitigen Individualismus als auch einen einebnenden Kollektivismus aus; es bezieht sich auf den Menschen in seiner Ganzheit. Widerstreitet das Wohl des einzelnen dem Gemeinwohl, so muß das private Interesse dem der Gesamtheit weichen Die Unvereinbarkeit des katholischen und des liberalen Gemeinwohlbegriffs zeigt sich in der Umkehrung der Reihenfolge: Nach liberalem Verständnis wird das Wohl der Gemeinschaft (verstanden als Summe der Privatwohle) erreicht, indem jeder sein Eigeninteresse verfolgt — dies bezweckt der Leistungswettbewerb der „Tüchtigen", zu dem das neue Wirtschaftsprogramm aufruft.

Die Düsseldorfer Leitsätze werden also einer Grundforderung der katholischen Soziallehre: das Ziel der Wirtschaft müsse dem Ziel des Menschen als geistig-leiblich-sittlichem Wesen zugeordnet sein, nicht gerecht; ihr Schwergewicht liegt auf dem technischen Prinzip der Wettbewerbswirtschaft. Die Zielsetzung geht nicht über die Effektivität hinaus, von der offenbar erwartet wird, daß sie von selbst das größte Glück der größten Zahl bewirken werde. Ist das System scheinbar ethisch wertneutral, so hat doch eine neoliberale Wirtschaftsordnung die Tendenz, einer liberalen Wertordnung, die mit der christlichen unvereinbar ist, zum Siege zu verhelfen Kurz: in den Düsseldorfer Leitsätzen ist der Einfluß der christlichen Soziallehre nahezu gänzlich abgestreift; wir haben es mit einem neoliberalen Wirtschaftsprogramm zu tun.

Der neue Kurs Die Sozialausschüsse stimmten den Düsseldorfer Leitsätzen nur unter dem Vorbehalt zu, daß die soziale Steuerung, die das Programm vorsieht, tasächlich wirksam werde und dem Leistungserfolg auch die Gerechtigkeit in der Verteilung entspreche Die Soziale Marktwirtschaft wird also nicht grundsätzlich abgelehnt. Denn bei gemeinwohlgerechter Bindung, wie sie die Leitsätze proklamieren, ist „ein richtig verfaßter Markt jeder anderen Wirtschaftsverfassung überlegen" Aber eben der Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Gebundenheit blieb in der Praxis allzu sehr auf der Strecke; der Grundwert der Solidarität kam in der neuen Wirtschaftspolitik zu kurz. Was dem Düsseldorfer Programm folgte, war eine vorwiegend liberale bis liberalistische Politik. Unbestreitbar verhalf sie der Bundesrepublik zu einem raschen Wiederaufbau. Der wirtschaftliche Erfolg ermöglichte die Bewältigung innenpolitischer Probleme der Nachkriegszeit, wie die Integrierung von etwa zehn Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen.

Die Wirtschaftsordnung, die Erhard schuf, war der Rahmen, in dem sich Initiative und Leistungsbereitschaft in erstaunlichem Maße entfalteten. Als organisatorische Schwäche erwies allerdings, daß die sich vorgesehenen Steuerungsprinzipien zunehmend vernachlässigt wurden. Es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Konzept die Eigentümer der Produktionsmittel bevorzugte, ohne daß nach Abschluß der Aufbauphase Maßnahmen zu einer Korrektur ergriffen wurden. *

Ahlen — Düsseldorf

Während die Gründungsprogramme nur noch selten Erwähnung finden, ist es in der politischen Kontroverse üblich geworden, das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze gegeneinander auszuspielen als das nicht eingelöste Versprechen eines sozialeren Anfangs gegen die programmatische Festlegung auf einen restaurierten Kapitalismus.

