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Abgesang auf einen Verfassungstyp? | APuZ 2/1983 | bpb.de

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APuZ 2/1983 Zur Vereinbarkeit von Basisdemokratie und parlamentarischer Demokratie Abgesang auf einen Verfassungstyp? Basisdemokratie und Parlamentarismus

Abgesang auf einen Verfassungstyp?

Heinrich Oberreuter

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

mität führt zu einer Entgrenzung des Gewalt-und Widerstandsbegriffs, welche schließlich auch „Gewaltfreiheit" zum schillernden Begriff werden läßt. Auf der anderen Seite spiegeln Verfahrensweisen und Selbstverständnis der Parlamente nicht ungebrochen die Einsicht wider, daß repräsentative Demokratie kommunikative Demokratie sein muß. Seit langem besteht Kritik an der Transparenz der Parlamentsarbeit und an der Sensibilität der Parlamente für gesellschaftliche Entwicklungen. Wichtige Themen wurden außerhalb der Parlamente und gegen sie ins Gespräch gebracht. Bedeutsam und ungewiß erscheint gegenwärtig die Lösung dreier Probleme: — die Rekonstruktion politischer Öffentlichkeit (gegen fundamentalkritische Verweigerungstendenzen); — die parlamentarische Sozialisation der Protestparteien (gegen ausschließlich gesinnungsethische Tendenzen); — die kommunikative Verschränkung von Parlament und Öffentlichkeit (gegen Tendenzen, die Öffentlichkeit antiparlamentarisch zu mobilisieren).

Aktuelle Herausforderungen und Mißverständnisse der parlamentarischen Demokratie

'I. Die Suche nach einer „neuen" Form

Das Repräsentativsystem sei im Flächenstaat nicht mehr in der Lage, die demokratische Idee zu verwirklichen. Ebensowenig könne es die aktuellen Probleme der Gesellschaft lösen. Je schwächer die repräsentative Form werde, um so stärker werde sie mit polizeiförmigen Mitteln aufrechterhalten. Da sie, zumindest unter dem Grundgesetz, ohnehin im Widerspruch zu den anthropologischen Prämissen der Verfassung stehe — der Gedanke ist wohl seit Rousseau, daß zwischen Freiheit und politischer Repräsentation ein Gegensatz bestünde —, lohne sich auch kein Reparatur-versuch: Jedes Ringen um Verbesserung, um Reform der Institutionen, sei bloße „Ornamentalistik". Gegen diese alte sei eine „neue Form" zu setzen. Sie vertraue dem Bürger, statt dem Repräsentanten. Und sie lehne jede Art von Stellvertretung ab.

Natürlich wird diese „neue Form" weder wirklich beschrieben, noch kritisch geprüft. Zwar gilt die Kommune als „Strukturtyp politischer Produktion"; aber selbstverständlich — so wird eingeräumt — reicht dieser Ansatz nicht aus: Schwierig zu lösen sei die Verknüpfung der politischen Entscheidungsebenen von der Kommune über die regionale, nationale bis zur supranationalen Ebene. Zugleich stelle sich die große Frage nach der Leistungsfähigkeit dieser „neuen Form". Betrieben werden soll sie mit einem „Entscheidungsmix", in dem das Mehrheitsprinzip zurückzunehmen und durch andere Entscheidungsverfahren zu ergänzen sei.

Allerdings führt der Weg zu dieser unbestimmt fließenden Form ins Ungewisse und nie zum Ziel; denn die Reform — so immer der Gang dieser Argumentation — stehe vor der Schwierigkeit, in nicht reformierten Verhältnissen ansetzen zu müssen, während doch eigentlich die Herrschaft der neuen Bedingungen und des neuen Menschen Voraussetzung eben dieser Reform wären.

Politik und Verfassungspolitik hören hier natürlich auf; Gedankenarbeit, wissenschaftliche, gar empirisch gesättigte Analyse kann nicht stattgefunden haben. Die parlamentarisch-rechtsstaatliche immerhin eine der intelligenten Kulturerfindungen der Menschheit, wie C. F. von Weizsäcker einmal festgestellt hat, sieht sich in Wahrheit ohne Alternative und nicht einmal sonderlich intellektuell in die Luft gewirbelt — politikwissenschaftliche Überlegungen die im Grunde weniger den Parlamentarismus als die Wissenschaft herausfordern.

