Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Gegenwärtige Sicherheitsprobleme in Nordeuropa Das „Nordische Gleichgewicht“ und seine Bedingungen | APuZ 37/1982 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 37/1982 Artikel 1 Gegenwärtige Sicherheitsprobleme in Nordeuropa Das „Nordische Gleichgewicht“ und seine Bedingungen Die eigenwilligen Nordeuropäer: Dänemark und Norwegen Finnland nach Kekkonen -Kontinuität oder Wandel?

Gegenwärtige Sicherheitsprobleme in Nordeuropa Das „Nordische Gleichgewicht“ und seine Bedingungen

Nils Andren

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das gegenwärtige nordische Sicherheitssystem entstand nach dem zweiten Weltkrieg in Verbindung mit der Herausbildung zweier rivalisierender Machtblöcke in Europa. Sowohl Norwegen und Dänemark als auch Island entschieden sich für eine atlantische Lösung als NATO-Mitglieder, während Schweden seine traditionelle Neutralitätspolitik fortsetzte. Finnland versuchte einen ähnlichen Weg einzuschlagen, der jedoch auf den Grundsätzen der Freundschaft, Kooperation und gegenseitigen Hilfe mit der Sowjetunion basierte. Eine wichtige Charakteristik dieses nordischen Sicherheitsmodells war auch, daß Dänemark und Norwegen eine Zugehörigkeit zur NATO zu Minimalkonditionen erreichten, indem sie es ablehnten, einer dauerhaften Stationierung von alliierten Truppen und Atomwaffen auf ihrem Territorium in Friedenszeiten zuzustimmen. Ein Entspannungsgebiet wurde vor der Ära der Entspannung in einer Art und Weise geschaffen, für die die Grundlage die positive Supermachtsanerkennung der von den nordischen Ländern angenommenen Rollen war. Dieser Aufsatz behandelt die wechselnden Bedingungen des nordischen Sicherheitsmodells: Die Probleme, die aus den jüngsten Ereignissen entstanden, die heutige Sicherheitspolitik der skandinavischen Länder, die die Haltung der öffentlichen Meinung einschließt und letztlich die Positionen, die von den nordischen Ländern in der gegenwärtigen Diskussion über Atomwaffen und atomwaffenfreie Zonen eingenommen werden.

I. Einleitung

j seinen Grundstrukturen entstand das heuige nordische Sicherheitsgefüge, oft auch Nordisches Gleichgewicht" genannt, 1948/49 ils Reaktion auf die endgültige Polarisierung Europas und die Errichtung zweier rivalisie'ender und antagonistischer Machtblöcke. Die ünf nordischen Staaten paßten sich einzeln ier neuen, ab 1945 entstandenen strategi-chen Wirklichkeit an. Grundlegender Faktor dieser Weltlage war — und ist — die Tatsache, laß nur noch eine militärische Großmacht in Europa existiert, die Sowjetunion, und daß die ISA die einzige Macht sind, die ein Gegengericht zu ihr bilden und sie eindämmen kann. Norwegen, Dänemark und Island reagierten lierauf, indem sie mit unterschiedlicher Bereitwilligkeit in dem Sicherheitsnetz Schutz wehten, das ihnen die USA in Gestalt der NATO anbot. Dänemark und Norwegen taten lies auf der Grundlage der oft als „Minimal-konditionen" bezeichneten sogenannten Nu-klearund Stützpunkt-Klauseln: Keine Atom-raffen und keine dauernd stationierten Trup-peneinheiten der Verbündeten werden in Ftiedenszeiten auf eigenem Territorium ge-duldet. Der Hauptzweck lag in der Sicherung größtmöglichen Schutzes durch den Westen möglichst geringer Provokation des war diese etwas ambivalente Haltung zum Teil wegen einer langen Tradi-ion der Neutralität in beiden Staaten notwen-

International wurde dieser Standpunkt durch die schwedische Politik der Blockfrei-st und durch Finnlands besonderes Verhält-Is zur Sowjetunion erleichtert.

ie Sicherheitspolitik der nordischen Staaten at einige wichtige grundlegende Gemein-

ämkeiten: Eine von allen geteilte Interpreta-fon der politischen Werte der repräsentati-ven Demokratie und der Prinzipien des „Wohlfahrtsstaates“ ist Teil dieser gemeinsamen Grundlage. Der „nordische" Standpunkt wird darüber hinaus durch die wechselseitige Achtung unabhängiger Wege in der nationalen Sicherheitspolitik gekennzeichnet. Dieser Aspekt bildet eine wichtige Bedingung für die nordische Zusammenarbeit, die auch in weiten Bereichen außerhalb der Bündnis-und Verteidigungspolitik stattfindet. Das wichtigste organisatorische Forum hierfür, der Nordische Rat, wurde gegründet, um ein regionales Gegengewicht gegenüber den Machtblöcken zu schaffen. Trotz der fundamentalen sicherheitspolitischen Unterschiede fügt das dünne, aber vielseitige Gewebe der nordischen Zusammenarbeit die Staaten zu einer stabileren und stärker integrierten Region als andere ähnliche Gebiete der Erde. Diese Tatsache hat indirekt auch wichtige sicherheitspolitische Folgen.

Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in den Bemühungen, ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit und regionaler Entspannung in den Beziehungen zu den Machtblöcken zu schaffen. Vor diesem Hintergrund könnte man das Ergebnis der von den nordischen Staaten geführten Politik als eine Art Experiment mit internationaler Entspannung durch vertrauensbildende Maßnahmen verschiedener Art beschreiben. Zumindest in dieser speziellen Hinsicht könnte es vielleicht gerechtfertigt sein, von mehr als nur einem „nordischen Sicherheitsgefüge" zu sprechen, nämlich tatsächlich von einer „nordischen Sicherheitspolitik".

Eine Grundvoraussetzung für das Fortbestehen des nordischen Sicherheitssystems war — und bleibt — seine positive Einschätzung durch die führenden Staaten unter den gegenwärtigen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in Nordeuropa sowie die Rolle, die die Weltmächte den nordischen Staaten „zuweisen". Nordeuropa wurde selbst unter den spannungsgeladenen Verhältnissen des Kalten Krieges als eine stabile, spannungsarme Zone eingeschätzt, der die führenden Mächte weit weniger Aufmerksamkeit widmen mußten als den meisten anderen Weltregionen. Die Führungen der wichtigsten Staaten vertrauten offensichtlich auf die Stabilität in Nordeuropa, und sie sahen dort ihre eigenen vitalen Interessen nicht bedroht.

Die entscheidende Frage für Gegenwart und Zukunft ist, ob diese Lage überhaupt noch besteht und, wenn ja, bestehenbleiben wird, und ob es den nordischen Staaten selbst gelingt die Entwicklung im eigenen Interesse zu beeinflussen.

II. Wandel der Bedingungen

Vieles hat sich seit der Entstehung der bipolaren europäischen Machtstruktur innerhalb und außerhalb Europas geändert Wirtschaftlich hat sich Westeuropa nach den Verwüstungen des letzten Weltkriegs wieder erholt. Die Europäische Gemeinschaft ist trotz vergangener und gegenwärtiger Sorgen nach den USA zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht herangewachsen. Politisch aber sind die west-und mitteleuropäischen Staaten unfähig gewesen, ihren ehemaligen regionalen und globalen Einfluß zurückzugewinnen. Militärisch erkennen sie mit wachsendem Widerstreben, daß ihnen eine andere militärische Option als die bleibender Abhängigkeit von den USA fehlt.

Es scheint schwierig oder unmöglich zu sein, die Bedeutung dieses Bündnisses auf strategischem Gebiet in Frage stellen zu wollen, da die Ost-West-Beziehungen in den letzten Jahren wieder von wachsender Konfrontation gekennzeichnet waren. Deutlich ist, daß die Zeit der Entspannung vorüber ist. Eine Anzahl bekannter Probleme und Ereignisse hat seit Mitte der siebziger Jahre viel Mißtrauen, Spannungen und Meinungsverschiedenheiten aufgebaut: Die kubanisch-sowjetischen Interventionen in Afrika, der Krieg in Afghanistan, der Streit um die Atomraketen in und für Europa, die Krise in Polen —, all dies hat den Kritikern und Gegnern der Entspannungspolitik stichhaltige Argumente geliefert. Alles in allem hat die . gegenwärtige Situation große Ähnlichkeiten mit der allgemein als „Kalter Krieg" bekannten Epoche, also mit einer Eskalation der Angst, des Mißtrauens, der Vorwürfe und der Aufrüstung. Andererseits jedoch erscheint die Lage voller Zweideutigkeiten. Sowohl in Europa als auch weltweit funktionieren die wirtschaftlichen Entspannungskräfte weiter, wie (mit Einschränkung) das deutsch-sowjetische Gasgeschäft und die Exportkredite sowie die amerikanischen Getreideexporte zeigen. Unentschiedenheit zwischen Konfrontation und Entspannung ist heute ein Kennzeichen der Beziehungen zwischen den Blöcken als auch innerhalb der Blöcke. Insgesamt ist die heutige Situation von einer beunruhigenden Enttäuschung beiderseits des Atlantiks gekennzeichnet.

Alle diese Momente sind auch für den gegenwärtigen Zustand des nordischen Sicherheitsgefüges wichtig. Sie beeinflussen sehr stark die Antwort auf die besorgte Frage, ob dieses System heute neuen und gefährlicheren Belastungen ausgesetzt sei als früher.

Die sich verändernde Kräfterelation im Nordatlantik, die neuen Entwicklungen in der Atomtechnologie und -Strategie, die wachsende Bedeutung ozeanischer Ölvorkommen seien hier als Beispiele genannt.

Die strategische Lage in Nordeuropa hat sich insgesamt verändert. Die seit Mitte der siebziger Jahre geführte Debatte wurde von der Befürchtung durchzogen, gegenwärtige oder zukünftige Veränderungen in den Beziehungen der Weltmächte könnten die Verhältnisse des Nordischen Gleichgewichts untergraben. Besonders die sowjetische Expansion zur See gibt zu Befürchtungen Anlaß, da die glaubwürdige Fähigkeit des Bündnisses, die beiden nordischen NATO-Staaten im Fall einer Bedrohung oder eines Angriffs unterstützen oder sichern zu können, eine Grundvoraussetzung des Nordischen Gleichgewichts ist. Das Kernproblem bei dieser Glaubwürdigkeitsrechnung liegt bei Norwegen. Solange der Atlantik fast ein privates Meer der NATO war, war das Sicherheitsproblem in Zeiten unmittelbarer Gefahr nur eine Frage der Zeit und Verfügbarkeit der erforderlichen Streitkräfte. Die wachsende Seemacht der Sowjetunion ließ dann seit mindestens einem Jahrzehnt die Frage aufkommen, ob die erforderliche seegestützte Hilfe überhaupt die Chance eines Erfolges haben würde. Verschiedene Vermutungen und Erwartungen bezüglich der Fähigkeiten der U-Abwehrwaffen waren wesentlicher Bestandteil dieser Debatte.

Eine militärische und politische Antwort auf diese Befürchtungen wurde 1981 mit der Entscheidung gegeben, Ausrüstungen für rund 10 000 US-Marineinfanteristen einschließlich Kampfflugzeugen und anderem Unterstüt-zungsgerät in Norwegen zu lagern. Allerdings sind keine Atomwaffen dabei; die norwegischen Vorbehaltsklauseln haben weiterhin ohne Einschränkung Gültigkeit. Es wäre eine logische Entwicklung, wenn als Konsequenz der Lagerung von Kriegsmaterial diejenigen Kampfeinheiten, für die das Material eingelagert wurde, die Möglichkeit regelmäßiger Manöver in den ihnen zugewiesenen potentiellen Einsatzgebieten bekämen. Wenn dies einmal der Fall sein wird, so würde das, zumindest in einem formellen Sinn, als Anzeichen dafür interpretiert werden können, daß eine der beiden Beschränkungen für Norwegens Engagement in der NATO in Friedenszeiten geändert worden sei. Diese Restriktionen wurden jedoch nicht aufgehoben, sondern lediglich veränderten strategischen Verhältnissen angepaßt, um das durch die sowjetische Expansion zur See und die technologische Entwicklung verlorengegangene oder bedrohte Gleichgewicht wiederherzustellen. Natürlich wird die Sowjetunion diese Entwicklung anders betrachten. Denn sollte es dem Westen gelingen, dieses verlorene oder bedrohte Kräftegleichgewicht wiederherzustellen, so bedeutete dies den Verlust eines bereits errungenen Vorteils für die Sowjetunion, den sie bereits als Aktivposten verbucht hatte.

Die Politik der Lagerung von militärischem Gerät kann jedoch noch über die militärischen Implikationen hinaus von Bedeutung sein. Es ist zu fragen, ob diese Lagerung tatsächlich Optionen wiederhergestellt hat, die die Seemächte der NATO besaßen, um Norwegen schützen zu können. Ein weiteres, ebenso wichtiges Problem ist, ob diese Lagerung in der norwegischen Bevölkerung und der nordischen Region insgesamt das Vertrauen in die Möglichkeiten der NATO und die Erhaltung eines Gesamtgleichgewichts in Nordeuropa und im Nordatlantik wiederherstellen konnte. Auf beide Fragen gibt es aber keine eindeutigen Antworten.

III. Neue Probleme

Die in weiten Kreisen der nordischen Länder herrschende Skepsis bei der Betrachtung der internationalen Entwicklung drückt ein Gefühl tiefer Unsicherheit aus. Für viele Menschen ist die Materiallagerung nicht zum Signum eines wiederhergestellten Gleichgewichts geworden, sondern ein Beweis drohen-her Gefahren. Diese Befürchtungen haben jedoch wahrscheinlich andere, wichtigere Ursachen als eine übermäßige Beschäftigung mit dem Kräfteverhältnis im Nordatlantik und der erwähnten Entscheidung. Das gleiche Gefühl der Unsicherheit zeigte — und zeigt — sich in den Reaktionen auf den Beschluß vom Dezember 1979 zur Stationierung von Atomwaffen in und für Europa. Die Befürchtungen sind aktuell durch die Diskussionen über die Frage, in Welchem Maß die Marschflugkörper die strategische Bedeutung der nordischen Länder beeinflussen könnten, noch gewachsen. Doch haben die Marschflugkörper keine prinzipiell neuen Probleme entstehen lassen. Die Klau-seln der nordischen NATO-Mitglieder gegen Atomwaffen in Friedenszeiten bleiben unabhängig von den Trägersystemen gültig. Auch das Problem „dual-einsatzfähiger" Waffen bleibt das gleiche, obschon die Zahl solcher Systeme zunimmt. Die Marschflugkörper schaffen jedoch nicht nur neue Probleme im Kriegsfall. Allein die Vorstellung, welche Bedeutung diese Waffen in einem Krieg haben könnten, beeinflußt die politische Atmosphäre in Friedenszeiten. So könnte z. B.der Verdacht, daß ein neutrales Schweden einem mißbräuchlichen Einsatz von Marschflugkörpern durch den Westen keinen Einhalt gebieten könnte, vom Osten zur Ausübung psychologischen oder diplomatischen Drucks auf Schweden genutzt werden, lange bevor ein Krieg überhaupt in Betracht gezogen worden wäre. Mit Blick auf die schädlichen Wirkungen, die diese Situation in den Nachbarstaaten Schwedens entwickeln könnte, ist es erforderlich, daß Schweden seine Fähigkeit und Entschlossenheit zu wirksamen Maßnahmen gegen Marschflugkörper und Flugzeuge, die schwe5 dischen Luftraum verletzen, glaubhaft erhält. Eventuell sind sogar weitere Maßnahmen zu ergreifen, um diese Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Allgemein gesagt ist die Frage der Marschflugkörper somit weit mehr ein Problem zu Friedenszeiten als im Krieg. Falls je das Gleichgewicht des Schreckens nicht mehr funktionieren sollte, falls es also zu einem großen Krieg in Europa kommen, und falls dieser dann bis zum Einsatz von atomar bestückten Marschflugkörpern eskalieren sollte, würden aller Wahrscheinlichkeit nach Konzepte wie Blockfreiheit und Neutralität von den beiden kriegführenden Weltmächten ohnehin als irrelevant angesehen werden. Ähnliche Ängste in Mittel-und Westeuropa geben den Befürchtungen in Skandinavien neue Nahrung. Die Entwicklung im Nuklear-bereich hat zu besorgten Analysen der Verläßlichkeit des atomaren Schutzschirms der USA als einem zuverlässigen Schutz Westeuropas geführt. Bemühungen wie die von Helmut Schmidt und Henry Kissinger, eine realistischere Sicht der Dinge in die öffentliche Auseinandersetzung zu bringen, haben in den letzten Jahren zu Schreckensvisionen beigetragen, die Atommächte rüsteten mit dem Ziel einer atomaren Kriegführung in Europa auf, Befürchtungen, die von weiten Kreisen als Wahrheiten übernommen wurden. Simplifizierende Interpretationen nicht durchdachter Erklärungen von Sprechern der US-Regierungen haben wesentlich zu diesen Ängsten beigetragen. Präsident Reagans These, daß ein begrenzter Einsatz atomarer Gefechtsfeldwaffen nicht notwendigerweise zu einem strategischen Atomkrieg eskalieren müsse, hat weite Kreise auch der skandinavischen Öffentlichkeit eher beunruhigt als beruhigt.

Zu dieser Liste psychologischer Spannungen, die die Verhältnisse im Nordischen Gleichgewicht berühren, können auch die heftigen Reaktionen auf die amerikanische Entscheidung vom Juli 1981 gezählt werden, die Neutronenwaffe zu produzieren (nicht jedoch zu stationieren). Die Teilnehmer der öffentlichen Diskussion, denen die Massenmedien offenstanden, brandmarkten diese Entscheidung als eine Bestätigung ihrer Befürchtungen, daß die Weltmächte aufrüsten, um ihren nuklearen Schlagabtausch mit Atomwaffen auf europäischem Boden auszutragen. Auch die diversen Initiativen und Entscheidungen, mit denen Reagan die Sowjetunion vor künftigen Abrüstungsverhandlungen unter Druck zu setzen versuchte, sind, wie es scheint, für die Verbündeten der USA und die neutralen Staaten schwerer tragbar als für den Hauptgegner, der die dadurch gebotenen Chancen zu untergrabender Propaganda begrüßt.

IV. Die gegenwärtige Sicherheitspolitik der skandinavischen Staaten

Für Dänemark hat die Bündnisentscheidung von 1949 zu einer stärkeren Betonung militärischer Macht geführt als je zuvor in diesem Jahrhundert. Einst eine wirtschaftliche und militärische Macht mit großem Einfluß auf dem europäischen Kontinent, erlitt das Land in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts militärische Niederlagen gegen Preußen und Österreich. Seither verließ sich das Land mehr auf eine Anpassung mit diplomatischen Mitteln, die mit Rücksicht auf seine strategische Lage als Halbinsel im Norden Deutschlands und als Torwächter zur Ostsee notwendig wurde. Diese Politik kam dem Land während des Ersten Weltkriegs zugute, wurde jedoch nutzlos, als sich Deutschland 1940 entschloß, die Herrschaft über die skandinavische Atlantikfront zu übernehmen.

Im Prinzip ist Dänemarks Sicherheitspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg dieser traditionellen Richtung gefolgt. In der bipolaren Nachkriegswelt bedeutete Anpassung an die Lage auf dem europäischen Kontinent jedoch eine dauernde Mitgliedschaft in einem Militärbündnis. Das Bündnis hieß zunächst für Dänemark Zusammenarbeit mit den NATO-Partnern USA und Großbritannien und schließlich mit der Bundesrepublik.

Sowohl Wiederbewaffnung als auch Mitgliedschaft in einem Bündnis stehen in Gegensatz zu dänischen Traditionen. Die dänischen Verteidigungsausgaben wurden somit auch im NATO-Verbund auf vergleichsweise niedrigem Niveau gehalten: 1980 wurden nur 2, 4% des Bruttosozialprodukts für Verteidigung ausgegeben. Die jüngste Übereinkunft zwischen den politischen Parteien des Landes über die Zukunft der Verteidigung bedeutet, daß man sich nicht an die NATO-Empfehlung halten wird, die Verteidigungsausgaben über einen Zeitraum von drei Jahren um real 3% zu erhöhen. Dänemark beschloß, die zusätzlichen Verteidigungslasten für den gesamten Zeitraum auf insgesamt 2% zu beschränken. Dieser Beschluß wurde im In-und Ausland kritisiert: Er sei unzureichend sowohl als Symbol atlantischer Solidarität wie auch als militärische Anstrengung zur Erfüllung der dänischen Bünd-nisaufgaben. Es läßt sich jedoch argumentieren, daß die dänische Verteidigung ohnehin derart schwach sei, daß auch eine geringfügige Steigerung der Ausgaben nicht hinreichend gewesen wäre, um die strategische Lage wesentlich zu beeinflussen.

Die Verteidigungsprobleme Norwegens unterscheiden sich von denen Dänemarks erheblich. Es handelt sich hier um ein großes Territorium, das hauptsächlich bergig und schwer zugänglich ist. Die kurze neuere Geschichte als souveräner Staat seit 1905, als die Union mit Schweden endete, hat bisher mindestens drei verschiedene Haltungen zur Verteidigung gezeigt. Die Bestrebungen nach einer völlige Unabhängigkeit von Schweden unterstützten zunächst eine generell positive Haltung zu Fragen der Verteidigung. Zwischen den Weltkriegen führte dann eine radikale Abrüstung zur Katastrophe von 1940. In der Nachkriegszeit legte Norwegen im Rahmen der NATO immer auf eine relativ starke Verteidigung wert. Als Staat am Atlantik war man auf gute Beziehungen zu den Seemächten angewiesen, zunächst zu Großbritanien, später in erster Linie zu den USA.

Der Schwerpunkt der norwegischen Verteidigung liegt im äußersten Norden des Landes, der einzige Punkt, wo NATO-Territorium direkt an die Sowjetunion grenzt. Allein die Nähe des wichtigsten sowjetischen Marine-stützpunkts auf der Kola-Halbinsel macht jedoch eine gewisse Zurückhaltung notwendig. In Friedenszeiten ist das Gebiet entlang der norwegisch-sowjetischen Grenze (Finnmark) für nicht-norwegische Streitkräfte gesperrt, und die nationale ständige Militärpräsenz besteht nur aus zwei Bataillonen in einem Gebiet Von der Größe Dänemarks. Während Dänemark in Norwegen als etwas halbherziges Bündnismitglied kritisiert wird, ist man, was die eigenen Anstrengungen betrifft, der Meinung, daß man selbst viel mehr für die Sicher-heit des Bündnisses aufwende. Es gibt jedoch auch in Norwegen Kräfte, die zu einer zurückhaltenderen Rolle im Bündnis drängen.

Schwedens Einschätzung einer militärischen Bedrohung hatte schon immer eine Orientierung nach Osten. Im 17. Jahrhundert wurde das schwedische Königreich an der Ostsee durch Expansion zur Großmacht, scheiterte jedoch schließlich im Konflikt mit dem aufsteigenden russischen Zarenreich. Nachdem Schweden danach den Rang einer kleineren europäischen Macht akzeptiert hatte, entwik-kelte sich die Tradition der Neutralität langsam, aber stetig. Im Ersten Weltkrieg war das Land stark gerüstet und blieb trotz russischer Befürchtungen und deutscher Hoffnungen neutral. In der Folgezeit wurde die Ostsee zu einem militärischen Vakuum. Schweden ließ sich zu einer weitgehenden Abrüstung verleiten (1925); politische Signale aus Mitteleuropa führten aber schon bald wieder zu einer stufenweisen, wenn auch bescheidenen Wiederaufrüstung.

Der Zweite Weltkrieg stärkte die Überzeugung von der friedenssichernden Kraft einer starken Verteidigung, gestützt auf eine leistungsfähige inländische Rüstungsindustrie. Diese von allen wichtigen schwedischen Parteien geteilte Auffassung blieb bis Mitte der sechziger Jahre unwidersprochen, als die schwächer werdende Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg bei der Wählermehrheit an Überzeugungskraft verlor. Zusammen mit den Beschränkungen für die Präsenz der beiden Machtblöcke auf nordischem Territorium die Glaubwürdigkeit der schwedischen Neutralitätspolitik der wichtigste Faktor für die Entspannung in der nordischen Region. Die Diskussion um den neuen schwedischen Fünf-jahres-Verteidigungsplan von 1982 hat erneut Schwedens Bedeutung für die Stabilität und das Gleichgewicht in Nordeuropa deutlich gemacht. Die zentrale Rolle der schwedischen Verteidigung für die nordische Region ist ein wichtiges Argument gegen wesentliche Kürzungen im Verteidigungshaushalt, die bei der gegenwärtigen Wirtschaftskrise naheliegen.

Während für Norwegen und Dänemark die NATO die Leitlinien der nationalen Verteidigung liefert, muß Schweden als blockfreies Land eigene Verteidigungsgrundsätze entwikkeln und seine eigene Verteidigung aufbauen. Insgesamt zeichnete sich lange Zeit die offizielle Verteidigungspolitik des Landes durch erheblichen Optimismus aus, der sich auf die Wirksamkeit einer Kombination von Neutralitätspolitik und konventioneller Verteidigung zum Schutz der nationalen Sicherheit stützte. Obwohl ein Atomkrieg nie völlig ausgeschlossen werden kann, rechtfertigen konventionelle Kriegsszenarios jedoch eine konventionelle Verteidigung. Die gesamten schwedischen Verteidigungsausgaben betrugen 1980 3, 2% des Bruttosozialprodukts.

Die hohe Bedeutung einer nationalen Verteidigung beherrschte die Sicherheitspolitik Finnlandswährend der gesamten Zeit von der Unabhängigkeit 1917 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Besonders der Winterkrieg 1939/40 unterstrich dann die Wichtigkeit wie auch die Möglichkeit einer nationalen Verteidigung für ein kleines Land. Nach 1945 haben sich die Prioritäten bei der Wahl der Instrumentarien zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit geändert. Man erkannte die Unmöglichkeit, Sicherheit vor allem durch militärische Mittel herzustellen. In der Arbeit der parlamentarischen Verteidigungsausschüsse rangiert daher die Außenpolitik unter den sicherheitspolitischen Instrumenten an erster Stelle. Die Zuordnung von Verteidigung als Element der Außenpolitik ist zwar nicht speziell auf Finnland beschränkt; die Art und Weise jedoch, in der sich diese Politik vollzieht, ist auffallend. Die finnischen Verteidigungsausgaben betrugen 1980 1, 5% des Bruttosozialprodukts. So schwach die finnische Verteidigung auch sein mag, so ist sie wahrscheinlich doch stark genug, um einen potentiellen Aggressor vor einem Angriff auf die Sowjetunion über finnisches Territorium abzuschrecken.

V. Die öffentliche Meinung zu Verteidigung und Sicherheit in den nordischen Staaten

In kleinen Expertenkreisen ist zuweilen die Meinung zu hören, die nordischen Länder seien, wenn auch in unterschiedlichem Maße, an Sicherheits-und Verteidigungsfragen nicht interessiert oder dafür nicht kompetent. Dieser Vorwurf wird üblicherweise ohne Unterschied gegen Politiker und die öffentliche Meinung erhoben. Die dramatische Entwicklung in verschiedenen Weltregionen während der letzten Jahre hat dieses mangelnde Interesse jedoch verändert, zumindest in den Massenmedien. Trotzdem sind einige Sicherheitsexperten der Auffassung, das Interesse der führenden Politiker und der Öffentlichkeit konzentriere sich primär auf weniger relevante Fragen, auf die oft auch noch die falschen Antworten gegeben würden.

Ungeachtet dieser Vorwürfe zeigen Meinungsumfragen in allen nordischen Ländern zur grundsätzlichen Haltung gegenüber Problemen von Sicherheit und Verteidigung eine beachtliche Stabilität. Für die NATO-Staaten ist natürlich die Haltung zur Bündnismitgliedschaft von zentraler Bedeutung.

In Dänemark stellte das dortige Gallup-Institut seit 1949 in regelmäßigen Abständen folgende Frage: „Sind Sie für oder gegen eine Mitgliedschaft Dänemarks in der NATO?" Die Umfragen zeigen, daß die Zahl der Befürworter immer erheblich höher lag als die der Gegner. Die stärkste Unterstützung wurde registriert, als die Sowjetunion den ersten Sputnik in den Weltraum schickte. Die Abweichungen während der Entspannungsphase waren überraschend gering, und auch der jüngste Trend läuft zugunsten der NATO. Es ist jedoch interessant festzuhalten, daß die Zahl derjenigen Befragten, die der Meinung waren, die USA seien auf irgendeine Weise eine Bedrohung des Weltfriedens, oft höher lag, als die Zahl derjenigen, die gegen eine NATO-Mitgliedschäft waren. Natürlich ist hier die politische Grundhaltung von hoher Bedeutung. Eine Umfrage von 1981 zeigte folgendes Bild: Unter den Parteien rechts von den Sozialdemokraten sprachen sich 77% für eine NATO-Mitgliedschaft aus. Unter den Sozialdemokraten selbst sind es 55%, und links von ihnen unterstützen nur noch 25% die NATO. Weiterhin wird deutlich, daß Männer stärker zur Unterstützung des Bündnisses neigen als Frauen und daß die Befürwortung mit steigendem Alter bis 60 Jahre zunimmt. Die Unterstützung der bewaffneten nationalen Verteidigung in der Bevölkerung ist also relativ groß, während die Bereitschaft, auch mehr Geld dafür auszugeben, wesentlich geringer ausfällt. Die Angst vor einem Krieg innerhalb der nächsten fünf Jahre ist weit verbreitet, aber die Mehrzahl der Befragten sieht das immer noch als eine nicht sehr wahrscheinliche Möglichkeit an.

Die Unterstützung der NATO in Norwegen wird gewöhnlich mit der Frage untersucht, ob die NATO-Mitgliedschaft die eigene Sicherheit fördere. Es hat hier immer eine Mehrheit für eine positive Beantwortung gegeben; der durchschnittliche Anteil liegt bei 60%. Im November 1981 meinten 64% der Befragten, die NATO-Mitgliedschaft diene der Sicherheit Norwegens, während 10% die Meinung vertraten, dadurch werde die Gefahr eines Angriffs vergrößert. 9% waren der Ansicht, es bleibe sich so oder so gleich, 17% wußten keine Antwort zu geben.

Es ist bemerkenswert, daß in den Jahren, als diese Frage durch eine zweite ergänzt wurde, ob Norwegen Mitglied der NATO bleiben solle oder nicht, die Befürworter einer weiteren Mitgliedschaft etwas weniger zahlreich waren als diejenigen, die ihre Sicherheit durch die Mitgliedschaft vergrößert sahen. Die Unterstützung der NATO ist unter Frauen auch hier geringer als unter Männern, und wie in Dänemark liegt sie etwas niedriger bei den jüngsten und ältesten Bevölkerungsgruppen. Allgemein ist die Einstellung der Norweger zur nationalen militärischen Verteidigung positiver als zur NATO-Mitgliedschaft; hier liegt der Anteil der Befürworter bei 75%.

Im blockfreien Schweden gehen die Meinungsumfragen von der Annahme aus, daß die Neutralitätspolitik allgemein akzeptiert werde. Seit 1952 wurde immer die gleiche Frage gestellt: „Sollte Schweden im Fall eines Angriffs auch dann bewaffneten Widerstand leisten, wenn der Erfolg ungewiß wäre?" Es ließ sich generell eine mehrheitlich positive Antwort feststellen, gewöhnlich bei 70% bis 80% der Befragten. Während des dreißigjährigen Befragungszeitraums lag die geringste Mehrheit bei 66% (1958) und die höchste bei 84% (1957). Nach dem U-Boot-Zwischenfall 1981 gaben 80% der Befragten positive Antworten, 12% negative, 8% waren unentschlossen. Seit 1963 liegen Zahlen vor, die zeigen, daß die Mehrheit des schwedischen Volkes der Meinung ist, die Stärke der schwedischen Streitkräfte sei ungefähr angemessen. Die Anteile variierten von maximal 66% (1973) bis minimal 46% (November 1981). Die stufenweise Ablösung der Entspannungspolitik zeigte sich seit 1977 in der Tatsache, daß der Anteil derjenigen, die die Verteidigungskraft für zu gering hielten, nie unter 20% fiel. Während der Polen-Krise lag dieser Anteil erstmals über 30%; vom April bis September 1981 fiel er jedoch wieder schnell von 31 % auf 22%. Nach dem U-Boot-Zwischenfall verzeichnete man schließlich den dramatischsten Zuwachs auf die höchste je erreichte Zahl von 42%, ein Indiz für die sehr scharfe Reaktion auf die sowjetische Rechtsverletzung. Danach hat er sich wieder bis auf 29 % vermindert.

Auch die schwedische Haltung zu den Weltmächten wurde untersucht. 1973 meinten während der Endphase des Vietnam-Kriegs rund 50% der Befragten, die USA seien entweder eine Bedrohung Schwedens oder ein unfreundlich gesinnter Staat. Ein entsprechendes Urteil über die Sowjetunion ließ sich nur bei 19% nachweisen. Diese Meinungen änderten sich jedoch schnell: Im November 1981 waren 19% der Ansicht, die USA seien eine Bedrohung (8%) oder ein Schweden unfreundlich gesinnter Staat (11%); nicht weniger als 71% meinten dies nun von der Sowjetunion. Fast die Hälfte dieser Gruppe hielt die Sowjetunion für eine direkte Bedrohung Schwedens. Es ist klar, daß der U-Boot-Zwischenfall einen großen Einfluß auf die schwedische Öffentlichkeit hatte, denn noch im September 1981, zwei Monate vor diesem Zwischenfall, hielten nur 43% die Sowjetunion für eine Bedrohung oder einen unfreundlich gesinnten Staat, und für nur 14% dieser Gruppe stellte sie eine direkte Bedrohung dar.

In Finnland lautete eine wichtige Frage immer, ob die finnische Außenpolitik kompetent oder inkompetent geführt worden sei. Folgt man den Antworten, so ist das finnische Volk mindestens seit den sechziger Jahren mit der Art und Weise, wie seine Regierungen die Außenpolitik führten, sehr zufrieden. Allgemein wurde dies als Vertrauensvotum für die Richtung Paasikivi-Kekkonen interpretiert. Eine genauere Betrachtung der Zahlen zeigt jedoch noch eine Bewertungsdifferenzierung zwischen der hervorragenden Führung der Außenpolitik und ihrer Beurteilung als „sehr gut". 1981 wurde die beste Note von 27% der Befragten gegeben, die zweitbeste von 66%. Auch der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und beiderseitige Hilfe mit der Sowjetunion erfreut sich klarer Unterstützung in den Meinungsumfragen, wobei die Befürworter mit den Jahren zugenommen haben. Allerdings lagen diese Zahlen nie so hoch wie die für die Unterstützung der Außenpolitik. In den siebziger Jahren lagen sie durchschnittlich über 70%, maximal bei 81%.

Die Einstellung zur Höhe der Verteidigungsausgaben ist, wie in den anderen nordischen Staaten, recht undramatisch. Die größte Gruppe ist gewöhnlich — wenn auch mit Ausnahmen — für unveränderte Beschaffungsausgaben. Fast ebenso groß und zuweilen größer ist die Gruppe derjenigen, die sich für höhen Verteidigungsausgaben aussprechen. Die Ab rüstungsbefürworter waren immer eine Minderheit von rund 10%.

VI. Atomwaffen und Nordeuropa

Vor rund drei Jahren griff der damalige finnische Staatspräsident Kekkonen seine Idee von 1963 wieder auf, die nordische Region zu einer atomwaffenfreie Zone zu machen. Die Diskussion wurde lebhafter, als die Frage nach und nach in den sozialdemokratischen Parteien ganz Skandinaviens eine Rolle spielte.

Die Struktur des ursprünglichen Kekkonen-Plans verdeutlicht, daß das „Nordische Gleichgewicht" kein statisches System, sondern eine stete Balanceleistung zwischen unterschiedlichen Interessen ist. Der Plan betont den finnischen Part innerhalb des nordischen Systems: souverän zu bleiben und bestmögliche Beziehungen zur Sowjetunion zu wahren. Falls dieser Plan verwirklicht werden sollte, könnte er durchaus negative Auswirkungen auf die Verhältnisse im Nordischen Gleichgewicht haben, insofern er die Bedingungen des strategischen Gleichgewichts zwischen den Weltmächten in der nordischen Region durch eine Einschränkung der atomaren Option der NATO einseitig verändern würde. Allerdings sind die zurückhaltenden oder ablehnenden Reaktionen von Finnlands nordischen Nachbarn zu wichtigen Elementen der regionalen Sicherheit geworden: Solange Norwegen und Schweden zur Annahme des Plans nicht bereit waren, konnte Finnland ihn und ähnliche Initiativen ohne Schaden für das regionale Gleichgewicht oder die eigene strategische Lage als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber seinem östlichen Nachbarn einsetzen. Das Paradoxon lag darin, daß eine solche Politik nicht nur im finnischen Eigeninteresse lag, sondern auch in dem der nordischen Nachbarn, für die — wie Kekkonen betonte — gute Beziehungen zwischen Finnland und der Sowjetunion ein wichtiger Aktivposten sind.

Die gegenwärtig wieder aufgeflammte Diskussion ist Ausdruck der verständlichen Furcht vor den Vernichtungsarsenalen, die die Atommächte aufgehäuft haben und weiterhin entwickeln. Sie ist stark durch moralische Über-zeugungen und emotionale Reaktionen bestimmt. Es fällt schwer anzunehmen, daß durch diese Diskussion die äußere atomare Wirklichkeit in irgendeiner grundlegenden Weise beeinflußt werden kann. Viele Diskussionsteilnehmer, Demonstranten und Teilnehmer an Friedensmärschen werden aber von der Hoffnung motiviert, auf die Stationierung von Atomwaffen und die Einsatzplanungen Einfluß zu nehmen, bevor es zu spät ist. Besonders die Frage der atomwaffenfreien Zone ist von hoher innenpolitischer Bedeutung. In Norwegen und Schweden wurde sie nach langen Jahren der Vernachlässigung zu einem wichtigen Thema im politischen Parteienstreit. Man bemühte sich, einem stärker werdenden Meinungstrend zu entsprechen, der von der Annahme einer fundamentalen atomaren Bedrohung der menschlichen Zivilisation geprägt war. Diese Phase begann, als die Idee der atomwaffenfreien Zone von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Norwegens aufgegriffen und unterstützt wurde und die Aufmerksamkeit weiter Kreise der norwegischen Öffentlichkeit (einschließlich der jetzt regierenden konservativen Partei) auf sich zog. Unter Norwegens NATO-Verbündeten stieß diese Entwicklung hingegen auf große Kritik. Die beiden wichtigsten NATO-Staaten, die USA und die Bundesrepublik Deutschland, warnten Norwegen vor der Unvereinbarkeit eines nordischen Zonenabkommens mit den Verpflichtungen als NATO-Mitglied. Die Norweger reagierten mit einer Formel, die die Zonenfrage klar mit den Verhandlungen über einen allgemeinen Vertrag zwischen den Bündnissen verband, für den es gegenwärtig nur geringe Chancen geben dürfte. Gleichwohl hat ein Dialog zur Zonenfrage auf Regierungsebene über die Grenzen der nordischen Staaten hinweg begonnen; es scheint allerdings eher, um der weitverbreiteten Furcht zu begegnen als aus der Überzeugung, einen schnellen Erfolg erreichen zu können.

Das öffentliche Bewußtsein von drohenden Gefahren wird gegenwärtig durch die Ausarbeitung von militärisch-nuklearen Einsatzplanungen, die zeigen sollen, wie Atomwaffen strategisch und auf dem Gefechtsfeld zum Einsatz gebracht werden können, vergrößert. Die Diskussion um „Kriegführungs-" und „Kriegverhütungsstrategien" tut ein übriges. Diese Militärstrategien geben jedoch keine schlüssige Antwort auf die Frage nach Zweck und praktischer Einsetzbarkeit von Atomwaffen. Selbst wenn Nuklearstrategien operative militärische Absichten wiedergeben, so sind sie doch keinesfalls anwendungsbereit zur Hand, sondern nur als Konzept präsent, mit dessen Anwendung gedroht werden kann.

Es ist oft angemerkt worden, daß die Basis der neuen Bewegung gegen Atomwaffen nicht einheitlich und teilweise von hohen menschlichen und moralischen Zielen gekennzeichnet sei — oft mit religiösem Hintergrund — andererseits aber auch von Werten und Zielen in machtpolitischen Kontexten. Der heterogene Charakter dieser Motive trägt zur Emotionalität der Diskussion bei. Eine gemeinsame Grundlage scheint jedoch in der Haltung zur technologischen Entwicklung und deren Folgen zu bestehen. Alle Kritiker sehen diese Entwicklung als Revolution an, die einen begrenzten Krieg ermöglichen könnte. Während der Kontroversen des letzten Jahres haben die Befürworter einer atomwaffenfreien Zone argumentiert, daß:

a) der Versuch, eine solche zu schaffen, in jedem Fall unternommen werden müsse, wie gering die erreichten Vorteile für die eigene Sicherheit auch sein mögen, und b) eine nordische atomwaffehfreie Zone als Modell für die internationale Gemeinschaft dienen und den Weltmächten den Lösungsweg für ihre Probleme zeigen könnte.

Jedoch sind zahlreiche Probleme zu berücksichtigen. Zunächst ist unklar, was mit dem Begriff „atomwaffenfreie Zone" im einzelnen zu verbinden ist. Die nordische Region ist bis jetzt immer eine Zone ohne Atomwaffen gewesen. Welchen Sinn sollte es also haben, sie zu etwas zu machen, was sie bereits ist? Das Neue an der Forderung ist offenbar, daß sie nicht nur für die derzeitige Lage — also zu Friedenszeiten — gelten soll, sondern auch im Krieg. Die einzige praktische Folge wäre, daß Dänemark und Norwegen die atomare Option im Fall einer Krise entzogen wäre, die im La-gerungs-und Stationierungsverbot in Friedenszeiten impliziert ist.

Der Streit um eine nordische atomwaffenfreie Zone hat darüber hinaus die Frage aufgeworfen, welches Gebiet sie geographisch umfassen sollte. Verschiedene Alternativen sind denkbar: Die kleinste Zone bestünde nur aus Schweden oder Schweden und Finnland. Territorial gesehen bestünde bei dieser Lösung weder zur jetzigen Situation noch zur zukünftigen ein Unterschied. Denkbar wäre aber auch eine zusätzliche Garantie der beiden Weltmächte, mit der sie versicherten, keine Atomwaffen gegen die beiden Staaten einzusetzen, solange diese von solchen Waffen frei blieben. Diese Garantie, nicht die atomwaffen-freie Zone, machte dann den wesentlichen Unterschied aus.

üblicherweise denkt man bei einer atomwaffenfreien Zone aber an mehr als nur an Schweden und Finnland. In der Tat wäre es erforderlich, Norwegen und Dänemark einzubeziehen, um durch die Schaffung einer solchen Zone eine wesentlich andere Lage als die jetzige zu erreichen. Sollten jedoch diese beiden NATO-Staaten ihre heute geltenden Verbotsklauseln auch auf den Kriegszustand ausdehnen, so wäre dies offensichtlich ein mit ihren Verpflichtungen als Bündnismitglieder unvereinbarer Schritt. Aus diesem Grund haben die Norweger das Streben nach einer atomwaffen-freien Zone den Bedingungen der Bündnismitgliedschaft untergeordnet. Danach sollte die Zone nur in einem größeren europäischen Zusammenhang geschaffen werden. Diese Verbindung wird in den öffentlichen Erklärungen der verantwortlichen Politiker deutlich und findet, folgt man den Meinungsumfragen, eine breite Unterstützung bei den Wählern. Es wird sich noch herausstellen müssen, ob die sozialdemokratische Arbeiterpartei Norwegens, die bei den Parlamentswahlen 1981 in die Opposition geschickt wurde, bei Annahme dieses notwendigen Punktes die Forderungen der Linken in der norwegischen Politik wird erfüllen können, die den Plan einer atomwaffenfreien Zone am nachhaltigsten verfochten hat. Der gleiche Meinungsgraben läßt sich auch in Schweden und in Dänemark finden.

Eine die vier Staaten umfassende Zone schiene sich sehr wohl mit den Kekkonen-Plänen vereinbaren zu lassen. Betrachtet man jedoch die Folgen für das Gleichgewicht zwischen Ost und West, so käme eine Vier-Staa-ten-Zone dem Osten offensichtlich mehr als dem Westen zugute. Verbote beträfen nur die NATO, nicht aber den Warschauer Pakt. Tatsächlich könnte ein solcher Wandel auch das politische Klima Nordeuropas beeinflussen.

Diese Befürchtung hat zum umfassendsten Konzept einer atomwaffenfreien Zone geführt, das auch sowjetisches Territorium einschlie11 ßen würde. Dadurch bliebe das Gleichgewicht zwischen den Machtblöcken unverändert oder würde doch zumindest weniger gestört werden. Eine solche Lösung wurde jedoch fast immer als unrealistisch angesehen. Östen Un-

dn, nach dem Zweiten Weltkrieg langjähriger Außenminister Schwedens, wies bereits vor 22 Jahren auf den mangelnden Realismus des Projekts hin, als Chruschtschow den Vorschlag vortrug, die Ostsee zu einem „Meer des Friedens" zu machen: „Die gegenwärtige Lage sieht doch so aus, daß meines Wissens nur ein Anrainerstaat der Ostsee im Besitz von Atomwaffen ist, und das ist die Sowjetunion. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die sowjetische Regierung bereit sein würde, ein wichtiges Gebiet des eigenen Territoriums bei der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone für Atomwaffen zu sperren." Diese Vermutung hat sich zwischenzeitlich bestätigt. Die sowjetische Weigerung, Beschränkungen ihrer Nuklearoptionen hinzunehmen, wurde sowohl in Erklärungen als auch durch praktische Maßnahmen deutlich, nämlich durch die Stationierung der mit Atomraketen bestückten U-Boote der „Golf-Klasse in der Ostsee und durch die offensichtliche Präsenz des U-137 der „Whis-key" -Klasse, das wahrscheinlich Atomwaffen trägt. Der U-137-Zwischenfall hat dementsprechend zu einer harten schwedischen Haltung in der Zonenfrage geführt: Der ganze Ostsee-raum einschließlich sowjetischen Territoriums muß in ein Abkommen einbezogen werden, mit der möglichen Ausnahme der Ostsee-Zugänge. Die Sowjetunion ihrerseits hat zwischenzeitlich die Möglichkeit von Maßnahmen angedeutet, die auch sowjetisches Territorium einschließen könnten, sollte eine nordische Zone ernsthaft in Betracht gezogen werden. Versuche Schwedens und Finnlands, in Moskau Erläuterungen zu der praktischen Bedeutung dieser Andeutung zu erhalten, sind aber bisher ergebnislos geblieben. Mangels größerer Klarheit wird die Erklärung Breschnews bisher als unzureichender Beweis einer geänderten sowjetischen Haltung angesehen. Seine Erklärung wird weiterhin als Versuch gewertet, eine Friedensbewegung zu ermutigen, die im großen und ganzen den amerikanischen Rivalen der Sowjetunion zum leicht angreifbaren Hauptziel ihrer Anschuldigungen gemacht hat. Doch der mögliche Effekt, den die sowjetische Unterstützung der westlichen Friedensbewegung in Skandinavien gehabt haben mag, wurde durch die Entdeckung des sowjetischen U-Boots im südschwedischen Schärengebiet Ende Oktober 1981 erheblich verringert. Die Entscheidung, einer kleinen Gruppe von Friedensdemonstranten im Juli dieses Jahres die Einreise in die Sowjetunion zu gewähren, kann als sowjetischer Versuch angesehen werden, diesem Problem entgegen-zuarbeiten. Nachdem diese Reise inzwischen beendet worden ist, muß dieser Versuch als gescheitert gelten.

Unabhängig davon, wie eine atomwaffenfreie Zone beschaffen sein würde, läge ihre Bedeutung in der Tatsache, daß der Einsatz von Atomwaffen gegen Staaten innerhalb der Zone eine Verletzung des diese Zone schaffenden Vertrags darstellen würde. Ein Hauptproblem ist, ob ein solches Abkommen der Weltmächte als eine sichere Garantie angesehen werden könnte, und ob die Restriktionen des internationalen Rechts überhaupt von praktischer Bedeutung z. B. in einer Situation sein würden, da die atomare Schwelle bereits überschritten wäre oder unmittelbar überschritten zu werden drohte. Was Schweden angeht, ist man zumindest der Meinung, daß die begrenzte strategische Bedeutung des Landes eine bessere Sicherheitsgarantie bedeuten würde und daß ein atomarer Angriff gegen Schweden oder die nordische Region aus politischen und militärischen Gründen äußerst unwahrscheinlich sei.

In der Diskussion um Vor-und Nachteile einer atomwaffenfreien Zone wurde betont, daß ein Zonenvertrag auch Risiken mit sich bringen könnte. Verträge dieser Art können nicht ohne Bedingungen auskommen. Bisher hat die Sowjetunion nicht viel Verständnis für Forderungen nach ausländischer Überprüfung internationaler Verträge auf ihrem eigenen Territorium gezeigt. Es ist jedoch nicht sicher, ob diese abweisende Haltung auch bei den ungleichen Beziehungen mit einem kleinen Nachbarstaat zu verzeichnen wäre. Schweden hat immer Verträge gemieden, die Garantien anderer Staaten einschlossen. Dies war ein wesentlicher Grund für die schwedische Ablehnung von Angeboten Nazi-Deutschlands, einen Nichtangriffspakt abzuschließen. In der Realpolitik von heute wäre nur die kleinste atomwaffenfreie Zone realisierbar: bestehend aus Finnland und Schweden, die bereits atomwaffenfrei und an einen Vertrag rechtswirksam gebunden sind, indem sie 1968 dem Nichtverbreitungs-Vertrag beitraten.

Eine Vier-Staaten-Zone wäre unvereinbar mit den Verpflichtungen der NATO-Mitglieder in dieser Zone. Was die Weltmächte angeht, scheint es vollkommen unrealistisch, mit beB deutsamen Beschränkungen auf deren eigenem Territorium oder auf offener See und im Luftraum zu rechnen. Selbst wenn eine bestimmte atomwaffenfreie Zone geschaffen würde, so wird es immer sowjetische Atomwaffen in den angrenzenden Gebieten und in den Gewässern geben, die die nordischen Staaten von Osteuropa trennen. Und selbst, wenn amerikanische Atomraketen sogar in Kriegszeiten nicht nach Dänemark und Norwegen verlegt werden dürften, so stünden sie doch wahrscheinlich in der Bundesrepublik weiterhin bereit. Darüber hinaus sind sie immer auf See und im'Luftraum in unmittelbarer Nachbarschaft der nordischen Staaten einsetzbar.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Nils Andren, Prof. Dr. phil., geb. 1918; seit 1970 Vorsitzender der Abteilung für internationale Sicherheitsstudien an dem „Swedish Nationale Defence Research Institute"; Vize-Präsident des „Swedish Institute of International Affairs" und Mitglied des „Council of the International Institute for Strategie Studies". Veröffentlichungen u. a.: Modern Swedish Government, 1961; Government and Politics in the Nordic Countries, 1964; Power, Balance and Non-alignment — A Perspective on Swedish Foreign Policy, 1967; Nordic Integration, in: Cooperation and Conflict, 1967; Special Conditions of the Baltic Sub-region, in: Europe and the Superpowers (hrsg. v. S. Jordan), 1971; Sweden's Security Policy in Five Roles to Nordic Security (hrsg. v. J. J. Holst), 1973; The Future of the Nordic Balance (veröffentlicht v. Verteidigungsministerium, Stockholm), 1977; Sweden's Defence Doctrines and Changing Threat Perceptions, in: Cooperation and Conflict (1982, I); Changing Strategie Perspectives in Northern Europe, in: Foreign Policies of Northern Europe (hrsg. v. Sundelius), 1982; Northern Europe in the perspective of detente, in: DGFK — Jahrbuch 1978/79 (1980); Beyond the D 6tente — Prospects for East-West Cooperation and Security in Europe (hrsg. zusammen mit K. E. Birnbaum), 1976; Belgrade and Beyond — CSCE Process in Perspective (hrsg. zusammen mit K. E. Birnbaum), 1980.