Neuralgischer Punkt der CDU blieb das Ahlener Programm besonders in der innerparteilichen Diskussion. Während sich ein Teil der Union entschlossen vom sozialreformerischen Kurs der Gründer abwandte und das Programm als „Jugendsünde" abtat glaubten viele Mitglieder, sich mit dem Hinweis auf die historische und regionale Begrenztheit oder bereits eingelöste Forderungen von diesem Frühprogramm distanzieren zu müssen Für die Sozialausschüsse dagegen ist dieses Frühprogramm nach wie vor aktuell. Zwar würde die CDA heute vorsichtiger bei den Forderungen nach einer Vergesellschaftung sein und gesteht insofern dem Pro-gramm eine gewisse historische Bedingtheit zu; als unaufgebbar betrachtet sie jedoch das „machtverteilende Prinzip". Und sie beruft sich dabei auf die christliche Gesellschaftslehre

Es fehlte in der Partei nicht an Harmonisierungsversuchen, die das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze als zwei Seiten derselben Medaille, nämlich der einen christlich-demokratischen Gesellschaftspolitik, darstellen Die empfindliche Reaktion einiger Unionspolitiker auf die Rede des damaligen Generalsekretärs Biedenkopf im Dezember 1973 vor der Katholischen Akademie Bayern — eine Rede, in der er erklärte, beide Frühprogramme hätten auch heute Gültigkeit für die Partei — bewies jedoch, daß es sich, nach Biedenkopfs eigenen Worten, um einen bisher „nicht gelösten politischen Konflikt“ innerhalb der CDU handelt. Es geht um den Konflikt zwischen zwei Weltanschauungen, die darin rivalisieren, die Gesellschaftspolitik der Union auf ihre Prinzipien festzulegen: auf die christliche Soziallehre oder den Neoliberalismus.

Eine Weltanschauungspartei?

Zusammenfassung und Ausblick

Daß die CDU sich von einer Weltanschauungspartei in eine Partei des bürgerlichen Interessenpluralismus verwandelte, hatte vielfältige Gründe, von denen die wesentlichen kurz zusammengafaßt werden sollen:

1) Die alten Besitz-und Ordnungsstrukturen erwiesen sich als hartnäckiger, als die Gründer der Union in der Phase des Neubeginns angenommen hatten.

2) Zu viel Energie, die für einen großen neuen Wurf notwendig gewesen wäre, wurde durch elementare Probleme und Nöte der Nachkriegszeit und Auseinandersetzungen mit den Siegermächten gebunden.

3) Das Wiedererstehen der Sozialdemokratie in alter Form führte ihr großen Teil der einen Wählerschaft zu, die potentielle Anhänger einer Partei der Arbeit gewesen wären. Umgekehrt erreichte die Sammlung auf sozialistischer Seite, daß die CDU gegen den Willen ihrer Gründer zur Erbin konservativer Interessen verschiedener Provenienz wurde.

4) Der Parteizusammenschluß auf Reichsebene brachte mit den norddeutschen Verbänden ein starkes konservatives und liberales Element in die Partei ein. Die Mitglieder der norddeutschen Gruppen gehörten vor 1933 zumeist konservativen Splitterparteien (DNVP, dem Christlich-Sozialen Volksdienst, der DVP und der DDP) an. Im nördlichen Raum erstreckte sich der Einfluß der neuen Partei kaum auf die Arbeiterschaft, ja kaum auf evangelisch-kirchliche Kreise. In Schleswig-Holstein fand sich erst im Februar 1946 eine Mehrheit zur Übernahme des Wortes „christlich" in den Parteinamen bereit. Das Konzept der meisten norddeutschen Gründungskreise war die Bildung einer Sammlungspartei aller demokratischen Kräfte „rechts von der Sozialdemokratie" 5) Schließlich legten die Mehrheitsverhältnisse ein Bündnis mit der Deutschen Partei und den Freien Demokraten nahe. Ein Festhalten am ursprünglichen Sozialismuskonzept hätte aber Koalitions-und Mehrheitschancen zunichte gemacht So schritt die Entwicklung der Partei über die Frühprogramme hinweg. Für die sozialreformerischen Kräfte der Gründergeneration war diese Tendenzwende schwer mitzuvollziehen. Im Walberberger Kreis habe man Gespräche über die kommende Neuordnung geführt und abzuschätzen gesucht, wie man dem Marxismus entgegentreten könne, erklärte Welty, „aber wir haben nicht geahnt, daß der Liberalismus seine Geschütze unter den selbstverschuldeten Trümmern wieder hervorbuddeln, neu aufprotzen und aus allen Rohren unser Volk beschießen würde Das Auftreten Erhards bezeichnet den Sieg des liberalen über den sozialen Flügel. Die von ihm eingeleitete und durch die Düsseldorfer Leitsätze parteioffiziell gewordene Politik der Sozialen Marktwirtschaft appellierte nicht vergebens an den Eigennutz; ihr offensichtlicher Erfolg ließ den im christlichen Solidarismus verwurzelten Vorstellungen von der Sozialnatur des Eigentums und der Arbeit keine Chance, sich durchzusetzen. Die Wirtschaftspolitik ging in die Hände liberal gesinnter Kräfte der Partei über; dem Arbeitnehmerflügel wurde die Sozialpolitik im engeren Sinne zugestanden. Da aber der politische Schwerpunkt auf der Wirtschaftspolitik lag, geriet der „linke" Flügel notwendig in die Defensive. Auch schien die liberale Scheu vor Ideologien und „auferlegter Sinngebung persönlichen Daseins“ die Christdemokraten ergriffen zu haben. Die abnehmende Bereitschaft der Union, konsequent christliche Zielvorstellungen zu vertreten, und die gleichzeitige Annäherung an christlich-soziale Werte in den Programmen anderer Parteien ließ es nicht mehr selbstverständlich erscheinen, daß sich der soziale Katholizismus bei der CDU engagiert. Es gab bereits von Anfang an eine Gruppe sozialdemokratischer Politiker, die für ihre politische Praxis aus der katholischen Soziallehre Impulse erhielten, während ein Teil sozial engagierter Katholiken durch den Liberalisierungskurs zur Abwanderung aus der Union veranlaßt wurde.