Auch Originalität können solche Ansätze kaum beanspruchen; denn Argumentationsmuster, die darauf hinauslaufen, daß es zunächst einmal wichtig sei, die bestehende Ordnung zu beseitigen, auch wenn man Gestalt und Leistungsfähigkeit dessen, was aus ihren Trümmern entstehen soll, nicht präzise zu umreißen vermag — dieses Argument kehrt seit den späten sechziger Jahren unermüdlich wieder. Noch weiter zurück, nämlich bis in die Frühzeit der Weimarer Republik, reicht die Tradition jenes verfassungspolitischen Denkens, welches Zustand und politische Form mit Bewegung verwechselt und spätestens seit Carl Schmitt die Auffassung teilt, liberal-demokratische Verfassungen seien der politischen Wirklichkeit einer Massendemokratie nicht mehr angemessen Natürlich steht diese parlamentarische Demokratie im sozialen Wandel. Sie hat darauf auch reagiert und Anpassungsprozesse vollzogen — von der Wissenschaft weitgehend unbemerkt, die sie immer noch an anachronistischen Maßstäben zu messen pflegt. Die Parlamente sind einige Schritte weitergegangen als die meisten ihrer Kritiker. Trotzdem konfrontiert der demokratische Anspruch auf politische Steuerung sie mit weitreichenden Herausforderungen angesichts der sozialen, ökonomischen, ökologischen und technologischen Entwicklungen sowie der sich darum herumrankenden Wert-und Bewußtseinskrisen. Wieso der liberal-parlamentarische Verfassungstyp insgesamt überholt sein soll, nur weil politische Willensbildung und Entscheidungsfindung vor Schwierigkeiten stehen, ist bisher nirgendwo überzeugend begründet worden. Schwierigkeiten und Gegner, die ihm solche Schwierigkeiten bereiteten, kannte er immer. Vollkommenheitsansprüche sind ihm wesensfremd und fundamental konträr. Die Suche nach der Utopie der vollkommenen Form hat jedoch noch nie bei diesem, sondern eben stets bei illiberalen Verfassungstypen geendet. Aber natürlich ist es erregender, sich am Entwurf der neuen Form zu berauschen, als sich auf die Details, auf die Herausforderungen und die potentiellen Verbesserungen der alten einzulassen. Unerfindlich bleibt nur, wie durch den Rückgriff auf ältere und — im Vergleich zu dem Niveau, das der Parlamentarismus, von seinen Kritikern weitgehend unbemerkt, erreicht hat — notorisch unzulängliche Formen aktuellen Herausforderungen angemessener begegnet werden soll

Die „neue Form" ist theoretisch ein alter Hut Erinnert man sich an die Probleme, die ihre Protagonisten selbst anzeigen — an die Koordination der Entscheidungsebenen und die Effizienz —, so handelt es sich um die Beschreibung der Problemlage eines jeden Räte-systems. Dem Rätesystem kommt aber im Vergleich etwa zum parlamentarischen Regierungssystem historisch kein Neuigkeitswert zu — und seine historische Bewährungsprobe unter den Prämissen liberaler Demokratie steht ohnehin noch aus. Im Augenblick wiederholt sich, wenn auch keineswegs auf vergleichbarem Niveau, die Diskussion der späten sechziger Jahre. Ihre Epigonen scharen sich heute um das, was in der Theorie „neue Form“ heißt, in der Wirklichkeit aber gar nicht in Form gebracht werden, sondern eigentlich lieber Bewegung bleiben will: „Bewegung sein zu wollen mit hohen (teils verschwommenen) Anforderungen an die Reinheit der Lehre, direkte Aktion und Spontaneität" ist ja das eigentlich ausschlaggebende Motiv geblieben.

Jedenfalls sind Basisdemokratie, imperatives Mandat, Rotationsprinzip, Dezentralisierung der Idee nach (nicht unbedingt in der Praxis) oder auch Begrenzung des Abgeordneteneinkommens Formelemente des Rätesystems ebenso wie der „neuen Form" Sie laufen auf eine Abschaffung des Parlamentarismus hinaus. Nichts anderes steht auch hinter der Forderung, das parlamentarische System „grundsätzlich" zu verändern. Analyse hat nach Tatsachen zu forschen, nicht nach dem, was vielleicht auch gemeint sein könnte. In dieser Hinsicht bringt die „der parlamentarischen und außerparlamentarischen Bewegung" gemeinsame Zielvorgabe, „das parlamentarische System grundsätzlich hin auf eine direkte Demokratie zu verändern" wünschenswerte Klarheit. Hierin liegt kein Bekenntnis zum repräsentativen Parlamentarismus, wie sogar unter Hinweis auf diesen Text suggeriert wird sondern ein Programm zu seiner Über-windung. Die Richtung wird in Vorschlägen offenbar, den Parlamenten möglichst viele Kompetenzen zu nehmen und insbesondere die Kompetenz sozialstaatlicher und gesellschaftspolitischer Gestaltung — heute ihren Kernbereich — zu entziehen und sie — einmal mehr — Wirtschafts-und Sozialräten zuzuschieben

