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Gebaute Umwelt und soziales Verhalten Die Bedeutung der gebauten Umwelt für das Zusammenleben der Menschen | APuZ 10/1982 | bpb.de

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APuZ 10/1982 Artikel 1 Gebaute Umwelt und soziales Verhalten Die Bedeutung der gebauten Umwelt für das Zusammenleben der Menschen Wohnungsbau und Wohnungsbaupolitik in der Bundesrepublik Deutschland Haben wir wieder eine Wohnungsnot? Die Situation am Wohnungsmarkt

Gebaute Umwelt und soziales Verhalten Die Bedeutung der gebauten Umwelt für das Zusammenleben der Menschen

Dietrich Sperling

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Gestaltung von Gebäuden und ihre Anordnung und Zuordnung zueinander sind nicht nur Ausdruck von Lebensweise und Kultur einer Gesellschaft, sondern beeinflussen auch das Verhalten der Menschen und ihre Lebensbedingungen. Diesem Wissen um die grundsäfzliche Bedeutung der gebauten Umwelt für die Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens stehen jedoch keine entsprechenden Kenntnisse über Art und Umfang der Auswirkungen und über die Zusammenhänge von gebauter Umwelt und sozialem Verhalten gegenüber. Viele große Massensiedlungen der Nachkriegszeit sind ohne sozialwissenschaftliche Überlegungen und Kenntnisse geplant worden. Eine der häufig vertretenen, aber irreführenden Thesen ist die vom direkten Zusammenhang von Kriminalität und Hochhäusern. „Soziale Tatsachen" haben jedoch immer eine Vielzahl von Ursachen und stehen in verflochtenen Wechselwirkungen. Forschungen haben z. B. ergeben, daß die soziale Integration der Bewohner nicht mit der Wohndichte in einem direkten Zusammenhang steht. Sie ist sowohl bei Hochhäusern als auch bei klassischen Siedlungen aus freistehenden Einfamilienhäusern geringer als im sogenannten verdichteten Flachbau auf kleinen Grundstücken. Auch die Qualität des Wohnumfeldes hat ganz entscheidende Bedeutung für die Bewertung der Wohnverhältnisse. So sind etwa die spezifischen Strukturen alter Wohngebiete für ihre einkommensbenachteiligten Bewohner bei der Bewältigung ihrer sozialen Lage hilfreich. Deshalb sollten bei Sanierungen unvermeidbare Umsetzungen innerhalb des Quartiers vorgenommen werden. Für eine gezieltere und den Bedürfnissen besser entsprechende Städtebau-und Sanierungspolitik ist weitere Forschung unerläßlich. Die Beteiligung der Betroffenen und Nutzer bei Planungsprozessen muß verstärkt werden. Wesentliches Element von Wohnumfeldverbesserungen ist die Verkehrsberuhigung, die Rückgewinnung der Straße als Lebensraum für alle Generationen. Städtebauliche Aufgaben sind heute weitgehend Stadtumbau, Sanierung und Modernisierung als gemeinsame Gestaltung der gemeinsam zu nutzenden Umwelt durch die Bürger.

Unser Leben läuft in verschiedenen Funktionsbereichen ab: Wohnen, Arbeiten (Produzieren, Planen, Verwalten), Einkäufen und Verkaufen, Lernen, Freizeitgestalten, Transportieren von Personen, Gütern und Nachrichten u. a. mehr. Für all diese Zwecke erstellen wir Bauwerke, Gebäude und Verkehrswege, die wir aufeinander beziehen müssen. So entstehen Wohnviertel, Arbeitsstätten und Verkehrsnetze. Die einzelnen Bauten und ihre Zuordnung zueinander ergeben die Stadt oder das Dorf, die Vorstadt oder aber ein beziehungsloses Neben-und Durcheinander. Sie sind Ausdruck einer Lebensweise, entsprechen einem wirtschaftlichen System und einem Macht-und Herrschaftsgefüge, sie repräsentieren eine Kultur (oder deren „Fehlen"). Ob Burg, Schloß, Kirchen oder das Rathaus eine Stadt „beherrschen", oder ob dies Banken, Konzernverwaltungen, Fabriken oder Fördertürme tun — eine geschichtlich gewachsene Lebensweise findet in Bauweisen und der Anordnung der Bauwerke um Straßen und Plätze ihren Ausdruck. Welt-und Menschenbild einer Zeit und die in ihr bestimmenden Kräfte nehmen in Bauten und ihrem hergestellten Zusammenhang Gestalt an.

Aber auch das Verhalten der Menschen wird durch Gebäude und die gebaute Umwelt, in der sie leben, gelenkt, geformt und bestimmt. Ob Kinder ein eigenes Zimmer haben, ob dies

Wir wissen zu wenig über die Auswirkungen der gebauten Umwelt auf das menschliche Verhalten

Unserem Wissen um die grundsätzliche Bedeutung der gebauten Umwelt für die Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens stehen jedoch keine entsprechenden Kenntnisse über Art und Umfang der Auswirkungen und über die Zusammenhänge von gebauter Umwelt und sozialem Verhalten entgegen.