An die Stelle weltanschaulicher Programme trat in der CDU pragmatisches Taktieren. Die Partei stellte sich in ihren Äußerungen auf die jeweils anliegenden Probleme ein und kehrte weltanschaulich akzentuierte Ansprüche nur mehr oder weniger formelhaft hervor, wo es aus regierungs-oder wahltaktischen Gründen sinnvoll erschien. Bei einer solchen Entwicklung war es nur konsequent, daß Neuansätze der christlichen Soziallehre in der offiziellen Parteilinie der CDU keinerlei Resonanz mehr fanden. Dabei gibt es seit Johannnes XXIII. bemerkenswerte Akzentverschiebungen. In den Bereichen Eigentum und Arbeit fällt z. B. die nachdrückliche Betonung auf, daß das primäre Naturrecht auf Eigentum den „Gemeingebrauch" betreffe sowie der Vorzug, der dem persönlichen Faktor Arbeit vor dem nur instrumentalen Kapital gegeben wird Unionspolitiker, die am neueren Stand der Soziallehre orientiert sind, nehmen in ihrer Partei eine Außenseiterfunktion ein und werden als . Linksabweichler'empfunden

Wahrscheinlich brachte erst die Auseinandersetzung um die Rede Biedenkopfs vor der Katholischen Akademie Bayern Teilen der Union ein theoretisches Defizit zum Bewußtsein. Besonders in der Parteijugend wurde die Forderung laut, die CDU müsse vom reinen Pragmatismus loskommen und auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes und allgemeiner humaner Grundwerte ihre Konzeption neu festlegen Die Junge Union und die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft sind es, die nach 25 Jahren wieder die Brücke zu den Frühprogrammen geschlagen haben.

Inzwischen hat eine Kommission unter dem Vorsitz Richard v. Weizsäckers seit 1971 ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet. Schon ein Jahr zuvor kam eine deutsche Wochen-zeitung zu dem Zwischenergebnis: „Seit langem hat sich die CDU nicht mehr in solcher Weise christlich definiert." Die Kommission gestehe ein, die Soziale Marktwirtschaft habe „Erwartungen nicht eingelöst, die über den materiellen Wohlstand hinausgehen" Das Programm bekennt sich wieder zu Gott als dem Grund von Sinn und Sein. Es setzt große Erwartungen auf ein neues Unternehmens-recht, durch das ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Kapitaleignern angestrebt werden soll Unter der Voraussetzung, daß es der Grundsatz-kommission gelingt, die Parteimehrheit wirklich für ihr Konzept zu gewinnen, scheint die CDU den Wettbewerb mit den Christen anderer Parteien akzeptieren zu wollen. Weizsäkker erklärt: „Der Parteiname ist keine Monopolanmeldung gegen andere, sondern Anspruch an uns selbst.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Unter „Frühphase“ wird hier die Zeit vor dem 1. Bundesparteitag in Goslar 1950 verstanden; erst in Goslar beschloß die CDU ein Statut, das sie zur Bundespartei erklärte.