Dies alles ist sicher mehr als ein Mißverständnis des Parlamentarismus. Mehr als ein Mißverständnis ist auch die Idee, parlamentarische Institutionen bloß „mitzubenutzen" bei einer Strategie der Mobilisierung der Massen und des Systemumbaus — eine Idee, die übrigens nicht neu und von Kommunisten wie Nationalsozialisten in gleicher Weise verfochten worden ist, ohne daß von daher — was ausdrücklich zu betonen ist — eine inhaltliche Gleichsetzung erlaubt wäre. Erlaubt ist aber gerade deswegen eine Erinnerung an die Form; denn die Aufkündigung des Gesetz zesgehorsams, die Verweigerung des Umwegs über die Gesetzgebung bei Veränderungswünschen, die Berufung auf eine höhere Legitimität, die Ambivalenz des Verhältnisses zur Gewalt und schließlich die Basisidee allein schon laufen auf eine Entformalisierung der Der Spiegel Nr. 30/1982, S. 31). Wer die Programm-aussage ernst nimmt, kann diese Interpretation „gar nicht anstößig" empfinden, wie es die sich verwundernde „bürgerliche" Presse offenbar erwartet (vgl. Hessens Grüne zu Koalitionen mit den „Etablierten“ nicht bereit, in: FAZ v. 16. 8. 82). Die entscheidende Frage lautet: Soll das Parlament als eigenständiges politisches Machtzentrum erhalten bleiben oder soll es entkernt und entmächtigt als leere Hülse nur fortbestehen. Die Antworten darauf entlarven die meisten — sicher guten Willens — in diesem Kontext abgelegten Bekenntnisse zum Parlamentarismus in Wahrheit als dessen fundamentale Infragestellung. politischen Willensbildung, auf die Auflösung legitimierender Strukturen und Verfahren hinaus. Deren Destruktion war auch Ziel der beiden eben genannten totalitären Bewegungen, um ihre Herrschaft zu etablieren. Verfahren sind eben nicht nur formal. Sie repräsentieren vielmehr Sinn. Und dem Versuch, eine Kluft zwischen der Staatsidee und der Staats-organisation der Bundesrepublik herbeizureden, ist entschieden zu widersprechen. Die Verfassungsväter haben vielmehr genau in dieser Form der Organisation das Mittel zur politischen Verwirklichung der freiheitlichen Staatsidee gesehen — und sie stehen dabei nicht allein und im übrigen auch in einer langen Tradition verfassungsgeschichtlicher Kämpfe um die Verwirklichung dieser Idee. Dieser Problemkreis soll im folgenden implizit vertieft werden, wenn sich die Frage nach Legitimität, Autorität und Herrschaft stellt.

Eine weitere Erinnerung an den Berliner Kongreß der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft im Oktober 1982 (vgl. An-merk. 1) markiert einen zweiten Überlegungspfad, der mit diesem Diskussionsbeitrag beschritten werden soll. Gesetzgebung müsse solange atemlos sein, lautete sinngemäß eine These, solange sie derart öffentlich beeinflußt werde. Der Abgeordnete, der diese These aufstellte, erinnerte zugleich an die beeindrukkenden Leistungen des elitärliberalen Parlamentarismus, der bekanntlich auf schwachen demokratischen Füßen stand. Vielleicht erinnerte er sich auch an Ernst Fraenkels Aussage über die „super-repräsentative" Qualität des Grundgesetzes. Aber Fraenkel waren sehr wohl auch die „plebiszitären Elemente" einer jeden repräsentativen Demokratie bekannt So ist dem Parlament jene Atemlosigkeit durchaus zu wünschen, solange sie jedenfalls aus dem Partizipationsanspruch der Bürger erwächst. Dem zeitgemäßen, eben nicht elitären Verständnis repräsentativer Demokratie ist also nachzugehen: nicht nur, um zu klären, welche Form politischer Willensbildung diesem Verfassungstyp entspricht, sondern auch, weil seit langem Gründe für ein gestörtes, zu-mindest nicht optimales Verhältnis zwischen Parlament und Öffentlichkeit diskutiert werden, die bei der Institution liegen. Es geht also, zugespitzt ausgedrückt, um den „Eigenbeitrag" des Parlaments zur außerparlamentarischen Suche nach einer „neuen Form".

