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Vom Feindstaat zum Vertragspartner. Bilanz der Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa und der Sowjetunion | APuZ 50/1982 | bpb.de

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APuZ 50/1982 Bilanz der Entspannungspolitik Vom Feindstaat zum Vertragspartner. Bilanz der Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa und der Sowjetunion Die deutsch-deutschen Beziehungen in den siebziger Jahren Entspannungspause

Vom Feindstaat zum Vertragspartner. Bilanz der Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa und der Sowjetunion

Hans-Jürgen Wischnewski

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Eigentlicher Ursprung der Entspannung war die Kuba-Krise, in deren Verlauf die Welt erstmals vom umfassenden Einsatz nuklearer Waffen bedroht war. Dies löste bei den Weltmächten einen Lernprozeß aus, der sich in der Grundsatzerklärung über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen vom Mai 1972 niederschlug und beinhaltete, daß beide Weltmächte nunmehr von einer besonderen Verantwortung für die internationale Sicherheit ausgingen. In diesen Rahmen ordnete sich ab 1969 auf der Grundlage der Ostverträge und des Berlin-Abkommens die neue Ostpolitik der Bundesrepublik ein, was sich insbesondere auf die Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion und den osteuropäischen Nachbarn sowie ihre internationale Position überaus positiv auswirkte: Berlin hörte auf, Herd internationaler Spannungen zu sein, das Verhältnis zur DDR konnte auf den Weg der Normalisierung gebracht werden, der internationale Bewegungsspielraum der Bundesrepublik erhöhte sich, die europäische Gemeinschaft konnte (jetzt frei von deutschen Sonderbelastungen) zur politischen Union ausgebaut werden, das Mißtrauen gegenüber der Bundesrepublik in Osteuropa wurde abgebaut, MBFR und KSZE wurden möglich, und der Ost-WestHandel nahm einen Aufschwung. Die Krise, in die die Entspannung nun geraten ist, ist nicht das Scheitern der Ostpolitik, sondern eine weltweite Krise im Verhältnis der Vereinigten Staaten zur Sowjetunion. Es war nicht gelungen, die Entspannung global zu verwirklichen, wofür die Gründe im Verhalten beider Weltmächte zu suchen sind. Eigentliche Aufgabe des Westens muß es heute sein, in dieser Situation (gerade auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in Polen) in Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten und der Sowjetunion krisenüberwindend einzugreifen. Es wäre auch der einzige Weg, um einen schon zu weit getriebenen Rüstungswettlauf zu stoppen.

Wenn man heute, am Ende des Jahres 1982, aus deutscher Sicht eine Bilanz der Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa und der Sowjetunion zu ziehen versucht, wird man zuerst feststellen müssen, daß 1972 vor allem deshalb ein so großes Jahr, ein Schlüsseljahr für die Entspannung war, weil damals amerikanisch-sowjetische Beziehungen und europäisch-sowjetische Beziehungen im Gleichklang waren und Amerika aktiv am Ausgleich mit der Sowjetunion interessiert war.

Damals wurden nicht nur für das deutsch-sowjetische Verhältnis, sondern für den Frieden in Europa und für die internationale Sicherheit maßgebliche, richtungsweisende Verhandlungen aufgenommen und Vereinbarungen geschlossen. Wir erinnern uns hier in erster Linie an die Ratifizierung der Ost-Verträge. Das ist das Kernstück der Entspannungspolitik für uns. Entscheidend für die Entspannungspolitik war aber auch der erste SALT-Vertrag und die Grundsatzerklärung über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen vom 29. Mai 1972. Damit wird zugleich eine ganz entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der Entspannungspolitik deutlich: Ohne ein Mindestmaß an Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, ohne einen einigermaßen funktionierenden Dialog zwischen den beiden Supermächten kann Entspannungspolitik nicht leben. Das wird besonders klar, wenn wir uns auf die Ursprünge der Entspannungspolitik zurückbesinnen.

