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Die Kategorien „produktiv" und „unproduktiv" in der Ökonomie über lebensnützliche und lebensschädliche Bedürfnisse | APuZ 17/1980 | bpb.de

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APuZ 17/1980 Artikel 1 Umweltschutz zwischen Politik, Ökonomie und Recht Die Kategorien „produktiv" und „unproduktiv" in der Ökonomie über lebensnützliche und lebensschädliche Bedürfnisse

Die Kategorien „produktiv" und „unproduktiv" in der Ökonomie über lebensnützliche und lebensschädliche Bedürfnisse

Karl Georg Zinn

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Zusammenfassung

Die in den westlichen Ländern vorherrschende Wirtschaftstheorie, die Neoklassik, verzichtet aufgrund ihrer wissenschaftstheoretischen Position (Wertfreiheitspostulat) auf die kritische Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit/Produktion. Die wissenschaftstheoretisch begründete Wertneutralität ließ jedoch mit der Eliminierung der Begriffe aus ihrem Vokabular auch die Wahrnehmungsfähigkeit für die mit jenen Begriffen bezeichneten Phänomene untergehen. Dieser erstaunliche Wahrnehmungsverlust steht in krassem Gegensatz zu der bis ins späte 19. Jahrhundert den Ökonomen selbstverständlichen Diskussion über die Kategorien produktiv/unproduktiv. Die erste systematische Unterscheidung findet sich bei den Physiokraten. Adam Smith entwickelte dann die klassischen Definitionen der produktiven und unproduktiven Arbeit, die von Marx teils übernommen, zugleich in ihren Widersprüchen analysiert wurden. Die in den staatssozialistischen Ländern heute übliche Trennung zwischen produktiven und unproduktiven Bereichen der Wirtschaft orientiert sich noch weitgehend an der klassischen Vorlage Adam Smiths. In engem Zusammenhang mit der Erörterung von produktiver und unproduktiver Arbeit stand das Luxus-Problem, das ebenfalls kaum noch eine Rolle in der am Wertfreiheitspostulat orientierten Neoklassik spielt, da Luxus weder definiert noch kritisiert werden kann, ohne auf bestimmte Verteilungsnormen und die ihnen unterlegten Gerechtigkeitsvorstei-

Die Konsequenz des sogenannten Wertfreiheitspostulats *) in den Wirtschaftswissenschaften war die Eliminierung einer Reihe zentraler Probleme gesellschaftlichen Zusammenlebens aus der wissenschaftlichen Betrachtung. Etwa die Frage nach der gerechten Verteilung, nach dem Zusammenhang von Verteilungsnormen, Hunger, Gewalt und Krieg, nach Sinn und Unsinn von bestimmten Produktionen und der hierfür notwendigen Arbeit Der Blick in die Zukunft der Menschheit läßt jedoch bei aller Detailunsicherheit von Prognosen klar erkennen, daß im sozioökonomischen Bereich gerechte Verteilungsstrukturen und der bedachtsame Umgang mit der Natur die vorrangigen, ja existenziellen Problembereiche des menschlichen Daseins darstellen. Es sollte somit zu den wichtigsten und „produktivsten“ Aufgaben der Wissenschaft als jener gesellschaftlichen Institution, die in besonderer Weise zur Erarbeitung rationaler Problemlösungen prädestiniert und privilegiert ist, gehören, über die gerechte Verteilung und den vernünftigen Umgang mit der Natur nachzudenken und Durchsetzungsstrategien für ihre Problemlösungen zu entwikkeln. Bei diesen existentiell wichtigen Aufgaben steht jedoch jene wissenschaftstheoretische Konzeption im Wege, die nicht nur den Verzicht auf Werturteilsdiskussionen in der Wissenschaft verlangt, sondern überhaupt die Möglichkeit leugnet, wissenschaftliche, d. h. systematisch-rationale Begründungen von Werturteilen zu erarbeiten bzw. zwischen alternativen Wertsystemen urteilend zu differenzieren. Wenn aber andererseits Werturteilsfragen von existenzieller Bedeutung für das Überleben der Menschheit sind und überleben als allgemein akzeptierter Wert gilt, so ist zumindest eine logische Verknüpfung zwischen dem „Grundwert“ des überlebens und gesellschaftlichen Normen in dem Sinne mögB lieh, daß bestimmte Normen der Durchsetzung jenes Grundwertes förderlich, andere hinderlich sind. — Für die Wirtschaftswissenschaft ergibt sich daraus die legitime Aufgabe, Arbeit, Produktion, Leistung, Verteilung etc. auf ihr Verhältnis für das Überleben der Menschen differenzierend zu beurteilen. Die gegenwärtige Nationalökonomie in den westlichen Ländern verschließt sich aufgrund ihrer wissenschaftstheoretischen Orientierung am Wertfreiheitspostulat weitgehend dieser Aufgabe. Hierin zeigt sich ein Verlust an gesellschaftlicher Relevanz der modernen — unter der Schulbezeichnung „Neoklassik" bekannten — Wirtschaftstheorie, die inzwischen alle sozialen Beziehungen mit dem tauschwirtschaftlichen Kalkül zu erklären versucht und damit zugleich Kritik am Marktsystem als „wertbehaftet" bzw. „ideologisch" verwirft. Die klassische Politische Ökonomie von Adam Smith bis John Stuart Mill urteilte hingegen noch völlig unbefangen über soziale Wertungen und entwickelte mit dem Begriffspaar der produktiven und unproduktiven Arbeit bzw. Produktion Termini, welche die kritische Bewertung ökonomischer Aktivitäten im Hinblick auf ihre Nützlichkeit und Schädlichkeit für die Gesellschaft ermöglichten. Zwar konnte keine allgemeingültige Definition jenes Begriffspaares entwickelt werden, aber solange die kategoriale Unterscheidung von produktiv und unproduktiv von den Ökonomen überhaupt als sinnvoll angesehen wurde, blieb ihre Wahrnehmungsfähigkeit für zentrale gesellschaftliche Probleme erhalten, die von der Neoklassik mangels adäquater Begriffe nicht einmal mehr thematisiert werden können. — Im folgenden wird die Entwicklung der Diskussion der Kategorien produktiv/unproduktiv an wichtigen Beispielen skizziert, um abschließend die aktuelle Notwendigkeit zu begründen, ein neues Verständnis für diese originär wirtschaftswissenschaftlichen Kategorien zu entwickeln.

I. Auf der Suche nach einem verlorenen Phänomen

I. Auf der Suche nach einem verlorenen Phänomen IL Der Kontext von unproduktivem Verbrauch, Verteilungskritik und Luxus Genesis von „produktiv“ /„unproduktiv“

als Kategorien der bürgerlichen Ökonomie III. IV. V. VI.

1. Die Produktivität der Natur: das phy-

siokratische Modell Luxus, Wohlstand und Beschäftigung:

die harmonistische Interpretation Luxus ist Diebstahl: Politik oder Ökonomie? .

4. Produktivität und Akkumulation: die logische Bestimmung der Kategorien 2. 3. INHALT Die Auflösung瀞!

In der Umgangssprache werden die Worte produktiv und unproduktiv im allgemeinen im Sinne von schöpferisch, fruchtbar, kreativ bzw. als deren Gegensatz benutzt. Darüber hinaus erstreckt sich das Wortfeld jedoch auf Qualifizierungen, die etwa Begriffe wie „produktive bzw. unproduktive Arbeit" oder „produktive bzw. unproduktive Ausgaben" und dgl. umfassen. Hier läßt sich also ein deutlicher Hinweis auf die Bedeutungsherkunft aus der Ökonomie ablesen. Der Laie könnte also erwarten, von der Wirtschaftswissenschaft eine genauere Auskunft zu erhalten, was denn unter produktiv und unproduktiv im ökonomischen Sinn zu verstehen ist Schlägt er irgendwelche Standardlehrbücher oder Fachlexika der Wirtschaftswissenschaft auf, so erhält er zwar eine ausführliche Erläuterung des Begriffs der Produktivität, aber eine Unterscheidung von produktiv und unproduktiv wird er kaum ausfindig machen können. Greift er nun auf ältere Standardwerke zurück, forscht gar bei den klassischen Nationalökonomen nach, so wird er hingegen fündig. Nach vergleichendem Literaturstudium werden sich zwei interessante Feststellungen aufdrängen:

— erstens tritt eine Fülle recht unterschiedlicher, sich oft widersprechender Bestimmungen der Begriffe produktiv/unproduktiv hervor;

— zweitens weisen all diese unterschiedlichen Begriffsbestimmungen eine Gemeinsamkeit auf, die sie fundamental von der Definition der Produktivität unterscheidet, wie sie heute von der Fachökonomie verwandt wird; der heutige Fachterminus „Produktivität" ist eine statistisch-quantitative Meßziffer, während die Abgrenzung von produktiv und unproduktiv primär qualitativer Natur ist.

Aus diesen Feststellungen lassen sich nun einige Schlußfolgerungen ziehen. Offenkundig waren die Begriffe produktiv/unproduktiv lange Zeit als fachökonomische Termini geB läufig und wurden jeweils als sinnvoll angesehen. Unabhängig von der jeweiligen konkreten inhaltlichen Präzisierung von produktiv und unproduktiv sahen alle Autoren, die diese Begriffe verwandten, die Begriffe als unverzichtbare ökonomische Kategorien an, d. h. produktiv/unproduktiv wurde zur differenzierenden Phänomenbeschreibung benötigt. Damit ergibt sich für uns ein erstes Problem: warum ist diese kategoriale Trennung von produktiv/unproduktiv in der gegenwärtigen bürgerlichen Ökonomie nicht mehr geläufig, geschweige denn üblich?

Eine zweite Frage schließt sich hier unmittelbar an. Wenn einerseits die kategoriale Trennung von produktiv und unproduktiv lange Zeit als sinnvoll und notwendig erachtet wurde, zugleich jedoch sehr unterschiedliche Konkretisierungen der Begriffe vorlagen, so ist das Problem offenbar auf zwei Ebenen zu betrachten: — erstens die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der kategorialen Trennung von produktiv und unproduktiv; — zweitens die Analyse der unterschiedlichen Konkretisierungen der beiden Begriffe. Selbstverständlich ist die kategoriale Unterscheidung überhaupt nur dann gerechtfertigt, wenn auch auf der Konkretisierungsebene empirisch relevante Unterscheidungen von produktiv und unproduktiv getroffen werden (können). Jedoch bedarf es zur Legitimation der kategorialen Differenzierung keiner bestimmten, gar raum-zeitlich absoluten Konkretisierung der Begriffsinhalte. So wie ja auch die Kategorien gesund/krank — zumindest etwa im Hinblick auf psychische Zustände — nicht vom Vorhandensein eines empirisch-absoluten Krankheitsbzw. Gesundheitsbildes abhängen. Die Konkretisierung von gesund/krank bleibt stets theoriebezogen im wörtlichen Sinn, und analog sind auch alle empirisch-konkreten Bestimmungen von produktiv/unproduktiv als ökonomische Kategorien nur theoriebezogen möglich; es handelt sich also bei der konkret-inhaltlichen Bestimmung jeweils um eine relationale Begriffsausfüllung.

Um Mißverständnissen vorzubeugen sei bemerkt, daß „theoriebezogen" in dem umfassenden Sinn gemeint wird, daß darunter auch 'deologische bzw. werturteilsbedingte An-

verstanden werden. schauungen Nach diesen Bemerkungen dürfte verständlich sein, daß hier keine konkrete, d. h. auf bestimmte empirische Tatbestände bezogene Definition von produktiv/unproduktiv vorab gegeben werden kann, sondern daß es gerade darauf ankommen wird, die Sinnhaftigkeit der kategorialen Unterscheidung und dann erst die Möglichkeit einer aktuellen, d. h. gegenwartsbezogenen Konkretisierung der Begriffe produktiv/unproduktiv zu erörtern. Die kategoriale Trennung von produktiv/unproduktiv impliziert, daß es sich um Gegensätze handelt, nicht um bloße quantifizierende Abstufungen; unproduktiv wäre also durchaus im Sinne von kontraproduktiv zu bestimmen, also analog zum Gegensatz förderlich/hinderlich. Ob dann im konkreten Fall noch eine Differenzierung zwischen unproduktiv und kontraproduktiv sinnvoll erscheint, kann im Moment offengelassen werden.