  2. H. J. Wallraff SJ, Die katholische Soziallehre — ein Gefüge von offenen Sätzen, in: Normen der Gesellschaft. Festgabe für Oswald v. Nell-Breuning SJ zu seinem 75. Geburtstag, hrsg. v. H. Achinger u. a., Mannheim 1965, S. 27— 48.

  3. Mit dieser Arbeit wird nicht der Anspruch erhoben, das Thema sei in ihr auch nur annähernd erschöpfend behandelt. Die Materialbeschaffung war gewissen Zufälligkeiten unterworfen: Nicht alle Politiker und Parteizentralen haben auf briefliehe Anfragen geantwortet. Nicht alles erbetene Material war erreichbar. Andererseits brachten Gespräche und Briefe manche unvermutete Information.

  4. Hans Maier, Der politische Weg des deutschen Katholizismus nach 1945, in: Kirche, Gesellschaft, Geschichte, München 1964, S. 201.

  5. O. v. Nell-Breuning, Katholische Soziallehre wieder gefragt, in: Ruhrwort Nr. 41 v. 12. 10. 1974, S. 1.

  6. Brief vom 2. 12. 1976.

  7. Pius XII. in seinem Grußwort an den Bochumer Katholikentag 1949.

  8. Nach H. Bertsch, CDU/CSU demaskiert, Berlin 1961, S. 358, sei dies angeblich die frühzeitige Vorbereitung einer katholischen Machtübernahme gewesen.

  9. P. Welty gab das Resultat dieser Gespräche nach Kriegsende als Buch heraus: Die Entscheidung für die Zukunft. Grundsätze und Hinweise zur Neuordnung im deutschen Lebensraum, Köln

  10. In der angegebenen Literatur findet sich kein Hinweis auf den Inhalt dieses Programms.

  11. H. G. Wieck, Die Entstehung der CDU und die Wiedergründung des Zentrums im Jahre 1945, Düsseldorf 1953.

  12. P. Siemer, Briefe, Frankfurt 1957. Der Begriff »christlicher Sozialismus“ bedeutet nach P. Siemer einen Sozialismus unter Ausschließung des Klassenkampfes. Sozialismus sei früher gewesen als Marxismus. Ihm, Siemer, komme es darauf an, dem Begriff einen Inhalt zu geben, der der christlichen Lehre entspreche.

  13. Siemer, Aufzeichnungen, S. 161 f.

  14. Ansprache an die päpstl. Akademie der Wissenschaften am 30. 11. 1941, in: Pius sagt. Nach den vatikanischen Archiven zusammengestellt von M. Chinigo, Frankfurt 1958 (Fischer Bücherei 269).

  15. Nell-Breuning schlägt daher vor, die christliche Soziallehre „Zweiseitigkeitslehre" zu nennen (Solidarität-Solidarismus, in: Soziale Ordnung, Nr. 1 v. 15. 4. 1974, S. 4- 9).

  16. Vgl. De reg. pr. I, 14.

  17. W. Weber in: Mitbestimmung. Referate und Diskussionen auf der Tagung katholischer Sozialwissenschaftler vom 17. — 19. 2. 1968 in Mönchengladbach, Köln 1968, S. 280.

  18. RN 19; QA 47.

  19. RN 35; QA 114.

  20. Vgl. Dokumentation. Die Geschichte der CDU, hrsg. von der Bundesgeschäftsstelle der CDU, Bonn 1972.

  21. 8. Bundesparteitag der CDU, 18. — 21. 9. 1958 in Kiel, Bonn o. J., S. 182. Gerstenmaier fährt fort, daß es mit „Gottes Hilfe" anders gekommen sei.

