Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Generallinie der KPD 1929— 1933 | APuZ 48/1982 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 48/1982 Die Generallinie der KPD 1929— 1933 Kommunistische Bündnispolitik in Europa Historische Erfahrungen — politische Konsequenzen Eurokommunismus in der Krise

Die Generallinie der KPD 1929— 1933

Hermann Weber

/ 42 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Am Ende der Weimarer Republik war die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) mit sechs Millionen Wählern und über 250 000 Mitgliedern drittstärkste deutsche Partei. Die häufig gestellte Frage, warum Kommunisten und Sozialdemokraten nicht gemeinsam versuchten, Hitlers Machtergreifung zu verhindern, ist jetzt aufgrund authentischer Dokumente (der Rundschreiben des ZK der KPD an die Bezirke von 1929 bis 1933) zu beantworten. Entgegen der Legende vom Bestreben der Kommunisten nach Zusammenarbeit mit allen antifaschistischen Kräften gegen Hitler kann anhand der Quellen belegt werden, daß die Generallinie der KPD sich vor allem gegen den „Hauptfeind Sozialdemokratie" richtete. Die KPD-Strategie forderte den radikalen Kampf gegen die Weimarer Republik, insbesondere gegen Sozialdemokratie und Gewerkschaften. Ebenso stand die Verteidigung der Sowjetunion, des „Vaterlands" und Modells der Kommunisten, im Mittelpunkt der KPD-Politik in Deutschland. Die organisatiorische und ideologische Einbindung der KPD in die Kommunistische Internationale und die Abhängigkeit dieser Komintern von den Konzeptionen der KPdSU unter Stalin sind die entscheidenden Faktoren zur Erklärung der Generallinie der KPD von 1929 bis 1933. Letztlich bestimmte also der Kurs Stalins die ultralinke Politik der KPD mit der These vom „Sozialfaschismus“, der Sozialdemokratie als Hauptfeind, und der Unterschätzung der NSDAP. Die KPD-Führung konnte diese Generallinie nicht verändern, obwohl sie der Situation in Deutschland nicht entsprach. Dieser Gegensatz führte aber zu Versuchen, durch taktische Veränderungen die Generallinie an die Wirklichkeit anzunähern. Doch obwohl die KPD ziwschen 1929 und 1933 ihre Taktik siebenmal änderte, scheiterten realistische Ansätze immer wieder, da die Grundsätze der Komintern-Direktiven nicht angetastet werden durften. Entscheidend war die Funktion der KPD, die als deutsche Arbeiterpartei sowjetische Interessen vertreten wollte und mußte. Dieser Widerspruch verursachte innerparteiliche Kontroversen und Probleme in der Organisationsstruktur. Die Generallinie der KPD von 1929 bis 1933, die den Untergang der alten KPD trotz verschiedener taktischer Wendungen selbst mit herbeiführte, war eben letztlich ein strukturelles Problem der Partei, sie war begründet in ihrer Abhängigkeit von der Komintern und damit der KPdSU Stalins.

7 Bei diesem Beiträg handelt es sich um eine Zusammenfassung der Einleitung zum Band: Die Generallinie. Rundschreiben des Zentralkomitees der KPD an die Bezirke 1929— 1933. Eingeleitet von Hermann Weber. Bearbeitet von Hermann Weber unter Mitwirkung von Johann Wachtier, Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien, Bd. 6, Düsseldorf 1981. Die Einleitung erschien auch gesondert unter dem Titel: Hauptfeind Sozialdemokratie. Strategie und Taktik der KPD 1929 bis 1933, Düsseldorf 1982. In der hier gegebenen Zusammenfassung konnte aufausführliche Belege und Quellenhinweise verzichtet werden, da sich diese in den beiden angegebenen Schriften befinden.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) betrieb als Sektion der Kommunistischen Internationale (Komintern) von 1929 bis 1933 eine ultralinke Politik, d. h. sie bekämpfte radikal den bestehenden Staat, alle übrigen Parteien und die Gewerkschaften.

Die an der Jahreswende 1918/19 gegründete KPD war durch den Zusammenschluß mit der linken USPD 1920 zur Massenpartei geworden; sie bildete im Parteienspektrum der Weimarer Republik die äußerste Linke. Sie bekannte sich zur Kommunistischen Internationale und zu Sowjetrußland, erstrebte die Diktatur des Proletariats und das Rätesystem, und sie wollte ihre Organisation nach den Prinzipien des demokratischen Zentralismus aufbauen. Nach vergeblichen Aufstandsversuchen in der Krise bis 1923 blieb die KPD auch in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik von 1924 bis 1928 ein politischer Faktor mit etwa 100 000 Mitgliedern und 3, 2 Millionen Wählern (1928). Die Partei war jedoch in dieser Periode vor allem mit inneren Auseinandersetzungen beschäftigt; es kam zur Stalinisierung, d. h. zur völligen Abhängigkeit von der Komintern und der UdSSR, zur Zentralisierung und der Herrschaft des Parteiapparats -Mit der Weltwirtschaftskrise verstärkte sich der Zulauf zur KPD. Ende 1932 hatte sie 252 000 Mitglieder und 6 Millionen Wähler.

Die KPD war also am Ende der Weimarer Republik durchaus von politischer Bedeutung.

Die Rolle der Partei in jener Zeit ist ebenso umstritten wie der Zusammenbruch der Weimarer Republik. Häufig wird die Meinung vertreten, durch die Einheit der Arbeiterklasse, einem Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, hätte die Machtergreifung Hitlers und das Unheil des Faschismus für Deutschland und Europa vermieden werden können. Ob eine solche Zusammenarbeit tatsächlich einen Sieg des Nationalsozialismus verhindert hätte, soll hier nicht thematisiert werden. Interessanter scheint die Überlegung, warum es nicht zu einer solchen Zusammenarbeit mit dem Ziel der Verhinderung des Machtantritts der Nationalsozialisten kam.

Die Geschichtsschreibung (und erst recht die Propaganda) der DDR hat diese Frage seit langem recht einfach beantwortet. Nach Lesart der SED hat zwar auch die KPD Fehler begangen, doch die Hauptschuld für das Scheitern jeder Zusammenarbeit wird der SPD, vor allem der „rechten Führung" der SPD, zugewiesen. Die Vorstellung, die aktive, antifaschistische KPD habe jede Möglichkeit genutzt, um den Kampf gegen Hitler zu führen, hingegen habe die zögernde, am „kleineren Übel" orientierte SPD „versagt" und größere „Schuld" am Aufkommen der NSDAP, ist auch in der Bundesrepublik verbreitet. Selbst in der Wissenschaft wird die These vertreten, die KPD habe wegen der Haltung der SPD gar nicht anders handeln können, so daß Fehlleistungen der KPD-Haltung häufig als Reaktionen auf sozialdemokratische Politik angesehen werden.

Dieses Bild soll anhand der Quellen, vor allem der Rundschreiben des ZK der KPD an die Bezirke — also der authentischen Belege für die Parteilinie —, zurechtgerückt werden. In Wirklichkeit war die KPD weder die einzige konsequente Kämpferin gegen den Hitler-Faschismus, noch setzte sie sich für die Einheitsfront mit Sozialdemokratie und Freien Gewerkschaften gegen Hitler ein. Vielmehr richtete sich die KPD-Strategie von 1929 bis 1933 gegen die Weimarer Republik und selbst noch nach Hitlers Sieg bis 1934 gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften. Die Verteidigung der Sowjetunion, des „Vaterlandes" und Modells der Kommunisten, stand im Vordergrund der KPD-Politik in Deutschland. Im Gegensatz zur Realpolitik 1926/27 betrieb die KPD nach 1929 Obstruktion, bekämpfte von linksradikalen Positionen aus alle anderen politischen Kräfte als „faschistische" Feinde. Im Rahmen dieser, von der Stalinschen Komintern bestimmten Konzeption gab es jedoch Nuancen, Schwankungen. So griff die KPD z. B. zeitweise nicht nur die SPD als Partei, sondern auch derep untere Funktionäre und Mitglieder an. Dann wiederum versuchte sie bei gleichzeitigem Angriff auf die Sozialdemokratische Partei, deren untere Funktionäre und Mitglieder für die „Einheitsfront von unten" zu gewinnen. Der Kampf gegen die Gewerkschaften wurde einmal mit dem Aufruf zum „Austritt" aus dem Verband der „sozialfaschistischen Verräter" gekoppelt, dann wurde wieder zu Aktivitäten innerhalb der Gewerkschaft aufgefordert.

In den Darstellungen aus der DDR finden sich nun bestimmte taktische Varianten überpointiert hervorgehoben, um ein falsches, ins SED-Geschichtskonzept passendes Bild der Generallinie zu vermitteln (angeblicher Kampf der KPD um Einheitsfront und gegen den Faschismus).

Im folgenden soll skizziert werden, daß die Generallinie der KPD, ihre Strategie, konstant blieb, die Partei an der ultralinken Position festhielt, die faktisch bedeutete, daß Hitler unterschätzt und die Sozialdemokratie als „Hauptfeind" bekämpft wurde. Im Rahmen dieser bis zur politischen Wende 1934/35 bestimmenden und unumstößlichen Strategie gab es jedoch Varianten der Generallinie, taktische Wendungen. Verschiedene Brüche in der KPD-Politik, die wie ein Zick-Zack-Kurs der Partei wirkten, waren solche taktischen Änderungen, die dazu führten, entweder die ultralinke Strategie bis zum Exzeß zu treiben oder aber realistischer und flexibler anzuwenden.

Die Generallinie selbst, die Strategie der Partei, lag durch die ultralinke Konzeption der Komintern seit 1929 lest. Die Komintern hatte — bestimmt sowohl von außen-wie innenpolitischen Interessen der Sowjetunion als auch ideologischen Vorstellungen von einer möglichen Revolution in Mitteleuropa — die für die KPD verbindliche Politik aus der Wirtschaftskrise einerseits und der angeblich wachsenden Kriegsgefahr, vor allem der Gefahr eines Angriffs kapitalistischer Länder auf die UdSSR, andererseits entwickelt. Auf Grund dieser „objektiven" Lage erwartete die Komintern eine Radikalisierung der Arbeiterschaft und damit eine revolutionäre Situation.

Gleichzeitig prognostizierte die Kominter eine „Faschisierung" der Sozialdemokratie un ein „Hineinwachsen" des bürgerlichen Staat« in den Faschismus.

In dieser Situation sollte die Hauptaufgabe de Kommunistischen Parteien in wichtigen Lär dem (vor allem in Deutschland) in der Vorbe reitung der Revolution, dem Kampf um das Sc wjetregime und die „Diktatur des Proletariat: liegen. Strategisches Hauptziel mußte dahe die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiter fü die Kommunisten sein. Das bedeutete Kamp gegen die „faschisierte" Sozialdemokratie („Sc zialfaschismus"), da diese die Arbeiter davo abhielt, zum Kommunismus überzugehen. Vc allem die linken Sozialisten waren daher al Hauptfeind zu bekämpfen. Ansetzen wollt die Komintern bei wirtschaftlichen Kämpfer um dann zu politischen Auseinandersetzun gen überzugehen, was auch verstärkte: Kampf gegen die Gewerkschaftsführungen be deutete (notfalls bis zur Spaltung der Gewerk schäften).