An Hand der folgenden lehrgeschichtlichen Darstellung soll gezeigt werden, daß und wie sich die Verwendung der Kategorien produktiv/unproduktiv in der bürgerlichen Ökonomie (zu verstehen als Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie im Gegensatz etwa zum Feudalismus zu sehen ist) während der vergangenen 200 Jahre verändert hat und ein fortschreitender Ausdünnungsprozeß in der Begriffsverwendung eingetreten ist; ein Ausdünnungsprozeß, der dazu führte, daß die kategoriale Unterscheidung von produktiv/unproduktiv in der gegenwärtigen marktwirtschaftlichen Theorie kaum noch Bedeutung hat, weil alle im Rahmen tauschwirtschaftlichen Wettbewerbs erbrachten Leistungen als nützlich gelten, so daß sie grundsätzlich als „produktiver" Beitrag zum Sozialprodukt eingestuft werden. Hierbei wird auch eine Antwort auf die Frage zu geben sein, ob der Ausdünnungsprozeß eine Art „Phänomen-

Schwund“ bedeutet oder genauer: ob die Wahrnehmungsfähigkeit für bestimmte Phänomene verlorengegangen ist — oder — so die Gegenthese — die Kategorien produktiv/unproduktiv metaphysischer Art sind, so daß die konkurrenzökonomische Wirtschaftswis-

senschaft gemäß ihrem Selbstverständnis, eine empirische Wissenschaft zu sein, nicht völlig zu Unrecht die Kategorien produktiv/unproduktiv aus ihrer Fachterminologie eliminierte. Allerdings sei hier schon darauf hingewiesen, daß zumindest außerhalb der Universitätsökonomie, speziell seitens der Kritiker der konsum-und wachstumsbezogenen Politischen Ökonomie des Industriekapitalismus, die Kategorien produktiv/unproduktiv auch heute verwandt werden, wenn auch häufig nur implizite in wohlstandstheoretischen Überlegungen. Ehe auf die begriffsgeschichtliche Vielfalt der Kategorien produktiv/unproduktiv eingegangen wird, sei noch kurz der statistische Produktivitätsbegriff erläutert 1a), um deutlich zu machen, daß diese statistische Produktivitätsmeßziffer für unsere Problemstellung nur am Rande von Bedeutung ist.

Statistisch meint Produktivität eine Kennziffer für die Ergiebigkeit bzw. Effizienz. Es handelt sich um den Quotienten aus Ertrag und Aufwand; der Aufwand wird in der Regel als Faktoreinsatz erfaßt:

Ertrag Produktivität = Faktoreinsatz Im Zusammenhang mit statistischen Produktivitätsvergleichen wird gelegentlich in einer etwas nachlässigen Redeweise von „unproduktiv" bzw. „unproduktivem Aufwand", „unproduktiven Produktionen", „unproduktiven Betrieben" etc. gesprochen. Unproduktiv meint hier jedoch lediglich, daß eine geringere (statistisch gemessene) Produktivität vorliegt, als sie dem Durchschnitt oder dem produktivsten, d. h. am effizientesten arbeitenden Unternehmen entspricht. Dieses Verständnis von „unproduktiv" taucht auch in der Umgangssprache auf. In den Produktivitätsmeßziffern können naturale und monetäre Größen auftreten — je nach Fragestellung. Relevant in diesem Zusammenhang sind dann noch Unterscheidungen zwischen technischer und ökonomischer Produktivität sowie zwischen Rentabilität und Produktivität, wobei unter bestimmten Umständen ein Gegensatz zwischen produktiver und rentabler Produktion auftreten kann. Der statistische Produktivitätsbegriff ist gegenüber den qualitativen Kategorien produktiv/unproduktiv insofern neutral, als sich auch für unproduktive Arbeit etwa — wie immer sie konkretisiert sei — Produktivitätsmeßziffern ermitteln lassen. Wenn man etwa zu der qualitativ-kategorialen Bestimmung gelangt, daß Rüstung „unproduktiv" ist, weil sie weltweit den Wohlstand mindert, so lassen sich dennoch statistische Produktivitätsmeßziffern ermitteln (z. B. Feuerkraft pro Kompanie und dgl.).

II. Der Kontext von unproduktivem Verbrauch, Verteilungskritik und Luxus

-----/^[Besitzende Klasse Nahrungsgewerbliche mittel

Luxusgüter. Dienste. Rüstung etc [sterile Klasseund Rohstoffe Produktive Klasse •------------• reproduktiver Eigenverbrauch--------------------------------

Das allmähliche Verschwinden der kategorialen Trennung von produktiv/unproduktiv in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion läßt sich beispielhaft an den einschlägigen Ausführungen in den verschiedenen Auflagen des wichtigsten deutschsprachigen Handwörterbuchs der Nationalökonomie belegen Im Gegensatz zu diesem Ausdünnungsprozeß, den die Kategorien produktiv/unproduktiv in der bürgerlichen Universitätsökonomie erfuhren, gehören diese Begriffe zum festen Fach-vokabular der Wirtschaftswissenschaft in den Ländern, in denen die Marxsche Theorie die Grundlage der offiziellen Ideologie bildet Im Gegensatz etwa zu Begriffen wie „abstrakte Arbeit“, die Trennung von „einfacher" und „komplizierter Arbeit", „Mehrarbeit" und „notwendiger Arbeit" und dgl. handelt es sich bei den Kategorien „produktiv" und „unproduktiv" jedoch nicht um originäre Begriffe der Marx-sehen Theorie, sondern die Trennung von produktiven und unproduktiven Tätigkeiten wurde seit Beginn der systematischen Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft im 18. Jahrhundert thematisiert. Adam Smith widmete in seinem Hauptwerk, „Wealth of Nations", dem Problem der produktiven und unproduktiven Arbeit ein eigenes Kapitel („Bildung von Kapital oder produktive und unproduktive Arbeit").

Mit der Ablösung der klassischen Arbeitswerttheorie durch die Grenznutzenlehre im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts trat die Erörterung der Frage, ob und wie produktive von unproduktiver Arbeit zu trennen wäre, mehr und mehr in den Hintergrund. Denn die Grenznutzenschule oder auch „subjektive" Werttheorie verlegt die Wertbestim-mung eines Gutes in die subjektive Entscheidung des Individuums; damit entfällt das scheinbare Paradoxon eines „unproduktiven Wertes". Wie einleitend bemerkt, findet dieses Problem in der heute herrschenden Wirt-B schaftstheorie der westlichen Länder keinen Platz mehr.

Die Verdrängung der Diskussion über produktive und unproduktive Arbeit könnte mit dem Argument gerechtfertigt werden, daß die Vielfalt der Ansichten darüber, was denn nun konkret produktive und unproduktive Arbeit ist, welche Bereiche der Gesamtwirtschaft als produktiv, welche als unproduktiv gelten sollen, zu keinem einhelligen Ergebnis geführt haben; weshalb es sich offenbar um eine wissenschaftlich nicht lösbare Frage handelt, die nur durch Rückgriff auf Werturteile und subjektive Meinungen beantwortet werden kann.

In der Tat wird die folgende Nachzeichnung der Diskussion zu unserem Problem deutlich machen, daß eine konkrete Bestimmung von produktiv und unproduktiv, die raum-zeitliche Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte, nicht gefunden wurde. Jedoch läßt sich mit einem solchen Argument, das sozusagen induktiv aus der Reihe der fehlgeschlagenen begrifflichen Bestimmungsversuche auf die Irrelevanz des Problems schließt, die Sache nicht abmachen. Vor allem ist ja die Sinnhaftigkeit der kategorialen Unterscheidung von produktiv und unproduktiv nicht dadurch in Frage gestellt, daß sich die Gemeinschaft der Wissenschaftler und darüber hinaus die Menschen, die umgangssprachlich reden, nicht auf eine allgemeine Konkretisierung von produktiv und unproduktiv einigen können. Vielmehr sind die beiden Kategorien produktiv und unproduktiv schon insofern sinnvoll und empirisch relevant, als es Phänomene gibt, die vom Standpunkt eines bestimmten Realitätsverständnisses bzw. vom Standpunkt einer bestimmten Theorie aus eben mit jenen Kategorien begrifflich erfaßt werden (können).

Dies gilt um so mehr, wenn im Alltagsbewußtsein vieler, wahrscheinlich sogar der Mehrzahl der Menschen die Qualifizierung produktiv und unproduktiv durchaus sinnvoll, wenn auch nicht sehr präzise ist. So ließe sich etwa eine Meinung dahingehend bilden, daß Luxus «unproduktiv" ist oder daß die Verteilungsdiskrepanzen zwischen reichen und armen Ländern auch etwas mit dem Ausmaß „unproduktiver“ Ausgaben der reichen Länder zu tun baden. In diesen nur scheinbar willkürlich geWählten Hinweisen klingt ein Problem an, das Von Anfang an in die Diskussion über produktive und unproduktive Arbeit eingeflochten war, dennoch als selbständige Fragestellung gesehen werden muß; die Frage nach der Qualifizierung dessen, was Luxus ist, und damit auch die Frage nach der Rechtfertigung von Luxus.

Auch dieses Problem ist in der jüngeren Wirtschaftswissenschaft kaum noch ein Thema und wird regelmäßig mit dem Verweis auf die Werturteilsabhängigkeit einer Luxusdefinition als unwissenschaftlich verworfen.

Nun mag es zwar im konkreten Fall jeweils schwierig sein, eine allgemein gültige Trennungslinie zwischen Luxus und notwendigem Verbrauch zu ziehen, und die Ansichten darüber, was Luxus ist, mögen stark variieren. Dennoch wird das Phänomen „Luxus" nicht dadurch aus der Welt geschaffen, daß man sich weigert, darüber zu diskutieren. Auch kann der Hinweis, daß es sich bei Luxusdefinitionen um Werturteile handelt, nicht davon entbinden, Luxus als Problem wahrzunehmen. Ein Problem, das in engstem Zusammenhang mit Verteilungsstrukturen steht Aus einer Verteilungskritik läßt sich stets auch eine Luxuskritik herleiten, wie umgekehrt jede Luxuskritik logisch eine Verteilungskritik impliziert.

Betrachtet man — unter anderem — das Bemühen um menschenwürdige Zustände auf der Erde als Aufgabe der Wissenschaft, auch der Wirtschaftswissenschaft, so läßt sich im Hinblick auf die Verteilungsstrukturen in der gegenwärtigen Welt wohl kaum auf eine Ver-teilungsund damit Luxuskritik verzichten. Wenn Wissenschaft bei solchen Problemen mit zu Rate gezogen wird, so nicht zuletzt deshalb, weil hier Zweck-Mittel-Zusammenhänge zu analysieren und rationale Problemlösungen zu erarbeiten sind. Etwa wenn es darum geht, Zusammenhänge zwischen Verteilungsstrukturen und dem Weltfrieden aufzudecken und daraus Handlungsempfehlungen herzuleiten. Im Hinblick auf das Ziel, den Weltfrieden zu sichern, wären dann bestimmte Produktionen unter Umständen als unproduktiv einzustufen, weil sie der Zielerreichung zuwiderlaufen.

Die angedeuteten Zusammenhänge verweisen auf die gesellschaftskritische Funktion der Erörterungen über produktiven und unproduktiven Aufwand. Diese kritische Dimension läßt sich auch lehrgeschichtlich nachzeichnen und gibt einen ersten Anhaltspunkt dafür, warum eine rein affirmative Wirtschaftstheorie mit den Kategorien produktiv/unproduktiv sowie mit dem Luxusproblem nichts Belangvolles mehr anzufangen weiß.

III. Genesis von „produktiv" /,, unproduktiv" als Kategorien der bürgerlichen Ökonomie

1. Die Produktivität der Natur: das physiokratische Modell Die Kategorie der produktiven Tätigkeit tritt erstmals mit größerer Frequenz bei den Merkantilisten auf. Als produktiv galten jene wirtschaftlichen Aktivitäten, die den Volkswohlstand, konkreter das Volkeinkommen, mehrten. Produktiv wurde zwar nicht durch eine Wirtschaftstheorie präzisiert, aber es lag doch insofern ein einheitliches Begriffsverständnis vor, als „produktiv" mit „nützlich für den wirtschaftlichen Fortschritt“ identifiziert wurde. Eine wissenschaftlich systematische Fassung erfuhren die Begriffe produktiv/unproduktiv erstmals im 18. Jahrhundert durch die Physiokraten. Die physiokratische Kreislauftheorie entwirft eine Dreiteilung der Gesellschaft in produktive, unproduktive und besitzende Klasse. Die Abgrenzung zwischen produktiver und unproduktiver Klasse orientiert sich an der Vorstellung, daß nur die landwirtschaftliche Produktion einen Mehrertrag abwirft, während Handel und Gewerbe keinen Neu-wert produzieren, sondern lediglich die von der Landwirtschaft in Form von Rohstoffen und Nahrungsmitteln erhaltenen Produkte umwandeln. Im Agrarsektor findet also Wert-schöpfung statt; im Handels-und Gewerbebereich, dem unproduktiven oder sterilen Sektor, wird nur eine Umformung bereits produzierten Wertes vorgenommen. Entsprechend ergibt sich eine Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit. Die produktive Arbeit in der Landwirtschaft bildet die (Ernährungs-) Grundlage für alle übrigen gesellschaftlichen Klassen.

Um die physiokratische Charakterisierung von Handel und Gewerbe als unproduktiv nachvollziehen zu können, muß man sich verdeutlichen, daß die Physiokraten eine Wirtschaft vor sich sahen, in der etwa 90 Prozent der Bevölkerung im landwirtschaftlichen Sektor tätig waren und der größte Teil der nicht-landwirtschaftlichen Produktion dem Bedarf der besitzenden Feudalschicht, der „verteilenden Klasse" des physiokratischen Gesellschaftsmodells, diente Die unproduktive Klasse der Händler und Gewerbetreibenden verdankte sozusagen ihre Existenz den Aus-gaben der herrschenden Klasse. Erst mit der Verausgabung der Besitzeinkommen des Klerus und Adels wird die unproduktive Klasse in die Lage versetzt, Arbeit zu leisten bzw. Arbeitsprodukte zu verkaufen. In der Tat läßt sich nun in einer solchen Situation davon ausgehen, daß die gewerbliche Produktion sowie der Handel in erster Linie den Luxusbedürfnissen der Oberschicht sowie der Versorgung des militärischen und bürokratischen Machtapparates dienen.

Die gesellschaftliche Wertverteilung stellt sich im physiokratischen Kreislaufschema zwar als monetärer Kreislauf dar, aber im Grunde handelt es sich nicht um einen Leistungskreislauf, wie er für tauschwirtschaftliche Gesellschaften unterstellt wird, sondern um eine Verteilungspyramide, in der die Unteren für die Oberen arbeiten. Die Pyramide lastet auf dem produktiven, landwirtschaftlichen Fundament, die Landwirtschaft ernährt die übrige Bevölkerung, ohne im Prinzip auf deren Arbeit angewiesen zu sein.

Die physiokratische Produktivitätslehre scheint auf einer technisch-ökonomischen Definition von „produktiv" zu basieren, nämlich der Annahme, daß eben nur die landwirtschaftliche Produktion einen Mehrertrag zu liefern in der Lage sei. Die Unterscheidung der Physiokraten zwischen produktiver und unproduktiver Tätigkeit enthält jedoch zugleich eine — durchaus kritische — Qualifizierung der unproduktiven Produktion als Produktion für Luxusbedarf. Da diese Art von Produktion auf bestimmte — feudalistische — Gesellschaftsverhältnisse und die ihnen immanenten Machtstrukturen zurückzuführen ist, läßt sich die These aufstellen, daß die kategoriale Trennung von produktiv und unproduktiv von Anfang an ein Ergebnis der politökonomischen bzw. soziologischen Analyse darstellte und nicht als rein ökonomische Fachterminologie entstand. Diese These wird auch durch die Tatsache gestützt, daß Luxus im allgemeinen und speziell im 18. Jahrhundert vorwiegend aus leistungslosen Besitzeinkommen finanziert wird. Das leistungslose Einkommen stigmatisiert seinen Empfänger sozusagen als „Schmarotzer", der zu Lasten der produktiv Tätigen, also jener, die etwas leisten, lebt. Ideengeschichtlich stehen die moralisch positive Bewertung des Leistungsprinzips und die Abgrenzung produktiver und unproduktiver Arbeit in engem Entstehungszusammenhang 2. Luxus, Wohlstand und Beschäftigung: die harmonistische Interpretation Die Verbindung von Luxus und unproduktiver Arbeit und damit auch als naheliegende Assoziation die Verknüpfung von Luxus mit unnützer, gar schädlicher Produktion zeigt jedoch nur die eine Seite des Luxusproblems. Aus entgegengesetztem Blickwinkel betrachtet läßt sich Luxus durchaus auch als wohlstands-steigernd und damit für die ganze Gesellschaft als vorteilhaft einstufen. Bernard de Mandeville hatte 1740 in seiner „Fable of the Bees" das private Laster des luxuriösen Konsums als öffentliche Tugend gepriesen und so den im 19. Jahrhundert geläufigen Euphemismus, daß der „Luxus Geld unter die Leute bringt" und für die Beschäftigung sorgt, vorweggenommen.

In aphoristischer Manier wurde der Luxuskritik der Stachel genommen und Luxus in eine harmonistische Gesellschaftslehre integriert. In modifizierter Argumentationsweise lebt de Mandevilles Gedanke bis auf unsere Tage weiter: Luxus und unproduktiven Aufwand mag man mit moralischem Unbehagen betrachten, aber als notwendig gelten sie allemal.

Der Geiz, dies scheußlich böse Laster, Keins fluchwürdiger und verhaßter, War Sklave jener noblen Sünde Verschwendung; während Luxus diente, Millionen Arme zu erhalten;

Stolz gleichfalls so viele schalten, Die Eitelkeit, der Neid selbst, sie Begünstigten die Industrie, Die Sucht, die Mode mitzumachen In Kleidung, Wohnung und anderen Sachen -Belacht stets und bewundert zwar — Des Handels wahre Triebkraft war.. .

Auch Sombarts bekannte Untersuchung über „Luxus und Kapitalismus" gelangte zu einer positiven Beurteilung. Der Luxusbedarf der Oberschicht bot dem aufkommenden kapitalistischen Unternehmertum Absatz und Anreiz, die industrielle Produktion auszuweiten. Luxus wird so zu einem wachstumsfördernden Faktor und damit produktiv. Und während das industriekapitalistische System auf der Basis des Luxusverbrauchs expandierte, ruinierte sich die traditionelle Herrschaftsklasse durch ihren allzu aufwendigen Lebenswandel. Der luxuriöse Verbrauch der absteigenden Klasse wurde zum Vehikel des Aufstiegs der kapitalistischen Industrie.

Vor diesem Hintergrund konnte Luxuskritik leicht als reaktionär, fortschrittsfeindlich, ja unsozial erscheinen. Wie Montesquieu feststellte: „Si les riches n’y dpensent pas beau-coup, les pauvres mourront de faim." Auch heute noch gehört der Hinweis auf die beschäftigungsschaffende Wirkung von Wegwerfkonsum und Werbung zum Argumentationsarsenal gegen jegliche Konsumkritik.

Die Luxusdebatte lief sich schließlich an den Systemgrenzen tot. Denn obgleich Luxus eine Resultante einer in arm und reich zerschnittenen Gesellschaft bildet, wurde die Einkommens-und Vermögensverteilung von den Analytikern des Luxus nicht in Frage gestellt. Damit blieb auch die analytische Trennung von produktiver und unproduktiver Tätigkeit ohne reformpolitischen Anreiz. 3. Luxus ist Diebstahl: Politik oder Ökonomie? Die explizit kritische Wendung nahm die Luxusdiskussion erst in der französischen Revolution, speziell im Babouvismus. Luxus bzw. unproduktiver Verbrauch stehen nunmehr unter menschenrechtlicher Anklage. Luxuskritik braucht sich nicht mehr in gewundenen national-ökonomischen Gedanken zu verstecken, sondern äußert sich als revolutionäre Gesellschaftskritik; eine Kritik, die nicht von den Ökonomen, sondern philosophisch-politischen Schriftstellern vom Typus Rousseau, Mably, Morelli vorbereitet worden war. Buonarrotti, der Geschichtsschreiber des Babouvismus, faßt die „Wahrheiten" des Gracchus Babeuf in folgenden Thesen zusammen „ 1. Die Natur hat jedem Menschen ein gleiches Recht auf den Genuß aller Güter gegeben. — 2. Der Zweck der Gesellschaft ist es, diese im Naturzustand so oft durch die Starken und Schlechten angegriffene Gleichheit zu verteidigen und durch die Mitwirkung aller die gemeinsamen Genüsse zu vermehren. — 3. Die Natur hat jedem die Verpflichtung auferlegt zu arbeiten; niemand hat sich der Arbeit entziehen können, ohne ein Verbrechen zu begehen ... — 5. Es besteht der Zustand der Unterdrückung, wenn der eine bis zur Erschöpfung arbeitet und ihm alles mangelt, während der andere, ohne zu arbeiten, im Überfluß schwelgt... — 7. In einer wahrhaften Gesellschaft darf es weder Reiche noch Arme geben. — 8. Die Reichen, die nicht auf ihren Überfluß zugunsten der Armen verzichten wollen, sind Feinde des Volkes ...

Wenn wir hier einmal die These 5) herausgreifen: „Es besteht der Zustand der Unterdrükkung, wenn der eine bis zur Erschöpfung arbeitet und ihm alles mangelt, während der andere, ohne zu arbeiten, im Überfluß lebt", so ließe sich die Frage aufstellen, was die Wissenschaft, als eine auf Vernunft und Rationalität gegründete Sache, hierzu antworten kann. Betrachten wir die Weltlage im Jahre 1980, so hat die jener Maxime unterlegte Tatsachenbehauptung, daß nämlich Überfluß und Hunger zugleich bestehen und daß beides miteinander zu tun hat, nicht an Aktualität verloren. Die Frage, die uns brennend interessieren sollte, läßt sich zugespitzt formulieren: Darf die Wissenschaft sich um Luxus-und Reichtumskritik drücken? Kann die Ökonomie überhaupt mit Blick auf die erwähnten Verteilungsdiskrepanzen mit der Geste vermeintlicher Wertfreiheit auf die kritische Ausspielung der Kategorien produktiv und unproduktiv verzichten?

Nun, faktisch darf und kann die Wissenschaft auf die Erörterung jener Fragen verzichten. Es scheint jedoch, daß sie mit diesem Verzicht auch einen erheblichen Teil ihrer Problemlösungskompetenz einbüßt, wenn nicht gar dazu beiträgt, die Probleme zu verschärfen: Wenn etwa von Ökonomen der Hunger in der Welt primär über weiteres Wachstum zu lösen versucht wird, statt ihn in erster Linie durch Umverteilungsstrategien zu überwinden, so wird sich der Hunger weiter verbreiten, weil nämlich Wachstumspolitik unter den bestehenden weltwirtschaftlichen Mechanismen die Verteilungsdiskrepanz forciert. Im Hinblick auf das Problem hungernder Millionen ist die lineare Fortsetzung des Wachstums weltwirtschaftlicher Luxus und daher unproduktiv vom Standpunkt der armen Völker aus gesehen. Diese exkursorische Einfügung verweist auf ein Denkmuster, das seit der klassischen Nationalökonomie bestimmend für die Wirtschaftswissenschaft geworden ist: nämlich die Identifizierung von Wohlstand und Wirtschaftswachstum, die sich auch im klassischen Verständnis der Kategorien produktiv und unproduktiv widerspiegelt: produktive Arbeit dient der Akkumulation und damit dem Wachstum; unproduktive Arbeit vermindert das Wachstumspotential und geht damit zu Lasten des (künftigen) Wohlstandes. Eine Sichtweise, die über die Marxsche Akkumulationstheorie auch Eingang in die sozialistische Planwirtschaft gefunden hat. 4. Produktivität und Akkumulation: die logische Bestimmung der Kategorien Im Gegensatz zu der empirisch-anschaulichen Differenzierung in produktive und unproduktive Tätigkeit bei den Physiokraten und die zumindest unterschwellige Verknüpfung von unproduktiven Ausgaben und Luxusbedarf entwickelte sich bei den Klassikern, namentlich Adam Smith ist hier zu nennen, eine kategoriale Trennung von produktiver und unproduktiver Arbeit, die sich aus einer bestimmten Systemlogik herleitet. Unter Systemlogik sei der Wirkungsmechanismus verstanden, der ein bestimmtes Verhalten des gesamten sozialen und ökonomikschen Systems unabhängig von subjektiv-individuellen Präferenzen, Einsichten, Meinungen und Wünschen erzwingt. Wenn etwa das überleben eines Unternehmens bzw.des Kapitaleigners als Kapitalbesitzer von seiner Anpassungsfähigkeit in einem Konkurrenzsystem abhängt, so ist er gezwungen, seine Gewinne in bestimmter Weise, nämlich investiv, zu verwenden. Es steht ihm sozusagen gar nicht offen, ob er investiert oder luxuriösen Konsum vorzieht, sondern die Systemlogik zwingt ihn zur Akkumulation. Dies mag schließlich auch mit seinen subjektiven Motiven in Einklang stehen, er mag die Zwänge der Systemlogik verinnerlicht haben, aber dieses psychische Phänomen ist Folge, nicht Ursache der Verhältnisse.

Smith konstatiert als wesentliches Merkmal des von ihm analysierten Wirtschaftssystems das Gewinninteresse. Gewinn impliziert logisch einen Überschuß des Ertrages gegenüber dem Einsatz. Wenn die Gewinne der ei-B nen nicht bloß durch Verluste der anderen entstehen, so muß das Gesamtsystem laufend einen Überschuß abwerfen. Dieser Überschuß — wir können ihn synonym als Mehrprodukt, als Surplus oder Gewinn-und Rentenmasse bezeichnen — steht im Prinzip für den konsumtiven Verzehr oder für investive Verwendung zur Verfügung. Unter feudalistischen Verhältnissen, wie sie der physiokratischen Analyse noch zugrunde lagen, dominiert die konsumtive Verwendung. Wachstumswirksam erscheint der Luxus nur im Sinne der Absatzmöglichkeiten für die gewerbliche Produktion. Ganz anders Smith: die unproduktive Verwendung, d. h. die Verausgabung von Einkommensteilen für Luxus, persönliche Dienste etc., also typisch vorkapitalistische Verwendungsweisen des Mehrprodukts, erscheinen als Verschwendung, als Verminderung des geamt-

wirtschaftlichen Ertrags. Die Leistung eines Bediensteten muß aus dem Einkommen der Herrschaft gezahlt werden; die Leistung einer gewerblichen Arbeitskraft geht hingegen in dasverkäufliche Endprodukt des Betriebes ein und trägt zum Einkommen des Eigentümers bei Entsprechend der Wert-bzw. Wertschöpfungstheorie Adam Smiths beschränkt sich produktive Tätigkeit nicht — wie bei den Physiokraten — auf den landwirtschaftlichen Bereich, sondern der Prototyp der produktiven Arbeit ist industrielle und gewerbliche Tätig-

keit. Diese Fortentwicklung des Produktivitätsgedankens findet seine materiell-anschauliche Entsprechung in der Analyse des Kapitalbildungsprozesses. Industrielle Produktion in Smithscher Sichtweise ist eben nicht primär Produktion von Gütern für den Oberschichtenverbrauch, sondern Produktion für einen breiten Markt und zugleich Produktion von Kapital, worauf Smith in expliziter Abgrenzung zu den Physiokraten hinweist.

Ein Wirtschaftssystem, dessen Kernprozesse auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, muß akkumulieren und wachsen. Einkommensteile, die nicht dem Wachstum bzw.der Akkumulation dienen, erscheinen als verschwendet, also unproduktiv verausgabt. Der Lebensunterhalt der Arbeitskräfte bildet insofern eine Ausnahme, als er die Produktionsgrundlage si-

Chert. Aber der Reproduktionsaufwand der Arbeitskraft — wie die Bezeichnung schon Verdeutlicht — ist eben produktiver Konsum, Weil auf ihn nur um den Preis der Zerstörung der Arbeitskraft verzichtet werden kann. Vom aufwendigen Lebensstil des Wohlhabenden gilt dies hingegen nicht; er verstößt eigentlich gegen die Logik des Akkumulationssystems. Zur Verdeutlichung der Smithschen Abgrenzung von produktiver und unproduktiver Arbeit seien einige Zitate wiedergegeben:

„Es gibl eine Art von Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwandt wird, erhöht, und es gibt eine andere, die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unproduktiv. So vermehrt ein Fabrikarbeiter den Wert des Roh-materials, das er bearbeitet, im allgemeinen um den Wert des eigenen Lebensunterhalts und um den Gewinn seines Unternehmers. Die Arbeit eines Dienstboten dagegen erzeugt nirgendwo einen solchen Wert."

„Wohlhabend wird also, wer viele Arbeiter beschäftigt, arm hingegen, wer sich viele Dienstboten hält“

. Auch die Arbeit einiger angesehener Berufs-stände in einer Gesellschaft ist, wie die der Dienstboten, unproduktiv. Sie drückt sich nicht in einem dauerhaften Gegenstand oder verkäuflichen Gut aus, das auch nach abgeschlossener Arbeit fortbesteht und für das man später wieder die gleiche Leistung erstehen könnte. Als unproduktiv können, zum Beispiel, die Tätigkeit des Herrschers samt seiner Justizbeamten und Offiziere, ferner das Heer und die Flotte angesehen werden. Sie alle dienen dem Staat und leben von einem Teil des Ertrages, den andere Leute übers Jahr hin durch ihren Erwerbsfleiß geschaffen haben. In die gleiche Gruppe muß man auch einige Berufe einreihen, die äußerst wichtig und bedeutend oder sehr anrüchig sind: Zum einen Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer.“ „Der Gesamtertrag eines Jahres ist somit allein das Ergebnis produktiver Arbeit, wenn wir die Güter außer Betracht lassen, welche die Natur ohne menschliches Zutun liefert.“

Smith entwickelte eine theoretische Fundierung von produktiver Arbeit, die produktiv und kapitalbildend verknüpft. Produktive Arbeit ist sozusagen Kapitalproduktion. Zugleich grenzt Smith allerdings produktive Arbeit von einem anderen Ansatzpunkt her dahin gehend ein, daß produktive Arbeit materielle (Sach-J-Güter schafft. Marx hat diesen zweiten Versuch der Bestimmung der produktiven Arbeit als widersprüchlich zum ersten kritisiert obgleich in der „Politischen Ökonomie des Sozialismus“, d. h.der Wirtschaftstheorie der RGW-Länder, gerade jener materielle Produktivitätsbegriff Smiths zur theoretischen Differenzierung von produktiv und unproduktiv aufgegriffen wurde Mit diesem auf die materielle Produktion bezogenen Produktivitätsverständnis ergab sich die bisher ungelöste Schwierigkeit, Dienstleistungen als unproduktiv qualifizieren zu müssen. Bereits Friedrich List hat sich über diese Smithsche Absurdität, alle Dienstleistungen als unproduktiv zu charakterisieren, mokiert:

„Nach ihr ist der, der Schweine erzieht, ein produktives Mitglied der Gesellschaft; wer Menschen erzieht, ein unproduktives. Wer Dudelsäcke oder Maultrommeln zum Verkauf fertigt, produziert; die größten Virtuosen dagegen sind nicht produktiv. Der Arzt, der seine Patienten rettet, gehört nicht in die produktive Klasse, wohl aber der Apothekerjunge, obgleich die Pillen, die er produziert, nur wenige Minuten existieren mögen, bevor sie ins Wertlose übergehen. Ein Newton, ein Watt, ein Kepler sind nicht so produktiv als ein Esel, ein Pferd oder ein Pflugstier."

Die Abgrenzung materielle Produktion und Dienstleistungsproduktion zur Bestimmung der Differenz von produktiv und unproduktiv ist offenkundig absurd und läßt sich auch nicht mit einem systemlogischen Bestimmungsansatz in Einklang bringen. Symptomatisch hierfür ist etwa die jüngere Diskussion dieses Problems in den RGW-Ländern: Mehr und mehr werden jene Dienstleistungen, die der Produktion des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts dienen, doch in den Bereich der produktiven Arbeit einbezogen.

Bleibt man beim systemlogischen Bestimmungsansatz für produktive und unproduktive Arbeit, so treten jene Plausibilitätsschwierigkeiten nicht auf. Wenn Smith zutreffend für die kapitalistische Wirtschaft die Kapitalbildung in den Mittelpunkt rückt, so lassen sich eindeutige Bestimmungen für produktiv und unproduktiv gewinnen. Smith verweist etwa auf die Wohlhabenheit in Rouen und Bordeaux und begründet diese günstige Situation mit dem zufließenden Kapital, das produktive Arbeit in Gang setzt: „Solch günstige Bedingungen für vorteilhafte Investitionen ziehen natürlich viele Kapitalanleger an, und dieser Kapitalstrom ist die eigentliche Ursache für die blühende Wirtschaft beider Städte.“ Produktive Arbeit ist kapitalbildende Arbeit; und Kapitalbildung liegt nach Smiths Auffassung dem Wachstum des gesellschaftlichen Wohlstandes zugrunde. Mit der von Smith entwickelten kategorialen Abgrenzung von produktiver und unproduktiver Arbeit wird eine theoretische Begründung der Kategorien aus der Systemlogik heraus geleistet. Marx hat sich in den „Theorien über den Mehrwert", in denen er sich am ausführlichsten dem Problem der produktiven und unproduktiven Arbeit widmet, der Smithschen Theorie eines systemlogischen Produktivitätsverständnisses voll angeschlossen: „Produktive Arbeit im Sinn der kapitalistischen Produktion ist die Lohnarbeit, die im Austausch gegen den variablen Teil des Kapitals ... nicht nur diesen Teil des Kapitals reproduziert, sondern außerdem Mehrwert für den Kapitalisten produziert.“ Marx betont jedoch gegenüber Smith, daß zwar die kategoriale Trennung von produktiv und unproduktiv überhistorische Geltung beanspruchen kann, jedoch nicht die konkrete Bestimmung, was realiter unter produktiv und unproduktiv zu verstehen ist Solche Konkretisierung ist nur in bezug auf eine bestimmte historische bzw. gesellschaftliche Situation möglich. Die Kategorien produktiv und unproduktiv sind somit von den konkre-ten Definitionen zu scheiden. Diese Relativierung ist unseres Wissens außerhalb der Marx-sehen Theorie kaum thematisiert worden. Gerade die historische Begrenzung in der inhaltlichen Bestimmung der beiden Kategorien produktiv und unproduktiv ist jedoch unverzichtbar, wenn man den scheinbaren Widerspruch unterschiedlicher Konkretisierungen produktiver und unproduktiver Arbeit bei verschiedenen Autoren und in verschiedenen Entwicklungsphasen der ökonomischen Theorie auflösen will.

So ist das luxusbezogene Verständnis unproduktiver Arbeit nicht schlichtweg falsch, aber -um wieder zu Smith zu kommen — das Lu-

xusproblem tritt bei Smiths Bestimmung unproduktiver Arbeit mit logischem Recht zurück. Für den Klassiker Smith ist Luxus primär weder ein moralisches noch ein theologisches Problem wie für frühere Autoren, sondern Lu-

xus als Mangel an Sparsamkeit mindert die Kapitalbildung und widerspricht dem Zweck der kapitalistischen Ordnung:

Kapital wird durch Sparsamkeit erhöht und durch Verschwendung und Mißwirtschaft vermindert Was jemand von seinem Einkommen spart, fügt er seinem Kapital hinzu ...

Sparsamkeit und nicht Erwerbsfleiß ist die unmittelbare Ursache für das Anwachsen des Kapitalbestandes. Tatsächlich schafft erst der Erwerbsfleiß, was durch Sparsamkeit angesammelt wird, doch was immer auch mit Fleiß erreicht werden mag, ohne Ersparnis kann der Kapitalbestand niemals größer werden."

Erwerbsfleiß und Sparsamkeit werden von Smith zwar systemfunktional bewertet, aber dahinter steckt auch eine bestimmte Psychologie und Systemmoral, die Max Scheler mit dem bösen Wort der „Sklavenmoral" des Kapitalismus belegt hat „(Sparsamsein! Reichwer-

den! Wenig Kinder haben! Sichanpassen, Schlausein! usw.)". Die beiden Kategorien Produktiv und unproduktiv lassen sich somit 'm Hinblick auf jene systemspezifische Bedeutung des Sparens in einem erweiterten Sinn auch zur moralischen Qualifizierung bestimm-

ten Verhaltens anwenden: Produktives Veraalten trägt zur Kapitalbildung bei, unproduk-

tves Verhalten vermindert sie. Es ist also kein großer Schritt zur moralischen Wertung des Produktiven und des unproduktiven Verhal-tens. Verschwendung gerät fast in die Nähe des kriminellen Delikts, wenn Smith den Verschwender mit einem Mann vergleicht, „der die Einkünfte aus dem Vermögen eines frommen Stifters für profane Zwecke mißbraucht“, die ihm anvertrauten Gelder also veruntreut

Die dezidierte Kritik Smiths an der Verschwendung, der Mißwirtschaft und der ihr zuzurechnenden unproduktiven Einkommensverwendung impliziert nun einen Wohlstandsbegriff, der die Besserung der Lebensverhältnisse und damit den künftigen Wohlstand höher stellt als die gegenwärtige Behaglichkeit oder besser: die Behaglichkeit nährt sich aus dem Gefühl wachsenden Vermögens. Dieser Wachstumspsychologie korrespondiert ein biedermännisches Bild vom sparsamen Bürger, dessen Hauptbestreben zwischen Geburt und Tod der Ansammlung eines Wert-haufens gilt:

„Das Motiv zum Sparen liegt ... in dem Wunsch, die Lebensbedingungen zu verbessern, ein Verlangen, das uns zwar im allgemeinen ruhig und leidenschaftslos läßt, aber doch ein ganzes Leben lang begleitet ... Die meisten Menschen sehen in der Vergrößerung ihres Vermögens einen Weg, um ihr Los zu verbessern, einen Weg, weithin beliebt und auch leicht zu beschreiten. Um Vermögen zu bilden, muß man sparen, etwas vom Verdienst zurücklegen..."

In diesen Sätzen wird ein Menschentyp geschildert, der von der Sorge beherrscht ist. Nicht der Genuß an der gegenwärtigen Lebensfülle wird angestrebt, sondern die Sicherung der Zukunft. Wohlstandserleben wird nicht durch Gegenwärtiges vermittelt, sondern durch die zukunftsbezogene Erwartung künftigen Reichtums. Erich Fromm hat diese Haltung als Habenmodus dem Seinsmodus entgegengestellt und in ihr die tiefsten psychischen Auswirkungen des kapitalistischen Systems konstatiert. In der Zukunftserwartung, dem Bestreben, künftigen Vermögens halber in der Gegenwart zu darben, äußert sich die dynamische Qualität des kapitalistischen Wohlstandsbegriffs. Wohlstand setzt einen anhaltenden Prozeß wirtschaftlichen Wachstums voraus. Tatsächlich gerät ja auch das kapitalistische System in eine Krise, wenn Akkumulation und damit Wachstum unterbrochen werden. Wenn also Smith die Sparsamkeit so hoch veranschlagt und Verschwendung als unproduktiv qualifiziert, so kommt hierin nicht nur der systemfunktionale Aspekt zum Ausdruck, sondern auch die mit dem System korrespondierende Mentalität. In Anlehnung an Sombart und Weber beschrieb Max Scheler den Menschen im Kapitalismus als „angstvollen" und „rechenhaften''Typus dessen soziale Position stets bedroht erscheint. Das kapitalistische Kulturganze ist darauf gerichtet, produktiv zu sein und die unproduktiven Bedürfnisse zu diskriminieren.

Was jedoch die klassischen Ökonomen von Smith bis Say völlig verkannt haben, ist das — den Merkantilisten noch geläufige — Problem, wie man die von der kapitalistischen Akkumulation hervorgebrachte Warenmasse auch kontinuierlich absetzen kann. Für Smith stellen sich Überproduktion und Bankrotte nicht als systemimmanente Regelmäßigkeiten dar, sondern sind indivudellem Versagen geschuldet: ..... so wie einzelne dem Galgen nicht entrinnen können, vermögen auch einige dem Bankrott nicht zu entgehen." Diese „Galgentheorie" der einzelwirtschaftlichen Malaise korrespondiert mit dem Leistungsindividualismus und dem gegen den Staat gerichteten Antikollektivismus: „Große Nationen werden niemals durch private, doch bisweilen durch öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft ruiniert." Krisen sind niemals Resultate der Systemlogik, sondern der naturwidrigen Interventionen des anonymen Kollektiv-organs Staat. Und die prototypischen Beispiele für unproduktive Ausgaben findet Smith denn auch im Staatsverbrauch.

IV. Die Auflösung des materiellen Produktivitätsbegriffs

Die Vorstellung von produktiver Arbeit war bei den Physiokraten und Smith unbeachtet ihrer theoretischen Unterschiede eng mit der materiellen Produktion verbunden. Smiths Fixierung auf die materielle Güterherstellung als einzig produktiv greift selbst noch auf den Bereich der von ihm als unproduktiv angesehenen Luxusausgaben über. Smith differenziert sozusagen zwischen materiellem und immateriellem Luxus: Die Villa, die kostbaren Möbel, die Gemäldesammlung etc. behalten ihren Wert, während die Ausgaben für persönliche Dienste, für üppige Gelage und dgl. ein für alle Mal verloren sind. Ganz abgesehen davon, daß . Ausgaben für dauerhafte Güter gewöhnlich mehr Menschen Unterhalt (gewähren) als solche für die großzügigste Gastfreundschaft.“

Das materiell verengte Produktivitätsverständnis Adam Smiths war weder logisch stringent noch konnte es hinreichende Plausibilität beanspruchen. Auf die logische Unstimmigkeit in Smiths Bestimmung von produktiv/unproduktiv hat, wie erwähnt, Marx hingewiesen. Die bürgerliche Ökonomie des 19. Jahrhunderts hakte jedoch nicht bei diesem logischen Problem ein, sondern brachte empirische Argumente vor, wie sie in dem Zitat Friedrich Lists deutlich werden Vor allem verliert das materielle Produktivitätskonzept jegliche Plausibilität, wenn in wachsendem Maße „geistige" Dienstleistungen unmittelbar im Akkumulationsprozeß genutzt werden. Saint-Simon wirkt in diesem Punkt sehr viel ralistischer, wenn er Wissenschaftler, Künstler, Ingenieure, Ärzte, Unternehmer usw.den Handwerkern und Arbeitern gleichstellt und die unproduktiven Gesellschaftsmitglieder beim regierenden Adel, den Ministerialen, den Militärs und beim Klerus sucht Bel Saint-Simon wird die Bestimmung von produktiv und unproduktiv ohne theoretische Klärung nur noch als polemische Qualifizierung verwandt: Unproduktiv wird mit unnütz, produktiv mit nützlich identifiziert. Wenn aber Nützlichkeit zum Kriterium der Abgrenzung von produktiv und unproduktiv erhoben wird, so stellt sich die Frage, ob denn in einem idealtypischen Konkurrenzsystem, dem die Klassiker naturgemäße „Harmonie" zuschrieben, überhaupt Nutzloses produziert und damit unproduktive Arbeit geleistet wird. Rechtfertigt sich nicht vielmehr jede Produktion per se, sofern eben nur die konkurrenzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden? Diese Überlegung gewann in der weiteren Entwicklung der Diskussion über produktive und unproduktive Arbeit mehr und mehr Bedeutung, bis schließlich die explizite Abgrenzung der beiden Begriffe überhaupt als sinnlos erschien.

Jean Baptiste Say leitete diesen Neuansatz mit der Feststellung ein, daß Arbeit gar keine Stoffe, also Materialien hervorbringe, sondern nur Nützlichkeiten:

. Was wir hervorbringen oder hervorzubringen wünschen, ist immer nur eine Nützlichkeit. Arbeit schafft keine Gegenstände, sondern Nützlichkeiten."

Vom Nützlichkeitsstandpunkt aus betrachtet lassen sich jedoch materielle Güter und Dienstleistungen nicht mehr als produktiv und unproduktiv voneinander scheiden. Alle Arbeit wird letztlich zu produktiver Arbeit und eine Differenzierung erscheint allenfalls noch im Sinne von direkter und indirekter Produktvität sinnvoll Sofern noch von unproduktiver Arbeit gesprochen wird, handelt es sich um ineffizienten Faktoreinsatz etwa durch künstliche Verlängerung von Transportwegen, durch produktionstechnisches Unvermögen und dgl. Der Begriff der Unproduktivität wird in dem eingangs erwähnten Sinn geringerer „statistischer Produktivität" benutzt. Eine systemlogische oder wirtschaftsethische Bestimmung der Kategorien produk-

tiv/unproduktiv entfällt hingegen. Diese Sichtweise verdankt sich der Durchsetzung der subjektiven Wertlehre. Im Grenznutzendenken ist logisch kein Platz für die kategoriale Unterscheidung von produktiv und unproduktiv. Mit dem veränderten theoretischen (Problem-) Bewußtsein tritt sozusagen auch ein realer Phänomenschwund ein, d. h. die Realität wird nunmehr anders wahrgenommen. Die ehemals klare Differenzierung zwischen produktiv und unproduktiv verschwimmt bis zur Unkenntlichkeit. Beispielhaft sei aus Harms Handbuchartikel aus dem Jahre 1909 zitiert „Im übrigen wird man in der modernen Verkehrswirtschaft den Kreis der mittelbar produktiv tätigen Personen nicht zu eng ziehen dürfen, denn irgendwie beeinflußt der größte Teil der überhaupt wirtschaftlich Arbeit Leistenden — nur von diesen ist hier die Rede — die unmittelbar produktiven Wirtschaftssubjekte schließlich doch. Die Intensität dieser Beeinflussung ist graduell freilich sehr verschieden. Was schließlich diejenigen Wirtschaftssubjekte betrifft, die unproduktive Arbeit leisten, so ist deren Zahl verhältnismäßig klein. Und selbst bei den in der Regel als hierher gehörige bezeichneten Berufen wie Geistlichen, Schauspielern, Musikern, Sängern, Inhaber von Vergnügungslokalen einem Teil der Gelehrten und Schriftsteller, Dichtern, Theater-direktoren, Tanzmeister usw. ist zu beachten, daß von diesen Personen nicht selten ein positiver Einfluß auf die Schaffensfreudigkeit und Arbeitstreue der mittelbar und unmittelbar produktiv tätigen Menschen ausgeht.“

In Harms unsicheren Ausführungen spiegelt sich die unentschieden gebliebene Produktivitätsdebatte wider, die im Verein für Sozialpolitik im Jahre 1909 geführt worden war

V. Unproduktive Arbeit als gesellschaftskritischer Begriff

Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wuchs die neoklassische Wirtschaftstheorie mit ihrer wertsubjektivistischen Grundlage zur herrschenden Schule der bürgerlichen Ökonomie heran. Unter dem Einfluß des grenznutzentheoretischen Denkens verloren das Problem der produktiven und unproduktiVen Arbeit — und parallel dazu — die Luxus-frage mehr und mehr Bedeutung für die etablierte Universitätsökonomie. Bereits bei oberflächlicher Betrachtung wird verständlich, daß mit der Abkehr von der für die Klassiker noch verbindlichen Arbeitswertlehre auch eine differenzierende Betrachtung der Arbeit im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Qualitäten hinfällig werden mußte. Herbert Marcuse hat auf das große Defizit der modernen Nationalökonomie hingewiesen, die jegliches Gespür für die ontologische Qualität von Arbeit als — wie Marcuse formuliert — „ein das Sein des menschlichen Daseins selbst und als solches begreifender Begriff verloren hat. Symptomatisch, daß in der jüngsten Auflage des wirtschaftswissenschaftlichen Standard-handbuchs deutscher Sprache dem Begriff Arbeit kein eigener Sachwortartikel mehr gewidmet ist.

Der Aufstieg der neoklassischen Theorie verlief nicht ungebrochen. In Deutschland behauptete sich bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts die Historische Schule der Nationalökonomie; in den USA entwickelte sich parallel der Institutionalismus, dessen späte Nachfahren heute unter den sogenannten „radical economists" zu finden sind. Die Vertreter der Historischen Schule, die soge-nannten „Kathedersozialisten“, setzten die Verteilungs-und Luxuskritik fort. Ihre wirtschaftsethische Position liegt auf gut idealistischer Linie, wie sie für die Ökonomie am prägnantesten in Fichtes „Geschloßnem Handels-staat'1 formuliert worden war:

. Jeder will so angenehm leben, als möglich: und da jeder dies als Mensch fordert, und keiner mehr oder weniger Mensch ist, als der andere, so haben in dieser Forderung alle gleich recht. Nach dieser Gleichheit ihres Rechts muß die Teilung gemacht werden, so daß alle und jeder so angenehm leben können, als es möglich ist, wenn so viele Menschen, als ihrer vorhanden sind, in der vorhandenen Wirkungssphäre nebeneinander bestehen sollen; also, daß alle ohngefähr gleich angenehm leben können."

Anders als die systemlogisch geleitete Behandlung des Problems produktiver und unproduktiver Arbeit durch den Marxismus wird der Komplex Luxus und unproduktiver Verbrauch von der Historischen Schule in wirtschaftsethischer Sicht behandelt Diese

Sichtweise fand ihre vehementesten Vertreter jedoch außerhalb des engeren fachökonomischen Umkreises und wurde von Außenseitern wie Popper-Lynkeus und Walther Rathenau in eine breitere Öffentlichkeit getragen. Bezeichnenderweise verbindet sich nunmehr mit der Luxuskritik und der Erörterung unproduktiver Ausgaben ein über die kapitalistische Wirtschaft hinausweisender Reform-ansatz. Das Bürgertum in der Epoche des Imperialismus hatte — hierin liegt der markante historische Unterschied zur Zeit der Physiokraten und Adam Smith'— die ökonomische und politische Macht übernommen. Antifeudalistische Ressentiments und Kritik am Verschwendungskonsum einer aristokratischen Oberschicht waren historisch überholt.

Die kritische Begrifflichkeit der klassischen Nationalökonomen hatte sich über den Marxismus und die sozialen Reformbewegungen zu einem theoretischen Instrumentarium gewandelt, das nunmehr vom Proletariat gegen die etablierte bürgerliche Gesellschaft gewandt wurde. Vom Standpunkt dieser Gesellschaftskritik aus stellte sich die „soziale Frage" als Eigentums-und Verteilungsproblem. Nicht der Mangel an akkumulierbarem Kapital, den Smith noch befürchten konnte, schien jetzt den ökonomischen Fortschritt zu begrenzen, sondern im Gegenteil Überakkumulationsund Absatzkrisen bestimmten das Erscheinungsbild der kapitalistischen Industriewirtschaften. Nicht die Steigerung der Produktion, sondern die Ausweitung der Märkte wurde zur vorrangigen Aufgabe. In der Unterkonsumtionstheorie wurde diese neue Lage theoretisch beleuchtet und zugleich auf den Zusammenhang zwischen Krise und Einkommensverteilung verwiesen: der Anstieg der Massenproduktion läuft den nachhinkenden Masseneinkommen davon, so daß es an Kaufkraft fehlt, um das Gesamtangebot an Waren kontinuierlich verkaufen zu können. Während der imperialistischen Epoche vollzog das konkurrenzwirtschaftliche System einen gravierenden strukturellen Wandel. Der forcierte Konzentrationsprozeß führte zur Mo-nopolisierung auf einer wachsenden Zahl von Märkten, speziell in den Schlüsselbereichen der Volkswirtschaft (Montanindustrie, Chemie, Elektroindustrie). Der Übergang vom Konkurrenz-zum Monopolkapitalismus modifizierte auch die Systemlogik: zwar gilt die Profitorientierung nach wie vor, aber die Akkumulationszwänge verändern sich; die investierbaren Kapitalmassen übersteigen wiederkehrend das Volumen rentabler Anlagemöglichkeiten. Damit breiten sich Praktiken der Nachfragebeeinflussung aus, die einen wachsenden Aufwand für Werbung, Vertrieb u. a. Marketingaktivitäten erfordern. Vom quantitativen Umfang beanspruchen diese Ausgaben einen beachtlichen Teil des Volkseinkommens. Überproduktion und die für ihre Ableitung aufgewandten Werbe-und Verkaufsaufwendungen mußten kritischen Betrachtern jedoch als unproduktiv erscheinen. Die Kritik-würdigkeit solcher Erscheinungen gilt um so mehr, als gleichzeitig breite Bevölkerungsschichten nicht einmal das Existenzminimum erreichten. Die sozialökonomische Lage bot somit sehr handfeste Ansatzpunkte, um die Kategorien produktiv/unproduktiv konkret auszufüllen und erneut einen Zusammenhang von unproduktiven Ausgaben und Luxus herzustellen. Darüber hinaus taucht in der Diskussion des Produktivitäts-und Luxusproblems jedoch eine neue Dimension auf; die Frage nach der ästhetischen Qualität bestimmter Produktionen bzw.der Bedürfnisqualitäten, auf die hin bestimmte Produktionen ausgerichtet sind. Rathenau, der hier als repräsentativer Autor der nach der Jahrhundertwende außerhalb der Universitätsökonomie fortgeführten Diskussion der Luxus-und Produktivitätsfrage zu Wort kommen soll, diagnostiziert eine Zerstörung ästhetischer Qualitäten durch die „mechanistische" kapitalistische Produktion. Der immense Ausstoß an „Kitsch, Tand und Häßlichkeit" sei nicht nur unproduktiv und verschwenderisch, sondern deformiere auch das Schönheitsempfinden des Menschen.

Das kapitalistische System zerstört sozusagen Werte im zweifachen Sinn: materielle und im-

materielle. Rathenau greift in seiner Ver-

teilungs-und Luxuskritik auf die älteren Überlegungen der ökonomischen Klassik und der sozialen Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts zurück, wenn er auf die Wachstumsminderungen durch unproduktive Arbeit ver-

weist; mit gleicher Vehemenz beklagt er jedoch auch die allgemeine Geschmacksdeformation, die falsche ästhetische Erziehung im . mechanischen" Zeitalter.

Die ästhetische Warenkritik mag auf den ersten Blick als elitäres, großbürgerliches Au-toritäsgehabe erscheinen, sie steht bei Rathenau jedoch in einem durchdachten reformpolitischen Zusammenhang, ist also keineswegs reaktionär. Rathenaus Forderung nach einer sozial ausgeglichenen Einkommens-und Vermögensverteilung wird nicht nur mit dem materiellen Versorgungsargument gestützt, sondern enthält die Maxime gleicher Bildungsmöglichkeiten. Die Beseitigung des Bildungsprivilegs wird als Voraussetzung für die geistige und „seelische" Höherentwicklung der Gesellschaft begriffen, die dann auch zu einer Veränderung der moralischen und ästhetischen Werte führe:

„Der Sinn aller Erdenwirtschaft ist die Erzeugung idealer Werte. Deshalb ist das Opfer materieller Güter, das sie erfordern, nicht Verbrauchsaufwand, sondern endgültig Erfüllung der Bestimmung.“

„Es bedarf zum Wohlbefinden und zum Glück nicht jener enormen Mengen von Waren, die heute in unseren Läden, in unsern Verkehrsmitteln, in unseren Lagern und Fabriken kreisen, die vielfach häßlich, schädlich und töricht sind; es ist keine Entbehrung, wenn ein Teil dessen, was wir als Genußmittel Jahr für Jahr verzehrt haben, in Zukunft in Deutschland keinen Platz mehr findet. Um so mehr wird die Gemeinschaft darauf hingewiesen, sich den Dingen hinzugeben, die nicht Werke des materiellen Luxus sind, sondern der geistigen Atmosphäre entstammen. Die Kunst ist kein Luxus, sondern Selbstzweck, und je mehr wir hingeführt werden von trivialen Käuflichkeiten zu denjenigen Werten, die absolut sind, zu den Werken der Kunst und zu den Werken der Natur, desto mehr werden wir Geister und Herzen bereichern und beglücken."

Die „idealistischen" Forderungen verbinden sich jedoch immer wieder mit sehr handfester Verteilungskritik, wenn Rathenau die „Umwandlung von törichten in nützlichen Verbrauch" verlangt, so sagt er auch immer, wer der Adressat ist:

„Was der Reiche an Rechten und Mitteln zu-viel hat, ist das, was dem Staate fehlt, zwischen der Gemeinschaft und ihm besteht ein unüberbrückbarer Antagonismus des Besitzes." Und:

„Die Arbeitsjahre, die der Herstellung einer kostbaren Nadelarbeit, eines gewobenenSchaustückes dienen, sind unwiderruflich der Bekleidung der Ärmsten entzogen ...

Der emphatische Stil Rathenaus klingt oft etwas befremdend, aber seine Überlegungen zielen in die gleiche Richtung wie die jüngere Konsumkritik, die von psychoanalytisch orientierten Autoren wie Erich Fromm und Vertretern der „Kritischen Theorie" vorgetragen wurden. Der traditionelle Ansatz der Luxuskritik und der Phänomenbeschreibung mit Hilfe der Kategorie „unproduktiv" erfuhren eine Erweiterung im Sinne einer allgemeinen Konsumkritik und der Kritik an bestimmten als Entfremdungssymptome anvisierten Bedürfnissen Der bedürfniskritische Ansatz zur Bestimmung produktiver und unproduktiver Arbeit steht in sehr viel lockererem Zusammenhang zu spezifischen Klasseninteressen, als dies bei der Luxuskritik und der klassischen Bestimmung unproduktiver Arbeit der Fall war. Beschränkt sich die jüngere Bedürfniskritik doch keineswegs auf den demonstrativen Konsum der Oberschicht, sondern greift den Konsumstil in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften schlechthin an. Der unproduktive Aufwand, der den „falschen" Bedürfnissen folgt, wird primär auch nicht mehr als ein Verteilungsproblem gesehen, d. h. auch relativ nivellierte Verteilungsstrukturen sind noch keine hinreichende Bedingung für ein verändertes Konsumverhal-ten. Denn der Habenmodus — um den Begriff Fromms zu verwenden — verstärkte sich ja gerade in dem Maße, in dem auch breiteren Bevölkerungsschichten Güter des gehobenen Konsums zugänglich wurden. In letzter Konsequenz führt der bedürfniskritische Ansatz zu der These, daß unter den Bedingungen entwikkelter Industriesysteme einfach zuviel gearbeitet, zu viel produziert und deshalb auch zu viel konsumiert wird.

Die Konsumorientierung impliziert eine arbeitsorientierte Lebenshaltung. Zu viel der endlichen Lebenszeit wird für Arbeit bzw. Konsum verausgabt; die vom technisch-wissenschaftlichen Entwicklungsstand her mögliche Entlastung des Menschen von Arbeit und Konsumzwängen bleibt latent Trotz evidenter Sättigungsphänomene auf vielen Märkten werden Wachstum und Einkommenserhöhung als dominierende Systemziele beibehalten. Der dialektische Kreislauf von Konsum-druck und Bedürfnisdruck verdrängt die kritische Reflexion über die Vernünftigkeit einer solchen Situation. Friedrich Kambartel hat in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der „bedürfniskritischen ... Bewältigung von ökonomischen Mangelsituationen" hingewiesen und angeregt, in eine Diskussion über die Berechtigung von Interessen und darauf bezogenen Güterproduktionen einzutreten, um „vernünftige” von bloß „faktischen" Interessen zu sondern Wie man etwa zu einer solchen vernunftbestimmten Qualifizierung von Interesse, Produktion und Arbeit gelangen kann, sei abschließend erörtert.

VI. Produktive Arbeit und menschliche Vernunft

Betrachtet man die Reichtumsverteilung auf der Erde, so — das ist eine Hypothese — wird man in einem möglichst vorurteilsfrei geführten Diskurs zu der Ansicht gelangen, daß die Verteilungsstrukturen unvernünftig sind. Die Irrationalität der Situation widerspricht jedoch nicht nur den vernünftigen, weil existenziellen Interessen der benachteiligen Massen, sondern das Verteilungsproblem birgt auch existenzielle Risiken für die reichen Volkswirtschaften. Die beiden größten Gefahren lassen sich mit den Kurzformeln „Hunger und Krieg 1'sowie „Selbstzerstörung der Wachstumswirtschaft" umreißen.

Das erste Risiko besteht in Entwicklungen, die im Zuge weiterer Verelendung der Dritten Welt zu einer Intensivierung militärischer und terroristischer Auseinandersetzungen führen können. Je infamer die Verteilungsstrukturen auf der Erde werden, desto gefährdeter ist der Weltfriede. Da die weltwirtschaftlichen Mechanismen äußerst sensibel auf politische, erst recht militärische Konflikte reagieren und die hieraus resultierenden Wirtschaftskrisen offenkundig Verluste und Wohlstandseinbußen nach sich ziehen, müssen Interessen, die einem Abbau der weltweiten Verteilungsdiskrepanzen entgegenstehen, als unvernünftig gelten. Die auf solche Interessen bezogenen Produktionen sind somit unproduktiv in dem sehr konkreten Sinn, daß sie zerstörend wirken.

Das zweite Risiko wird durch die wachsenden Sozialkosten, die Ressourcenerschöpfung und die relative Nutzenverschiebung zwischen mehr Einkommen und mehr Freizeit hervorgerufen. Wirtschaftswachstum läßt sich bereits heute nicht mehr bedingungslos mit steigendem Wohlstand identifizieren. Im Hinblick auf die künftigen Folgen heutigen Wachstums gewinnt jedoch die These an Plausibilität, daß der Ressourcenverbrauch für nebensächliche, unwichtige, überflüssige, gar schädliche Produktionen heute zu Lasten lebenswichtiger Versorgung in der Zukunft geht. Die Studien des „Club of Rome" haben in den siebziger Jahren die prinzipielle Bedeutung dieses Problems erkennen lassen.

Unter Beachtung der skizzierten existenziellen Risiken gewinnt der Versuch, vernunftbestimmte Bedürfnisse und Produktionen von unvernünftigen abzugrenzen, ein festes Fundament. Damit erhalten auch die Kategorien produktiv/unproduktiv eine konrete aktuelle Bestimmung: eine Bestimmung, die zwar auf die historische Situation bezogen ist, nichtsdestoweniger aber Sinn und Geltung beanspruchen darf. Die konkrete Bestimmung der Kategorien produktiv/unproduktiv muß heute weit über die traditionelle Luxuskritik und die systemlogische Ableitung produktiver und unproduktiver Arbeit hinausgreifen und Zuordnungen vornehmen, die am Kriterium des Uberlebensrisikos der Menschheit orientiert sind. Vielleicht liegt es an dieser gewaltigen Dimension, die die Kategorien produktiv/unproduktiv in der Gegenwart eingenommen haben, daß die Fachökonomie hier nur einen Phänomenschwund zu konstatieren vermag. Unter dem Aspekt der Herstellung menschenwürdiger Verhältnisse auf der Erde und der außerordentlichen praktischen Bedeutung für den Weltfrieden die alle in diesem Zusammenhang relevante Überlegungen haben, läßt sich die Frage stellen: Gibt es produktive und unproduktive Bedürfnisse, Interessen und Werturteile in dem Sinne, daß jeweils Bezüge zur Sicherung oder Bedrohung des Friedens hergestellt werden können? Es geht also um die Frage, ob die Qualifizierung von Bedürfnissen, Interessen und Werturteilen vom Kriterium der Förderung oder Behinderung jenes konsensfähigen Wertes, den Weltfrieden zu erhalten, sinnvoll ist. Wird dies bejaht, so hat dies auch unmittelbar Bedeutung für die Qualifizierung ökonomischen Aufwandes als produktiv bzw. unproduktiv. Denn es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Bedürfnissen, Interessen und Werturteilen einerseits und der Verwendung wirtschaftlicher Güter andererseits. In einer Welt, in der die Zahl der hungernden Menschen größer ist als jemals zuvor; in der aber auch der Reichtum und der Umfang unvernünftiger Produktionen ein bisher einmaliges Ausmaß erreicht hat, provozieren die Verhältnisse geradezu Luxuskritik und die Debatte darüber, Was produktiv und was unproduktiv ist. Wenn die Fachökonomie diese Problemlage kaum erörtert, schon gar nicht zu einem zentralen Thema erhebt, so ist dies nicht nur eine Begrenzung des Erkenntnisobjektes, sondern spiegelt auch ein bestimmtes Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaft wider. Die Wirtschaftswissenschaft hat es mit Problemen der materiellen Existenzsicherung zu tun. Diese existenzielle Problematik wird jedoch überwiegend unter dem Aspekt der Mehrproduktion, der quantitativen Produktionssteigerung betrachtet — und nicht als wissenschaftlich zu behandelnde Verteilungsfrage. Letzteres hieße nämlich u. a., daß nicht nur physiologische und soziale Existenzmi-nima ermittelt werden — eine Aufgabe, der sich in der Regel nicht die Wirtschaftswissenschaftler widmen —, sondern daß wissenschaftlich fundierte Lösungen angestrebt werden, wie man Verteilungsstrukturen auch ohne Wachstum ändern kann. Ein solcher Ansatz müßte mit den herrschenden Denkweisen auch die herrschende Begrifflichkeit der Ökonomen sehr weitgehend verändern und den Kategorien produktiv und unproduktiv wieder Geltung verschaffen. Dies sei abschließend kurz an dem landläufigen, positiv besetzten Begriff des Leistungsprinzips erläutert. Die marktwirtschaftliche Theorie rechtfertigt bzw. begründet Verteilungshierarchien mit Rückgriff auf das Leistungsprinzip, und zwar in der subtilen Fassung der Grenzproduktivitätstheorie Mit der Rechtfertigung der Verteilungshierarchien wird zumindest implizit auch eine Rechtfertigung für alle Folgewirkungen des Leistungsprinzips geliefert; u. a. also auch eine Rechtfertigung von Luxus, unproduktiver Arbeit und dgl. Die Rechtfertigung geht, wie erwähnt, so weit, daß überhaupt auf die Problematisierung von Luxus und unproduktiver Arbeit verzichtet wird. — Unterstellt sei, daß die konkurrenzwirtschaftliche Theorie Recht hat und Armut und Elend, so bedauerlich sie selbst Konkurrenztheoretikern erscheinen mögen, letztlich durch unzureichende Leistung, also Leistungsschwäche, erklärt bzw. begründet werden können; wobei keine Rolle spielt, ob die Leistungsschwäche persönlichem-Versagen oder bestimmten sozialökonomischen Strukturen zuzurechnen ist. Wenn andererseits die Überlebenschance der Menschheit davon abhängt, daß die weltweiten Verteilungsdiskrepanzen relativ schnell überwunden werden, so könnte man nach einigem Nachdenken zu der Hypothese gelangen, daß die weltwirtschaftliche Organisation nach Maßgabe des Leistungsprinzips im Gegensatz zum höheren Interesse am überleben der Menschheit steht. Das Leistungsprinzip erwiese sich dann in gewissem Sinn als unproduktiv, weil (selbst-) vernichtend. Allerdings läßt sich hier entgegenhalten, daß es gar nicht um ein Zurückdrängen des Leistungsdenkens, eine Modifikation des Leistungsprinzips geht, sondern um eine andere Qualität dessen, was überhaupt Leistung genannt werden darf. Nicht die Kategorie Leistung ist problematisch, sondern die undifferenzierte Ausfüllung des Leistungsbegriffs: die fraglose Hinnahme jedes Tauschwertes als Leistung, die affirmative Auszeichnung jeder marktgängigen Produktion als produktiv, die Rechtfertigung der-Verteilungshierarchien als leistungsgerecht bezeichnen den Kern des Problems. Mit dem Verlust der Kategorie „unproduktiv“ verlor die Wirtschaftstheorie die Fähigkeit, die Dialektik von Produktion und Zerstörung auf den Begriff zu bringen. Gegenüber der Irrationalität der Wirklichkeit erblindete die Anschauung der Ökonomen mangels adäquater Begriffe. Doch liegt hierin kein subjektives Versagen, sondern die wissenschaftliche Wahrnehmungstrübung korrespondiert mit der globalen Selbsttäuschung der Wachstumsgesellschaften über die „Produktivität" ihres Verhaltens. Diese Selbsttäuschung ist selbst eine Facette des unproduktiven Charakters der gegenwärtigen Weltwirtschaft und ihrer theoretischen Kritikdefizite. Eine „produktive" Wirtschaftswissenschaft hätte die Aufgabe, in kritischer Begrifflichkeit jene Selbsttäuschung zu beheben und die den Psychiatern, Psychologen, Medizinern u. a. geläufige Unterscheidung von produktiven und unproduktiven Bedürfnissen im Sinne von lebensnützlichen und lebensschädlichen ökonomisch zu wenden, um die Wirtschaft zu ihrer humanen Aufgabe zurückzuführen, nämlich allen Menschen das Leben zu sichern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Unter „Neoklassik" wird die Fortführung der klassischen Nationalökonomie (A Smith, D. Ricardo, J. B. Say u. a.) im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verstanden. Die maßgeblichen Autoren waren Alfred Marshall (1842— 1924) und Lon Walras (1834— 1910). Gemeinsam sind Klassik und Neoklassik die Betonung des Wettbewerbs als soziales Regulativ und die These vom harmonischen Zustand einer Konkurrenzwirtschaft bzw. -gesellschaft.

  2. Vgl.den Art. . Arbeit“ in der 1. bis 4. Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften sowie im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Im Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften (Bd. 1, 1977) fehlt ein selbständiger Artikel . Arbeit" völlig.

  3. Vgl. zur begrifflichen Vielfalt der arbeitsorientierten Wirtschaftstheorie: Lexikon der Wirtschaft. Arbeit, Berlin (DDR) 19702, S. 30 ff.

  4. Vgl. Werner Hofmann, Theorie der Wirtschaftsentwicklung. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart, Berlin 19712, S. 33— 45.

  5. Vgl. Werner Conze, Arbeit, in: O. Brunner/W. Conze/R, Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen sPrsahe in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1972,

  6. Zitiert nach: Werner Sombart, Liebe, Luxus und Kapitalismus, München 1967, S. 153.

  7. Zitiert nach Sombart, a. a. O., S. 151.

  8. Siehe Analyse der Lehre Babeufs, in: T. Ramm (Hrsg.), Der Frühsozialismus. Quellentexte, 2. A., Stuttgart o. J., S. 6 f.

  9. Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, hrsg. v. H. C. Recktenwald, München 1978, S. 272 ff.

  10. Karl, Marx, Theorien über den Mehrwert, TL 1, in: MEW, Bd. 26/1, Berlin 1965, S. 127 ff.

  11. Vgl. Klaus Schäfer/Jacques Nagels, Adam Smith über produktive und unproduktive Arbeit — Denkanstöße für die politische Ökonomie des Sozialismus, in: Adam Smith gestern und heute — 200 Jahre „Reichtum der Nationen“, Berlin (DDR) 1976, S. 214 ff.; Barbara Lietz, Die kritische Verarbeitung der ökonomischen Auffassungen von Adam Smith als Impuls zur Herausbildung der Theorie über produktive und unproduktive Arbeit bei Karl Marx (1857— 1863), in: Peter Thal (Hrsg.), 200 Jahre Adam Smith'„Reichtum der Nationen", Berlin (DDR) 1976, S. 119— 122; Jacques Nagels, La Conception du tra-vail productif des mercantilistes A A Smith et les rapports entre l'analyse Smithienne et Marxiste du travail productif, in: ebd., S. 123— 130; Kvetoslav Roubal, Adam Smith und die Entfaltung der produktiven Arbeit im Prozeß der wissenschaftlich-technischen Revolution im Kapitalismus und im Sozialismus, in: ebd., S. 238— 245.

  12. Zitiert nach: Georg Adler, Art. . Arbeit", in: Wörterbuch der Volkswirtschaft, Bd. 2, Jena 19062, S. 117.

  13. Smith, Wohlstand der Nationen, a. a. O., S. 277.

  14. Marx, Theorien über den Mehrwert, Tl. I, a. a. 0, S. 122; vgl. auch Schäfer/Nagels, Adam Smith über produktive und unproduktive Arbeit, a. a. O. S 205__ 227.

  15. Schäfer/Nagels, Adam Smith über produktive und unproduktive Arbeit, a. a. O., S. 206.

  16. Smith, Wohlstand der Nationen, a. a. O., S. 279.

  17. Max Scheler, Die Zukunft des Kapitalismus, in: 1915, Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 2, Leipzig

  18. Vgl. Smith, Wohlstand der Nationen, a. a. O„ S. 279.

  19. Smith, Wohlstand der Nationen, a. a. O., S. 282.

  20. Scheler, Die Zukunft des Kapitalismus, a. a. O., S. 398; Werner Sombart, Der Bourgois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen, München/Leipzig 1913, S. 164 ff., 259 ff. passim; vgl. auch hierzu Max Schelers Rezension „Der Bourgois“ in: Max Scheler, Vom Umsturz der Werte, Bern 1955, S. 343— 361.

  21. Scheler, Zukunft des Kapitalismus, a. a. O„ S. 383: „Der Kapitalismus ist an erster Stelle kein ökonomisches System der Besitzverteilung, sondern ein ganzes Lebens-und Kultursystem.

  22. Smith, Wohlstand der Nationen, a. a. O„ S. 282.

  23. Ebd.

  24. Smith ebd., fährt fort: „Von dem Essen, das gelegentlich einer großen Festlichkeit aufgetischt wird, mag vielleicht die Hälfte der zweihundert oder dreihundert Pfund auf den Misthaufen wandern."

  25. Siehe oben Fußnote 12. Vgl. F. List, Arbeit, in: Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, 2. A., Bd. I, Atona 1845, S. 607: „Die Arbeit ist produktiv, entweder indem sie Tauschwerthe hervorbringt, oder indem sie die productiven Kräfte vermehrt."

  26. Henri de Saint-Simon, Parabel, in: Ramm, Früh Sozialismus, a. a. O., S. 83 ff.

  27. Zitiert nach Harms, Bernhard, Art. . Arbeit“, in: HdStw, Bd. 1, Jena 19093, S. 576.

  28. Harms, a. a. O.

  29. Harms, Arbeit, a. a. O„ S. 577; vgl. auch die relativierende Charakterisierung von produktiv und unproduktiv bei Georg Adler, Art . Arbeit", in: Wörterbuch der Volkswirtschaft, 2. A, Jena 1906, S. 116 f.

  30. Eugen von Philippovich, u. a., Die Produktivität der Volkswirtschaft, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 132, Leipzig 1910.

  31. Herbert Marcuse, über die philosophischen Grundlagen des wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitsbegriffs, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 69, 1933, S. 257— 292 (hier: S. 260).

  32. Johann Gottlieb Fichte, Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre, und Probe einer künftig zu liefernden Politik, hrsg., u. eingeleitet von Hans Hirsch, Hamburg 19793, S. 16.

  33. Heinrich Herkner, über Sparsamkeit und Luxus vom Standpunkt der nationalen Kultur-und Sozialpolitik, in: Jahrb. für Gesetzgebung u. Verwaltung, 1896, S. 1 ff.

  34. Josef Popper-Lynkeus, Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage, Dresden 1912.

  35. Walther Rathenau, Gesammelte Schriften in 5 Bänden, Berlin 1918; Bd. 3: Von kommenden Dingen; Bd. 5: Probleme der Friedenswirtschaft, S. 5993.

  36. Rathenau, Von kommenden Dingen, a. a. O., S. 102.

  37. Rathenau, Probleme der Friedenswirtschaft, a. a. O., S. 77.

  38. Rathenau, Von kommenden Dingen, a. a. O., S. 107 f.

  39. Ebd., S. 116.

  40. Ebd., S. 92.

  41. Erich Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (1976), Stuttgart 1979.

  42. Etwa das klassische Werk von Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (1964), Neuwied/Berlin 1967. — Vgl. zur Verschiebung des Sozialisationstypus im Übergang vom Konkurrenz-zum Monopolkapitalismus: Häsing, Stubenrauch, Ziehe, Hrsg., Narziß. Ein neuer Sozialisationstypus?, Bensheim 19792, S. 141 f.

  43. P. A. Rovatti/G. Jervis u. a„ Die Entdeckung der Bedürfnisse. Sinnbesümmung einer menschlichen Produktivkraft, Frankfurt/M. 1980.

  44. Friedrich Kambartel, Bemerkungen zum normativen Fundament der Ökonomie, in: J. Mittelstraß (Hrsg.), Methodologische Probleme einer normativ kritischen Gesellschaftstheorie, Frankfurt/M. 1975, S. 109; ders., Ist rationale Ökonomie als empirisch-quantitative Wissenschaft möglich?, in: J. Mittelstraß (Hrsg.), Methodenprobleme der Wissenschaften vom gesellschaftlichen Handeln, Frankfurt/M. 1979, S. 299 ff. Vgl. zur Wohlstandserhöhung durch Bedürfniswandel auch F. Duve (Hrsg.), Technologie und Politik, Bd. 12: Die Zukunft der Ökonomie 1. Reinbek 1979 (darin v. a.: W. Leiss, Die Grenzen der Bedürfnisbefriedigung, S. 128 ff.; M. Sahlins, Ökonomie der Fülle — Die Subsistenzwirtschaft der Jäger und Sammler, S. 154 ff.).

  45. Kambartel, Bemerkungen zum normativen Fundament, a. a. O., S. 112L, passim.

  46. Vgl. K. G. Zinn, Verteilung, Bedürfnisse und Surplusverzehr, in: H. Klages/P. Kmieciak (Hrsg.), Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel, Frankfurt/M. -New York 1979, 667— 678.

  47. Die Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung besagt, daß unter konkurrenzwirtschaftlichen Verhältnissen die verschiedenen Produktionsfaktoren, speziell die Arbeit, entsprechend ihrem produktiven Beitrag zum Sozialprodukt entgolten werden. Die Grenzproduktivität wird hierbei primär als technisch bestimmte Größe verstanden; so erhöht etwa der Rationalisierungsprozeß die (Grenz-) Pro-duktivität der Arbeit, so daß dann auch die Löhne steigen könnten. Andererseits führe aber ein Lohn-satz, der über jener technisch bedingten Arbeitsproduktivität liegt, zu einer Einsparung von Arbeit (Arbeitslosigkeit) und zu verstärktem Einsatz von Kapital: Arbeit wird durch Maschinen ersetzt.

  48. Vgl. Kurt Lenk, Dialektik bei Marx. Erinnerung an den Ursprung der kritischen Gesellschaftstheorie, in: Soziale Welt, Bd. 19, 1968, H 3/4, S. 281: „Millionen werden damit beschäftigt, Vernichtungsmittel zu produzieren, die sich nicht bloß gegenüber den Produzenten verselbständigen, sondern diese bereits unmittelbar in ihrer ganzen Existenz bedrohen. Die Entfremdung der Arbeiter vom Produkt gewinnt so angesichts der wachsenden Rüstungsausgaben in den fortgeschrittenen Industrieländern eine neue Qualität: Die Arbeiter produzieren, um leben zu können, ihre eigene Vernichtung." — Vgl auch K. G. Zinn, Die Selbstzerstörung der Wirtschaftsgesellschaft, Reinbeck bei Hamburg (Herbst 1980).

  49. Man stelle sich einmal vor, daß die negativen Urteile der Theologen, Mediziner, Psychologen etc. über all das, was von den Wirtschaftswissenschaftlern pauschal als Leistung verzeichnet und als „ökonomisch" gerechtfertigt wird, handlungsrelevant würde; wir müßten eine ganz andere Ökonomie schaffen.

Weitere Inhalte

Karl Georg Zinn, Dr. rer. pol., geb. 1939, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Veröffentlichungen u. a.: Basistheorie des ökonomischen Wohlstandes in der Demokratie, Wiesbaden 1970; Sozialistische Planwirtschaftstheorie, Stuttgart u. a. 1971; Wohlstand und Wirtschaftsordnung, Darmstadt 1972; Allgemeine Wirtschaftspolitik, Stuttgart 19742; Wirtschaftszusammenhänge verständlich lehren. Volkswirtschaft für Pädagogen der Sekundarstufe I und II, München u. a. 1976; Wirtschaft und Wissenschaftstheorie, Herne u. a. 1976; Preissystem und Staatsinterventionismus, Köln 1978; Der Niedergang des Profits, Köln 1978; Strategien gegen die Arbeitslosigkeit (Hrsg.), Köln 1977; Die Selbstzerstörung der Wirtschaftsgesellschaft, Reinbek 1980.