Aber bereits unsere Alltagserfahrung sagt uns, daß zu kleine, zu enge und zu laute Wohnungen nervenstrapazierend, die Entfaltungsmögzu klein ist, um darin zu spielen, das Wohnzimmer zu fein ist für das Kinderspiel — dies bedeutet etwas für das Miteinander von Kind und Eltern und für das Aufwachsen der Kinder. Doch nicht nur das Wohnen hinter der Haustür ist bedeutsam für das menschliche Verhalten, auch die ge-und bebaute Umwelt der Wohnung ist bestimmend, das Wohnumfeld, die Nachbarschaft, die Siedlung, das Stadtquartier, die ganze Stadt und ihre Lage im Umland zur Landschaft und Natur. Dies alles ermöglicht oder verhindert, bestimmt aber auf jeden Fall Verhaltensformen und Lebensweisen der hier wohnenden Menschen.

Die Art der Zuordnung der verschiedenen „Funktionen" zueinander kann die tägliche Orientierung für den einzelnen einfach und übersichtlich machen; sie kann aber auch Mühsal erfordern, viel Zeit verlangen, viele Kenntnisse und viel Streß, um sich zurechtzufinden. Die bewußte oder vernachlässigte Gestaltung der gebauten Umwelt wirkt sich also'in den Menschen und in ihrem Zusammenleben aus. Wohnungsgröße, Wohnungslage und ihre Zuordnung zu den anderen Bereichen spielen eine erhebliche Rolle. Diese reicht von dem Kontakt der Menschen untereinander über die psychischen Bedingungen des einzelnen bis zum physischen Wohlbefinden und zur Gesundheit des Menschen. lichkeiten des einzelnen beeinträchtigend und der allgemeinen Zufriedenheit abträglich sind. Wir wissen auch, daß die Möglichkeiten des einzelnen, in solchen Wohnungen oder im Wohnumfeld solcher Wohnungen Gestaltungen nach eigenen Wünschen und Vorstellungen vorzunehmen, so gut wie nicht vorhanden sind. Wir können aber nur ahnen, welche physischen und psychischen Probleme durch diese Bedingungen verursacht werden. Als der Wiederaufbau unserer Städte und die Wachs-3 tumseuphorie der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg überall zu großen Veränderungen in den gewachsenen Strukturen geführt haben, war für die meisten, die diese Veränderungen durchführten, und für die, die von diesen Veränderungen betroffen waren, nicht erkennbar, welche sozialen Auswirkungen dies haben würde. Die Planung und Gestaltung vieler großer Massensiedlungen und „seelenloser" Vorstädte geschah ohne sozialwissenschaftliche Überlegungen und Kenntnisse.

Die Klagen über die Folgen und eine Diskussion über die städtebaulichen und wohnungspolitischen Zielvorstellungen setzten erst später ein. Sie haben zu einer Ausweitung und Intensivierung sozialwissenschaftlicher Forschung über Wohnbedürfnisse und Ansprüche der Menschen an ihre gebaute Umwelt geführt. Dieser Zusammenhang ist lange vernachlässigt worden. Einige der Ergebnisse dieser Forschung möchte ich in den folgenden Abschnitten ansprechen.

Kurzschlüsse: Das Beispiel Kriminalität und Hochhäuser

Angesichts des Mangels an wissenschaftlichen Arbeiten ist es mancher Kritik sehr leicht gefallen, Probleme, Fehlentwicklungen und auch das latent immer vorhandene Unbehagen an einer hochindustrialisierten Gesellschaft sehr vordergründig mit den Folgen einer verplanten und verbauten Umwelt zu begründen. Eine dieser häufig vertretenen und irreführenden Thesen ist die, daß hohe Dichte und Eintönigkeit der Bebauung für Kriminalität und Gewalt verantwortlich seien. Dahinter steckt die Annahme von einem direkten und ungebrochenen Zusammenhang von der Größe bestimmter Baukörper mit bestimmtem menschlichen Verhalten. Für eine solche Annahme spricht die Alltagserfahrung von Polizisten in bestimmten Wohngebieten und vielleicht auch mancherlei Statistik. Dennoch ist zu fragen: Hängt das Entstehen und das Ausmaß von Kriminalität tatsächlich von der Anzahl der Geschosse ab? Wäre dies richtig, müßten in New York in den Appartementhäusern der Reichen Verbrechen im gleichen Umfang auftreten wie in den Wohnsilos der Armen. Dieser Hinweis zeigt bereits, daß nicht einfach die Zahl der Stockwerke entscheidend ist. Sie wird vielmehr nur wirksam als Siedlungsform mancher sozialer Gruppen, die in unserer Gesellschaftsform in bestimmte Hochhausviertel abgedrängt und auf diese als eine Art Getto verwiesen werden. Es sind also nicht einfach der Baukörper oder die Siedlungsform des Hochhauses, die die Bewohner anfällig machen. Es ist vielmehr das soziale Milieu, das auf Wohnformen angewiesen ist, die die Kriminalität begünstigen.

Aber auch die These, daß Hochhäuser nur der Ort, nicht aber die Ursache der Verbrechens-entstehung sind, wäre eine unzulässige Vereinfachung: Falls auch andere Tatsachen und Voraussetzungen vorhanden sind, kann das Leben in einem entsprechenden Hochhausmilieu mit-ursächlich für das Auftreten von Kriminalität sein.

Wohl die meisten „sozialen Tatsachen" haben eine Vielzahl von Ursachen, die wiederum in einem Zusammenhang in sich verflochtener Wechselwirkungen stehen. Einseitige Betrachtungen sind darum meist falsch. Auch ein an der Oberfläche auffällig sichtbares Nebeneinander bestimmter Tatsachen (Hochhaus und Kriminalität) sagt noch nichts aus über das Verhältnis von Ursache und Wirkung.

Bei Untersuchungen von Newmen und Gillis (siehe Literaturübersicht im Anhang) über die Verbrechenshäufigkeit in verdichteten Wohngebieten hat sich ergeben, daß soziales Fehlverhalten und Kriminalität nicht so sehr durch die vielen Menschen auf engem Raum, sondern in den untersuchten Fällen vor allem durch die vielen unkontrollierten, schwer zu überwachenden Korridore und Nischen der Hochhäuser begünstigt wurden. Es waren also bestimmte Gestaltungsprinzipien der Hochhäuser — und nicht die Hochhäuser selbst —, die günstige örtliche Bedingungen für bestimmte Straftaten geboten haben. Die Frage bleibt offen, ob diese Straftaten bei Fehlen dieser Bedingungen nicht an einem anderen Ort begangen worden wären.

Bei der Frage nach dem Zusammenhang von gebauter Umwelt und menschlichem Verhalten muß also vor Vereinfachungen gewarnt werden. Andererseits soll dadurch die Wirkung von Bauwerken und ihre Zuordnung auf unser Verhalten nicht in Zweifel gezogen werden. Kurzschlüssig ist dabei auch der Glaube an menschliche Naturkonstanten: Menschliche Bedürfnisse wandeln sich im Laufe der GeB schichte. Was früher überflüssig war und unmöglich erschien, nämlich jedem Kind ein eigenes Zimmer zu verschaffen, gilt heute als nahezu selbstverständliche Notwendigkeit. Das Lernen für andere Berufe, als die Eltern sie ausübten, in anderen Schulen und mit an-deren Mitteln, als die Eltern sie kannten — all das macht für den Lernenden das eigene Zimmer notwendig. Wer es nicht hat, muß an dem Mangel leiden, auch wenn die menschliche „Natur" den eigenen Raum nicht erfordert; unsere Gesellschaft tut es.

Was die Forschung bisher erbracht hat

Es gibt Theorien, die Architektur und Stadtgestaltung an menschlichen „Bedürfnissen" orientieren wollen, die sie an dem Beispiel bestimmter Tierarten gewonnen haben. So gibt es die Annahme der „biologisch" festgelegten Lebensräume und notwendigen Mindestabstände (Fluchtdistanz). Aus der Raumbindung von Tieren ist dann auf die Raumbedürfnisse von Menschen geschlossen worden. Auch dies halte ich im Ansatz schon für kurzschlüssig: Sollen wir unser Menschenbild eher an dem sein Revier durch Gesang markierenden und verteidigenden Zaunkönig oder am Hühnerstall und seiner Hackordnung anlehnen?

Statt allzu einfacher Ableitung von Bedürfnissen sollten wir behutsamer nach den Bedingungen fragen, welche die Umweltgestaltung für menschliches Zusammenleben und damit das Verwirklichen von Wertvorstellungen gesetzt hat und setzt.

In extremen Wohnsituationen mit einer starken Überbelegung der Räume sind Störungen des menschlichen Zusammenlebens unbestreitbar. Die Spannbreite der Folgen reicht von Apathie bis zu ungesteuerter Aggressivität. Andererseits wird von vielen Forschern die Frage nach den Wirkungen von Dichte und Enge trotz einer Vielzahl empirischer Studien noch als weitgehend offen betrachtet. Die Befunde über die Zusammenhänge von Wohndichte und physischen wie psychischen Krankheiten und sozialer Desorganisation sind bei genauer Betrachtung nicht eindeutig. Die Häufigkeit solcher Phänomene ist zwar in bestimmten geographischen Gebieten, etwa innerstädtischen Slums und Gettos, oft höher als in anderen Gebieten. Doch existiert in diesen Gebieten zugleich auch eine Häufung von vielen anderen, wirtschaftlichen, sozialen und personalen Belastungen, die einen eigenen Einfluß auf pathologisches Verhalten haben. Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß nicht Dichte allein zu Streßwirkungen führt, sondern das zumindest einige soziale und personale Faktoren hinzutreten müssen, damit Dichte als Belastung und Streß wirksam wird. Allerdings erfordert die Dichte von vornherein mehr Disziplin, mehr Regelungen und Organisation, also auch mehr Kontrolle.

Aufschlußreich für die städtebauliche Planung scheinen zum Beispiel Untersuchungen zu sein (Amick und Kviz 1974), bei denen niedriggeschossige Wohngebiete und Hochhausgebiete hinsichtlich des Grades an Entfremdung bzw. sozialer Integration der Bewohner miteinander verglichen wurden. Als Indikator für Entfremdung und Integration sind in diesen Studien Befragungsdaten benutzt worden, aus denen sich schließen ließ, in welchem Ausmaß die Bewohner glaubten, auf die Verhältnisse in ihrem engeren Wohnbereich selbst aktiv Einfluß nehmen zu können. Das Ergebnis: Es ergab sich eine erheblich stärkere Entfremdung und geringere Integration unter den Hochhausbewohnern als unter den Bewohnern verdichteter Flachbausiedlungen, während die Bewohner von sehr locker bebauten Siedlungen aus freistehenden Familienhäusern ebenfalls relativ hohe Entfremdungswerte aufwiesen.

Es hat sich gezeigt, daß die soziale Integration unter den Bewohnern abgenommen hat, je mehr Wohngeschosse übereinander gestapelt waren. Umgekehrt war die Integration in Gebieten mit gleicher Wohnungsdichte um so größer, je dichter die Grundstücke bebaut waren, also je geringer der Abstand zwischen den einzelnen Gebäuden war.

Der „verdichtete Flachbau", bei dem Geschoßzahl und Wohnungsdichte relativ niedrig und zugleich die bauliche Grundstücksausnutzung hoch ist, hat sich also als wesentlich integrationsfördernder erwiesen als die traditionelle Siedlung aus freistehenden Einfamilienhäusern. Ebenfalls von Interesse sind Untersuchungen über architektonische Formen. Desor (1972) hat durch Experimente mit Modellräumen herausgefunden, daß durch die drei architektonischen Elemente Raumteiler, Zahl der Türen und Dimensionierung das Erscheinungsbild eines Raumes als „beengt" stark manipuliert werden kann. In rechteckigen, mehrfach unterteilten Räumen, mit wenigen Türen in den Raumteilern, konnten mehr Leute unbeengt Platz finden als in quadratischen, nicht unterteilten Räumen oder in unterteilten Räumen mit vielen Türöffnungen.

Damit wurde wie in anderen Untersuchungen das bestätigt, was jeder Architekt weiß und berücksichtigen sollte: Es kommt nicht auf die reine Quadrat-oder Kubikmeterzahl eines Raumes an, sondern auf Abstände und Dimensionen, auf Material und äußere Gestaltung.

Manche Wissenschaftler gehen soweit und sagen: Die Wahrnehmung einer räumlichen Situation als eng und dicht muß keineswegs mit einem „Sich-beengt-Fühlen" gekoppelt sein. Viele Untersuchungen der hier genannten Art sind allerdings ursprünglich von beobachtetem Tierverhalten unter ähnlichen, räumlich stark beschränkten Bedingungen ausgegangen. Neuere Forschung geht davon aus, daß der Mensch in jeder Situation versucht, seine Umwelt so einzurichten, daß sie ihm ein Maximum an Wahlfreiheit bietet. Teilt man diese Ansicht, dann sollte die gestaltete bauliche Umwelt des Menschen nicht nur jeweils zu einem Zweck nutzbar, sondern so beschaffen sein, daß sich Menschen frei bewegen und orientieren und veschiedene Nutzungsansprüche verwirklichen können. In diesem Sinne wären dann Dichte und Enge kein Problem des notwendigen Fluchtabstandes, sondern vielmehr auch unter dem Aspekt der Kommunikation und der verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten zu betrachten.

Sich „Wohlfühlen" in der Wohnung und in ihrem Umfeld setzt Vertrautheit voraus. Die berühmten Tante-Emma-Läden boten noch die Möglichkeit, eine persönliche Beziehung zwischen Verkaufendem und Einkaufenden zu entwickeln. Die Selbstbedienungssupermärkte am Stadtrand wirken da in eine andere Richtung. Wenn die Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und zur Kommunikation als notwendige Grundlagen von Solidarität eingeschränkt werden, trifft dies zuerst die Kinder, die Alten, dann aber auch die Erwachsenen.

Viele Wohnquartiere bieten einen gleichartigen Anblick und besitzen keine Stätten des gemeinsamen Erlebens ihrer Bewohner mehr. Sie haben damit auch keine „Unverwechselbarkeit" gegenüber anderen Wohnquartieren. Wie sollen da Gemeinschaftsgefühl und Gefühle für die Straße, das Viertel oder die Stadt entstehen? Solche äußeren Umstände tragen zur Gleichgültigkeit bei, sie verhindern Aktivität, Beteiligung und Solidarität.

Wo die sinkende Qualität des Wohnumfeldes die Bürger in die „eigenen vier Wände" treibt, leiden auch die Gemeinsamkeit und die Gemeinschaft. Solche Fragen stellen sich nicht nur bei neuen Siedlungen, sondern ganz besonders dringend bei Sanierungen, bei dem Versuch, alte Wohngebiete zu erhalten oder zu verbessern. Die Interpretation des dazu vorliegenden Materials ist jedoch schwierig. In Studien über die soziale Lebenswelt in alten Wohnquartieren und über Reaktionen auf Verluste der gewohnten Umgebung und über Anpassungsprobleme „umgesetzter“ Haushalte wird klar, daß wirtschaftliche, soziale, psychische und auch räumliche Faktoren eng miteinander verknüpft sind. Fest steht jedoch: Die spezifischen Strukturen alter Wohngebiete sind für ihre einkommensbenachteiligten Bewohner bei der Bewältigung ihrer sozialen Lage hilfreich. Als Antwort auf die materiell hinderlichen Bedingungen (niedriges Einkommen, schlechte Wohnungsversorgung) wird in solchen Gebieten oft ein emotionales, subkulturrelles Beziehungssystem entwickelt, das zum „sozialen Besitz" der Bewohner gehört. Dies erklärt den Widerspruch, daß mit der baulichen Sanierung und Verbesserung solcher Viertel eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Bewohner eintreten kann, wenn nur eine bauliche Verbesserung der Wohnungssituation angestrebt wird.

Deshalb läßt sich für die sozial benachteiligten Bewohner solcher Viertel feststellen: Das Wohngebiet ist vor allem der Ort wichtiger sozialer Beziehungen. Sie helfen die anderen Benachteiligungen auszugleichen.

Mit der sozialen Einbindung in das Wohngebiet nehmen die Bewohner in ihrem Erleben der räumlichen Umwelt eine Reihe von Grenzziehungen vor, deren Durchlässigkeit mit zunehmender Entfernung von der eigenen Wohnung abnimmt. Als die eigentliche Heimat wird von den meisten Bewohnern nur ein relativ kleiner Bereich um die Wohnung herum erlebt. Trotzdem haben sie in den meisten Fällen auch ein Gefühl der Vertrautheit mit dem übrigen Gebiet. Hingegen werden Bereiche außerhalb des Wohngebietes als eine andere Welt erlebt. Zahlreiche Kristallisationspunkte im Wohngebiet wie Läden und Handwerksbetriebe in städtischen Quartieren mit massiertem Mietwohnungsbau sowie Gärten, Ställen, Schuppen und halböffentlichen Zonen in alten Siedlungen mit mehr Freiflächen begünstigen den Aufenthalt im Freien und erleichtern zwanglose Kontakte.

Geringer Planungshorizont, geringe Lebens-perspektiven sowie Unsicherheit gegenüber der Außenwelt führen bei Bewohnern mit niedrigem sozio-ökonomischen Status dazu, daß sie in besonderem Maße auf äußere Stabilität, auf gewohnheitsmäßiges Verhalten und feste Orientierung nicht zuletzt auch in ihrer räumlichen Umwelt angewiesen sind. Die Vertrautheit mit dem umgebenden Raum verleiht ein Gefühl räumlicher Identität, das bei Verlust des Wohngebietes zerstört wird.

Aus diesen Untersuchungsergebnissen ergeben sich die praktischen Schlußfolgerungen:

Bei Sanierungen sollten die notwendigen „Umsetzungen" innerhalb des Quartiers vorgenommen werden. Eine unter Umständen notwendige . Ausquartierung“ sollte möglichst kurz sein. Wenn ein Verbleiben im gewohnten Quartier nicht möglich ist, sollte der neue Wohnort in einem Quartier mit ähnlicher Struktur liegen. Das Erhalten bestehender Hausgemeinschaften oder Bekanntenkreise sollte, wenn es gewünscht wird, möglich sein.

Es besteht weiterer Forschungsbedarf

Es mangelt uns noch immer an Grundlagen-wissen über psychische Krankheiten, ihre räumliche Verteilung und den Einfluß der Wohnbedingungen auf sie. „Harte“ Aussagen dazu zu erarbeiten, ist aufgrund der vielen Bedingungen, die hier eine Rolle spielen, sicherlich sehr schwierig. Andererseits neigen Architekten und Ökonomen noch oft dazu, soziologische, psychologische und auch medizinische Erkenntnisse mit leichter Hand abzutun. Die einen bauen, die anderen finanzieren — und die ökonomischen Zwänge sind heute so groß, daß im Spannungsfeld zwischen Bauen und Finanzieren alle anderen Gesichtspunkte nur als störend empfunden werden. Dennoch glaube ich, daß hier noch viele Fragen wissenschaftlich angegangen werden müssen, wenn wir die Lebensbedingungen in den Wohnungen und ihrem Umfeld nicht nur statistisch, sondern vom Lebensgefühl der Bewohner her verbessern wollen. Dies betrifft nicht nur die Grundsatzfragen (was sind eigentlich genau „gesunde Wohnbedingungen“?), sondern auch Fragen, die sich an der veränderten Aufgabenstellung der Städtebaupolitik orientieren müssen. Welche Probleme sich u. a. bei der verstärkten Hinwendung zur Erhaltung vorhandener Substanz stellen, ist im letzten Abschnitt angeklungen.