I. Ursprünge der Entspannungspolitik

Tabelle 1:

Es ist kein Zufall, daß als der eigentliche Ursprung der Entspannungspolitik die KubaKrise angesehen wird. Damals war die Welt erstmals seit Anbruch des Nuklearzeitalters vom Einsatz nuklearer Waffen bedroht Ein nuklearer Weltkrieg war nicht ausgeschlossen. Beide Weltmächte haben danach einen Lernprozeß durchgemacht. Er bestand darin, 'daß es in den Beziehungen beider Weltmächte zueinander wechselseitig Einschränkungen der Handlungsfreiheit gibt, die sich zwangsläufig aus der Notwendigkeit zur Einschränkung des nuklearen Risikos ergeben und die zu Mäßigung und zu Zurückhaltung in den Beziehungen zueinander zwingen.

In der Grundsatzerklärung über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen vom Mai 1972 hieß es deshalb, „daß es im Nuklearzeitalter keine andere Alternative gibt, als die gegenseitigen Beziehungen auf der Grundlage einer friedlichen Koexistenz zu gestalten". Weiter hieß es in der Erklärung: „Unterschiede in der Ideologie und in den Gesellschaftssystemen der USA und der UdSSR sind keine Hindernisse für die bilaterale Entwicklung normaler Beziehungen, die auf den Grundsätzen der Souveränität, der Gleichberechtigung, der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und des beiderseitigen Vorteils beruhen."

Beide Mächte gingen von einer besonderen Verantwortung für die Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit aus. Das Abkommen zur Verhinderung von Atomkriegen vom Juni 1973 entsprach dieser als gemeinsam empfundenen Verantwortung. Henry Kissinger, Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten und Außenminister sowohl unter Richard Nixon als auch unter Gerald Ford, schwebte als Idealzustand in den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen ein möglichst dichtes Netz von Vereinbarungen in allen Bereichen vor. Die Entspannung wäre so unumkehrbar geworden, denn bei ausreichender Festlegung auf beiden Seiten wäre es immer schwieriger für jeden einzelnen geworden, den Weg der Entspannung wieder zu verlassen.

II. Notwendigkeit der Entspannung in Europa

Tabelle 2:

Die Notwendigkeit zur Entspannungspolitik in Europa ergab sich vor allem aus dem engen Zusammenhang zwischen territorialem Status quo und Kriegsrisiko. Nirgends war dieser Zusammenhang so sichtbar wie in Berlin, und nicht zufällig liefen Kuba-Krise und Berlin-Krise im politisch-strategischen Zusammenhang miteinander ab. Nuklearer Status quo dort und territorialer Status quo hier waren zwei Seiten derselben Medaille. Versuche, den Status quo zu ändern, waren mit den höchsten Risiken verbunden. Die Bundesrepublik mußte im Verlauf der Nachkriegsgeschichte die Erfahrung machen, daß ihr „Sonderkonflikt mit der Sowjetunion" — wie Richard Löwenthal es nennt — auf der Basis der politischen Ziele der CDU/CSU-Regierungen nicht lösbar war. Es gab nach Lage der Dinge nur die Möglichkeit des Konflikts oder der Bereitschaft zur Anerkennung des territorialen Status quo. Eine gewaltsame Durchsetzung der politischen Ziele der Bundesrepublik wurde von allen Bundesregierungen ausgeschlossen.

Nach dem Aufbau von militärischen Bündnis-systemen in Ost und West einschließlich der beiden deutschen Staaten war die Lage in Europa durch die Verfestigung der bestehenden politischen Verhältnisse gekennzeichnet. Mit dem militärischen Patt zwischen Ost und West ging auch eine politisch-diplomatische Pattsituation einher. Die politischen Zielsetzungen der beteiligten Hauptmächte, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion einerseits und der beiden deutschen Staaten andererseits, waren unvereinbar und unerreichbar zugleich. Alle diplomatischen Ansätze zur Überwindung des Status quo, von der berühmten Note Stalins vom März 1952 bis hin zu den sowjetischen Vorschlägen für ein europäisches Sicherheitssystem 1954, scheiterten, weil sie für den Westen unakzeptabel waren. Umgekehrt stieß die doppelte Zielsetzung der Bundesrepublik, ihre Westbindung auszubauen und die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit sowie auf der Grundlage der Grenzen von 1937 anzustreben, auf den Widerstand der Sowjetunion und auch auf Bedenken im Westen. Diese Interessenkonstellation mußte zwangsläufig den Status quo begünstigen. Politisch offensive Ziele durchzusetzen war in dieser Lage ausgeschlossen. Die Pattsituation in Europa wurde denn auch in den verschiedenen Ost-West-Krisen, von der Berliner Blockade bis zur Kuba-Krise, immer wieder bestätigt.