II. Legitimität, Autorität, Herrschaft

Wir erinnern uns an die von Vertretern der „neuen Form“ geäußerte Abneigung gegen jede „Stellvertreterpolitik" und fragen: Muß Demokratisierung im Staat den Schwund von Autorität und Herrschaft dergestalt bedeuten, daß in der parlamentarisch-rechtsstaatlichen Demokratie keine politisch-administrative Führung im Rahmen der gemeinsamen Rechtsordnung mehr anzunehmen ist? Offensichtlich lautet die Antwort nein. Aber seit der Proklamation des Legitimitätsprogramms der Demokratie in der Menschenrechtserklärung hat sich diese Relation verändert, ohne daß Demokratie aufgehört hätte, auch Herrschaftsordnung zu sein Die entscheidende Frage ist nicht die nach der Abschaffung, sondern die nach der Qualität der Herrschaft. Willy Strzelewicz hat das Naheliegende wiederholt herausgearbeitet Autorität ist nicht geschwunden, sondern der Autoritätstyp hat sich gewandelt. Es handelt sich seither nicht mehr um auf Unterwerfung beruhende Herrschaftsautorität (wie man sie in Anlehnung an die Begrifflichkeit Max Webers bezeichnen könnte), sondern um Auftragsautorität (Willy Strzelewicz). Auftragsautorität, weil die Regierenden im Auftrag der Regierten in ihre Ämter kommen, rechenschaftspflichtig sind und ihre Autorität durch die am Auftrag zu messende und im Rahmen der allgemein verbindlichen Normen zu erbringende Leistung auszuweisen haben.

Kennzeichnend für die Verfahrensweise sind der Kompromiß und die ihm zugrunde liegenden Prämissen: Auftragserteilung in der all-gemeinen Wahl durch Mehrheitsentscheidung bedeutet, daß sich die Minderheit nur deswegen und unter der Voraussetzung einordnet, daß die jeweilige Mehrheit nicht berechtigt ist, der Minderheit die Chance zu nehmen, selbst Mehrheit zu werden. Folglich kommt es auf eine ziemlich präzise zu bestimmende Qualität politischer Willensbildung an. Sie muß auf den Prinzipien legitimer Vielfalt und nichtdiskriminierender Konkurrenz beruhen; sie muß, mit einem Wort, auch kontroversen und oppositionellen Kräften die Wettbewerbs-und Mitwirkungschance gewährleisten, was sich im Fortbestand öffentlicher Kritik-und Meinungsfreiheit und in der Garantie politisch wichtiger Grundrechtsbereiche ausdrückt.

Die Legitimität der Mehrheitsentscheidung folgt nicht aus sich selbst, sondern aus der vorausgesetzten politischen Gleichberechtigung aller Staatsbürger. Auftragsautorität setzt die Freiheit der einzelnen voraus, weil nur so Rechenschaftsforderung, Kritik und Abberufung der Regierungen möglich ist. Den oft grundsätzlich vermuteten Gegensatz zwischen Autorität — oder Herrschaft — und Freiheit gibt es in diesem Falle nicht, es sei denn, man verwechselt Freiheit mit asozialer Willkür. Die Legitimitätsbasis der Menschenrechtsidee, freiheitliche Ordnung überhaupt geht vielmehr von der kunstvollen gegenseitigen Begrenzung der allen gleichermaßen zustehenden Freiheitsrechte und Freiheitsräume aus. Nur eine derartige Begrenzung kann den gegen Übermächtigung geschützten Freiheitsbereich des Individuums gewährleisten. Freiheitsrecht weist auf den universalen und geordneten Geltungsanspruch hin, denn anders verlöre der Begriff Recht jede Bedeutung. Es bedarf daher einer Durchsetzungsmacht, die bekanntlich auch das Monopol legitimer Gewaltanwendung — eben zum Zweck der Rechtsdurchsetzung — verwaltet Legitim ist sie in der Demokratie nur — so können wir annehmen —, wenn die Verfall-B ren der Auftragserteilung und Besetzung der Entscheidungspositionen dieser Durchsetzungsmacht jedem die gleiche Mitwirkungschance eröffnen.

Von daher verschwindet bloße Herrschaftsautorität. Bedenkt man außerdem, daß an der Realisierung dieses Legitimitätsprogramms alle Schichten der Gesellschaft beteiligt waren und die rechtsstaatlich-parlamentarische Demokratie gegen den Widerstand der herrschenden Gruppen erkämpft werden mußte, so macht es wenig Sinn, von der Demokratie als Herrschaftsorganisation im Interesse privilegierter Klassen oder auch von einer bloß formalen Scheindemokratie zu sprechen — auch dies Positionen, die durch ermüdende Wiederholung nicht zutreffender werden.

Mit diesen sehr gestrafften Bemerkungen ist längst das Feld der aktuellen Auseinandersetzungen um die parlamentarisch-rechtsstaatliche Demokratie betreten: Der Kompromiß ist ihr Grundgesetz: dem widerstreiten Positionen, die ihn — so wörtlich — als „Lernziel" nicht akzeptieren auf „Fundamentalopposition“ abstellen und die Kooperationswürdigkeit anderer politischer Kräfte ausschließlich daran messen, ob sie in den Fragen, die man selbst als die wesentlichen definiert, auf die eigene Linie einschwenken oder nicht

Das Mehrheitsprinzip ist ihr auf dem Kompromißgedanken beruhendes Entscheidungsverfahren: unter Berufung auf Tocqueville, der sich zu Recht gegen die Tyrannei der Mehrheit wandte, wird es bestritten — offensichtlich mit dem Ziel, an seine Stelle ein „Konsensprinzip" zu setzen.

Tyrannei der Mehrheit oder im Namen von Mehrheiten in der parlamentarischen Demokratie? Immerhin handelt es sich um eine formale Entscheidungsregel ohne inhaltliche Rechtfertigung der Mehrheitsentscheidung, die folglich angreifbar und reversibel bleibt. Und immerhin steht das Mehrheitsprinzip nicht isoliert, sondern gewinnt Gestalt erst durch seine Einfügung in den Rahmen der Verfassung, die ihm Funktion und Grenzen zuweist. Andere Grundsätze sind ihm komplementär zugewiesen, Grundsätze wie Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, die grundlegende Prinzipien der Mehrheitsverfügung entziehen: es ist eben nicht alles abstimmbar. Der Mehrheitsentscheid beruht daher auf dem ihn begründenden Grundkonsens, der sich im Verfassungsrecht ausprägt und in dessen fortdauerndem Bestand Das Mehrheitsprinzip selbst, in der Anerkennung der gesellschaftlichen und politischen Pluralität wurzelnd, ist offen bis zum „Machtwechsel". Und schließlich: Mehrheitsherrschaft heißt nicht Unterdrückung oder Nichtbeachtung der Minderheitspositionen. Mehrheitsentscheidungen fallen in aller Regel nach einem langen Prozeß politischer Willensbildung, in welchem mit der Minderheit nach Kompromissen und Konsens gesucht wird. Mehrheitsherrschaft bleibt also auf die Gesamtheit rückbezogen.

Strzelewicz's Terminus von der Auftragsautorität erinnert unmittelbar an den Amtsgedanken: an die Tatsache, daß alle Herrschaft anvertrautes Amt ist und an die Beachtung des Gemeinwohls und der Interessen aller Bürger gebunden bleibt Von daher ist die Regierung nicht nur der Mehrheit, sondern dem gesamten Volk verantwortlich: Hier liegt die immanente Grenze des Parteien-oder auch des Parteitagsstaates, an die in den letzten Jahren mit Vehemenz zwei Bundeskanzler in unserer Republik erinnert haben (gegen ihre eigene Partei Der Amtsgedanke ist auch der Ausgangspunkt für die angestrengte Suche nach Konsens und die hohe Bereitschaft zum Kompromiß zwischen Regierung und Opposition einerseits und zwischen Parlament, Regierung und Bundesrat anderseits, die in der Bundesrepublik seit je in der Gesetzgebung zu Formen konsensualistischer Entscheidungsbildung geführt haben, in der Phase der „sozialliberalen" Koalition durch die besondere Rolle des Bundesrates sogar verstärkt. Den „Entscheidungsmix" kennen wir längst, wir kennen unter -ihn sogar Einbezie hung gesellschaftlicher Kräfte in die politische Entscheidungsmacht auf solch konsens-bildenden Pfaden, die an anderer Stelle der theoretischen Diskussion seit langem den Vorwurf eines neuen Korporatismus hervorgerufen haben.

Dies alles könnte bekannt sein. Wozu dann die Anrufung angeblicher Mehrheitstyrannei?

Die These lautet zugespitzt: zur Aushebelung der Legitimität politischer Entscheidungen. Der Angriff erfolgt dabei an zwei Fronten: Zunächst bedeutete nämlich die Ersetzung des Mehrheits-durch ein Konsensprinzip einen entscheidenden Schritt auf die Entformalisierung der Verfahren zu, indem sie de facto den Kompetenzbereich der Institutionen parlamentarischer Demokratie aushöhlt und ihnen gegenüber außerinstitutionelle gesellschaftliche Vetopositionen begründet. Politische Willensbildung führte schwerlich mehr zur Entscheidung, sondern verrinnt und zerfasert in Palaver. Insiderberichte weisen inzwischen auf erhebliche Probleme, auf Langsamkeit und Schwerfälligkeit, begrenzte Reich-weite und geringe Durchsetzbarkeit gegen jedwede Opposition hin und sehnen sich nach konventionellen Verfahrensweisen zu. rück. Zugleich würden die Vetopositionen basisdemokratisch besetzt, und das heißt ganz deutlich von kleinen aktiven Minderheiten deren Verantwortlichkeit nicht einlösbar und deren Kontrolle nicht möglich ist, nicht einmal über ihre Mandatsträger, zumal die „Basis" sich ja auch von ihren Mandatsinhabem nicht repräsentiert sieht, sondern sie der Idee nach nur als Sprachrohr zu benutzen gedenkt Aktive Minderheiten nach dem Zufallsprinzip: das wirft erhebliche Legitimations-und Effizienzprobleme auf.

Im Vorfeld der Hessenwahl stellten etwa 80 (von 2 500) Mitglieder die Basis dar, die über Kompromißbereitschaft oder Fundamentalopposition Im ). entschied Delegiertenrat der Alternativen Liste Berlin tragen 60 bis 70 Anwesende regelmäßig „ideologische Graben-kämpfe" aus, welche provozieren die Frage „wie lange diese ... so spezifische basisdemokratische Einrichtung noch funktionieren wird" Und der Versuch von Abgeordneten ihrerseits die Basis in die Probleme ihrer Parlamentsarbeit einzubeziehen, „eigene Erfahrungen und Erkenntnisse an die Basis weiterzuvermitteln", stößt auf Verweigerung oder Desinteresse und scheint Frustrationen der Abgeordneten zu provozieren, die sich in einer Einbahnstraßendemokratie zum bloßen Sprachrohr funktionalisiert sehen.

Diese konsensualistische Willensbildung bleibt darüber hinaus insider-bezogen. Sie führt nicht dazu, nach außen dem Kollektiv zurechenbare und von ihm insgesamt verantwortete Positionen zu entwickeln. Der Tendenz nach spricht jeder für sich allein, über die Vielzahl von Widersprüchlichkeiten braucht man sich dann nicht zu wundern. In der Demokratie müßte jedoch der Respekt vor den Bürgern und Wählern es gebieten, ihnen zumindest Konturen von zweifelsfreie Grundpositionen zu präsentieren — wie z. B.

Einstellung zum -hinsichtlich der Parlamenta rismus oder zur Gewalt —, aber auch eine konsistente politische Linie

Auch wenn es in der Diskussion verbrämt wird: Die zweite Front ist durch Versuch und Anspruch eröffnet, ein formales durch ein qualitatives Verfahren zu ersetzen. Ehedem gehörte die Forderung des Abb Sieyes nach Zählung statt Gewichtung der Stimmen schon zum Vorfeld der Revolution gegen die alten Gewalten. Mit dem Aufstieg der Volkssouveränität und der nationalen Volksvertretungen wurde die Mehrheitsregel zum grundlegenden Element politischer Willensbildung; sie beendete den Vorrang herrschender Stände und schnitt jeden Gedanken an einen Vorzug des „pars sanior“, also einer besser ausgewiesenen Minderheit, ab. Jedenfalls ist das Mißtrauen gegen die Herrschaft der größeren Zahl seiner Herkunft nach vordemokratisch und obrigkeitlich. An den angeblichen „Grenzen der Mehrheitsdemokratie" betritt man ungewisses Gelände, wenn man die Entscheidungsmodalitäten auf sinnliche Wahrnehmung oder höheres Bewußtsein abstellen wollte. Die Bevorzugung der „hundert leidenschaftlichen den Neins" „tausend matten Jas" oder der angeblich „engagierten, sachkundigen und hochrangig betroffenen Minderheiten" gegen „apathische, schlecht informierte und mangels ersichtlicher persönlicher Betroffenheit auch völlig desinteressierte Mehrheiten" führt über die Grenzen der Demokratie hinaus. Sie führt zur Herrschaft von Praeceptoren, die sich ihre Legiti-mation selbst formulieren und darüber hinaus offensichtlich beanspruchen, selber den Ausnahmezustand zu definieren, in welchem es ihnen angemessen erscheint, den alten — von ihnen selbst zerstörten — Verfassungskonsens durch einen neuen zu ersetzen ein Konzept für revolutionäre Eliten.

Zwar wird betont, so sei es nicht gemeint ) — und in der Tat geht die Argumentation nicht generell so weit. Aber eine Tendenz ist vorhanden, die verfassungspolitische Entwicklung wieder umzukehren und Legitimität erneut hauptsächlich qualitativ zu begründen. Ich spitze zu: Wahrheiten statt Mehrheiten. Die Folgen für Politik und Pluralität sind bekannt. Im Namen höherer Legitimität verfallen Grundkonsens und Demokratie.

Diese Zusammenhänge begründen offensichtlich auch das durchaus ambivalente Verhältnis der neuen sozialen Bewegungen zur Gewalt und zum staatlichen Gewaltmonopol. Dieses muß zwangsläufig in Zweifel geraten, sobald von einer höheren Legitimität her eine in sich konsistente Argumentationskette aufgebaut wird. Wie bei der speziellen Parlamentarismuskritik hat auch hier die Neue Linke der späten sechziger Jahre durch die „Entgrenzung des Gewaltbegriffs“ die intellektuelle Vorarbeit geleistet. Diese Entgrenzung ließ Gewalt als physisch manifesten Vorgang diffus werden und verlagerte sie in das Regel-system einer Gesellschaft, in ihre Ordnung hinein Nach Galtung liegt strukturelle Gewalt dann vor, wenn die tatsächliche Selbstverwirklichung eines Menschen so beeinflußt wird, daß sie hinter möglichen der zurückbleibt. Damit verwischt sich die Grenze zwischen Gewaltlosigkeit und Gewalt einerseits; anderseits müssen alle politischen und sozialen Ordnungsformen als gewaltsam gelten, da sie das Ideal nicht erreichen können — per definitionem nicht. Rechtsstaat ist demnach immer Gewaltstaat. Die Grenze zwischen Recht und Gewalt fällt — eine Grenze, der humane Ordnung und zivilisatorischer Fortschritt seit je zu verdanken sind.

Bekanntlich wurde in diesem Zusammenhang das Konzept angeblich legitimer Gegengewalt entwickelt und mit dem klassischen Widerstandsrecht verknüpft. Ein Irrtum, weil die Entwicklung zum Verfassungsstaat der Neuzeit auch als sukzessive Positivierung des Widerstandsrechts beschrieben werden könnte, die schließlich ihren Gipfel im Recht auf Opposition im zentralen politischen Entscheidungssystem erreichte. Darüber kann die rechtsstaatliche Demokratie nicht hinausgehen — es sei denn um den Preis ihrer Selbst-aufhebung. Widerstandsrecht lebt erst wieder auf, wenn versucht wird, diese Ordnung zu beseitigen. Aus dem Irrtum, man befände sich noch in vordemokratischen und rechtsstaatswidrigen Zuständen, nährt sich der Glaube an „die rechtsschöpferische Kraft des Konflikts" der nichts anderes als die Aufforderung zur subjektiven Rechtsnahme darstellt. Aus diesem Irrtum nährt sich auch die populär gewordene Drohung mit dem „ökologischen Bürgerkrieg" oder mit der Umwandlung des Bürgerkriegs der Worte in den der Tat Gegenüber solchen Bemerkungen aus der intellektuellen Szene erscheinen die aus der politischen fast noch zurückhaltend: Nach den Vorstellungen Berliner AL-Vertreter sollen z. B. in ihrem „Widerstandsrecht" gegen die vorgefundenen Gewaltverhältnisse des Rechtsstaats „die Betroffenen ... über die Form ihres Widerstands selbst (entscheiden)" oder wenn Alexander Schubart sich nicht bereit zeigt, ein Urteil „zu schlucken“, „nur weil obendrüber ein Gericht steht, das unfähig war, die ökologischen Fragen richtig zu gewichten, und das ein unmögliches Urteil gefällt hat"

Systematisch entgrenzt wurde nicht nur der Gewaltbegriff, sondern auch der Begriff des Widerstands, der sich im Grunde völlig auflöst in jede Form kontroverser Beteiligung an der politischen Willensbildung Diese diffuse Begrifflichkeit führt uns jedoch zum Kern des Problems. Denn das Selbstverständnis politischer Beteiligung geht hier offenbar von einer fundamental alternativen Legitimitätsidee aus, die sich mit der des politischen Systems nicht mehr deckt und den Anspruch erhebt, die künftig gültige zu sein. Partizipation erfolgt gleichsam von außen und schon insofern „widerständig". Die Kontraposition richtet sich nicht nur auf die konkrete Politik, sondern bereits auf ihre Grundlagen. Richtiges Bewußtsein als Kern neuer Legitimität wurde bereits angesprochen. Von da aus entbehrt es zwar der systematischen, keineswegs aber der subjektiven Logik, den demokratischen Rechtsstaat, der das Gewaltmonopol nur besitzt, um im Auftrag, in der Legitimation und zu Gunsten jedes einzelnen Bürgers Freiheitssicherung und Rechtswahrung durchzusetzen, mit einem Mal als Gewalttäter zu definieren und die legitime parlamentarische Entscheidung als Gewalttat.

Von daher steht das verbale Bekenntnis zur Gewaltfreiheit unter erheblichen subjektiven und Opportunitätserwägungen unterliegenden Vorbehalten. Grundsätzlich bedeutet Gewaltfreiheit demnach „aktiven Einsatz gegen Gewaltstrukturen und eine sich verselbständigende Herrschaftsordnung, wobei unter Umständen auch Widerstand gegen staatliche Maßnahmen nicht nur legitim, sondern auch erforderlich sein kann" Die praktische Übersetzung dieser programmatischen Aussage lautet konsequent, daß durchaus „zu Ge-walt gegen Sachen gegriffen werden muß, um... Positionen deutlich zu machen" Die Prüfung erfolge von Fall zu Fall Gewalt-freiheit heißt demnach: wohldosierte Freiheit zur Gewaltanwendung.

Eine zweite Argumentationslinie führt den Ansatz radikal zu Ende. Gewaltfreiheit bedeutet für sie, die sie Macht und Gewalt verwechselt, den „Abbau staatlicher Macht" Gewalt-freiheit kann dann im Kontext der ganzen Argumentation und bezogen auf die gegenwärtige Situation heißen: Gewaltanwendung zur Beseitigung des staatlichen Gewaltmonopols als die sich jetzt im Grunde dringlich stellende Aufgabe, um dem Endziel gesellschaftlicher Vollkommenheit näherzukommen. Wenn Gewaltfreiheit im Grunde die Forderung nach Auflösung der Staatsgewalt darstellt, kann man Distanzierungen von konkreten Gewaltaktionen schwerlich erwarten. Man erhält sie auch in aller Regel nicht

Vom Ansatz her ist nicht einmal eine selbst-kritische Analyse der eigenen Begrifflichkeit und der Verhaltensweisen in der Bewegung zu erwarten -Nicht nur die Diskussion des Mehrheitsprinzips, auch die Gewaltfrage mündet wieder in die qualitative, nicht nur grundwertorientierte, sondern auf konkrete politische Inhalte bezogene Begründung von Legitimität. Eine derartige Begründung läuft an der parlamentarisch-rechtsstaatlichen Demokratie vorbei. Sie unterläuft das Prinzip politischer Pluralität, das als Voraussetzung jeder offenen und freiheitlichen Gesellschaft angenommen werden muß. Eine derartige inhaltlich-politische Legitimitätsbegründung grenzt konträre Positionen aus. Die Geschichte der politischen Systeme kennt dafür zahllose Präzedenzen. Bezeichnenderweise findet man in der heutigen Diskussion auch immer wieder Robert L. Heilbroner zitiert, der die Durchsetzungskraft autoritärer Regime für „unvermeidlich, ja notwendig" hält, „wenn das Überleben der Menschheit auf dem Spiel steht" Mit einer derartigen Argumentation brennen im Zweifelsfall alle konstitutionellen Sicherungen durch.

Die Anhängerschaft eines dritten autoritären Weges zwischen Basisdemokratie und Konkurrenzdemokratie soll nicht überschätzt und auch nicht dramatisiert werden. Aber solch ein autoritärer Weg ist folgerichtig und strukturell immer dann angelegt, wenn Legitimitätsideen qualitativ, inhaltlich und in ihrer Reichweite über den wertgebundenen Grund-konsens hinausgehen. Dieser Grundkonsens ist notwendig, aber er ist notwendigerweise auch schmal. Ihn auszudehnen und aufzuladen, heißt Freiheit begrenzen. Jedenfalls läßt sich in Regimen, die „Gehorsam weit wirksamer durchzusetzen vermögen, als es unter demokratischen Bedingungen möglich wäre" kein Zugewinn an freiheitlich-demokratischer Qualität erblicken.

III. Kommunikative Demokratie. Zum zeitgemäßen Verständnis parlamentarischer Repräsentation

Die Suche nach den innerparlamentarischen Ursachen für die außerparlamentarische Attraktivität einer „neuen Form“ spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Natürlich setzt auch sie bei der Legitimitätsidee parlamentarischer Demokratie an. Aber sie braucht diese Idee keineswegs in Frage zu stellen. Sie setzt sie vielmehr voraus.

Ernst Fraenkel hat schon vor Jahren eine der gültigen Konstanten unserer Parlamentarismusdiskussion beschrieben: „Das kritikbedürftigste Moment des Bonner Parlamentarismus scheint mir die landläufige Kritik zu sein, die an ihm geübt wird. Sie ist reaktionär und schizophren. Sie sehnt sich heimlich nach einer starken Regierung und bekennt sich öffentlich zu der Herrschaft eines allmächtigen Parlaments. