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Ideologie und Machtdenken in der sowjetischen Außenpolitik | APuZ 37/1981 | bpb.de

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APuZ 37/1981 Ideologie und Machtdenken in der sowjetischen Außenpolitik

Ideologie und Machtdenken in der sowjetischen Außenpolitik

Carl H. Lüders

/ 104 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Verfasser geht den Motiven der sowjetischen Außenpolitik nach. Er sieht die marxistisch-leninistische Ideologie als das Fundament der langfristigen Zielsetzung und weiträumigen Strategie der Außenpolitik der SU an. Fernziel ist die Ablösung des Imperialismus durch den Sozialismus. Die Strategie ist darauf gerichtet, diesen geschichtlichen Prozeß zu fördern: — in der Dritten Welt durch Ermutigung der Völker, sich vom Imperialismus freizumachen, und nach erfolgreichem Freiheitskampf durch den Rückhalt der werdenden Welt-macht Sowjetunion; — in Europa durch friedliche Koexistenz und militärische Absicherung; — gegenüber den USA durch globales Kräftegleichgewicht (das die Amerikaner verweigern) und damit durch eine Neutralisierung der militärischen Führungsmacht des Westens, um so dem Trend der Geschichte zur Durchsetzung zu verhelfen; — im Sowjetblock durch Zerschlagung jedweder konterrevolutionären Entwicklung und durch Konzentration militärischer Macht, die einen roll-back of socialism verhindert. Der Verfasser geht dann auf die geschichtliche Entwicklung des nuklearen Rüstungswettrennens zwischen den USA und der Sowjetunion ein. Die NATO-Strategien, der SALT-Prozeß, das vergebliche Bemühen der MBFR-Konferenz werden behandelt. Die europäischen NATO-Staaten sind hierbei mehr Objekt als Subjekt der Verhandlungen und Entschlüsse. Breschnew sichert sich in den siebziger Jahren durch neue moderne nukleare Mittelstrekkensysteme eine gewisse militärische Überlegenheit in Europa, während die USA ihre globale Überlegenheit bewahren. Gegenwärtig macht sich die Sowjetführung ernste Sorgen über die Weltlage und bemüht sich, mit den USA in Verhandlungen über Mittelstreckensysteme einzutreten. Diese Waffen werden in Moskau als große Gefahr angesehen. Das Zögern der Sowjetunion, nach bewährtem Muster (Ungarn 1956, SSR 1968) in Polen zu intervenieren, führt der Verfasser auf die Befürchtung Moskaus zurück, damit die Tür zu Verhandlungen mit den USA zuzuschlagen und die Europäer in das nicht-entspannungsfreündliche Lager der USA zu treiben. Die Implikationen des Nachrüstungsbeschlusses der NATO vom Dezember 1979, analysiert aus der Sicht des Kreml, beschließen die Darstellung.

C. H. Lüders versucht, aus eigener Erfahrung während seines diplomatischen Dienstes im Umgang mit Vertretern der sowjetischen Führung bestimmte wiederkehrende Verhaltensweisen des Kremls zu analysieren. Eine gewisse Konstanz in den Aktionswie Reaktionsweisen führt der Autor auf die nach wie vor gültige ideologische Orientierung der sowjetischen Innen-und Außenpolitik zurück. Um diese ideologisch geprägten Positionen der Kreml-Führung möglichst authentisch und damit für den westlichen Leserin aller Deutlichkeit hervorzuheben, verzichtet der Autor im Text auf den distanzierenden Konjunktiv eines Berichtes. Das Fehlen jeglicher Kritik verführt den Leserbisweilen zu derAnnahme, der Verfasser identifiziere sich mit den sowjetischen Ansichten. Dies ist jedoch unzutreffend. Es geht dem Autorlediglich darum, die Ansichten der sowjetischen Führung so darzustellen, wie sie von dort formuliert werden, um ein möglichst eindeutiges Bild der sowjetischen Lagebeurteilung zu erhalten. Die Redaktion 1971 wurde ich nach Moskau versetzt -Ich fand im dortigen Diplomatischen Corps zwei grundverschiedene Auffassungen über die Motive der sowjetischen Außenpolitik vor: Die einen — wohl die Mehrheit — vertraten die Ansicht, die Machtpolitik der Sowjetunion unterscheide sich nicht grundsätzlich von der des Russischen Zarenreiches. Die marxistisch-leninistische Ideologie spiele im Bereich der Außenpolitik eine geringere Rolle, bestenfalls als propagandistische Motivierung für traditionsbewußte Kommunisten. — Andere dagegen, unter westlichen Diplomaten eine Minderheit wiesen der Ideologie eine vorrangige Bedeutung zu. Sie bestimme letztlich für Partei und Staat die allgemeine Richtung der Außenpolitik im weitesten Sinne Außerdem lege die Ideologie den Rahmen der Strategie fest, mit der das Fernziel Weltrevolution angesteuert werde.

I. Zum Thema

Abbildung 1

Damit ist das Thema dieses Aufsatzes umrissen: Wird die Außenpolitik der Sowjetunion — wie bei allen Großmächten der Geschichte — letztlich vom Machtdenken bestimmt? Oder schreibt die marxistisch-leninistische Ideologie die großen Linien der Außenpolitik vor? Rechtfertigt womöglich der Leninismus im letzteren Falle eine Strategie staatlicher Machtpolitik?

Ein unglaublich aktuelles Thema. Der Westen ist heute besorgt, wenn nicht bestürzt über die sowjetische Aufrüstung: über die modernen Mittelstreckenraketen der Sowjetunion, die auf Westeuropa gerichtet sind; über das stete Mordringen des sowjetischen Einflusses in der Dritten Welt; über den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan; über die Entschlossenheit der sowjetischen Führer, Polen wieder in den Griff zu bekommen. Staatsmänner und Politiker beschäftigen sich allerorten mit der Frage, welche Politik jetzt gegenüber der Sowjetunion eingeschlagen werden sollte, welches globale Konzept zu entwickeln ist. Die entscheidende Vorfrage aber wird vernachlässigt: Was sind die Motive der sowjetischen Außenpolitik, was sind die Absichten der sowjetischen Führung?

Zeitungsnachrichten zufolge hat Carter nach Bekanntwerden des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan erklärt (dem Sinne nach): „Breschnew hat mich getäuscht. Ich habe an diesem einen Tag mehr über das Wesen der sowjetischen Machtpolitik gelernt als in meinem ganzen Leben." Welch unglaubliches Bekenntnis des Lenkers der westlichen Führungsmacht! Nicht nur das Eingeständnis, daß er sich ein Leben lang nicht ernsthaft mit den Motiven der sowjetischen Außenpolitik auseinandergesetzt hat, sondern auch der Irrglaube, man könne das Wesen einer Politik auf Grund eines einzigen gerade aktuellen Ereignisses erkennen.

Das Thema ist umfangreich. Gilt es doch, die gesamte Außenpolitik Sowjetunion in allen Bereichen zu durchleuchten. Es ist unmöglich, dabei en passant Gesichtspunkte für eine richtige Gegen-Politik abzuleiten. Das ist ein zu weites Feld. Es geht mir auch nicht um die Kritik dieser marxistisch-leninistischen Sicht. Darüber ist genug geschrieben worden Die Sicht der sowjetischen Führer, auch wenn sie verfehlt ist, bleibt ein Faktum, das wir bei der Planung einer Gegenpolitik berücksichtigen müssen.

Natürlich können, soweit es sich um Machtpolitik handelt, die nach außen bekundeten Absichten nicht ohne weiteres als die wahren unterstellt werden. Und oft sprechen Fakten und Aktionen eine andere Sprache als die offizielle Sicht. Andererseits werden vielfach ideologische Motive ernst genommen, — nur nicht weil einem die marxistisch-leninistische Welt fremd, z. T. absurd und jedenfalls unsympathisch erscheint.

Ich möchte zunächst knapp in Erinnerung rufen, welche außenpolitischen Grundsätze von Lenin über Stalin, Chruschtschow bis Breschnew Geltung hatten — nicht um der Liebe zur Historie willen, sondern allein, weil man nur so den Wandel der außenpolitischen Tendenzen erkennen kann. Zugleich werden damit aber auch Grundprinzipien sichtbar, die über Jahrzehnte hinweg konstant geblieben sind und damit auch für eine absehbare Zukunft als beständig angesehen werden müssen.

II. Marx

Eine geschichtliche Betrachtung unseres Problems muß, so knapp sie gehalten sein mag, bei Marx beginnen.

1. Kern seiner Lehre und Ausgangspunkt seiner großen wissenschaftlichen Analyse des Kapitalismus bildet der Historische Materialismus. Mit ihm glauben Marxisten den Schlüssel zur Weltgeschichte und damit auch zur künftigen Entwicklung der Menschheit zu besitzen. Die bevorstehende Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus ist gewiß, ist quasi naturgesetzlich bestimmt. Das ist von Marx „wissenschaftlich" bewiesen. Daher die Glaubensgewißheit derer, die von Marx und seiner Lehre überzeugt sind.

Wer die Zukunft der Menschheit, d. h. die Richtung ihrer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklung kennt, zu kennen glaubt, für den löst sich der Zickzackkurs des geschichtlichen Verlaufs in teils bestimmungsgemäße, teils bestimmungswidrige, teils neutrale Ereignisse auf. Bestimmungsgemäß ist alles, was in Richtung der vorausgesehenen, quasi-naturgesetzlichen Entwicklung liegt. Also alles, was den weltweiten Prozeß der Ablösung des Kapitalismus vorantreibt: die sogenannte Weltrevolution. Bestimmungswidrig ist alles, was diesen Prozeß aufhält oder sogar zurückwirft: die sogenannte konterrevolutionäre Reaktion. Neutral ist alles, was den Prozeß weder negativ noch positiv beeinflußt. 2. Der Mensch ist nicht nur ein erkennendes, sondern auch ein handelndes Wesen. Er begnügt sich nicht mit der Erkenntnis dessen, was ist, sondern setzt sich für das ein, was sein sollte. In diesem Sinne war Marx nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Politiker. Doch die Zeitverhältnisse gaben dem Politiker Marx wenig Möglichkeiten zur Entfaltung. Das von ihm und Engels entworfene Kommunistische Manifest blieb zunächt ein propagandistischer Appell, wurde mit seinem „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" aber zum Ausgangspunkt des späteren höchsten, in der Außenpolitik bestimmenden marxistisch-leninistischen Prinzips, des Proletarischen Internationalismus. 3. In der Interpretation des Marxismus wird oft übersehen, daß das von Marx verwendete Begriffsinstrumentarium heute einen anderen Sinngehalt hat als damals. Revolution war für ihn - in Übereinstimmung mit der lateinischen Wurzel — Umwälzung. Sie konnte mit Gewalt oder friedlich, legal oder illegal vor sich gehen. So war Marx überzeugt, daß die proletarische Revolution in England, den Vereinigten Staaten und Frankreich über das parlamentarische System legal und ohne Gewalt vor sich gehen würde. Aber für Preußen und die deutschen Lande sagten er und vor allem sein Freund Engels voraus, daß nur eine gewaltsame Revolution der Arbeiter eine Wende schaffen könnte. 4. Zu unserem außenpolitischen Problem könnenwir von Marx wenig herleiten. Wie der Geist der'Französischen Revolution als Flamme im Laufe einer oder zweier Generationen von Land zu Land übersprungen und zu einer revolution mondiale wurde, so glaubte er, daß auch die Funktion einer gelungenen proletarischen Revolution nacheinander die revolutionsbereiten Massen der benachbarten Länder zu revolutionärer Tat entzünden und so binnen einer Generation als Weltrevolution die gesellschaftliche Umwälzung der ganzen Menschheit herbeiführen würde. Vielleicht hätte Marx auch statt einer Revolution von unten einen Staatsstreich von oben zur Beseitigung der Diktatur der Bourgeoisie — heute würde man formulieren: der Repression der etablierten Gesellschaft — hingenommen. Aber bei aller proletarischen Solidarität: Die militärische Intervention eines sozialistischen Staates gegenüber einem kapitalistischen Staat, um auch dort die Diktatur des Proletariats einzusetzen, also einen Export der Revolution mittels eines Krieges, das hätte Marx wohl doch nicht gebilligt.

5. Nach dem Tode von Marx begann unter den Marxisten die große Auseinandersetzung:

Welcher Weg ist zu beschreiten, um die von Marx angekündigte gesellschaftliche Umwälzung auf staatlicher Ebene durch die Herrschaft der Arbeiterklasse (= Diktatur des Proletariats) zu realisieren? Gewaltsame Revolution oder parlamentarisch-demokratische Evolution. Unter den russischen Marxisten setzte sich alsbald mit den Bolschewik! der erstere Kurs durch, unter den deutschen Sozialdemokraten allmählich der letztere. Während Lenin bei weitgehender Umgestaltung der Lehre sich als Erben und Testamentsvollstrekker des großen Marx einsetzte, entfernten sich die deutschen Sozialdemokraten nach dem Ersten Weltkrieg immer mehr von Marx und trennten sich ganz von ihm nach dem Zweiten Weltkrieg.

III. Lenin

Kaum ein anderer Mensch hat die Geschichte der Menschheit und ihre großen Auseinandersetzungen über Generationen hinweg so beeinflußt wie Lenin. Entgegen dem Marx’schen ökonomischen Determinismus betont Lenin die Bedeutung der Rolle der Einzelpersönlichkeit in der Weltgeschichte. Sein eigenes Leben beweist es. Sein Genie hat die Oktoberrevolution nicht nur entfesselt, sondern auch nach seinem Willen gemeistert.

1. Lenin betrachtete es als einen Irrweg, sich auf die Evolution vom Kapitalismus zum Sozialismus zu verlassen. „Die Bourgeoisie tritt nicht freiwillig ab" — die imperialistischen Staaten noch weniger. In einem letzten Auf-bäumen würden sie sogar vor einem Weltkrieg nicht zurückschrecken. Lenin lehrte, daß in diesem unerbittlichen, gnadenlosen Kampf zwischen Imperialismus und Kommunismus jedesMittelgerechtfertigtsei, wenn es nur zur Übernahme der Macht durch die Arbeiterklasse führe: die Revolution von unten, aber auch der Staatsstreich von oben, die militärische Intervention, aber auch der Krieg, wenn man des Sieges gewiß sei. Clausewitz'These: «Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, taucht in seinen Schriften und Reden mehrfach auf. So haben denn auch Lenin und Trotzky das einstige Großrussische Reich — abgesehen von den westlichen Randgebieten — durch die Rote Armee und ihre Aktionen in den Griff bekommen, nicht durch das überspringen des revolutionären Funkens von Land zu Land. Allerdings bot die Verteidigung Sowjetrußlands gegen die vier Interventionsarmeen einen guten Ansatz, nacheinander überall die Macht durch die Rote Armee zu übernehmen und in ihrem Schutz Sowjetrepubliken zu gründen (nicht anders wie nach dem Zweiten Weltkrieg sozialistische Staaten und Regime in Ost-und Südosteuropa entstehen sollten).

2. Lenin war Internationalist. Er war zunächst nach der Oktoberrevolution davon überzeugt, daß sich das kommunistische Regime in Ruß-land nur halten könne, wenn es gelänge, den Prozeß der Weltrevolution in Europa in Gang zu setzen. So war Lenins rastloses Bemühen nach der gelungenen Oktoberrevolution darauf gerichtet, die proletarische Revolution in andere europäische Länder zu verpflanzen. Er dachte dabei primär an das von den Alliierten geschlagene Deutschland, in dem sich der Revolution keine Ordnungsmacht mehr entgegensetzen konnte. Die Novemberrevolution in Berlin war für ihn zunächst nur eine Art Kerensky-Episode. So wurde denn als erstes im März 1919 auf Initiative Lenins die Dritte (Kommunistische) Internationale gegründet. Die Komintern war als internationale Partei konzipiert, der die Kommunistischen Parteien aller Länder als nationale Sektionen unterstellt waren, auch die Kommunistische Partei Sowjetrußlands. Ziel der Komintern war die Weltrevolution zur Errichtung der Diktatur des Proletariats und zur Einführung des Sowjetsystems (= Räte-Demokratie) in allen Staaten der Erde. In diesem Geiste formuliert Lenin das Prinzip des proletarischen Internationalismus, das zweierlei fordert: a) daß die Interessen des proletarischen Kampfes des einen Landes den Interessen des internationalen Kampfes untergeordnet werden-, b) daß die Nation, die über die Bourgeoisie siegt, fähig und bereit ist, die größten nationalen Opfer für den Sturz des Internationalen Kapitals zu bringen. 3. Ab Lenin datiert eine organisatorische Besonderheit: die Zweispurigkeit aller außenpolitischen Aktivitäten, nämlich teils auf der Ebene des Staates, teils auf der Ebene der Partei. Auf staatlicher Ebene trat Lenin für ein zeitweiliges „friedliches Zusammenleben" mit den imperialistischen Staaten ein. Wir haben es also mit einem Vorläufer der späteren Politik friedlicher Koexistenz zu tun. Doch ich betone: Für Lenin war das friedliche Zusammenleben nur eine zeitweilige Taktik. Sie sollte es den kommunistischen Parteien in den imperialistischen Ländern ermöglichen, die proletarische Revolution vorzubereiten. Das Schwergewicht liegt für Lenin also auf der parteilichen Ebene, und das heißt der Komintern. Die staatliche Ebene dient nur der Hilfestellung dieser Aktivitäten der Komintern.

4. Die größte Bedeutung für unsere Gegenwart sollte sich aus Lenins Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ ergeben Die Konsequenzen aus dieser Analyse des Weltimperialismus zieht Lenin 1920 auf dem 2. Weltkongreß der Komintern in Moskau: Es gilt, den Kampf gegen die imperialistischen Staaten in die Kolonien zu tragen. Es gilt, die ausgebeuteten und revolutionsbereiten Kolonialvölker in ihren Befreiungskriegen zu unterstützen und zu Bundesgenossen im Kampf für den Sozialismus zu machen Die Ausführung dieser weitsichtigen Kampf-weisung sollte den Westen ein halbes Jahrhundert später in größte Schwierigkeiten bringen!

IV. Stalin

Für Stalin wurde die Macht der Sowjetunion zum Angelpunkt seines gesamten Denkens und Wirkens. Nur überlegene militärische Macht sichert die Existenz des ersten sozialistischen Staates in einer Umwelt feindlicher imperialistischer Staaten. Nur diese Macht sichert aber auch den internationalen Kommunismus. Sie ist die treibende Kraft des weltweiten Prozesses der proletarischen Revolution. Wie Lenin in seinen letzten Lebensjahren erkannte Stalin, daß dieser Prozeß nach dem Ersten Weltkrieg an den Grenzen der Sowjetunion sein Ende gefunden hatte. Unter Stalin wurde die Weltrevolution erst einmal zu einem Fernziel. Seine ganze Energie konzentrierte sich darauf, aus der Sowjetunion eine kontinentale Großmacht werden zu lassen.

1. Die Konzeptiqn Stalins verschob das Schwergewicht zur Rüstungsindustrie und zu den Streitkräften. Die staatliche Außenpolitik erhielt die Aufgabe, während dieser Zeit des Aufbaus militärischer Macht das friedliche Zusammenleben mit den imperialistischen Staaten sicherzustellen. Die Komintern wurde — ganz entgegen den Intentionen Lenins — zu einem Hilfsorgan des Außenministeriums:

Die kommunistischen Parteien hatten in ihren Ländern auf Regierung, Parlament und Öffentlichkeit nach Maßgabe der sowjetischen Interessen einzuwirken. Sie waren Agenten der sowjetischen Außenpolitik geworden.

Folgerichtig wurde die von Lenin gegebene Interpretation des Proletarischen Internationalismus in ihr Gegenteil verkehrt: Die proletarischen Interessen eines jeden Landes haben hinter die Interessen der Sowjetunion zurückzutreten. Berühmt ist Stalins Definition eines Kommunisten „Ein Internationalist ist, wer vorbehaltlos, ohne Bedingungen zu stellen, bereit ist, die UdSSR zu schützen, weil die UdSSR die Basis der revolutionären Bewegung der ganzen Welt ist. Diese revolutionäre Bewe-gung zu schützen und voranzubringen ist aber nicht ohne die UdSSR zu schütilmöglich, 2. Die Machtpolitik Stalins vollzog sich in zwei Stadien. Im Aufbau-Stadium von 1924 bis 1939 ging er daran, mit einer Reihe von Fünfjahresplänen aus dem einstigen Agrarstaat einen Industriestaat mit Schwerpunkt Rüstungsindustrie zu machen. Eine gewaltige militärische Kontinentalmacht entstand. Sie wurde nur deswegen von den Westmächten nicht als Gefahr empfunden, weil die Aufrüstung des Dritten Reiches und die Machtpolitik Hitlers alles andere in den Schatten stellte.

Das zweite expansive Stadium entwickelte sich zunächst anders, als Stalin gedacht hatte. Zwar gab ihm die deutsch-sowjetische Vereinbarung vom August 1939 über die Abgrenzung der beiderseitigen Einflußsphären in Osteuropa die Möglichkeit, die drei Baltischen Staaten zu vereinnahmen. Das tapfere Finnland wehrte sich im Winterkrieg 1939/40 erfolgreich (jedoch unter Verlust von etwa einem Zehntel seines Gebietes). Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, von Stalin durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt gefördert, gab der UdSSR die Chance zu Einmarsch und Annexion: 1939 in Ostpolen bis zur Curzon-Linie, 1940 in die Nord-Bukowina und in Bessarabien. — Dann kam es anders. Statt der von Stalin erwarteten Selbstzerfleischung der imperialistischen Staaten untereinander geriet die Sowjetunion selbst in Lebensgefahr. Doch gelang es Stalin, den deutschen Aggressor vernichtend zu schlagen. Am Ende des Krieges konnte Stalin verbuchen: Die sowjetische Armee hielt halb Deutschland sowie Ost-und Südosteuropa (ohne die Mittelmeeranrainer Jugoslawien und Griechenland) besetzt und galt bei den Alliierten als gleichberechtigter Partner im Osten. Annexionen der UdSSR: der Küstenstreifen Ostpreußens von Litauen bis einschl. Königsberg; ein Korridor zur Eismeerküste mit Petschanga und für 50 Jahre die finnische Halbinsel Porkkala; im Fernen Osten die am Rande des Ochotskischen Meeres gelegenen strategisch wichtigen Kurilen und den Ostteil der Insel Sachalin.

Nach dem Kriege versuchte Stalin, das Macht-und Einflußgebiet der Sowjetunion in Deutschland und in Richtung Mittelmeer zu erweitern. Seine Ziele waren: Mitbestimmung über das Ruhrgebiet, Vertreibung der westlichen Alliierten aus West-Berlin durch Aushungerung der Stadt, Entmilitarisierung und Neutralisierung des (ungeteilten) Deutschlands zwecks Verhinderung der Aufnahme Deutschlands in die NATO und in eine im Werden begriffene westeuropäische Wirtschaftsgemeinschaft; kommunistische Machtergreifung in Griechenland; Einbeziehung Jugoslawiens in den Machtbereich des Sowjet-blocksdurch Aufnahme in den Warschauer Pakt. Stalin scheiterte an der amerikanischen Entschlossenheit, keine weitere Expansion des sowjetischen Machtbereichs zuzulassen (wovon mittelbar auch Tito profitierte). Hätten die USA damals keine überlegene Kernwaffe gehabt, wäre die Weltgeschichte wohl anders verlaufen. Jedoch gelang Stalin innerhalb seines vorgeschobenen Machtbereichs in Ost-und Südosteuropa eine neuartige Form der Absicherung dieses Vorfeldes zur Sowjetunion: Unter dem Schutz der sowjetischen Streitkräfte installierten sich kommunistische Regime in sechs Staaten. Ebenso konnten unter dem Schutz sowjetischer Truppen im Dezember 1945 auf persischem Gebiet eine . Autonome Republik Aserbeidschan" (Hauptstadt Täbris) und eine „Kurdische Volksrepublik“ im persisch-türkischen Grenzgebiet ausgerufen werden; beide Republiken brachen zusammen, als sich sechs Monate später Stalin wegen Befassung der UNO mit dieser Intervention entschließen mußte, seine Truppen zurückzuziehen (was in Erinnerung ruft, daß auch Lenin und Trotzky im gleichen persischen Gebiet 1920/21 eine „Ghilanische Sowjetrepublik" ins Leben gerufen hatten). 3. Ende der vierziger Jahre hatte sich im Fernen Osten ein weltgeschichtliches Ereignis vollzogen, das nicht auf die Aktivitäten der Sowjetunion zurückgeführt werden konnte: die Machtergreifung Maos und die Gründung der (marxistisch-leninistischen) Volksrepublik China. Sicherlich hatte Mao in seinen schwierigen Zeiten und während des langen Marsches immer Stalins materielle Unterstützung gefunden. Aber hier, im Reich der Mitte, hatte sich der „Prozeß der proletarischen Revolution" dank der einmaligen geschichtlichen Persönlichkeit Maos mit eigener Gesetzlichkeit durchgesetzt.

Nordkorea war nach dem Zweiten Weltkrieg von sowjetischen Truppen besetzt worden (während Südkorea amerikanisches Besatzungsgebiet war). Unter dem Schutz der sowjetischen Truppen wurde 1948 — wie in Osteuropa — ein sozialistischer Staat sowjetischer Prägung ausgerufen: die Demokratische Volksrepublik Korea (nachdem kurz zuvor in Südkorea in Seoul die Republik Korea proklamiert war). Nach dem Abzug der sowjetischen und amerikanischen Besatzungstruppen kam es dann im Juni 1950 zu dem Überfall Nordkoreas auf Südkorea. Der wechselreiche Verlauf des Koreakrieges führte zu engeren Bindungen Nordkoreas an China und zur Lockerung des nordkoreanischen Verhältnisses zur Sowjetunion. Geblieben sind der Sowjetunion im Fernen Osten allein die seit 1924 bestehenden engen Beziehungen zur Mongolischen Volksrepublik, dem sozialistischen Pufferstaat und militärischen Vorfeld der UdSSR zu China. 4. Stalin hatte vorsorglich zu Kriegsende die gewaltigen Land-und Luftstreitkräfte nur in kleinerem Maße abgerüstet. Der qualitativen Überlegenheit der Amerikaner stand die quantitative Überlegenheit der sowjetischen Kontinentalstreitmacht gegenüber. Gestützt auf sie riskierte Stalin im eigenen Machtbereich die Gründung der sozialistischen Staaten. Seine Versuche, außerhalb des sowjetischen Machtbereichs Boden zu gewinnen (in Nord-Griechenland, in Nord-Persien, in West-Berlin und in Korea) scheiterten angesichts des amerikanischen Monopols der Atomwaffe. Doch für Stalin (und auch seine Nachfolger) war die Vorstellung unerträglich, von der Vormacht des westlichen Imperialismus unter Druck gesetzt werden zu können. Die Entwicklung von Atombomben hatte für ihn daher höchste Priorität. Noch zu seinen Lebzeiten konnte die erste sowjetische Wasserstoff•bombe gezündet werden. 5. Die Machtpolitik Stalins ließ seine zahlreichen Gegner zweifeln, ob seine Motive noch von der marxistisch-leninistischen Ideologie bestimmt waren. Von vielen wird die Sowjetunion seit Stalin als eine gewaltige kontinentale Großmacht angesehen, die expansive Hegemonialpolitik betreibt. Diese These fand eine gewisse Bestätigung, als Stalin in der Phase des „Großen Vaterländischen Krieges“ die Komintern auflöste und alle seelischen Kräfte des russischen Volkes durch Appell an den russischen Patriotismus und die russische Tradition Zu aktivieren versuchte. Daraus hat sich nach dem Krieg in diesem Vielvölkerstaat ein sowjetischer Patriotismus entwickelt, der den nationalen oder nationalistischen Emotionen westlicher Nationalstaaten nicht nachsteht. Die Olympischen Spiele in Moskau 1980 lieferten dafür gutes Anschauungsmaterial. Doch hat m. E. das Abgehen von einer reinen Machtpolitik nach Stalin das ideologische Motiv wieder stärker zum Vorschein gebracht.

V. Chruschtschow

Chruschtschow hat innenpolitisch die Entstalinisierung durchgesetzt und zu den Grundsätzen Lenins zurückgefunden. Außenpolitisch gilt er als Versager. Und doch sind von ihm 1956 bei dem wichtigen XX. Parteitag der KPdSU grundlegende Initiativen für die Strategie der sowjetischen Außenpolitik ausgegangen — Beschlüsse des Parteitages, an die er sich selbst nicht immer gehalten hat. Von seinem Nachfolger, Breschnew, wurden sie jedoch genau beachtet. Sie dürften auch für die Zeit nach Breschnew Bestand haben.

1. Für Chruschtschow (wie auch nach ihm für Breschnew) hatte erste Priorität, den nuklearen Vorsprung der USA aufzuholen. Das vollzog sich nur langsam, weil sich auch die Amerikaner auf nuklear-technologischem Gebiet weiterentwickelten. Jedoch gelang der Sowjetunion fast gleichzeitig mit den USA ein Durchbruch in der Raumfahrt. So war es beiden Supermächten möglich, Atombomben auf weitreichenden Trägerraketen einzubauen. Das Rüstungswettrennen für Interkontinental-, Mittelstrecken-und Gefechtsfeldraketen konnte beginnen.

2. Chruschtschow — wie alle Politiker in Ost und West — erkannte, daß die Atombombe nicht nur eine Waffe von quantitativ ungeheurer Destruktionskraft war, ohne die keine Großmacht als solche bestehen konnte. Er erkannte auch — und das war wichtiger —, daß die Atomwaffe die Qualität des Krieges zwischen Nuklearmächten veränderte. Ein solcher Krieg konnte nicht mehr die ultima ratio der Politik sein. Er mußte unweigerlich zur gemeinsamen Selbstvernichtung der kriegführenden Parteien führen. Der Sinn des Krieges, dem Feind seinen Willen aufzuzwingen oder das eigene Volk vor der Unterjochung unter den Willen des Feindes zu bewahren, war hin-fort hinfällig. Der Nuklearkrieg war sinnlos und konnte höchstens denen nutzen, die nicht am Krieg beteiligt waren. Was blieb, war die Drohung mit Atomwaffen, um einen schwächeren Gegner politisch gefügig zu machen, war aber auch die Abschreckung des Gegners mittels Atomwaffen, um ihn von Aggressionen abzuhalten.

Chruschtschows Verdienst war es, zu erkennen, daß zwei Lehren Lenins im Zeitalter der Atomwaffen nicht aufrechterhalten werden konnten: a) die These vom Krieg als der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, d. h. vom nur zeitweiligen friedlichen Zusammenleben mit den imperialistischen Staaten, und b) die These von der Unvermeidbarkeit eines letzten totalen Weltkrieges mit den imperialistischen Staaten. So kam es dank Chruschtschows Initiative zu den beiden großen Doktrinen dieses Parteitages von 1956: der Lehre von der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten verschiedener gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Systeme und der Maxime von der Vermeidbarkeit von Kriegen zwischen Staaten dieser beiden Systeme. a) Die Politik der friedlichen Koexistenz versucht die Spannungen zwischen den Staaten der beiden Militärblöcke NATO und War-schauer Pakt in tragbaren Grenzen zu halten. Obgleich Moskau aus propagandistischen Gründen immer wieder die Auflösung der beiderseitigen Militärblöcke und weltweite AbB rüstung fordert, so weiß es doch, daß NATO und Warschauer Pakt zur Realität unserer Zeit gehören. Das wechselseitige Mißtrauen läßt ihre Auflösung wie überhaupt eine weltweite Abrüstung nicht zu. Doch wenn militärische Blöcke einander so hautnah gegenüberstehen, dann können aus politischen Spannungen gegen den Willen aller Beteiligten militärische Zwischenfälle entstehen, die durch Eskalation zu einem Krieg führen. Der Sinn der Koexistenzpolitik des Ostens und der Entspannungspolitik des Westens ist eben, die politischen Spannungen in den Griff zu bekommen und nach Möglichkeit zu reduzieren. Ganz abbauen lassen sie sich nicht Die Polarität der Systeme in Ost und West läßt es nicht zu.

Und doch unterscheidet sich die von Chruschtschow initiierte Politik der friedlichen Koexistenz in zwei Punkten ganz wesentlich von den Entspannungsvorstellungen des Westens in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren. Zum ersten bezog sich die friedliche Koexistenz nur auf den europäischen Bereich, nicht dagegen auf Konflikte im außereuropäischen Bereich. Das ergibt sich eindeutig aus der Situation von 1956. Die NATO hatte 1955 die Bundesrepublik Deutschland als Partner aufgenommen; im Osten war im Mai 1955 der Warschauer Pakt unter Beteiligung der DDR geschlossen worden. NATO und Warschauer Pakt waren integrierte Verteidigungsbündnisse für den jeweiligen Bereich der Bündnispartner, also für den westlichen und östlichen Bereich Europas. Die Koexistenzpolitik bildet gewissermaßen eine Ergänzung der Militärblöcke. Beide beziehen sich auf Europa, aber nicht auf andere Kontinente. Der zweite Unterschied zwischen Entspannungspolitik und Koexistenzpolitik war noch bedeutsamer. Chruschtschow und der XX. Parteitag hatten von Anfang an keinen Zweifel darüber gelassen, daß sich die friedliche Koexistenz nur auf die staatlichen Beziehungenerstreckt. Es gibt jedoch keine Koexistenz der verschiedenartigen Systeme. Die ideologische Auseinandersetzung auf parteilicher Ebene geht weiter. Unabänderlich bleibt die geschichtliche Erkenntnis von Marx, daß der Kapitalismus und seine Staaten dem Untergang geweiht sind. Unabänderlich bleibt das politische Konzept Lenins, daß die kommunistischen Parteien berufen sind, den Prozeß der Ablösung des Kapitalismus weltweit voranzutreiben. b) Die zweite große Doktrin aus dem Jahre 1956 erklärt den Krieg für vermeidbar. Das war ein erfreulicher Wandel gegenüber der These Lenins, daß der Totalsieg der sozialistischen Ordnung in der Welt ohne einen letzten globalen Krieg mit den imperialistischen Staaten nicht erreicht werden könne. Freilich besagt die neue Doktrin nicht, daß ein solcher Weltkrieg nicht mehr zustande kommen wird. Denn um die friedliche Koexistenz zu bewahren, müssen zwei Kräfte beteiligt sein: die Sowjetunion und ihre imperialistischen Gegner. Und gerade ihrem Hauptgegner, den USA, trauen die sowjetischen Führer alles zu. Aber jedenfalls ist die Sowjetunion seit der Doktrin von der Vermeidbarkeit des Krieges und der friedlichen Koexistenz entschlossen, keine Politik zu treiben, die auf einen Krieg mit den USA und ihren verbündeten Staaten hinsteuert oder hintreibt. Vielmehr ist sie bemüht, im europäischen Bereich die bestehenden politischen Spannungen nach Möglichkeit zu reduzieren. Zwei große Ausnahmen wurden von vornherein mit der These von der Vermeidbarkeit des Krieges verbunden: der Befreiungskrieg und der Kampf gegen konterrevolutionäre Entwicklungen im eigenen Machtbereich. Beide Ausnahmen sind bestimmend für die Außenpolitik der Sowjetunion geworden und werden es für die Zukunft bleiben.

Mit der Zulässigkeit und Rechtfertigung eines jeden Befreiungskrieges knüpfen Chruschtschow und der XX. Parteitag an die Weisung Lenins an, Bundesgenossen zur Durchsetzung der proletarischen weltweiten Revolution in den unterdrückten und ausgebeuteten Kolonialvölkern zu suchen. Es ist Aufgabe der UdSSR (auf parteilicher Ebene), ihren Kampf zur Befreiung vom Imperialismus mit allen Mitteln zu unterstützen, sogar mit der Lieferung von Waffen und mit militärischer Ausbildung. Nur eines ist ausgeschlossen: die direkte Beteiligung der Sowjetunion selbst mit Truppen am Befreiungskrieg. Hier tritt also die Verschiedenartigkeit der sowjetischen Außenpolitik in den einzelnen regionalen Bereichen deutlich in Erscheinung: In Europa soll die friedliche Koexistenz mit den imperialistischen Staaten gewahrt werden. In der Dritten Welt dagegen soll die geschichtliche Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus durch Zerschlagung der kolonialen Machtbasis der imperialistischen Staaten vorangetrieben werden. Der Rückzug Großbritanniens aus seinem kolonialen Besitz in Indien und Afrika ließ dieses anspruchsvolle Programm als realisierbar erscheinen.

Die zweite große Ausnahme der Doktrin galt der Sicherung des eigenen Machtbereichs: der Sowjetunion mit ihrem Vorfeld sozialistischer Staaten. Die amerikanische Containment-Politik hatte bereits Stalin zu einem Stopp sowjetischer Machterweiterung gezwungen. Jetzt war das Wort des amerikanischen Außenministers vom roll-back of socialism gefallen und hatte schwere Befüchtungen in Moskau hinterlassen. So verkündete Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU, daß konterre9 volutionäre Versuche im sowjetischen Machtbereich mit eiserner Faust niedergeschlagen würden. Westliche Interventionen zwecks roll back of socialism — so lautete die Warnung — bedeuten Krieg mit der UdSSR. Noch im gleichen Jahre (1956) hatte Chruschtschow Gelegenheit zu exemplifizieren, was gemeint war: der Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn und die Niederschlagung der ungarischen Konterrevolution. Die USA und die NATO-Staaten protestierten heftig in der UNO gegen diesen Bruch der Völkerrechtsordnung, aber überließen die Ungarn — eingedenk der sowjetischen Warnung — ihrem Schicksal.

3. Eine dritte bedeutsame Abwandlung Leninscher Prinzipien bildete sich während der Amtszeit Chruschtschows heraus, wenngleich sie keine Festlegung in einer Doktrin erfuhr. Ihr negativer Teil ist mit dem Schlagwort umrissen: Kein Export derproletarischen Revolution. Der Kampfauftrag Lenins an die Komintern hatte gelautet, die proletarische Revolution hinauszutragen in alle Welt. Stalins Anliegen war die Macht der Sowjetunion, die ihrerseits den Prozeß der sozialistischen Machtergreifung voranzutreiben hatte, wie er dies z. B. in den baltischen Staaten praktiziert hatte. Die neue Weltlage nach dem Zweiten Weltkrieg ließ eine solche Methode des Exportes der Revolution nicht mehr zu. Sie hätte zur militärischen Konfrontation mit den imperialistischen Staaten, vor allem den USA geführt.

Also ein Verzicht auf weltrevolutionäre Aktivitäten? Keineswegs. Er käme einem Verrät an Marx und Lenin gleich. Aber wie soll dieser Widerspruch aufgehoben werden? Aufschlußreich ist für diese Frage das Parteiprogramm der KPdSU von 1961, das unter maßgebender Mitwirkung von Chruschtschow entworfen worden war. Es heißt darin einerseits „Das siegreiche Proletariat kann dem Volke eines anderen Landes keine Beglückung aufzwingen, ohne damit seinem eigenen Sieg zu untergraben" — also keinen Export der proletarischen Revolution. Andererseits werden aber die Völker dieser anderen Länder aufgerufen, „alle ihre inneren Kräfte aufzubieten, tatkräftig zu handeln und, gestützt auf die Macht des sozialistischen Weltsystems, eine Einmischung der Imperialisten in die Angelegenheiten des Volkes eines beliebigen Landes, das sich zur Revolution erhoben hat, abzuwenden und entschlossen zurückzuweisen und dadurch den Export der Konterrevolution zu verhindern." Das heißt also: Der erste Akt ist die Erhebung eines Volkes zur Revolution und zur kommunistischen Machtübernahme. Der zweite Akt ist, die Einmischung der Imperialisten, um die siegreiche Revolution wieder zurückzudrehen, als „imperialistischen Export der Konterrevolution" zu bezeichnen. Der dritte Akt ist dann die Verteidigung der durch die siegreiche Revolution errungenen Positionen, gestützt auf die Macht des sozialistischen Weltsystems, d. h. also auf die Macht der Sowjetunion. Oder um es noch prägnanter zu formulieren: Die Revolution müssen die Völker selbst durchführen. Aber wenn sie gelungen ist, wird die Macht der Sowjetunion dafür sorgen, daß imperialistische Gegenstöße keinen Erfolg haben. Die Macht der Sowjetunion bildet nicht die Speerspitze des revolutionären Prozesses, sondern ihren Rückhalt Sie neutralisiert gewissermaßen die imperialistische Gegenmacht, so daß sich der quasi-naturgesetzliche geschichtliche Prozeß der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus ungehindert verwirklichen kann. 4. China. Mao hatte schwere Bedenken gegen die beiden Doktrinen des XX. Parteitages. Er erkannte, daß die Koexistenzpolitik die beiden nuklearen Supermächte trotz aller ideologischen Gegensätze zu einer gewissen Partnerschaft in Fragen der Rüstung und des weltpolitischen Krisenmanagements führen würde. Das widersprach der Lehre Lenins genau so wie die Doktrin von der Vermeidbarkeit eines Krieges zwischen den Supermächten. Für Mao begann die Sowjetunion ihre eigenen Interessen als Großmacht über die proletarischen Gesamtinteressen des internationalen Kampfes zu stellen — ein Bruch des Prinzips des Proletarischen Internationalismus.

Chruschtschow versuchte erfolglos, Mao vom Gegenteil zu überzeugen. Er wartete auf parteilicher Ebene ab und hoffte, China in der weltkommunistischen Bewegung isolieren zu können, was nur zum Teil gelang. Auf staatlicher Ebene aber sahen sich Chruschtschow und das Politbüro gezwungen, Farbe zu bekennen. Die Entwicklung der Nuklearfrage zwang dazu. Die Sowjetunion hatte seit Stalins Zeiten Rot-China volle wirtschaftliche Unterstützung, insbesondere für den Aufbau großindustrieller Anlagen, gegeben. Jetzt aber bestand Mao darauf, sowjetische Hilfen technologischer Art für die Produktion von Atomwaffen zu erhalten. Damit war für Moskau das Problem entstanden, ob es bei weiterer Durchsetzung des weltrevolutionären Prozesses auf der sozialistischen Seite zwei Machtzentren geben dürfe: Moskau und Peking. Chruschtschow trug an der nuklearen Überlegenheit der Amerikaner schon schwer genug. Sollte er etwa jetzt auch noch durch Nachgiebigkeit die Zukunft des Sozialismus auf Weltebene durch nukleare Konkurrenz innerhalb des kommunistischen Lagers belasten? Die Antwort konnte für einen Marxisten-Leninisten, der auch durch die Schule Stalins gegangen war, nur „nein" lauten. Einen Kompromiß gab es in dieser Machtfrage nicht. Die Weichen mußten frühzeitig gestellt werden. So behutsam es auch geschah, der Bruch war nicht zu vermeiden. Auch Mao war ein machtorientierter Marxist-Leninist und entschlossen, mit oder ohne die Sowjetunion, ja gegen ihren Willen, eine Atomwaffe zu entwickeln. China war auf weite Sicht entschlossen, nicht unter „ferner liefen" Weltpolitik zu betreiben. Auch für dieses kommunistische Land gilt die Frage: War und ist seine Außenpolitik letztlich noch ideologisch bestimmt?

5. Der Westen hatte nach dem Tode Stalins (1953) mit Aufmerksamkeit verzeichnet, daß die sowjetische Führung erstmalig hier und dort um Entspannung bemüht war. Mit der Bundesrepublik Deutschland waren 1955 diplomatische Beziehungen aufgenommen worden. Die österreichische Unabhängigkeit hatte die Sowjetunion im gleichen Jahr — wenn auch mit Neutralität gekoppelt — staatsvertraglich anerkannt und das Land zugleich mit den drei Westmächten geräumt. An Finnland hatte die UdSSR (als Dank für die im finnisch-sowjetischen Freundschafts-und Beistandspakt festgelegte wohlwollende Neutralität des Landes) die Halbinsel Porkkala vorzeitig zurückgegeben. Mit Tito war es bei dem Besuch Chruschtschows in Belgrad im Mai 1955 zur Aussöhnung gekommen. Auch das geteilte Korea war nach dem Abschluß des Waffenstillstandsabkommens vom Juli 1953 in Panmunjom zur Ruhe gekommen. Das alles war für viele ein Anzeichen dafür, daß Moskau weltweit zum Einlenken bemüht war. Die Ergebnisse des XX. Parteitages schienen dies zu bestätigen.

Aber der Schrecken des Westens über die Ereignisse in Ost-und Südosteuropa und die Konsolidierung der sowjetischen Macht bis nach Mitteleuropa hinein saß zu tief, als daß die neuen sowjetischen Entspannungsversuche alsbald auf Gegenliebe gestoßen wären. Die Westmächte sahen sich in ihrer Skepsis durch die nachfolgenden, wenig entspannungsfreundlichen Verstöße Chruschtschow’scher Außenpolitik in ihrem Mißtrauen bestätigt: Anläßlich der französisch-britischen Intervention in Port Said im Oktober 1956 hatte Chruschtschow einen vorzeitigen Rückzug der Interventionstruppen mit der öffentlichen Warnung erpreßt, daß Paris und London im Bereich sowjetischer Atomraketen liege. Das war eine riskante Drohung, die sich Chruschtschow nur leisten konnte, weil auch die USA das französisch-britische Vorgehen mißbilligten. Auch das Berlin-Ultimatum von 1958 und die Mittelstreckenraketenkrise von Kuba im Jahre 1962 waren nicht dazu angetan, den Westen von der Ernsthaftigkeit des Angebots friedlicher Koexistenz zu überzeugen.

6. Die Laufbahn Chruschtschows endete abrupt. Was war das Resultat seiner Amtszeit? Die Einzelheiten der Beschlüsse des XX. Parteitages (in Europa Koexistenzpolitik, in der Dritten Welt Unterstützung der Kolonialvölker in ihrem Befreiungskampf, im Sowjetblock Zerschlagung jedweder konterrevolutionären Entwicklung) zeigten, daß die Sowjetunion hinfort in den einzelnen Bereichen der Erde eine grundverschiedene Politik zu führen beabsichtigte. Priorität hatte weiter die nukleare Aufrüstung, um machtmäßig Parität mit den USA zu erreichen. Ohne den Rückhalt einer solchen ebenbürtigen Macht kann aber auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung der weltweite Prozeß der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus nicht vorankommen. Chruschtschow hatte zwar den Rahmen geschaffen, in dem sih die künftige Außen-und Machtpolitik der Sowjetunion abwickeln sollte. Er selbst, uneins mit den Männern seines Politbüros, war zu ungestüm und sprunghaft, um sich konsequent, zielstrebig und besonnen an diesen Rahmen zu halten.

Dies blieb seinem Nachfolger vorbehalten. Dessen Aufgabe lautete, die Rolle der Macht in der Außenpolitik nach Maßgabe von drei Forderungen zu differenzieren:

a) die Sicherheit der Sowjetunion zu garantieren;

b) jedes Risiko einer kriegerischen Konfrontation mit den USA zu meiden, insbesondere in Europa, im Verhältnis Warschauer Pakt — NATO;

c) jedoch alle risikofreien Chancen wahrzunehmen, die Weltmacht USA allmählich aus der Dritten Welt zu verdrängen, den Einfluß der Sowjetunion in diesem Bereich auszuweiten und so die Voraussetzungen zu schaffen für das Endziel der Lehre von Marx und Lenin.

Ungelöst und eine schwere Bürde für die UdSSR blieb aber auch die Zukunft der sowjetisch-chinesischen Beziehungen und die Rolle, die die UdSSR hierbei zu spielen haben würde.

VI. Breschnew (bis Ende der siebziger Jahre)

Der heute 74 Jahre alte Generalsekretär der KPdSU wird im Westen oft dargestellt als der Mann der Entspannungspolitik (die Taube, die Mühe hat, sich im Politbüro gegen die Falken durchzusetzen). Ich halte diese Charakterisierung für falsch. Seine Größe (in sowjetischer Sicht) besteht gerade darin, daß er Taube und Falke zugleich ist: Taube gegenüber den westeuropäischen Staaten und den USA, Falke in der Dritten Welt. Und wenn ich das ergänzen darf: Bär im eigenen Sowjetblock, der keinen anderen Gegner in seinem Revier duldet.

Im Gegensatz zu Chruschtschow hat Breschnew in seiner Außenpolitik auf staatlicher und parteilicher Ebene die Strategie stets eingehalten, die ihm von Lenin und dem XX. Parteitag der KPdSU aufgegeben war. Er hat in diesem Rahmen zunächst genug Bewegungsfreiheit gehabt, um so zu handeln, wie die Gunst der Stunde es gebot. Einsame Entscheidungen kannte er nicht; er hat sich in seinem Kurs stets der Zustimmung und damit des Vertrauens des Politbüros vergewissert. 1. Die Politik gegenüber der Dritten Welt Die Weisung Lenins lautete, den Kampf in die rückständigen Regionen der Erde zu tragen, die Kolonialvölker zu befreien und so die Macht der imperialistischen Staaten entscheidend zu treffen. Die Weisung des XX. Partei-tages der KPdSU lautete, den Befreiungskampf der Kolonialvölker mit allen Mitteln, einschließlich Waffen, zu unterstützen, ohne hierbei die Sowjetunion in eine militärische Konfrontation mit imperialistischen Staaten zu verwickeln.

a) Unter der klugen Regie Breschnews hat die Sowjetunion bis heute in der Dritten Welt große Erfolge erzielt. Sie hat aber auch schwere Niederlagen hinnehmen müssen. Die Bilanz bleibt für die Sowjetunion jedoch positiv. Zehn Jahre lang hatte sich Breschnew auf die „Befreiung Vietnams" konzentriert, bevor er in Afrika zu aktiver Expansion des sowjetischen Einflusses überging. Diese Zeitspanne war nötig, um den nuklearen Rüstungsvorsprung der USA aufzuholen, die Entspannungspolitik im europäischen Raum durchzusetzen und den USA in ihrem militärischen Engagement in der Dritten Welt durch den Rückzug aus Süd-Vietnam und dem nachfolgenden Zusammenbruch des Landes eine schwere Niederlage zu bereiten. Das amerikanische Trauma von Vietnam hat der sowjetische Schachspieler in Rechnung gestellt und die Gunst der Stunde in Afrika erkannt.

b) Widerwillig und innerlich zerrissen hatten sich die europäischen Kolonialmächte zur Ent-B lassung ihrer Kolonien bereitgefunden — Portugal zuletzt. Aber von der Entkolonialisierung eigener Gebiete bis zur aktiven Unterstützung von Aufständischen in noch nicht freigegebenen Kolonien anderer war ein weiter Weg. Sollten die NATO-Staaten, z. B. Portugal, ihren Verbündeten in Europa-mit Waffenlieferungen an die Befreiungsorganisationen in Mozambique und Angola in den Rükken fallen? Breschnew nutzte die Stunde, lieferte die heißersehnten Waffen und konnte so in diesen Befreiungsbewegungen sowjetischen Einfluß sichern.

Oberster Grundsatz blieb bei alledem, niemals in Befreiungskriegen der Dritten Welt sowjetische Truppen einzusetzen. Das Risiko einer militärischen Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion mußte unter allen Umständen vermieden werden. Wie schon Stalin im Koreakrieg, so hat auch Breschnew niemals in Süd-Vietnam oder später in Afrika eigene Truppen im Befreiungskampf eingesetzt Das Äußerste waren Waffen mit Bedienung, die aber dann nur hinter der Front Verwendung finden durften (im ägyptisch-israelischen Krieg 1973 SAM-3-Raketen, in Vietnam möglicherweise Mig-Jäger, die aber nur über nordvietnamesischem Gebiet eingesetzt werden durften, also nicht in die Hand des Gegners fallen konnten.

c) Die überraschenden Ereignisse in Angola 1975 (und zwei Jähre später im äthiopisch-somalischen Ogaden-Krieg) stellten sich zunächst in westlicher Sicht so dar, als ob Moskau im entscheidenden Augenblick, in genialer Planung vorbereitet, kubanische Kampftruppen zwecks Erweiterung des kommunistischen Machtbereichs eingesetzt habe. Diese Annahme bedarf jedoch auf Grund neuere; zeitgeschichtlicher Forschung der Korrektur Sie verkennt die Rolle, die Fidel Castro be diesen Geschehnissen verspielt hat.

Lenin hatte, wie erinnerlich, auf den Einflui von Einzelpersönlichkeiten im Ablauf de Weltgeschichte hingewiesen. Sie können der Lauf der Geschichte im Sinne der marxisti sehen Gesetzlichkeit vorantreiben oder aucl hemmen. Fidel Castro war eine solche Einzel Persönlichkeit. Dieser ehrgeizige und leiden schaftliche Condottiere des XX. Jahrhundert: empfand sich als Vorkämpfer derDritten Wei im Befreiungskampfgegen den Imperialismu der USA. Das mag seine Wurzel haben in sei nem zähen Kampf zur Befreiung Kubas vor dem (von den USA protegierten) Militärdikta tor Battista.

Castro hatte sich nach vergeblichen Versu chen, mit Hilfe von Ch Guevara und anderer Guerilleros südamerikanische Länder zu infil trieren, intensiver Afrika zugewandt. Er erkannte — und diese Sicht wurde voll von Moskau geteilt —, daß die westliche kapitalistische Weltordnung in diesem Kontinent eine zunehmend schwache Position einnahm und im Rückzug begriffen war. Kuba, von Castro wegen seines 30%igen Anteils von Mulatten und Negern als „lateinafrikanisches Land" bezeichnet war nach seinem Urteil berufen, den sozialistischen Brüdervölkern Afrikas in ihrem Befreiungskampf gegen Kolonialismus und Imperialismus an der Seite zu stehen.

Castro hatte bereits in den sechziger Jahren enge Beziehungen zu vielen afrikanischen Staaten und Befreiungsbewegungen angeknüpft. Sein Engagement bestand in der Entsendung von Tausenden von militärischen, technischen und sozialen Beratern und Entwicklungshelfern. Heute sollen es weit über 10 000 sein — eine bedeutende organisatorische und, soweit es um wirkliche Entwicklungshilfe geht, zivilisatorische Leistung. Doch Schwerpunkt bildeten immer die militärischen Berater, die kubanischen Soldaten. So etwa in Südjemen, wo Kuba die Ausbildung der Armee der Volksrepublik übernahm, so daß sich in diesem kleinen, aber strategisch wichtigen Lande Mitte der siebziger Jahre an die 6 000 Kubaner befunden haben sollen Kubanische Militärmissionen gab es in vielen afrikanischen Ländern, die ihre Aufgabe in Rat und Tat bei der militärischen Ausbildung und Aufrüstung sahen In zwei Fällen hatte Castro bereits frühzeitig kubanische Bataillone zum Kampfeinsatz zur Verfügung gestellt (1963 für Algerien im Grenzkrieg gegen Marokko, 1973 für Syrien im Yom-Kippur-Krieg gegen Israel).

Alle diese kostspieligen Engagements und Einsätze wären natürlich ohne die großzügige materielle Hilfe der Sowjetunion unmöglich gewesen. Und selbstverständlich hat Moskau von diesen Aktivitäten Kubas gewußt und selbst auch Anregungen gegeben. Aber es wäre falsch anzunehmen, daß Castro ein willfähriges Instrument Moskaus gewesen sei. Er blieb immer Herr seiner Entschlüsse, und di^se hatten zum Ziel, die Führungsrolle im Kampf der Dritten Welt gegen den Imperialismus einzunehmen. Kuba war nie ein in den Sowjetblock integrierter Staat wie etwa die DDR und die CSSR. Das Kuba Castros war ein marxistisch-leninistischer, der Sowjetunion im Kampf gegen den Imperialismus eng verbundener Partner mit uneingeschränkter Souveränität, eigenen Plänen und eigenen Ambitio--nen.

Breschnew respektierte das, weil er keinen Grund hatte, Castro enger an die Kette zu legen. Kubas materielle Abhängigkeit (Geld und Waffen) war nicht zweifelhaft. Doch Castro war der Motor, der in der Dritten Welt im Sinne des geschichtlichen Prozesses wirkte. Sein Aktionsprogramm, seine Selbständigkeit hatte für Moskau eine Art Alibifunktion. Kuba bedurfte des Schutzes gegen die USA. Die Sowjetunion gewährte ihn im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten. Denn Kuba war eine exponierte Exklave im amerikanischen Machtbereich. Wohlgemerkt: eine Exklave des Marxismus-Leninismus, nicht des Sowjetblocks. Castro legte auf seine Blockfreiheit — oder das, was er als Blockfreiheit ansah — großen Wert d) Aber auch die Blockfreien Staaten selbst sahen Castro nicht als Instrument der Sowjetunion an, sondern als einen der ihren — aus westlicher Sicht kaum zu verstehen. Castro besaß in diesem Kreise ein hohes Ansehen — trotz seiner prosowjetischen Einstellung. Richtiger müßte man sagen: Wegen seiner antiimperialistischen Haltung. Denn die breite Masse der Blockfreien ist durch einen gewissen Antiamerikanismus geprägt. Der „häßliche Amerikaner''mußte mit seiner (nicht für arme Völker bestimmten) American way of life Anstoß und Widerwillen erregen. Die weiße Hautfarbe trug das ihre zur Feindschaft bei. So trugen die zunächst unübersichtlichen Vorgänge in Angola — sie standen unter der Überschrift „Befreiung“ — eher noch zum Ansehen Castros bei. Später sollte sogar Carters Botschafter bei der UNO, Young, von der „stabilisierenden Rolle Kubas in Afrika" sprechen. Doch der Einsatz von 15 000 — 20 000 kubanischen Soldaten im Ogaden-Krieg an der Seite des brutalen Äthiopiers Mengistu erschien vielen Blockfreien bereits als ein in Moskau abgekartetes Spiel, jedenfalls als eine Verletzung der Blockfreiheit. Auf den Konferenzen in Belgrad 1978 und in Havannah 1979 wurde Castro erstmals offen kritisiert. Seine Versuche in Havannah, die Blockfreien in ihrem antiimperialistischen Kampf stärker mit der Sowjetunion zu verbinden, scheiterten — an Tito. Es war die letzte Tat des großen, alten Mannes, der — obgleich Marxist-Leninist — für die Ideale der Blockfreiheit gelebt hatte. Ein Jahr später wurde Kuba sogar unter dem Eindruck des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan (mit den Stimmen vieler blockfreier Länder) ein Sitz im Sicherheitsrat der UNO verwehrt.

e) Angola 1975 war der große Schock für Nixon/Kissinger (wie Afghanistan vier Jahre später ein noch größerer Schock für Carter werden sollte). Zuerst sah alles nach einem friedlichen Machtübergang in Angola aus. Die portugiesische Regierung hatte sich durch Vertrag vom Januar 1975 mit den drei Befreiungsorganisationen von Angola verpflichtet, das Land bis 10. November 1975 zu räumen. Es waren dies die von der Sowjetunion protegierte MPLA Neto's, die vom amerikanischen CIA schwach unterstützte FNLA Holden Roberto's und die im Süden Angolas operierende UNITAvon Jonas Savimbi, die sich beschränkter chinesischer Unterstützung erfreute. Diese drei Befreiungsorganisationen hatten sich ihrerseits verpflichtet, eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden und alsbald Wahlen durchzuführen. Doch die militärisch starke MPLA glaubte Chancen zu haben, die Macht in Angola allein übernehmen zu können. Es kam im Frühjahr und im Sommer 1975 zu harten Kämpfen mit der FNLA und der UNITA, wobei sich die MPLA in Luanda durchsetzte und die FNLA und die UNITA aus dem Zentrum Angolas vertrieben. Nach bekanntem Schema war geplant (und sicherlich mit Moskau und Havannah abgesprochen), daß die MPLA am Unabhängigkeitstage, dem 11. November 1975, dem Tage nach dem Verlassen der Portugiesen aus Luanda, daselbst aus eigener alleiniger Machtvollkommenheit die Volksrepublik Angola ausrufen und die Macht im Staate antreten sollte. In dem dann folgenden nachrevolutionären Stadium sollten die Sowjetunion und die Staaten des Ostblocks sofort Staat und Regierung beschleunigt anerkennen. Der zu erwartende konterrevolutionäre Gegenstoß von der FNLA aus Richtung Norden (Zaire) und der UNITA aus Süden sollte mit Hilfe von 15 000 bis 18 000 kubanischen Soldaten aufgefangen werden, die mit Luft-und Schiffstransportern der Sowjetunion sofort nach der Machtübernahme der MPLA nach Angola zu transportieren waren.

Alles lief nach Plan ab, nur eine Entwicklung drohte die so wichtige alleinige Machtübernahme durch die MPLA zu gefährden: Ende Oktober 1975 befand sich die FNLA, von Zaire aus operierend, in raschem Vormarsch nach Süden. Und von Namibia aus griff die südafrikanische Regierung, die Gefahr eines kommunistischen Angola für die eigene Sicherheit erkennend, in die Kämpfe ein: 5 000 südafrikanische Soldaten hatten in Eilmärschen in einer Woche 500 km in Richtung auf Luanda zurückgelegt. Ein gefährlicher weißer Gegner, dem die MPLA nicht gewachsen war.

Auf den Hilferuf Neto's und in schneller Absprache mit Havannah (und wohl auch Moskau) wurde das Eingreifen der Kubaner, das erst für die Zeit nach der Machtübernahme vorgesehen war, vorverlegt. Drei Tage vor dem Unabhängigkeitstage trafen an die 3 000 kubanische Soldaten auf kubanischen Schiffen in Luanda ein und sicherten die Hauptstadt nach Norden gegen die FNLA, vor allem aber nach Süden gegen die Südafrikaner ab. Die Südafrikaner stoppten ihren Vormarsch und waren nicht bereit, sich ohne Zustimmung der USA in Kämpfe mit den Kubanern einzulassen. Diese Zustimmung aber wurde von Washington verweigert — das Trauma von Vietnam wirkte nach.

So entwickelte sich alles nach Plan, und das Gros der Kubaner, das nach der alleinigen Machtergreifung der MPLA in der neuerrichteten Volksrepublik Angola mit sowjetischer Transporthilfe eintraf, konnte sich ohne Schwierigkeiten — da die Südafrikaner sich kampflos zurückzogen — weithin in Angola zunächst einmal durchsetzen. Daß die OAU (Organization of African Unity) und ihr Präsident den neuen Staat und seine sozialistischen Machthaber trotz harten sowjetischen Drucks erst nach vielen Wochen anerkannten, verhinderte nicht, daß viele Afrikaner bewundernd auf Castro blickten: Erstmals hatten sich Weiße einer schwarzen Militärmacht gebeugt Der Westen aber sprach vom „Stellvertreter-Krieg in Angola" und bezichtigte Moskau, die erste erfolgreiche Erweiterung der sowjetischen Machtbasis in Afrika organisiert und mit Hilfe des Stellvertreters Kuba realisiert zu haben.

f) Nach westlichen Vorstellungen ist die Entkolonialisierung eines zuvor kolonialen Gebietes abgeschlossen, wenn sich ein Staat gebildet hat, der völkerrechtliche Anerkennung findet. Indiz hierfür ist die Aufnahme in die UNO.

Ganz anders die marxistisch-leninistische Lehre. Es geht um die Befreiung vom Imperialismus. Lenin sagte „Die imperialistischen Mächte begehen systematisch den Betrug, scheinbar politisch unabhängige Staaten zu schaffen, die aber wirtschaftlich, finanziell und militärisch vollständig von ihnen abhängig sind." Die Entkolonialisierung ist also für Moskau erst abgeschlossen, wenn der neue Staat nicht mehr zum wirtschaftlichen und militärischen Einflußgebiet imperialistischer Staaten gehört. Der Westen dagegen versucht, die wirtschaftlichen Beziehungen zu dem neu-formierten Staat — zu beiderseitigem Nutzen — zu erhalten und begründet damit nach östlicher Vorstellung eine neokolonialistische Abhängigkeit. Für solche „Satellitenstaaten des Imperialismus in der Dritten Welt" ist also der Befreiungsprozeß noch nicht abgeschlossen. g) Interessant sind in diesem Zusammenhang die Geschehnisse um die Zairische Provinz Shaba 1977 und 1978. Präsident Mobuto von Zaire hatte im angolanischen Bürgerkrieg die von den USA protegierte und von Zaire aus operierende FNLA seines Schwagers Holden Roberto unterstützt. Er bekannte sich damit zur Partnerschaft mit der westlichen Welt. In Moskauer Sicht war also die Befreiung Zaires vom Imperialismus noch nicht abgeschlossen. Im März 1977 unternahmen Truppen der sozialistisch orientierten Kongolesischen Nationalen Befreiungsfront — im Kern bestehend aus Söldnern, die einst im Dienste Mobutos standen, dann wegen Rebellion des Landes verwiesen waren, sogenannte Katanga-Gendarmen — von Angola auseine Invasion in die Provinz Shaba. Sie zielte auf den Sturz Mobutos und die Einsetzung einer Regierung der Kongolesischen Befreiungsfront. Auf den Hilferuf Mobutos wurden über eine französische Luftbrücke marokkanische Eliteeinheiten nach Shaba geflogen. Sie schlugen die Eindringlinge nach Angola zurück. Im Mai 1978 wiederholte sich die Invasion. Dieses Mal wurde sie durch eilends herbeigeflogene französische Fallschirmspringer beendet. Der Stellvertreterkrieg von Angola hatte ein westliches Gegenbeispiel gefunden.

In Moskau und Luanda behauptet man, die angolesische Regierung Neto habe mit diesen Aktionen ehemaliger Katanga-Gendarmen nichts zu tun. Mag sein — nach dem Motto: Kämpfen bis zur Machtübernahme müßt ihr allein. Wenn indessen eine dieser Invasionen zum Umsturz in Zaire, zur Absetzung Mobutos und zur Machtübernahme durch die Kongolesische Befreiungsfront geführt hätte, so wäre die neue sozialistische Regierung gewiß der Rückendeckung der Sowjetunion sicher gewesen, wahrscheinlich in Gestalt kubanischer Soldaten. Denn die Kongolesische Befreiungsfront stand Castro und (über die MPLA Neto's)

Moskau nahe.

h) Die Erfahrungen in Afrika haben Moskau gelehrt, daß der Sieg in einem „Befreiungskrieg“ und die Formierung einer sozialistischen, freundschaftlich mit Moskau verbundenen Regierung noch nicht Stabilität des sowjetischen Einflusses bedeuten. Der anfängliche Elan des Vordringens sowjetischer Einflüsse auf diesem Kontinent hat manchen Rückschlag erlitten. Der Kurswechsel Sadats 1972 war der schwerste.

Moskau ist daher bemüht, sozialistische Regime marxistischer Prägung wirtschaftlich und militärisch so zu konsolidieren, daß ein Umsturz unwahrscheinlich ist. Es geschieht durch Einsatz von Tausenden von Beratern der aus der Sowjetunion, aus DDR und anderen sozialistischen Staaten — selbstverständlich im Einvernehmen mit der jeweiligen Regierung, die das sowjetische Engagement zumeist auch als eigene Existenzsicherung ansieht. Moskau ist dabei besonders daran interessiert, durch seine militärischen Berater Einfluß auf die Träger der Macht im Staate zu gewinnen, also auf Polizei und Streitkräfte.

Musterbeispiel für ein solches sowjetisches Engagement zwecks Konsolidierung eines marxistisch-leninistischen Regimes und damit Absicherung des sowjetischen Einflußbereichs ist die Freundschaft zwischen der Sowjetunion und dem Äthiopien Mengistus. Im November 1978 wurde der in diesen Fällen übliche Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit abgeschlossen.

Mengistu geriet in große Schwierigkeiten, als der marxistisch orientierte somalische Nachbar Siad Barre die somalischen Völkerschaften in der äthiopischen Provinz Ogaden unter Einsatz des somalischen Heeres zu befreien begann. Die Sowjetunion wurde beschworen, der eben geschlossenen Freundschaft die Tat folgen zu lassen. Doch Breschnew war in Nöten: Auch Somali war ein sozialistischer Freund — und seine Häfen am Indischen Ozean von strategischer Bedeutung für eine künftige sowjetische Flotte in diesem Bereich. Neutral zu bleiben in diesem sozialistischen Bruderkampf schied aus. Ein Einsatz sowjetischer Truppen fernab von der UdSSR kam nicht in Frage. So entschied sich Breschnew, den kubanischen Freund Castro für einen Einsatz seiner Soldaten in Ogaden zugunsten Äthiopiens zu gewinnen. Denn dieses Land war für die Sowjetunion der wichtigere Partner, nicht nur wegen der Größe des Landes, sondern auch wegen seiner zentralen Lage im Nordosten Afrikas. Dabei dürfte die Position am Roten Meer gegenüber dem ölreichen Saudi-Arabien von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein.

i) In diesem Zusammenhang verdient Beachtung, daß sich Breschnew schon frühzeitig über marxistische Kräfte Einfluß auf die Demokratische Volksrepublik (Süd-) Jenien mit ihrem strategisch wichtigen Hafen Aden gesichert hatte. Auch hierbei waren ihm —wie erwähnt — kubanische Soldaten und Militärberater behilflich gewesen. Selbstverständlich stand denn auch Süd-Jemen im Ogaden-Konflikt auf der Seite von Äthiopien. Der Einfluß Moskaus hat sich unter dem jetzigen Staats-präsidenten Abdul Fattah Ismail noch verstärkt. Saudi-Arabien ist beunruhigt, weil das an seiner Südgrenze am Roten Meer gelegene Nord-Jemen angesichts der von Süd-Jemen betriebenen Wiedervereinigungspolitik nicht mehr zur Ruhe gekommen ist. Steht Moskau dahinter?

j) Breschnew hat es immer abgelehnt, fernab von der Sowjetunion sowjetische Truppen in der Dritten Welt einzusetzen, sei es zur Niederschlagung konterrevolutionärer Entwicklungen (z. B. beim Umschwung Ägyptens 1972), sei eg zur Konsolidierung eines marxistischen Regimes (z. B. in Äthiopien). Es gibt bisher nur eine Ausnahme, und die betrifft Kuba. Im Oktober 1979 wurde in Washington bekannt, daß die Sowjetunion seit geraumer Zeit auf Kuba eine sowjetische . Ausbildungstruppe" von damals etwa 3 000 Mann stationiert hatte. Dies löste eine schwere Verstimmung bei Präsident Carter und im Senat aus. Die Chancen der Ratifizierung des SALT-II-Abkommens waren seitdem gleich null (nicht erst nach der sowjetischen Intervention in Afghanistan).

Es müssen schon schwerwiegende Gründe gewesen sein, die Breschnew zu dieser Entsendung eines geschlossenen Truppenteils nach Kuba bestimmt haben. Zwar hatte Kennedy anläßlich der Beilegung der Kuba-Krise von 1962 die Unabhängigkeit Kubas garantiert, also auf Interventionen jedweder Art verzichtet. Trotzdem blieb Kuba ein Dorn im Auge der USA. Bei krisenhaften Spannungen zwischen den USA einerseits und Kuba oder der Sowjetunion andererseits rechnete Breschnew sicherlich mit der Möglichkeit von US-Repressalien gegenüber Kuba. Seit kubanische Soldaten in Afrika eingesetzt sind, ist sogar die Möglichkeit einer militärischen Intervention der USA auf Kuba nicht ausgeschlossen. Doch hat die Stationierung von 3 000 sowjetischen Soldaten auf Kuba die Lage völlig verändert Nicht etwa, weil sie wesentliches zur Verteidigung der Insel beitragen könnten. Sondern einzig und allein, weil von nun ab eine militärische Intervention auf der Insel eine kriegerische Konfrontation zwischen den beiden Supermächten bedeutet. Breschnew weiß, daß auch die USA einen solchen Waffengang unter allen Umständen vermeiden wollen. Seine Folgen könnten für beide Staaten lebensgefährliche Konsequenzen haben. Breschnew weiß auch, daß die Stationierung sowjetischer Truppen in der Dritten Welt fernab von der Sowjetunion immer ein großes Risiko bleibt. M. E. ist daher angesichts der risiko-scheuenden Politik der heutigen Sowjetführung vorerst nicht damit zu rechnen, daß das Beispiel von Kuba an anderer Stelle wiederholt wird.

k) In diesem Zusammenhang muß auf die revolutionäre Situation in den mittelamerikanischen Staaten eingegangen werden. Selbstverständlich hat Moskau ein großes Interesse, daß der übergroße Einfluß der USA in diesen Staaten sein Ende findet und daß sozialistische Kräfte die Regierung übernehmen. Aber Breschnew weiß auch, daß Washington — heute mehr denn je — entschlossen ist, vor den Toren der USA keine feindlichen Positionen oder auch nur neutrale Vacua entstehen zu lassen. Kuba bereitet den Amerikanern bereits Kopfschmerzen genug. Der Chef des Kreml weiß — bei aller Sympathie für die neue Regierung in Nicaragua und die Aufständischen in El Salvador und Guatemala —, daß jedwedes sowjetisches Engagement in Mittelamerika ernste Konsequenzen auslösen kann. Kubanische Soldaten — in Afrika widerwillig geduldet — würden in El Salvador eine sofortige Intervention amerikanischer Streitkräfte zur Folge haben. Schon die Lieferung von Waffen aus Kuba an die Aufständischen in El Salvador ist ein Spiel mit dem Feuer. Reagan behauptet es — und droht mit einer Seeblockade Kubas. Wie auch immer die Dinge sich weiter entwickeln werden — und sie werden sich weiter entwickeln —, in Moskauer Sicht hat auch hier in Mittelamerika der weltweite Prozeß der Ablösung des Imperialismus begonnen.

1) Das Geschehen in der Dritten Welt hat weitgehende Konsequenzen für die Rüstungspolitikder Sowjetunion. Trotz des Aufholens der Sowjetunion auf nuklearem Felde und ihrer Erfolge im Weltraum — als Weltmacht konnte man bisher eigentlich nur die USA bezeichnen. Sie allein war interventionsfähig auf allen Weltmeeren. In Vietnam hatten die USA sogar dank maritimer Infrastruktur über lange Jahre hinweg eine Streitmacht von zuletzt 550 000 Mann unterhalten.

In den Reden Breschnews wird hin und wieder Chile als Beispiel dafür erwähnt, wie die sozialistische Entwicklung eines Landes geschichtswidrig durch einen konterrevolutionären Staatsstreich abgebrochen wird. Nach seiner Vorstellung waren die USA nicht bereit hinzunehmen, daß große amerikanische Monopole in Chile von Allende enteignet wurden. Der Niedergang der einst blühenden chilenischen Wirtschaft wird folglich nicht auf die Ineffizienz der sozialistischen Wirtschaft zurückgeführt, sondern auf die Handelsrestriktionen der USA gegenüber dem exportabhängigen Chile. So sei es gelungen, eine „konterrevolutionäre" Situation zu schaffen. Und hinter dem dann folgenden Umsturz durch General Pinochet, der den Tod Allendes und die Verfolgung der regierungstreuen Marxisten auslöste, wurde und wird die Hand des CIA gesehen. Unausgesprochen bleibt das Bedauern Breschnews, daß die Sowjetunion zu Zeiten Allendes (noch) keine Weltmacht war. Mit Rückendeckung einer auch im Südpazifik präsenten sowjetischen Seemacht — so die Schlußfolgerung — wäre die Entwicklung in Chile anders verlaufen.

In die Ära Breschnew fällt der Aufbau einer erdumspannenden sowjetischen Flotte. Sie kann es zwar noch nicht mit der quantitativ und qualitativ überlegenen Flotte der USA aufnehmen. Aber sie bildet an einzelnen Stellen bereits als fleet in being ein Gegengewicht für die überall präsenten amerikanischen Seestreitkräfte. Ab 1967 trat im Mittelmeer die 3. Eskadra auf, die die Tendenz hat, der 6. US-Flotte ebenbürtig zu werden. Angesichts der Spannungen um den Persischen Golf ist die Sowjetunion bemüht, der neuerdings im Indischen Ozean stationierten amerikanischen Flotte durch Aufstellung eines sowjetischen Flottenverbandes zu begegnen. Die Nord-Pazifik-Flotte der UdSSR mit ihrem gewaltig ausgebauten Kriegshafen Wladiwostok erstrebt Parität mit den entsprechenden Flottenverbänden der USA. DieNordatlantikseestreitkräfte der Sowjetunion sind den NATO-Verbänden in der Zahl der U-Boote weit überlegen und können im Ernstfall die Verbindungen der Partner der Atlantischen Gemeinschaft empfindlich stören. Und im Südatlantik hat die Sowjetunion ja schon vor fünf Jahren bewiesen, daß sie jedenfalls über eine Transportkapazität verfügt, kurzfristig Intervention die des kubanischen Stellvertreters ermöglichte. m) Kein Zweifel: Die Flottenrüstung der Sowjetunion hat unter Breschnew einen Umfang angenommen, der die einstige Kontinental-macht als werdende Weltmacht ausweist. Geschieht es, um mit gewagten militärischen Interventionen oder mit Panthersprüngen ä la Wilhelm II. weltweite Eroberungspolitik treiben zu können oder gar eines Tages die militärische Konfrontation mit der anderen Welt-macht USA zu suchen? Solche Vorstellungen mögen, wenn überhaupt, dem Machtdenken eines Stalin entsprochen haben. Sie sind aber seit Eintritt der Nuklearwaffe in die Geschichte der Menschheit pass. Das heißt aber auch für einen Breschnew nicht, daß die Macht der Sowjetunion keine Rolle mehr bei der Befreiung der Völker der Dritten Welt, bei der Verdrängung des Imperialismus aus diesem Bereich zu spielen hat. Ohne den Rückhalt der Macht der Sowjetunion, ohne die Entwicklung der Sowjetunion zur Weltmacht würde es den mächtigen Kräften der Restauration, vor allem eben der imperialistischen Führungsmacht, möglich sein, den fortgesschrittenen Prozeß in der Dritten Welt zum Stillstand zu bringen, wenn nicht gar einen Roll-back of Socialism herbeizuführen. Die Flotte der Sowjetunion in der Dritten Welt (wie auch die Nuklearmacht der Sowjetunion) hat nicht den Zweck, sich im Kampf gegen die Weltmacht USA zu bewähren. Sie erfüllten ihre Funktion als fleet in being. Das heißt, sie soll die militärische Gegenmacht der USA neutralisieren.

Wenn die militärische Macht neutralisiert ist, kann sich der geschichtliche Prozeß im Sinne seiner immanenten Gesetzlichkeit desto leichter entwickeln. Auch werden konterrevolutionäre Versuche von den USA auf der Basis militärischer Machtentfaltung wegen der gleichen Stärke der Gegenmacht UdSSR schwerlich riskiert. Denn beide Weltmächte sind einzeln und gemeinsam bemüht, es nicht zu einem Krieg untereinander kommen zu lassen. n) Als letztes — bevor wir uns mit Afghanistan der spannungsreichen Gegenwart nähern — noch ein Wort zur Lage im Fernen Osten, einschließlich Indochina. Wer Kuba die Rolle eines „sowjetischen Stellvertreters" in Mittelamerika oder darüber hinaus in der westlichen Dritten Welt zuspricht, wird geneigt sein, Vietnam als den „sowjetischen Stellvertreter" in Indochina zu bezeichnen. Der Vergleich läßt sich halten, wenn man den Antiamerikanismus Kubas in Indochina ersetzt durch die antichinesische Haltung Vietnams. Wie Moskau in der Dritten Welt einschließlich Mittel-und Südamerika den imperialistischen Einfluß der USA zurückzudrängen versucht, ist es im Fernen Osten bemüht, die werdende Groß -macht China und ihren expansiven Einfluß auf Indochina einzudämmen. Während die Sowjetunion im Norden Chinas diese Aufgabe zusammen mit der in den Sowjetblock integrierten Mongolischen Volksrepublik selbst ausführt, versucht sie im Südwesten von Afghanistan über Indien bis Indochina einen Cordon Sanitaire zu bilden.

Doch auch Vietnam sieht sich — wie Kuba — als blockfreies LandunA nicht als Befehlsempfänger Moskaus. Es beansprucht die Vorherrschaft in ganz Indochina, nachdem es erst Frankreich und dann die USA aus diesem Subkontinent verdrängt hat. Mit dieser historischen Leistung hat Vietnam die Achtung aller farbigen Völker der Dritten Welt erworben. Sie war nur möglich angesichts der Rücken-deckung, die Nord-Vietnam 25 Jahre lang bei der Sowjetunion und bei China gefunden hat. Doch die Wiedervereinigung Nord-und Süd-Vietnams und der Wiederaufbau des zerstörten Landes führten Vietnam zwangsläufig in die Hände der mächtigeren, wirtschaftlich und technologisch wesentlich weiter entwickelten Sowjetunion. Dazu kam eine tiefverwurzelte, geschichtlich gewachsene Abneigung der Vietnamesen gegen China, die in Indochina immer nur eine tributpflichtige Provinz gesehen haben. Differenzen um einige Inseln im Golf von Tonking, die China sich am Ende des Vietnamesischen Krieges angeeignet hatte, waren nur der Anlaß zum Bruch.

Moskau respektierte den Unabhängigkeitswillen dieses ihm seit den Tagen Ho Chi Minhs ideologisch eng verbundenen Landes und erwies sich in jeder Beziehung als großzügig. Laos hatte sich bereits dem Druck der Militärmacht Vietnam gebeugt. Als nun Kambodscha unter seinem Blutherrscher Pol Pot erfolgreich Anlehnung an China suchte, fielen vietnamesische Verbände, unterstützt von starken Partisanenverbänden der Gegner Pol Pots, in Kambodscha ein und ernannten eine vietnamfreundliche Marionetten-Regierung unter Heng Samrin. Moskau deckte das Ganze nach bekanntem Vorbild diplomatisch ab und erkannte zusammen mit der DDR die neue Regierung als allein legitimierte Vertretung des kambodschanischen Volkes an. Doch anders als im Fall Angola setzte sich die neue Regierung Heng Samrin nicht militärisch durch. Die UNO erkannte weiterhin das Pol-Pot-Regime an, und viele Staaten gerade auch der Blockfreien verurteilten das Vorgehen Vietnams als Aggression.

Die weitere Entwicklung in Kambodscha ist nicht zu übersehen, zumal China die vietnamesische Armee durch fortgesetzte Grenz-Scharmützel (und 1980 durch eine für beide Seiten außerordentlich blutige Strafaktion) an der chinesischen Grenze zu binden bemüht ist. Moskau stützt seinen Verbündeten Vietnam weiterhin, ist aber über die Lage in Indochina angesichts der Komplikationen, denen es sich in Afghanistan und in Polen gegenübersieht, nicht glücklich. Mit ideologischen Auseinandersetzungen hat das ganze nicht viel zu tun. Es geht um den Machtkampf China/Sowjetunion im Fernen Osten.

o) Der Übergang zur Gegenwart: Afghanistan ist für die amerikanische Führung zum Wendepunkt ihrer Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion geworden. Hat Breschnew mit dem Einmarsch in Afghanistan sein bisheriges Konzept aufgegeben und den Weg stalinistischer Expansionen wieder aufgenommen?

Afghanistan hatte seit dem Zweiten Weltkrieg einen neutralistischen Kurs der Blockfreiheit eingehalten. Nach dem Sturz von König Mohammed Zahir durch Mohammed Daud (1973) bestand zeitweise eine Abhängigkeit auf militärischem und wirtschaftlichem Felde, die der wohlwollenden finnischen Neutralität gegenüber der Sowjetunion („Finnlandisierung") nicht nachstand. Man sprach von einer „Afghanisierung"' . In der Tat war die Sowjetunion an Afghanistan als Gegengewicht gegen die Amerikanisierung des Irans unter dem Schah interessiert. In dieser Zeit der Abhängigkeit verstärkte sich in Afghanistan der kommunistische Einfluß auf die linksorientierte Khalq-Partei unter Nur Mohammed Taraki und vor allem auf deren linken Flügel, die Partscham-Fraktion unter Babrak Karmal.

Ab 1977 versuchte sich Daud vorsichtig aus den Fängen der Sowjetunion freizumachen und wieder den Moslemstaateh Pakistan, Iran und Saudi-Arabien anzunähern — zur Enttäuschung Moskaus und der Khalq-Partei. In einem blutigen Staatsstreich im April 1978 unter Beteiligung des gleichfalls zur Khalq-Partei gehörenden Luftwaffenchefs Abdul Quadir wurde Daud getötet, sein Regime beseitigt.

Eine sowjetfreundliche Revolutionsregierung unter Taraki übernahm die Macht. Von Moskau wird wenig glaubhaft, aber nachdrücklich bestritten, daß es bei dieser Revolution irgendwie die Hand im Spiel gehabt habe — weder initiativ noch in der Durchführung. Tatsache bleibt, daß dieser Staatsstreich Breschnew außerordentlich gelegen kam.

Die geopolitische Lage des Landes war für die Sowjetunion von größter Bedeutung. Da ist die Nähe des Indischen Ozeans für eine Kontinentalmacht mit Weltmachtambitionen bedeutsam. Die Verbindungslinien China—Pakistan können im Ernstfall mühelos abgeschnitten werden. Eine Fortsetzung der chinesischen Expansion über Tibet hinaus nach Westen hätte dem Süden der Sowjetunion in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit China gefährlich werden können. Bedeutender noch ist die Nähe zum Iran und zum Persischen Golf. In den sechziger und besonders den siebziger Jahren hatte sich immer stärker die Abhängigkeit der westlichen Welt und insbesondere der europäischen Industriestaaten vom Erdöl herausgestellt. Nun produzieren aber die Golfstaaten etwa so viel wie die USA und die Sowjetunion zusammen und wesentlich mehr als alle anderen Erdölländer der Erde Für die europäischen NATO-Staaten jedenfalls gilt, daß ihre Wirtschaft zusammenbrechen muß, wenn der Nachschub an Erdöl aus den Staaten des Golfgebiets ausbleibt. Die Positionen, die sich die Sowjetunion um dieses Erdölgebiet herum aufbaute (in Äthiopien und Süd-Jemen, in Syrien, dazu das eigene Ausfalltor vom Kaukasus und nun vielleicht Afghanistan), mußten zureichende Mahnung für die westeuropäischen Staaten sein, sich mit der Sowjetunion gutzustellen.

Ein Jahrhundert lang hatte Großbritannien mit dem zaristischen Rußland um die Vorherrschaft in Afghanistan gerungen. Herausgekommen war für die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg die Neutralität des Landes. Der militärisch starke Iran, lange Jahre von den USA protegiert, wurde als Stabilitätsfaktor im Nahen und Mittleren Osten auch von Moskau respektiert. Jetzt hatte Carter aus menschenrechtlichen Motiven den Schah fallenlassen. Der Zerfall der Militärmacht Iran ließ in der ganzen Region ein Vakuum entstehen. Die Gelegenheit war für die Sowjetunion denkbar günstig, in Afghanistan . klare Verhältnisse'zu schaffen, zumal im benachbarten Iran die weitere Entwicklung nach der islamischen Revolution gänzlich unübersehbar war.

Breschnew wußte, daß größte Vorsicht angezeigt war. Denn lebenswichtige Interessen des Westens waren bei einer Inkorporierung Afghanistans in den sowjetischen Macht-und Einflußbereich jedenfalls mittelbar betroffen. Andererseits ließen die engen freundschaftlichen Beziehungen der Sowjetunion zur sozialistischen Regierung Afghanistans unter Taraki und Amin zu, die Erweiterung der sowjetischen Macht in Formen vorzunehmen, die von der westlichen Seite weder als Intervention noch als völkerrechtswidrige Einmischung betrachtet werden konnten. Denn die afghanischen Führer, mit denen die westlichen Staaten keineswegs diplomatisch gebrochen hatten, sahen in der wirtschaftlichen und militärischen Einbindung Afghanistans in den sowjetischen Block nur Vorteile und Sicherheit für das eigene Regime. Eine militärische Konfrontation mit imperialistischen Staaten, die ständige Sorge Breschnews, konnte aus einer allmählichen Integrierung Afghanistans in den Sowjetblock — mit Zustimmung der Regierung Afghanistans vollzogen — nicht entstehen.

Im Dezember 1978 schloß die Sowjetunion einen Beistandspakt mit Afghanistan ab, der über die mit Vietnam oder Äthiopien abgeschlossenen Freundschaftsverträge noch hinausgeht. Eine ständig steigende Zahl von sowjetischen Beratern wurde nach Afghanistan beordert. Binnen eines Jahres wurden mehr als 300 Verträge über wirtschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen. Das Land war hierdurch de facto in den Comecon eingeordnet, den wirtschaftlichen Zusammenschluß aller sozialistischen Staaten des Sowjetblockes Die militärische Integrierung Afghanistans war für Moskau noch wichtiger. Sie ging mit gleichem Tempo vor sich dank Tausender von sowjetischen Militärberatern. Ein Land wechselte über von der Dritten Welt in den Machtbereich des Sowjetblocksxmd seiner sozialistischen Staatengemeinschaft. Was im Fall Kuba und Vietnam wegen der räumlichen Distanz nicht durchführbar war — hier, im Fall Afghanistans, war es möglich wegen der territorialen Verbindung mit der Sowjetunion. Der Westen schaute indessen gebannt auf die Ereignisse im Iran. Er erkannte zu spät, welche Bedeutung den Ereignissen im Nachbarland Afghanistan zukam.

Doch die Dinge entwickelten sich anders, als Breschnew erwartet hatte. Eine von der afghanischen Regierung Taraki mit drakonischen Methoden erzwungene Landreform führte allmählich zu einem Volksaufstand, der das ganze Land erfaßte. Mit Zustimmung oder auf Drängen der afghanischen Regierung brachte die Sowjetunion immer mehr Militär ins Land, auch Panzer und Flugzeuge Sie waren aktiv an der Seite der Regierungstruppen in den Bürgerkrieg verwickelt. An die 100 000 Afghanen flohen im Laufe des Jahres 1979 über die Grenzen. Die kampffähigen Männer unter ihnen wurden in Pakistan in Militärlagern ausgebildet. Moskau behauptet, die Ausbilder in diesen Lagern wären aus den Moslemstaaten bis einschließlich Ägypten und aus China gestellt worden, die materielle Ausrüstung einschließlich Waffen durch den CIA. Diese Rebellen, wie sie im Osten, Freiheitskämpfer, wie sie im Westen genannt wurden, nahmen den Partisanenkrieg mit den afghanischen Truppen des Regimes Taraki/Amin auf — außerordentlich erfolgreich, wie sich herausstellte. In westlichen Zeitungen wurde im Herbst 1979 wiederholt berichtet, daß drei Viertel Afghanistans nicht mehr unter Kontrolle der Regierung stand. Die Lage glich verblüffend ähnlich der Situation Ende 1963 in Vietnam, wo Kennedy über 16 000 Militärberater eingesetzt hatte. Auch sie vermochten im Partisanenkrieg nichts auszurichten und mußten immer größere Verluste hinnehmen.

Inzwischen war es in der Führungsspitze Afghanistans zwischen Taraki und Amin zu einem Machtkampf gekommen. Taraki blieb auf der Strecke, Amin übernahm die Herrschaft. Doch auch er konnte sich gegenüber den Aufständischen nicht behaupten. Im Westen rechnete man bereits fest mit seinem Sturz. In dieser verzweifelten Lage nahm Amin, bis dahin ein besonders treuer Parteigänger Moskaus, insgeheim Verbindungen zu den Aufständischen auf. Und das brachte das Faß zum überlaufen. Breschnew mußte sich entscheiden. Die Verluste unter den sowjetischen Militärberatern wurden immer größer; afghanische Divisionen meuterten. Ein Abwarten hätte Moskau in Kürze vor das fait accompli eines Umsturzes in Kabul stellen können. Es gab nur eine Alternative: Entweder die Militärberater zurückziehen und das Land aufgeben mit der Folge, daß nach dem Sturz der Regierung mit Sicherheit eine antisowjetische und antikommunistische Regierung der Aufständischen die Macht in diesem strategisch wichtigen Grenzland der Sowjetunion übernommen haben würde, oder aber mit großem militärischen Einsatz das Land im Machtbereich der Sowjetunion erhalten (wobei selbstverständlich der unzuverlässige Amin durch den auf seine Aufgabe vorbereiteten Babrak Karmal ersetzt werden mußte).

Wer auch nur ein wenig mit marxistisch-leninistischen Vorstellungen und der sowjeti- sehen Einstellung zu Fragen der Macht vertraut war, wußte, wozu sich das Politbüro unter Führung Breschnews entschließen würde: zur militärischen Intervention, übrigens hatten sich ja die Amerikaner in Vietnam auch zu einem solchen (später als verhängnisvoll erkannten) Schritt durchgerungen. Die psychologischen Zwänge sind in solcher Situation für den Lenker einer Großmacht fast unausweichlich.

Der Oberkommandierende der NATO, Alexander Haig, heute Außenminister der USA, und seine Berater rechneten damals mit dem Einmarsch der Sowjetunion — allerdings erst für das Frühjahr 1980. Auch soll der US-Botschafter in Moskau, William Toon, frühzeitig Washington in seinen Berichten auf diese wahrscheinliche Entwicklung hingewiesen haben Aber damals war die Entscheidung über die Ratifizierung von SALT II im Senat noch nicht gefallen. Carter gab sich noch der Hoffnung hin, der Senat würde diesen für ihn wichtigsten Vertrag ratifizieren. Außerdem hatte das Weiße Haus genug Sorgen mit der Entwicklung im Iran. So übersah der Präsident geflissentlich, was sich in Afghanistan zusammenbraute. Die sowjetische Intervention Ende Dezember 1979 rief in der ganzen Welt Bestürzung hervor — besonders unter den Blockfreien, denn Afghanistan war einer der ihren gewesen. Die Gewalttat erhielt durch die Ermordung des amtierenden Ministerpräsidenten Hafizullah Amin und die Einsetzung des aus der Sowjetunion herbeigeholten Babrak Karmal eine besondere Akzentuierung.

In der UNO-Vollversammlung kam es in großer Geschlossenheit fast aller Staaten der Erde (ohne die Ostblockstaaten) zu einem Beschluß, der den Völkerrechtsbruch der Sowjetunion verurteilte und sie aufforderte, unverzüglich ihre Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen. Die Reaktion Carters, des Kongresses und der amerikanischen Öffentlichkeit ließen keinen Zweifel darüber: Die Phase der Entspannungspolitik war beendet. Auch die europäischen NATO-Partner waren bestürzt, aber zurückhaltender in ihrer Reaktion. Einsichtigen Politikern im Westen war seit langem klar, daß die Ost-West-Beziehungen mit der expansiven Politik der Sowjetunion in Afrika und Indochina, mit der Stationierung sowjetischer Tuppen auf Kuba und mit der sowjetischen Aufrüstung, insbesondere im europäischen Mittelstreckenbereich, einer Krise zutrieben.

Der große außenpolitische Schachspieler Breschnew hat ganz sicher mit dieser Reaktion auf den Einmarsch in Afghanistan gerech-net. Der Nachrüstungsbeschluß der NATO vom Monat zuvor war nicht dazu angetan, ihm den Rückzug aus Afghanistan nahzulegen. Ganz sicher wird Breschnew zu seinen Lebzeiten und werden seine Nachfolger dieses strategisch wichtige Land nicht wieder aus dem Sowjetblock entlassen.

Der Fehler der westlichen Beurteilung des Vorgangs Afghanistan ist m. E., daß man gebannt auf die (zweifellos völkerrechtswidrige) Intervention vom Dezember 1979 blickt. Die wirkliche Entscheidung war jedoch bereits im April 1978 mit dem Staatsstreich gegen Daud und die nachfolgende wirtschaftliche und militärische Einbindung in den Sowjetblock gefallen.

Erkenntnisse, die aus den Afghanistan-Ereignissen zu gewinnen sind, wären m. E.: Es besteht ein Interesse der Sowjetunion, daß die dem Sowjetblock territorial vorgelagerten Staaten blockfrei, neutral und womöglich wohlwollend neutral sind (siehe z. B. Finnland und Jugoslawien). Treten in solchen Staaten aber Entwicklungen ein, die befürchten lassen, daß sich an Stelle der Neutralität ein antisowjetischer und antikommunistischer Einfluß der USA (oder Chinas) in der Regierung durchsetzt, so ist die Möglichkeit präventiver sowjetischer militärischer Interventionen nicht auszuschließen, wenn die Weltlage und die Un-aufmerksamkeit oder Schwäche des Westens es gestatten. Die Annahme, die Sowjetunion habe mit Afghanistan „die Maske fallen gelassen" und werde bei günstiger Gelegenheit unter Aufgabe der Koexistenzpolitik auch gegenüber dem NATO-Staat Bundesrepublik Deutschland (oder gegenüber Norwegen) entsprechend vorgehen, ist m. E. aber durch nichts gerechtfertigt. 2. Breschnews Koexistenz-Politik mit den NATO-Staaten Die sowjetische Entspannungspolitik und ihre Durchsetzung in Europa wird bei uns als Werk und Verdienst Breschnews angesehen. Er schaltete sich damit zum ersten Mal aktiv in die Außenpolitik ein, während bis dahin Kossygin die Fäden der Außenpolitik in der Hand zu haben schien. Doch dürfte Kossygin innerhalb des Politbüros schon frühzeitig aus wirtschaftlichen Gründen den Weg zur Entspannung geebnet haben.

a) Die Entspannungspolitik sieht aus heutiger Sicht anders aus als zu Beginn der siebziger Jahre Die Erwartungen der Freunde dieser Politik sind nur zum Teil eingetroffen. Doch verglichen mit den gefährlichen Spannungen der fünfziger und sechziger Jahre haben sich die Ost-West-Beziehungen in Berlin, in Deutschland und in Europa ganz entschieden zu beiderseitigem Nutzen verbessert, auf jeden Fall entkrampft Am meisten hat West-Berlin davon profitiert; im innerdeutschen Verhältnis ist eine gewisse Normalisierung eingetreten.

Dafür sind aber heute nach 10 Jahren gemeinsamer Bemühungen um den Abbau der europäischen Konfliktstoffe schwere Gewitterwolken im gesamten globalen Ost-West-Verhältnis aufgezogen, die Europa nicht verschonen: die zielstrebig betriebene Expansion des sowjetischen Einflußbereichs in der Dritten Welt, einschließlich der militärischen Engagements von Kuba und Vietnam; die machtmäßige Einverleibung Afghanistans in den Sowjetblock; die stetige sowjetische Aufrüstung, vor allem von den Europa bedrohenden Mittelstreckenraketen modernster Bauart; die Instabilität des sozialistischen osteuropäischen Vorfeldes, besonders Polens (der auf westlicher Seite eine gleiche Instabilität in Mittelamerika gegenübersteht).

Die Gegner der Entspannungspolitik sehen sich in ihrem tiefwurzelnden Mißtrauen gegenüber der Sowjetunion und ihren Führern bestätigt. Sie behaupten, die Sowjetführer hätten die friedliche Koexistenz nur als taktische Phase im Rahmen ihrer Strategie zur Expansion sowjetischer Macht benutzt. Breschnew habe durch friedfertige Politik in Europa und entspannungsfeindliche Politik in der Dritten Welt die mit dem Westen vereinbarte Geschäftsgrundlage, die globale Unteilbarkeit der Entspannung, vorsätzlich verletzt. Mehr noch: Er habe den Westen zu Beginn bewußt getäuscht, um inzwischen wichtige faits accomplis in der Aufrüstung und in der Dritten Welt zu schaffen., Doch die Fakten sehen anders aus. Die heute vielzitierte Unteilbarkeit der Entspannung ist ein westlicher Slogan; sie ist niemals von Breschnew zugesichert oder global anerkannt worden. Vielmehr war es der Westen, der Anfang der siebziger Jahre die vielen Spannungen auf dieser Erde bewußt hinnahm, um wenigstens in Europa eine gefährliche Konfrontation im Rahmen des Möglichen abzubauen. Zu Zeiten der größten Erfolge dieser Politik in Europa (der Moskau-Vertrag vom August 1970, der Berlin-Vertrag vom September 1971, die KSZE-Verhandlungen von 1973 bis 1975), zu Zeiten der größten Annäherung von USA und Sowjetunion (1972 SALT I, 1973 Vertrag über die Verhinderung von Nuklearkriegen) lief der Vietnahm-Krieg auf höchsten Touren, ein Krieg, den die Nord-Vietnamesen — darüber bestand auch im Westen kein Zweifel — nur dank der sowjetischen Rückendeckung und Waffenhilfe erfolgreich durchstehen konnten. Die immer engeren sowjetischen Beziehungen zu Nasser mit umfangreichen Waffenlieferungen, mit dem Einsatz von etwa 20 000 sowjetischen Militärberatern, zuletzt sogar von SAM-3-Raketen mit sowjetischer Bedienung in Ägypten, der zunehmende Einfluß der Sowjetunion auf die Demokratische Volksrepublik (Süd-) Jemen, die enge Kooperation der Sowjetunion mit Somalia, das sich unter dem Einfluß von 6 000 sowjetischen Militärberatern zum „Wissenschaftlichen Sozialismus" bekannte, die Waffenlieferungen an diverse Freiheitsbewegungen in Afrika, die sich immer mehr dem sowjetischen Einfluß öffneten, die Rückendeckung, die die Palästinensischen Freiheitskämpfer aller Art in Moskau fanden, all das vollzog sich unter den Augen des Westens, aber hat ihn nicht veranlaßt, das sowjetische Angebot friedlicher Koexistenz in Europa fallenzulassen.

Eine generell oder stillschweigend vereinbarte Entspannungspolitik für die ganze Erde hat es nicht gegeben. Eine solche Politik des Alles oder Nichts wäre in Fragen von Frieden und Entspannung auch höchst töricht. Man muß froh sein, wenn Großmächte sich angesichts der weltweit bestehenden Konflikte bald hier und bald dort zu verständigen vermögen, statt in globaler Konfrontation zu verharren und einen für die Menschheit lebensgefährlichen Rüstungs-und Machtwettkampf aufzunehmen.

b) Natürlich hatten die westlichen Staaten die Hoffnung, die sowjetischen Führer durch die Erfolge der Entspannungspolitik in Europa auch sonst zu einer grundlegenden Änderung ihrer Außenpolitik und ihrer Einstellung zum Westen bewegen zu können. War nicht schon ein ständiger Prozeß seit Chruschtschow und vermehrt unter Breschnew zu beobachten, die weltrevolutionären Ideen eines Marx und Lenin im Zeitalter der Nuklearwaffen als illusionär an den Nagel zu hängen?

Diese Hoffnungen erwiesen sich als illusionär. Sie waren nicht realistisch, weil sie m. E. die ideologischen Motive der sowjetischen Außenpolitik verkannten oder unterschätzten. Aufschlußreich ist hier eine Anekdote, die 1972 im Diplomatischen Corps in Moskau erzählt wurde. Giscard d'Estaing war damals anläßlich eines Staatsbesuches in der sowjetischen Hauptstadt. Wie ein Zeuge seines Gesprächs mit Breschnew zu berichten wußte, hatte Giscard den Generalsekretär nachdrücklich darauf hingewiesen, daß seine Politik der friedlichen Koexistenz erst dann wirklich überzeugungskräftig sei, wenn er für zwei Dinge sorge: Zum ersten müsse die ideologische Auseinandersetzung auf parteilicher Ebene eine größere Mäßigung erfahren. Und zum anderen solle er, Breschnew, doch dazu beitragen, daß sich die in Europa abklingenden Spannungen nicht als neuer Machtkampf in die Dritte Welt verlagerten. Breschnew soll ihm darauf dem Sinne nach geantwortet haben — relata refero: „Wenn ich dieses Glas Wasser, Herr Staatspräsident, auf den Erdboden fallen lassen, so zerschlägt es. Was würden Sie sagen, wenn ich Sie bitten würde, durch staatliche Anordnungen oder Gesetze sicherzustellen, daß dieses Glas langsam fällt und friedlich auf dem Boden aufsetzt. Sie würden sagen, Naturgesetze kann man nicht durch staatliche Anordnungen abändern. Und ich sagen Ihnen, die Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus ist ein solches unabänderliches Naturgesetz. Ich kann es nicht durch Weisungen beeinflussen — und ich will es auch nicht!“ Auch wenn diese Anekdote nicht wahr sein sollte, sie könnte es. Denn sie entspricht dem Glauben überzeugter Marxisten -

c) Der Entspannungsprozeß richtete sich auf Reduzierung und Milderung politischer Spannungen in Europa. An ihn war aber die Hoffnung geknüpft worden, in einem späteren Stadium, wenn etwas mehr Vertrauen zwischen den Partnern aufgekommen wäre, auch eine militärische Entspannung herbeiführen zu können, sei es mittels gemeinsamer Rüstungskontrolle, sei es in Form von Truppenreduzierungen in Europa, sei es im günstigsten Falle durch Abrüstungsverträge.

Leider waren die wechselseitigen Wünsche und Interessen auf militärischem Felde nicht zur Deckung zu bringen. Das lag (und liegt) daran, daß die Europäer die Ost-West-Konfrontation als einen Gegensatz der NATO (mit der Führungsmacht USA) und des Warschauer Paktes (mit der Führungsmacht Sowjetunion) verstanden. Für Moskau sind die USA aber keineswegs nur die Kernmacht der in Europa engagierten NATO. Der Kreml hat zu keinem Zeitpunkt aus den Augen verloren, daß die USA die eigentliche globale imperialistische Gegenmacht sind, die dank ihrer nuklearen Überlegenheit und ihrer weltweiten Wirtschaftsmacht den geschichtlichen Prozeß aufhält.

Die Europäer wünschten von der Sowjetunion den Abbau ihrer Überlegenheit in Europa auf konventionellem Gebiet. 18 000 Panzer im Warschauer Pakt sprachen gegenüber 8 000 Panzern in der NATO eine eindeutige Sprache. Die Sowjetunion dagegen wünschte den Abbau der nuklearen und globalen Uberlegenheit der USA. Die Europäer sprachen vom Kräftegleichgewicht und meinten: in Europa. Die Sowjetunion sprach vom Kräftegleichgewicht und meinte die globale Gesamtbilanz mit den USA Die USA hatten unter diesen Aspekten für Breschnew eine ganz andere Qualität wie die westeuropäischen NATO-Staaten. Nicht die Europäer, nicht die NATO, nur die Amerikaner selbst konnten der Sowjetunion Parität beim Nuklearrüsten zugestehen.

So sah Breschnew zu seiner Freude, daß sich die Amerikaner schon Mitte der siebziger Jahre zu einer Reihe von bilateralen Abkommen mit der Sowjetunion auf nuklearem Gebiet bereitfanden. Gegenstand waren: der Stopp von Atomwaffentests in der Atmosphäre, Freihaltung des Meeresbodens, des Weltraums, des Mondes von Atomwaffen, Südamerika als atomwaffenfreie Zone. Auch hinsichtlich eines multilateralen Atomwaffensperrvertrages — erforderlich wegen der steigenden Zahl von Schwellenmächten — hatte sich die Sowjetunion als verläßlicher Partner erwiesen. So entschloß sich Präsident Nixon 1969 zu Rüstungskontrollgesprächen mit der UdSSR über die Begrenzung Strategischer Waffen (SALT) — ein schwieriges und riskantes Unternehmen. Denn die Sicherheit beider Supermächte war involviert. Trotz beiderseitigen Mißtrauens hatte man in Washington und Moskau begriffen: Im atomaren Zeitalter gibt es keine Alternative zur Koexistenz. Anfang der siebziger Jahre kam es zum Höhepunkt der Entspannung zwischen den beiden Supermächten: 1972 unterzeichneten Breschnew und Nixon in Moskau den SALT-I-Vertrag (er begrenzte die Zahl der Systeme zur Abwehr Strategischer Raketen) und ein Interimsabkommen für fünf Jahre (es begrenzte die Zahl offensiver Strategischer Raketen).

1973 ging man noch weiter: In Washington wurde von Nixon und Breschnew ein Abkommen zur Verhinderung von Nuklearkriegen (laut Art. VII „unbegrenzt gültig“!) unterzeichnet Es verpflichtete die beiden Großen auch gegenüber ihren Alliierten zu einem Krisenmanagement, wo immer auf der Erde Konflikte mit Eskalationsgefahr ausbrechen sollten.

Aber was auch immer bei diesen großen Begegnungen gesprochen oder in Vertragstexten niedergelegt wurde, an keiner Stelle gestand Nixon seinem Gegenspieler globale Parität der Rüstungzu. Kissinger hat zwar in den Jahren danach wiederholt die These aufgestellt, daß ein Kräfteungleichgewicht die Aggression ermutige und daß der Friede auf einem Gleichgewicht globaler Stabilität beruhe. Aber gleichzeitig hat er immer betont, daß die USA der Sowjetunion in der Gesamtbilanz weit überlegen sei. (Zitat aus seiner berühmB ten Bostoner Rede vom 11. März 1976 — also nach Angola: „Ungeachtet ihrer unvermeidlichen Machtvermehrung bleibt die Sowjetunion weit hinter uns und unseren Alliiertenbei jeder Gesamteinschätzung der militärischen, wirtschaftlichen und technologischen Stärke zurück.")

d) Diese fortbestehende globale Überlegenheit der USA hat Breschnew niemals akzeptiert. Er hat in den siebziger Jahren weiterhin versucht, durch Rüstung globale Parität mit den Amerikanern zu erzielen. Und er hat gleichzeitig zwecks Ausgleich der globalen amerikanischen Überlegenheit die in Europa bestehende sowjetische Überlegenheit auf konventionellem Gebiet aufrechterhalten. Letzteres war im Zeichen der europäischen Entspannungspolitik nicht ganz einfach zu realisieren. Als Gegengabe für die von Moskau konzedierte Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten und im geteilten Berlin hatten die NATO-Staaten in Verhandlungen über eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) eingewilligt. Es ging Breschnew dabei nicht nur um die westliche Anerkennung des Status quo, wie er sich nach dem Krieg in Ost-und Mitteleuropa entwickelt hatte. Es ging ihm auch um wirtschaftliche und den großen Zusammenarbeit mit Industriestaaten, um den Rückstand der Sowjetunion auf diesen Gebieten zu überwinden.

Heikel war dabei das Problem der Sicherheit Europas. Ursprünglich hatte Stalin in den fünfziger Jahren mit einer solchen Konferenz die gesamten euopäischen Staaten in den sowjetischen Einflußbereich miteinbeziehen wollen. Aber davon war nicht mehr die Rede, nachdem sich die USA als Führungsmacht der NATO in Europa eingeführt hatte. So bestand Kissinger in den Vorverhandlungen zur KSZE darauf, daß zu den Themen der Konferenz auch gegenseitige ausgewogene Truppenreduzierungen in Europa gehören sollten. Daraufhin schlug Breschnew vor, die militärischen Aspekte der europäischen Sicherheit in einer gesonderten Konferenz über Truppenreduzierung in Mitteleuropa zu behandeln. Der Vorschlag wurde von der NATO angenommen So entstand neben der KSZE in Genf und Helsinki die MBFR-Konferenz in Wien.

Breschnew hatte zweierlei mit seinem Vorschlag erreicht: Zum ersten würden die außerordentlich schwierigen militärischen Fragen die große politische Entspannungskonferenz von Helsinki nicht mehr belasten. Zum zweiten war er aber fest entschlossen, im Rahmen der MBFR die in Mitteleuropa bestehende quantitative Überlegenheit der Truppen des Warschauer Pakts beizubehalten — wenn auch vielleicht auf beiderseits niedrigerem Niveau. Dem entsprachen die sowjetischen MBFR-Vorschläge: zunächst der Moratoriums-Vorschlag, für die Dauer der Konferenz die zahlenmäßige Stärke der beiderseitigen Streitkräfte in Mitteleuropa nicht zu vergrößern. Dann ein heute noch auf dem Tisch liegender Vorschlag, das bestehende Kräfteverhältnis nicht zu verändern und beiderseits eine prozentual gleiche Reduzierung der Streitkräfte herbeizuführen. Der Westen lehnte beides ab und forderte statt dessen, das für den Osten bestehende überlegene Kräfteverhältnis durch stärkere Reduzierung östlicher Streitkräfte in einen Zustand der Parität auf möglichst niedrigem Niveau zu überführen. Aber das lag nicht in Breschnews Absicht, und so war die MBFR ein totgeborenes Kind.

Man hat dann jahrelang darüber gestritten, ob das bestehende Kräfteverhältnis unter Berücksichtigung aller Faktoren (Zahlenstärke, Waffenart, Entfernung der beiden Hauptmächte von Mitteleuropa) mehr oder minder gleich ist — so Breschnew — oder nicht doch ein erhebliches konventionelles Übergewicht der Warschauer-Pakt-Staaten aufweist — so der Westen Daran hat sich bis heute nichts geändert, obgleich Breschnew dem Westen ein wenig entgegengekommen ist: a) mit der einseitigen Zurückziehung von 20 000 Mann und 1 000 Panzern aus der DDR entsprechend seiner Ankündigung vom Oktober 1979 und b) mit dem Angebot, weitere 20 000 Mann aus Mitteleuropa zurückzuziehen, wenn die Amerikaner 13 000 Mann aus diesem Raum entfernen würden.

Doch Washington und Moskau wie auch die Europäer wissen heute, daß die großen ost-westlichen Rüstungsprobleme für konventionelle Streitkräfte und für Mittelstreckenkernwaffen für den europäischen Raum und für das globale Kräfteverhältnis USA/Sowjetunion in einem stehen unlösbaren Verbund (hierüber mehr in dem späteren Abschnitt „Sicherheits-Politik der Sowjetunion gegenüber der USA"). 3. Die sozialistischen Staaten im Sowjetblock Der Sowjetunion konzentrisch vorgelagert sind die sozialistischen Staaten: im Westen die im Warschauer Pakt integrierten Staaten Bulgarien, ÖSSR, DDR, Polen, Rumänien und Ungarn. Im Osten bildet die gleichfalls militärisch in den Sowjetblock integrierte weiträumige Mongolische Volksrepublik einen Pufferstaat zwischen der UdSSR und China. Und im Süden wird Afghanistan gezwungen, ein der Mongolischen Volksrepublik vergleichbares sozialistisches Vorfeld der Sowjetunion zu werden. Versuche Stalins, nach dem Krieg in Nord-Persien ein ähnliches-sozialistisches Vorfeld zu schaffen, wurden bereits erwähnt.

Diesem sozialistischen Staatengürtel ist hier und da noch ein weiteres neutrales oder quasi-neutrales Vorfeld vorgelagert, in dem auf keinen Fall militärischer Einfluß westlicher Staaten geduldet wird. Die Art der Neutralität ist wenig homogen: Finnland, Schweden, Österreich, Afghanistan bis 1978. Vielleicht kann man auch das blockfreie Jugoslawien hierzu rechnen und Nordkorea, das zwischen China und der Sowjetunion einen Balanceakt ausführt

Das weite Vorfeld der osteuropäischen Staaten, das im Laufe der Geschichte mehrmals das Einfallstor für westliche Invasionen nach Rußland gewesen ist, bildet heute für die Sowjetunion eine gewisse militärische Sicherung des sowjetischen Territoriums bei einem konventionell geführten Krieg. Es könnte aber auch als Aufmarschgebiet für Offensiven in westlicher Richtung benutzt werden. In Moskau wird demgegenüber herausgestellt, daß es primär um die Sicherung des Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung in diesen Staaten geht. Das braucht kein Widerspruch zu sein. Würde in einem dieser Staaten der Sozialismus beseitigt, so könnte und würde dieser Staat nicht länger dem Warschauer Pakt angehören. Die Sowjetunion selbst wäre bedroht, nicht nur wegen der Möglichkeit des Eindringens westlicher militärischer Macht. Sie wäre auch bedroht, weil sich der Geist dieser „konterrevolutionären" Entwicklung von einem Lande zum anderen ausbreiten und vielleicht sogar das Mutterland des Sozialismus infizieren würde.

Alle sowjetischen Führer waren bisher entschlossen, Entwicklungen dieser Art sofort zu stoppen, wenn nötig, mit militärischer Macht zu zerschlagen. Chruschtschow hatte das 1956 in Ungarn vorexerziert. Die Sowjetunion war die sozialistische Vormacht und bedurfte keiner besonderen Legitimation zu derartigen Interventionen. Doch Breschnew war im Fall der ÖSSR 1968 subtiler. Wenn durch die innere Entwicklung in einem sozialistischen Land die gemeinsamen Lebensinteressen der übrigen sozialistischen Länder gefährdet werden, dann ist die Gemeinschaft der sozialistischen Staaten nach dem Prinzip des proletarischen Internationalismus zum Eingreifen berechtigt und verpflichtet Der Einmarsch in die ÖSSR erfolgte also in gemeinsamer Aktion der Staaten des Warschauer Pakts (nur Rumänien schloß sich aus). Die staatliche Souveränität sozialistischer Staaten des Warschauer Pakts wurde damit zugunsten des höheren Prinzips des Proletarischen Internationalismus beschränkt. Im Westen spricht man seitdem von der

Breschnew-Doktrin der beschränkten SouveränitätIn der Tat wurde mit der Breschnew-Doktrin auch ideologisch gerechtfertigt, worüber machtmäßig bereits früher kein Zweifel bestand: Wer als Staat in die militärische Integration des Warschauer Paktes aufgenommen wurde, der hatte eine Einbahnstraße beschritten, von der es kein Zurück mehr gibt. Dieser multilaterale Warschauer Vertrag über „Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand" wurde noch durch ein Netz von bilateralen Freundschaftsverträgen der sozialistischen Staaten untereinander verstärkt, in denen die Verpflichtung zu . brüderlicher Hilfe'betont wird.

Der Westen hat die Breschnew-Doktrin niemals völkerrechtlich anerkannt. Er hat 1968 gegen den Einmarsch der Sowjetunion und der fünf sozialistischen Staaten in die ÖSSR lebhaft protestiert. Aber er hat es bei Protesten belassen, also das Faktum respektiert, um es nicht zu einem militärischen Ost-West-Konflikt kommen zu lassen. Auch die Schlußakte von Helsinki läßt — nach westlicher Ansicht eindeutig — keine Interpretation zu, die militärische Interventionen ä la Prag 1968 in Zukunft noch rechtfertigen könnte. Nur Rumänien hat (zusammen mit Jugoslawien, das nie dem Warschauer Pakt angehörte) die Intervention der Paktstaaten verurteilt und die Rechtfertigung mit dem Prinzip des Proletarischen Internationalismus verworfen. Die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von 1975 hat in Moskauer Sicht der Sowjetunion keine Verpflichtung auferlegt, das Prinzip des Proletarischen Internationalismus nicht weiter im Sinne der Breschnew-Doktrin zu praktizieren. Die Frage, die für alle Warschauer-Pakt-Staaten heikel ist und Unbehagen auslöst, ist erst jetzt wieder durch die Polen-Krise 1980/81 aktuell geworden. Hierüber wird im Kapitel VIII „Die Gegenwart" berichtet. 4. Die USA als Gegenspieler der nuklearen Rüstung a) Im Zentrum des Sowjetblocks liegt die Sowjetunion selbst, die sozialistische Führungsmacht, ohne die nach dem Glauben der Marxi-* sten-Leninisten der Prozeß der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus stagnieren würde. Jene kommunistische Vormacht also, die der Imperialismus und seine Vormacht USA — so muß es Moskau sehen — als die größte Gefahr für ihre weitere Existenz ansehen. Und diese Gefahr werden die USA nach dieser Logik um so stärker empfinden, je weiter sich der weltweite revolutionäre Prozeß, sprich: der sozialistische Machtbereich; ausdehnt und der eigene Macht-und Einflußbereich verengt. Die USA werden daher diese Machtverschiebung mit dem ganzen Gewicht ihres Einflusses und ihrer Militärmacht aufzuhalten versuchen. Und daraus folgt aus Moskauer Sicht, daß sich die USA zunehmend in die Rolle gedrängt sehen, anstelle von friedlicher Koexistenz eine Konfrontation mit der Sowjetunion zu suchen. Natürlich weiß man, daß auch Washington keinen Weltkrieg will. Aber man befürchtet in Moskau, daß die USA mit der globalen Überlegenheit ihrer Macht und ihrer technologisch ungeheuer entwickelten Rüstung schweren Druck auf die UdSSR ausüben könnten. Resümee dieser Sicht: Die Sicherheit der Sowjetunion ist nur durch die USA bedroht. China tritt demgegenüber zurück und könnte nur durch enge militärische Zusammenarbeit mit den USA gefährlich werden.

b) Macht ist von Lenin über Stalin bis in die Gegenwart immer „militärische Macht“. Maos Satz: „Die Macht kommt aus den Gewehrläufen", wird von allen Kommunisten geteilt. Sicherheitspolitik ist daher für Moskau in erster Linie militärische Machtpolitik, ist die Entschlossenheit, die sowjetischen Streitkräfte in Waffenausrüstung, in Ausbildung und in ihrer operativen Strategie und Taktik so stark wie nur irgend möglich zu machen. Sie'müssen dem großen Gegner USA gewachsen sein, wenn dieser es wagen sollte, sie militärisch in die Schranken zu fordern. Mehr noch: Sie haben so gerüstet zu sein, daß sie der Gesamtheit ihrer potentiellen Gegner standzuhalten in der Lage sind: den USA den europäischen NATO-Staaten und China. Wenn man noch Japan hinzufügt, das zwar militärisch eine Null, aber wirtschaftlich eine Großmacht ist, dann müßte Moskau im Ernstfall damit rech-nen, allein den vier anderen großen militärischen oder wirtschaftlichen Machtblöcken dieser Erde gegenüberzustehen.

C Der Sowjetunion wird heute von den führenden Staatsmännern der NATO-Staaten der Vorwurf gemacht, in einem Jahrzehnt, in dem sich die NATO-Staaten, vor allem aber die USA zur Entspannung bekannten, das Verhauen des Westens durch intensive Aufrüstung getäuscht zu haben. Dabei -wird insbesondere auf die Produktion der technologisch hochqualifizierten Mittelstreckenraketen SS 20 verwiesen. Die Sowjetunion verfolge mit der fortlaufenden Dislozierung (Stationierung) dieser Waffe seit 1976/77 die Absicht, die Amerikaner in Europa militärisch zu überholen.

Die sowjetische Führung stellt entschieden in Abrede, mit ihrer Rüstung in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere in den siebziger Jahren, bezweckt zu haben, die USA militärisch zu überholen. Ihr Ziel sei immer nur die Parität gewesen. Dagegen hätten die Amerikaner in dieser ganzen Zeit — und heute mehr denn je — den Willen gehabt, ihre technologische Überlegenheit in der Nuklearrüstung gegenüber der Sowjetunion aufrechtzuerhalten.

Das werde die Sowjetunion niemals hinnehmen. Kommunisten weisen gern darauf hin, daß es stets die Amerikaner waren, die in der Rüstungstechnik mit Neuerungen vorangegangen sind. Der Sowjetunion sei dann nur übriggeblieben, die gleiche Technik auch bei sich zu entwickeln. Das ist in der Vergangenheit sicherlich richtig für die Atombombe, für . die Wasserstoffatombombe, für Raketen als Träger von Atombomben, für atomar betriebene U-Boote, für U-Boote mit Mittelstrecken-und Interkontinentalraketen, für atomare Gefechtsfeldraketen im Kurzstreckenbereich (nur möglich durch Verkleinerung des destruktiven Wirkungsfeldes und durch größere Zielgenauigkeit), für Mehrfachsprengköpfe (MIRV), von gegenwärtig in Entwicklung und Produktion befindlichen Neuerungen ganz abzusehen Doch ist es der Sowjetunion offensichtlich gelungen, mit der landgestützten und mobil einsetzbaren Rakete SS 20 den technologischen Vorsprung der USA jedenfalls auf dem Gebiet der eurostrategischen Mittelstreckenraketen aufzuholen.

d) Auch die jeweils gültige Strategie der NATO beweist nach Moskauer Ansicht den ungebrochenen Willen der Amerikaner, militärische Überlegenheit über die Sowjetunion zu behalten. Ursprünglich bestand die Strategie der massiven Vergeltung ( massive retalitation)Wenn die Sowjetunion sich gegenüber einem NATO-Staat einen schwerwiegenden völkerrechtswidrigen Akt, insbesondere eine Aggression, zuschulden kommen ließe, so mußte sie mit dem Einsatz der amerikanischen Atomwaffe und Zerstörungen ä la Hiroshima und Nagasaki rechnen. Die Abschreckung war glaubhaft— zunächst angesichts des amerikanischen Atomwaffenmonopols, danach bis Ende der fünfziger Jahre auf Grund der eindeutigen Überlegenheit der nuklearen Rüstung der UA. Aber dann schwand auf dem Gebiet der Interkontinentalraketen der ameri-kanische Vorsprung dahin — und mit ihm auch die Glaubwürdigkeit einer Abschrekkung mit massiver Vergeltung.

Zwar bestand zunächst noch die Möglichkeit, den Gegner durch einen präventiven Erst-schlag total zu vernichten — und mit ihm die gesamten Basen seiner Interkontinentalraketen. Dann hätte der (einseitig durchgeführte) Nuklearkrieg der Giganten doch noch einen Sieger gehabt. Doch heute haben sich beide Seiten gegen einen Erstschlag des Gegners gesichert. Die technologische Perfektion gestattet es, den Erstschlag der Gegenseite so rechtzeitig zu erkennen, daß der eigene Zweit-schlag noch vor Eintreffen und Explosion der Interkontinentalraketen des Erstschlags abgeschossen werden kann. Wer den (vermeintlich präventiven) Erstschlag riskieren wollte, weiß, daß er durch den gesicherten Zweitschlag des Gegners wenig später gleichfalls vernichtet wird. Man spricht daher heute auf dem Felde der wechselseitigen Interkontinentalraketen von einem Patt. Eine Drohung, diese Waffe einzusetzen, wenn der Gegner eine geplante völkerrechtswidrige Intervention oder Aggression ausführt, ist schwerlich glaubhaft: Bei nüchterner Betrachtung wird sich die bedrohte Regierung sagen, daß die Drohung ein Bluff ist und daß der Drohung im Falle ihrer Nichtbeachtung keine Tat folgen wird. Denn diese Tat — der atomare Erstschlag — würde gemeinsame Vernichtung bedeuten, Tod des Gegners und Selbstmord für das eigene Volk. In einer solchen Lage der gesicherten beiderseitigen Vernichtung verlieren Drohung und Abschreckung ihre Glaubwürdigkeit. Nur ein verzweifelter Psychopath, der ohnehin verloren ist (wie Hitler 1945), wäre einer solchen Wahnsinnstat fähig. Trotzdem hielt die NATO weiter an der Strategie der Massiven Vergeltung auch bei eventuellen kleineren sowjetischen Aggressionen fest.

Kennedy war als erster bemüht, eine neue Strategie in die NATO einzuführen: Die flexible response (= die abgestufte Reaktion). Mit ihr kam die amerikanische Überlegenheit in veränderter Form zur Geltung: Jeder sowjetische Vorstoß sollte weiterhin sofort zurückgeschlagen werden, aber nicht mit massiver Vergeltung — das war eine unglaubwürdig gewordene Abschreckung —, sondern angemessen, entsprechend der Art und Stärke des sowjetischen Vorgehens. Man wollte also nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen. Aber die Antwort konnte und sollte zu einer Eskalation führen, wenn die NATO sich nicht anders durchsetzen konnte. Da die Sowjetunion der NATO seit Kriegsende konventionell überlegen war, bedeutete das im Falle eines vollen Einsatzes der sowjetischen konventionell überlegenen Truppen die Notwendigkeit für die NATO, taktische Atomwaffen im Kurz-undMittelstreckenbereich einzusetzen. Und in dieser Waffengattung waren die Amerikaner der Gegenseite in den sechziger Jahren noch weit überlegen. Die Abschreckung war wieder glaubhaft.

Die europäischen NATO-Partner wehrten sich fünf Jahre lang gegen die neue Strategie. Warum? Im Falle des Versagens der Abschreckung waren nach der alten Strategie der massiven Vergeltung die Territorien der Sowjetunion und der USA die eigentlichen Ziele der Interkontinentalraketen beider Seiten. Der Raketenkrieg hätte sich also nach der Wunschvorstellung der Europäer über sie hinweg zwischen den beiden Supermächten abgespielt Nach der neuen Strategie sollte nun aber der Krieg in Europa selbst stattfinden. Eine alsdann wohl unvermeidliche Auseinandersetzung mit taktischen Atomwaffen mußte aber — selbst bei amerikanischer Überlegenheit — für Europa schwerste Verwüstungen und die Vernichtung der Völker dieses Kontinents zur Folge haben. Erst 1967 gab man dem Druck des amerikanischen Verteidigungsministers McNamara nach. Man tröstete sich damit, daß es ja nur um eine wirksame Abschrekkung gehe und daß der Fall des Versagens dei Abschreckung angesichts der amerikanischer. Überlegenheit ganz unwahrscheinlich sei überdies war die Aufrechterhaltung einer unglaubwürdigen Abschreckung (mit massivere’ taliation) allmählich als das größere Risiko erkannt (wenn nämlich der Gegner sich nicht bluffen läßt).

e) Doch man hatte die Rechnung ohne den im Mittelstreckenbereich hinzunehmen. Atomare Mittelstreckensysteme werder von der Sowjetunion aus drei Gründen als be sonders gefährlich für die Sicherheit del UdSSR betrachtet:

Zum ersten sind sie überwiegend im Besitz dei Supermacht USA Der Präsident der USA ha im Ernstfall allein über ihren Einsatz zu ent scheiden.

Zum zweiten liegt das Zielgebiet von Mittel Streckensystemen in der westlichen Sowjet Union, aber nicht in den USA (Ausnahme Alas ka, das von Sibirien zu erreichen ist). Sicher lieh gab und gibt es sowjetische U-Boote mi Atomraketen, die vom Atlantik oder vom Pazi fik das Territorium der USA erreichen könn ten. Doch waren die Russen zu Beginn de: SALT-Gespräche — wie Kissinger in seiner Erinnerungen schreibt — gerade in diese Waffenart den Amerikanern weit unterlegen Außerdem mag offenbleiben, ob nicht sowjeti sehe U-Boote im Atlantik angesichts der technologischen Perfektion von Ortungsgeräten ein wesentlich größeres Risiko eingehen als amerikanische U-Boote in der Nordsee, im Mittelmeer oder im Indischen Ozean.

Der dritte Grund, warum Moskau Mittelstrek-kenraketen Anfang der siebziger Jahre als besonders gefährlich ansah, bestand und besteht in ihrer kurzen Flugzeit von meist weniger als fünf Minuten. Sie können also ihre Ziele ohne Vorwarnung erreichen. Es besteht also keine gesicherte Zweitschlagskapazität — wie bei den Interkontinentalraketen. Sicherlich werden Amerikaner und Russen beim Einsatz ihrer Mittelstreckenraketen in Europa als erstes versuchen, die Basen dieser Waffen der Gegenseite zu vernichten. Für Militärs ergibt sich daraus das verhängnisvolle Streben, in hochgespannter Lage dem Gegner mit dieser Waffe zuvorzukommen.

f) Welche Möglichkeiten hatte Moskau, um im Mittelstreckenbereich die Überlegenheit der Amerikaner auszugleichen? Der Versuch Chruschtschows, 1962 durch Stationierung von sowjetischen Mittelstreckenraketen auf Kuba eine gewisse Parität in der Bedrohung der Territorien beider Supermächte herbeizuführen, war an der Entschlossenheit Kennedys gescheitert. Nicht völlig, denn der Regierungsvergleich sah vor, daß die USA ihre bodengestützten Mittelstreckenraketen aus Großbritannien, der Türkei und Italien abzogen Dagegen verpflichtete sich die Sowjetunion, hin-fort keine solche Raketen auf Kuba zu stationieren. Doch es blieben genug Mittelstrecken-systeme der NATO, die über das Vorfeld der sozialistischen Staaten in Osteuropa hinweg die UdSSR selbst bedrohten.

Eine andere Möglichkeit bestand für Moskau darin, durch Verhandlungen und gütliche Einigungzu einer Parität im Mittelstreckenbereichzu kommen. Die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aufkommende Entspannung zwischen der Sowjetunion und den USA ließ diesen Weg nicht ganz aussichtslos erscheinen. Breschnew machte den Versuch. Bei Beginn der SALT-Verhandlungen 1969 schlug die sowjetische Seite den Amerikanern vor, als „Strategische Waffen“ alle die Waffensysteme in die Verhandlungen miteinzubeziehen, deren Ziel das Territorium einer der beiden Supermächte sei. Der Vorschlag war aus der Sicht Moskaus logisch. Die Sicherheit beider Supermächte wurde durch strategische Systeme direkt und unmittelbar bedroht. Es ging darum, diese Systeme zu begrenzen, und zwar auf der Basis gleicher Sicherheit für beide Verhandlungspartner. Ein Kontrollabkommen, das sich nur auf Interkontinentalraketen beziehen würde, hätte nicht gleiche, sondern ungleiche Sicherheit für die UdSSR und die USA bedeutet. Denn die bestehenden Mittelstreckensysteme bedrohten die Sicherheit der Sowjetunion unmittelbar, nicht jedoch die Sicherheit der nur durch Interkontinental-raketen erreichbaren USA. Aber die USA lehnten diesen Vorschlag sofort ab. Auch das war verständlich. Denn er hätte die Mittelstreckensysteme der NATO, nicht aber die der Sowjetunion in die Verhandlungen einbezogen.

Der Gegenvorschlag, die Verhandlungen auch auf die beiderseitigen Mittelstreckensysteme zu erweitern, wurde von Moskau abgelehnt. Der endgültige Kompromiß war alles andere als eindeutig. Man erfaßte in den Verhandlungen alle Nuklearwaffen, die bis in die Kernländer USA und Sowjetunion abgeschossen werden können. Jedoch setzten die USA durch, daß die in Europa stationierten Nuklearstreitkräfte, die bis in die Sowjetunion hineinreichten (= Forward Based Systems, FBS), aus den Verhandlungen herausblieben. Dafür gestanden die Amerikaner zu, daß die sowjetischen Mittelstreckensysteme, die zwar Westeuropa, aber nicht die USA erreichen können, gleichfalls nicht Gegenstand der Verhandlungen sein sollten -

Die Leidtragenden waren bei diesem Gang der Dinge die europäischen NATO-Staaten, vor allem die Bundesrepublik Deutschland. Es heißt, daß die USA ihre europäischen NATO-Partner in dieser für sie lebenswichtigen Frage konsultiert und daß diese dem amerikanischen Standpunkt der Beschränkung der SALT-Verhandlungen auf Interkontinentalraketen zugestimmt hätten. Das Motiv dieser aus heutiger Sicht fragwürdigen Zustimmung kann nur gewesen sein, daß man die Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenwaffen angesichts amerikanischer Überlegenheit in dieser Waffenart nicht so ernst nahm. Die Abschreckung war glaubhaft, das Versagen der Abschreckung unwahrscheinlich. Es war die gleiche Logik, mit der man sich zweiJahre zuvor aufdie neue Strategie der flexible response eingelassen hatte.

So blieb als letzte Möglichkeit für Moskau, die amerikanische Überlegenheit in dieser Waffengattung durch Nachrüstung auszugleichen.

Die Pläne zum Ersetzen der veralteten sowjetischen Mittelstreckenraketen SS 4 und SS 5 wurden in Auftrag gegeben. 1976/77 konnten die ersten SS-20-Raketen disloziert werden. Sie besitzen Mehrfachsprengköpfe und sind ebenso treffsicher wie die damaligen amerikanischen Mittelstreckenraketen. Doch macht man in Moskau darauf aufmerksam, daß die in den USA ab 1983 in Serienproduktion ausgelieferten Pershing II und Cruise Missiles eine größere Treffsicherheit aufweisen (angeblich von 30— 50 m gegenüber 200— 300 m bei SS20). Auch wird der vom Westen stark herausgestellte Vorteil der Mobilität der SS 20 und ihrer infolgedessen gesicherten Zweitschlagskapazität von sowjetischer Seite durch die Feststellung relativiert, daß sowohl die sorgfältig vorbereiteten und genau vermessenen Abschußbasen als auch der Transport dieser gewaltigen Raketen schwerlich den amerikanischen Ortungssatelliten verborgen bleiben könnten. Viel wesentlicher ist dagegen die Reichweite der SS 20 von 4 500 km. Sie kann von Basen im Ural und sogar noch weiter östlich Westeuropa erreichen, während die amerikanischen Mittelstreckenraketen (bisher) keine vergleichbaren Reichweiten aufweisen. Das wird in Moskau als schwacher Ausgleich dafür angesehen, daß das Territorium der USA — abgesehen von Alaska und schmalen Streifen im Norden am Atlantik und Pazifik — von der SS 20 nicht erreicht werden kann, wohl aber die westliche Sowjetunion den amerikanischen Mittelstreckenraketen offenliegt.

g) In ihrem Verhältnis zu den USA — und nur diese gesaratstrategische Bilanz interessiert hier — kann die sowjetische Aufrüstung ihrer Mittelstreckenraketen als Versuch gewertet werden, dem globalen Kräftegleichgewicht USA/UdSSR näherzukommen. In sowjetischer Sicht könnte dieses Ziel 1981— 1983 erreicht sein. Dagegen wird von Moskau nachdrücklich bestritten, daß die Sowjetunion durch die SS-20-Raketen und die neuen Backfire-Bomber global Überlegenheit über die USA erreicht hätte oder in den nächsten zwei Jahren erlangen könnte. Denn die USA liegen nicht im Zielgebiet dieser Raketen.

Nicht bestritten wird von sowjetischer Seite, daß sie im Verhältnis zu den europäischen NATO-Staaten — also in der eurostrategischen Bilanz — Ende der siebziger Jahre den westlichen Vorsprung eingeholt hat. Gegenwärtig werden alljährlich etwa 90 SS-20-Raketen mit etwa 60 Abschußlafetten produziert und disloziert Zwei Drittel davon werden mit Ziel Westeuropa eingesetzt, ein Drittel östlich des Urals in Richtung China. Daß durch diesen laufenden Einsatz eine zunächst gerin-ge, aber immer fühlbarer werdende überlegenheitherbeigeführtwird, soll uns im Kapitel VII „Die Gegenwart“ noch beschäftigen. h) Es ist heute die Auffassung der Mehrzahl der maßgebenden Politiker in Europa, daß keine zureichenden Anhaltspunkte vorliegen, der sowjetischen Führung zu unterstellen, sie wolle im günstigen Zeitpunkt mit einer überraschend durchgeführten Offensive ihrer Panzertruppen nach dem Westen durchbrechen. Dagegen steht zur Erörterung, ob nicht Motiv der sowjetischen Rüstung sein könnte, Europa ohne Krieg auf Grund der regional bestehenden militärischen Überlegenheit gefügig zu machen und langsam aber sicher dem amerikanischen Einfluß zu entziehen.

Es ist die gleiche Frage, die Moskau im Verhältnis zu den ÜSA bewegt. Auch der Kreml wußte in all diesen Jahren amerikanischer Überlegenheit auf nuklearem Gebiet, daß die USA keinen Krieg mit der Sowjetunion vom Zaun brechen würden, um die militärische Überlegenheit zu realisieren — es wäre doppelter Selbstmord. Doch auch für Moskau ist der Gedanke unerträglich, daß Washington die bestehende Überlegenheit zum Druck ausnutzen könnte, um sowjetisches Wohlverhalten in anderer Hinsicht zu erzwingen. Diese Frage führt uns zum Kern der heutigen Problematik. Beide Seiten wissen, daß der technologisch Unterlegene in einem Atomkrieg immer noch so viel technisch . geringwertigere'Kernwaffen einsetzen kann, daß auch der überlegene vernichtet wird. Die überlegene Supermacht wird sich daher hüten, es zu einem Krieg kommen zu lassen oder auch nur einen Weg einzuschlagen, der in diese Richtung treibt. Wenn diese Rechnung aufgeht, würden also die wahnwitzigen Nuklearrüstungen einschließlich der technologisch vollkommensten Waffen niemals in einem Krieg Anwendung firiden.

Wozu dann das Ganze? Auch wenn es nicht zu einem Krieg kommt, so sehen sich doch beide Supermächte der Gefahr ausgesetzt — und das ist die Realität für Gegenwart und Zukunft und das eigentliche Motiv des heutigen Wettrüstens —, daß die Gegenseite mit einer erkennbar überlegenen Macht eine Erpressungspolitik betreiben könnte. Wir sahen: Abschreckung ist nur wirksam, also glaubwürdig, wenn sie von einer überlegenen Macht ausgeht. Doch jetzt kommt eine Reflexwirkung hinzu: überlegene Macht kann auch zur Ausübung von Druck verwendet werden. Dazu bedarf es gar keiner ausdrücklichen Erpressung. Die Überlegenheit übt eine psychologische Kraft aus, die von aufmerksamen Staatsmännern auch ohne „Erinnerung“ einkalkuliert wird Es steckt ein Stück Irrationalität in dieser Logik. Denn genau so wie die Abschreckung mit überlegener Macht kann auch Druck und Erpressung im Versagensfall nicht'ausgeführt werden. In beiden Fällen kann der Unterlegene den überlegenen im Kriegsfall immer noch in seinen Untergang mithineinziehen. Doch wir Menschen sind eben Wesen, die nicht nur rational, sondern auch irrational reagieren. Vielleicht die nüchtern denkenden Staatsmänner weniger als die eigentlich Betroffenen, das Volk in seiner Emotionalität. Je größer die Spannungen in einem ernsten Konflikt mit einer anderen Nuklearmacht, desto eher ist der Schwächere — das ist die technologisch zurückliegende Macht — geneigt, einzulenken. Das gilt besonders für Demokratien, in denen sich der Druck der öffentlichen Meinung im Zeichen der Massenangst durchzusetzen pflegt.

i) Die Sowjetunion sieht ihre Sicherheit zwar primär durch die USA . bedroht. Aber auch die in Entwicklung begriffene asiatische Großmacht China muß ins Kalkül einbezogen werden. Obgleich Breschnew 1969 in den Gefechten am Ussuri Standvermögen bewies, stand eine Intervention für ihn nie zur Erörterung.

Es hätte daraus ein langwieriger Krieg werden können, der letztlich nur der abseits stehenden Großmacht USA Vorteile gebracht hätte.

Breschnew weiß, daß China der Sowjetunion nur dann gefährlich werden könnte, wenn die USA China langfristig und in großem Umfang mit Waffen, Kapital und Know-how unterstützen würden. Die Amerikaner spielen zwar gelegentlich „die gelbe Karte", doch sind sie im Grunde zu einem massiven Engagement für China nicht bereit. Die Erfahrung mit Persien mahnt zur Vorsicht. Daß sich die beiden kommunistischen Länder wieder versöhnen könnten, ist zwar vorerst unwahrscheinlich, aber für die fernere Zukunft keineswegs ausgeschlossen.

Moskau bleibt im ideologischen Gespräch mit Peking und geht allen Schärfen im wechselseitigen Verhältnis aus dem Weg. Die innere Entwicklung der K. P. Chinas kann durchaus eines Tages wieder eine Annäherung zulassen. Auf diesen Moment wartet der Kreml geduldig — und vermeidet alles, was China in die Arme der USA treiben könnte.

VII. Die gegenwärtige Lage

1. Bewährte Grundsätze — Interdependenz des Weltgeschehens a) Die dargestellte Entwicklung von Lenin über Stalin und Chruschtschow bis Breschnew setzt uns in die Lage, den Wandel der sowjetischen Außenpolitik innerhalb zweier Generationen zu erkennen. Zugleich wird ersichtlich, mit welchen Grundsätzen wir weiterhin für die Gegenwart und die absehbare Zukunft rechnen können. Es sind dies m. E.:

1. Der Glaube an — in Moskau sagt man: das Wissen um — die Gesetzlichkeit des Historischen Materialismus bildet das Fundament jeder außenpolitischen Aktivität: die Gewißheit, daß in unserer Zeit die Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus vonstatten geht. Doch hat sich die Sicht dessen, was man unter Weltrevolution zu verstehen hat, geändert. Sie ist nicht mehr — wie Marx und vielleicht Lenin es gesehen haben — die explosive Aneinanderreihung proletarischer Revolutionen von einem Land zum anderen. Sie wird vielmehr heute begriffen als ein langfristiger geschichtlicher Prozeß, der in vielen Regionen der Erde in mancherlei Abstufungen und in ganz unterschiedlichen Formen abläuft. Der Weg führt von der „imperialistischen Herrschaft" in mancherlei Etappen zum „sozialistischen Internationalismus". Die Gegenwart stehe im Zeichen des Rückzugs der westlichen Führungsmacht USA aus der Dritten Welt 2. Die Aufgabe der Sowjetunion ist es nicht, in diesem Prozeß ihre Macht als Walze einzusetzen, um die Expansion des Sozialismus mit Krieg, militärischer Intervention oder Erpressung zu betreiben. Das war die Strategie eines Lenin, eines Stalin. Sie ist im Zeitalter der Kernwaffen nicht mehr möglich. Wer sich vom „Imperialismus" befreien will, muß selber kämpfen. Er erhält für seinen Befreiungskampf Waffen, aber keine Truppen. — Wenn aber eine sozialistische Befreiungsbewegung die Macht übernimmt, dann ist die Sowjetunion im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereit, einen Gegenschlag durch „imperialistische“ Kräfte zu verhindern.

3. Da die Sowjetunion noch keine Weltmacht ist, kann sie diese Rückendeckung nur in den der UdSSR näher gelegenen Regionen übernehmen. Das Vordringen des geschichtlichen Prozesses nach Mittelamerika stellt die Sowjetunion vor große Probleme. Hier übernimmt Kuba stellvertretend die Aufgabe, ohne ihr angesichts des Mißverhältnisses der Macht Kubas zur US-Macht gerecht werden zu können. Kuba erhält von der Sowjetunion weiterhin alle nur möglichen Mittel, einschließlich Waffen, zwecks eigenverantwortlicher Disposition für Mittelamerika.

4. Alles steht unter dem Leitsatz, nichts zu unternehmen, was einen regionalen Waffengang der Sowjetunion mit den USA zur Folge haben könnte. Das Risiko der Eskalation zum Dritten Weltkrieg muß unter allen Umständen vermieden werden.

5. Aus dem gleichen Grunde hat sich die Politik der friedlichen Koexistenz in Europa bewährt. Sie wird vom Osten mit aller Intensität fortgesetzt werden. Da jedoch die USA und die europäischen Staaten unterschiedlich auf diese sowjetische Politik reagieren, sieht sich Moskau gezwungen, gegenüber den NATO-Staaten diesseits und jenseits des Atlantik eine verschiedene Politik einzuschlagen.

b) Breschnew hat bis Ende der siebziger Jahre in Dritten in und im eigenen der Welt, Europa Machtbereich eine unterschiedliche Politik führen können. Ein Junktim bestand obgleich der Westen von einer -zunehmend Un teilbarkeit der Entspannung sprach. Doch die gegenwärtigen Spannungen haben das Ganze wieder zu einem interdependenten Geschehen zusammengefügt. Die Ereignisse in Afrika und in Afghanistan haben die USA veranlaßt, von der Entspannung zur Konfrontation überzugehen. Die sowjetische Überlegenheit im eurostrategischen Bereich — entstanden seitens der Sowjetunion als Gegengewicht zur globalen Überlegenheit der USA— hat die Europäer auf den Plan gerufen und zum NATO-Nachrüstungsbeschluß vom Dezember 1979 geführt.

In Moskauer Sicht verfolgen die USA mit diesem Beschluß das Ziel, auf jeden Fall ab 1983 in Europa eine Front hochqualifizierter Mittelstreckenraketen zu errichten. Sie wird die Sicherheit der Sowjetunion schwer gefährden, ohne daß diese die Möglichkeit hat, mit ihren Mittelstreckenraketen SS 20 das Territorium der USA zu erreichen. Die Sowjetunion hat daher ein lebhaftes Interesse bekundet, möglichst bald mit den USA zu einem Abkommen zu gelangen, das gegen auszuhandelnde Zugeständnisse der UdSSR die Stationierung der geplanten modernen amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa verhindert.

Die unerwartete Entwicklung in Polen erhält ihrerseits eine besondere Schärfe durch den Druck der USA keine Verhandlungen über Mittelstreckenraketen zu führen, falls es nach bekannten Vorbildern zu einer sowjetischen militärischen Intervention in Polen kommen sollte. Auch muß der Kreml befürchten, daß in einem solchen Falle die an sich entspannungsfreundlichen Europäer ganz auf den amerikanischen Konfrontationskurs übergehen.

Die Entwicklung in Mittelamerika kann zu Blockademaßnahmen der USA gegenüber dem „sowjetischen Stellvertreter" Kuba führen, was Repressalien der UdSSR gegenüber West-Berlin nicht ausschließt. Die gesamte Erde ist in das Spannungsfeld USA — UdSSR geraten. Kein Geschehen kann mehr isoliert betrachtet werden. c) Die gegenwärtige weltpolitische Lage wird von der sowjetischen Führung als außerordentlich ernst beurteilt. Brandts Feststellung nach seiner Rückkehr aus Moskau im Juni dieses Jahres: „Breschnew zittert, wenn es um die Erhaltung des Weltfriedens geht" sollte trotz seines Pathos ernst genommen werden. Sie sollte auch nicht als Schwäche der Sowjetunion gedeutet werden, wie es seit zwei Generationen bei den westlichen Rußland-Experten der Fall war. Doch die Sowjetunion ist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt — trotz aller Mängel ihres Wirtschaftssystems — mächtiger geworden und ihre Dritten baut Bastionen in der Welt aus, während sich die USA nach sowjetischer Ansicht auf dem Rückzug befindet — was man in Moskau als einen naturgesetzlich bestimmten Geschichtsprozeß ansieht, den die sowjetische Außenpolitik angemessen berücksichtigt. 2. Der Machtkampf mit den USA — das nukleare Ringen a) Die Sorgen der sowjetischen Führung über die weltpolitische Lage gründen sich darauf, daß — so glaubt man in Moskau erkannt zu haben — die neue Mannschaft im Weißen Haus den Weltfrieden nicht mehr durch bloßes Kräftegleichgewicht mit der Sowjetunion als gesichert ansieht. Die Amerikaner glauben, angesichts des hohen Standes ihrer Technologie ihre Überlegenheit als Weltmacht, aber auch in der Kernwaffenrüstung bewahren zu können. Noch sind verschiedene Neuerungen in Produktion: die sogenannten Marsch-Flug-körper (Cruise Missiles), mit denen die feindlichen Radarschirme unterflogen werden können, Neutronenbomben, deren Produktion einst von Carter gestoppt wurde und die nun wieder aufgenommen werden soll, MARV-Mehrfachsprengköpfe, die nicht nur — wie die MIRV-Köpfe — einzeln verschiedene Ziele ansteuern können, sondern infolge laufender Korrektur des Kurses mit elektronischer Automatik eine hohe Treffgenauigkeit aufweisen. Auch in der Weltraumrüstung (Killer-Satelliten), in der sich Moskau in den letzten Jahren angesichts der amerikanischen Abstinenz einen Vorsprung erarbeitet zu haben glaubte, dürfte jetzt durch das gelungene Space-Shuttle-Experiment eine Wende zu verzeichnen sein. Im Entwicklungsstadium befinden sich eine amerikanische Laserstrahlenkanone, Satellitenortungsgeräte, die in Sekundenschnelle Panzer, Raketenstellungen, auch getauchte U-Boote präzise orten können, und manches andere mehr Moskau behauptet, alle diese Neuerungen — wie auch in der Vergangenheit — mit entsprechender Zeitverschiebung nachvollziehen zu können. In der Tat hat sich die sowjetische Rüstungsindustrie als außerordentlich leistungsfähig erwiesen. Die SS 20 beweist es. Dennoch ist nicht auszuschließen, daß sich die sowjetischen Führer heute ernste Sorge machen, ob die Sowjetunion der in rasanter Entwicklung begriffenen Technologie der USA besonders auf dem Gebiet der Elektronik noch in gleichem Tempo zu folgen vermag. Nicht ganz am Rande spielt dabei die Sorge mit, daß bereits heute ein allzu großer Teil des sowjetischen Bruttosozialprodukts in die Rüstung wandert und daher in der Konsumindustrie fehlt. Die Vorgänge in Polen lassen vermuten, daß es Grenzen der Zumutbarkeit auch für den sowjetischen Arbeiter geben dürfte.

b) Noch größere Sorgen bereitet den Strategen im Kreml, daß die Strategie des Pentagons neuerdings immer mehr auf einen Regional-krieg in Europa ausgerichtet wird. Wäre es wirklich möglich, einen Krieg der beiden Giganten auf Europa zu beschränken, so käme natürlich der Vorteil der isolierten Fernlage der USA zwischen Atlantik und Pazifik und der Nachteil der geographischen Lage der UdSSR, die einen Teil Europas bildet, voll zur Geltung.

Schon die Direktive Nr. 59 des scheidenden Präsidenten Carter, gerichtet an das Pentagon und verkündet in Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, weist diese Tendenz auf. Sie geht in der Festlegung selektiver Einzelziele für die im westlichen NATO-Bereich stehenden taktischen Kernwaffen von der Annahme aus, daß ein nuklearer Krieg in Europa angesichts der heutigen Zielgenauigkeit taktischer Atomwaffen nicht nur geführt, sondern sogar gewonnen werden könne

Diese Annahme wiederum basiert auf der These, daß ein solcher Krieg der beiden Supermächte nicht auf das Territorium der USA — etwa durch Einsatz von Interkontinentalraketen -übergreifen muß. Auf gleicher Linie liegen Äußerungen der heutigen amerikanisehen Regierung, so etwa, wenn der neue Verteidigungsminister Weinberger Anfang des Jahres feststellte: „Das Schlachtfeld des nächsten konventionellen Krieges wird Europa sein und nicht die USA." Wäre das richtig, so st nach geltender NATO-Strategie der Einsatzvon taktischen Kernwaffen angesichts der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion unvermeidlich.

In einem Regionalkrieg der beiden Supermächte in Europa spielen nach amerikanischem Urteil die atomaren Mittelstreckensysteme eine entscheidende Rolle. Aber gerade hier verschafft sich die Sowjetunion in diesen Jahren mit der Serienproduktion der SS 20 einen guten Vorsprung vor den Amerikanern. Die Mannschaft Reagan/Weinberger scheint fest entschlossen, diesen Vorsprung nicht nur einzuholen, sondern in der Mitte der achtziger Jahre die Sowjetunion wieder durch technische Neuerungen zu überholen. Daher ist das Pentagon an dem Nachrüstungsbeschluß der NATO vom November 1979 ganz besonders interessiert. Haben sich doch die europäischen NATO-Staaten mit diesem Beschluß verpflichtet, in ihren Ländern eine Front modernisierter amerikanischer Mittelstreckenraketen zu akzeptieren.

Dagegen ist Washington nach Annahme des Kremls an dem zweiten Teil dieses sogenannten Doppelbeschlusses der NATO weniger interessiert, der alsbaldige Verhandlungen mit der Sowjetunion zum Zweck eines Rüstungskontrollabkommens auf möglichst niedrigem Niveau für eben diese Raketen vorsieht. Moskau drängt, diese Verhandlungen aufzunehmen, trifft aber einstweilen nur auf dilatorische Taktik der Gegenseite. Selbst wenn es unter Druck der Europäer noch in diesem Jahr zur Aufnahme von Verhandlungen kommt, so weiß man doch sehr wohl in Moskau, daß der amerikanische Verhandlungspartner es immer in der Hand hat, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen und vorerst ohne Ergebnis zu betreiben. Die USA wollen eben zunächst ihre Raketenfront in Mitteleuropa installieren.

Moskau wird des weiteren zur Kenntnis genommen haben, daß — Zeitungsnachrichten zufolge — der amerikanische Verteidigungsminister Weinberger bei der Frühjahrskonferenz der NATO in Rom bereits die Notwendigkeit betont hat, die im Nachrüstungsbeschluß der NATO vom November 1979 vorgesehene Zahl der in Europa zu dislozierenden amerikanischen Raketen weiter zu erhöhen.

Noch ernster bewertet man sicherlich in Moskau aber Nachrichten aus dem Pentagon, wonach die Führung im Begriff stehe, einen Krieg mit derSowjetunion für unvermeidbaranzusehen. Die militärischen Planer der USA — heißt es von kompetenter Stelle — seien überzeugt, daß „es früher oder später zum Krieg zwischen der USA und der UdSSR kommen wird — und dieser Krieg wird ein nuklearer sein". Diese Pentagon-Planungen und namentlich die Reden des US-Verteidigungsministers enthalten sicherlich auch ein bewußtes Element der Abschreckung. Sie ist gerichtet an die Adresse der Sowjetunion und besagt: Wir sind auf alles vorbereitet und werden gegebenenfalls euren konventionellen (oder auch nuklearen) Angriff mit unseren Kernwaffen zurückschlagen. — Bei diesen Abschreckungsreden (und das gilt besonders für den amerikanischen Verteidigungsminister) wird aber übersehen, daß sie die Abschreckung in den Augen der Europäer ad absurdum führen können. Sie lösen bei Teilen der betroffenen europäischen Bevölkerung Reaktionen aus, die den Verteidigungswillen lähmen.

c) Das am 13. April 1981 veröffentlichte Weißbuch des britischen Verteidigungsministeriums stellt mit großer Sorge fest, daß die sowjetische Industrie im vergangenen Jahre (1980) mehr als 250 Strategische Raketen rund 1 300 Kampfflugzeuge, etwa 400 Militärhubschrauber, mehr als 3 000 Panzer, 5 größere überwasserschiffe, mindestens 9 Atomunterseeboote und 4 konventionelle U-Boote hergestellt hat. Das Schwergewicht der Rüstung liegt auf der Entwicklung einer offensiven und weltweiten Schlagkraft Das Weißbuch fügt allerdings hinzu, es gebe keinen Grund zu der Annahme, daß die sowjetische Führung speziell einen Angriff auf die Nordatlantische Allianz plane.

Die Abschreckung basiert aber nicht nur auf dem hohen Rüstungsstand der sowjetischen Streitkräfte, einschließlich der auf Westeuropa gerichteten Mittelstreckenraketen. Zu ihr trägt auch wesentlich bei, daß sich die Sowjetunion strategisch wichtige Basen in der Dritten Weltverschafft hat — Basen, die Ausgangspunkt für (den Westen gefährdende) Offensiven sein könnten. Das gilt vor allem für die bereits erwähnten sowjetischen Positionen um das Erdölgebiet des Persischen Golfes.

Und noch eine letzte Möglichkeit besteht, einen Krieg der beiden Supermächte zu überstehen. Es sind Vorstellungen, die anscheinend im Pentagon ihren Ursprung haben Hiernach ist ein Krieg der beiden Supermächte in Europa führbar und sogar für die USA zu gewinnen, „wenn es gelänge, der Sowjetunion über den heißen Draht klarzumachen, daß man sie nicht atomar angreifen werde". Das wäre also ein Krieg, der in Europa, am Persischen Golf, vielleicht auch im Nahen Osten, am Roten Meer und im Süden Afrikas geführt würde, nur eben nicht auf oder über dem Territorium der USA und der Sowjetunion. Wenn es schon zu dem vernichtenden Weltkrieg kommen muß: eine erbauliche Variante für die beiden Supermächte, ihr eigenes Gebiet vor diesem Holocaust zu bewahren! Aber auch um diese, phantastische Alternative sicherzustellen, bedürfte es einer direkten Fühlungnahme zwischen den Führungen beider Länder. Wenn etwa Verhandlungen über die Interkontinentalraketen (SALT II) und über die Mittelstrekkenraketen scheitern, könnte man sich wenigstens (ohne dies an die große Glocke zu hängen) für den Ernstfall über die in beiderseitigem Interesse liegende atomare Aussparung der Territorien von USA und Sowjetunion einigen. 3. Die erzwungene Duldung — die polnische Konterrevolution Während der Paukenschlag von Afghanistan den Westen — m. E. über Gebühr — aufs tiefste bestürzt hat, erfüllt das Crescendo der polnischen Konterrevolution Moskau mit ohnmächtigem Zorn. Polen 1981 unterscheidet sich von Ungarn 1956 und der SSR 1968 in mehrfacher Hinsicht:

a) Dies ist — anders als der Duböek'sche Kurs-wechsel in Prag vor 13 Jahren — eine Revolution von unten, getragen von der Arbeiterschaft Polens. Die „Diktatur des Proletariats“ erweist sich erstmals offen als eine Herrschaft der Kommunistischen Partei ohne Basis.

b) Die Polen sind trotz aller kommunistischen Erziehung zum Atheismus ein durch und durch gläubiges Volk geblieben. Ihr Papst erfüllt sie mit unbändigem Stolz. Revoltierende Arbeiter mit Gottesdienst und Gebeten —wo hat es das je im sozialistischen Machtbereich gegeben?

c) Die sozialistische Geschichte Polens hatvon Anfang an latent antisowjetische Tendenzen aufgewiesen, die der antirussischen Haltung des polnischen Volkes zur Zarenzeit entsprechen. Die Misere der sprichwörtlichen „Polnischen Wirtschaft" war zwar immer Anlaß der ständigen Aufstände der Jahre 1953, 1956, 1968, 1970, 1976 und jetzt 1980/81. Aber dahinter stand beim Volk, bei den Studenten und bei der Arbeiterschaft der Zweifel an der Effizienz des sowjetischen Sozialismus. War die kommunistische Herrschaft in Polen nicht in Wahrheit an den militärischen und wirtschaftlichen Interessen der Sowjetunion ausgerichtet?

d) Das Politbüro der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei unter der flexiblen Führung Kanias, des Nachfolgers des geschaßten Gierek, gab sich zunächst — eingedenk der tschechoslowakischen Erfahrungen — moskautreu und revisionsfeindlich. Aber in dem Maße, wie die Gefahr einer sowjetischen Intervention abnahm, erwies sich das höchste Organ der kommunistischen Partei als nachgiebig gegenüber Walesa und seiner unabhängigen Gewerkschaft und sogar als reformfreudig gegenüber Leninschen Prinzipien der Parteiorganisation.

Kein Zweifel, dies ist eine echte Konterrevolution. Eine wirklich unabhängige Gewerkschaft mit Streikrecht auch gegenüber Partei und Staat ist ein klarer Bruch mit leninistischen Prinzipien. Lenin hielt nichts von freien Gewerkschaften. Sie haben als Transmissionsriemen den Willen der Partei und des (der Partei untergeordneten) staatlichen Arbeitgebers auf die Arbeiterschaft zu übertragen. Die Reform geht weiter. Die Erfolge der Gewerkschaft Solidarität haben andere auf den Plan gerufen. Die Bauern haben sich gewerkschaftlich organisiert, Studenten und Journalisten stellen Forderungen. Polizeistaatliche Eingriffe lösen Protestaktionen aus. Die Presse nimmt sich eine in kommunistischen Staaten ungeahnte Freiheit heraus. Die Partei selbst befreit sich von ihrer konservativen Verkrustung. Drei Viertel der Delegierten des Mitte Juli in Warschau zusammengetretenen Sonderparteitags sind neu und vertreten eine wirkliche Reform: Alle Personalwahlen sind erstmalig geheim. Kania wird in direkter Wahl vom Parteitag als Sekretär bestätigt. Doch wie sich die Reform in der praktischen Wirtschaftspolitikverwirklichen soll, bleibt vorerst offen.

Nur eines wird von allen betont und ist offensichtlich an die Adresse Moskaus gerichtet: Polen bleibt ein sozialistischer Partner im Warschauer Pakt. Ein Zweifel an der Pakt-treue Polens würde die Sicherheit des Sowjet-blocks gefährden und Moskau zum Eingriff zwingen.

Warum hat die sowjetische Führung nicht längst eingegriffen und diesen konterrevolutionären Gefahrenherd zerschlagen? Viele Motive mögen mitspielen; das entscheidende ist m. E., daß Breschnew angesichts der beunruhigenden Weltlage die höchste Priorität den bevorstehenden Verhandlungen mit den USA über Rüstungskontrolle beimißt, vor allem hinsichtlich jener Raketen, die die Sicherheit der Sowjetunion bedrohen. Der noch vor Jahren undenkbare Fall ist eingetreten, daß sich die USA mit ihrer Warnung „Keine sowjetische Intervention in Polen, sonst keine Verhandlungen über Raketen" in Moskau Gehör Verschaffen.

Auch die europäischen NATO-Staaten drohen, in einem solchen Fall sich ganz dem (ihnen an sich nicht sympathischen)

harten Kurs der amerikanischen Führung anzuschließen. — Daß die Sowjetunion den polnischen Revisionismus nicht auf Dauer hinnimmt, steht für mich außer Frage. Wann die außenpolitische Lage diesen schweren chirurgischen Eingriff gestatten und wie er sich abspielen wird, kann niemand sagen — sicherlich auch das heutige Politbüro nicht. Ein anderer Generalsekretär nach Breschnew wird einen schweren Gang tun. 4. Die neue Rolle Europas zwischen der Sowjetunion und den USA a) Je stärker die USA auf Kollisionskurs zur Sowjetunion gehen, desto mehr ist Moskau bemüht, die europäischen Staaten auf Entspannungskurs zu halten. Zu den vielen Motiven, welche die Sowjetunion schon vor einem Jahrzehnt zur Entspannung und Zusammenarbeit mit Westeuropa bewegten, ist heute ein neuer und wesentlicher Gesichtspunkt hinzugekommen: Die westeuropäischen Staaten haben ein starkes Interesse, daß sich die Spannungen zwischen der Sowjetunion und den USA nicht verschärfen. So geschlossen sich die NATO heute gibt — es kann Moskau nicht entgehen, daß es schwerwiegende Differenzen zwischen den NATO-Partnern diesseits und jenseits des Atlantiks gibt. Denn letztlich muß die unterschiedliche geostrategische Lage in Europa und den USAverschiedenartige Sicherheitsinteressen begründen. Das zeigt sich klar in der Frage der Mittelstreckensysteme: Das europäische Interesse an baldigen Verhandlungen und einem Rüstungskontrollabkommen geht eher mit dem sowjetischen als mit dem amerikanischen Interesse konform. Denn die euro-strategischen Waffen verschonen das Territorium der USA aber drohen West-und Osteuropa einschließlich der westlichen Sowjetunion zu verwüsten.

Zwar vertreten die NATO-Regierungen seit jeher den Standpunkt, die USA Kanada und die europäischen NATO-Staaten seien ein geschlossenes Schutzgebiet. Mittelstreckensysteme der Sowjetunion, die Europa, aber nicht die USA bedrohen, seien nicht anders zu bewerten als amerikanische Kernwaffen in Europa, welche Ziele in der Sowjetunion aufnehmen können.

Doch Moskau setzt darauf, daß die Europäer dies als Fiktion verstehen: Europa — und nicht die USA — wird das Schlachtfeld bilden, wenn die Abschreckung versagt. Zur Interkontinentalwaffe wird keine der beiden Supermächte greifen, weil es wechselseitiger Selbstmord wäre. Haben die Amerikaner sich nicht immer schon auf den Kampf in Europa eingerichtet und möglichst das eigene Territorium ausgespart? Durch Einführung der NATO-Strategie der abgestuften Reaktion, nach der in Europa gekämpft werden soll, um eine alles (auch die USA) vernichtende massive Vergeltung zu vermeiden; durch Beschränkung der SALT-II-Verhandlungen auf Interkontinentalraketen, wodurch die Europa bedrohenden Mittelstreckenraketen, aufgrund derer sich die USA damals stark fühlten, zum Rüstungswettrennen freigegeben worden sind; durch die Carter-Direktive Nr. 59, mit der sich das Pentagon auf einen regionalen Nuklearkrieg in Europa einstellt; und jetzt mit der NATO-Nachrüstung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa, welche den USA große strategische Vorteile gegenüber der Sowjetunion verschafft. Die Initiative zu einer Korrektur des amerikanischen Kurses muß — eine logische Schlußfolgerung Breschnews — von jenen Staaten ausgehen, die im Kriegsfall das nukleare Schlachtfeld bilden würden. Und man ist in Moskau davon überzeugt, daß die These westlicher Verteidigungsminister die Mittelstreckenraketen seien doch nur eine politische Waffe, die der Erhaltung des Friedens dienten, von den Völkern Europas nicht ernst genommen wird.

Es gibt in Moskauer Sicht noch mehr divergierende Interessen zwischen den USA und ihren NATO-Partnern: Die Westeuropäer haben kein Interesse an einem Rüstungswettrennen der beiden Großen. Je stärker die USA aufrüsten, desto mehr werden die Europäer zum burden-sharing, zur Kostendeckung mitherangezogen. Angesichts der ernsten und sich ständig weiter verschlechternden Wirtschaftslage kommen die europäischen NATO-Partner schon heute ihren finanziellen Verpflichtungen aus dem Bündnis nur noch zum Teil nach. Sie üben Kritik an der neuen Rüstungspolitik des Teams Reagan /Weinberger/Haig und wirken auch sonst mäßigend auf die harte Politik Washingtons ein — ganz im Einklang mit den Interessen Moskaus. Sie warnen vor überzogenen Forderungen in der Polen-frage — so etwa wenn Weinberger erklärt, Verhandlungen über eurostrategische Waffen kämen erst in Betracht, wenn die Russen ihre Truppen von den Grenzen Polens abzögen. Sie warnen vor militärischen Interventionen der USA in mittelamerikanischen Staaten. Sie haben unterschiedliche Ansichten über die Beteiligung an einem Expeditionscorps für Notfälle am Persischen Golf, über Waffenlieferungen an afghanische Freiheitskämpfer.

Der Kreml sieht das alles mit Wohlgefallen und sucht die Europäer durch Entspannung in ihrer Haltung zu ermutigen. Doch er weiß auch, daß die Europäer fest zur NATO stehen — aber nicht zu den Bedingungen Washingtons.

b) Die gegenwärtige Entspannungspolitik der europäischen NATO-Staaten steht heute nicht nur im Zeichen der neuen Überlegenheit der Sowjetunion auf eurostrategischem Gebiet, die zu der bisherigen Überlegenheit auf konventionellem Gebiet noch hinzugekommen ist. Es geht auch um die Situation im Nahen Osten, wo sich die Sowjetunion Ausgangspositionen um das Erdölgebiet des Persischen Golfes verschafft hat und also im Ernstfall den für die europäischen Industriestaaten lebenswichtigen Olhahn zudrehen könnte.

Doch einen offensiven Vorstoß der UdSSR in das Erdölgebiet würde Washington - anders als in Afghanistan - nicht hinnehmen und militärisch beantworten. Es wäre auch das Ende der Entspannungspolitik mit den europäischen NATO-Staaten. Breschnew hat solche Risiken immer gescheut. Daran wird sich auch unter seinem Nachfolger, wer immer dies eines Tages sein wird, nichts ändern. Es ist für Moskau wesentlich vorteilhafter, daß Europa unter dem Druck seiner Erdölabhängigkeit die sowjetischen Basen um den Persischen Golf in sein Kalkül aufnehmen muß und an entspanntenBeziehungen zur Sowjetunion interessiert bleibt. c) Die Politik der ist heute primär darauf gerichtet, das in Europa nicht mehr bestehende Kräftegleichgewicht zur Sowjetunion im Verhandlungswege wiederherzstellen (für die konventionellen Streitkräfte in der Wiener MBFR-Konferenz wie für die Mittelstreckenraketen in denbevorstehenden amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen). Aber genau das - ein wirkliches Gleichgewicht in Europa - ist für die sowjetische Führung nicht annehmbar. Der Gegenspieler für Breschnew auf diesem regionalen Felde sind nicht die Europäer, es sind primär die Amerikaner. Nur durch das sowjetische Übergewicht in Europa sieht man in Moskau ein global ausgewogenes Kräftegleichge wicht zwischen den beiden Supermächten al: gegeben an -Die USA sind auf allen fün Weltmeeren überlegen und in der Dritter Welt überall interventionsfähig. Sie besitzen eine gewaltige Wirtschaftskraft, die auf landwirtschaftöichen Gebiet bei einem Vergleich mit den riesigen Flächen der Sowjetunion geradezu beschämend in Erscheinung tritt. Mag auch die Sowjetunion in der Rüstungs-, insbe sondere in der Nukleartechnologie den USA auf dem Fuße folgen und ihr in der Weltraumforschung einstweilen ebenbürtig sein, so dürften doch die Amerikaner industriell auf vielen Gebieten (insbesondere auf dem Gebietder Mikroprozessoren) weit voraus sein. Um so wichtiger ist es für die Sowjetunion, ih militärisches Übergewicht in Europa und das Erdölgebiet des Persischen Golfes zu wahren und als Gegengewicht gegen die sonstige Überlegenheit der Amerikaner anzusetzen. Ohne dieses Gegengewicht befürchtet Moskau unter den Druck der USA zu geraten und deneigenen Machtbereich des Sowjetblocks be der Bekämpfung . konterrevolutionärer'Entwicklungen, wie sich heute in Polen zeigt; in der Dritten Welt, wo der geschichtliche Prozeß der Zurückdrängung des . Imperialismus'stagnieren könnte. Europa und die Golfländer bilden gewissermaßen die Geiseln, die Amerika daran hindern, ohne Krieg, aber mit der Fülle seiner wirtschaftlichen Macht den Sozialismus schrittweise zurückzudrängen.

In Moskauer Sicht sind die Amerikaner entschlossen, ab 1983 die im NATO-Beschluß vorgesehenen Mittelstreckenraketen moderner Bauart in Europa zu stationieren, um so das regionale Gleichgewicht auf diesem Kontinent wiederherzustellen. Aber damit würde für die Sowjetunion das globale Gleichgewicht im Verhältnis zu den USA verlorengehen. Die westliche Sowjetunion würde den amerikanischen Raketen offenliegen, ohne daß die Russen dafür ein Äquivalent in Händen hätten. Besonders die etwa 90 in der Bundesrepublik zu stationierenden Pershing II sind Moskau ein Dorn im Auge. Diese zielgenaue Waffe (mit nur 50 m Abweichung im Ziel auf 2 000 km Entfernung) reicht wesentlich weiter in das sowjetische Gebiet hinein als die von England oder Italien gestarteten Raketen. Kommt es zu keinem Kontrollabkommen, dafür aber zur Nachrüstung mit amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa, so ist Moskau fest entschlossen, seinerseits die Produktion und Dislozierung seiner SS 20 fortzusetzen, aber auch neuere Konstruktionen dieser Waffe einzusetzen. Breschnew hat dies bereits angekündigt Moskau bezeichnet diesen Rüstungsschritt als „Nach" -Rüstung (als was auch die gesamte bisherige Rüstung mit SS-20-Raketen angesehen wird): Moskau will seine in Europa bestehende Überlegenheit nicht aufgeben. — Das sind die furchtbaren Sachzwänge des Wettrüstens, die mit beiderseits immer höherem Rüstungsniveau zu beiderseits immer geringerer Sicherheit führen. Wer als erster diese Spirale abbricht und eine gewisse Überlegenheit der anderen Supermacht hinnimmt, glaubt sich damit dem Risiko ausgesetzt zu sein, in dem gespannter Situation Druck der Gegenseite nachgeben zu müssen. 5. Das Sicherheitsrisiko für die UdSSR:

der Nachrüstungsbeschluß der NATO d Moskau sucht in seiner eigenen Darstellung seit Jahren nach Wegen, wie es um das Wett-rusten mit den Amerikanern herumkommt — und doch seine Überlegenheit in Europa be-whrt: Es hat sich bemüht, die europäischen ATO-Staaten zu veranlassen, vor Beschluß-

assung über die Nachrüstung mit der Sowjet-union in Verhandlungen einzutreten. Bresch——------new hat im Oktober 1979 das Nichtbestehen offensiver Absichten durch die einseitige Zurückziehung von 1 000 Panzern und 20 000 Mann aus der DDR zu beweisen versucht. Der Westen hat nicht reagiert, sondern Anfang Dezember in der NATO den Nachrüstungsbeschluß gefaßt. Breschnew hat Anfang 1980 — inzwischen war die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert und Westeuropa aufs tiefste bestürzt — dem Westen angeboten, weitere 20 000 Mann aus Mitteleuropa zurückzuziehen, wenn auch die Amerikaner ihrerseits 13 000 Mann in die Staaten zurücknehmen würden. Der Westen ist nicht darauf eingegangen. — Breschnew hat sich dann bemüht (nach anfänglichem Zögern), die Verhandlungen mit den Amerikanern über die Mittelstreckensysteme beschleunigt in Gang zu bringen. Er schlug Ende 1980 für die Dislozierung neuer Mittelstreckenraketen ein beiderseitiges Morqtorium vor. Da die Serienproduktion der amerikanischen Mittelstreckenraketen sowieso erst 1983 anlaufe, wäre das praktisch für die Dauer von zwei Jahren ein einseitiger Verzicht auf die Dislozierung der jährlich neu produzierten SS 20 im europäischen Bereich. Der Westen hat sich in keine Verhandlungen eingelassen, sondern das sowjetische Angebot überraschend schnell abgelehnt.

Dies waren (aus sowjetischer Sicht nicht geringe) Zugeständnisse, gerichtet an die westeuropäischen Staaten, nicht zuletzt an die Bundesrepublik Deutschland. Denn von ihnen sollte ja jener Einfluß ausgehen, der die Amerikaner zur Aufgabe ihrer harten Haltung gegenüber der Sowjetunion veranlassen könnte, Doch die Westeuropäer folgten dem Rat ihrer westlichen Führungsmacht und zeigten Moskau die kalte Schulter.

b) Doch da bietet sich Moskau eine Chance, um das Wettrüsten herumzukommen, den Nachrüstungsbeschluß der NATO zu Fall zu bringen und so ohne große Zugeständnisse die Überlegenheit in Europa zu behalten. Mit Genugtuung wird Breschnew nämlich festgestellt haben, daß die westeuropäischen Regierungen in ihrer klaren Haltung zum NATO-Beschluß zunehmend unter den Druck eines Teils der öffentlichen Meinung und abweichender Ansichten ihrer Parteibasen geraten. Es begann bei den kleineren NATO-Staaten. Heute sind nur noch drei europäische Staaten bereit, die amerikanischen Mittelstreckenraketen zu stationieren: Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland und Italien. (Frankreich mit seinen „privilegierten Beziehungen zur Sowjetunion“ war seit dem Ausscheiden aus der NATO ohnehin nicht mit im Rennen.)

c) Die Regierungen dieser drei Staaten wissen, worum es geht: zunächst einmal den USA eine starke Position in den Verhandlungen mit der Sowjetunion zu sichern. Denn nur wenn die wenn die sowjetische Regierung davon überzeugt ist, daß es beim Scheitern der Verhandlungen zur Nachrüstung, also zur Stationierung der amerikanischen Raketen in Europa kommt, wird sie bereit sein, ein Rüstungskontrollabkommen mit erheblichen Zugeständnissen zu machen. Würden die europäischen Regierungen den NATO-Beschluß nur noch halbherzig decken und andeuten, daß sie beim Scheitern der Verhandlungen an der späteren Nachrüstung wenig interessiert sind, würden die Aussichten der Amerikaner, die sowjetischen Verhandlungspartner zu einem weitgehenden Abbau ihrer SS 20 zu bewegen, gering sein. In der Tat lassen der Bundeskanzler und sein Außenminister mit voller Rückendekkung der Opposition keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Bundesrepublik nachrüsten und die Dislozierung der amerikanischen Raketen auf ihrem Gebiet herbeiführen wird, wenn sich die Verhandlungen in die Länge ziehen oder gar scheitern.

Doch je glaubwürdiger die Bundesregierung ihren Willen zur Nachrüstung gegenüber der Sowjetunion manifestiert, desto mehr kommt in der Bevölkerung die Sorge auf, was denn im Nachrüstungsfall passieren würde, wenn die vielgepriesene Abschreckung versagt. Diese Sorgen kontert man mit dem alten Argument: Es ist ja gerade der Zweck dieser amerikanischen Raketenfront in Europa und im Bundesgebiet, vermittels ihrer glaubwürdigen Abschreckung aggressive Akte der Sowjetunion zu verhindern. Doch diese Argumentation wird von Teilen der Bevölkerung nicht mehr ohne weiteres hingenommen. Erstmalig beginnt man sich angesichts der kritischen Weltlage, der amerikanischen Rüstungspolitik und der sowjetischen Überlegenheit in Europa der Problematik von Abschreckung und Nuklearrüstung bewußt zu werden. Die Frage: Was ist, wenn die Abschreckung versagt? läßt sich nicht mehr beiseite schieben.

Das war früher anders. Die großen Entscheidungen auf atomarem Gebiet — die Einführung der NATO-Strategie der flexiblen Reaktion, die Beschränkung der SALT-II-Verhandlungen auf Interkontinentalraketen, die Rüstungsbeschlüsse der NATO einschließlich des Beschlusses vom Dezember 1979 — all diese Entscheidungen wurden im wesentlichen nur innerhalb der Regierungen und von NATO-Experten erörtert. Presse und parlamentarische Oppositionsparteien hatten keinen Grund, die Regierungsentscheidungen zu kritisieren. Die Konfrontation zwischen Ost und West, die nur auf dem Bündnis mit den USA beruhende Sicherheit Westeuropas, die Überlegenheit der amerikanischen Kernwaffenrüstung ließen die Abschreckungstheorie unangefochten. Die Möglichkeit des Versagens der Abschreckung stand nicht zur Erörterung.

Die derzeitige innenpolitische Entwicklung in Westeuropa, vor allem in der Bundesrepublik, kommt Breschnew außerordentlich gelegen, Er erlebt heute zu seiner Genugtuung, daß sich die Bundesregierung in ihrer Treue zum NATO-Beschluß einer zunehmenden Protest-bewegung gegenübersieht. Diese geht quer durch die ganze Bevölkerung, ist jedoch stärker im linken als rechten Spektrum, in den jüngeren als in den älteren Jahrgängen, in der Basis der Parteien der Koalition als in ihren Repräsentanten angesiedelt. Im Bundestag bekennt sich nur der linke Flügel der SPD zu dieser Protestbewegung; doch deckt er die Regierung, wenn die Gefahr besteht, daß diese durch ein Mißtrauensvotum der CDU/CSU-Opposition gestürzt werden könnte. Obgleich sich die Kommunistische Partei mit ihren Hilfsorganisationen im Einklang mit Moskau intensiv für diese Massenbewegung unterschiedlichster Kräfte einsetzt, wäre es grundfalsch anzunehmen, daß sie nur auf deren Initiative und Propaganda zurückgeht und getarnt aus der Sowjetunion gelenkt wird. Gerade in einer freiheitlichen Demokratie mußte die Problematik von Atomrüstung und Abschrekkung sowie die Frage nach den Folgen der Abschreckung im Falle ihres Versagens aufbrechen und aus dem engeren Kreis von Politikern und Intellektuellen die Breite der Bevölkerung mit ihren Ängsten und Emotionen erreichen. Für Moskau bestehen wenig Zweifel: Diese Massenbewegung steht erst am Anfang ihres Wirkens. d) Es kann andererseits auch keinem Zweifel unterliegen: Wären Marxisten-Leninisten sowjetischer Prägung in unserer Situation, würden sie keine Sekunde zögern, den Weg der Nachrüstung zu beschreiten, Sie haben es ja drei Jahrzehnte praktiziert. Aber in der heutigen Situation werden sie, um ihre Überlegenheit in Europa behalten zu können, die psychologischen Nachteile der Gegenseite voll ausnutzen. Denn propagandistisch sind natürlich die Chancen all derer, die für Frieden, Abrüstung, Entspannung und gegen das wahnwitzige Aufrüsten besonders auf nuklearem Felde eintreten, wesentlich günstiger. Wer kann sich der einfachen Logik entziehen, daß der Satz „Erst aufrüsten, um erfolgreich abrüsten zu können“ normal reagierende Menschen zum'Widerspruch reizen muß?

Im eigenen Land hat die sowjetische Führung die öffentliche Diskussion dank der staatlich beherrschten Medien völlig in der Hand. Im Westen dagegen findet die öffentliche Diskussion nicht unter Kontrolle der Regierung statt. Die Regierung ist vielmehr voll dem Druckder öffentlichen Meinung ausgesetzt. Eine breite, aus vielen Schichten kommende Massenbewegung kann mit ihren vereinfachenden, aber stark auf Emotion beruhenden Argumenten die öffentliche Meinung weit mehr beeinflussen als eine von Regierung und Parteien geförderte Aufklärungskampagne mit sachgerechter, aber komplizierter und intellektuell schwer verständlicher Beweisführung. (Womit nicht gesagt sein soll, daß der Protestbewegung keine trefflichen rationalen Argumente zur Verfügung stehen. Nur, wer die Masse erreichen will, kommt ohne emotionale Appelle nicht aus. Und die Regierung sieht sich gezwungen, auch emotional zu argumentieren: Der Atomkriegs-Angst wird die Russen-Angst entgegengesetzt.)

So stehen für die kommenden Monate und Jahre aufreibende Auseinandersetzungen bevor. Sie erfahren sicherlich durch „Erinnerungen" der Sowjetunion an das drohende Faktum des über uns hängenden Damoklesschwertes eine dramatische Zuspitzung.

VIII. Ergebnis der Analyse: Die Ideologie als Fundament der Außenpolitik

a) Kehren wir am Schluß zu der Frage nach den Motiven der sowjetischen Außenpolitik und nach der Funktion der Macht im Rahmen ihrer Strategie zurück. Ich bekenne mich zu der Ansicht, daß nach sowjetischem Selbstverständnis die marxistisch-leninistische Ideologie auch für die Außenpolitik das Fundament der langfristigen Zielsetzung und der weiträumigen Strategie abgibt. Langfristiges Ziel ist und bleibt die Weltrevolution, worunter heute der geschichtliche Prozeß der Ablösung des Imperialismus durch den Sozialismus verstanden wird. Die Strategie ist darauf gerichtet, diesen Prozeß zu fördern: in der Dritten Welt durch den Rückhalt der werdenden Welt-macht Sowjetunion; in West-und Mitteleuropa durch friedliche Koexistenz und macht-mäßige Absicherung; gegenüber den USA durch ein globales Kräftegleichgewicht; gegenüber China (wie gegenüber Europa) durch friedliche Koexistenz und machtmäßige Absicherung; im eigenen Sowjetblock durch Konsolidierung der sozialistischen Macht und Zerschlagung jedweder . konterrevolutionärer'Entwicklung. In diesem Rahmen bleibt für die Lenker der Sowjetunion in Partei und Staat genug Bewegungsfreiheit, um sich den Erfordernissen der Stunde und des Ortes pragmatisch anzupassen.

Ausgangspunkt für diese Beurteilung bleibt für mich der Glauben der Sowjetführer an den Historischen Materialismus als Schlüssel zur Weltgeschichte. Von Lenin stammt die Entschlossenheit, diesen Lauf der Weltgeschichte nicht abzuwarten, sondern revolutionär auf staatlicher und parteilicher Ebene zu forcieren. Stalin führte die Macht der Sowjetunion als neue Komponente in die kommunistische Ideologie ein. Wer indessen seit Stalin keine ideologischen Motive mehr, sondern nur noch Machtdenken als Fundament der sowjetischen Außenpolitik anerkennen will, verkennt die Chruschtschow'schen Reformen des AX. Parteitags. Sie sind der Versuch, die Ver-wirklichung der alten Ziele von Marx und Le-nin angesichts der Zwänge der Nuklearwaffen mit neuer Strategie ins Auge zu fassen.

Breschnew handhabt diese Strategie ebenso vorsichtig wie zielstrebig. Nichts wäre verfehlter, als anzunehmen, daß er mit der Koexistenzpolitik in Europa die ideologischen Ziele abschreibt. Ebenso falsch wäre es m. E., Breschnews Politik in der Dritten Welt als bloßen Ausdruck einer expansiven Machtpolitik der werdenden Weltmacht Sowjetunion zu deuten — ganz unabhängig von jeglicher Ideologie.

b) In Moskauer Sicht ist die treibende Kraft des Geschehens in der Dritten Welt der Trend der Geschichte selbst, wie er sich aus der Gesetzlichkeit der Erkennnisse des Historischen Materialismus ableiten läßt. Das gilt auch für den weltweiten Prozeß der Entkolonialisierung, der sich gegen den Willen der einstigen Kolonialmächte — und nicht aufgrund der sowjetischen Machtpolitik — durchgesetzt hat. Der Kreml bestreitet nicht, daß er im Einklang mit den Forderungen Lenins diesem geschichtlichen Trend kräftig nachhilft: In den Befreiungskämpfen mit Waffen und Ausbildung, nach der Machtübernahme durch den Rückhalt der Sowjetmacht oder (in fernen Regionen) durch Engagement des Stellvertreters Kuba. Doch es wird betont: Kämpfen müssen die Völker selbst. Daß sich gerade im mittelamerikanischen Einflußgebiet der USA immer wieder Menschen und Völker zu Kampf und Revolution bereitfinden, wird als Beweis eines aktiven geschichtlichen Prozesses gewertet. Moskau setzt sich dafür ein, daß sich beide Supermächte jeglicher Einmischung in die Geschehnisse der Dritten Welt enthalten. Dann kann sich in Moskauer Sicht der geschichtliche Prozeß hier aus eigener Kraft entwickeln und durchsetzen. Deshalb wird auch in einem von Breschnew Ende April 1981 proklamierten Verhaltenskodex gegenüber der Driften Welt im ersten Prinzip das Recht jedes Landes herausgestellt, „die inneren Angelegenheiten ohne äußere Einmischung zu entscheiden. Außerdem muß auf Versuche verzichtet wer-37 den, die auf Herrschaft oder Hegemonie abzielen oder Länder in die Interessenssphäre einer anderen Macht eingliedern“

Natürlich gilt das nur für die Dritte Welt von Mittelamerika über Afrika bis zum Nahen Osten. Es gilt nicht für die Interessens-und Sicherheitssphäre der Sowjetunion von Afghanistan bis Osteuropa.

c) Und wie steht es in Europa? Hat die sowjetische Führung auf diesem Kontinent das Ziel, die nichtsozialistischen Staaten schrittweise mit Hilfe ihrer regionalen militärischen Überlegenheit in den sozialistischen Machtbereich zu überführen, aufgegeben? Droht uns angesichts der sowjetischen Machtpolitik, wenn wir nicht aufpassen, das Schicksal Afghanistans? Ich halte eine solche Annahme für eine Verkennung des Wandels der Ideologie, von der die Strategie der sowjetischen Außenpolitik seit 1956 bestimmt ist:

1. Die völkerrechtswidrige Invasion in Afghanistan im Dezember 1979 war keine machtpolitische Expansion, sondern (nicht anders als Prag 1968 und Budapest 1956) eine militärische Intervention, die verhindern sollte, daß dieses de facto bereits seit einem Jahr in den Sowjet-block inkorporierte Land einem antisowjetischen und antikommunistischen Regime zufiel — so die Sicht Moskaus.

2. Die Rüstung der Sowjetunion und ihr militärisches Übergewicht in Europa sind Ausdruck eines Ringens mit den USA um ein globales Kräftegleichgewicht; Versuche, den Sowjet-block auf Teilgebiete des NATO-Bereiches zu erweitern, würden — einerlei, mit. welcher Taktik praktiziert — die Gefahr eines Dritten Weltkrieges auslösen, den die sowjetische Führung mit allen Mitteln zu vermeiden sucht.

3. Schließlich wissen Breschnew und sein Politbüro, daß der geschichtliche Prozeß einer proletarischen Revolution in diesem Kontinent seit langem stagniert. Den Westeuropäern mit Druck der sowjetischen Macht einen kommunistischen Machtwechsel aufzuzwingen, das mag zu Stalins Zeiten zur Erörterung gestanden haben — es würde heute das Ende der friedlichen Koexistenz bedeuten und das Lebenswerk Breschnews zerstören. Doch von einem bleiben Marxisten-Leninisten felsenfest überzeugt: Mag der geschichtliche Prozeß auch zeitweilig oder langfristig auf der Stelle treten, eines Tages wird er doch kraft innerer Gesetzlichkeit wieder in Gang kommen. Die Ideologen im Kreml von Suslow bis Ponomarow sprechen es offen aus: Die zyklisch immer schwereren Krisen der westlichen Wirtschaft mit ihrer steigenden Arbeitslosigkeit, Inflation und Staatsverschuldung, mit immer zahlreicheren Streiks 1, Demonstrationen und Krawallen, mit einer Jugend, die mit den Widersprüchen unserer Welt nicht mehr fertig wird und resigniert oder revoltiert — all das wird als Zeichen einer nicht mehr fernen, tiefgehenden Umwälzung angesehen. Dabei projiziert man allerdings die schweren Sorgen, die das eigene, theoretisch vollkommene sozialistische System in der Praxis bereitet, auf den ideologischen Gegner. Wie es überhaupt allen Ideologen in Ost und West seit 1917 schwerfällt, sich mit der bleibenden Existenz der angeblich dem Untergang geweihten Welt der Gegenseite abzufinden!

Wenn es aber wirklich — diese über mein Thema hinausgehende Konklusion sei mir gestattet — noch in diesem Jahrhundert zu einem show down in Ost oder West kommen sollte —ich bezweifle es! —, dann möchte ich eines aus meiner Kenntnis unserer eigenen oder jener östlichen Welt vorhersagen: Nicht Krieg oder militärische Erpressung, nicht Kräfteungleichgewicht und Rüstungsdramatik, nicht sowjetische oder amerikanische Mittelstreckenraketen in Europa werden den Zusammenbruch hier oder dort herbeiführen — es könnte eher ein west-östliches Wettrennen geben, wer zuerst den im eigenen System üppig wuchernden Krisen und chaotischen Erscheinungen erliegt. Berichtigung In der Replik von Horst A. Kukuck auf die Stellungnahme des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu seinem Beitrag „EG-Agrarpolitik: Kurswechsel oder Bankrott" (B 35— 36/81) sind wegen eines technischen Versehens zwei Sätze leider nur verstümmelt wiedergegeben worden. Es muß richtig heißen a) Seite 42, 2. Spalte, Zeilen 7— 13:

„Ist es nicht absurd, daß der Agrarbericht auch solche Höfe als . Vollerwerbsbetriebe', die ja die wirtschaftliche Existenz einer bäuerlichen Familie nachhaltig gewährleisten sollen, bezeichnet, die nach dem Urteil der offiziellen Agrarpolitik des Ministeriums nicht mehr entwicklungsfähig sind?“

a) Seite 43, 1. Spalte, Zeilen 16— 18:

„Rein inhaltlich ist dazu zu bemerken, daß der Verfasser keineswegs darauf verzichtet hat, das zugrunde liegende Material kritisch zu überprüfen."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Als Gesandter und Stellvertreter des Botschafters, damals zunächst Helmut Allardt, später Ulrich Sahm.

  2. Gleiche Beobachtung von Pietro Quaroni (ital. Botschafter), Ost und West und die Gipfelkonferenz, Berlin (West) 1958.

  3. Vgl. die näheren Ausführungen auf den folgenden Seiten.

  4. Statt aller: Leszek Kolakowsky; Die Hauptströmungen des Marxismus, 3 Bände, München — Zürich 1977 ff.

  5. W. I. Lenin, Ausgewählte Werke, Bd. II, Berlin (Ost) 1964, S. 774.

  6. Noch 1916 in der Schweiz geschrieben, veröffentl. 1917 in Petrograd, s. 22. Bd.der Werke Lenins, a. a. O., S. 189— 309.

  7. Lenin, a. a. O., Bd. 31, S. 201 ff., insbes. S. 232/233.

  8. Boris Meissner, Die Breschnew-Doktrin, Köln 1969, S. 15.

  9. Zitiert aus: Boris Meissner, Das Parteiprogramm der KPdSU 1903— 1961, Köln 1962.

  10. Rede Castros auf dem Kongreß der PCC im Dezember 1975, abgedruckt in: Le Monde Diplomati-Tue, Januar 1978.

  11. Gunter Pus, Kuba in der Klemme, in: Frankfurter Rundschau vom 8. 5. 1981, S. 10, Sp. 5.

  12. Gunter Pus, a. a. O. — Als Botschafter in NKrumahs Ghana 1961— 1963 hatte ich Gelegenheit, das Wirken der dortigen Kubanischen Militärmission zu verfolgen.

  13. Gunter Pus, a. a. O. — Zu den Fakten siehe: Archiv d. Gegenwart 1976, S. 20107Aff.

  14. In: Ausgewählte Werke, Bd. II, S. 775.

  15. Vgl. z. B. Woslenski in Spiegel Nr. 1/2 v. 7. 1. 1980, S. 8611.

  16. Ergänzungsbd. (26) zu Meyers Enzyklopäd. Lexikon, S. 328.

  17. Meyers Enzyklopäd. Lexikon, Bd. 26, S. 26 — Der dortigen Annahme, daß Afghanistan bereits im taufe des Jahres „de facto an den Warschauer Pakt angeschlossen war", kann ich nicht folgen.

  18. Sri Prakash Sinha, Afghanistan im Aufruhr, Freiburg—Zürich 1980, S. 138 ff.

  19. Lothar Ruehl in: Die Zeit Nr. 3 v. 11. 11. 1980,

  20. Siehe z. B.: Carl H. Lüders, Gedanken zur sowjetischen Entspannungspolitik, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B. 21/74.

  21. Ich sehe aus Raumgründen davon ab, auch jenen Teil der sowjetischen Außenpolitik darzustellen, der sich mit dem Einfluß der KPdSU auf die westlichen kommunistischen Parteien beschäftigt. Er zeigt, was ideologische Auseinandersetzung in praxi heißt — siehe hierzu ausführlich: Carl H. Lüders, Breschnew denkt anders, Baden-Baden Okt. 1981. Dieses Buch stellt die erweiterte Fassung des vorstehenden Aufsatzes dar.

  22. Zitiert aus: Archiv der Gegenwart, 1976, S. 20065 F.

  23. Archiv der Gegenwart 1972, S. 17425 D und S. 17328 B.

  24. In seiner Rede vor der Ost-Berliner Konferenz der Europäischen Kommunistischen Parteien im Juni 1976, Archiv der Gegenwart 1976, S. 20446.

  25. Archiv der Gegenwart 1974, S. 19476 C: Erklärung des NATO-Sprechers.

  26. Boris Meissner, Die Breschnew-Doktrin, a. a. O. S. 27 ff.

  27. Dieter S. Lutz, Die Rüstung der Sowjetunion, Baden-Baden 1979, S. 143.

  28. Henry Kissinger, The White House Years, Lor don 1979, S. 219.

  29. Kissinger, a. a. O., S. 148.

  30. Die sowjetische Führung sah etwaige sowjetische Mittelstreckenraketen auf Kuba als „forward based Systems“ an, die ein echtes strategisches Gleichgewicht UdSSR/USA herstellen sollten. Hütter in: Rüstungsbeschränkung und Sicherheit, Bonn

  31. Gert Krell, Das militärische Kräfteverhältnis bei den nuklearstrategischen Waffen, in: Nuklearrüstung im Ost-West-Konflikt, S. 194.

  32. Theo Sommer, Die Euro-Gleichung, in: Die Zeit Nr. 18 vom 24. 4. 1981, S. 3. — Die dortigen Zahlenangaben sind von der Regierung — trotz der Aufforderung, dies zu tun — nicht dementiert worden.

  33. Chruschtschows Drohung aus dem Jahre 1956 (siehe S. 11) wurde von Falin, ehemals Botschafter der Sowjetunion in Bonn, in dem lesenswerten Spiegel-Interview vom 5. 11. 1979, Heft 45, S. 38 ff., euphemistisch als „Erinnerung" bezeichnet.

  34. Frankfurter Rundschau vom 15. 5. 1979, Bericht von einer Tagung der Evangel. Akademie in Tutzing zum Thema Abrüstungschancen trotz neuen Wettrüstens?“. Berichterstatter: Anton-Andreas Guha.

  35. Eduard Neumaier, in: Süddeutsche Zeitung vom , 8. 1980: „Moskau droht Europäern mit Carters Direktive 59."

  36. Frankfurter Rundschau, Nr. 99 vom 29. 4. 1981, v 1: Bericht von einer Tagung des Zentrums für yerteidigungsinformationen in Washington und der Universität Groningen zum Thema „Nuklearkrieg in Europa“.

  37. Admiral a. D. La Rocque, Präsident des in Anm. 37 genannten Zentrums, behauptet es. La Rocque hat früher an der Strategischen Planung im Vereinten Generalstab der USA mitgearbeitet.

  38. Die Zahl der eurostrategischen SS 20 beträgt 90. Welcher Art die verbleibenden 160 Strategischen Raketen sein sollen, sagt das Weißbuch nicht.

  39. S. Anmerk. 37.

  40. Hans Apel im Spiegel-Interview, Heft 29 vom 13. 7. 1981, S. 39.

  41. Breschnew im Mai 1981 in Tiflis und Kiew sowi Brandt gegenüber.

  42. S. Anmerk. 41.

  43. Frankfurter Rundschau, Nr. 99 vom 1. 5. 1981, Anlaß: Rede zu Ehren von Ghaddafi.

Weitere Inhalte

Carl H. Lüders, Dr. jur., geb. 1913, Botschafter i. R.; nach der Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft zunächst Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht, dann 1949/50 persönl. Referent des ersten Bundesministers des Innern, Dr. Heinemann; 1950— 1955 Referent für Presserecht, Rundfunk und Filmwesen im Bundesministerium des Innern, zuständig für die Errichtung der Bundeszentrale für Heimatdienst und für die Gründung der Wochenzeitschrift „Das Parlament"; 1955— 1958 Generalsekretär der Europa-Union Deutschland; 1958/59 Generalsekretär der NATO-Truppenvertragskonferenz in Bonn; 1959— 1961 in der Kultur-abt.des Auswärtigen Amts; 1961— 1963 Botschafter in Ghana; 1963— 1966 Gesandter in Neu Delhi; 1966— 1971 Botschafter in Luxemburg; 1971— 1974 Gesandter in Moskau; 1974 bis Ende 1978 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Europarat in Straßburg; ab 1979 Studien-und Vortragsreisen.