III. Ost-und Westpolitik

Es war Adenauers Verdienst, die Bundesrepublik fest im westlichen Bündnis verankert zu haben. Nur auf diesem Wege war es möglich, die Gleichberechtigung auf internationaler Ebene wiederzugewinnen. Aber die Westintegration der Bundesrepublik wurde erkauft mit einem hohen Maß an Selbstisolierung gegenüber dem Osten. Als es in den sechziger Jahren zu einer Annäherung zwischen den USA und der Sowjetunion in der Frage des Kernwaffenteststopps und der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen kam, entwickelte sich die Bundesrepublik im westlichen Bündnis immer mehr zum Bremser. Zwischen Washington und Paris kam es zu einer Art Entspannungswettlauf, bei dem Bonn schließlich auch im westlichen Bündnis immer mehr in die Isolierung geriet. Die große Koalition hatte sich zwar — wie Richard Löwenthal schreibt — „das Ziel gesetzt, diese Isolierungsgefahr durch Normalisierung der Beziehungen zum Sowjetblock zu überwinden, wurde aber durch Widerstände in der CDU/CSU und den Vertriebenenverbänden an der Verwirklichung dieser Politik gehindert“ (Die Zeit vom 5. November 1982). Erst die Bildung der sozial-liberalen Regierung 1969 machte die neue Ostpolitik auf der Grundlage der uneingeschränkten Anerkennung des territorialen Status quo in Europa möglich.

Auf dieser Basis wurden der Moskauer Vertrag und der Warschauer Vertrag abgeschlossen. Parallel dazu verhandelten die Vier Mächte über eine Berlin-Lösung. Mit Abschluß der Ostverträge und des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin konnte sich die Bundesrepublik voll in die Entspannungspolitik des Westens einschalten und so die Isolierungsgefahr im Westen überwinden. Es gab wieder einen ostpolitischen Gleichklang im westlichen Bündnis. Die Grundlage dazu hatte der Harmel-Bericht von 1967 geschaffen, der das Zwei-Säulen-Konzept von Verteidigung und Entspannung als Strategie des Westens gegenüber dem Warschauer Pakt festschrieb.