  22. QA 106, 108, 109. 29 QA 114.

  23. Pius XII. sagt, a. a. O„ S. 179.

  24. QA 45.

  25. Interessant ist das Erscheinen des Labour-Party-Konzeptes in Gruppen unterschiedlichster Herkunft in den Jahren um 1945: Der Gedanke findet sich bei P. Delp, bei dem ehern, preußischen Innenminister Carl Severing, in den CDU-Gründungskreisen von Berlin, Frankfurt und Kiel. Auf sozialdemokratischer Seite gab es ähnliche Vorstellungen bei der „Gelder Konferenz" am 18. 8. 1945 und der „Godesberger Tagung“ am 30. 9. 1945. Die Mitbegründerin der hessischen CDU und spätere SPD-Politikerin Maria Sevenich berichtet, daß Kurt Schumacher während seiner Haft ähnliche Pläne gehegt habe (s. Dokumentation, a. a. O., und H. G. Wieck, Entstehung der CDU, a. a. O., S. 119 f. u. 145 f.).

  26. W. Dirks, Das gesellschaftliche Engagement der deutschen Katholiken seit 1945, in: Frankfurter Hefte, 19. Jg. (1964), H. 11, S. 761— 774.

  27. QA 65: „Ita operarii officialesque consortes fi-unt. dominii vel curationis, aut de lucris perceptis aiqua ratione participant."

  28. Vgl Otto Kunze u. Alfred Christmann (Hrsg.), Wirtschaftliche Mitbestimmung im Meinungsstreit, Bd. I, Köln 1964, Fußnote S. 117.

  29. Nell-Breuning in: Frankfurter Hefte 24 (1969), H. 5 (Sonderheft Mitbestimmung), S. 318.

  30. Vgl. Franz Klüber, Das Naturrecht der Mitbestimmung, in: Normen der Gesellschaft, a. a. O.

  31. Siehe dessen Enzyklika MM 82, 83, 91, 92 und die Pastoralkonstitution des 2. Vaticanums „Gaudium et spes" n. 68 oder Äußerungen Pauls VI. in seinem Sendschreiben „Octogesimo anno“, wo er unter Berufung auf seinen Vorgänger die Mitbestimmung als Ausdrucksform von Würde und Freiheit bezeichnet (n. 22 u. 47).

  32. Schulz, Die CDU, a. a. O„ S. 57.

  33. Kaiser gibt noch 1948 eine Viertelmillion Mitglieder an — eine Zahl, die alle westdeutschen Landesverbände zusammen nicht erreichten (Schulz, Die CDU, a. a. O., S. 73).

  34. Vgl. R. Morsey u. K. Repgen (Hrsg.), Adenauer-Studien I., Mainz 1970, S. 28 ff.

  35. Brief Adenauers an den Münchener Oberbürgermeister Scharnagl, in: Dokumentation, a. a. 0., S. 10.

  36. W. Conze, E. Kosthorst u. E. Nebgen, Jakob Kaiser. Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 1949— 1957, Stuttgart 1972, S. 30 u. 159.

  37. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945— 1953, Frankfurt 1967 (Fischer Bücherei 798), S. 55. Zitate in doppelten Anführungszeichen aus dem Programm von Neheim-Hüsten.

  38. Konrad Adenauer, Erinnerungen, a. a. O., S. 55 f.

  39. Der Terminus kommt so nur in der deutschen Übersetzung vor und leistet Mißverständnissen Vorschub. Im Urtext spricht Pius von „ordines“ oder „ordo ordinum".

  40. Nell-Breuning, Quadragesimo anno. Erinnerungen an die Entstehungsgeschichte der Sozialenzyklika Pius'XI, in: Publik, Nr. 21 v. 21. 5. 1971, S. 13. Den Unterschied zwischen „klassenloser“ und „klassenfreier Gesellschaft" definiert er: Klassenlose Gesellschaft: Alle sind Proletarier (und werden durch das Kollektiv ausgebeutet); klassenfreie Gesellschaft: Es gibt keine Proletarier mehr, niemand hat mehr nötig, sich ausbeuten zu lassen, in: Kapitalismus und gerechter Lohn, a. a. O.).

  41. A. John, In Ahlen gab es zwei Programme, in: Rheinischer Merkur vom 24. 10. 1975.

  42. Der Satz ist durch Großbuchstaben in einmaliger Weise aus dem übrigen Text herausgehoben. Er erscheint in leicht modifizierter Form dreimal im Text.

  43. E. Welty, Was nun?, a. a. O„ S. 26.

  44. K. Adenauer, Erinnerungen, a. a. O., S. 55.

  45. Vgl. A. John, In Ahlen gab es zwei Programme, a. a. O.

  46. Josef Reding („Das Ahlener Programm", in: Welt der Arbeit vom 16. 1. 1976) behauptet: „Das Ahlener Programm ist damals nur zur Täuschung der Besatzungsmächte erfunden worden.“

  47. Welty erwähnt in einer 1946 geschriebenen Broschüre (Recht und Ordnung im Eigentum, Dülmen 1947, S. 16): „Viele aus unserem Volk seien überzeugt, daß sich die Verhältnisse um so gründlicher bessern würden, je rascher und weitgehender der Privatbesitz in Gemeineigentum umgewandelt werde.“

  48. QA 99— 109.

  49. A. John, In Ahlen ..., a. a. O.

  50. QA 79.

  51. Zit. in Muhler, Soziallehre, a. a. O., S. 170.

  52. Franz Klüber, Individuum und Gemeinschaft in katholischer Sicht, Bückeburg 1963, S. 26.

  53. N. Blüm, Erinnerung für die Zukunft, in: Soziale Ordnung, Nr. 2 v. 26. 2. 1972, S. 3.

  54. Landtagsdrucksachen Nr. 1-109 bis 1-114.

  55. Vgl. Bertsch, CDU/CSU demaskiert, a. a. O., S. 623.

  56. 35. Sitzung des Dt. Bundestages am 8. 2. 1950, Stenograph. Bericht, S. 1119 ff. u. S. 1125 f.

  57. Kontrollratsgesetze Nr. 27, 35 u. 75.

  58. Gründungskongreß am 14. 10. 1949 in München.

  59. Vgl.: 1. Gerechtigkeit schafft Frieden. Der 73. Deutsche Katholikentag vom 31. 8. - 4. 9. 1949 in Bochum. Hrsg, vom Generalsekretariat des Zentralkomitees des Dt. Katholikentages, Paderborn 1949.

  60. § 1 der bis Mitte 1966 gültigen Satzung der CDA.

  61. Rede auf dem Parteitag der CDU Rheinland am 3. 12. 1950 in Duisburg, in: Material zu grundsatzpol. Abgrenzungsfragen, hrsg. v. d. Konrad-Adenauerstiftung, Pol. Akademie Eichholz, H. 25 u. 26 (Dokumentation), Bonn 1973, S. 54.

  62. Parteitagsprotokoll, S. 28. 67) Vgl. Alfred Müller-Armack, Auf dem Weg nach Europa. Erinnerungen und Ausblicke, Tübingen 1971, und Gesetzblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Nr. 12 vom 7. 7. 1948.

  63. Klaus Hoff, Unter Erhards Führung, in: Die politische Meinung 7 (1962), H. 78, S. 50— 62.

  64. L. Erhard, Was uns Konrad Adenauer und Nr. 53 v. 26. 12. 1975, S. 3 u. 4.

  65. Erhard, Was uns trennte ..., a. a. O.

  66. A. Müller-Armack, Auf dem Weg ..., a. a. O., S. 245.

  67. Sehr hart formuliert z. B. Nell-Breuning diesen Vorwurf: „Ihr Christentum hat die CDU restlos ausgeschwitzt und ist zu einer treuen Kapitalistenpartei geworden" (in: P. J. Bock [Hrsg. ], Im Prinzip sozial. Die großen Parteien und ihre Arbeitnehmer, Hannover 1976, S. 64).

  68. QA 59 ff; RN 35.

  69. RN 32; vgl. Weish. 12, 18.

  70. Vgl.; s. th. I, q. 60, a. 5.

  71. Wie die Erfahrung lehrt — vom bloßen Konsumdenken bis zu schroff individualistischen Positionen in der Diskussion über den Schutz des menschlichen Lebens: „Der Kapitalismus hat eine ungeheure Steigerung der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft gebracht. Aber er hat die Gefahr entwickelt, sich zum Herrscher über unsere Werte aufzuwerfen, anstatt ihnen zu dienen“ (R. v. Weizsäcker, Grundsatzreferat des Ev. Arbeitskreises der CDU/CSU am 6. 3. 1976, unkorr. Man.).

  72. Jürgen Rosorius, CDU auf dem Diskussionsstand von Ahlen, in: Soziale Ordnung, Nr. 6— 8 v. 30. 8. 1973, S. 16.

  73. So urteilt Nell-Breuning (Art „Marktwirtschaft“, in: Wörterbuch der Politik, Freiburg 1958; „Zur Wirtschaftsordnung", S. 42).

  74. So Gerstenmaier 1958, zit. in: Soziale Ordnung 28 (1975) Nr. 7 v. 30. 1. 1975, S. 3.

  75. Rainer Barzel: „Wer es nachliest — es galt übrigens nur für die britische Zone —, wird leicht feststellen, daß dieses Programm weitgehend verwirklicht ist“ (Die gesellschaftspol. Zielsetzung der CDU, in: Studien und Berichte der Kath. Akademie in Bayern, hrsg. v. Karl Forster, H. 31, Würzburg 1965, S. 94).

  76. Norbert Blüm am 25. 2. 1977 im NDR.

  77. So Kurt Biedenkopf in seiner schon von Wahlkampf geprägten Rede am 8. 11. 1975 in Oberhausen.

  78. So z. B. ausdrücklich in Kiel und Bremen. Die Bremer konstituierten sich unter dem Namen „Bremer Demokratische Volkspartei“, die Schleswig-Holsteiner am 4. 1. 1946 als „Demokratische Union". Vgl. Dokumentation, a. a. O., S. 23 ff., U Wieck, Entstehung der CDU, a. a. O.

  79. E. Welty, Ein „Nicht" übersehen? Eine Antwort an Dr. A. Lotz, in: Die neue Ordnung 2 (1948) H. 5, S. 446.

  80. Freiburger Thesen der FDP von 1971.

  81. Nell-Breuning nannte das Godesberger Programm der SPD wiederholt „ein kurzgefaßtes Kompendium der katholischen Soziallehre". Er schreibt allerdings auch: „Ich habe nicht gesagt, da die Partei das Godesberger Programm berücksichtigt“ (Katholische Soziallehre wieder gefragt, pipRuhrwort Nr-41 v. 12. 10. 1974, S. 1). über die P urteilt er in demselben Aufsatz, sie habe sich " gemausert“ — nämlich durch Annäherung an die Katholische Soziallehre.

  82. MM 113— 121.

  83. Ansprache Pauls VI. vor der Internationalen Arbeitsorganisation am 10. 6. 1969: „... Vorrang der menschlichen Arbeit vor den übrigen Faktoren des Wirtschaftslebens, die nur werkzeuglicher Art sind ..."

  84. Etwa die Gruppe um Norbert Blüm während der Mitbestimmungsdiskussion 1976.

  85. Fritz Brickwedde, Was die Junge Union denkt und kritisiert, in: Die politische Meinung 19 (1974), Nr. 156, S. 61— 66.

  86. L. Herrmann, Ein Kompendium voll ewiger Wahrheiten, DZ Nr. 19 v. 7. 5. 1976, S. 4.

  87. Freiheit kann nur in Solidarität erreicht werden. Entwurf für ein CDU-Grundsatzprogramm, in: Soziale Ordnung Nr. 4 von 3. 6. 1976, 29. Jg., S. 8.

  88. Weizsäcker, Grundsatzreferat, a. a. O.

Weitere Inhalte

Käthe Seidel, Studium der Geschichte, Germanistik, Theologie und Pädagogik; z. Z. Studienreferendarin. Veröffentlichungen u. a.: Die Staatslehre des Thomas von Aquino (1977); Religiöse Problematik in Jean Pauls „Siebenkäs" (1976); Naturmagie und christliches Weltbild bei Eichendorff (1979).