Aus dieser Strategie der Komintern lassei sich für die KPD von 1929 bis 1933 folgend, verbindliche Konstanten ihrer Politik able sen: 1. Die KPD mußte ihre ganze Kraft einsetzen um ihr Vorbild Sowjetunion vor einem angeb lieh drohenden Überfall zu schützen. Schließ lieh erklärte die KPD: „Alle Anzeichen weiser mit zwingender Kraft darauf hin, daß auf de: Tagesordnung der Geschichte vor allem eir Krieg steht: der Krieg der imperialistischer Großmächte gegen die Sowjetunion." 2. Die KPD musste den Kampf gegen die bestehende Regierung bzw.den Staatsapparat in den Mittelpunkt stellen, erwartete sie doch daß mit dem „Heranreifen" der Revolution in Deutschland die "Frage des bewaffneten aufstandes unvermeidlich auf die Tagesordnung treten wird“ Allerdings ist zu bemerken, daß die KPD trotz verbaler Thesen dieser Art in der Periode von 1929 bis 1933 keine direkten Vorbereitungen zum bewaffneten Aufstand traf. Doch wurden im Zuge dieser Einschätzung grundsätzliche Unterschiede zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus geleugnet, da angeblich beide Staatsformen der „Diktatur der Bourgeoisie" waren und sich die Demokratie „faschisierte"

3. In der neuen „revolutionären Welle” erhob die KPD den Anspruch, allein die Arbeiterklasse zu vertreten. Alle übrigen Parteien waren danach als konterrevolutionär, ja „faschistisch" zu bekämpfen. Differenzen im Parteien-system erklärte die KPD als unwesentlich, da sie in allen anderen Parteien Organe des Kapitalismus sah, die den objektiv möglichen Sieg der KPD zu verhindern suchten. Auch die NSDAP („Nationalfaschismus") war in dieser Sicht nur eine gegnerische Partei unter anderen, auch wenn sie nach ihrem rapiden Wachstum die besondere Aufmerksamkeit der KPD erweckte. Da auch die NSDAP als . Agent" des Kapitals beurteilt wurde, konnte ihr die KPD keine besondere Eigenständigkeit zugestehen.

4. Hauptfeind innerhalb der Arbeiterklasse war für die KPD die Sozialdemokratie („Sozialfaschisten"), die es zu zerschlagen galt. Da die Sozialdemokratie sich angeblich in der „dritten Periode" „faschisierte", mit dem Staat verschmolzen war und die Arbeiter davon abhielt, zur KPD zu kommen, wurde jede Einheitsfront („Einheitsfront von oben") strikt abgelehnt. Durch die sogenannte „Einheitsfront von unten" sollte die SPD zersetzt sowie ihre Anhänger für die KPD gewonnen werden. Die linken Sozialdemokraten galten dabei als ’ „Hauptfeind ..., weil ihre Methoden zur Unterstützung der imperialistischen Politik die geschmeidigsten und wirksamsten" seien. Gerade sie hielten bei der wachsenden Radikalisierung die Arbeiter (die in der KPD-Vorstellung sonst fast zwangsläufig zum Kommunismus stoßen würden) bei der Sozialdemokratie.

5. Auch die Freien Gewerkschaften wurden von der KPD als „faschisiert" und mit dem bürgerlichen Staatsapparat verwachsen bezeichnet.

Daher mußte die KPD nicht nur die Gewerkschaftsführung bekämpfen, sondern auch eigene Organe zur Führung von Wirtschaftskämpfen bilden. Solche ökonomischen Kämpfe, Streiks usw. waren nach der Ansicht der KPD die beste Möglichkeit zur Erreichung der Arbeiter, wobei es vor allem unorganisierte Arbeiter zu gewinnen galt.

Diese strategische Konzeption der KPD blieb zwischen 1929 und 1934 konstant. Da die KPD an ihrer Einschätzung festhielt, es bestehe eine „revolutionäre Situation", blieb für sie die Sozialdemokratie der „Hauptfeind". Ein prinzipieller Unterschied zwischen SPD und NSDAP („Zwillingsbrüder") wurde ebenso geleugnet wie ein genereller Gegensatz zwischen Weimarer Republik und Faschismus.

I. Taktische Veränderungen

Zwischen 1929 und 1933 sind in der Politik der KPD acht Abschnitte mit taktischen Varianten der gleichbleibenden Strategie zu erkennen. Diese können hier nur knapp skizziert werden 1. Phase: Bis März 1930

Nach dem XII. Parteitag der KPD (Juni 1929) radikalisierte die KPD ihre Politik zunehmend; es kam zu einer exzessiven Auslegung der Generallinie. Die KPD behauptete, ein Krieg gegen die Sowjetunion stehe bevor, und sie bezichtigte völlig grundlos die sozialdemokratisch geführte Regierung unter Hermann Müller der „Kriegsvorbereitung" Ebenso behauptete die KPD, die SPD (als „sozialfaschistisch" diffamiert) betreibe eine rasche „Faschisierung" des Staatsapparats. Dabei wurde der Begriff „Faschismus" willkürlich für alle Gegner der Kommunisten gebraucht. Z. B. gab die KPD im September 1929 folgende Definition des Faschismus: „Der Faschismus in allen seinen Formen — als mit dem bürgerlichen Staat verwachsener Sozialfaschismus, als gelegent-lieh unter radikaler Maske auftretendes Hakenkreuzlertum — ist eines der wichtigsten Mittel des Finanzkapitals .. ."

Die NSDAP wurde hingegen in dieser Periode von der KPD völlig unterschätzt. Außerdem warnten die Kommunisten davor, einen „Unterschied zwischen Sozialfaschismus und Faschismus" zu suchen Trotz aller Verworrenheit der Faschismus-Definition der KPD war der Kampfbegriff in dieser Phase eher gegen die SPD als gegen die NSDAP gerichtet. Die Folge war das Abgehen von der (in der Strategie festgelegten) „Einheitsfront von unten", d. h.dem Versuch, die sozialdemokratische Basis durch kameradschaftliche Diskussion zu gewinnen, sie gegen ihre eigene Führung aufzuwiegeln und so die SPD zu zersetzen. Ende 1929 und Anfang 1930 richtete sich die Taktik der KPD gegen die gesamte Sozialdemokratische Partei und ihre Mitglieder. So hieß es am 9. Februar 1930: „Kommunist sein heißt Todfeind des Sozialfaschismus sein." Am 22. Februar wurde erläutert: „Unser Trommelfeuer auf die großen Zörgiebels hat darum nur dann Erfolg, wenn es gleichzeitig mit einem Sturmangriff auf die verbürgerlichten unteren Funktionäre verbunden ist. Wer noch zur SPD gehört, ist verfault und muß (aus Betrieb und Gewerkschaft, H. W.) fliegen — auch wenn er noch so radikal tut."

In der KPD-Presse wurden die „sozialfaschistischen Betriebsräte" als „ebensolche Bluthunde wie Noske, Severing und Zörgiebel" bezeichnet und die Kommunisten aufgefordert, in den „ehrlichen Reformisten" nicht Kameraden, sondern die „Hauptfeinde" zu sehen

Die gesamte Taktik der KPD war bis Frühjahr 1930 immer extensiver auf die Bekämpfung der SPD gerichtet. Mit dieser Auslegung ihrer Strategie geriet die KPD in Isolierung, insbesondere, da diese Taktik mit einer schrittweisen Spaltung der Gewerkschaften verbunden war. (Am 30. November und 1. Dezember 1929 tagte in Berlin der 1. Reichskongreß der kommunistischen Revolutionären Gewerkschaftsopposition, der RGO).

Die KPD war von ihrer strategischen Zielset zung, die Mehrheit der Arbeiter zu gewinnen weit entfernt: die Mitgliederzahl ging trotz de: Wirtschaftskrise (Januar 1930: 3, 2 Mill. Ar beitslose) von 135 000 Ende 1929 auf 120 00(im April 1930 zurück. Bei den Landtagswahler mußte die Partei Stimmenverluste hinneh men.

Diese Mißerfolge und weitere Faktoren (Stalin bremste in der UdSSR den ultralinken Kurs vorübergehend) veranlaßten die KPD nach dem Sturz der Regierung Müller und der Etablierung der Regierung Brüning zu einer taktischen Wende. 2. Phase: April bis August 1930

Am 5. April 1930 wurde das Mitglied des Pol-büros, Paul Merker, abgesetzt; ihm wurden linke Abweichungen von der bisherigen Politik vorgeworfen. In der taktischen Phase von April bis August 1930 wurde vor allem gefordert, die Gunst der Wähler und Mitglieder der SPD durch eine differenzierte Politik zu gewinnen. Das Ziel der taktischen Wende vom April 1930 war die „Ausmerzung sektiererischer Tendenzen", um die „Loslösung von SPD-und christlichen Arbeitern von ihrer reaktionären Führerschaft zu erreichen" Unverändert wurde die Verteidigung der Sowjetunion gegen den angeblich drohenden Überfall gefordert, die „Faschisierung" des Staatsapparats konstatiert, die NSDAP weiter unterschätzt. Die Faschismus-Definition blieb verschwommen: „Der Faschismus in Deutschland beschränkt sich keineswegs auf die faschistischen Kampf-und Mordorganisationen, die Nationalsozialisten, den Stahlhelm usw. Die Faschisierung Deutschlands erfolgt sowohl durch die faschistischen Kampforganisationen als auch durch den bürgerlichen Staatsapparat und seine sozialfaschistischen Agenten ... Der Kampf gegen den Faschismus ist daher undenkbar ohne den schärfsten Kampf gegen die Sozialdemokratische Partei, ihre Führerschaft, die eine entscheidende Waffe der Faschisierung Deutschlands darstellt." Die taktische Wende änderte auch nichts daran, daß die KPD vor allem die linken Sozialdemokraten als Hauptfeinde bekämpfte. Gleichzeitig führte die KPD den Ausbau eigener Gewerkschaften fort; bei den Betriebsratswahlen stellte die RGO wieder eigene Listen auf. So zeigte die Politik der KPD wesentlich neue taktische Züge nur in der „Einheitsfront von unten“. 3. Phase: August bis Dezember 1930

Am 24. August 1930 veröffentlichte das ZK der KPD die „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“. Damit begann eine neue Taktik, die sich in erster Linie auf den Nationalsozialismus und die SPD bezog und eine Verlagerung der politischen Agitation und Propaganda auf die „Nationale Frage“ bedeutete.

Während die These von der Verteidigung der UdSSR gegen die drohende Kriegsgefahr ebenso wie die Parole von der weiteren „Faschisierung“ des Staates und der Brüning-Regierung unverändert beibehalten wurde, schien die Programmerklärung auf die veränderte Situation im Parteiensystem einzugehen. Da sich immer deutlicher zeigte, daß in der konkreten Politik die Nationalsozialisten die schärfsten Gegner der Kommunisten waren, die Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien sich zu Saalschlachten und Mordanschlägen steigerten, sollte die Programmerklärung eine klare Position gegenüber der NSDAP bringen. Doch obwohl schon im ersten Satz die „deutschen Faschisten (Nationalsozialisten)“ angesprochen und deren nationale, und soziale „Demagogie" mit Recht zurückgewiesen wurde, war die Position der KPD zweideutig. Zum einen verfiel die KPD in den gleichen nationalistischen Jargon, zum andern griff sie weiterhin vor allem die Sozialdemokratie an. Da die NSDAP mit ihrer nationalen Demagogie Zulauf hatte, kopierte die KPD deren Methoden. Die Kommunisten nahmen in der „Programmerklärung“ für sich in Anspruch, nur sie kämpften „wirksam sowohl gegen den Youngplan als auch gegen den Versailler Raubfrieden“. Gleichzeitig griff die KPD im Stile der-Nazis die „korrupte Sozialdemokratie" an und warf dieser „fortgesetzten Hoch-und Landesverrat an den Lebensinteressen der arbeitenden Massen Deutschlands“ vor

Obwohl es die KPD zu ihrer Aufgabe erklärte, den Nationalsozialisten die „Maske" der Kämpfer für nationale Unabhängigkeit und für soziale Befreiung „vom Gesicht zu reißen", ge-langte die Partei zu keiner klaren Konzeption. Sie beurteilte nicht nur die NSDAP falsch — so hielt sie die Strasser-Gruppe für die „gefährlichste Gruppe" —, sondern geriet mit ihren eigenen nationalistischen Parolen rasch wieder in Frontstellung vor allem zur SPD. Diese blieb für die KPD-Führung nach wie vor der Haupt-feind, dessen Einfluß gebrochen werden sollte.

Die Faschismus-Definitionen der KPD wurden auch nach der „Programmerklärung" keineswegs schlüssiger. Während der Wahlkampagne 1930 gab die KPD-Führung ein typisches Beispiel ihrer verwirrenden Faschismus-Thesen. Sie proklamierte, die „richtige politische Generallinie" allein genüge nicht, es komme auf deren Anwendung an. In diesem Zusammenhang hieß es: „Die Hauptstoßkraft der Partei muß gerichtet sein gegen den Faschismus ..." Was in diesem Halbsatz jedoch wie eine klare Einsicht in die brennenden Probleme der Strategie und Taktik gegen die NSDAP anmutet (und etwa von der heutigen DDR-Geschichtsschreibung in dieser Richtung interpretiert wird), bietet in Wirklichkeit durch die Auslegung des Begriffes „Faschismus" ein Beispiel für die heillose Verwirrung der KPD-Position. Der ganze Satz lautete nämlich: „Die Hauptstoßkraft der Partei muß gerichtet sein gegen den Faschismus, sowohl National-als auch Sozialfaschismus, und insbesondere gegen das Zentrum, das den Faschisierungsprozeß des Staatsapparates im Augenblick führt."

Mit solchen „Theorien" wurden weiterhin alle nichtkommunistischen Kräfte kurzerhand als „faschistisch" deklariert. Die verwirrenden Faschismus-Thesen wurden ergänzt durch eine völlige Verkennung der realen Situation, wie vor allem die Einschätzung der Reichstags-wahlen von 1930 verdeutlicht. Thälmann erblickte in Hitlers Erfolgen „nur eine Art Umgruppierung innerhalb des bürgerlichens Lagers". Der Vulgärmarxismus der KPD, ihre schematischen Ansichten von Politik und Klassenkräften gehen aus ihrer Vorstellung hervor, nach der „die" Bourgeoisie sich „umgruppierte" und es „geschickt verstand“, jene NSDAP in den „Vordergrund zu schieben“, die radikale Phrasen von sich gab

Zur gleichen Zeit verschärfte die KPD ihre Taktik der Gewerkschaftsspaltung. Entsprechend den Forderungen des V. RGI-Kongresses baute die KPD ab Spätherbst 1930 die RGO immer deutlicher zu einer kommunistischen Gewerkschaft aus. Nun sollten rasch „RGOBetriebsgruppen" geschaffen werden.

In den wenigen Monaten zwischen August und Dezember 1930, in denen die KPD vor allem eine Wendung zur „nationalen" Politik durchführte, konnte die Partei erstmals in der Krisensituation größere Erfolge erreichen. Die Mitgliederzahl stieg von 127 000 auf 176 000, vor allem brachten die Reichstagswahlen vom September 1930 der KPD einen Gewinn (gegenüber 1928) von 1, 3 Millionen Stimmen und einen Anstieg von 10, 6 auf 13, 1 Prozent. Die neue Wendung im Dezember 1930 ging daher weder von einer selbstkritischen Beurteilung der Politik noch von Direktiven der Komintern aus, sondern von einer neuen Lagebeurteilung. 4. Phase: Dezember 1930 bis Frühjahr 1931

Am 2. Dezember 1930 schrieb das Zentralorgan der KPD, „Die Rote Fahne“: „Wir haben eine faschistische Republik." Die KPD sah in der Notverordnung Brünings den „größten Wendepunkt" seit 1918. Die „faschistische Diktatur" Brünings sollte nun durch die „Volksrevolution" gestürzt werden.

Das Exekutivkomitee der Komintern, das EKKI, relativierte diese Lagebeurteilung und erklärte, die „Einschätzung, die faschistische Diktatur bestehe bereits, ist politisch falsch.", Die Notverordnungen seien ein Schritt, aber noch nicht der entscheidende Schritt „zur Errichtung der faschistischen Diktatur". Die KPD beugte sich wie üblich dem EKKI.

Die Komintern verwarf die Ansicht der KPD, die ja eine Vorbereitung des Aufstandes beinhaltet hätte, sowohl aus Gründen der sowjetischen Außenpolitik (der solche Abenteuer schaden mußten) als auch aus einer realistischeren Beurteilung der Situation in Deutschland.

Die ZK-Tagung der KPD vom 15. bis 17. Januar 1931 schwächte die grobe Fehleinschätzung ab; sie erklärte die Regierung Brüning „zur Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur", die sich „sowohl auf die sozialdemokratische Führerschaft" als auch auf die „nationalsozialistischen Terrorbanden" stütze. Thälmann sagte auf der Tagung: „Wir haben in Deutschland den Zustand einer ausreifenden, wenn auch noch nicht ausgereiften faschistischen Diktatur. ” „Kriegspolitik gegen die Sowjetunion" war nach Auffassung der KPD eine Zielsetzung der „faschistischen Diktatur". Die widersprüchliche Definition des Faschismus änderte sich jedoch nicht. In einer Agitationsbroschüre „SPD-Arbeiter fragt — wir antworten" erklärte die KPD, „der Faschismus ist nicht die NSDAP, sondern eine bestimmte politische Herrschaftsmethode des Kapitals". Weiter hieß es: „Hitler ist doch kein selbständiger politischer Faktor — er ist aufgepäppelt vom Finanzkapital". Und selbst auf die dem SPD-Arbeiter zugeschriebene Frage: „Aber ihr werdet nicht leugnen können, daß eine Hitler-oder Hugenbergregierung den Krieg bedeutet", antwortete die KPD leichtfertig, der Krieg sei eben für jeden „Imperialismus eine objektive Notwendigkeit, gleichgültig, wie seine Regierung heißt."

Der (auch durch die bürgerkriegsähnlichen Zustände hervorgerufene) weitere Abbau demokratischer Rechte durch die Brüning-Regierung, etwa die Einschränkungen des Versammlungsrechtes und der Pressefreiheit im März 1931 — deren Auswirkungen in der Praxis fast immer die KPD trafen —, läßt freilich die Schwierigkeit für die KPD-Führung erkennen, zu einer differenzierteren und realistischeren Einschätzung zu gelangen. Der Dogmatismus der KPD wurde noch verstärkt durch den Immobilismus der SPD, die ja ebenfalls zu keiner klaren Einschätzung und Konzeption fähig war

Von der KPD wurde die Gewerkschaftsspaltung vorangetrieben, die Stärkung und Ausweitung der RGO gefordert. Ein kommunistischer Metallarbeiterverband und ein Roter Bergarbeiterverband wurden gegründet. Wie üblich glaubten KPD und RGO vor allem durch die Auslösung von Streiks voranzukommen. Zwar konnte nach dem Bergarbeiterstreik vom Januar 1931 ein eigener Verband gegründet werden, insgesamt blieb diese Konzeption in der Krise weiterhin ohne nennenswerten Erfolg.

Durch die sich vertiefende Wirtschaftskrise (im März 1931 gab es fast 5 Millionen Arbeitslose) und durch die Krise des Staates und des Parteiensystems konnte'die KPD ihren Einfluß verstärken. Der Partei gelang es, die Zahl ihrer Mitglieder auf 205 000 (Februar 1931) zu steigern. Wenn dennoch im April 1931 wieder eine neue taktische Schwenkung erfolgte, so war dies nicht auf die deutsche Situation, sondern auf Weisungen der Komintern zurückzuführen. Das hing eng mit der sowjetischen Außenpolitik zusammen: „Der allgemeine Argwohn der Sowjetunion richtete sich gegen die verstärkte außenpolitische Westorientierung der deutschen Regierung, die durch die im Februar-März (1931) gewichtiger gewordene sozialdemokratische Rolle im Parlament neuen Auftrieb erhalten würde." 5. Phase: April bis Oktober 1931

Das XI. Plenum des EKKI im April 1931 veranlaßte die KPD zu einer verschärften Taktik gegenüber der SPD. Das EKKI konstatierte eine „revolutionäre Krise" sowie die akute Gefahr des Interventionskrieges gegen die UdSSR. Die Sozialdemokratie wurde bezichtigt, das . wichtigste Werkzeug" bei der Vorbereitung des „konterrevolutionären Krieges gegen die Sowjetunion" zu sein. Das EKKI hob hervor, die Sozialdemokratie sei die „soziale Hauptstütze der Diktatur der Bourgeoisie“ Die KPD stellte sich sofort uneingeschränkt hinter die Beschlüsse des EKKI und versuchte, diese in ihrer Politik umzusetzen.

Wie üblich wurde die „Kriegsgefahr" für die Sowjetunion heraufbeschworen. Die Brüning-Regierung blieb für die KPD die „Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur". Ansätze einer differenzierteren Betrachtung des Parteiensystems wurden wieder zurückgenommen; unter dem Druck der Komintern richtete die KPD den Hauptstoß deutlich gegen die SPD. „SPD und Nazis" waren in ihren Augen nur „zwei Eisen im Feuer der Bourgeoisie, deren sich das herrschende Finanzkapital wechselseitig bedient"

Die neue Taktik kulminierte in der Beteiligung der KPD am Volksentscheid der Rechten in Preußen. Ursprünglich hatte die KPD das Volksbegehren des Stahlhelm gegen die so-zialdemokratisch geführte preußische Regierung abgelehnt. Nach dem Erfolg des Volksbegehrens blieb die KPD-Führung bis Juli bei ihrer ablehnenden Haltung. Doch wenige Tage vor dem Volksentscheid griff die Komintern ein und drängte die KPD zur Teilnahme. Am 22. Juli traten danach die Führungsorgane der KPD zusammen und revidierten ihre frühere Haltung. Zusammen mit der NSDAP, " dem Stahlhelm und der DNVP nahm die KPD am 9. August 1931 am Volksentscheid teil; freilich versagte ein Teil ihrer Wähler die Gefolgschaft, der Volksentscheid scheiterte.

Die KPD erklärte, sie mache weder Einheitsfront mit Hitler oder Hugenberg noch mit Braun, Severing oder Leipart, alle seien „Todfeinde der Arbeiterklasse“ Doch mit der Gleichsetzung Hitlers mit SPD-und Gewerkschaftsführern hatte sie einen Weg eingeschlagen, der zur faktischen Einheitsfront mit Hitler und Hugenberg führte. Die Folge war die Vertiefung des Grabens zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in der Arbeiterschaft. Die Spaltung wurde noch forciert durch die RGO-Politik, die nach dem XI. EKKI-Plenum weitergetrieben wurde. Es kam zu Aufrufen, die Freien Gewerkschaften zu verlassen und zur RGO zu gehen, die Freien Gewerkschaften zu „zerschlagen“. Die taktische Phase von April bis Oktober 1931 zeigt so in vieler Hinsicht einen Rückfall in die exzessive ultralinke Auslegung der Strategie vor dem April 1930. Trotz gewisser Erfolge (Steigerung der Mitgliedschaft auf 233 000) blieb die KPD in der Arbeiterschaft isoliert, daher folgte im Oktober 1931 eine neue taktische Wende. 6. Phase: Oktober 1931 bis Frühjahr 1932

Ab Oktober 1931 rückte die NSDAP wieder stärker ins Blickfeld der KPD. Die Schaffung der Harzburger Front am 11. Oktober 1931 sowie die aggressiven Angriffe und Überfälle der SA und NSDAP auf organisierte Arbeiter bestimmten die neue Taktik. Mit dem Ruf nach „proletarischer Einheitsfront“, differenzierter Behandlung der Sozialdemokraten und Aktivitäten in den Freien Gewerkschaften schwächte die KPD die im Volksentscheid kulminierte Taktik ab.

Die taktische Wende vom Oktober 1931 galt vor allem der Gewerkschaftspolitik. Nach den Mißerfolgen der RGO sollten die Kommunisten wieder stärker in den Freien (und auch den christlichen) Gewerkschaften arbeiten.

Die Aufforderung nach „Zerstörung" der Freien Gewerkschaften wurde ausdrücklich für falsch erklärt*. Doch blieb die KPD bei der These, die Gewerkschaften seien „ein Flügel des Faschismus".

Im November 1931 appellierte die KPD an Sozialdemokraten und Gewerkschafter, angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage die „Rote Einheitsfront", also die „Einheitsfront von unten" zu bilden. Doch Ende 1931 kritisierte Thälmann bereits wieder, daß sich „Tendenzen einer liberalen Gegenüberstellung von Faschismus und bürgerlicher Demokratie, von Hitler-Partei und Sozialfaschismus, in unseren Reihen gezeigt haben"'. Auch „Einheitsfrontangebote von oben an bezirkliche (!) ADGB-Führungen" wie im Ruhrgebiet erregten Thälmanns Zorn. Er betonte, die KPD habe weiterhin „den Hauptstoß gegen die Sozialdemokratie als die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie zu richten"

So zeigt die taktische Periode von Oktober 1931 bis April 1932 besonders drastisch die verworrene Position der KPD. Nach Ansätzen einer neuen Haltung gegenüber SPD, Gewerkschaften und NSDAP fiel die Linie rasch wieder zurück auf die radikale Haltung des Sommers 1930. Die „Verteidigung der UdSSR" blieb unangefochten Bestandteil der Politik; wie eh und je wurde die SPD der ideologischen Vorbereitung der Intervention bezichtigt. Die Definition des Faschismus blieb weiterhin zweideutig. So erklärte Thälmann im November 1931: „Wir sagen den Arbeitern, der Faschismus beginnt nicht, wenn Hitler kommt, er hat längst begonnen."

Die Taktik ab Oktober 1931 reduzierte sich so rasch wieder auf Versuche der Einheitsfront von unten (jetzt rote Einheitsfront genannt), blieb also im Rahmen der Generallinie auf die Zersetzung der SPD gerichtet. Die „rote Einheitsfront" sollte sich nach Thälmann gleichzeitig „gegen Hitlerpartei und sozialdemokratische Führerschaft richten"

Wenn untere Organe der KPD sich über diese Linie hinwegsetzten und gemeinsam mit der SPD gegen den Nationalsozialismus auftraten, wurden sie von der Führung gerügt. Im Januar 1932 wandte sich die Bezirksleitung Ruhr ir einem Rundschreiben gegen solche „falsche Einheitsfrontpolitik. Die Leitung drohte ihrer Mitgliedern, jeder Versuch, mit Sozialdemokraten („diesen konterrevolutionären Agenten") „auch nur zu verhandeln", komme „einem Verrat gleich und erfordert die schärfsten Maßnahmen der Parteidisziplin gegen diejenigen, die sich solcher Handlungen schuldig machen" Erst die Niederlagen bei den Präsi dentschaftswahlen und vor allem bei den preußischen Landtagswahlen im März bzw April 1932, bei denen die KPD hinter die Ergebnisse der Reichstagswahl von 1930 zurück-fiel (von 3, 1 auf 2, 8 Millionen Stimmen), führten zu neuen Überlegungen und einer einschneidenden taktischen Wende. 7. Phase: April/Mai 1932 bis Oktober 1932

Sofort nach den Wahlen in Preußen wandte sich die KPD-Führung mit einem neuen „Einheitsfront" -Angebot zwar nicht an die SPD, aber an deren Anhänger. Die Taktik der KPD wurde nun flexibler. Den Durchbruch der neuen Taktik brachte die „Antifaschistische Aktion". Auf einer Tagung des ZK der KPD am 24. Mai 1932 forderte Thälmann das „Herumreißen der Partei zu einer wirklichen Einheitsfront von unten" und schlug eine „große antifaschistische Aktion in Deutschland" vor

Einen Tag nach der ZK-Sitzung überfiel die NS-Frakion im Preußischen Landtag die Kommunisten und deren Redner Pieck. Das war für die KPD das auslösende Moment, die geplante „Antifaschistische Aktion" zu proklamieren und die Taktik vorrangig gegen die NSDAP zu richten. Zwar sollte die Antifaschistische Aktion „unter Führung der KPD" stehen, doch Ziel sollte sein, „dem Hitlerfaschismus den Weg zur Regierungsmacht zu verlegen, die aufsteigende Welle des Hitlerfaschismus zum Stehen zu bringen und zurückzuschlagen" Damit gab die KPD erstmals eine realistischere Einschätzung der Stärke der NSDAP zu erkennen und unternahm ebenso Ansätze, den „Hauptstoß" gegen diese Gefahr zu richten. Offensichtlich versuchte die KPD-Führung, mit der neuen Taktik der Antifaschistischen Aktion die Strategie, die Generallinie der KPD, so flexibel wie möglich auszulegen und nun den Kampf vor allem gegen die NSDAP zu richten. Die neue Taktik kam bei den KPD-Funktionären gut an, so daß die Aktivitäten der Partei gesteigert werden konnten und innerhalb der Arbeiterschaft die KPD ihre Isolierung wenigstens in Ansätzen zu durchbrechen vermochte. Untere Einheiten der KPD wollten die Einheitsfront forcieren. In Württemberg z. B. traten die Leitungen von Heilbronn und Göppingen mit Vorschlägen an SPD und den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) heran, in Ebingen und Tübingen bot die KPD sogar einen „Burgfrieden“ an und nahm selbst mit der KPO (Kommunistische Partei-Opposition) Kontakte auf. In Ebersbach wurde sogar „Einheitsfront ohne die Führer“ gefordert. Auch in anderen Teilen Deutschlands, so in Dessau, kam es zu solchen Angeboten. Doch bereits in einem Rundschreiben vom 14. Juli 1932 sah die KPD-Führung nach weniger als zwei Monaten der neuen Taktik bereits „Fehler" in der Einheitsfrontpolitik und blies zum Rückzug. Die KPD wollte die Erfolge, die sie mit der Antifaschistischen Aktion erreicht hatte, nicht aufs Spiel setzen, deshalb kam es auch zu keiner durchgreifenden Änderung der Taktik. Aber die Parteiführung hatte Angst vor einem Zusammengehen mit sozialdemokratischen Organisationen gegen die NSDAP. Untere Organe hatten die neue Taktik ja so weit ausgelegt, daß die Generallinie in Gefahr geriet, zu verwässern. Entsprechend dem Rundschreiben vom 14. Juli wurden alle (offenbar recht zahlreichen) Einheitsfrontverhandlungen mit unteren Organen von ADGB und SPD unter der Parole „keine Spitzenverhandlungen" verboten. Die Schlagzeilen lauteten nun wieder: „Massenkampf gegen Hitler-partei, Sozialdemokratie und Zentrum". Der Partei wurde ins Gedächtnis gerufen, daß „trotz Anwachsens der Nazis die SPD soziale Hauptstütze der Bourgeoisie" bleibe und dementsprechend bekämpft werden müsse Die Verhärtung der Taktik ist aus der Furcht der KPD-Führung zu erklären, eine zu flexible Auslegung der Einheitsfront gegen die NSDAP könne zu Abweichungen von der Strategie führen. Diese Befürchtung war aber bei der Komintern noch größer, und es war daher in erster Linie der Einfluß der Komintern, der die KPD auf den Kurs zurückdrängte, die SPD sei „Hauptstütze der Bourgeoisie" und daher nicht bündnisfähig.

Bereits im Juni 1932 hatte der Komintern-Führer Knorin in einem Telegramm gegen die „op-portunistischen Auswüchse" der Politik der Antifaschistischen Aktion protestiert. Die Haltung in Parlamenten wurde kritisiert, etwa das Angebot Piecks, zur Verhinderung eines NSDAP-Landtagspräsidenten in Preußen SPD und Zentrum zu unterstützen.

Die taktische Wende vom April/Mai 1932 bedeutete die größte Veränderung der KPD-Politik seit 1929. Die Haltung gegenüber der NSDAP wurde härter und konsequenter, gegenüber SPD und Gewerkschaften flexibler. Auf Druck der Komintern mußten im Juli 1932 die Ansätze, durch großzügige Auslegung der Taktik auch die strategische Linie zu modifizieren (Bereitschaft zur Einheitsfront mit Organisationen, Parlamentsarbeit), wieder revidiert werden. Dennoch brachte in dieser Phase die Antifaschistische Aktion eine etwas wendigere Taktik, die auch Erfolge zeigte. War diese Taktik vor allem in der Wahlniederlage vom April 1932 und dem Anschwellen der NSDAP begründet, so ging die KPD nach ihren Wahlerfolgen im Juli 1932 wieder auf stärkere Distanz zur Konkurrenzpartei SPD. Eine neue taktische Wende und damit eine völlige Gleichsetzung von NSDAP und Sozialdemokratie verursachte erst der Druck der Komintern, die auf ihrem XII. Plenum im September 1932 diese Linie vorschrieb. 8. Phase: Oktober 1932 bis 1933

Die KPD übernahm sofort die verschärfte Taktik, die das XII. EKKI-Plenum forderte. Die 3. Reichsparteikonferenz der KPD (15. bis 18. Oktober 1932) nahm die These des XII. Plenums des EKKI auf: „Nur wenn der Haupt-schlag gegen die Sozialdemokratie, diese soziale Hauptstütze der Bourgeoisie, gerichtet wird, kann man den Hauptklassenfeind des Proletariats, die Bourgeoisie, mit Erfolg schlagen und zerschlagen." Der angeblich drohende Krieg gegen die UdSSR rückte die „Verteidigung" der Sowjetunion wieder stärker in den Vordergrund der KPD-Politik. Auf der Parteikonferenz wurde die „Verteidigung des Vaterlandes aller Werktätigen“ gefordert und „Genosse Stalin" als „unumstrittener Führer des Weltproletariats“ gefeiert Wieder ein-mal wurde behauptet, in Deutschland sei — diesmal durch Papen — „eine der Formen der faschistischen Diktatur" errichtet.

Die KPD wollte weiterhin den „schärfsten Kampf“ gegen die SPD führen. Noch zwei Tage vor Hitlers Machtantritt, am 28. Januar 1933, nannte die Parteiführung in einem Rundschreiben die SPD die „soziale Hauptstütze der Kapitalsherrschaft" und konstatierte einen „weiteren Faschisierungsprozeß" der SPD

Der Berliner Verkehrsarbeiterstreik vom November 1932 hatte auch die Widersprüchlichkeit der KPD-Gewerkschaftspolitik gezeigt. Die RGO bildete eine Streikleitung, in die nach offizieller Darstellung auch „nationalsozialistische BVG-Arbeiter" aufgenommen wurden Es kam zu einer Art „Einheitsfront von unten“ mit den Nazis, die sich an den Streik nur anhängten, aber dennoch in die zentrale Streikleitung einbezogen wurden. Da sich die RGO nicht scheute, zusammen mit der NSBO (Nationalsozialistische Betriebsorganisation) gegen die Freien Gewerkschaften zu agitieren, kam es zu einer neuen Verwirrung der KPD-Anhänger und einer vertieften Spaltung der Arbeiterschaft.

Die KPD hielt bis zum Schluß an ihrer falschen Frontstellung fest. Zwar wandte sich Thälmann am 30. Januar 1933 mit einem Aufruf zur Einheitsfront direkt an die SPD, doch ein Appell antifaschistischer Intellektueller (Heinrich Mann, Käthe Kollwitz u. a.) zur Zusammenarbeit aller Arbeiterorganisationen gegen Hitler wurde im Februar 1933 von der KPD als „Verwirrungsmanöver" verworfen.

So war es nicht erstaunlich, daß die Führung ihrer Mitgliedschaft nur schwer verständlich machen konnte, warum sich mit Hitler „eine grundlegende Veränderung der Situation ergeben hat" Gerade die KPD hatte ja die bestehenden Verhältnisse in Deutschland bereits seit Jahren als „faschistische Diktatur" bezeichnet und damit die Gefahr einer Machtergreifung Hitlers verniedlicht.

Obwohl die KPD einige verbale Einheitsfrontangebote an die SPD machte, behielt sie die ultralinke Generallinie bei. Damit wurde jede Aufforderung zum gemeinsamen Kampf unglaubwürdig. Noch im Mai 1933 erklärte das ZK der KPD im alten Jargon: „Die völlige Ausschaltung der Sozialfaschisten aus dem Staatsapparat, die brutale Unterdrückung auch der sozialdemokratischen Organisation und ihrer Presse ändert nichts an der Tatsache, daß sie nach wie vor die soziale Hauptstütze der Kapitalsdiktatur darstellen.“

Solche Thesen verbreitete die KPD noch, als ihre eigene Organisation bereits zerschlagen wurde. Allein im Ruhrgebiet wurden bis Anfang April 1933 7 300 KPD-Funktionäre verhaftet. Die Kommunisten bekamen als erste den von ihnen stets geleugneten Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und Hitler-Faschismus zu spüren. Das EKKI behauptete allerdings, der Sieg Hitlers bedeute keine Niederlage der Arbeiterbewegung; die Moskauer Führung bescheinigte der KPD sogar, daß „die politische Linie und die organisatorische Politik, die das ZK mit dem Genossen Thälmann an der Spitze bis zum Hitlerschen Umsturz und im Augenblick dieses Umsturzes befolgte, vollständig richtig war.“

Solche Beschönigungen konnten die Niederlage nicht ungeschehen machen. Trotz großer Opfer im Kampf gegen Hitler ging die alte 1933 und in den folgenden Jahren unter.

KPD

II. Die Generallinie

Die verschiedenen taktischen Wendungen der KDP zwischen 1929 und 1933 zeigen, daß die Politik der Partei nicht widerspruchsfrei war. Doch dahinter stand eine klar formulierte Strategie, handelte es sich für die Komintern um eine rationale und kalkulierte Generallinie. Freilich ist diese rückblickend für die KPD als verfehlt und unrealistisch, als den kommu-nistischen Interessen in Deutschland widersprechend zu erkennen. Die der Strategie zugrunde liegende Analyse der deutschen Verhältnisse, der Sozialdemokratie und insbesondere der NSDAP war falsch.

Die Generallinie wurde nicht von der KPD, sondern von der Komintern entwickelt; sie be-ruhte auf den Vorstellüngen der UdSSR unter Stalin. Daher entsprach sie auch nicht den Erfordernissen der KPD, sondern den Interessen (oder den vermeintlichen Interessen) der Sowjetunion und den ideologischen Konzeptionen der Sowjetführer, wieder in erster Linie Stalins. Der Widerspruch zwischen der Strategie und der deutschen Realität führte zu immer neuen Schwierigkeiten beim Versuch, die Generallinie in die Praxis umzusetzen und Erfolge zu erringen. Die ständige Änderung der Taktik, die freilich nur im Rahmen dieser Strategie erfolgen konnte, zeigt die vergeblichen Bemühungen, die Generallinie mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen.

Systematisch gesehen, änderte die KPD zwischen 1929 und 1933 ihre Taktik siebenmal. Doch bei den fünf Schwerpunkten der Politik war die Haltung zur UdSSR (Verteidigung gegen angebliche Intervention) so eindeutig, daß hier kein Anlaß zu einer taktischen Schwenkung gegeben war. Veränderungen im Staatsapparat, also der Politik der Regierung, boten der KPD nur Ende 1930 Grund für eine taktische Neuorientierung. Auch das Parteiensystem und speziell die NSDAP war nur im August 1930 direkter Anlaß zur Änderung der Taktik („nationales Programm”). Demgegenüber stand einmal, im Oktober 1931, die Gewerkschaftspolitik im Mittelpunkt der neuen Taktik, sonst blieb diese immer auf die SPD fixiert, bestand das Problem darin, wie die „Einheitsfront von unten" zu erreichen war, brachten vier der sieben taktischen Wendungen eine veränderte Haltung gegenüber der SPD.

Die tiefsten Zäsuren in der Generallinie bedeuteten die neue Taktik vom April 1930 und dann vor allem vom April/Mai 1932. Beides waren Versuche, die Strategie des „Hauptstoßes“ gegen die Sozialdemokratie so flexibel zu fassen oder abzumildern, daß der Kampf gegen den wirklichen Hauptfeind der KPD, die NSDAP, mit einiger Aussicht auf Erfolg geführt werden konnte.

Ein Blick auf die Hauptfaktoren, die zur jeweiligen taktischen Änderung der Strategie führten, ist ebenfalls aufschlußreich. Die erste taktische Schwenkung vom April 1930 wurde nicht nur durch die Mißerfolge der KPD, sondern auch durch die Weisungen der Komintern (Sitzung des EKKI-Präsidiums im März 1930) bestimmt. Die taktischen Wendungen vom April 1931 und vom Oktober 1932 waren sogar ausschließlich eine Anpassung an die Kominternlinie, die das XI. bzw. XII. EKKI-Plenum festgelegt hatte (und in beiden Fällen bedeutete dies eine erhebliche Verschärfung des Kurses gegen die SPD). Die Wendung vom August 1930 (nationale Politik) war nicht nur die Folge eines Anstiegs der NSDAP, sondern ebenso der veränderten sowjetischen Außenpolitik. Vier der sieben taktischen Wendungen sind also eindeutig auf die Komintern bzw.

die Sowjetunion zurückzuführen.

Hiermit wird deutlich, daß nicht nur die Generallinie der KPD eine Widerspiegelung der Komintern-Strategie war, sondern auch die jeweilige Taktik der deutschen Kommunisten vorrangig von Moskau diktiert wurde. Die Einbindung der KPD in die Komintern war mehr als nur eine organisatorische Frage, sie war auch für die politische Konzeption entscheidend. Diese politische Konzeption zeigte in ihren Schwerpunkten indes die gesamte Problematik der Partei. Die Ideologie und Programmatik der Partei verengte sich nach 1929. Die Sowjetunion, das „Vaterland" der Kommunisten, blieb nicht nur Vorbild für die Revolutionserwartungen der Partei (Fixierung auf die russische Oktoberrevolution und schematische Gleichsetzung der eigenen Aufgaben mit der russischen Entwicklung), auch das Ziel, die kommunistische Zukunftsgesellschaft, reduzierte sich auf die sowjetische Wirklichkeit der Stalinschen Industrialisierung und Partei-diktatur. Neben dem Widerspruch, als deutsche Arbeiterpartei sowjetische Interessen vertreten zu wollen und zu müssen, zeigte sich ein zweiter Grundwiderspruch: als Massenpartei konnte die KPD nicht nur verbal-radikal Revolutionsideologie vertreten, sie mußte auch praktische Tagespolitik betreiben.

Der kämpferische Einsatz der KPD für eine „bessere Welt", ihre Opposition gegen überholte Strukturen der Gesellschaft zeigten sie als eine Partei des Fortschritts. Die Kritik am bestehenden wirtschaftlichen und politischen System war die „Stärke des deutschen Kommunismus" Doch dieses progressive Potential wurde durch die kommunistische Strategie verspielt. Der Massenanhang, die kraftmeierische Sprache der Parteiführung und der Kampfgeist der Funktionäre und Mitglieder schufen ein falsches Bild. Trotz erheblichen Zulaufs an Mitgliedern und Wählern (ihr höchster Stimmenanteil betrug 17 Prozent im November 1932) blieb die KPD letztlich isoliert. * Die Verfolgung der KPD durch den Weimarer Staat war keineswegs die Ursache der verhängnisvollen Gleichsetzung von Demokratie und Faschismus durch die Kommunisten, erleichterte aber der Parteiführung die Durchsetzung dieser Linie. Polizeiaktionen gegen die KPD (allein 1932 über tausend) waren ebenso typisch wie das Verbot kommunistischer Zeitungen, und in den letzten drei Jahren der Republik erschoß die Polizei 170 Kommunisten. Unter solchen Umständen wurde die unsinnige und verheerende These der KPD-Führung, „Brüning hat eine absolute Diktatur eingerichtet, wie sie die Nationalsozialisten nicht absoluter schaffen können" von der Partei kritiklos akzeptiert und von den Funktionären wohl auch geglaubt.

Die KPD erschien am Ende der Republik noch immer als die revolutionäre Partei, die sie einmal war, eine Bewegung, die „für das Morgen existiert" Auch das vergrößerte ihre Anhängerzahl, da das Heute in der Krise für viele eine einzige Misere war. Opponierende Jugendliche und kämpferische Geister, die nicht resignieren wollten, glaubten in der KPD eine politische Heimstätte zu finden. Klassenbewußte Arbeiter, die nicht nur eine materielle Besserstellung, sondern mehr noch gesellschaftliche Gleichberechtigung und Anerkennung ihrer Menschenwürde forderten, wurden durch das radikale Auftreten und die programmatischen Ziele der Partei angezogen. Freilich ist nicht zu übersehen, daß die KPD in der Krise auch „lumpenproletarische" Elemente in ihren Bann zog.

Durch die Bekämpfung nicht nur der übrigen Parteien, sondern auch der nichtkommunistischen Arbeiterbewegung, blieb die Partei ohne realpolitisches Gewicht und verharrte im Negativen. Da die Strategie alle nichtkommunistischen politischen Kräfte kurzerhand mit dem Etikett „Faschismus" belegte, konnte die Partei auch nicht zu differenzierter Politik gelangen. Die Analyse des deutschen Parteiensystems in der Strategie und Taktik der KPD blieb so an der Oberfläche. Erst recht konnte die Partei mit ihren Faschismus-Thesen die NSDAP nicht klar einordnen und bekämpfen. Bei den verworrenen Faschismus-Thesen der KPD (Nationalfaschismus, Sozial-faschismus, Zentrumsfaschismus, Hugenberg-Faschismus usw.) war die KPD im allgemeinen nicht in der Lage, in der NSDAP eine besondere politische Kraft zu sehen; für sie blieb die NSDAP eine von vielen gegnerischen Parteien. Daher gelang es der KPD nicht, die Gefahr dieser Bewegung gerade für den deutschen Kommunismus realistisch einzuschätzen. Zwar führten die heftigen und oft blutigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten hin und wieder zu bemerkenswerten theoretischen Reflexionen, in der Gesamtkonzeption der Partei konnten sich solche Einsichten jedoch nicht durchsetzen. Das hing wohl nicht zuletzt damit zusammen, daß es sich bei den Faschismus-Analysen der KPD nicht um eigenständige Aussagen der deutschen Partei handelte, sondern um die unkritische Übernahme der Faschismus-Vorstellungen der Komintern. Die Generallinie beinhaltete so eine ständige Unterschätzung der NSDAP (nicht unbedingt des „Faschismus", doch damit war ja die Gesamtheit der kommunistischen Gegner gemeint).

War die kommunistische Strategie von 1929 bis 1933 für die Komintern und insbesondere für die Sowjetunion durchaus rational und klar kalkuliert, so mußte sie sich allein wegen dieser katastrophalen Fehleinschätzung der NSDAP für die KPD verheerend auswirken. Rückblickend kann man sagen, vermutlich hätte selbst noch eine längere diktatorische Herrschaft Schleichers das Hitlerregime — und damit den Zweiten Weltkrieg und 50 Millionen Tote — verhindern können. Die KPD wäre unter einem solchen System wohl auch verboten, aber nicht zerschlagen und ihre Führer und Funktionäre nicht physisch vernichtet worden. Freilich kann man nicht erwarten, daß die KPD-Führung damals eine solche Politik des „kleineren Übels" erkennen konnte oder gar praktizieren wollte (auch alle übrigen Parteien schätzten ja die NSDAP falsch ein). Doch ihre Strategie hemmte eben jeglichen Ansatz zur Erkenntnis, daß der Kampf gegen Hitlers Machtergreifung praktisch um jeden Preis geführt werden mußte. Die Strategie der KPD verhinderte — trotz ihres täglichen Einsatzes gegen die NSDAP — ein Konzept zur erfolgreichen Bekämpfung Hitlers. Diese verhängnisvolle Fehleinschätzung ist keineswegs zwangsläufig aus der kommunistischen Ideologie entstanden, wofür die weit realistischere Beurteilung des Faschismus durch die verschiedenen kommunistischen Oppositionsgruppen ein Indiz darstellt. Es war vielmehr die Abhängigkeit der KPD von der Komintern, die eine der deutschen Situation angemessene Politik der KPD erschwerte.

III. Innerparteiliche Auseinandersetzungen

Die Generallinie konnte in der KPD nicht immer reibungslos durchgesetzt werden, besaß doch die Partei eine Tradition innerparteilicher Demokratie, die trotz der Stalinisierung nachwirkte. Auch hatte die Führung (anders als die Staatspartei. KPdSU) außer relativ geringen materiellen Mitteln keinerlei Repressionsmöglichkeiten gegenüber ihrem Apparat und besonders den ehrenamtlichen Mitgliedern; sie mußte diese also vor allem ideologisch überzeugen. Obwohl die KPD nach 1929 eine straff zentralisierte und disziplinierte Organisation war, gab es noch Auseinandersetzungen. Im Gegensatz zur Zeit vor 1930 handelte es sich jedoch nicht mehr um politische Richtungskämpfe verschiedener Gruppen und Fraktionen, die offen ausgetragen wurden, sondern um Querelen in der Führungsspitze oder um kleinere Absplitterungen von der Partei. Immerhin behinderten sie die Führung bei der Durchsetzung der Generallinie und waren so für diese von Bedeutung.

Dabei sind Auseinandersetzungen innerhalb der Führung (wie die Krisen um Paul Merker und vor allem um Heinz Neumann) zu unterscheiden von Nachklängen ehemaliger Gruppenopposition (Opposition der60) und . Abweichungen" mittlerer und unterer Kader, die am häufigsten registriert wurden. 1930 konnte die Führung die Opposition von Paul Merker und seinen Anhängern leicht überwinden; Merker mußte nun als Sündenbock für die ultralinken Überspitzungen herhalten. Zur gleichen Zeit wurde die „Gruppe der60" ausgeschaltet, die sich gegen den RGO-Kurs wandte. Ihr Ausschluß beendete jede Form organisatorischer Zusammenfassung oppositioneller Gruppen in der KPD. Es gab jedoch weiterhin sogenannte Abweichungen, allerdings mit unterschiedlichem Stellenwert und von verschiedener Art. Unter diesen Begriff fielen sowohl Stimmungen und Handlungen an der Basis, die nicht der Generallinie entsprachen, als auch praktische oder theoretische Aussagen von Funktionären, die von den Vorstellungen der Führung abwichen, und schließlich auch Auseinandersetzungen innerhalb der Führung selbst, bei denen die unterlegenen Führer als Abweichler gebrandmarkt wurden. Typisch für eine von der Führung ab November 1931 bekämpfte Abweichung an der Basis war die in der KPD verbreitete Tendenz zum „individuellen Terror". Dies betraf Überfälle von Kommunisten auf politische Gegner (der NSDAP, aber auch der Polizei und selbst der SPD), die bis zum politischen Mord reichten und in einem Beschluß des ZK ausdrücklich verurteilt wurden.

Noch stärker mußte sich die KPD-Führung bis 1933 ständig mit „rechten“ oder „linkssektiererischen" Abweichungen beschäftigen, wobei allerdings meist nicht konkret die Abweichler" benannt wurden, sondern Stimmungen die „Gefahr" signalisierten. Die Führung glaubte, durch straffe Anleitung und Schulung der Funktionäre einerseits und durch Auswechslung der Funktionärskader andererseits die Probleme bewältigen zu können. Entsprechend der ultralinken Strategie blieben dabei die „rechten" Abweichungen „die Hauptgefahr" (XII. EKKI-Plenum).

Es gab auch ideologische Abweichungen. So wandte sich Thälmann gegen die Theorien Rosa Luxemburgs. Vor allem nach einem Brief Stalins von 1931, der gegen die deutsche Vor-kriegs-Sozialdemokratie und Rosa Luxemburg gerichtet war, mußte die KPD ihre eigene Tradition bekämpfen und den „Luxemburgismus" schmähen. Freilich zeigte sich gerade hier, daß ideologische Auseinandersetzungen kein Selbstzweck waren. Aus dem Stalin-Brief wurden auch aktuelle politische Schlußfolgerungen gezogen, vor allem erneut die These vom „Hauptstoß gegen die Sozialdemokratie" abgeleitet und insbesondere die linken Sozialdemokraten, die Sozialistische Arbeiter Partei (SAP) und die KPO zur Zielscheibe von Angriffen gemacht.

Zeigt so ein Blick auf die verschiedenen Formen von Abweichungen zwischen 1930 und 1932, wie vielfältig die Differenzen in der KPD waren, so fand die entscheidende Auseinandersetzung jener Periode in der Führung selbst statt. Es war das Auseinanderbrechen des nach der „Wittorf-Affäre" 1928 zustande gekommenen Führungs-„Triumvirats" Heinz Neumann, Hermann Remmele und Ernst Thälmann. Der Kampf zwischen den Spitzenführern, die 1929, 1930 und weitgehend auch 1931 gemeinsam die von Stalin bestimmte Politik der KPD leiteten, war die wichtigste innerparteiliche Kontroverse zwischen 1930 und 1933. Bis 1931 arbeiteten Thälmann, Neumann und Remmele eng zusammen, sie vertraten die Generallinie der KPD, den Kurs des EKKI. Erst ab Sommer 1931 gab es Differenzen vor allem zwischen Thälmann und Neumann. Stalin entschied sich offensichtlich im Spätherbst 1931 gegen Neumann, der dann im Mai 1932 seiner wichtigsten Funktionen enthoben und nach Moskau „verbannt" wurde. Menschliche Gegensätze und persönliche Querelen zwischen Neumann und Thälmann, die natürlich politisch drapiert wurden, spielten bei den Auseinandersetzungen — eher ein Cliquen-kampf als politische Differenzen — eine große Rolle. 1932 schlug dies in politische Streitigkeiten um, wobei gerade Neumann und Remmele einen Lernprozeß durchmachten.

Für die Einschätzung der Differenzen sind vor allem zwei Momente wichtig. Einmal zeigt es den Grad der Hierarchisierung der KPD an, daß die Parteimitgliedschaft und der Großteil der Funktionäre bis zuletzt vom Zwist in der Führungsspitze keine Ahnung hatten; sie wurden erst auf der 3. Parteikonferenz unterrichtet, als die Kämpfe längst abgeschlossen waren. Typisch für die fortgeschrittene Stalinisierung der KPD ist, daß diese undemokratische Methode auf keinen Widerstand stieß. Zum andern sind die heutigen Versuche der DDR-Geschichtsschreibung, allein der „NeumannGruppe" die ultralinke Politik anzulasten, absurd. Die Generallinie und ihre Prinzipien blieben unangetastet, gleichviel, ob in der Führung Thälmann oder Neumann größere Befugnisse hatte. Doch auch alle taktischen Varianten wurden in Übereinstimmung mit der Komintern von der gesamten damaligen Führung getragen. Jedenfalls war „die Partei", nämlich die gesamte Führung, für die ultralinke Generallinie und ihre taktische Auslegung verantwortlich, nicht irgendwelche „Abweichungen“. Nichts könnte dies deutlicher unterstreichen als die Tatsache, daß nach der Ausschaltung Neumanns, im Oktober 1932, wieder eine taktische Wendung mit exzessiver Auslegung der Strategie erfolgte, und zwar vor allem gegenüber der SPD. Diese „sektiererische" Haltung ist nicht Neumann anzulasten. Freilich ist für sie letztlich auch nicht Thälmann verantwortlich, sondern das EKKI, das auf seiner XII. Tagung die Weichen entsprechend gestellt hatte.

IV. Probleme der Organisationsstruktur

Die KPD war keine selbständige Partei, sondern eine Sektion der Komintern, der „Weltpartei der Revolution". Damit war die KPD an die Beschlüsse der Komintern gebunden und hatte diese durchzuführen; auch die Organisationsform der Partei entsprach den Richtlinien der Komintern. Deren Direktiven entsprechend hatte sich die KPD bis 1929 zu einer zentralistischen Organisation entwickelt. Die Stalinisierung bedeutete die Veränderung der inneren Parteistruktur der KPD, die Entstehung einer straff disziplinierten und zentralisierten Organisation, in der die Führung mit Hilfe des Parteiapparats (d. h.der hauptamtlichen, von der Partei bezahlten Funktionäre) die Mitglieder beherrschte und die Politik im Sinne und entsprechend den Weisungen der KPdSU unter Stalin praktizierte

Die KPD hatte den Zentralismus stets hervorgehoben. Sie verlangte eine „militärische Disziplin" Jedoch nach 1929 galt die bedingungslose Unterordnung der Parteiorgane unter die übergeordneten Leitungen als oberster Grundsatz des Parteiverhaltens. Fraktionsbildüngen wurden unnachsichtig verfolgt. Ihr Organisationsprinzip bezeichnete die KPD als „demokratischen Zentralismus", doch am Ende der Weimarer Republik wurde darunter die hierarchisch-zentralistische Parteistruktur verstanden. Das nach dem Statut höchste Organ der KPD war der Parteitag. Der XII. und letzte Parteitag war aber bereits 1929 zusammengetreten. Er hatte das Zentralkomitee (ZK) bestimmt, das bis 1933 amtierte. Weit wichtiger als die gewählte Institution ZK (dieses wurde kaum noch einberufen) waren die zentralen Organe: das Politische Büro (Polbüro, später Politbüro genannt), das Sekretariat mit dem ständigen Apparat des ZK (in Abteilungen gegliedert). Das nach dem Parteitag 1929 vom ZK gewählte Polbüro setzte sich aus elf Mitgliedern und vier Kandidaten zusammen (Franz Dahlem, Leo Flieg, Wilhelm Florin, Fritz Hekkert, Paul Merker, Wilhelm Pieck, Hermann Remmele, Fritz Schulte, Ernst Thälmann, Walter Ulbricht und Jean Winterich sowie Wilhelm Hein, Wilhelm Kasper, Heinz Neumann und Helene Overlach Dieses Polbüro blieb als Führungsorgan bis 1933 im wesentlichen konstant. Merker schied im April 1930 aus, Winterich starb im August 1932, Flieg wurde in den Kandidatenstand zurückversetzt. Neu aufgenommen wurden 1931 Hermann Schubert und im Mai 1932 John Schehr-, außerdem wurde der jeweilige Vorsitzende des KJVD kooptiert.

Nach den Anweisungen der Komintern sollte das Polbüro mindestens einmal wöchentlich zusammentreten und alle politischen Fragen entscheiden. In der Praxis geschah das keineswegs. So verlagerten sich die politischen Kompetenzen vom Polbüro auf ein anderes Führungsorgan, das Sekretariat. Das zahlenmäßig kleine Sekretariat mußte den Apparat des ZK, d. h. die Abteilungen, anleiten. Tatsächlich dirigierte das Sekretariat nach 1929 weitgehend die Politik der Partei. Die gesamte Korrespondenz mit den Bezirken, d. h. faktisch die Anleitung der Partei, konnte nur über das Sekretariat erfolgen. Damit hatte es in der Parteihierarchie eine Schlüsselposition inne. Da alle Sekretäre auch dem Polbüro angehörten, waren sie auch die eigentlichen Führer der Partei.

Das Sekretariat setzte sich nach dem Parteitag von 1929 aus acht Personen zusammen: Thälmann, Dahlem, Flieg, Heckert, Merker, Neu-mann, Remmele und Ulbricht. Merker schied 1930 aus. Im Mai. 1932, nach der Ausschaltung Neumanns, wurde das Sekretariat neu gebildet; ihm gehörten nur noch der Parteivorsitzende Thälmann, Remmele und Schehr als Mitglieder sowie Pieck und Ulbricht als Kandidaten an. Die letzte Reorganisation des Sekretariats vor der Zerschlagung der KPD erfolgte auf der ZK-Tagung vor der 3. Parteikonferenz im Oktober 1932; nun verlor auch Remmele seine Funktion. Das Sekretariat bestand aus Thälmann, Schehr und Ulbricht als Mitgliedern sowie Florin und Pieck als Kandidaten.

über Kompetenzen und Arbeitsteilung dieses letzten Sekretariats gibt es einige Hinweise Danach war Thälmann verantwortlich für Antikriegsarbeit (also den geheimen Apparat), für RFB (Roter Frontkämpferbund) und KJVD (Kommunistischer Jugendverband Deutschlands). „John Schehr als Stellvertreter des Parteivorsitzenden zeichnete für die Kontrolle der Abteilungen des Apparats des Zentralkomitees verantwortlich und übernahm einiges aus dem bisherigen Arbeitsbereich Ernst Thälmanns". Ulbricht erhielt die wichtige Aufgabe, die Verbindungen zu den Parteiorganisationen (also den Bezirken) zu überwachen und war für die Kontrolle der „Beschlußdurchführung im Sekretariat" und Polbüro verantwortlich, außerdem leitete er die RGO an. Pieck unterstanden die anderen Massenorganisationen und Parlamentsfraktionen, „er zeichnete auch für die Geschäftsführung und Finanzpolitik verantwortlich". Pressedienst und „Rote Fahne" wurden von Thälmann und Schehr angeleitet und kontrolliert.

Diese Aufgabenverteilung zeigt sowohl die Zentralisierung der Partei als auch die umfassende Kompetenz der Sekretäre für'die Anleitung der KPD. Dabei stand ihnen zur Durchführung der Aufgaben vor allem der zentrale Apparat des ZK zur Verfügung. Im Ressortapparat gab es verschiedene Abteilungen (Organisation, Gewerkschaft, Agitprop, Frauen usw.). Die Abteilungen waren Arbeitsstäbe des Sekretariats; ein Sekretär war für mehrere Abteilungen zuständig. An der Spitze der Abteilungen stand ein Abteilungsleiter, dem politische und technische Mitarbeiter sowie Instrukteure und Hilfskräfte zugeordnet waren. Wie die Arbeitsweise, so änderte sich auch die Aufteilung der Abteilungen. Im Januar 1933 gliederte sich der Apparat des ZK nur noch in vier Abteilungen: Organisation, Agitprop, Kasse und Geschäftsabteilung

Die ständigen Umstellungen der Struktur der Abteilungen änderten nichts am Prinzip der zentralistischen Anleitung. Auch zeigten die zentralen Führungsorgane in ihrer Verteilung der Zuständigkeiten, dem Arbeitsablauf, der Kontrolle usw. die üblichen bürokratischen Organisationsprinzipien, wobei die allgemein üblichen Arbeitsmethoden jeder „Behörde" mit der speziellen Arbeitsweise verbunden waren, die die sowjetischen Kommunisten entwickelt hatten. Die Abteilungen als Arbeitsstäbe bereiteten entscheidungsreife Beschlüsse vor, die das Sekretariat genehmigte, änderte oder verwarf. Auch personalpolitische und finanzielle Probleme regelte das Sekretariat. Freilich blieb das Sekretariat stets eine dem EKKI untergeordnete Instanz. Da die KPD Sektion der Komintern war, wurden letzte Entscheidungen nicht nur politischer, sondern auch organisatorischer, personalpolitischer oder finanzieller Art in Moskau getroffen.

Territorial war die KPD in Bezirke gegliedert. 1929 zählte die Partei 27 Bezirke, 1931 24. Da die regionale Stärke der KPD nicht gleichmäßig war, kam den verschiedenen Bezirken unterschiedliches Gewicht zu. Anfang 1931 zählten die sechs stärksten Bezirke Berlin-Brandenburg (15, 7%), Sachsen (13, 8%), Ruhr (9 %), Wasserkante (8, 9 %), Halle-Merseburg (7 %) und Niederrhein (6, 3 %) sechzig Prozent aller KPD-Mitglieder, die restlichen 18 Bezirke nur vierzig Prozent.

Die Bezirksorganisation sollte über die Unter-bezirke (UB), Stadtteile und Ortsgruppen vor allem die Betriebszellen und die Straßenzellen anleiten.

Die KPD besaß zwar einen relativ starken hauptamtlichen Parteiapparat (ca. 1 000 politische Funktionäre wurden direkt von der Partei bezahlt), aber sie war vor allem auf die Aktivitäten der ehrenamtlichen Funktionäre angewiesen. Die sprichwörtliche Einsatzbereitschaft dieser Funktionäre und der aktiven Mitglieder war die Voraussetzung für die Schlagkraft der Partei. Von 1929 bis 1932 stieg die Zahl der Mitglieder erheblich an (März 1929: 116 000, März 1930: 135 000, März 1931: 195 000, März 1932: 287 000), stagnierte aber im Jahre 1932: Ende 1932 wurden 252 000 zahlende Mitglieder registriert.

Das Bild des stetig steigenden Mitgliederbestandes verdeckte freilich ein schwieriges Problem der Partei: die Fluktuation. Die KPD nahm 1929 bis 1932 erheblich mehr Mitglieder auf, als in der Partei blieben.

In den Jahren 1931 und 1932 soll die KPD 400 000 neue Mitglieder gewonnen haben. Da das Sekretariat des ZK am 25. Juli 1932 eine Aufnahmesperre beschloß, um besser auf die Illegalität vorbereitet zu sein, sind somit im Jahre 1931 und im ersten Halbjahr 1932 weit mehr Personen der Partei beigetreten, als sie zu dieser Zeit überhaupt Mitglieder zählte. Tatsächlich registrierte die KPD 1931 eine Fluktuation von 38 Prozent und 1932 sogar eine von 54 Prozent sie war die organisatorische Hauptschwäche der KPD.

Die Fluktuation bedeutete wohl weniger eine Umschichtung der Mitgliedschaft als vor allem den raschen Verlust neugewonnener Mitglieder, die nur ein kurzes Gastspiel in der KPD gaben.

Gleichzeitig ging der Einfluß der KPD in den Betrieben fast völlig zurück. Der Anteil der Betriebsarbeiter an der Mitgliedschaft verringerte sich bis auf 11 Prozent im Jahre 1932. Das Hauptziel der Organisationsarbeit der KPD, durch Betriebszellen in den Betrieben verankert zu sein, war so völlig mißlungen. Da die Fluktuation außerdem die mögliche Stärke der Organisation verhinderte, konnten die Aufgaben der Generallinie für die Parteistruktur nicht erreicht werden.

Auch bei den Organisationsfragen zeigte sich die Abhängigkeit der KPD von der Sowjetunion als wichtiges Problem, nämlich bei der materiellen Unterstützung durch die KPdSU. Die Finanzhilfe lief über die Komintern. Wenn auch das Ausmaß nicht exakt zu beziffern ist, steht doch fest, daß sie etwa ein Drittel der Gesamteinnahmen der KPD überhaupt betrug Nur dank dieser Hilfe konnte die KPD einen umfangreichen und schlagkräftigen Parteiapparat unterhalten und ihre Parteipresse und Propaganda finanzieren.

Die Abhängigkeit von der KPdSU einerseits und die freiwillige Unterordnung der KPD unter die „führende Rolle" der KPdSU und der Komintern andererseits waren die Voraussetzung für die Generallinie der deutschen Kommunisten. Die KPD-Politik war damit von 1929 bis 1933 in ihrer möglichen und notwendigen Bandbreite eingeengt. Die völlige Einbindung und Unterordnung unter die Stalin'sche Kominternführung ließen der KPD keine Alternative; sie hatte an der Strategie des Hauptstoßes gegen die Sozialdemokratie ebenso festzuhalten wie an der Unterschätzung der NSDAP. Als Sektion der Komintern konnte die KPD diese Strategie nicht einmal auf Dauer ihren eigenen Interessen und der Situation in Deutschland entsprechend modifizieren. So war die Generallinie von 1929 bis 1933, die den Untergang der alten KPD selbst mit herbeiführte, letztlich ein strukturelles Problem der Partei, war auf ihre Abhängigkeit von der Komintern und damit von der KPdSU Stalins zurückzuführen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Prozeß ist näher beschrieben in: Hermann Weber, Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik, Bd. 1 und 2., Frankfurt/M. 1969.

  2. Protokoll der Verhandlungen des 12. Parteitags der KPD, Berlin-Wedding, 9. — 16. Juni 1929, Berlin o. J. (1929), S. 301.

  3. Waffen für den Klassenkampf. Beschlüsse des XII. Parteitags der KPD, Berlin o. J. (1929), S. 25.

  4. In einem Beschluß des ZK der KPD von Ende 1931 wurde eine „liberale Gegenüberstellung von Demokratie und Faschismus, von Sozialfaschismus und Hitler-Faschismus" als „Hauptfehler" bezeichnet, in: Internationale Presse-Korrespondenz (Inprekorr) Nr. 1 vom 5. Januar 1932, S. 28.

  5. Waffen für den Klassenkampf, a. a. O. (Anm. 3),

  6. Die KPD berief sich dabei auf Stalins These von 1924, Faschismus und Sozialdemokratie seien „keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder" (Stalin, Werke, Bd. 6, Berlin-Ost 1952, S. 252f.). Stalin hatte die These von Sinowjew übernommen. Zur Entwicklung des Begriffes „Sozialfaschismus” vgl. S. Bahne, „Sozialfaschismus" in Deutschland. Zur Geschichte eines politischen Begriffs, in: International Review of Social History, 10 (1965), Part 2. S. 211 ff.

  7. Vgl. die ausführliche Darstellung und die Belege in: H. Weber, Hauptfeind Sozialdemokratie, Düsseldorf 1982.

  8. Waffen für den Klassenkampf, a. a. O. (Anm. 3), S.531

  9. Der Revolutionär. Diskussions-und Mitteilungsblatt des Bezirks Niederrhein der KPD, 6 (September 1929) 6.

  10. A. Losowsky in: A. Losowsky und P. Merker, Lehren und Aussichten der Wirtschaftskämpfe, Berlin 1930, S. 60.

  11. Die Rote Fahne, Nr. 34 vom 9. 2. 1930 und Nr. 45 vom 22. 2. 1930.

  12. Zitiert (und kritisiert) in: E. Thälmann, Die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse, Berlin 1930, S. 30.

  13. Der Parteiarbeiter, 8 (1930) 4, S. 97.

  14. Die Rote Fahne, Nr. 137 vom 15. 6. 1930.

  15. Die Rote Fahne, Nr. 197 vom 24. 8. 1930, abgedruckt in: H. Weber (Hrsg.), Der deutsche Kommunismus. Dokumente 1915— 1945, Köln 19733, S. 58ff.

  16. Der Parteiarbeiter, 8 (1930) 8, S. 226.

  17. Ebd., 8 (1930) 10, S. 289.

  18. Vgl. O. Pjatnizki, Die Arbeit der kommunistischen Parteien Frankreichs und Deutschlands und die Aufgaben der Kommunisten in der Gewerkschaftsbewegung, Moskau 1932, S. 18.

  19. Die Rote Fahne, Nr. 17 vom 21. 1. 1931. E. Thalmann, Volksrevolution über Deutschland, Berlin 1931, S. 30.

  20. SPD-Arbeiter fragt — wir antworten, Berlin 1931, S. 9, 11.

  21. Zur Politik der SPD vgl. E. Matthias, Die SPD, in: E. Matthias — R. Morsey, Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960 (Neuaufl. 1979), S. 101 ff.

  22. T. Weingartner, Stalin und der Aufstieg Hitlers, Berlin (West) 1970, S. 81.

  23. Die wichtigsten Beschlüsse der Komintern und der KPD nach dem VI. Weltkongreß im Zitat, Berlin o. J. (1932), S. 22.

  24. Die Generallinie. Rundschreiben des ZK der KPD an die Bezirke, 1929— 1933, Düsseldorf 1981, S. 353 („Anweisungen des Sekretariats vom 23. 6. 1931").

  25. Referentenmaterial zum Roten Volksentscheid am 9. August, hrsg. vom ZK der KPD.

  26. E. Thälmann in: „Die Internationale", 14 (1931) 11/12, S. 487 ff.

  27. E. Thälmann in: Die Rote Fahne, Nr. 219 vom 29. 11. 1931.

  28. Die Internationale, a. a. O. (Anm. 26), S. 490.

  29. Haupt-Staats-Archiv Düsseldorf, 306579.

  30. H. Karl und E. Kücklich (Hrsg.), Die Antifaschistische Aktion. Dokumentation und Chronik Mai 1932 bis Januar 1933, Berlin (Ost) 1965, S. 23.

  31. Die Generallinie, a. a. O., (Anm. 24), S. 498.

  32. Vgl. die Einzelheiten in: ebd., S. XLVIIIff.

  33. E. Thälmann, Im Kampf gegen die faschistische Diktatur. Rede und Schlußwort des Genossen E. Thälmann auf der Parteikonferenz der KPD. Die politische Resolution der Parteikonferenz Oktober 1932, hrsg. von der KPD, Berlin o. J. (1932), S. 17.

  34. W. Florin, Ergebnisse und Aussichten des sozialistischen Aufstiegs in der Sowjetunion. Auszug aus der Rede auf der Reichsparteikonferenz der KPD, Berlin o. J. (1932), S. 11, 22.

  35. Die Generallinie, a. a. O. (Anm. 24), S. 647 ff.

  36. Inprekorr, Nr: 94 vom 11. November 1932, S. 3020.

  37. Die Generallinie, a. a. O. (Anm. 24), S. 663.

  38. Rundschau über Politik, Wirtschaft, Arbeiterbewegung, Basel, Nr. 17 vom 2. Juni 1933, S. 543.

  39. Ebd., Nr. 9, 1934, S. 229.

  40. S. Neumann, Die deutschen Parteien. Wesen und Wandel nach dem Kriege, Berlin 1932, S. 97.

  41. Hungerdiktatur in Brüning-Deutschland, hrsg. vom ZK der KPD, o. O. u. J. (Berlin, Ende 1931),S. 14.

  42. S. Neumann, a. a. O. (Anm. 40), S. 89.

  43. Vgl. dazu H. Weber, Wandlung, a. a. O. (Anm. 1),

  44. Die Rote Fahne, Nr. 306 vom 30. 12. 1928.

  45. Biographien der Personen finden sich in H. Weber, Wandlung, a. a. O. (Anm. 1), Bd. 2.

  46. E. Thälmann. Eine Biographie, von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Günter Hortzschansky, Berlin (Ost) 1979, S. 611.

  47. M. Pikarski, Umstellung der KPD auf die Illegalität, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 20 (1978) 5, S. 723.

  48. Einzelheiten in: Die Generallinie, a. a. O. (Anm. 24), S. XCVIIff.

  49. Einzelheiten der Finanzierung bei H. Weber, Wandlung, a. a. O. (Anm. 1), Bd. 1, S. 308 ff.

Weitere Inhalte

Hermann Weber, Dr. phil., geb. 1928; Ordinarius an der Universität Mannheim (Lehrstuhl für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte II), Leiter des Arbeitsbereichs Geschichte und Politik der DDR am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim. Neuere Buchpublikationen: Demokratischer Kommunismus?, Berlin (West) 19792; Kleine Geschichte der DDR, Köln 1980; Lenin, Reinbek bei Hamburg 19808, Lenin, Aus den Schriften 1895— 1923, München 19802; Unabhängige Kommunisten. Der Briefwechsel zwischen Heinrich Brandler und Isaac Deutscher 1949— 1967, Berlin (West) 1981; Die Generallinie. Rundschreiben des Zentralkomitees der KPD an die Bezirke, 1929— 1933, Düsseldorf 1981; DDR. Grundriß der Geschichte 1945— 1981, Hannover 19823, Parteiensystem zwischen Demokratie und Volksdemokratie. Dokumente und Materialien zum Funktionswandel der Parteien und Massenorganisationen in der SBZ/DDR 1945— 1950, Köln 1982; Hauptfeind Sozialdemokratie. Strategie und Taktik der KPD 1929— 1933, Düsseldorf 1982.