IV. Ergebnisse der neuen Ostpolitik

Die neue deutsche Ostpolitik hat sich sowohl im westlichen Bündnis als auch in den Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion und unseren osteuropäischen Nachbarn positiv ausgewirkt. 1. Verbesserung der Lage Berlins Durch das Vier-Mächte-Abkommen hörte Berlin auf, ein Herd internationaler Spannungen zu sein. Die Bevölkerung Berlins konnte nach langen Jahren politischer und psychologischer Belastungen aufatmen. Die Zugangswege nach Berlin wurden sicher. Erstmals hat auch die Sowjetunion mit dem Vier-Mächte-Abkommen eine eigene Verpflichtung übernommen, daß der zivile Berlin-Verkehr auf dem Straßen-, Schienen-und Wasserweg künftig von Behinderungen frei sein wird. Die Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik wurden aufrechterhalten und weiterentwikkelt. Die West-Berliner können seitdem wieder den Ostteil der Stadt besuchen. Die Sicherheit und die Lebensfähigkeit der Stadt haben jetzt eine tragfähige Grundlage erhalten. 2. Entspannung im deutsch-deutschen Verhältnis Das deutsch-deutsche Verhältnis wurde entspannter. Vereinbarungen mit der DDR brachten große Erleichterungen im Reiseverkehr und in der Familienzusammenführung. Sicher bestehen auch nach dem Vier-Mächte-Abkommen, nach dem Grundlagenvertrag, dem Verkehrsvertrag und anderen Vereinbarungen mit der DDR Meinungsverschiedenheiten fort, aber beide deutsche Staaten sind in einen umfassenden Normalisierungsprozeß einbezogen und sie können ihre Beziehungen zueinander politisch, wirtschaftlich und kulturell ausgestalten. Die Konfrontation in den deutsch-deutschen Beziehungen ließ nach und machte praktische Regelungen auch schwieriger Fragen im Interesse der Menschen möglich. 3. Mehr Bewegungsspielraum für die deutsche Außenpolitik Der Bewegungsspielraum für die deutsche Außenpolitik wurde beträchtlich erweitert. Herbert Wehner hat diese Tatsache einmal mit dem Bild beschrieben, daß man auf einem Bein zwar stehen, aber nicht gehen könne. Die Bundesrepublik behielt zwar ihr Standbein nach wie vor im westlichen Bündnis, aber die Ostpolitik gab ihr zusätzlich das notwendige zweite Bein auch gegenüber Osteuropa. Insofern war Brandts Ostpolitik eine notwendige Konsequenz der Adenauerschen Westpolitik. Die Befreiung der Bundesrepublik von selbst auferlegten Fesseln und Hypotheken ermöglichte ihr aber auch, in stärkerem Maße in weltpolitischen Fragen mitzusprechen. Diese neuen Möglichkeiten hat die Bundesrepublik in der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt genutzt. Beispiele dafür sind insbesondere das Engagement der Bundesrepublik in Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle. 4. Ausbau der Europäischen Gemeinschaft Die neue deutsche Ostpolitik hat auch im westlichen Bündnis und hier insbesondere in der Europäischen Gemeinschaft zu besserer Abstimmung und Harmonisierung der westlichen Außenpolitik geführt. Parallel zur deutschen Ostpolitik entwickelte sich der Ausbau der Europäischen Gemeinschaft zur Politischen Union. Die Europäische Politische Zusammenarbeit nahm erst seit 1969 wirkliche Gestalt an. 5. Abbau des Mißtrauens gegenüber der Bundesrepublik Deutschland Das wichtigste und vielleicht auch größte Ergebnis der Entspannungspolitik der Bundesrepublik gegenüber der Sowjetunion und Osteuropa ist in der Veränderung des Bildes der Bundesrepublik in diesen Staaten zu sehen. Wir sind vom Feindstaat zum Vertragspartner geworden. Es ist den sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen gelungen, trotz schwerer historischer Belastungen und großen Vorbehalten eine neue Vertrauensgrundlage in Osteuropa zu schaffen, und zwar nicht nur bei den dortigen Regierungen, sondern auch bei den Völkern Osteuropas. Dies gilt in besonderer Weise für die deutsch-polnischen Beziehungen. Polen hatte besonders schwer an den Verlusten zu tragen, die diesem schwergeprüften Land in deutschem Namen zugefügt worden sind. Der Warschauer Vertrag hat den deutsch-polnischen Beziehungen wieder eine Zukunft gegeben. Er hat einen neuen Anfang möglich gemacht, und so, wie sich die Beziehungen seither entwickelt haben, besteht durchaus Hoffnung, daß der Prozeß der Normalisierung sich weiter fortsetzt, trotz gewisser Belastungen durch die Verschlechterung des Klimas in der Weltpolitik. Dieses Ergebnis verpflichtet uns besonders stark für die Zukunft. Wir müssen mit dem seit 1969 geschaffenen Vertrauenskapital besonders sorgsam und pfleglich umgehen. Das, was erreicht wurde, gilt keineswegs automatisch auch für die Zukunft. Vielmehr sind immer wieder beträchtliche politische und moralische Anstrengungen erforderlich, um das zu bewahren, was wir in zehn Jahren Entspannungspolitik aufbauen konnten. 6. Beginn von Abrüstungsverhandlungen Seit Anfang der siebziger Jahre gibt es erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa wieder Abrüstungsverhandlungen. Kernstück waren zunächst die Wiener MBFR-Verhandlungen, die seit Anfang 1973 geführt werden. Bislang hat es dort noch keine Ergebnisse gegeben, aber ein Verhandlungsergebnis wäre durchaus erreichbar. Hinzukommen soll als Ergebnis der KSZE-Folgekonferenz in Madrid eine Konferenz über Abrüstung in Europa (KAE), die in einem ersten Schritt vertrauensbildende Maßnahmen im KSZE-Rahmen und als weiteren Schritt Abrüstungsmaßnahmen im Bereich konventioneller Waffen beschließen soll. Verstärkt wurden auf dieser Grundlage der Entspannungspolitik auch die weltweiten Abrüstungsbemühungen. 7. Wirtschaftliche Zusammenarbeit Die Entspannungspolitik hat sich auch auf die Handels-und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West positiv ausgewirkt. Korb II der KSZE-Schlußakte sah im wirtschaftlichen Bereich umfangreiche Verbesserungen der Zusammenarbeit vor. Für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ost und West sprechen wirtschaftliche Gründe wie die Erhaltung von Arbeitsplätzen und die Bewahrung traditioneller Märkte, aber auch politische Gründe.

