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Jugendprobleme, Jugendforschung und politisches Handeln. Zum Stand sozialwissenschaftlicher Jugendforschung und zum Problem der Anwendung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse über Jugend in der politischen Praxis | APuZ 3/1982 | bpb.de

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APuZ 3/1982 Jugendprobleme, Jugendforschung und politisches Handeln. Zum Stand sozialwissenschaftlicher Jugendforschung und zum Problem der Anwendung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse über Jugend in der politischen Praxis Wertwandel und Erziehung. Auf dem Wege zu einer politik-und bildungsrelevanten Motivationsforschung

Jugendprobleme, Jugendforschung und politisches Handeln. Zum Stand sozialwissenschaftlicher Jugendforschung und zum Problem der Anwendung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse über Jugend in der politischen Praxis

Walter Hornstein

/ 83 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag befaßt sich mit der Problematik der Rezeption sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse zum Thema Jugend im politischen Handlungssystem. Er geht von der Frage aus, wie es kommt, daß einerseits von Seiten der Politiker die Klage zu hören ist, es gebe zu wenig Wissen über die Jugend und ihre Probleme, daß aber andererseits viele Jugendforscher der Meinung sind, die Politik greife die vorliegenden Erkenntnisse zu wenig auf. In einem ersten Teil versucht der Beitrag, in einer Art „Faustskizze“ einen groben Über-blick über den Stand heutiger Jugendforschung zu geben und zeigt dann in einem eigenen, von den gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen ausgehenden Konzept den Zusammenhang heute diskutierter Jugendprobleme mit grundlegenden Veränderungsprozessen auf der gesellschaftlichen Ebene. Es wird die These vertreten, daß sich in dem, was heute gemeinhin als Jugendprob\era diskutiert wird, die Probleme einer gesellschaftlichen Situation spiegeln, die durch Prozesse des Wertwandels und krisenhafte Erscheinungen angesichts neuer Herausforderungen bestimmt sind. An drei Beispielen (Rezeption der Jugend-berichte, Bedeutung der Jugendforschung für die staatliche Jugendpolitik, Rolle der Jugendforschung in der Bildungspolitik) wird aufgezeigt, in welch geringem Umfang die genannten politischen Handlungsbereiche von Angeboten der Jugendforschung Gebrauch machen. Im Zentrum des Beitrags steht sodann eine Analyse der Gründe für die Resistenz des politischen Systems gegenüber Forschungsergebnissen zum Thema Jugend. Es wird von der Hypothese ausgegangen, daß ganz generell sozialwissenschaftliche Wissensbestände eine um so größere Chance der Anwendung in der politischen Praxis haben, je mehr sie in ihrer Struktur dem Handlungshorizont und den Handlungsmöglichkeiten der politischen Akteure entsprechen. Am Beispiel der Rezeption des Fünften Jugendberichts wird gezeigt, wie gerade eine auf die Rekonstruktion gesellschaftlicher Bedingungs und Konstituierungsprozesse von Jugendproblemen gerichtete Analyse angesichts partialisierter Handlungs-und Zuständigkeitsstrukturen des politischen Systems gleichsam ins Leere geht. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, bedeuten zunächst für die Forschung, daß sie stärker als bisher ihr Augenmerk auf die Analyse der Prozesse richten sollte, in denen in den gesellschaftlichen Institutionen des Erziehungsund Bildungswesens jene Formen von Entfremdung und innerer Distanz entstehen, die dann in der öffentlichen Diskussion beklagt werden. Daraus resultiert zweitens die Forderung nach einer gesellschaftlichen Praxis, die anders als bisher die Lebensentwürfe und Vorstellungen der Jugend ernst nimmt und ihnen in Schule und Ausbildungsbereich, in den Parteien, den Gewerkschaften, in der Bundeswehr und in den Jugendverbänden eine reelle Chance gibt.

I. Das Problem: Brachliegende Wissensbestände und der Ruf nach Wissenschaft

Abbildung 1

Im Zusammenhang mit Diskussionen über Jugend und Jugendprobleme ist von Seiten der Politiker und vor allem auch der Praktiker aus der politischen Administration nicht selten zu hören, man wisse zu wenig über die Einstellungen, die Werthaltungen, die Wünsche und Vorstellungen der Jugendlichen; deshalb sei es so schwierig, sich mit ihnen zu verständigen, und noch schwieriger sei es, entsprechende politisch-praktische Maßnahmen zu treffen, die zur Lösung der Probleme beitragen könnten

Umgekehrt wird von Seiten der Wissenschaftler immer wieder beklagt, daß „die Politik" und »die Praxis" viel zu wenig Kenntnis von den vorliegenden Resultaten und Einsichten wissenschaftlicher Forschung, gerade auch über Jugend, nähmen, und daß es deshalb nicht weiter verwunderlich sei, daß die Probleme in diesem Bereich nicht besser gelöst würden.

Der nachfolgende Beitrag knüpft an die eben genannten beiden Statements an, die offensichtlich ein „Mißverhältnis" signalisieren — ein Mißverhältnis, das aus mehr als einem Grund fragwürdig und deshalb einer genaueren Analyse bedürftig ist. Auf der einen Seite ist nicht zu übersehen, daß die Probleme, die üblicherweise als . Jugendprobleme" bezeichnet werden — höchst mißverständlich im übri-gen, weil sie einseitig „die Jugend" als das Problem definieren, während es sich in Wirklichkeit um ein in vielfacher Hinsicht gesellschaftliches Problem und nicht um ein Jugendproblem handelt—, in den vergangenen ein bis zwei Jahren und insbesondere in den letzten Monaten (wenn z. B. an die blutigen Auseinandersetzungen in der Hausbesetzer-Szene in Berlin gedacht wird) ein Ausmaß erreicht haben, das in seiner Dramatik und gesellschaftspolitischen Brisanz kaum zu überbieten ist Wenn es also Erkenntnisse gäbe, die etwas zur Entschärfung oder gar zur Lösung dieser Probleme beitragen könnten, dürfte es unverantwortlich sein, sie nicht auch wirklich zu nutzen. Auf der anderen Seite gibt es gute Gründe für die Annahme, daß wir in der Tat sehr viel mehr über die Probleme im Zusammenhang von Jugend und Gesellschaft wissen, als in der politischen Praxis zum Vorschein kommt. Es dürfte sich also lohnen, der Frage nachzugehen, woran das liegt, auf welcher oder welchen Ebene(n) die Barrieren für die mangelnde Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse in der politischen Praxis liegen und wie sie beseitigt werden könnten.

Die Aufklärung dieser Frage scheint auch deshalb von besonderem Interesse, weil von Seiten der Wissenschaftler, die sich mit Jugend-problemen befassen, immer wieder die Politik-und Praxisnähe ihrer Forschungen betont wird. In der Tat läßt sich leicht zeigen (s. weiter unten), wie eng sich die Fragestellungen sozialwissenschaftlicher Jugendforschung an die jeweils in der politischen Diskussion vorherrschenden und von dort in die Öffentlichkeit getragenen Topoi anschließen. Liegt es an zu großer Politik-und Praxisnähe, daß derartige Resultate so wenig wirksam werden? Die scheinbar paradoxe Frage ist berechtigt, wie sich später zeigen wird. Umgekehrt wäre es denkbar, daß es an der Art des Wissens über Jugend liegt, daß dieses Wissen so wenig fruchtbar ist Es könnte ja sein, daß diesesWissen von einer Struktur und Beschaffenheit ist, die es für das politisch-administrative System wertlos macht, weil es sich kaum oder nur sehr schwer in die Denk-und Handlungshorizonte dieses Systems übersetzen läßt Damit sind einige der Fragen skizziert, mit denen sich dieser Beitrag befaßt:

In einem ersten Abschnitt soll versucht werden, so etwas wie einen Stand der Jugendforschung zu skizzieren, um zumindest schlaglichtartig und in groben Zügen etwas von dem Wissen und den Erkenntnissen zu vergegenwärtigen, die zur Verfügung stehen — auch wenn dieser Stand, darauf soll gleich an dieser Stelle hingewiesen werden, natürlich nicht so eindeutig zu kennzeichnen ist wie etwa der Forschungsstand in einem technisch-naturwissenschaftlichen Forschungsgebiet.

In einem zweiten Abschnitt soll an einigen Beispielen dargestellt werden, in welcher Form das politisch-administrative System mit dem vorhandenen Wissen umgeht, es aufnimmt, verarbeitet, aber auch ignoriert und beiseite stellt.

Der dritte Abschnitt versucht auf einer grundsätzlichen Ebene eine Analyse der Rezeptionsfähigkeit des politischen Systems für Wissen über Jugend; es soll die Frage geprüft werden, wie es sich mit der Rezeptionsfähigkeit oder Resistenz des politischen Systems in bezug auf Wissen über Jugend verhält, welche strukturellen Momente des Systems dabei eine Rolle spielen und welche Konsequenzen dies hat.

Im vierten Abschnitt schließlich sollen einige Konsequenzen aus der Analyse gezogen und zur Diskussion gestellt werden, -es geht also um die Frage, was getan werden könnte, um die eingangs skizzierten Probleme besser zu lösen

II. Zum „Stand" der Jugendforschung

1. Die Schwierigkeit, einen Forschungsstand zu identifizieren Der Versuch, so etwas wie einen „Stand" der Jugendforschung zu identifizieren, steht vor einer Reihe von Schwierigkeiten, die ihre Ursache in den Eigentümlichkeiten des Forschungsgegenstandes haben, um den es dabei geht. Die Identifizierung eines „Standes" würde zunächst die Existenz eines homogenen, eindeutig formulierten Forschungsfeldes voraussetzen, in dem von einer größeren Zahl von Forschern kontinuierlich und auf der Basis allgemein als wichtig anerkannter Fragestellungen geforscht und systematisch theoretisch begründete Erkenntnisfortschritte erzeugt würden. Die jeweils zuletzt in diesem Prozeß erreichten Resultate würden dann als jeweils erreichter Stand gelten können; damit wären auch die jeweils früheren Erkenntnisse aufgehoben, nicht nur überholt.

Dieses Modell von Erkenntnisfortschritt und der Möglichkeiten, einen Forschungsstand zu dokumentieren, läßt sich ganz allgemein im Bereich der Sozialwissenschaften kaum praktizieren. Fast überall in den Sozialwissenschaften, ob es um Arbeitsmarktforschung, um Bildungsforschung, um Analysen des politischen Systems geht, liegen Bedingungen vor, die es schwierig machen, zu eindeutig dokumentierten Festlegungen zu kommen. Das liegt schon daran, daß in bezug auf diese Bereiche sehr unterschiedliche Auffassungen darüber herr-sehen, welche Fragestellungen wichtig und bedeutsam sind, in welche Richtung sie verfolgt und mit welchen Verfahren die Forschungsprobleme gelöst werden sollen. Eine gewerkschaftlich orientierte und evtl, auch von dort initiierte Arbeitsmarktforschung wird sich sehr von Forschungen unterscheiden, die von der Seite der Unternehmer und an ihren Interessen orientiert durchgeführt werden.

Es wird in solchen Bereichen also immer mehrere „Forschungsstände" geben — je nachdem, wie der einzelne Forscher für sich die eben angedeuteten Fragen beantwortet.

Die Schwierigkeiten vergrößern sich in dem Maße, in dem die ideologischen und interesse-

mäßigen Momente den Gegenstand gleichsam überwuchern. Das läßt sich vor allem und leicht am Beispiel Jugend zeigen: Jugend ist weder in der alltäglichen Lebenspraxis noch in der Politik, noch in der Forschung einfach ein, „Gegenstand", der eben gegeben ist, sondern er ist immer schon in den vielfältigsten und unterschiedlichsten Weisen ideologisch und interessemäßig besetzt. Jeder hat ein anderes Interesse an der Jugend, hat eine andere Vorstellung davon, wie sie sein sollte, registriert also anderes als „Abweichung" als andere usf.

Dies bedeutet, daß für den Forschungsgegenstand Jugend in zugespitzter Weise das zutrifft, was weiter oben als generelle Kennzeichen sozialwissenschaftlicher Forschung skizziert wurde, nämlich, daß hier eine Heterogenität der „Forschungslandschaft" vorliegt, die es schwer macht, von einem eindeutigen Stand zu sprechen, und vielleicht ist es die daraus resultierende Unüberschaubarkeit und Verschiedenartigkeit der Ergebnisse, die bei vielen Politikern zu dem Gefühl führen, eigentlich wisse man doch gar nichts über die wirklichen Gründe und Zusammenhänge! Dabei spielt weiterhin sicherlich auch eine Rolle, daß Ergebnisse von Jugenduntersuchungen offensichtlich ungeheuer rasch veralten.

Jugend als eine historisch-gesellschaftlich in höchstem Maße abhängige „Größe" befindet sich in derart raschem Wandel, daß jeder Versuch einer Fixierung zu dem Zeitpunkt, zu dem er unternommen wird, auch schon in seinen Ergebnissen überholt erscheint.

Hinzu kommt ein letztes Problem: Zusammenfassende Darstellungen zum Thema Jugend sind meist in einer Form konzipiert, die den an umsetzbaren Ergebnissen interessierten Praktiker so gut wie hilflos, eher desorientiert zu-rücklassen. Das gilt z. B. für die handvoll „Ein-führungen in die Jugendsoziologie" (Allerbeck/Rosenmayr, 1976; Griese, 1977; Clausen, 1976), die sich ausdrücklich an ein akademisches Publikum wenden und die — das gilt vor allem für die genannten neueren Einführungen — offenbar immer weniger Bezug zu den realen Problemen haben, mit denen sich die Öffentlichkeit, die politische und pädagogische Praxis konfrontiert sehen (Schefold, 1979). Ähnlich verhält es sich mit den überblickartigen Darstellungen in Handbüchern und Lexika: Ganz abgesehen von der notwendigen lexikalischen Kürze, sind auch sie rasch veraltet und enthalten oft, wie z. B.der umfangreiche Beitrag von L. Rosenmayrim Handbuch der empirischen Sozialforschung fs. dazu 2. Auflage, Bd. 6), eine derartige Fülle von Detailwissen, theoretischen Konzepten, problematisierenden Wissensbeständen, daß sich daraus selbst für den sozialwissenschaftlich gebildeten Leser weniger eindeutige „Erkenntnisse" als vielmehr Eindrücke einer ungeheuren, das Handeln geradezu lähmenden Komplexität ergeben. Es fehlt also an einer kontinuierlichen, von Praktikern und Politikern verkraftbaren, ihre Handlungsprobleme mit reflektierenden Verarbeitung von Jugend-forschung

Die nachfolgende Darstellung kann dieses sehr weitreichende und grundlegende Defizit nicht en passant beheben, aber doch versuchen, so etwas wie einen orientierenden Über-blick über Stand, Perspektiven und Resultate der Jugendforschung zu geben.

Es geht also weniger darum (was im Rahmen eines solchen Beitrags auch kaum möglich sein dürfte), einen ins Detail gehenden inhaltlichen Überblick über die derzeit vorliegenden Ergebnisse zur Diskussion zu stellen; es soll vielmehr lediglich eine lockere Strukturierung des vorhandenen Wissens versucht werden, um so eine Art Orientierungsund Strukturierungshilfe zu geben; es soll also vor allem die Struktur, die Art und Qualität des vorhandenen Wissens gekennzeichnet, dies aber nicht in allen Details ausgebreitet werden. Am zweckmäßigsten dürfte es dabei sein, zunächst generelle Trends, Entwicklungslinien und Akzentsetzungen hinsichtlich der Art und Weise, wie Jugend zum Gegenstand von Forschung und damit thematisiert wird, zu identifizieren. 2. Wandlungen und Entwicklungstendenzen in den inhaltlichen Fragestellungen der Jugendforschung

Es ist — zumindest im deutschsprachigen Bereich — geradezu ein Wesensmerkmal der Jugendforschung, daß sie sich in der Art und Weise, wie sie ihren Gegenstand thematisiert, sehr eng an die jeweilige Thematisierung in der öffentlich-politischen Diskussion hält. So lassen sich für die Zeit vom Ende der sechziger Jahre bis heute drei deutlich unterscheidbare Phasen identifizieren. Sie bezeichnen nicht nur die jeweils leitende Überschrift, unter der öffentlich über das Thema Jugend diskutiert wurde, sondern auch die Optik, in der Jugend zum Gegenstand von Forschung wurde. • So war Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre die Rede von der unruhigen, protestierenden'Jugend der Studentenbewegung und der APO; Mitte der siebziger Jahre von der zum Problem gewordenen „überzähligen" Generation im Zusammenhang mit Geburtenberg und Ausbildungskrise; Ende der siebziger Jahre und zu Beginn der achtziger Jahre schließlich von Jugend als Aussteiger (in Drogen, religiöse Sekten, alternative Bewegungen usw.).

Damit ist ein grobes Schema unterlegt, das dazu dienen kann, die Entwicklung der thematischen Fragestellungen und Schwerpunkte innerhalb der Jugendforschung zu beschreiben. Denn diese öffentlichen Formen der Thematisierung von Jugend haben weitgehend auch die Selektionskriterien für die wissenschaftliche Erforschung von Jugend geliefert. So war es in der Phase der Studentenbewegung und der APO vor allem die Frage nach der Intensität und der Richtung (vor allem der Richtung!) des politischen Engagements der Jugend, die auch die Forschung beschäftigte; die Frage nach dem politischen Abweichungspotential und der Rolle der Jugend für gesellschaftliche Veränderungen stand im Vordergrund. In der zweiten Phase ging es vor allem um die Problematik der gesellschaftlichen Integration der Jugend auf dem Weg über Ausbildungs-und Arbeitsmarkt. Dies war die Folge davon, daß geburtenstarke Jahrgänge auf ein knapper gewordenes Angebot auf dem Ausbildungsstellenmarkt stießen. Demzufolge befaßten sich die Untersuchungen vor allem mit den Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen, mit Problemen der Berufseinmündung und vor allem mit den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit (Braun/Gravalas, 1980; Burger/Seidenspinner, 1977).

In der gegenwärtigen Phase schließlich, in der das Problem der jugendlichen Aussteiger, der in einem neuen und radikalen Sinn protestieB renden Jugend öffentlich-politisch zur Debatte steht, folgt die Forschung diesem Problem in der Weise, daß sie Fragen der Motivation, der Identifizierung der Heranwachsenden mit der Gesellschaft, dem Staat usw. zum Thema macht; sie untersucht, ähnlich wie in der ersten hier genannten Phase, ob und wieweit Jugend überhaupt noch „mitspielt“ (in bezug auf die studentische Jugend s. dazu vor allem Krause u. a., 1980).

Welche Resultate hat nun diese Forschung erbracht? Die Frage liegt nahe; es erscheint allerdings problematisch, sie unabhängig von den Typen der Forschung zu beantworten, mit deren Hilfe sie gewonnen wurden. Die wenigstens knappe und beispielhafte Vergegenwärtigung von Forschungsergebnissen soll also jeweils im Zusammenhang mit der Darstellung der Forschungstypen erfolgen, um die Gefahr zu vermeiden, Ergebnisse für sich zu nehmen, sie absolut zu setzen und den Zusammenhang, innerhalb dessen sie gewonnen wurden, auszublenden. 3. Typen von Forschung Es ist nicht möglich, eine logisch stimmige Gliederung und Systematisierung von Forschungsverfahren in der Jugendforschung zu entwickeln. Grob bietet sich eine Untergliederung an, die einmal die verwendeten Forschungsverfahren als Kriterium nimmt (Umfrageforschung, Einzelfallstudien, qualitative Forschungen), zum andern nach den inhaltlichen Kontexten gliedert, die das Forschungsfeld Jugend jeweils ausmachen und begrenzen (Jugend in der Schule, in der Ausbildung, in der Familie, in der Bundeswehr). Entlang dieser beiden Einteilungsgesichtspunkte soll im nachfolgenden verfahren werden.

In einem weiteren Punkt soll dann die Institution Jugendbericht behandelt werden. Die Behandlung in einem eigenen Punkt rechtfertigt sich auf Grund der politischen Funktion und der Vermittlungsfunktion, die Jugendberichte zwischen Wissenschaft und Politik haben;

manche Jugendberichte haben zwar auch selbst Forschungen initiiert, doch die meisten haben vorliegende Forschungen ausgewertet.

Repräsentative Umfrageforschung Der Typus, der sich durch sämtliche hier skizzierten Phasen durchgehalten hat, ist zunächst derjenige der repräsentativ angelegten Umfrageforschung. Diese Art von Erhebungen hat die Entwicklung der Jugendprobleme immer begleitet; sie ist immer dann besonders in Erscheinung getreten, wenn auffallende Verhaltensweisen der Jugend die Frage provoziert haben: Was ist mit unserer Jugend los? Untersuchungen dieser Art, zum Teil von besorgten Politikern oder politischen Institutionen (etwa den Stiftungen für politische Bildung der Parteien) in Auftrag gegeben oder selbst durchgeführt, sind in unmittelbarem Anschluß an die Studentenbewegung durchgeführt worden (Kaase, 1971), aber auch in fortlaufender Folge vor allem von EMNID. Gerade 1975, auf dem Höhepunkt der Diskussion zum Thema „Jugend als Problem", erschien eine vergleichende Studie, die versuchte, Wandlungen in den Einstellungen und Verhaltensweisen der Jugend über 20 Jahre hinweg nachzuzeichnen (Jugendwerk der Deutschen Shell 1975), und schließlich hat nunmehr gerade auch die letzte, vorher als Aussteiger-Phase bezeichnete Epoche wiederum ihre Umfragen hervorgebracht; so liegen die Ergebnisse einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführten Untersuchung (Krause/Lehnert/Scherer, 1980) und erste Zwischenresultate von Erhebungen und Sekundäranalysen von Mitarbeitern des sozialwissenschaftlichen Instituts der Konrad-Adenauer-Stiftung (Hansen/Veen, 1980) vor, desgleichen eine dreibändige Darstellung durch das Jugendwerk der Deutschen Shell (1981).

Sicherlich sind die Umfragen, die den genannten und weiteren hier nicht im einzelnen aufgelisteten Untersuchungen und Studien zugrunde liegen, nicht alle von gleicher Qualität. Zwischen den methodisch und konzeptionell verhältnismäßig wenig ambitionierten EMNID-Studien und der weiter oben genannten Erhebung von Krause/Lehnert/Scherer mit einer sehr sorgfältig durchdachten Untersuchungsplanung und -auswertung, die auch kompliziertere Verfahren und theoretische Konzepte zugrunde legt, liegen Welten Dennoch lassen sich einige Merkmale von Untersuchungen dieser Art gerade im Hinblick auf ihre Verwertung als Orientierungspunkte für politisches Handeln benennen, die trotz großer Qualitätsunterschiede im einzelnen diesen Typus von Forschung bestimmen. Dazu gehören: — Untersuchungen dieser Art liefern ein mehr oder weniger an der Oberfläche bleibendes Einstellungsbild von der Jugend; die Tiefenstrukturen, die zugrundeliegenden Motivationslagen bleiben weitgehend ausgeblendet. — Die Resultate von Untersuchungen dieser Art sind in einem hohen Maße wenn nicht beliebigen, so doch unterschiedlichen Interpretationen zugänglich; sie lassen sich innerhalb eines breiten Spektrums von Interpretationsmöglichkeiten für die Behauptung unterschiedlichster Thesen heranziehen; sie sind damit weitgehend ungeeignet, Orientierungspunkte für politisches Handeln abzugeben. — Dies hängt zu einem erheblichen Teil auch damit zusammen, daß sie in der Auswahl der Variablen selten darauf achten, Zusammenhänge so einzubeziehen, daß sich daraus Hinweise auf veränderbare, politischer Interventionen zugängliche Sachverhalte ergeben.

— Aus dem gleichen Grund sind Untersuchungen dieser Art auch kaum geeignet, prognostische Aussagen zu machen; immer wieder wird — zu Recht — in diesem Zusammenhang auf die Tatsache hingewiesen, daß die großangelegten Umfragen, die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre durchgeführt wurden, nicht im geringsten die sich damals bereits abzeichnenden Studentenproteste voraussagen konnten.

— Dies hängt mit einer weiteren Schwäche derartiger Untersuchungen zusammen. Sie sind im allgemeinen sowohl wegen des verwendeten Instrumentariums wie auch aus theoretisch-konzeptionellen Gründen nicht geeignet, qualitative Dimensionen und damit verbundene Tendenzen und Strömungen sen-’ sibel genug zu erfassen; sie spiegeln eine durchschnittliche Lage ab und erfassen so gut wie nicht die Randphänomene, die im sozialen Bereich manchmal die wichtigen, innovativen, in die Zukunft weisenden sein können. Als Fazit ergibt sich aus diesen Punkten, daß Überblicksoder Panorama-Studien der hier charakterisierten Art sich zwar einerseits großer Beliebtheit erfreuen, aber daß sie im Grunde wenig verläßliche Anhaltspunkte für politisches Handeln bieten. Das zeigt sich schon daran, daß Untersuchungen der genannten Art stets zu fast gleichen Ergebnissen kommen, die etwa darauf hinauslaufen, daß „der Großteil der Jugend" sich angepaßt, unauffällig, bereitwillig und aufgeschlossen gegenüber den Aufgaben der Gesellschaft sich verhalte, daß es aber sowohl auf der linken wie auf der rechten Seite einen kleinen, meist mit 10 bis 20% bezifferten Teil „unzufriedener"

(Jaide), politisch abweichender, auffälliger Jugendlicher gebe.

Nicht zuletzt unter dem Eindruck derartiger Unzulänglichkeiten haben gerade auch im Bereich der Jugendforschung qualitativ orientierte Studien im weitesten Sinn des Wortes vermehrt Anwendung gefunden. Vor allem in den Schwerpunktprogrammen der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Sozialisationsprozesse Jugendlicher" (1976) und „Pädagogische Jugendforschung" (1979) ist diese methodische Orientierung vorgegeben worden, wobei bei dem zuletzt genannten Programm auch die Frage nach der Verknüpfbarkeit und gegenseitigen Anregung von repräsentativ angelegter Umfrageforschung mit ihrn quantifizierenden Verfahren der Auswertung einerseits und qualitativ vorgehenden, mehr auf die Erfassung von Tiefenstrukturen und inhaltlicher Qualität und Substanz von Aussagen erpichter qualitativer Sozialforschung andererseits vorgegeben ist.

Untersuchungen zu speziellen Problemgruppen Orientiert man sich an der Frage, auf welchen Teil der Jugend sich Jugend-Untersuchungen beziehen bzw. in welchem sozialen Zusammenhang sie ihren Untersuchungsgegenstand aufsuchen, lassen sich folgende Gruppen unterscheiden: Etwa seit der Mitte der siebziger Jahre haben sich in der Bundesrepublik in großer Zahl Untersuchungen zu den seit damals in wechselnder Folge in den Vordergrund tretenden jugendlichen Problemgruppen entwickelt. Hier sind es vor allem die Drogenabhängigen, die Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Jugendlichen, Aussteiger in den verschiedensten Schattierungen (zu den Anhängern der religiösen Sekten s. zusammenfassend referierend Nipkow, 1981), die Alkohol-abhängigen, die Terroristen, deren Sympathisanten usw., die meist im Auftrag von den dafür zuständigen Stellen die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen haben.

Auch hier gibt es große Unterschiede in der Anlage, Qualität und Art der Untersuchungen — vor allem auch hinsichtlich der ätiologischen Dimension, d. h. hinsichtlich der Frage nach den Ursachen für das jeweilige als problematisch identifizierte Verhalten Dennoch lassen sich auch hier einige Charakteristika dieser Art von Forschung identifizieren, die im Zusammenhang der Frage nach ihrer möglichen Fruchtbarkeit für die politische Praxis wichtig sind:

— Zunächst hat die Konzentration von Untersuchungen auf Problemgruppen den — wenn auch ungewollten — Effekt, daß sie zur Verstärkung der Aufmerksamkeit auf Problem-gruppen und zur Beruhigung hinsichtlich des „gesunden" Teils der Jugend beitragen. Sie unterstützen damit im allgemeinen eine Politik der Versorgung von Problemgruppen und enthalten einen Beruhigungseffekt im Hinblick auf die Gesamtheit der Jugend. Sie fördern so häufig eine Art Patientenverhältnis in den Beziehungen von „Jugend" und „Gesellschaft"; letztere beugt sich mit besorgter Miene über den „Patienten Jugend" (Hornstein, 1979).

— Sofern Untersuchungen dieser Art dazu kommen, Empfehlungen über notwendige Maßnahmen auszusprechen, sind diese meist punktuell, haben Ad-hoc-Charakter. Insofern jedoch die festgestellten Bedingungszusammenhänge meist über die dem unmittelbaren politisch-administrativen Interventionszugriff offenstehenden Bereich hinausgreifen, kommen Maßnahmen an die eigentlichen Ursachen häufig kaum heran und bleiben insofern wirkungslos. Oft begnügen sie sich mit Appellen; meist haben sie eine bloße Demonstrationsfunktion: sie sollen der besorgten Öffentlichkeit zeigen, daß etwas geschieht.

Jugend in Institutionen Eine weitere Gruppe von Untersuchungen befaßt sich mit der Situation und den Problemen von Jugendlichen in und in bezug auf Institutionen, also etwa des Bildungs-und Ausbildungswesens, der Bundeswehr, in Gewerkschaften, der Jugendarbeit usw. , Ganz generell läßt sich dazu sagen, daß Untersuchungen dieser Art, die sich also auf Jugend innerhalb eines jeweiligen institutioneilen Kontextes richten, immer dann und praktisch nur dann entstehen, wenn auffälliges Verhalten, Probleme der verschiedensten Art einen Impuls zur Analyse freigeben. In bezug auf Schule beispielsweise ist es das Problem des Schulversagens gewesen, das neuere Studien wie diejenige von Brusten/Hurrelmann (1973) zum abweichenden Verhalten und zum Schulversagen initiiert hat.

Die klassischen Untersuchungen über die jugendlichen Subkulturen in der Schule, wie sie in den USA von Coleman (1961) durchgeführt wurden, sind demgegenüber kaum weitergeführt worden; am ehesten lassen sich in den großangelegten Studien von Fend(1974, 1976) Ansätze dazu finden.

Ein sehr viel stärkerer Impuls ist in den letzten Jahren zur Untersuchung der sozialisatori-sehen Einwirkungen von Ausbildungsprozessen auf die Heranwachsenden spürbar und wirksam gewesen. Unter dem Stichwort „Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung" lassen sich nicht nur theoretische Diskussionen und Grundlegungen — wie z. B. die weit ausholende Arbeit von Lempert u. a. über „Theoretische Konzeptionen zur Analyse von Sozialisationsprozessen durch Arbeit“ (1979) — nennen, sondern auch eine Reihe empirischer Arbeiten, über die z. T. erste Vorberichte vorliegen (Kärtner u. a., 1980; Kreutz, 1981) u. a.

Diese Arbeiten lassen sich in der Regel von der Zielsetzung leiten, die im Zusammenhang mit der betrieblichen Ausbildung ablaufenden und unterstellten Anpassungsprozesse an soziale Herrschaftsstrukturen und die Hierarchie betrieblicher Anforderungen zu untersuchen und auf deren Konsequenzen für die Persönlichkeitsentwicklung hin transparent zu machen.

In ganz ähnlicher Weise sind Untersuchungen angelegt, die innerhalb des institutioneilen Rahmens der Bundeswehrangelegt sind. Auch sie zielen darauf, die sozialisatorische Wirkung der Institution Bundeswehr auf die Wehrpflichtigen zu erfassen und den Zusammenhang mit strukturellen Merkmalen der Institution zu dokumentieren (Lippert u. a., 1976; eine zusammenfassende Wertung der vorliegenden Untersuchungen s. bei Hecker/Schusser, 1980).

Die Ergebnisse derartiger Studien laufen darauf hinaus, daß bei wohlwollender Interpretation der Daten ein eher auf Verstärkung demokratischer Einstellungen und Orientierungen hinauslaufender Effekt festzustellen sei (Hecker/Schusserj.

Jugend-Untersuchungen, die sich auf Situation und Probleme von Jugendlichen in Organisationen wie denjenigen der Gewerkschaften, der Jugendverbände, der Kirchen beziehen, entspringen zumeist Rekrutierungsinteressen (für die Jugendverbände s. Schefold, 1972). Insofern es sich hier um Organisationen handelt, die auf freiwillige Mitgliedschaft und damit auf ein hohes Maß an innerer Zustimmung angewiesen und zugleich auch gezwungen sind, in ihren Angeboten und Strukturen auf die Bedürfnisse und Interessen der Jugendlichen einzugehen, ergibt sich aus dieser Konstellation die Stoßrichtung entsprechender Untersuchungen: Sie entspringen meist aus der Befürchtung der inneren oder auch äußerlich kundgetanen Distanz der Jugendlichen zu den Zielen der jeweiligen Organisation, und sie versuchen, die Gründe dafür festzustellen. Bei der Bewertung der Erträge dieser Art von Forschungen, wie sie hier charakterisiert wurden, liegt es auf der Hand, daß die Bezugnahme auf den institutionellen Kontext und den damit gesetzten normativen Bezugsrahmen auch zugleich zu einer auf diesen Zusammenhang beschränkten Gültigkeit führt. Sie sind für den jeweiligen institutioneilen Kontext und auch für den damit gesetzten Interessenten von Bedeutung, weniger für übergreifende Fragestellungen und Zusammenhänge. Sie spiegeln so in gewisser Weise die Tatsache, daß Jugend in einer hochindustrialisierten Gesellschaft immer auch Jugend jeweils unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Sektoren ist.

Analysen jugendlicher Subkulturen Eine vierte Gruppe von Untersuchungen bezieht sich auf die informellen Gruppierungen Jugendlicher, also die selbstgewählten Zusammenschlüsse und Sozialformen in den verschiedensten Ausprägungen, also das, was gemeinhin jugendliche Subkultur genannt wird, in mehr oder weniger lockeren Zusammenschlüssen in Disco, Freizeitgruppe, Hobby-gruppe usw.

Die Untersuchung der jugendlichen Subkultur, die Frage nach der Existenz, der Reichweite, der individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung der Jugend als einer eigenen sozialen Gruppe hat Tradition in der Jugendforschung. Neben theoretischen Arbeiten, die klassisch geworden sind (Eisenstadt, 1956;

Tenbruck, 1962), gibt es eine Fülle empirischer Untersuchungen älteren Datums (referiert und kritisch gewürdigt bei Hornstein u. a., 1975) und neuerdings ein neues Aufleben der entsprechenden Forschungsrichtung. Sie hat wesentliche Impulse erhalten durch die Studien des englischen Forschungszentrums für Gegenwartskultur (Centre for Contemporary Cultural Studies, kurz: CCCS) in Birmingham (Clarke, et al., 1979). Dort wird jugendliche Subkultur vor allem als kulturelle Leistung, als schöpferische Hervorbringung gesehen und gewertet und entsprechend untersucht (Zinnecker, 1981). Dabei ist stets die Angewiesenheit der Jugendkultur auf die industrielle Massenkultur und ihrer Bewußtseinsindustrie wichtig, wie dann auch das Verhältnis der allgemeinen, durch diese Bewußtseinsindustrie produzierten Jugendkultur zu speziellen, etwa Arbeiter-Subkulturen, die eigentlich produktiv sind.

In der Bundesrepublik haben vor allem die Discokultur (Mezger, 1980) und die Welt der jugendlichen Fußball-Fans (Lindner, 1980; Friebel u. a., 1979; Pramann, 1979) Aufmerksamkeit gefunden.

Trotz sehr unterschiedlicher Vorgehensweisen, theoretischer Konzeptualisierungen und trotz großer Heterogenität in den untersuchten Gruppen kommen derartige Studien immer wieder zu einem gemeinsamen Interpretationsmuster: In den unterschiedlichen Formen jugendlicher Subkultur suchen und finden die Jugendlichen vor allem Entlastung von den frustrierenden und oft als sinnlos empfundenen Anforderungen der offiziellen Institutionen.

Zweitens: Der Anspruch nach eigenem, aus den eigenen Bedürfnissen heraus entwickelten Freizeitleben in selbstgewählten Gruppen wird konterkariert und unterlaufen durch die Tatsache, daß die Formen und Inhalte der Subkultur immer schon den Marktverwertungsinteressen der gleichen Industriegesellschaft unterworden sind, denen die Jugendlichen auch sonst unterliegen und denen sie sich hier entziehen wollen.

Drittens schließlich: Die Zugehörigkeit der Jugendlichen zur Subkultur, zur Party-und Disco-Kultur ist funktional im Hinblick auf die Erfordernisse des Erwachsenenlebens, insofern hier die dafür charakteristische Zweiteilung in entfremdete Arbeit einerseits und entlastende kompensatorische Freizeit andererseits eingeübt wird. 4. Die Institution Jugendbericht Es ist bereits angedeutet worden: Der Institution Jugendbericht kommt in dem hier erörterten Zusammenhang eine herausgehobene Stellung zu. Jugendberichte sollen ausdrücklich, und'zwar auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift, wissenschaftliche Grundlagen für den Bereich politischen Handelns bereitstellen. Dabei kommt der Institution Jugendbericht auch eine wichtige vermittelnde Funktion zwischen Wissenschaft und Politik zu: Alle Jugendberichte sind zumindest faktisch darauf angewiesen, vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse aufzubereiten und verwertbar zu machen.

Die Tatsache, daß es für notwendig gehalten wird, gesetzlich sicherzustellen, daß in regelmäßigen Abständen dem Bundestag und dem Bundesrat über die Lage der Jugend und die Probleme der Jugendhilfe berichtet wird, ist schon ein Indiz dafür, daß es offensichtlich nicht als selbstverständlich angesehen wird, daß das entsprechende Wissen gleichsam automatisch Eingang in die politischen Entscheidungen findet.

Deshalb soll im nachfolgenden etwas ausführlicher am Beispiel des 1979 vorgelegten und 1980 im Bundestag behandelten Fünften Jugendberichts dargestellt werden, in welcher Form gerade dieser Jugendbericht Wissen über Jugend in die parlamentarisch-politische Diskussion zu bringen versuchte (in einem späteren Punkt ist dann darzustellen, in welcher Form dies aufgegriffen bzw. an welchen Barrieren die Rezeption scheiterte!).

Jugendberichte werden auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift, die im § 25 des JWG niedergelegt ist, erstellt. Offizielle Adressaten sind Bundestag und Bundesrat; sie sollen, so heißt es dort, „über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe" berichten, dabei auch „Ergebnisse und Mängel darstellen und Verbesserungsvorschläge enthalten" — genaugenommen handelt es sich bei den Jugendberichten also zunächst um Jugendhilfeberichte; nur: wenn man sinnvoll über Jugendhilfe etwas sagen will, muß man wohl die Lage der Jugend darstellen, um von da aus sinnvolle Kriterien zu gewinnen —, auch wenn die Bezugnahme auf die Situation der Jugend in der entsprechenden gesetzlichen Regelung seit der Novellierung nicht mehr ausdrücklich enthalten ist. Jeder dritte Jugendbericht soll ein Ge-samtjugendbericht sein, also über die gesamte Jugendhilfe berichten; die beiden anderen können Teilgebiete herausgreifen.

Die Berichte werden von einer Kommission erstellt, die vom BMJFG berufen wird; sie erarbeitet den Bericht in eigener Verantwortung, die Bundesregierung fügt dem Bericht eine Stellungnahme hinzu, in der sie ihre Sicht der Dinge und auch ihre Bewertung der Empfehlungen der Kommission zum Ausdruck bringt

Der Fünfte Jugendbericht, von dem hier die Rede ist, ist ein Gesamtbericht, bezieht sich also nicht auf einzelne Teilbereiche oder Aspekte der Jugendhilfe und Jugendpolitik, sondern auf ihre grundsätzliche Problematik im ganzen. Jugendhilfe und Jugendpolitik werden dabei nicht für sich dargestellt und gewürdigt, sondern an der Frage gemessen, in welcher Form sie sich tatsächlich auf die Probleme der heranwachsenden Generation in den ausgehenden siebziger Jahren beziehen, in welcher Form sie mit ihren Maßnahmen, Programmen, ihrem Selbstverständnis und ihren Handlungsformen mit den offenen Fragen und Problemen der Jugend umgehen.

Der Bericht prüft diese Frage am Beispiel aktueller und zugleich grundsätzlicher „Problemlagen", wie etwa der Situation von Kindern und Jugendlichen in ungünstigen Lebensverhältnissen, am Problem der beruflich-sozialen Lebensperspektiven der Jugend usw.

Analyse von Problemlagen heißt dabei, den Prozeß der gesellschaftlichen Konstituierung und Thematisierung von sogenannten „Ju-gend" -Problemen zu rekonstruieren und transparent zu machen; es wird also auf diese Weise etwa ein Problem wie Jugendalkoholismus oder Kindsmißhandlung oder Schulversagen nicht lediglich an der Oberfläche erfaßt, sondern in seinem gesellschaftlichen Entstehungs-und Bedingungszusammenhang. Dies heißt auch, daß Rolle und Funktion sowohl der Jugendhilfe wie der Jugendpolitik deutlicher sichtbar werden als sonst. Beide greifen ja mit ihren Interventionen in einer gesellschaftlich-institutionell vorstrukturierten Weise in solche Problementstehungsprozesse ein, nehmen in bestimmter Weise Partei, verfolgen Problemlösungen, die in einem bestimmten Verhältnis zur Qualität des Problems stehen, usw.

Der Bericht kommt zum Ergebnis, daß die Bedingungen, unter denen am Ende der siebziger Jahre Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland aufwuchsen, sowohl aufs Ganze gesehen als auch in einzelnen Hinsichten und für identifizierbare Gruppen „schwieriger" und „problematischer" geworden sind daß in vielerlei Hinsicht Zukunftsperspektiven verstellt sind, daß aktive Mitgestaltung gesellschaftlicher Institutionen den Jugendlichen nur beschränkt möglich erscheint, daß dies zu fragwürdigen Reaktionen führt, die die Erwachsenen ihrerseits dann wieder kritisieren und bedauern, und daß die politischen Maßnahmen und Konflikt-„Lösungen" kaum geeignet sind, die wirklichen Probleme zu lösen.

Wenn man sich dieses Ergebnis aus der Situa-tion des Jahres 1982 heraus vergegenwärtigt, dann läßt sich zeigen, daß die ungelösten Probleme der zweiten Hälfte der siebziger Jahre sich in gewandelter Form zu Beginn der achtziger Jahre verschärft, radikalisiert bemerkbar machen, wie zurückgewiesene Beteiligungsund Mitwirkungsansprüche sich in radikalem Nicht-mehr-Mitmachen-Wollen äußern, wie die problematische Situation benachteiligter Sozialgruppen sich im Zeichen fortschreitender Verschlechterung auf dem Ausbildungsund Arbeitsmarkt weiter verschlimmert, wie beispielsweise ein bereits vor Jahren deutlich sich abzeichnendes Problem wie das der jugendlichen Gastarbeiter sich dramatisch verschärft (vgl. dazu im einzelnen Hornstein, 1982).

Von den Empfehlungen, die der Fünfte Jugendbericht zur Lösung der Probleme ausspricht, soll hier nicht die Rede sein über die Art der Rezeption s. unten unter III. 1. 5. Die Frage nach den Ursachen — Theorien zur „Jugend heute“

Von den bisher referierten Gruppen von Untersuchungen, die sich jeweils in einer spezifischen Form (wie etwa der Panorama-Studie) oder mit Jugend unter einem bestimmten Aspekt oder in einem speziellen institutionellen Kontext befassen, hebt sich nun ein Typus von Forschungen ab, der über die Beschreibung einzelner Problemgruppen oder Probleme hinaus die Jugend insgesamt, „die Jugend von heute", ins Visier nimmt und vor allem nach den Ursachen derjenigen Phänomene fragt, die als charakteristisch für diese Jugendgeneration gelten. Hier geht das Interesse also über rein deskriptive Zielsetzungen hinaus; es wird nach den Ursachen für die viele Erwachsene irritierenden Verhaltensweisen, für das Aussteigen, für Apathie, Interesselosigkeit, aber auch für Engagement für alternative Zielsetzungen usw. gefragt. Sie richten sich also einmal auf das Phänomen Jugend insgesamt und fragen zum anderen nach den Zusammenhängen, innerhalb derer die auftauchenden Probleme verstanden werden können. Gängige Erklärungskonzepte Der erste Erklärungsversuch geht von einer generellen Verschlechterungshypothese aus; er verweist auf die im Zusammenhang mit den Stichworten „Geburtenberg", „Ausbildungskrise", „Verschlechterung der beruflich-sozialen Lebensperpektiven" gemeinten Entwicklungen, also auf die für die Jugendlichen dieser Auffassung zufolge mittelbar oder unmittelbar erfahrbare Verschlechterung der Ausbil-dungs-und Arbeitssituation. Es wird ein direkter Zusammenhang hergestellt zwischen Erfahrungen der beruflichen Perspektivlosig-keit, der Enttäuschung über nicht realisierbare Berufs-und Arbeitswünsche und daraus resultierenden Einstellungen, Verhaltensweisen, Motivstrukturen, die als resignativ, apathisch, interesselos, demotiviert bezeichnet werden. Die Zukunftserwartungen haben sich diesem im wesentlichen soziologischen Erklärungsansatz zufolge verschlechtert, und daraus resultieren die skizzierten Folgen in der Bewußtseinslage und Wertorientierung der heranwachsenden Generation.

Der zweite Erklärungsversuch ist im Bereich der Psychoanalyse lokalisiert und geht von den Annahme einer grundlegenden „Motivationskrise" aus (Ziehe, 1975). Dieser Theorie zufolge gibt es derzeit einen Wandel in der Selbstdefinition der Jugendlichen, und zwar weniger als Reaktion auf aktuell erfahrene problematische Lebensumstände, sondern vielmehr als Folge von bereits in der frühkindlichen Sozialisation angelegten Wandlungen in der Persönlichkeitsstruktur. Man hat in diesem Zusammenhang von einem „neuen Sozialisationstyp" (Ziehe) gesprochen, einem Typus von Jugend, der sich durch Gegenwartsbezo-genheit anstatt zukunftsbezogenem Planen und Handeln, durch bestimmte Formen von Vermeidungsverhalten gegenüber sachlichen Anforderungen, durch narzißtische, empfindsame Selbstbezogenheit, durch Rückzug auf innere Erlebnisse auszeichne und sich dadurch von früheren Jugendgenerationen unterscheide

Grenzen der Erklärungskräft Allerdings: Die beiden Theorien reichen offensichtlich nicht aus, die veränderte Bewußtseinslage der heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erklären. Es spielt offensichtlich auch anderes eine Rolle. Besonders deutlich wird dies bei dem ersten der beiden Erklärungsversuche. Es zeigt sich nämlich, daß die beobachtbaren Veränderungen in der Motivationsund Bewußtseinslage der Jugend auch, vielleicht sogar gerade, Angehörige von Gruppen betreffen, die durch die aktuelle Verschlechterung faktisch nicht betroffen sind, also die Angehörigen traditioneller-weise privilegierter Schichten. Viele Jugendliche, denen theoretisch alle Möglichkeiten offenstünden, machen von diesen keinen Gebrauch; das, was die Erwachsenen als Chance verstehen, erscheint als nicht erstrebenswert. Die Weigerung vieler Heranwachsender, sich auf die Anforderungen der Erwachsenen einzulassen, muß demnach auch andere Gründe haben.

Auch gegenüber dem Erklärungsversuch, wie er in der These vom „neuen Sozialisationstyp" steckt, sind Einwände erhoben worden (Bopp, 1979); z. B. scheint ja durchaus offen, warum die zentrale Veränderung im Vater-Mutter-Kind-System genau zu jenem in der Theorie behaupteten Zeitpunkt erfolgte, der etwa zu Beginn der sechziger Jahre liegen müßte. Ferner: Die als bedingende Ursache unterstellten familiären Konstellationen stellen sich ja in Wirklichkeit, je nach sozialer Lage und Lebensverhältnissen, sehr unterschiedlich dar; in dem, was wir herkömmlich und problematisch Unterschicht nennen, sind die Verhältnisse, gerade was die Rollen und das Selbstverständnis von Vater und Mutter betrifft, wie wir wissen, ganz anders als in der Mittel-und Oberschicht — dennoch scheint sich die Theorie ja auf umfassende, die Jugend als Ganzes betreffende Sachverhalte zu beziehen. Ein umfassender, von gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen ausgehender Ansatz In der letzten Zeit hat sich in der Diskussion, gerade auch in der Auseinandersetzung mit den hier referierten Erklärungsansätzen, eine Sichtweise durchgesetzt, die darauf abhebt, daß die heutige Problematik im Verhältnis von Jugend und Gesellschaft nur einigermaßen adäquat erfaßt werden kann, wenn Jugend im Zusammenhang der übergreifenden gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesse betrachtet wird, die für unsere Gegenwart charakteristisch sind (Böhnisch/Schefold, 1980;

Hornstein, 1980, 1981).

In der entsprechenden Diskussion werden vor allem folgende Momente herausgestellt:

Erstens: Veränderungen im Sozialisationsbereich, insbesondere die Zunahme der gesellschaftlichen Sozialisation im Verhältnis zur privaten. , Zweitens: Die Tatsache eines epochalen Wertwandels (mit der Folge, daß im Verhältnis von jung und alt unterschiedliche Wertsysteme konkurrieren und zusammenprallen).

Drittens: Schließlich spielten in dieser Perspektive eine wichtige Rolle die Art der gesellschaftlichen Reaktion auf die aus dieser Konstellation resultierenden Konflikte. a) Zunehmende Vergesellschaftung der Sozialisation Mit diesem Stichwort soll auf die Tatsache verwiesen werden, daß die heute Heranwachsenden die erste Generation darstellen, für die als Folge der Bildungsexpansion das Auswachsen in öffentlichen Bildungsinstitutionen ein erheblich stärkeres Gewicht hatte, als dies früher der Fall war. Dies betrifft nicht nur die quantitative Seite, also daß diese Generation aufs Ganze gesehen mehr Zeit als jede vor ihr in Institutionen der öffentlich organisierten Erziehung verbrachte, sondern vor allem auch die qualitative: Zunehmende Vergesellschaftung der Erziehung heißt nämlich erstens vor allem — zumindest unter den konkreten Bedingungen, die unsere Bildungsinstitutionen darstellen —, daß an die Stelle frei gewählter und individuell geprägter Kommunikationsund Sozialformen solche treten, die durch eben diese staatlich geplanten, öffentlich organisierten Institutionen bestimmt sind. Es sind dies in einem auf Leistung aufgebauten Bildungswesen vor allem Konkurrenz-und Leistungsbeziehungen (Büjok-Hohenauer, 1981).

Zweitens: Gesellschaftlich organisierte Erziehungsprozesse sind — wiederum muß ausdrücklich betont werden: unter den konkreten Bedingungen unserer Institutionen — als ausgesprochen dysfunktional und defizitär zu bezeichnen im Hinblick auf die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung (wobei alle Kritiker unseres Schulwesens der Meinung sind, 'daß die Aufgaben der Leistungserbringung im intellektuell-kognitiven Bereich eher erbracht werden). Dieses Defizit im Bereich der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung rührt daher, daß die sozialen Beziehungen in der Schule, vor allem zwischen Lehrern und Schülern, rein instrumentell und funktional ausgerichtet sind, d. h. die Beziehungen werden auf eine Lehrer-Schüler-Rolle reduziert. Innerhalb dieser reduzierten Beziehung ist es. dann praktisch unmöglich, daß in dieser Form von Erziehung Hilfestellung und Förderung für Prozesse der persönlichen Identitätsfindung, der persönlichen Wertorientierung und der Lösung von Sinnfragen erfolgen (Wellendorf, 1973).

Die Anforderungen des Bildungswesens erzeugen eher Gefühle der Entfremdung, der Bedrohung durch Leistungsanforderungen schwer nachvollziehbarer, abstrakter, allgemeiner Art. Die Schüler können sie nur schwer auf sich und das, was ihnen wichtig ist, beziehen; die Institutionen werden deshalb eher als identitätszerstörend und -bedrohend erfahren denn als identitätsfördernd (Rumpf, 1976; ßietau u. a., 1981).

Drittens: Ihre besondere Brisanz gewinnt diese Entwicklung vor allem dann, wenn man sie vor dem Hintergrund der gesamten Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen sieht: Zunächst wäre ja denkbar, daß die in den skizzierten vergesellschafteten Formen der Sozialisation offensichtlich schwer realisierbaren Prozesse der Identitätsbildung, der Sinn-und Wertorientierung in den anderen Lebens-feldern gesichert sind. Dies scheint aber schwer möglich angesichts der Tatsache, daß herkömmliche Traditionsbestände, die die Legitimation von Werten und Normen sichern und damit sinn-und motivstiftend wirken könnten, im historischen Prozeß weithin ihre Verbindlichkeit verloren haben (Döbert/Nunner-Winkler,1975).

Die Erwachsenen selbst, und dies gilt sicherlich auch und gerade in ihrer Elternfunktion, zeigen infolge dieses historischen Vorgangs vor allem pragmatische Lebens-und Alltagsorientierungen; sie orientieren sich kaum an für sie verbindlichen und explizierten Lebens-15 entwürfen. Für die Heranwachsenden fehlt deshalb in der Regel die Möglichkeit, sich mit identifizierbaren Lebensentwürfen und Lebensperspektiven der Erwachsenen auseinanderzusetzen, sich an ihnen zu „reiben". Damit fehlt eine wesentliche Voraussetzung dafür, Sinn-und Wertfragen, Zukunfts-und Lebens-perspektiven zu entwickeln. Dies ist nämlich in einer nicht ersetzbaren Form an Prozesse der Auseinandersetzung gebunden; sie fallen aus den genannten Gründen aus.

Die öffentlichen Institutionen des Bildungswesens müßten deshalb heute etwas leisten, wozu sie schwerlich in der Lage sind: nämlich für die Heranwachsenden einen individuell erfahrbaren und zugleich auch gesellschaftlich gestützten Sinn, also eine Antwort auf die Frage zu vermitteln, was das Ganze eigentlich soll. Weil dies aber offensichtlich, zumindest unter den heutigen schulischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, kaum „geht“, müssen die Jugendlichen die Sinnfrage für sich selbst lösen, auf eigene Faust sozusagen. Und sie tun dies in den vielfältigen Formen jugendlicher Subkultur. Davon soll an einer späteren Stelle noch die Rede sein. b) Auswachsen unter den Bedingungen eines epochalen Wertwandels Darüber hinaus ist es notwendig die Tatsache zu reflektieren, daß Auswachsen heute unter den Bedingungen eines epochalen Wertwandels erfolgt. Die These besagt zunächstdaß es in den westeuropäischen Ländern — nur dafür liegen vergleichbare Untersuchungen vor — eine langfristig zu beobachtende Veränderung in den vorherrschenden Normen und Wertorientierungen gibt, die sich als Wandel von einer „materiellen" Wertorientierung zu einer „postmateriellen" charakterisieren läßt, und daß sich dieser Wandel, dies ist der zweite Teil der These, vor allem bei den Angehörigen der jüngeren Generation deutlich konstatieren läßt (Inglehart, 1977, 1980).

Materielle Werte sind dabei Sicherheit betonende Werte wie starke Verteidigung, Ordnung und Ruhe, Kampf gegen Verbrechen, dann aber vor allem wirtschaftliches Wachstum, Kampf gegen steigende Preise, für eine stabile Wirtschaft. Postmaterielle Werte sind dieser Auffassung zufolge: Hochschätzung der Persönlichkeit und Selbstverwirklichung, verstärktes Mitspracherecht in Betrieb, Gemeinde, Politik, in der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse; dann im intellektuell-ästhetischen Bereich: Betonung einer dem Menschen dienenden, schönen Umwelt, freie Meinungsäußerung, die Hochschätzung von Ideen, geistigen Gehalten gegenüber Geld und anderen materiellen Werten.

Die Beobachtung, daß postmaterielle Orientierungen sich vor allem bei Angehörigen der jüngeren Generation finden, hat zu einem Erklärungsversuch geführt, der auf die unterschiedlichen Lebensbedingungen der verschiedenen Generationen abhebt: Materielle Orientierung entsteht dieser Erklärung zufolge immer dann, wenn eine Generation unter kärglichen Bedingungen aufwuchs, d. h., wenn ihre prägende Phase in eine Zeit materieller Armut und Not fiel. Umgekehrt: eine Generation, die im Überfluß aufwächst, tendiert dieser Theorie zufolge dazu, postmaterielle, ideelle Werte zu betonen, also Ziele der Selbstverwirklichung, der emotional befriedigenden Beziehungen usw. Während am Sachverhalt eines historischen Wertwandels wohl kaum Zweifel bestehen können, ist die eben referierte Theorie in ihrer Erklärungskraft problematisiert worden. Es ist darauf hingewiesen worden, daß es neben diesem durch Zyklen wirtschaftlicher Prosperität bzw. Krisen zustandekommenden Verlauf auch so etwas wie einen langfristigen Prozeß gebe, der anders determiniert sei. Gemeint ist damit die These vom langfristig zu beobachtenden Prozeß der Korrosion bürgerlicher Sinn-und Deutungssysteme, wie er von Habermas und seinen Schülern vor allem unter dem Aspekt der damit verbundenen Krisenphänomene beschrieben und im Rahmen einer Theorie des Spätkapitalismus erörtert wurde (Habermas, 1973, Döbert/Nunner-Winkler, 1975). Vor welchem theoretischen Erklärungshintergrund die hier skizzierten Entwicklungen immer gesehen werden — in jedem Fall wäre die Gegenwart zu charakterisieren als Schnittpunkt zweier konkurrierender Wertsysteme, als historischer Ort, an dem sich konkurrierende Systeme gegenüberstehen.

Sie sind nicht identisch mit den herkömmlichen politischen Konfliktlinien, wie sie sich in der traditionellen Unterscheidung von „links” und „rechts" ausdrücken. Es entstehen vielmehr infolge konkurrierender Wertorientierungen neue „Hauptspannungslinien" (Pappiin Matthes, 1979), die quer zu den alten liegen; während es sich bei diesen um ökonomisch motivierte Verteilungskämpfe handelte, geht es nun primär um Fragen der Lebensqualität und um die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens (vgl. dazu die Diskussion um die soge-nannte „neue Politik ..."). Am Phänomen der „Bunten Listen" und der „Grünen" läßt sich dies am besten verdeutlichen

In unserem Zusammenhang interessieren vor allem die konflikthaften Auswirkungen, die die skizzierten Prozesse gesellschaftlichen Wertwandels für die heranwachsende Generation und ihre Situation in der Gesellschaft haben. Aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse kann kein Zweifel daran bestehen, daß die heute Heranwachsenden tatsächlich in weit stärkerem Maße als ihre Eltern zu postmateriellen Orientierungen tendieren und dieser Präferenz auch in ihrem Wahlverhalten konkreten Ausdruck verleihen (Hornstein, 1982) Dabei liegt auf der Hand, daß postmaterielle Orientierungen in einem scharfen Gegensatz zur herkömmlichen gesellschaftlichen Definition des Jugendalters stehen, d. h., sie kollidieren in schroffer Weise mit den Erwartungen, die „die Gesellschaft" gegenüber den Heranwachsenden geltend macht.

Dieser gesellschaftlich vorgeschriebene Sinn des Jugendalters liegt vor allem darin, daß man sich unter Mühen und Anstrengungen auf etwas Späteres vorbereitet. Der Sinn des Jugendalters liegt — der offiziellen, herrschenden Version zufolge — in den Gratifikationen, die als Belohnung für Verzicht und Anstrengung in der Gegenwart in der angestrebten Karriere winken, und es ist klar, wie eng diese Vorstellung mit dem allgemeinen Denkmuster einer „materiellen" Grundorientierung in dem vorher beschriebenen Sinn zusammenhängt, ja der auf die Jugend gewendete Ausdruck dieser Orientierung ist.

Heute ist für viele Jugendliche dieser gesellschaftliche Sinn des Jugendalters in der beschriebenen Weise nicht mehr nachvollziehbar u. a.deshalb, weil ihnen eben aus gewandelter Wertorientierung der Sinn dieses „Späteren", so wie er sich ihnen am abschreckenden Beispiel der vor allem materiellen Wohlstand nachjagenden Erwachsenen darstellt, nicht einleuchtet. Sie weigern sich deshalb das zu tun, was die Gesellschaft von ihnen'verlangt; sie können, eben aus einer anderen Grundorientierung heraus, den Sinn der Anforderungen nicht einsehen.

Alternative Orientierungen haben aber für Jugendliche in der Regel andere Konsequenzen als für Erwachsene. Letztere haben zumindest eher die Möglichkeit des Ausweichens gegenüber als inadäquat empfundenen Anforderungen (etwa durch Berufswechsel). Jugendliche dagegen stehen unter einem starken Anpassungsdruck. Gerade der Jugend gegenüber werden die herrschenden Normen, nicht die „alternativen", geltend gemacht. Und wo sie dem nicht entspricht, wo sie alternative Lebensentwürfe den herrschenden entgegenstellt, ist es für die Erwachsenen ein Leichtes, gerade unter Berufung auf „pädagogische Notwendigkeiten" und darauf, daß man ja nur „das Beste" wolle, diese als Abweichung zu entwerten und zu disqualifizieren. Dieser Reaktionsweise unterliegen die meisten Jugendlichen, wenn sie die Brüchigkeit des etablierten Leistungssystems mit seinen Ansprüchen spüren und daraus für sich die Konsequenz ziehen, aus diesem System „auszusteigen".

Aus derartigen Feststellungen und Beobachtungen läßt sich das Fazit ziehen, daß ein Großteil der „Sprachlosigkeit" zwischen den Generationen als Ausdruck des skizzierten historischen Wertwandels zu verstehen ist: Viele der heute Heranwachsenden leben wertmäßig in einer anderen Welt als viele der Erwachsenen; sie verstehen einander deshalb nicht mehr c) Formen der gesellschaftlichen Problembearbeitung und Problemlösung Vielfältige Beobachtungen zeigen, daß es in der pädagogischen und politischen Praxis vor allem folgende Formen des Umgangs mit den aus dieser Konstellation resultierenden Problemen gibt:

— Es gibt zunächst als die am weitesten verbreitete Reaktion den resignativen Verzicht der Erwachsenen darauf, so etwas wie erzieherische Forderungen anzumahnen. Eine scheinbare Legitimation verschafft sich diese Reaktionsform dadurch, daß sie Heranwachsende, die sich nicht für das interessieren, was den Erwachsenen und den gesellschaftlichen Institutionen wichtig ist (sondern für anderes), als „uninteressiert", „demotiviert" hinstellt. Häufig begnügt man sich dann damit, auf der Einhaltung äußerlich kontrollierbarer Verhaltensweisen und meßbarer Leistung zu bestehen.

— Es gibt zweitens das Verfahren der Diskriminierung und Diffamierung alternativer Lebensentwürfe und ihre Uminterpretation zu „abweichendem Verhalten", zu Aufmüpfigkeit und disziplinar zu ahndender Widersetzlichkeit. Hier wird in einer höchst problematischen Weise ausgeblendet, daß konkurrierende Wertsysteme im Hintergrund stehen; es wird so getan, als ob alle von einer gemeinsam geteilten Grundüberzeugung, z. B. über den Sinn von Schule und Leistung, über die Bewertung von Inhalten schulischen Lernens, ausgingen. In Wirklichkeit ist dies überhaupt nicht der Fall. Das zeigt sich an den ganz konkreten und alltäglichen Problemen und Auseinandersetzungen in der Schule, bei der Berufswahl, bei der Gestaltung des Alltags. — Drittens sieht es so aus, als ob aus solchen Prozessen und aus den dahinterstehenden Gründen immer wieder neue Problemgruppen erzeugt und auch traditionelle wie z. B.der „Schulversager" in neuen Ausprägungen hervorgebracht würden. Gerade am Beispiel des „Schulversagers" wird dies deutlich: Die neue Ausprägung besteht darin, daß hier nicht mehr diejenigen „versagen", die aus Gründen mangelnder intelligenzmäßiger Ausstattung den Anforderungen nicht gerecht werden, sondern diejenigen, die eben aus grundlegend anderer Wertorientierung heraus keinen motivativen Zugang zu den gesellschaftlichen Anforderungen haben. — Schließliches gibt heute gelegentlich eine problematisch zu nennende Inanspruchnahme von Bindungsbereitschaft Jugendlicher, die als Rückkehr zu den „alten Werten" auch mißverstanden bzw. in einer bestimmten Weise politisch in Anspruch genommen wird. Auch dies ist eine problematische gesellschaftlich-politische Reaktion auf die skizzierte Situation. Wenn Jugendliche sich heute stärker als früher z. B. in Vereinen engagieren, in vielfältigen Formen, dann muß dies interpretiert und kritisch-pädagogisch bewertet werden. Hier liegt gelegentlich auch Rückzug, auch der Versuch, den Anforderungen der Gegenwart zu entgehen, zugrunde. Dies kann nicht einfach ignoriert werden. Es muß die Frage gestellt werden, ob hier nicht mangelnde Ich-Stärke, Orientierungslosigkeit, ungelöste Sinnfragen zur Flucht in kollektive Bindungen führen, in Heilslehren der verschiedensten Art, wie dies etwa in den „neuen Jugendreligionen", die fälschlich so genannt werden, geschieht (Nipkow, 1981; Siegert, 1981).

Reaktionsformen der Jugend Die Heranwachsenden selbst setzen sich in sehr unterschiedlichen Formen mit dieser Situation auseinander. Neben den „Aussteigern" und Protestierenden darf die Tatsache nicht übersehen werden, daß die Mehrzahl der Jugendlichen keineswegs dramatische, äußerlich spektakuläre Antworten auf die geschilderte Situation wählt, sondern den „stillen" Weg, der sich am ehesten wie folgt charakterisieren läßt:

Erstens: Es setzt sich bei vielen Jugendlichen angesichts der skizzierten Lage eine strategisch-berechnende und selektive Art des Umgangs mit den Institutionen und Ansprüchen der Erwachsenengesellschaft durch; weil sich niemand mit einem wirklich einläßt, hat es auch keinen Sinn, sich selbst über das notwendige Maß hinaus zu engagieren.

Zugleich wird zweitens die jugendliche Subkultur kompensatorisch gegenüber den Frustrationen und Sinnlosigkeiten der offiziellen Institutionen zum Ort der eigentlichen, wirklichen Existenz. Die jugendliche Subkultur wird unter diesen Bedingungen so etwas wie ein „sozialer Uterus", der in idealer Weise die Bedürfnisse erfüllt, die für diesen neuen Jugendlichen-Typus vor allem wichtig sind. Sie erfüllt vor allem die Voraussetzungen für die Realisierung des Vermeidungsverhaltens, das, wie wir gesehen haben, für die heute Heranwachsenden in starkem Maße charakteristisch ist. In der jugendlichen Subkultur gibt es keine Leistungsanforderungen von der Art, wie sie von gesellschaftlichen Institutionen und von Seiten der Eltern gestellt werden.

Darüber hinaus befriedigt jugendliche Subkultur die Bedürfnisse nach einem bestimmten Kommunikationsmuster; sie erlaubt Zustände rauschartiger Wir-Erfahrung in extremer Form — aber qualitativ durchaus nur als Steigerung einer in der subkulturellen Situation jederzeit angelegten Dimension. Und schließlich ermöglicht die jugendliche Subkultur Formen der Sexualität und Erotik, die nicht mit Überbeanspruchung verbunden sind, der man sich nicht gewachsen fühlt.

Die Erwachsenen schließlich — und dies ist das dritte herausragende Merkmal der heutigen Situation — tun alles, um dieses eben skizzierte Verhaltensmuster zu verstärken. Sie können es sich erlauben, dies zu tun, und es bringt für sie Vorteile, wenn es auch, pädagogisch und gesellschaftspolitisch betrachtet, mit höchst fragwürdigen Konsequenzen verknüpft ist. Darüber hinaus wird bei näherem Zusehen deutlich, wie Jugendliche in ihrem Verhalten fragwürdige Muster des Erwachsenenlebens widerspiegeln und zugleich einüben, nämlich jene weithin dominierende Zweiteilung in „entfremdete", widerwillig erbrachte „Arbeit" einerseits und in eine den eigentlichen Bedürfnissen entsprechende Freizeit andererseits.

Dieses Verhalten ist also funktional im Hinblick auf die Anforderungen und Lebensmuster des Erwachsenenlebens, wie es sich tendenziell in unserer Gesellschaft darstellt. Dennoch kann man es nicht bei dieser Feststellung bewenden lassen. Der geschilderte Sachverhalt bedeutet ja den weitgehenden Verzicht auf all jene pädagogisch angeleiteten Prozesse der Auseinandersetzung und Verarbeitung der zahllosen Konflikte und Probleme, mit denen Jugendliche im Prozeß des Heranwachsens angesichts der Widersprüche gesellschaftlicher Art konfrontiert sind, bedeutet Verzicht auf Prozesse der Identitätsentwicklung, soweit sie der emotionalen, sozialen Beziehungen mit Erwachsenen bedürfen. Es heißt dies: Radikalisierung jener von F H.

Tenbruck schon vor Jahren konstatierten „Sozialisation der Jugend in eigener Regie“ in einer Zuspitzung, wie sie damals, als dieser Begriff geprägt wurde, noch . längst nicht vorhanden war.

Es scheint deshalb auch nicht überspitzt zu sagen, daß angesichts dieser Situation — also forcierte Anpassungsforderungen in zunehmend sozialstaatlichen Verkehrs-und Sozial-formen und Kompensation in subkulturellen Sozialformen — die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Prozesse gelungener Identitätsfindung ungenügend sind; die Orientierungsmuster, die Erwachsene ganz allgemein bieten, sind in der Regel Versatzstücke, die — in pädagogischen Situationen! — mühsam zusammen-und hochgehalten werden, an denen sich jedoch kaum Prozesse der Auseinandersetzung um alternative Lebensentwürfe entzünden können.

Resümierend kann man also feststellen, daß die hinter dem beobachtbaren Verhalten der heute Heranwachsenden liegenden Motiv-strukturen und Wertorientierungen eine „Gemengelage" höchst komplexer Art darstellen; sie resultieren aus Anpassungen an vorherrschende Muster des Erwachsenenlebens — was häufig vergessen wird — ebenso wie an gesellschaftlich erzwungene, spezifisch ju-gendliche Anpassungserwartungen. In diesem „Gemenge" sind jedoch auch Elemente alternativer, neuer Wertorientierungen enthalten, die im Zusammenhang des skizzierten epochalen Wertwandels zu sehen sind; und schließlich sind Orientierungen junger Menschen immer auch ein Resultat der Auseinandersetzung mit dem, was sie erfahren haben in den Konflikten, die ihren bisherigen Lebensweg bestimmt haben — was ebenfalls häufig übersehen wird. 6. Resümee Was läßt sich nun zum Stand der Jugendforschung vor dem Hintergrund der referierten Diskussionen, Ergebnisse, Fragestellungen, Forschungsperspektiven sagen?

Sicher ist es, wie eingangs bereits betont wurde, nicht möglich, einen von allen Beteiligten inhaltlich und in der Bewertung geteilten Stand zu dokumentieren; aber es scheint möglich, einige Punkte zu fixieren, hinter die keine ernsthafte Beschäftigung mit Jugend zurückgehen kann, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen möchte, wichtige, in jedem Fall relevante Zusammenhänge auszublenden und sofern sie nur Jugendprobleme im gesellschaftlichen Kontext zu sehen sich bemüht. Sicherlich gehen auch in einen solchen Versuch der Fixierung einiger Markierungspunkte subjektive Bewertungen ein, aber immerhin in einer nachvollziehbaren und begründeten, aus dem Bisherigen sich ergebenden Form; insofern erlauben sie auch Widerspruch und Diskussion.

In diesem Sinne lassen sich als Zusammenhänge, die bei der Diskussion von Jugendproblemen nicht außer acht gelassen werden können, vielleicht folgende formulieren und benennen: 1. Jugend wächst heute auf in einer „Bildungsgesellschaft " in der ein großer Teil der Vorbereitung auf das Erwachsenenleben in öffentlich organisierten Bildungsinstitutionen erfolgt. Was dort geschieht, ist von einer Art, daß dadurch Prozesse der Ichfindung und Sinngebung, wie sie für das Jugendalter notwendig sind, kaum unterstützt werden. Es bleibt hier also Entscheidendes offen. Hinzu kommt, daß die Versprechungen, die in den Anforderungen des Bildungswesens enthalten sind, immer weniger eingelöst werden, weil das Verhältnis von Bildungssystem und Beschäftigungssystem prekär geworden ist.

2. Jugend wächst auf in einer „Leistungsgesellschaft", in der das Leistungsprinzip nicht nur faktisch in seiner Funktion als Mechanismus der Statuszuweisung fragwürdig geworden, sondern auch im Bewußtsein und Verhalten der Menschen ganz allgemein brüchig geworden ist und wo Ersatzbefriedigungen durch Konsum und Freizeit die Frustrationen im Leistungs-und Arbeitsbereich ausgleichen sollen.

3. Jugend wächst in einer Gesellschaft auf, die durch einen grundlegenden Wertwandel bestimmt ist, wobei die Institutionen, in denen sich die Jugend befindet, von diesem Wertwandel kaum Notiz nehmen; es entsteht daraus ein spezifisches Dilemma sowohl für die dort tätigen Erzieher wie für die Jugendlichen. 4. Jugend wächst in einer Gesellschaft auf, die ihre Konflikte in einer bestimmten Weise löst: durch Umdeutung alternativer Wertorientierungen in „abweichendes Verhalten", durch „Produktion" von Problemgruppen und deren Zuordnung zu speziell dafür eingerichteten sozialen Diensten, durch Disziplinierung und bürokratisch gelenkte Gängelung. Davon ist Jugend besonders betroffen, weil ihr gegenüber mit pädagogischen Argumenten behauptet wird, daß es nur um ihr Bestes gehe.

5. Schließlich: Jugend wächst heute auf in einer gesellschaftlichen Situation, in der die Fähigkeit des Staates, gesellschaftlichen Konsensus zu erzeugen, offensichtlich angesichts der verstärkt aufbrechenden, nicht nur klassischen, auf ökonomischen Verteilungskämpfen beruhenden Konflikte, sondern auch ganz neuartiger Herausforderungen („Frieden", „Umwelt", „Dritte Welt") generell bnimmt und neuartige Spannungslinien entstehen. In dieses neu sich formierende Kraftfeld gerät auch die Jugend. In dem Maße, in dem die sozialen Konflikte die Legitimität der vom Staat aufgestellten oder unterstützten Institutionen unterhöhlen, wird auch die Intergration der Jugend in das staatliche und gesellschaftliche Leben zu einem sich offensichtlich weiter verschärfenden Problem.

III. Zur Rezeption der Jugendforschung im politisch-administrativen System

In diesem Kapitel soll an drei Beispielen untersucht werden, wie Ergebnisse der Jugend-forschung, ihre Sichtweisen und Erkenntnis-perspektiven in die politische Praxis umgesetzt werden, und zwar an drei Beispielen, die einigen exemplarischen Charakter haben dürften.

Das erste Beispiel betrifft die Art und Weise, wie die Jugendberichte als eine gesetzlich vorgeschriebene Form wissenschaftlicher Politik-beratung in der Praxis des politischen Systems rezipiert worden sind. Das Beispiel drängt sich auf, weil hier eine ausdrücklich auf die Politik bezogene Maßnahme vorliegt.

Das zweite Beispiel betrifft die Art und Weise der Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse über Jugend in der ressortmäßig etablierten Jugendpolitik und Jugendhilfepolitik. Auch dieses Beispiel liegt nahe, weil Jugend-politik als das Anwendungsfeld der Jugend-forschung erscheint.

Das dritte Beispiel schließlich bezieht sich auf die Rezeption von Erkenntnissen der Jugend-forschung innerhalb der Bildungspolitik. Aus der bisherigen Darstellung sollte deutlich geworden sein, daß die Institutionen des Bildungs-und Ausbildungswesens in entscheidendem Maße das Leben der heranwachsenden Generation bestimmen. Es muß also von Interesse sein zu prüfen, in welcher Form Erkenntnisse der Jugendforschung in die Entscheidungsprozesse in diesem Bereich Eingang finden.

Eine methodische Vorbemerkung schließlich noch: Es fehlt bisher an einer systematischen Wirkungsgeschichte der Jugendforschung (wie überhaupt Wissenschaftsforschung vor allem unter dem Aspekt des gesellschaftlich-politischen Einflusses von Wissenschaft bei uns sehr unterentwickelt ist). Die nachfolgende Darstellung kann also nur an Beispielen mehr oder weniger schlaglichtartig ein Problem beleuchten, das einer breiteren, systematischen Behandlung bedürfte. 1. Beispiel I:

Die Rezeption der Jugendberichte Um das Ergebnis der Analyse zu diesem Punkt vorwegzunehmen: Die fünf Jugendberichte, die bisher erschienen sind, haben es nicht vermocht, die Aufmerksamkeit und das Interesse des Parlaments und der Parlamentarier in einem nennenswerten Umfang zu erregen. Eher haben Begleitumstände der Berichterstellung und -Vorlage, Fristüberschreitungen, personelle Zusammensetzung der Kommission unter Gesichtspunkten parteipolitischer „Ausge-

wogenheit" die Gemüter erhitzt Eine intensive sachbezogene Diskussion fand so gut wie nicht statt. Von den bisher vorliegenden fünf Jugendberichten haben sich drei ausdrücklich und ausführlich mit der Situation der Jugend befaßt, zwei dagegen mehr mit speziellen Fragen der Jugendhilfe. So hat es der erste, 1965 erschienene Jugendbericht unternommen, ein »annähernd geschlossenes Bild der Jugend" zu erstellen, um daraus politische Maßnahmen abzuleiten (Deutscher Bundestag 1965).

Der vierte Jugendbericht, 1978 vorgelegt (Deutscher Bundestag 1978), beschäftigte sich mit .. Sozialisationsproblemen der arbeitenden Jugend in der Bundesrepublik Deutschland“ und versuchte, „Konsequenzen für Jugendhilfe und Jugendpolitik" zur Diskussion zu stellen. Der fünfte Jugendbericht schließlich, bereits 1980 vorgelegt (Deutscher Bundestag 1980), analysierte als Gesamtbericht zentrale Problemlagen der Jugend, arbeitete Entwicklungstrends in der Jugendsituation heraus, fragte nach der Effektivität und der Qualität der gesellschaftlichen Problemlösungen und stellte schließlich ebenfalls eine größere Zahl von Empfehlungen vor allem zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe zur Diskussion.

Als Indikatoren für die Bewertung des Umgangs mit diesen Berichten kann zweierlei herangezogen werden: Einmal die Art und Weise, wie die Bundesregierung in der gesetzlich vorgeschriebenen Stellungnahme jeweils mit den Berichten umgegangen ist; zum andern kann an der Form der parlamentarischen Diskussion der Berichte abgelesen werden, welcher Stellenwert den in den Berichten herausgestellten Problemen im parlamentarischen Bereich eingeräumt wurde.

Hinsichtlich der Stellungnahme der Bundesregierung soll sich die Analyse auf den Fünften Jugendbericht beschränken, zumal beim Vierten Jugendbericht besondere Umstände dadurch vorlagen, daß es einen Mehrheiten-und einen Minderheiten-Bericht gab, so daß auch die Stellungnahme der Bundesregierung gezwungen war, sich mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen.

Die Rezeption im Spiegel der Stellungnahme der Bundesregierung Abgesehen von der Kürze der Stellungnahme (sie umfaßt viereinhalb Druckseiten im Format der Bundestagsdrucksachen — der Bericht in seiner ausführlichen Form über 170 Seiten), die unter anderem durch den ausdrücklichen Verzicht „auf eine Stellungnahme zu jeder einzelnen Aussage der Kommission" (Stellungnahme S. III) zustande kommt, lassen sich folgende Punkte als charakteristisch für die Form des Umgangs mit den Aussagen des Berichts herausstellen:

1. Eine generelle Tendenz, Aussagen der Kommission soweit zuzustimmen, als sie mit der in der aktuellen politischen Situation selbst vertretenen Meinung übereinstimmen, davon abweichende Ergebnisse aber entweder als „unzutreffend" oder als „überzeichnet" darzustellen. Dies gilt vor allem für den Teil des Berichts, der sich mit der Situation der jungen Menschen beschäftigt. Hier versucht die Stellungnahme die Aussagen der Kommission dadurch zu „entschärfen", daß sie darauf hinweist, die Kommission habe sich für eine Darstellung von Problemen und Problemgruppen entschieden, zeichne also kein vollständiges Bild der Jugendsituation. So gelingt es der Stellungnahme, die Aussagen der Kommission weitgehend zu relativieren.

In den gleichen Zusammenhang gehört die Tatsache, daß die Stellungnahme gegenüber Feststellungen der Kommission, die auf empirischen Untersuchungen beruhen, auf die Rechtslage verweist (so, als ob diese mit der Anwendung gesetzlicher Vorschriften in der Praxis und deren Folgen identisch sei) und damit die Unzutreffenheit deutlich machen will (das gilt etwa für die Ausführungen zur Situation und Rolle des Kindes im Scheidungsverfahren und im Hinblick auf Auswirkungen des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge). 2. In bezug auf Aussagen der Kommission zu Entwicklungen innerhalb der Jugendhilfe und auch in bezug auf die Empfehlungen zur Weiterentwicklung praktiziert die Stellungnahme ein ähnliches Verfahren: Aussagen und Empfehlungen der Kommission, soweit sie der eigenen Position nahekommen, ihr entsprechen oder sich zu ihr in Verbindung bringen lassen, werden in dieser Weise aufgegriffen und zum Anlaß genommen, eigene Vorstellungen ausführlich zu erörtern. Dabei werden allerdings gravierende Unterschiede sowohl in Zielrichtung wie in Akzentsetzung (z. B. hinsichtlich der Mitspracherechte von Kindern und Jugendlichen oder hinsichtlich der Rolle und der notwendigen Unterstützung von Selbsthilfe-gruppen u. a. m.) nicht zur Sprache gebracht, so daß beim Leser der Stellungnahme der Eindruck entsteht, es handle sich um identische, in der Sache völlig übereinstimmende Auffassungen. 3. Die Stellungnahme betont an mehr als einer Stelle, daß sie für die Verwirklichung der von der Kommission aufgestellten Forderungen nicht der richtige und verantwortliche Adressat sei. Dies gilt vor allem für die Bereiche des Bildungswesens und für andere, für die die Bundesregierung zwar Gesetzgebungskompetenz hat, wo die Durchführung der Gesetze jedoch von den Ländern abhängt Auf dieses Problem wird an einer späteren Stelle noch einmal ausführlich einzugehen sein. Hier soll nur darauf verwiesen werden, daß dieses Argumentationsmuster auf einen zentralen Problempunkt verweist, der als Ursache für zahlreiche ungelöste Probleme betrachtet werden muß.

Parlamentarische Diskussion Als zweiter Indikator für die Art der Rezeption des Berichts auf der politischen Ebene soll die Behandlung und Diskussion im Deutschen Bundestag dienen. Auch hier soll der Fünfte Jugendbericht zugrunde gelegt werden, wobei nur am Rande erwähnt sei, daß der Dritte Jugendbericht, der sich mit Aufgaben und Wirksamkeit der Jugendämter befaßte, wegen der seinerzeitigen vorzeitigen Auflösung des Bundestages niemals im Parlament diskutiert wurde, während der vierte ebenfalls eine nur kurze Diskussion fand.

Der Fünfte Jugendbericht ist am 23. Mai 1980 im Deutschen Bundestag diskutiert worden (vgl. dazu Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, 219. Sitzung vom Freitag, den 23. Mai 1980), und zwar im Zusammenhang der zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuches — Teil Jugendhilfe — und der Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Jugendhilfe. Aus diesem Grund ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß die Auseinandersetzung mit dem Jugendbericht gegenüber der Diskussion der Vorschläge zur Reform bzw. zur Verbesserung der Jugendhilfe ganz im Hintergrund blieb.

Ausführlich zum Jugendbericht haben sich nur geäußert die Abgeordneten Hauck (SPD) und Kroll-Schlüter (CDU); die übrigen Beiträge bezogen sich auf die vorliegenden Entwürfe zum Jugendhilfegesetz, in der inhaltlichen Substanz im allgemeinen auf die Frage der Antragsrechte von Kindern und Jugendlichen, auf die Frage der Eingriffsmöglichkeiten öffentlicher Stellen in Familien und die Probleme der Finanzierbarkeit der mit den Entwürfen vorgesehenen verstärkten Jugendhilfeleistungen. Aus dieser Tatsache lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Einmal ist offensichtlich generell der Zusammenhang zwischen einer allen Abgeordneten vorliegenden Analyse zur Situation der Jugend (und vor allem zu den problematischen Seiten der Jugendsituation) einerseits und der Diskussion eines Gesetzes andererseits, das die Verbesserung der Hilfe-möglichkeiten für eben diese Jugend zum Ziel hat, nicht als Problem und als Aufgabe bewußt geworden. Lediglich im Beitrag des Abgeordneten Hauck wird kurz darauf verwiesen, daß bei der Erarbeitung des Entwurfs die Ergeb-B nisse des Jugendberichts noch nicht berücksichtigt werden konnten.

Im übrigen aber ist die Diskussion, obwohl der Jugendbericht auf der Tagesordnung stand, gesetzesimmanent geführt worden; es standen die ideologisch relevanten Punkte, die sich zur Profilierung des jeweils parteipolitischen Standpunkts eigneten, vor allem die bereits genannten Fragenkomplexe: Antragsrechte von Kindern und Jugendlichen und Schutz der Familie vor staatlichen Eingriffen, im Vordergrund. Zum andern: Auch da, wo auf den Bericht eingegangen wird, geschieht dies in einer Weise, die eher dadurch gekennzeichnet ist, daß die ideologisch als Reizworte empfundenen Formulierungen herausgegriffen werden und damit das, was als sachliche Aussage damit gemeint ist, diskriminiert wird, als daß die Analysen des Berichts nachvollzogen würden.

Und schließlich: Aus den genannten Gründen ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Diskussion des Jugendberichts an keiner Stelle zu irgendwelchen Folgerungen führt, etwa für die weitere Behandlung des Entwurfs für ein neues Jugendhilfegesetz bzw. für die Verbesserung der Jugendhilfe. 2. Beispiel II:

Die Rezeption der Jugendforschung in der staatlichen Jugendpolitik Die Frage, in welcher Form die ressortmäßig etablierte Jugendpolitik Erkenntnisse sozialwissenschaftlicher Jugendforschung aufgreift und in politisches Handeln umsetzt, kann an zwei Punkten analysiert werden: Einmal an der institutionellen Absicherung des Transports von entsprechendem Wissen in die Entscheidungsprozesse und -gremien (beginnend bei den Beratungsgremien), zum andern kann an faktisch feststellbarem Einfluß gemessen werden, welche Wirkung sozialwissenschaftliche Erkenntnisse tatsächlich hatten.

Zur institutionellen Absicherung sozialwissenschaftlichen Einflusses in der Jugend-politik

Hier geht es um die Frage, in welcher Form das Wirksamwerden sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse für die Vorbereitung, Planung, Durchführung und Evaluation jugendpolitischer Maßnahmen durch Regelungen (in Form von Mitspracherechten, Mitgliedschaften von Wissenschaftlern) gesichert und damit dem Zufall enthoben ist. Jugendpolitische Entscheidungen werden, wenn an die ressortmäßig verankerte Jugendpolitik gedacht wird, vom dafür zuständigen Ministerium getroffen. Dieses Ministerium bedient sich für die Vorbereitung entsprechender Maßnahmen einer Reihe von beratenden Gremien, so etwa des Bundesjugendkuratoriums mit seinen Ausschüssen, sowie von Fall zu Fall ad hoc einberufener Kommissionen (etwa der Kommission zur Erarbeitung eines Diskussionsentwurfs zu einem Jugendhilfegesetz).

Die Frage nach der Institutionalisierung eines entsprechenden Einflusses läßt sich also behandeln als Frage nach der geregelten und damit gesicherten Einflußnahme in den genannten Gremien zur Entscheidungsvorbereitung.

$Auf eine knappe Formel gebracht läßt sich feststellen, daß es einen institutionell, also durch Mitgliedschaften, Stimmberechtigung, Anzahl der entsprechenden Personen, gesicherten Einfluß nur in sehr geringem Umfang gibt.

In den beratenden Gremien des für Jugend-politik zuständigen Ministeriums, also des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, wie vor allem im Bundesjugendkuratorium, gibt es von der personellen Vertretung und quantitativ gesehen nur einen sehr geringen Einfluß. Die Mehrzahl der Mitglieder sind Vertreter einzelner Organisationen aus dem Feld der Jugendarbeit und der freien Wohlfahrtsverbände. Sicherlich können und werden faktisch auch von den Funktionären der Verbände sozialwissenschaftliche Erkenntnisse eingebracht; aber ebenso dürfte sicher sein, daß dies in einer Form und in einem Ausmaß geschieht, die durch die Interessen des jeweiligen Bereichs, den sie vertreten, bestimmt sind. Wichtig für diesen Sachverhalt dürfte die Tatsache sein, daß das Feld, um dessen politische Gestaltung es geht, bereits so stark besetzt ist, daß schon von daher die Chancen für eine Rezeption systemüberschreitenden Wissens, das die Balance der Kräfte und Interessen sprengen würde, sehr gering sind (Hornstein, 1974).

So läßt sich denn auch zeigen, daß faktisch Erkenntnisse der Jugendforschung in vielen entscheidungsvorbereitenden Gremien und bei entsprechenden Anlässen so gut wie keine Rolle gespielt haben. Die Kommission zur Vorbereitung eines Diskussionsentwurfes für ein neues Jugendhilfegesetz hat sich nur in einer ihrer zahllosen Sitzungen mit der Frage nach der Situation der Jugend befaßt — und dies bei der Vorbereitung eines Gesetzes, das erklärtermaßen auf die veränderte Jugendsituation reagieren wollte!

Die aufgewiesenen Sachverhalte haben selbstverständlich ihre Gründe. L. Böhnisch und W. Seheiöld (1976) haben in einer gründlichen Analyse der damit zusammenhängenden Fragen vor allem die unterschiedliche Selektivität der beiden Bereiche Sozialisationsforschung einerseits und Jugendpolitik andererseits für die mangelnde Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse verantwortlich gemacht.

„Jugendpolitische Interventionen", so konstatieren die Autoren, „sind vornehmlich an gesellschaftspolitisch und institutionell sanktionierten Bewertungs-und Kontrollkategorien der Ergebnisse und Effekte von Sozialisationsverläufen orientiert, reichen aber nicht an die Bedingungen der Sozialisation Jugendlicher heran" (ebd., S. 261).

Die Autoren bringen diesen Tatbestand in Verbindung mit der Tatsache, daß die Jugend-politik im gouvernementalen System als eine kompensatorische Teilpolitik definiert und zugleich begrenzt ist, d. h. als ein Politikbereich, in dem Defizite, Konflikte, Probleme, die in anderen Feldern der Politik produziert oder zumindest ungelöst bleiben (in der Arbeitsmarktpolitik, in der Bildungspolitik usw.), hier gelöst werden sollen, daß die Jugendpolitik jedoch über zu wenig Eingriffsmöglichkeiten verfügt, um diese Probleme wirklich lösen zu können.

Weiterhin konstatieren die Autoren, daß es auch „eine massive qualitative Selektivität in der Rezeption von Sozialisationsproblemen Jugendlicher bei den jugendpolitischen Institutionen“ (ebd., S. 265) gebe. Dies hängt nach Auffassung der Autoren vor allem damit zusammen, daß die administrativ geprägten jugendpolitischen Instanzen nur sehr begrenzt in der Lage sind, auf die qualitativen Momente von Sozialisationsverläufen, also die „Konflikt-haftigkeit von Lernund Entwicklungsprozessen oder die Reziprozität von sozialisatori-sehen Interaktionsverläufen“ (ebd., S. 265) einzugehen. Die Analyse kommt zu dem Schluß, daß sich die beiden Größen, um die es hier geht — Sozialisationsforschung und Jugendpolitik —, nur sehr begrenzt aufeinander beziehen lassen. Zugleich macht die Analyse aber auch noch auf einen anderen Punkt aufmerksam: Mangelnde Aufnahmefähigkeit für Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung kann auch Zusammenhängen mit begrenzter Einwirkungsmöglichkeit auf entsprechende Problemfelder, mit anderen Worten: mit mangelnder ressortmäßiger Zuständigkeit!

In einer spezifischen, aus den besonderen Bedingungen dieses Bereichs erklärbaren Weise ist der Einfluß der Sozialwissenschaften eingeführt und zugleich in einer bestimmten Form beschränkt worden im Bereich der Jugendförderung durch den Bundesjugendplan (vgl. dazu die ausführliche Analyse von J. Müller-Stakkebrandt, in: Böhnisch/Müller-Stackebrandt/Schefold, 1980, und Hornstein, 1970).

In dem Maße, in dem die Jugendarbeit beanspruchte, einen wichtigen, ja unersetzlichen Beitrag zur Sozialisation der heranwachsenden Generation zu leisten und dafür zunehmend öffentliche Mittel forderte und erhielt, wurde auch ein spezifischer Beitrag der Sozialwissenschaft zur Lösung der damit neu auftauchenden Probleme verlangt. Von ihr erwartete man, wie Müller-Stackebrandt (ebd., S. 49) mit Recht konstatiert, „Kriterien zur Beurteilung von Wirkungen und Effektivität, die dem Charakter der emanzipatorischen Jugendarbeit entsprechen würden". Dem entsprach, daß im Rahmen des 1971 eingeführten „Erprobungsprogramms" und bei den seit 1974 eingeführten „Wirkungsanalysen" Wissenschaft jeweils in einer spezifischen Form gefragt war, nämlich zur Klärung vordefinierter Fragen, zur Überprüfung von Annahmen und Praktiken, wie sie sich in der Förderungspolitik ergeben hatten.

Dies ändert nichts an der Tatsache, daß die grundlegenden Entscheidungen und auch Entwicklungen in diesem Bereich eher allgemein gesamtpolitischen und gesamtstaatlichen (im Zusammenhang mit der Entwicklung des Sozialstaates stehenden) Kräften ihren Verlauf und ihre Richtung verdanken als systematisch zugrunde gelegten Erörterungen über die sich wandelnde Situation der Jugend (Böhnisch, 1980). 3. Beispiel III: Jugendforschung in der Bildungspolitik Die Frage nach dem Einfluß sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse zu Jugend im Bereich der Bildungspolitik läßt sich verhältnismäßig kurz abhandeln. Weder auf der Ebene der Länder, die für die Bildungspolitik zuständig sind, noch auf der länderübergreifenden Ebene (Deutscher Bildungsrat, Bund-Länder-Kommission für Bildungsfragen, Kultusmini-B sterkonferenz) ist „die Situation der Jugend jemals in nennenswertem Umfang eine wirklich relevante Bezugsgröße für bildungspolitische Entscheidungen gewesen. Das gilt zunächst auch, wenn auch nicht in so schroffer Form, für die Arbeit des Deutschen Bildungsrats, bei der lediglich im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Reform der Sekundarstufe II ein Gutachten in Auftrag gegeben wurde (das dann später zu einer Aufarbeitung vorliegender Forschungsergebnisse über Jugend erweitert wurde, vgl. Hornstein u. a., 1975).

Zumindest läßt sich sagen, daß eine grundsätzliche und grundlegende Reflexion über die Situation, die Probleme, die Perspektiven und Interessen der Jugend in einer konkreten und gegenüber früheren Epochen gewandelten historisch-gesellschaftlichen Gesamtsituation nicht stattfand.

Entsprechendes muß für die Praxis der Bildungspolitik und Bildungsverwaltung der Länder konstatiert werden. Es ist keine größere bildungspolitische Entscheidung bekannt, bei der die eben erwähnte Reflexion stattfand.

Ob es sich um die Einführung des 10. Schuljahres in Nordrhein-Westfalen, um die Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe oder um die Frage Gesamtschule oder nicht handelt — um nur drei in den letzten Jahren umstrittene Themen zu nennen —, in keiner dieser Fragen sind die jugendpsychologischen, jugendsoziologischen Dimensionen grundsätzlich reflektiert worden oder sind entsprechende Argumentationen ins Feld geführt worden.

Im Bereich der Schuladministration gibt es dagegen umgekehrt eine Art negativer Bezugnahme auf Jugend, nämlich, daß sich eine ganze Reihe von Schulordnungen, wie sie etwa in Bayern erlassen wurden, als ein-schränkend-disziplinierend verstehen und auch so wirken. Sie sind als Antwort auf sich verstärkende Konflikte in der Schule, auf sich bemerkbar machenden Widerstand gegenüber als sinnlos empfundenem Lernstreß usw. zu verstehen. Sie passen auch insofern in die gegenwärtige bildungspolitische Situation, als sie zugleich als Verstärkung des Selektionsdruckes wirken: Indem sie disziplinieren, sieben sie auch diejenigen aus, die sich diesen Reglements nicht fügen (können oder wollen). Wenn die Inhalte des schulischen Lernens als sinnlos empfunden werden, wenn die schulischen Lernanforderungen als ichbedrohend erfahren werden und nicht als identitätsfördernd (Rumpf, 1976), wächst der Widerstand und die Abwehr gegenüber derartigen Anforderungen, und wenn die Institution Schule mit ihren Ritualen und Anforderungen die Kinder und Jugendlichen zwingt, wichtige Anteile ihres lebensgeschichtlich erworbenen Ichs zu verleugnen (Wellendorf, 1973; Bietau/Breyvogel/Helsper, 1981), dann ist auch dieser Vorgang mit psychischen Reaktionen verbunden, die auf Aggression hinauslaufen.

Insofern die Administration auf derartige Vorgänge mit Maßnahmen der Disziplinierung reagiert, zeigt sich hier ein typisches Beispiel für eine unerkannte Verstrickung, bei der durch die Reaktion und Antwort ein vorher schon bestehendes Problem mit falschen Mitteln beantwortet und damit eher verstärkt wird.

Zieht man aus den hier etwas näher betrachteten Beispielen einen Schluß, dann läßt sich dieser etwa wie folgt formulieren: Es gibt offensichtlich eine weitgehende Resistenz des politisch-administrativen Handlungssystems gegenüber den vorhandenen Wissensbeständen der Jugendforschung — sehr im Gegensatz zu dem eingangs konstatierten „Ruf nach Wissenschaft“. Der Anwendungsbereich entsprechenden Wissens ist bestimmt durch die Handlungsgrenzen und -möglichkeiten des als Jugendpolitik etablierten Subsystems. Eine weitere Einschränkung in der Umsetzung erfolgt immer dann, wenn durch die Anwendung von entsprechendem Wissen Interessen verletzt würden. In Institutionen wie dem Bildungs-und Ausbildungswesen oder auch der Bundeswehr, den Kirchen, den Jugendorganisationen der Parteien wird auf Ansprüche und Bedürfnisse der Jugend nur in dem Maße reagiert, als dies durch das entsprechende Verhalten der heranwachsenden Generation gleichsam erzwungen wird und andere Formen des Problemmanagements sich als nicht mehr wirksam erweisen.

IV. Gründe für die Resistenz des politisch-administrativen Systems

1. Das Problem der Entsprechung von Wissens-und Handlungsstruktur In diesem Kapitel soll auf einer allgemeineren und grundsätzlicheren Ebene nunmehr die Frage analysiert werden, welche strukturellen, in der Verfassung des politisch-administrativen Systems liegende Gründe es für die festgestellte mangelnde Rezeption des Wissens gibt. Dabei wird die These unterstellt, daß die festgestellte Resistenz zumindest nicht nur auf mangelndem wissenschaftlichen Interesse oder mangelnder fachlicher Rezeptionsfähigkeit der in der politischen Administration Tätigen beruht, oder gar auf deren schlechtem Willen oder Bequemlichkeit, sondern daß es in den Strukturen der Verfassung des politischen Systems liegende Gründe dafür gibt. Auf der anderen Seite wird auch nicht einfach unterstellt, daß es an der schlechten Qualität des von den Wissenschaftlern produzierten Wissens oder deren Unfähigkeit, die Ergebnisse ihrer Arbeit in einer verständlichen Sprache mitzuteilen, liegt (obwohl dies im konkreten Fall sicherlich eine Rolle spielt), daß es so wenig Chancen der Rezeption für das politische System hat.

Es bietet sich an, die oben formulierte Frage nicht in ihrer ganzen Breite zu erörtern, also sämtliche auf dem Markte befindlichen Arten von Wissen über Jugend der eben formulierten Frage zu unterwerfen, sondern die Analyse an einem zugespitzten Beispiel zu führen. Dieses Beispiel soll der Fünfte Jugendbericht sein; und zwar aus zwei Gründen: Einmal, weil Jugendberichte, darauf ist bereits verwiesen worden, explizit auf den Bereich des politischen Handelns bezogen sind; sie sollen laut gesetzlicher Vorschrift Anhaltspunkte für politisches Handeln liefern. Zum anderen läßt sich an der Art und Weise, wie politisch mit dem Fünften Jugendbericht umgegangen wurde, analytisch sehr deutlich eine Reihe von Diskrepanzen zwischen der Form des Wissens über Jugend einerseits und der Struktur und den Handlungsmöglichkeiten des politischen Systems andererseits aufzeigen.

Dabei liegt es nahe, von der Annahme auszugehen, daß es ganz bestimmte, in der Struktur des politischen Systems der Bundesrepublik liegende Gründe dafür gibt, daß ein Bericht in der Art des Jugendberichts zwangsläufig ganz massiven Abwehr-und Verdrängungsprozessen auf der genannten Ebene zum Opfer fallen muß.

Folgende allgemeine Hypothese kann dabei die Analyse leiten: Wissensbestände haben eine um so größere Chance, von den politischen Akteuren und Instanzen aufgegriffen und zur Grundlage ihres Handelns gemacht zu werden, je mehr die Struktur dieses Wissens auf die Handlungsbedingungen, die Handlungsziele und Handlungsmöglichkeiten der Akteure und Instanzen zugeschnitten ist, also sozusagen in den jeweiligen Handlungshorizont paßt.

In der Anwendung auf unseren Fall lautet die Hypothese dann: Das im Fünften Jugendbericht angebotene Wissen über Jugend und Jugendprobleme steht in seiner inneren Struktur in einem eklatanten Widerspruch zu den Handlungsstrukturen und -möglichkeiten des politischen Systems; es muß also, das Fehlen eines öffentlichen Drucks vorausgesetzt, relativ wirkungslos bleiben.

Wenn von einer derartigen Hypothese ausgegangen wird, kommt es zunächst darauf an, sich klarzumachen was es heißt, wenn gesagt wird, daß Entsprechungen auf der Ebene politischen Handelns mit der Form und Struktur von Wissensbeständen auf der Seite der Wissenschaft eine wichtige Voraussetzung für die Aufnahme und das Wirksamwerden von Wissen für politisches Handeln sein sollen.

Es lassen sich vielleicht folgende Entsprechungen denken

a) Eine Entsprechung zwischen einer sich „analytisch" verstehenden Politik, die lediglich wissen will, wie etwas ist einerseits und einer Form des Wissens andererseits, wie sie gerade durch die klassische Form der Enquete versprochen wird. Auf dieser ersten Ebene richtet sich die wissenschaftliche Information auf Eingangsbedingungen und Konsequenzen politischen Handelns; dieses selbst, seine Ziele usw. sind nicht thematisiert.

b) Auf einer zweiten Ebene geht es auf Seiten der Politik um Bedürfnisse und Ansprüche nach Systemkontrolle oder Systemkonstruk-tion; auf der Seite der Wissenschaft um ein entsprechend strukturiertes Wissen, das geeignet ist, zur Lösung von Aufgaben der Systemkontrolle und der Systemkonstruktion beizutragen. Hier geht es immer um die Frage, wie etwas Bestimmtes gemacht, ein bestimmtes Problem gelöst werden kann; es kann sich dabei um ein Kontrollproblem oder aber um ein Konstruktionsproblem handeln. Dies heißt unter anderem, daß das politische Handeln selbst, und zwar hinsichtlich der Mittel, in die Problemdefinition einbezogen ist (die Ziele stehen fest). Eine politische Instanz, die Wissen dieser Art nachfragt, muß also wissen, was sie will, sie braucht dann wissenschaftliche Erkenntnisse von einer Art, die ihr sagen, wie ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann. Es geht hier also um eine Zweck-Mittel-Rationalisierung. Das nachgefragte Wissen muß die Funktion eines Hebels haben — im Fall der Systexnkontrolle, um eine Kontrolle der Wirkungsweise oder des out-puts eines Systems zu ermöglichen, oder im Fall der Systemkon-struktion, um den Weg zur Herstellung von Systemen oder Objekten zu ermöglichen.

c) Auf einer dritten Ebene könnte man schließlich Bedürfnisse einer Politik identifizieren, die sich Aufgaben der Systembildungauf einer komplexeren Stufe vornimmt, also um die Lösung von Systemproblemen bemüht ist. Hier wird komplexes Wissen nachgefragt, ein Wissen, das die Zusammenhänge zwischen Subsystemen und Handlungsbereichen zum Gegenstand hat — Wissen, wie es z. B. für die Aufgabe gesamtwirtschaftlicher Steuerung, für Stadtsanierung, Bildungsreform und — so ließe sich hinzufügen — das Problem Jugend benötigt wird.

Die Diskrepanz der Erwartungen und Ansatzpunkte Bezieht man die Art der Auseinandersetzung mit dem Jugendbericht durch die politischen Instanzen auf dieses eben skizzierte Schema, könnte man zunächst zu folgendem Ergebnis kommen:

Darstellungen und Analysen der Jugendprobleme, die wie im Fünften Jugendbericht darauf zielen, Jugendprobleme in ihrem gesellschaftlichen Bedingungszusammenhang zu thematisieren, müssen die Ergebnisse ihrer Analysen als einen Beitrag auf der Ebene der Systembildung verstehen; sie unterstellen, daß dem Auftraggeber daran gelegen sein müßte, Wissen von einer Art zu erhalten, das Aufschluß über die komplexen Bedingungszusammenhänge von „Jugendproblemen" geben würde. Die Stellungnahmen zum Fünften Jugendbericht zeigen, daß der Auftraggeber und wichtige Adressaten im Gegensatz dazu den Bericht auf der Ebene der „Beschreibung", also lediglich als Material zur Kennzeichnung von Ausgangsdaten für mögliches politisches Handeln, aber nicht im Hinblick auf reflexive Systempolitik zur Lösung des Problems Jugend sehen wollten und ihn entsprechend gewertet haben. Ganz am Rande könnte man noch sagen, daß in den Stellungnahmen auch die Funktion der Systemkontrolle eine relativ große Rolle spielt. Und ganz in diese generelle Tendenz paßt auch, daß die Opposition — folgerichtig in diesem gedanklichen Schema — die Ergebnisse der Analysen des Berichts als Folgen politischen Handelns der Regierung hinstellt; auch sie verzichtet also völlig darauf, die Analyse der tieferliegenden Bedingungszusammenhänge, wie sie im Bericht vorgenommen wird, zur Kenntnis zu nehmen.

Der entscheidene Punkt ist der, daß der Bericht so ausgenommen wird, als ob er eine Beschreibung liefere, eine Enquete im üblichen Sinne der Oberflächendarstellung sei, und so wird er bewertet — und an diesem Maßstab gemessen als unzureichend qualifiziert. Dafür, daß er als Oberflächenbeschreibung genommen wurde, gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen: Der Bundesrat z. B. formuliert, der Bericht werde, weil er keine vollständige Beschreibung liefere, dem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht, die Bundesregierung hätte ihn gar nicht annehmen dürfen. In die gleiche Richtung zielt die in vielfältigen Nuancierungen vorgetragene Kritik, der Bericht male ein Schreckensbild, ein Horrorgemälde von der Jugend, in dem es von Drogensüchtigen, Kriminellen, Ausgeflippten, Alkoholabhängigen wimmle, daß er zur Dramatisierung der Jugendprobleme, die er selbst kritisiere, beitrage. Dies bedeutet, daß in solchen Kritiken die Tiefendimension des Berichts, in der die gesellschaftlichen Entstehungszusammenhänge von Problemen dargestellt werden und wofür das eben Genannte für die Kommission nur Symptome, Illustrationen waren, völlig ausgeblendet wird. An keiner Stelle wird das Verfahren, das sich mit dem Konzept verknüpft, genannt, noch weniger die Intention gewürdigt Es wird lediglich kritisiert, daß die Kommission sich auf die Darstellung von Pro-blemgruppen beschränkt habe; das Konzept des Berichts wird als das der Beschreibung mehr oder weniger zufällig aneinander gereihter einzelner Sozialgruppen Jugendlicher mißverstanden. Demgegenüber lassen sich die Intentionen und das Vorgehen der Verfasser des Berichts am ehesten der dritten Ebene zuordnen, also der Ebene, auf der es um Aufgaben der Systembildung geht Das dem Bericht zugrunde liegende Verfahren, nämlich die komplexen und differenzierten Konstituierungsprozesse, in denen Jugendprobleme erzeugt werden, aufzudecken, die Problemverschiebungen und -Verlagerungen von einer Institution zur anderen (etwa von der Schule in die Familie, von dort in Beratungs-und Therapieeinrichtungen) zu analysieren, die Problematik von Interventionen an oft fragwürdigen, ja sinnlosen Stellen usw. — dies alles gehört auf diese Ebene. Es setzt allerdings die Annahme voraus, daß es Instanzen oder eine Instanz gibt, die Wissen dieser Struktur in eine Art gesamtgesellschaftliche Jugendpolitik, auch und gerade im Sinne der Integration und der Zusammenschau der Probleme von einzelnen Bereichen, umzusetzen vermag.

Der Versuch der Kommission, auf der Grundlage einer sozialwissenschaftlichen Sichtweise die sozialstrukturellen, ökonomischen, politischen Bedingungszusammenhänge von Jugendproblemen herauszuarbeiten und die Ergebnisse an gesellschaftspolitischen Kriterien, wie etwa an dem der Gleichheit von Lebenschancen u. a., zu messen, führt notwendig dazu, daß Zusammenhänge zum Vorschein kommen, die übergreifender Art sind, die eben gerade nicht den Handlungsmöglichkeiten, dem Handlungshorizont und den Handlungszielen der angesprochenen politischen Instanzen entsprechen.

Für eine genauere Analyse des damit behaupteten Sachverhalts ist es zunächst notwendig, daran zu erinnern, daß die Jugendberichte im Umkreis — von außen betrachtet ist man vielleicht geneigt zu sagen: im Dunstkreis — der Jugendhilfe und Jugendpolitik angesiedelt sind. Das hat mit verfassungsrechtlichen Gründen zu tun, die hier nicht im einzelnen aufgerollt werden können. 2. Die Unvereinbarkeit in den Strukturen Vor diesem Hintergrund ergeben sich eine ganze Reihe von Problemen, die kurz skizziert werden sollen: 1. Jugendpolitik als der Handlungsbereich, auf den Jugendberichte zunächst bezogen sind, stellt eine kompensatorische Teilpolitik dar (Böhnisch, 1980); es handelt sich also um einen Bereich, in dem Folgeprobleme anderer Politikfelder oder ungelöste Probleme von dort aufgefangen und gegebenenfalls bearbeitet werden sollen. Wenn man von der Jugendpolitik des Bundes spricht, und von da muß man im Zusammenhang eines Jugendberichts der Bundesregierung zunächst ausgehen, ergibt sich daraus ein sowohl horizontales als auch vertikales Zuständigkeitsproblem, und dazu schließlich ein ganz grundsätzliches qualitatives. Zunächst zu den Zuständigkeitsproblemen: Jedermann weiß, daß das Bildungswesen und weitgehend auch der Ausbildungsbereich Sache der Länder sind. Nun wird aber unter modernen Verhältnissen über das Schicksal der Jugend gerade in diesen Institutionen des Bildungswesens entschieden; hier werden Chancen vergeben, Probleme erzeugt. Diese Institutionen aber unterstehen den Ländern, die sich ihrerseits jedoch durch Bundesjugendberichte gar nicht betroffen fühlen; sie weisen die Kritik jeweils für das eigene Land als nicht zutreffend zurück.

Es gibt aber auch ein Zuständigkeitsproblem auf der horizontalen Ebene: Auf allen Ebenen, also des Bundes, der Länder, der Kommunen, • gilt der oben bereits angedeutete Sachverhalt: nämlich, daß Jugendhilfe immer mit ungelösten Problemen anderer Institutionen befaßt ist. Wenn die Analyse also in diese anderen Institutionen hineingreift, wie das z. B. im Abschnitt über Schulversagen der Fall ist, fehlt es der Jugendhilfe als Antwort an den entsprechenden Interventionsmöglichkeiten.

Dies führt zu dem Schluß, daß Jugendberichte, so wie sie bisher vorgelegt wurden, im politischen System der Bundesrepublik keine Entsprechung auf der Handlungs-und Interventionsebene haben. Der Bericht wendet sich an Politik So, als ob diese unmittelbaren Zugang zu den herausgearbeiteten Problemen hätte und im Rahmen einer übergreifenden Jugend-politik auch die Chance, diese Probleme auch wirklich zu lösen und auf den Ebenen zu bearbeiten, auf denen sie dargestellt werden. Das ist aber nicht der Fall; der Bericht hat also eigentlich keinen Adressaten. 2. Es gibt aber auch noch einen anderen Punkt. Es ist nämlich sehr die Frage, ob die Qualität sozialisatorischer Prozesse überhaupt politischen Gestaltungsversuchen offensteht Diese Qualität wird ja bestimmt durch asymmetrische Sozialbeziehungen, Formen daraus resultierender Konfliktlösungen, Macht-und Interessenstrukturen, die sich im Rahmen politischer Intervention nur sehr bedingt verändern lassen. Noch einmal mit anderen Worten: Aus den genannten Strukturmomenten ergibt sich eine Selektivität des jugendpolitischen Handlungssystems, das in äußerst scharfem Gegensatz zu den in einer sozialwissenschaflichen Analyse herausgearbeiteten, sehr komplexen Bedingungszusammenhängen von Jugendproblemen steht.

Wenn man von dem Entsprechungsgedanken her nun umgekehrt fragen würde, welcher Art denn ein Wissen sein müßte, das „passend" wäre sowohl gegenüber der Verfaßtheit von Jugendpolitik wie gegenüber der faktischen Organisation von Jugend, dann käme man nach allem Vorausgegangenen zu folgendem höchst fragwürdigen Ergebnis:

— Es müßte institutionenbezogen und nicht adressatenbezogen sein; also Antwort auf die Frage geben, wie Institutionen ihre Probleme mit Jugend" besser lösen könnten.

— Es müßte vor allem Verhalten und Einstellungen der Jugend (und weniger die gesellschaftliche Produktion von problematischen Lebensverhältnissen) zum Gegenstand haben.

Die Aufgabe der Änderung von Verhalten und Einstellungen nämlich ist delegierbar. Es handelt sich um eine an die Erziehung abgebbare Aufgabe. Politik braucht sich dann davon nicht mehr berühren zu lassen.

— Dieses Wissen müßte sich schließlich ganz darauf beschränken, Symptome, Probleme in ihrer Oberflächenerscheinung unter Verzicht auf die Analyse der sozialen und gesellschaftlichen Bedingungszusammenhänge darzustellen.

Aus allem bisherigen ergibt sich aber klar, daß Wissen dieserAxt gerade nicht an die Qualität der faktischen Probleme und vor allem nicht an die Verursachungszusammenhänge heran-käme, also gleichsam seinen Gegenstand in entscheidenden Dimensionen verfehlte. 3. Abwehrformen Nachdem das Konzept des Berichts nun diesen „Anforderungen" in gar keiner Weise entspricht, ist es nicht weiter verwunderlich, daß auch in diesem Falle generelle Mechanismen der Problemabwehr und -Verschiebung geltend gemacht werden, die in diesem Bereich auch sonst festgestellt werden müssen — daß dies aber, dies wäre der zweite Teil dieses Fazits, kein Zufall ist, sondern sehr eng mit der Verfassung und Struktur des politischen Systems zusammenhängt.

In bezug auf die bisher vorliegenden . Antworten" auf den Jugendbericht lassen sich folgende, auch sonst antreffbare, hier aber in dem spezifischen Kontext angesiedelte Mechanismen konstatieren:

— Erkenntnisse über die sozialen Bedingungen der Probleme werden so gut wie völlig ausgeblendet; während diese sonst häufig zu sozialpädagogischen Aufgaben umdefiniert werden, werden sie hier weitgehend ignoriert. — Es gibt zweitens den Vorgang des Passend-Machens in bezug auf die eigenen politischen Absichten. Dies trifft vor allem auf die Stellungnahme der Bundesregierung zu; sie übernimmt und formt um nach ihren Zielen.

— Das Prinzip der Weitergabe wegen Unzuständigkeit. Das gilt ebenfalls für die Stellungnahme der Bundesregierung, die die Kritik vor allem am Schulwesen mit dementsprechendem Hinweis zurückweist und weitergibt.

Eine weitergehende Analyse müßte nun die übrigen Beteiligten einbeziehen; also die Verbände, die Fachorganisationen, die Träger-gruppen der Jugendhilfe, und zwar freie Träger wie kommunale, und nicht zuletzt auch diejenigen, von denen in diesem Bericht die Rede ist, also die Kinder und Jugendlichen. Ein anderer wichtiger Part wird von dem gespielt, was man die „Öffentlichkeit" nennt, die öffentliche Diskussion, die Medien Das Fazit aus dieser Analyse würde also zunächst heißen: Je mehr Analysen zu dem, was in der öffentlichen Diskussion Jugendprobleme genannt wird, die gesellschaftlichen Konstituierungsund Bedingungszusammenhänge einbeziehen, je mehr sie auch auf die Qualität der Probleme abheben und nicht nur Oberflächen-Schilderungen von Einstellungen und Verhalten geben, um so mehr sind sie zur Wirkungslosigkeit verurteilt, weil in diesen Analysen-zu weit über die den jeweiligen politischen Akteuren offenstehenden Handlungsbereiche hinausgegriffen wird..

In einer abschließenden Erörterung ist erstens zu fragen, mit welchen Strukturmomenten der Gesellschaft dies zusammenhängt, und zweitens, welche Folgerungen sich daraus ergeben — und zwar sowohl in Richtung sozialwissenschaftlicher Forschung wie auch im Hinblick auf politische Praxis zugunsten von Jugend.

V. Konsequenzen und Folgerungen

1. Jugend als Systemproblem Es ist eine in der neueren politikwissenschaftlichen Diskussion immer wieder anzutreffende Feststellung, daß unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Gegenwart offensichtlich an die Stelle der klassischen politischen Konfliktlinien und der klassischen als Verteilungskämpfe zu interpretierenden politischen Auseinandersetzungen solche von einer neuen Art getreten sind, und daß dies korrespondiert mit dem Konzept einer „neuen Politik" (Hildebrandt/Dalton, 1980).

Damit ist folgendes gemeint: Die Themen der alten „klassischen" Politik beziehen sich auf wirtschaftliche, soziale und religiöse Gegensätze; diese Form der Politik hat zum Gegenstand den Konflikt zwischen Habenden und Nicht-Habenden, dem seinerseits identifizierbare Interessen-und Konfliktgruppen zugrunde liegen.

Die Themen der „neuen Politik" sind demgegenüber eher Lebensqualität, Bildung, Umwelt, Frieden, Mitbestimmung. Mit dem Auftreten dieser neuen „issues" entsteht eine neue Situation für die etablierte politische Organisation: Am Beispiel Atomenergie z. B. zeigt sich, wie die Reaktionsfähigkeit der politischen Eliten auf dieses Thema eingeschränkt ist, und zwar deshalb, weil offensichtlich die herkömmlichen Reaktionsund Verarbei-tungsmuster von Konflikten für die politische Verarbeitung dieser Konflikte nicht mehr ausreichen. Dies wiederum hängt damit zusammen, daß es für die Parteien nicht absehbar ist, welche Frontlinien sich bei der Auseinandersetzung um diese Themen ergeben, welche Gruppen sich in welcher Form mobilisieren lassen und zu welchen Konflikten dies führt. Folgt man der Analyse, die M. Th. Greven (1980) vorgelegt hat, dann gibt es eine abnehmende Fähigkeit der Parteien und des Parteiensystems, Probleme einer bestimmten Qualität überhaupt aufzugreifen, und darüber hinaus die zusätzliche Schwierigkeit, die Art und Weise, wie Probleme in der Politik aufgegriffen, definiert und bearbeitet werden, und vor allem die dabei leitenden Kriterien, gegenüber bestimmten Gruppen, Schichten ausreichend und überzeugend zu begründen.

Dabei handelt es sich bei den in dieser Sicht „vernachlässigten" Problemen nicht um Gruppeninteressen („Umwelt", „Friedenssicherung" sind keine Gruppeninteressen, sondern sie betreffen das Gemeinwohl), sondern um Probleme, die von allgemeiner Natur sind, das allgemeine Wohl betreffen, gleichwohl aber höchst konkret sind. Deshalb können sie, dieser Theorie zufolge, nicht als ein Interesse unter anderen durch das Parteiensystem bearbeitet und gelöst werden; sie sind systemwidrig, betreffen aber Sachverhalte, die für die Zukunft des Systems von höchster Bedeutung sind.

Dieser Überlegung liegt die Tatsache zugrunde, daß das traditionelle politische Parteiensystem auf der Basis utilitaristischer Strategien und aquisitiver Werte verläuft, d. h., es geht um die Verteilung materieller Güter zwischen den sozialen Interessengruppen. In dem Moment, in dem „post-aquisitive" Werte, also solche, die nicht auf Besitzmehrung für konkrete soziale Gruppen hinauslaufen, geltend gemacht werden, versagt dieser Mechanismus; dies ist nicht nur dadurch zu erklären, daß Gemeinwohlinteressen keine oder nur eine schwache Organisationsbasis haben, sondern stellt ein grundlegendes strukturelles Problem in „postmateriellen" Gesellschaften dar.

Neben dieser die Inhalte betreffenden Auswirkung gibt es auch Konsequenzen für den Stil und die Form der politischen Auseinan" dersetzung. Die neuen Inhalte stellen dieser Theorie zufolge auch die traditionelle Politik-form der bürgerlichen Gesellschaft mit dem arbeitsteilig delegierten, repräsentierenden, auf Aggregation und Befriedigung von Gruppeninteressen gerichteten Stil in Frage. Die Institutionen des politischen Lebens wie Parlament, überhaupt der ganze Apparat, in dem der Staat dem Bürger gegenübertritt, erscheinen dann notwendigerweise abstrakt, fremd, distant.

Für den Autor der hier referierten Studie ergibt sich aus derartigen Befunden zweierlei:

Einmal hat diese Situation seiner Meinung nach mit Notwendigkeit die Entstehung marginaler Gruppen zur Folge, zum andern resultieren daraus Beteiligungsansprüche einer neuen Qualität, neue Formen politischer Forderungen geltend zu machen — etwa in Demonstrationen, Bürgerinitiativen —, die über die herkömmlichen Formen politischer Beteiligung, etwa in Gestalt von Wahlen, hinausgehen. Für das Thema „Jugend" dürften derartige Überlegungen in zweierlei Richtungen wichtig sein: Zunächst stellt Jugend eine Gruppe in der Gesellschaft dar, die mit besonderer Dringlichkeit die neuen Themen, also Umwelt, Frieden, Dritte Welt, zur Sprache bringt und auf den eben skizzierten neuen Formen politischer Beteiligung besteht. Daraus resultieren Konflikte in dem Maße und in dem Augenblick, in dem diese Ansprüche mit den offiziell zugelassenen Formen der Beteiligung des etablierten politischen Systems zusammenprallen, und in dem Maße die eben genannten Themen als vom politischen System nicht lösbar erscheinen.

Zum andern geht es um Jugend und Jugendprobleme als Gegenstände, als „Objekte" von Politik. Vieles spricht dafür, daß Jugend ähnlich wie Umwelt, Frieden, Dritte Welt selbst ein Systemproblem ist, das mit den gängigen Mitteln politischer Steuerung unter den Bedingungen des Vergesellschaftungsprozesses im Spätkapitalismus kaum mehr lösbar erscheint — nicht zuletzt deswegen, weil der Staat sich unter diesen Bedingungen praktisch kaum mehr auf die Lebenslagen der Jugend beziehen kann. Dies wäre nur möglich auf dem Weg über die gesellschaftlichen Institutionen, würde aber voraussetzen, daß diese ihrerseits von den Jugendlichen als die „ihrigen" empfunden würden, mit anderen Worten: wenn sie die Bedürfnisse, Probleme und Interessen der jungen Leute zum Maßstab ihres Handelns machten. Dies wird aber faktisch kaum so empfunden, und die Institutionen sind deshalb auch nicht in der Lage, dasjenige Maß an Identifikation und innerer Loyalität und Bindung zu erzeugen, das als Grundlage für jede Form „vernünftiger", d. h. auf der Basis von Argumenten erfolgenden Auseinandersetzung notwendig ist.

Dies ist auch der Grund dafür, daß es für die Erwachsenen, und hier insbesondere für Vertreter gesellschaftlicher Institutionen wie etwa der Parteien, immer schwieriger wird, mit jungen Leuten überhaupt noch in Kontakt zu treten. Daher übrigens auch der „pseudo-hafte" Charakter so vieler Veranstaltungen und Aufrufe, die den „Dialog mit der Jugend" zum Ziel haben.

Wenn die hier vorgelegte Analyse zutrifft, so hat dies Konsequenzen. Die wichtigste liegt darin, daß das, was als problematisches Verhalten von Jugend erscheint, ob in sozialem Rückzug, in Drogenmißbrauch, aggressivem Protestverhalten oder was immer, nicht als Folge von Einstellungs-oder Verhaltensdefiziten, gemessen an erwünschten, von den Erwachsenen als gültig angesehenen Standards zu betrachten ist, die durch entsprechende pädagogische Maßnahmen zu beheben sind, sondern als Ergebnis einer tiefgehenden Krise und Entfremdung zwischen Jugend und den Institutionen, in denen sich für sie „Gesellschaft" darstellt. 2. Konsequenzen für die Forschung Jugendforschung, die sich auf den hier, insbesondere im Abschnitt II 5, entwickelten Rahmen bezieht, wird zunächst vorliegende Ergebnisse, auch und vor allem hinsichtlich Einstellungen und Verhaltensweisen der Jugend, anders, „besser" interpretieren können als bisher. Sie wird sie als Ergebnis der Situation verstehen können, die in dem resümierenden Abschnitt II 6 skizziert wurde und wo die Stichworte noch einmal genannt wurden, die für die Jugendsituation charakteristisch und bestimmend scheinen („Bildungsgesellschaft", „Leistungsgesellschaft", „Wertwandel", „Konfliktlösungsformen des Staates", „mangelnde Fä-higkeit des Staates, gesellschaftlichen Konsensus zu erzeugen").

Sie wird also nicht der Versuchung erliegen, Einstellungen und Verhaltensmuster von Jugendlichen in einer verdinglichenden Weise für sich zu nehmen und damit der fragwürdigen Meinung Vorschub leisten, als ob es darum gehen könne, durch pädagogische Maßnahmen die darin zum Vorschein kommenden „Abweichungen" zu bereinigen. Sie wird vielmehr stärker als bisher herausarbeiten müssen, wie das, was in den auffälligen Phänomenen zum Vorschein kommt, gesellschaftlich erzeugt wird. Die unter II 5 entwickelten Zusammenhänge erlauben es, Hypothesen zu bilden, deren Überprüfung noch genauer, als wir es bisher wissen, transparent machen würde die Prozesse, in denen sich jene mehrfach beschriebene Entfremdung von Jugend und Gesellschaft herausbildet.

Das kann hier nicht im einzelnen entwickelt und zur Diskussion gestellt werden. Lediglich ein Gesichtspunkt soll besonders betont werden: Es spricht vieles dafür, daß die Erfahrungen, die junge Menschen innerhalb der gesellschaftlichen Institutionen machen, denen sie unmittelbar ausgesetzt sind — im wesentlichen ist dies die Schule —, in ganz entscheidender Weise ihre Einstellungen und Orientierungen zur „Gesellschaft" insgesamt prägen. Was hier im Bereich des Bildungswesens an „modellhaft" sich auswirkendem Lernen geschieht, müßte also die bevorzugte Aufmerksamkeit auch der Forschung auf sich lenken. 3. Umsetzung als veränderte gesellschaftliche Praxis Wie kann aber Wissen dieser Art angesichts der analysierten Rezeptionsmechanismen des politisch-administrativen Systems überhaupt fruchtbar werden?

Wenn man davon ausgeht, daß die Zuständigkeitsregelungen zwischen Bund und Ländern und auch die Kompetenzverteilung auf der horizontalen Ebene sich nicht verändern werden, d. h., daß an eine gesamtstaatliche Steuerung und Lösung der Jugendprobleme nicht zu denken ist, dann bleibt nur die Konsequenz, daß in einer ganz anderen Weise als bisher die gesellschaftlichen Institutionen, Gruppen, Einrichtungen der verschiedensten Art sich die Bedürfnisse und Ansprüche der Heranwachsenden zu eigen machen, zumindest sich der Auseinandersetzung damit öffnen und nicht umgekehrt, wie dies heute immer mehr geschieht, durch Ausgrenzung und Verdrängung derartiger Ansprüche ganz erheblich an der Entstehung der artiger Probleme mitwirken (Bietau u. a., 1980).

Heute werden ja in den Institutionen des Bildungs-und Ausbildungswesens, aber auch in den Kirchen, den Gewerkschaften, der Bundeswehr, höchstens dann, wenn es nicht mehr anders geht, Zugeständnisse gemacht. Zum andern werden die aus den jeweiligen Systemen herausfallenden Teil-und Problem-gruppen wie die Drogenabhängigen, die Arbeitslosen, die Alkoholabhängigen, die kriminell gewordenen Jugendlichen, die Sektenanhänger zum Gegenstand jeweils spezieller sozialer Dienste und isolierter politischer Einzelmaßnahmen gemacht.

Dies wird der durch die Analyse zutage geförderten Tatsache nicht gerecht, daß es nicht um die Integration von Teil-und Randgruppen geht, sondern daß Jugend insgesamt hinsichtlich Integration und Identifikation das Problem darstellt.

Dies ist eine Frage an alle Institutionen, die mit Jugend zu tun haben. Nur um einen in jedem Fall zu hohen Preis, nämlich auf Kosten individueller Selbstverwirklichung und gesellschaftlich-politischer Weiterentwicklung, können sie ihre Unempfindlichkeit und Hornhäutigkeit gegenüber Ansprüchen, Problemen und Lebensentwürfen von Jugendlichen beibehalten.

Mit anderen Worten: Es geht nicht nur darum, daß politische Instanzen mehr oder besseres Wissen über Jugend anwenden, um deren Verhaltensweisen, Orientierungen, Wertsetzungen usw. besser zu verstehen und gegebenenfalls verändern zu können, sondern es geht darum, die Situation selbst, die realen Lebensbedingungen, und das sind vor allem auch die Institutionen, zu verändern.

Der Forschung kommt dabei die Aufgabe zu, die bereits beschrieben wurde, nämlich genauer und kritischer noch als bisher jene Prozesse transparent zu machen, in denen tagtäglich die Lebensansprüche und Lebensentwürfe und auch die Zukunft der heranwachsenden Generation verdrängt und ausgeschaltet werden.

Die Betonung der Ebene der gesellschaftlichen Institutionen, also der Einrichtungen und Organisationen, in denen Jugend unmittelbar aufwächst, der Schulen, der Ausbildungsinstitutionen, der Bundeswehr, der Jugendarbeit, heißt natürlich überhaupt nicht, daß damit die Ebene der Bundesrepublik mit den dort verankerten Zuständigkeiten und Interventionsmöglichkeiten aus der Verantwortung für Jugendprobleme entlassen wäre.

Dies kann schon deshalb nicht der Fall sein, weil die politischen Entscheidungen oder auch Versäumnisse dieser Ebene in vielfältiger Weise sowohl direkt auf die Institutionen durchschlagen als auch einstellungsund verhaltensbestimmend sind. So dürfte z. B. die Art und Weise, in der am 9. Oktober 1981 im Deutschen Bundestag über die bevorstehende Bon-ner Friedensdemonstration diskutiert wurde, die Auffassung darüber, in welcher Weise politische Parteien die Anliegen der Friedensbewegung bewerten, bei vielen jungen Leuten entscheidend geprägt haben. Auch auf dieser Ebene wird also praktisch dauernd über die Lebenschancen und Zukunftschancen der Jugend entschieden.

Darüber hinaus haben gerade die hier vorgetragenen Analysen gezeigt, wie eng das, was unter dem — es soll noch einmal daran erinnert werden: fragwürdigen — Stichwort „Jugendprobleme" diskutiert wird, in gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse verflochten ist. Wo immer also Politik gemacht und auf diese Prozesse reagiert wird (oder durch Ignorierung und Versäumnisse Entwicklungen zugelassen werden), da betrifft dies immer auch die Lage und Probleme der Jugend. Dies bedeutet zunächst als minimalste Forderung, daß bei allen politischen Entscheidungen auf der Ebene der „großen Politik" stets die Auswirkungen in dieser Richtung mitbedacht und mitdiskutiert werden sollten; dies betrifft im übrigen immer auch den Stil politischen Handelns. Schließlich: Sicherlich lassen sich die Probleme, um die es in dem hier erörterten Zusammenhang geht, nicht durch Neuregelung von Zuständigkeiten und administrative Reformen lösen; dennoch stellt das Problem Jugend, wie übrigens auch andere ungelöste, aber drängende Fragen der Gegenwart, auch eine Herausforderung an die generellen Strukturen, in denen unser politisch-administratives System verfaßt ist, dar. In diesem Zusammenhang geht es weniger um Kompetenzenwirrwarr und -Streitigkeiten als vielmehr um das Problem zunehmender Bürokratisierung und Anonymisierung in vielen Bereichen, um Unüberschaubarkeit und mangelnde „Zugänglichkeit" der großen Organisationen und Apparate. Sie vermitteln den Menschen, nicht nur den Jugendlichen, das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Angst aber, als Folge solcher Erfahrungen, erzeugt Aggressivität. Auch in dieser Hinsicht stellt Jugend, insofern sie dies aufs deutlichste demonstriert, eine Herausforderung dar, auf die angemessen einzugehen bisher kaum Anzeichen erkennbar sind.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Diesem „Gefühl“, zu wenig über die Jugend zu wissen, entspringt wohl auch die Etablierung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Jugendprotest in der demokratischen Gesellschaft". In diesem Sinn äußerte sich — als Beispiel für viele der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Jürgen Brandt, bei der Diskussionsveranstaltung zum Thema „Soldat und Gesellschaft" am 23. /24. April 1981 in Bonn; dokumentiert ist diese Diskussion in Bd. 172 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung; die erwähnte Äußerung ebd., S. 36.

  2. Ein Hinweis scheint mir noch notwendig, um ein mögljches Mißverständnis hinsichtlich der generellen Perspektive dieses Beitrags zu vermeiden: Die Überlegungen dieses Beitrags folgen nicht der simplen Modellvorstellung, die effektivere Anwendung von auf Vorrat gelagertem Wissen über Einstellungen und Orientierungen der Jugend garantiere sozusagen automatisch die Lösung der heute so unlösbar scheinenden Probleme — bei gleichbleibenden gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen. Im Gegenteil: Die Argumentation läuft darauf hinaus, daß das vorhandene Wissen über die Bedingungszusammenhänge der Probleme in diesem Bereich zu der Einsicht zwingt, daß nur eine weitreichende Veränderung der Lebensverhältnissse, in denen Jugend heute aufwächst, zu einer Verbesserung der Situation führen kann. Dazu noch eine persönliche Vorbemerkung: Der Autor dieses Beitrags war nahezu zehn Jahre lang als Leiter eines praxis-und politikbezogen arbeitenden sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts in der täglichen Zusammenarbeit mit Politikern, Praktikern, Angehörigen der politischen Administration tätig und in verschiedenen Funktionen mit der Vorbereitung und Erarbeitung der Jugendberichte der Bundesregierung befaßt (zuletzt als Vorsitzender der Kommission Fünfter Jugendbericht); die dabei gemachten Erfahrungen und Beobachtungen sind sicherlich in die nachfolgende Analyse eingegangen; es ist in diesem Sinne sicherlich die Darstellung eines sowohl „Interssieren" als auch „Betroffenen".

  3. Diese Lücke füllen am ehesten die vom Deutschen Jugendinstitut in den letzten Jahren vorgelegten „problemorientierten“ Dokumentationen (vgl. z. B. Braun/Cravalas zum Problem der . Ausbildungskrise"), während die üblichen Bibliographien in Zuschnitt und Form der Aufarbeitung und Präsentation eher für den wissenschaftlich Arbeitenden, vielleicht noch für den konzeptionell und planend für die Praxis Tätigen, aber kaum für den unter Zeit-und Arbeitsdruck agierenden Politiker geeignet sind.

  4. Die Spannweite, innerhalb derer sich Untersuchungen des hier kurz skizzierten Typs bewegen, wird vor allem deutlich, wenn man etwa die sehr an der Oberfläche bleibenden Ergebnisse der EMNID-Studie (Jugendwerk der Deutschen Shell 1975) mit der im Text erwähnten Untersuchung von Krause/Lehnert/Scherervergleicht. Diese Studie kann zwar nicht im strengen Sinn des Wortes als repräsentativ bezeichnet werden (es wurden fünf Universitäten, nämlich Berlin, Frankfurt, Bonn, Heidelberg und Hamburg einbezogen), doch gibt es genügend Anhaltspunkte dafür, daß sich auch bei voller Repräsentativität die Ergebnisse nicht grundlegend anders darstellen würden. Abgesehen von den Teilen der Untersuchung, die die generelle politische Orientierung, und hier insbesondere die Einstellung zum politischen System der Bundesrepublik betreffen (hier zeigt sich, daß ca. 10% der Studenten als „linksradikal" einzustufen sind, also das parlamentarische System ablehnen), liegt das Schwergewicht der Analyse auf der Alternativkultur. Jeder vierte Student empfindet sich seiner eigenen Einschätzung nach mehr oder weniger zur Alternativkultur zugehörig; an einigermaßen harten, von den Forschern herangetragenen Kriterien gemessen zeigt sich allerdings, daß aufs Ganze der Üntersuchungspopulation bezogen nur 11, 9% der Befragten (nur Frankfurt weist einen deutlich höheren Prozentsatz, nämlich 20% auf) zur Alternativkultur gerechnet werden können. Dieser „alternativkulturelle Typ" tendiert hinsichtlich seiner gesamtgesellschaftlichen Einstellung zu einer sehr kritischen Bewertung des bürgerlichen Staates, vor allem hinsichtlich seiner repressiven Funktion, er vertritt die ökologisch motivierte Forderung nach Abschaffung aller Atomkraftwerke und ist der Meinung, daß nur durch Selbsthilfeorganisationen die Probleme gelöst werden könnten. Besonders aufschlußreich ist - auch im Hinblick auf spätere Überlegungen, s. unter II 5 - der Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zur „alternativkulturellen" Orientierung und der vorausgegangenen Sozialisation. Der „alternativkulturelle Typ" stammt zum überwiegenden Teil aus familiären Verhältnissen, die deutliche Sozialisationsdefizite aufweisen. Die Abwendung von den traditionellen Werten erfolgt offensichtlich in dem Maße, in dem die familiären Beziehungen problematisch waren (S. 215). Insgesamt scheint die familiäre Situation, aus der die Angehörigen der Alternativkultur kommen, vor allem durch emotionale Vernachlässigung, durch das Verdrängen von Konflikten gekennzeichnet. Die Angehörigen des „alternativkulturellen Typs" haben auch in weit höherem Maße als die anderen in der Schule konfliktreichere und problematischere Beziehungen zu den Lehrern gehabt (S. 217); und schließlich: sie haben sich in weit stärkerem Maße Einflüssen der „jugendlichen Gegenkultur" ausgesetzt. Die Autoren ziehen aus diesen und anderen Daten den Schluß, daß sich die Angehörigen der Alternativkultur vor allem aus der Mittelschicht rekrutie-ren und daß „die Nichtvermittlung fester Werte die Aufnahmebereitschaft und Offenheit für neue soziokulturelle Orientierungen erhöht" (S. 219). Erst nach Abschluß der Arbeit an diesem Ms. ist erschienen die neueste vom Jugendwerk der Deutschen Shell finanzierte und herausgegebene, nunmehr 9. Shell-Jugendstudie. Sie unterscheidet sich in Fragestellung, Zielsetzung und hinsichtlich der verwendeten Forschungsverfahren ganz erheblich von den vorausgegangenen. Die Absicht ging dahin, „die biografischen Entwürfe, die zivilisationskritischen Zukunftsbilder und das oft eigentümliche Verhalten im Umgang mit Menschen und Politik als eigenständige Leistungen der Jugendlichen" aufzufassen, als „Problemlösungsversuche", als „Experimente in eine ungewisse Zukunft"; die Lösungsversuche sollen verstanden werden als Hinweise darauf, „daß das soziale und politische Leben selbst problematisch ist", (Vorwort). Die Studie bedient sich nicht nur wesentlich anspruchsvollerer Verfahren der Umfrageforschung, sondern auch qualitativer Verfahrensweisen, mit deren Hilfe es möglich ist, sehr viel mehr von den Tiefenstrukturen jugendlicher Orientierungen zu erfassen als in den früheren Studien. Das bemerkenswerteste Ergebnis dieser Studie scheint mir darin zu liegen, daß es ihr gelingt, Wandlungen und Entwicklungstendenzen in der Wert-und Bewußtseinsorientierung der Jugend, die bisher eher in einzelnen qualitativen Stu-dien auf sehr schmaler empirischer Basis identifiziert wurden, nun auf einer sehr viel breiteren Grundlage nachzuweisen - als wirklich generelle Trends!

  5. In letzter Zeit haben vor allem zwei Problemgruppen die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden: die eine ist die Gruppe der ausbildungs-oder arbeitsplatzmäßig unversorgten Jugendlichen, die andere die die Öffentlichkeit in starkem Maße beunruhigende Gruppe der Anhänger und Sympathisanten der sogenannten Jugendreligionen. Zur erstgenannten Gruppe sind in der vom Deutschen Jugendinstitut herausgegebenen „Bibliographie Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungskrise“ (Band I) die entsprechenden Arbeiten (S. 112— 122) unter der Überschrift „Psycho-soziale Folgen von Arbeitslosigkeit" aufgelistet. Die Durchsicht der genannten Arbeiten zeigt allerdings, daß es sich nur in ganz wenigen Fällen um empirische Arbeiten im üblichen Sinn handelt; zumeist sind es Berichte und Äußerungen von Jugendlichen selbst, Beobachtungen und Erfahrungen von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen, die in unmittelbarem Kontakt mit arbeitslosen Jugendlichen stehen usw. Dennoch geben die dort genannten Arbeiten ein sehr anschauliches und zugleich bedrückendes Bild der Situation dieser Gruppe. Sie rufen zugleich in Erinnerung, daß das in der Mitte der siebziger Jahre lebhaft öffentlich diskutierte Problem der unversorgten Jugendlichen auch in der Gegenwart keineswegs gelöst ist. Derzeit ist eine steigende Tendenz in der Jugendarbeitslosigkeit festzustellen. Vgl. dazu die ausführliche Analyse bei Hornstein u. a., 1982. Die neueste und gründlichste Aufarbeitung und Darstellung der vorliegenden Forschungsergebnisse zu „neoreligiösen Bewegungen" findet sich bei K. E. Nipkow, Neue Religiosität, gesellschaftlicher Wandel und die Situation der Jugendlichen, in: Z. f. Päd. 27 (1981), S. 379— 402. Auch diese Arbeit zeigt allerdings, daß von einer stringenten wissenschaftlichen Analyse der Entstehungsbedingungen, der Attraktivität und der Gründe für diese Attraktivität für die Jugendlichen keine Rede sein kann — im Unterschied zum angelsächsischen Bereich, aus dem eine Reihe von sehr gründlichen Studien vorliegt. Für den deutschen Forschungsstand scheint im Vordergrund zu stehen die Beschreibung der Phänomene und die Auseinandersetzung damit, zum Teil in sachlicher, zum Teil aber auch in ausgesprochen polemischer Art (Nipkow, a. a. O., S. 378).

  6. Die Rahmenbedingungen, unter denen Jugendberichte erstellt werden, sind für die Einschätzung der äußeren Möglichkeiten nicht ganz unwichtig: Der Kommission gehören jeweils sieben Personen an, die an dem Bericht neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit arbeiten. Sie können Zuarbeiten in Anspruch nehmen seitens des Deutschen Jugendinstitutsund darüber hinaus in einem bestimmten, durch die zur Verfügung stehenden Mittel begrenzten Ausmaß Expertisen und Gutachten anfertigen lassen.

  7. Insgesamt werden im Bericht folgende Problem-lagen behandelt: — Die Situation und Probleme von Kindern in ungünstigen Lebensverhältnissen — Schulversagen — Beruflich-soziale Lebensperspektiven von Jugendlichen — Die Situation von Kindern und Jugendlichen besonders benachteiligter Sozialgruppen — Die Problematik der Partizipationsmöglichkeiten der heranwachsenden Generation.

  8. Im einzelnen konstatiert der Bericht folgende Entwicklungen: - zunehmende Vergesellschaftung der Erziehung im Sinne quantitativer Zunahme öffentlich verantworteter geplanter Erziehung und Zunahme der qualitativen Bedeutung öffentlicher, vergesellschafteter Erziehung; - weiter: zunehmende Instrumentalisierung der Erziehung im Sinne von sozialer Auslese im Zusammenhang mit knapper gewordenen Sozialchancen der heranwachsenden Generation; - die beschriebenen Tendenzen führen zu verschärften Widersprüchen und Spannungen etwa hinsichtlich des Verhältnisses von privater Erziehung und öffentlicher Erziehung, zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem, so daß - um einen Buchtitel zu zitieren - das . Auswachsen in Widersprüchen" (Goodman) zur leitenden Erfahrung wird.

  9. Ganz kurz die Einschätzung der Kommission hinsichtlich der Jugendhilfe. Folgende Punkte werden herausgestellt: - Jugendhilfe hat es mit Folgeproblemen gesellschaftlicher Strukturen und Verhältnisse zu tun, auf die sie selbst kaum einen Einfluß hat; besonders deutlich wird dies etwa da, wo sie mit den Folgen von Schulversagen, mit Folgeerscheinungen verschlechterter Berufs-und Ausbildungschancen und anderem konfrontiert ist. — Der zweite — nach Auffassung der Kommission — immer wichtiger werdende Punkt: Die Konfrontation und Beschäftigung mit derartigen Folgeproblemen ungelöster gesellschaftlicher Probleme hat an Druck zugenommen; dieser Druck macht sich auch in Bereichen bemerkbar, die sich bisher von derartigen Problemen eher distanzieren konnten. Hierher gehört die These von der „sozialpolitischen Inpflichtnahme der Jugendarbeit“. — Schließlich: Dies führt zu einer tendentiellen Überlastung der Jugendhilfe, der sie sich ohne ausreichende Ressourcen gegenübersieht.

  10. Nach der entsprechenden Theorie ist dies die Folge der bereits erwähnten Wandlungen in der frühkindlichen Sozialisation — genauer: die Folge einer ambivalenten Motivation der Mutter dem Kinde gegenüber. Solche Ambivalenz ergibt sich — nach Ziehe— daraus, daß die Beziehungen der Mutter gerade zum sehr kleinen Kind durch eine widersprüchliche Motivstruktur gekennzeichnet sind: Es geht einerseits in diesen Beziehungen um den Versuch der Eigenstabilisierung der Mutter; andererseits wird aber auch unterschwellig Liebesunfähigkeit erfahren. Aus dem erstgenannten Motiv ergibt sich die Funk-tionalisierung des Kindes für die Zwecke der Selbst-stabilisierung der Mutter. Sie drückt sich in übertriebener Fürsorglichkeit aus, die zwar zunächst den narzißtischen Bedürfnissen des Kindes entspricht, aber wegen ihrer Funktion für den psychischen Haushalt der Mutter von ihr auch dann nicht aufgegeben werden kann, wenn für das Kind bei fortgeschrittenem Alter eine andere Form der sozialen Beziehung notwendig wäre. Das Kind erfährt — wiederum nach dieser Theorie — die ambivalente Motivation der Mutter als „narzißtisch traumatisierend". Das Symbiose-Erlebnis als entscheidendes Element dieser Konstellation wird in einer gegen seine Gefährdung geschützten Weise fortgesetzt: nämlich als Rückzug auf die psychische Realität. Damit entstehen in einem von den Prozessen psychischer Reifung abgekoppelten Bereich „archaischnarzißtische Bedürfnisse", die sich als Verlangen nach Verschmolzenheit, nach Auflösungseuphorie, nach Allmacht aufbewahren. Daraus resultiert, so folgert diese Theorie, das Unvermögen der Heranwachsenden, sich mit objektiven Sachanforderungen auseinanderzusetzen. Hieraus erklärt sich, daß die Heranwachsenden das, was ihnen gegenüber-tritt, in höchst selektiver Weise wahrnehmen: nach der jeweiligen Bedeutsamkeit, die die Welt, die Natur, Menschen, Gegenstände für sie haben. Daraus erwächst die Abwehr gegenüber allem, was als Bedrohung dieser Grundbedürfnisse . empfunden wird. Daraus entstehen Rückzug und Aggressivität, also phänomenologisch ganz unterschiedliche Verhaltensmuster. Sie lassen sich dieser Theorie zufolge beide — ebenso wie die Hinwendung zu Drogen, Jugendreligionen oder Rockertum — auf die skizzierte Motivstruktur zurückführen.

  11. Nur am Rande sei bemerkt, daß die angesprochenen Wandlungen auch den Bereich der Moral betreffen: Die traditionelle, bürgerliche Moral, wie sie etwa seit der Aufklärung herrscht, ist die Moral einer „utilitaristischen Wirtschaftsgesellschaft" (M Webe/]. Handle so, so könnte ihr oberstes Prinzip formuliert werden, daß daraus ein möglichst großes Maß allgemeinen wirtschaftlichen Wohls entsteht. Die „postmaterielle" Moral ist im Gegensatz dazu eine Moral der individuellen Selbstverwirklichung im Hier und Jetzt, im Augenblick; sie ist keine Moral langfristig ökonomisch planender, rational vorausschauender wirtschaftlicher Vernunft.

  12. In diesem Zusammenhang sind von besonderem Interesse auch die Analysen zum Wahlverhalten der Jungwähler; sie belegen eindeutig die im Text formulierte Aussage. Die einschlägigen Wahlanalysen sind unter dem hier genannten Gesichtspunkt ausgewertet bei W. Hornstein, Nachbemerkung zum Fünften Jugendbericht, in: ders. u. a., Situation und Perspektiven der Jugend. Problemlagen und gesellschaftliche Maßnahmen. Fünfter Jugendbericht der Bundesregierung, Weinheim & Basel 1982.

  13. Aus der im Text entwickelten Perspektive ergibt sich sicherlich eine weitaus angemessenere Interpretation der heutigen Verständigungsschwierigkeiten zwischen Jugendlichen und Erwachsenen als durch die Annahme eines zeitlos wirksamen und unvermeidlichen Generationenkonflikts. Das Konzept „Wertwandel" erlaubt ziemlich genau, die historisch-konkreten Konfliktlinien zu identifizieren, die in der Gegenwart die „Sprachlosigkeit" zwischen den Generationen hervorrufen. In einer groben Auflistung läßt sich konstatieren, daß sich das Selbstverständnis der Heranwachsenden einerseits und die Erwartungen der älteren Generation andererseits in folgenden Punkten unterscheiden: a) in bezug auf die Zeitstruktur des Jugendalters; für die Jugendlichen ist die Jugendzeit nicht Vorbereitung auf etwas Späteres, wie dies die Erwachsenen weitgehend erwarten, sondern gegenwärtiges, jetzt zu lebendes Leben; b) in bezug auf die Bewertung von Inhalten; aus den im Text herausgestellten Gründen ist für Jugendliche anderes wichtig als für Erwachsene; daraus ergeben sich konkurrierende Bewertungen praktisch hinsichtlich aller Lebensbereiche; c) in bezug auf die Ansprüche des Individuums gegenüber institutionellen Anforderungen? für Jugendliche ist heute charakteristisch ein betont sensibles, von manchen als empfindsam beschriebenes Verhältnis zur eigenen Subjektivität und zum eigenen Ich und eine Abwehr gegenüber institutionellen Zwängen, wie sie etwa im Bildungswesen geltend gemacht werden; dies irritiert die Erwachsenen, weil sie gewohnt sind, genauer: daran gewöhnt wurden, Ansprüche des eigenen Ich weitgehend den Anforderungen der Institutionen unterzuordnen.

  14. In Anlehnung an W. van den Daele/P. Weingart, Resistenz und Rezeptivität der Wissenschaft — Zu den Entstehungsbedingungen neuer Disziplinen durch wissenschaftspolitische Steuerung, in: Zeitschrift für Soziologie 4 (1975), S. 146— 164; ausführlicher habe ich mich zu den im Text dargestellten Problemen geäußert in meinem Beitrag: . Jugendforschung und gesellschaftliche Praxis", in: U. Beck (Hrsg.), Soziologische Theorien in der Gesellschaftspolitik. Göttingen 1981.

  15. Mit besonderer Hartnäckigkeit werden Zielsetzung, Konzept und Vorgehensweise der Kommission ignoriert in den verschiedenen Beiträgen der Zeitschrift „jugendwohl", die sich mit den einzelnen Themenbereichen des Berichts auseinandersetzen. Vgl. Zs. jugendwohl 62 (1981), Heft 4.

  16. In bezug auf die Verbände und Fachorganisationen läßt sich feststellen, daß sie sich vor allem dann und darüber beklagen, daß ihre Arbeit zu wenig gewürdigt wird, daß die positiven Ansätze nicht genügend herausgestellt werden. Sie nehmen den Bericht weitgehend als Jugendhilfebericht, schieben aber gerade die grundsätzliche Frage, in welcher Weise sie sich selbst in ihrer Verfassung und Struktur, den darin wirkenden Formen der Problemwahrnehmung und Definition auf die wirklichen Probleme beziehen, von sich weg. Dies unterstützt natürlich die vorher skizzierten Reaktionsformen der politischen Instanzen. Zum Stichwort „Öffentlichkeit" ist zu bemerken, daß starker öffentlicher Druck durchaus die Barrieren und Einschränkungen der Handlungsformen des politisch-administrativen Systems verschieben könnte. Das war beim Fünften Jugendbericht nicht der Fall; dies hat sicher sowohl äußere wie innere Gründe; zu den inneren gehört die Tatsache, daß zum Zeitpunkt der Vorlage des Berichts das Thema Jugend" nicht mehr und noch nicht wieder „in" war, also keine Konjunktur hatte. Diese war etwa Mitte der siebziger Jahre unter dem Stichwort Jugend als Problemgruppe gewesen, und dann wieder etwa nach der Jahresmitte 1980, als, im September in Zürich beginnend, eine neue Jugend-Bewegung von sich reden machte. Hier wurde Jugend aber anders thematisiert, als dies im Jugendbericht geschah. Deshalb konnte er in dieser Phase auch nicht ohne weiteres ins Gespräch kommen; dazu hätte es einer „Übersetzung" bedurft, die nicht geleistet wurde! Ein Teil des Schicksals dieses Jugendberichts lag darin, daß er zwischen diese beiden Konjunkturen geriet.

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Walter Hornstein, Dr. phil, geb. 1929 in Überlingen/Bodensee; nach praktischer Tätigkeit als Lehrer an Volksschulen und in der Jugendarbeit Studium der Erziehungswissenschaft in Tübingen; 1967— 1977 Direktor des Deutschen Jugendinstituts in München, seit 1977 Prof, für Sozialisationsforschung und Sozialpädagogik an der Hochschule der Bundeswehr in München im Fachbereich Pädagogik; seit 1967 Mitglied in zahlreichen Gremien der Forschungsförderung und wissenschaftlichen Politikberatung (u. a. Vorsitzender der Kommission Fünfter Jugendbericht der Bundesregierung). Veröffentlichungen u. a.: Jugend in ihrer Zeit. Geschichte und Lebensformen des jungen Menschen in der europäischen Welt, 1966; zus. mit W. Schefold, G. Schmeiser, J. Stackebrandt: Lernen im Jugendalter. Ergebnisse, Fragestellungen und Probleme sozialwissenschaftlicher Forschung. Gutachten und Studien der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates, Bd. 54, 1975; Jugend als Problem-Analyse und pädagogische Perspektiven, in: Z. f. Päd. 25 (1979); Jugend — Strukturwandel und Problemlagen, in: Handbuch der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, hrsg. von H. Eyferth, H. U. Otto, H. Thiersch, 1982.