Es ist z. B. immer noch schwierig, für alte Wohngebiete Bestandserhaltungsziele zu formulieren, die an der Geschichte des Gebietes und der Lebenswirklichkeit seiner Bewohner anknüpfen.

Einen wichtigen Stellenwert nehmen im Rahmen der Klärung dieser Fragen auch Modell-baumaßnahmen und praktische Experimente ein. Sie sind notwendig, wenn die öffentlichen Hände bei ihren Maßnahmen gezielter und den Bedürfnissen der Betroffenen angepaßter handeln sollen.

Menschliche Wohnungsbedingungen und die Politik

Die Demokratie beruht auf der Freiheit des einzelnen, sie braucht die Solidarität im Miteinander dieser einzelnen und kann nur bestehen, wenn Gerechtigkeit bei der Verteilung von Vor-und Nachteilen, von Gütern und Lasten besteht. Wirklichkeit werden diese Werte nicht in Paragraphen, sondern nur in sozialen Abläufen, die für alle nicht durch Duldung der Herrschaft anderer, sondern nur unter Beteiligung an der Machtausübung durch alle gesichert werden.

Dies bedeutet: Jeder einzelne muß die Fähigkeit zum Mitgestalten erwerben. Individualität und Bereitschaft zum Miteinander sind nicht „Naturgaben", die mit der Geburt erworben sind. Sie sind bestenfalls Anlagen, die durch Lernen entfaltet werden können, oder Fähigkeiten, die erworben werden.

Deshalb muß unsere Frage lauten: Sind Wohnungen und ihr Umfeld unter heutigen Bedingungen ein günstiger Lernort für Selbstentfaltung und ihre Verwirklichung im Miteinander? Sind sie es nur für die eigene vermeintlich Freiheit oder auch für die Freiheit der anderen?

Der Wohnwunsch der meisten Bürger geht heute nach einem Einfamilienhaus mit eigenem Garten. Dies wird nicht nur als ein Zug in eine „eigene", sondern auch in eine scheinbar selbst geplante und gestaltete Umwelt angesehen.

Grundriß und Umfeld einer Mietwohnung entziehen sich der Gestaltung durch ihre Benutzer. Ein Mieter kann sich seine Wohnung nur durch Möblierung zu eigen machen; denn Bau-7 herr ist ein anderer, den die Nützlichkeit des Grundrisses für menschliches Leben weniger interessiert als die rentierliche Vermietbarkeit. Wer die Gestaltungskraft von Menschen herausfordern will, muß Unfertiges anbieten. In noch veränderbaren Baukörpern ist wirklich Lernstoff für die Selbstverwirklichung enthalten. Dieser Forderung nach Flexibilität wird häufig die geringe Zahl der erfolgten Veränderungen in den Versuchsbauten entgegengehalten. Doch zeigt die Beobachtung über längere Zeiträume hinweg ein erhebliches Maß an Umbau innerhalb der Wohnung, vorausgesetzt, die Zahl der Quadratmeter und die Zahl der Nutzer lassen eine unterschiedliche Gestaltung des Grundrisses überhaupt zu.

Daß der Zustand kleiner Wohnungen auch bei flexibler Bauweise wenig verändert wird, ist kein durchschlagendes Argument gegen die Forderung und Förderung der von ihren Nutzern gestaltbaren Wohnbauten. Ich glaube, daß so manche Kritik hier vom (legitimen) Standesinteresse der Architekten genährt wird.

Im Wohnungsbau gibt es seit einiger Zeit alternative Konzepte, die versuchen, den Bewohnern Handlungsspielräume zu schaffen und Möglichkeiten bei der Gestaltung und Nutzung ihrer Wohnung einzuräumen. Diese Vorstellungen haben das Ziel, durch eine Beteiligung der Bewohner am Planungs-und Bauprozeß bestimmte typische Mängel zu mildern oder zu vermeiden und die Eigeninitiative und den Erfindungsreichtum der Bewohner anzuregen. Die Beschränkungen liegen beim Mietwohnungsbau auf der Hand: Sie liegen in der nicht veränderbaren Größe der Gesamtfläche der Wohnung und in der relativ geringen Zahl möglicher Grundrißvarianten.

Zum anderen gibt es Überlegungen zur Planungsbeteiligung, wie sie von einigen Planern und Initiativgruppen entwickelt worden sind. Es hat sich gezeigt, daß innerhalb eines begrenzten Rahmens die von den Planern und den künftigen Bewohnern gebildeten Initiativgruppen in der Lage sind, eigene Pläne zu entwickeln (Beispiel: Wohnmodell Steilshoop in Hamburg).

Die Entwicklung der flexiblen Wohnungsgrundrisse ist auch durch zwei Wettbewerbe („flexible Wohnungsgrundrisse" und „Elementa 72") vom Bundesbauministerium gefördert worden. Beide Konzepte — die Beeinflussung der Planungsmaßnahmen durch Nutzer-Initiativgruppen und die Verbesserung der Verfügungsmöglichkeiten innerhalb der Wohnung bei Bauten mit flexiblen Wohnungsgrundrissen — sind als erste Schritte zur Erweiterung der Handlungsspielräume der Bewohner zu sehen.

Der heute 50jährige kann sich noch an seine Kindheit erinnern: Er spielte — auch in der Stadt — auf Straßen mit nur wenigen fahrenden und noch weniger abgestellten Autos.

Zwar waren damals weder ein eigenes Zimmer und noch nicht einmal immer ein eigenes Bett für Kinder die Regel, aber dem Spiel außerhalb der Wohnung waren im Vergleich zu heute wenig Grenzen gesetzt. Besonders angelegte Spielplätze, die sich Kinder mit den Hunden teilen müssen, waren nicht notwendig.

Man fragt sich, ob sie heute ersetzen können, was der motorisierte, stehende und fließende Verkehr den Kindern als Spielraum weggenommen hat. Welche Abenteuer können Kinder in unserer Umwelt noch bestehen, ohne den Eltern wegen Gefährdung im Straßenverkehr oder durch Störung von Nachbarn Angst, Sorge und Ärger zu bereiten? Sind dies die Lernbedingungen für später selbstbewußte und rücksichtsvolle Menschen?

Die Niederländer haben mit dem Bau und der Anlage von „Wohnhöfen" statt Durchfahrtsstraßen mit Wohnbebauung einen anderen Weg gewiesen. Der Umbau und die Umgestaltung von Straßen unter Beteiligung der Anwohner haben diesen „Raum“ der einseitigen Nutzung durch den Autoverkehr entzogen und ihn als sozialen „Erlebnisraum" für alle Generationen zurückgewonnen. „Verkehrsberuhigung" führt zur gleichberechtigten Nutzung der Straße durch alle „Verkehrsteilnehmer" und verlangt damit gegenseitige Rücksichtnahme — vorrangig aber gegenüber dem Schwächeren.

Solche verkehrsberuhigten Straßen bieten vor allem den Kindern einen größeren Erlebnisbereich, als er in den begrenzten Möglichkeiten einer Mietwohnung zur Verfügung steht. In solchen Straßen können Kinder wieder ganz selbstverständlich die soziale Vielfalt eines städtischen Lebensraumes kennenlernen. Es werden die Voraussetzungen verbessert, auf natürliche Weise mitmenschliches Verhalten bis hin zur gegenseitigen Rücksichtnahme und vielleicht sogar bis hin zur Solidarität mit Schwächeren „einzuüben". Hier lassen sich leichter Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und zur Kommunikation als eine notwenige Voraussetzung von gegenseitigem Verständnis finden.

Auch in der Bundesrepublik ist das Interesse an Maßnahmen der Verkehrsberuhigung sprunghaft angestiegen. Die Anregungen sind von vielen Gemeinden mit großem Engagement aufgenommen worden, gelegentlich hat auch das Engagement der Bürger das Inter-B esse der Gemeinde unterstützt. Durch eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes sind mittlerweile die rechtlichen Voraussetzungen zur Einführung von verkehrsberuhigten Wohnbereichen verbessert worden.

Es wird in den kommenden Jahren eine bedeutende Aufgabe der Städtebaupolitik bleiben, den Handlungsspielraum und den Erlebnisbereich im Wohnumfeld für alle Bewohner zu steigern. Zu diesem Problemkreis gehört nicht nur die Verkehrsberuhigung, sondern auch eine intensive Grün-und Freiflächenplanung. Restflächen mit „Dekorationsgrün", die bei der ökonomisch ausgerichteten Flächen-nutzung übrig bleiben, können schon aus ökologischen Gründen nicht genügen. Es müssen zusammenhängende Freiflächenkonzepte entwickelt werden, die allen Bürgern mehr „Freiraum" bieten. Gerade bei dem behutsamen Umbau bisher benachteiliger, Altstadtquartiere hat die Schaffung von Freiflächen große Bedeutung für die Verbesserung des Wohnumfeldes. Ein weiterer Problembereich: In unseren Städten nimmt die „soziale Segregation", die „soziale Entmischung" zu. Die Gruppen unserer Gesellschaft rücken auseinander: Studenten, ältere Menschen, Gastarbeiter wohnen in anderen „Quartieren" als die erwerbstätige Mittelschicht mit ihren (wenigen) Kindern. Krankenhäuser haben Krankheit, Geburt und Tod aus der Lebensumwelt von Kindern verbannt, das Auseinanderrücken von Arbeitsplätzen und Wohnungen ließ die Berufstätigkeit der Eltern unsichtbar werden. Für ihr Lernen gibt es besondere Stätten: Kindergärten und Schulen. Kinder lernen weniger als früher durch eigenes Erleben andere soziale Gruppen und andere Lebenssituationen kennen. Die gebaute Umwelt engt also den sozialen Erfahrungsspielraum der Kinder sehr stark ein — nicht nur aus diesem Grunde ist eine Gettobildung jeder Art problematisch.

Die Wohn-und Erlebnisqualität von Städten hat in den letzten Jahren zunehmend mehr öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Diese Aufmerksamkeit hat die politische Bedeutung der Probleme erhöht. Nachdem der Wohnungsmangel für die überwiegende Mehrzahl der Bundesbürger als überwunden gelten kann, erhält die Baupolitik neue Themen:

Stadtumbau, Sanierung und Modernisierung. Wir wissen, daß wir nicht für ein geschlossenes Weltbild, nicht für unbefragte absolute Herrschaft, nicht für unwandelbare Sozialverhältnisse Bauwerke und Stadtgefüge planen, sondern daß für eine vorhandene Wohnwelt, ihr Umfeld und für die Verkehrswege zu den anderen Stätten, zur Erfüllung lebenswichtiger Funktionen „Umbau" betrieben werden muß. Das Wuchern der klassischen Einfamilienhaussiedlungen ist keine wirtschaftlich und ökologisch tragbare Lösung. Die Städte, in denen die Eigenheimer der Vorstädte nur Arbeitsleistung gegen Einkommen und dieses gegen Waren und Dienstleistungen tauschen, gehen an dieser Entwicklung zugrunde.

Stadtumbau für besseres Wohnen steht auf der Tagesordnung. Er erfordert sicher auch neue Paragraphen im Verkehrsrecht — aber er braucht dringlicher als Paragraphen die Bereitschaft der Bürger, in den verbliebenen Wohnvierteln in gemeinsamen Anstrengungen an der Umgestaltung ihrer alltäglichen Lebensumwelt mitzuwirken, so daß sie wohnlicher und anziehender wird.

In diesem Zusammenhang hat auch das „Stadthaus" seine Funktion. Ich glaube, daß die Idee des verdichteten Bauens von individuell gestalteten Einfamilienhäusern auf kleinen Grundstücksflächen in den innerstädtischen Bereichen sich weiter durchsetzen wird. Das Stadthaus ist sicherlich keine Patentlösung, aber die positiven Erfahrungen, die im Ausland und auch schon in der Bundesrepublik mit diesem Konzept gemacht worden sind, sprechen dafür, daß durch das Stadthaus auch das Wohnen von Familien mit Kindern innerhalb der Stadt wieder attraktiv werden könnte.

Die Erhaltung alter Gebäude ist dabei nicht nur Nostalgie: Runzeln im Antlitz der Straße, in der man zu Hause ist, machen die-Eigenart, das Unverwechselbare aus. Betonwände und Fensterreihen bringen nicht die Unterscheidbarkeit, die ein „Heimatgefühl" braucht.

Sich heimisch machen in den Städten können die Bürger nur selbst. Bürgerbeteiligung muß daher großgeschrieben werden. Die aufmerksamen Stadteltern schaffen die Möglichkeit, daß die Wohnenden sich auch das Wohnumfeld zueigen machen. Dies geht allerdings nicht, wenn es nur im wesentlichen Abstellund Bewegungsfläche für Autos ist. Wo Nachbarn vor allem nur lernen, einander im Verkehr auszuweichen, wo das eigene Auto unvermeidlich Vorrang vor dem fremden Kind hat, sind die Voraussetzungen für das Leben in demokratischen Werten deshalb leicht zu verbessern, weil sie derzeit so schlecht sind. Es ist keine Autofeindlichkeit, wenn man meint, daß menschliches Miteinander eher wächst, wo dem motorisierten Verkehr sein Vorrang genommen wird. Straßen haben früher in Städten und Dörfern soziale Funktionen erfüllt, die dann von einem Verkehr verdrängt wurden, den ein „autogerechter Straßenbau" auch noch verstärkt und beschleunigt hat. Die pluralistisch angelegte Wertordnung der Demokratie braucht nicht so sehr repräsentative Bauten. Sie braucht die Vielzahl einzelner Bürger, die nicht für ihren Rückzug ins Private bauen, sondern die eine nur gemeinsam zu nutzende Umwelt gemeinsam gestalten lernen. Städtebaupolitik — kommunal wie bundesweit — muß dafür die Rahmenbedingungen setzen.

Übersicht der ausgewählten Literatur

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Sozialplanung und Stadterneuerung. Analyse der kommunalen Sozialplanungspraxis und konzeptionelle Alternativen, Göttingen Hole, V. (1959): Social Effects of Planned Rehousing, in: Town Planning Review 30, 161— 173 Iben, G. (1971): Menschen unterm Planquadrat. Sozialpolitische und sozialpädagogische Aspekte der amerikanischen Stadterneuerung, München Kasl, StV. (1974): Effect of Housing on Mental and Physical Health, in: Man-Environment Systems 4, 207— 226 Kruse, L. (1975): Crowding. Dichte und Enge aus sozialpsychologischer Sicht, in: Zeitschrift für Sozialpsychologie 6, 2— 30 Mühlich-Klinger, L/Kröning, W. /Brackrock, B.

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Fussnoten

Weitere Inhalte

Dietrich Sperling, Dr. jur., geb. 1. März 1933 in Sagan (Schlesien); seit 1969 Mitglied des Deutschen Bundestages für die SPD; seit Febr. 1978 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zahlreiche Buchbeiträge und Zeitschriftenveröffentlichungen.