Der Ost-West-Handel stützt die Entspannungspolitik. Umgekehrt eignet er sich nicht als politisches Druckmittel. Alle Erfahrungen, die wir bisher mit Embargomaßnahmen gemacht haben, sprechen dagegen. Der Osthandel spielt für die Bundesrepublik insgesamt keine entscheidende Rolle. Dazu ist der Anteil am Gesamtexport zu gering. Seit 1970 gab es folgende Entwicklung:

Die Zahl der vom Warenexport in die RGW-Länder abhängigen Erwerbstätigen ist aus der Tabelle 2 zu entnehmen.

Diese Daten und die Entwicklung im Handel mit den RGW-Staaten zeigen, daß der Osthandel der Bundesrepublik noch ausgebaut werden kann. Seine Größenordnung ist etwa dem Handel mit Österreich und der Schweiz vergleichbar. 8. Stärkung der Sicherheit Europas Insgesamt kommen die Regelungen, die als Folge der neuen deutschen Ostpolitik in bezug auf Berlin, Deutschland und die Verhältnisse in Europa getroffen werden konnten, einer friedensvertraglichen Regelung durchaus nahe. Dies gilt vor allem für die KSZE-Schlußakte, die Europa eine neue Perspektive der Zusammenarbeit gegeben hat. Die KSZE-Schlußakte ist bisher der umfassendste Versuch multilateraler Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme. Gerade weil die deutsche Frage auf der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ausgeklammert wurde (soweit hier Regelungen getroffen werden konnten, erfolgten sie durch bilaterale Vereinbarungen), konnte die Konferenz erfolgreich abgeschlossen werden. Heute ist die KSZE-Schlußakte die wichtigste Grundlage für den Ost-West-Dialog. Sie bleibt auch in Krisenzeiten ein geeigneter Ansatzpunkt für den Dialog, weil sie in erster Linie Absichten und Perspektiven zusammenfaßt, denen sich 35 Staaten einschließlich USA und Kanada, durch ihre Unterschrift verpflichtet haben. 9. Vereinte Nationen Auch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland (und natürlich auch der DDR) in den Vereinten Nationen ist ein Ergebnis der Entspannungspolitik. Ohne diese Politik wäre unsere Mitgliedschaft nicht möglich geworden. Ohne Mitgliedschaft wäre unsere Mitwirkung an den Problemen der Weltpolitik unmöglich. In der Zwischenzeit haben wir sogar eine sehr positive Präsidentschaft bei den Vereinten Nationen bestanden.

V. Krise der Entspannungspolitik

Die positiven Ergebnisse der neuen deutschen Ostpolitik werden auch dadurch nicht eingeschränkt, daß die Entspannungspolitik insgesamt seit Mitte der siebziger Jahre in eine Krise geraten ist. Diese Krise ist in Wirklichkeit eine Krise der Weltpolitik oder, anders ausgedrückt, ein Vertrauensschwund im Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Es wäre falsch, diese Entwicklung als Krise der deutschen Ostpolitik zu deuten. Woran die Welt gegenwärtig krankt, ist nicht ein Zuviel an Entspannung, sondern die Tatsache, daß es nicht gelungen ist, die Entspannungspolitik global zu verwirklichen. Während wir in Europa feste Vereinbarungen treffen konnten, sind ähnlich strikte Verhaltensregeln, die beide Weltmächte binden, weltweit ausgeblieben. Die Grundsatzerklärung über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, die von beiden Seiten Zurückhaltung und Mäßigung in den internationalen Beziehungen verlangt, ist die einzige weltweite Vereinbarung geblieben, die Amerika und die Sowjetunion geschlossen haben. Zu weitergehenden Vereinbarungen ist es nicht gekommen. Die Gründe dafür sind sicherlich in hohem Maße bei der Sowjetunion und ihrer Politik zu suchen, aber nicht nur dort. Ein großes Problem im Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten in der Phase der Entspannung war, daß in Amerika der notwendige innenpolitische Rückhalt für einen umfassenden Ausgleich mit der Sowjetunion gefehlt hat. Dies ist noch auf dem Höhepunkt der Entspannungspolitik im Jahre 1974 deutlich geworden, als der amerikanische Kongreß die Meistbegünstigung im Handel mit der Sowjetunion von der Zusage jüdischer Emigration abhängig zu machen versuchte. Die Folge war eine Kündigung des unterschriftsreifen Handelsvertrages und die Senkung der Zahlen für jüdische Auswanderer auf die Hälfte des bisherigen Niveaus. Die Sowjetunion hat andererseits in der Phase der Entspannung wenig Zurückhaltung im Bereich der Rüstung und in der Ausdehnung ihres Einflusses in der Dritten Welt gezeigt. Als sie im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierte und das Land unter Verletzung des Völkerrechts, insbesondere der UN-Charta, die die Souveränität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung Afghanistans garantiert, mit ihren Truppen besetzte, war klar, daß damit eine Wasserscheide im Ost-West-Verhältnis erreicht war, zumal auf westlicher Seite die Notwendigkeit eigener Rüstungsanstrengungen für den Fall, daß Verhandlungen über nukleare Mittelstreckenwaffen scheitern sollten, für unausweichlich gehalten wurde. Nukleare Mittelstreckenwaffen waren in den bisher laufenden SALT-Verhandlungen nicht erfaßt. Der Rüstungswettlauf auf diesem Gebiet war keinerlei Beschränkungen unterworfen. Zwischen 1976 und 1979 hat die Sowjetunion insbesondere mit ihrer SS-20-Rüstung einen erheblichen Vorsprung erreicht.

Hinzu kam, daß der SALT-II-Vertrag in den USA auch schon vor der sowjetischen Intervention in Afghanistan immer stärker in Zweifel gezogen wurde und in der amerikanischen Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der schwelenden Geiselkrise mit Nachdruck ein härteres Auftreten gegenüber der Sowjetunion gefordert und schließlich auch als erforderlich angesehen wurde. Amerika befand sich 1980 in einem Wahljahr, in dem die innenpolitische Auseinandersetzung über die Gefahr der sowjetischen Rüstung und der Expansion zu einem überragenden Wahlkampf-thema wurde. Die Vereinigten Staaten griffen in dieser Lage zu einer massiven Bestrafungspolitik gegenüber der Sowjetunion, und zwar sowohl politisch als auch wirtschaftlich.

VI. Polen, der Westen und die Zukunft der Entspannungspolitik

In Europa waren Richtigkeit und Wirksamkeit der amerikanischen Sanktionsmaßnahmen gegenüber der Sowjetunion wegen der Besetzung Afghanistans umstritten, noch bevor im Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht ausgerufen und die Gewerkschaft Solidarität suspendiert wurde. Die Vereinigten Staaten reagierten auf die Ereignisse in Polen mit neuen Sanktionsmaßnahmen. Am 18. Juni 1982 schließlich wurden sie weiter verschärft und auch auf die Erdöl-und Gasausrüstungen exportierenden US-Tochterunternehmungen und ausländische Lizenznehmer von amerikanischen Firmen ausgedehnt. Damit wurde die Auseinandersetzung darüber, wie gegenüber der sowjetischen Intervention in Afghanistan und gegenüber den Ereignissen in Polen vorzugehen ist, überlagert von einem bündnisinternen Konflikt. Betroffen von diesen erweiterten Sanktionen waren vor allem europäische Unternehmen, die am Erdgas-Röhren-Geschäft beteiligt waren und Lieferverpflichtungen übernommen hatten. Wenn auch jetzt in dieser letzten Frage durch den Verzicht der Vereinigten Staaten auf die Fortführung der erweiterten Sanktionsmaßnahmen eine Einigung bevorsteht, so bleibt nach der Afghanistan-Krise und der Ausrufung des Kriegs-rechts in Polen die Frage, wie das Verhältnis des Westens zur Sowjetunion und zu Osteuropa in Zukunft gestaltet werden soll.

Tatsache ist, daß Sanktionen und Embargo-maßnahmen das politische Verhalten der Sowjetunion nicht ändern und schon gar nicht in unserem Sinne steuern können. Im Falle Afghanistans ist auf diese Weise die Anwesenheit sowjetischer Truppen dort nicht rückgängig zu machen. Dieser Konflikt, der in erster Linie das Verhältnis der Sowjetunion zu den Ländern der Dritten Welt und insbesondere zur islamischen Welt schwer belastet, wird damit fälschlicherweise zu einem Ost-West-Konflikt. Man wäre gut beraten, zu versuchen, ihn in Zusammenarbeit mit der Dritten Welt und den islamischen Staaten mit politischen Mitteln zu lösen.

Im Falle Polens werden Regierung und Bevölkerung durch wirtschaftliche Sanktionen immer mehr in die Arme der Sowjetunion getrieben statt in die Lage versetzt zu werden, einen eigenen Weg aus der tiefen Krise des Landes zu finden. Hinzu kommt, daß der Westen das in Polen gewonnene Vertrauen in die bisherige Zusammenarbeit schwer erschüttert und große humanitäre Probleme schafft, z. B. in der medizinischen Versorgung.

Eine tragfähige und überzeugende Politik des Westens in Krisensituationen, wie sie die Besetzung Afghanistans und die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen darstellen, sollte nicht an einer rein negativen Sanktions-und Bestrafungspolitik ansetzen, deren Nebenfolgen kaum kalkulierbar sind, sondern an einer positiven, Anreize bietenden Politik der Kooperation und der Zusammenarbeit. Die bisherige Erfahrung mit der Entspannungspolitik hat gezeigt, daß man das Verhalten der Sowjetunion durchaus mit Kooperationsangeboten verändern kann. Voraussetzung dafür allerdings ist, daß man mit ihr spricht und sie als weltpolitischen Partner in den Versuch der Krisenbeherrschung einbezieht.

Die Sowjetunion und mit ihr die osteuropäischen Staaten stecken in einer wirtschaftlichen Krise, in die sie z. T. auch durch die weltwirtschaftliche Entwicklung hineingezogen worden sind. In dieser Situation in Zusammenarbeit mit ihnen krisenüberwindend einzugreifen, wäre die eigentliche Aufgabe des Westens. Es wäre auch der einzige Weg, um uns vor einem schon zu weit getriebenen Rüstungswettlauf zu bewahren.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans-Jürgen Wischnewski, MdB, geb. 1922; 1966— 1968 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit; ab 1974 zunächst Parlamentarischer Staatssekretär, dann Staatsminister im Auswärtigen Amt; 1976— 1979 und 1981— 1982 Staatsminister im Bundeskanzleramt; stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion.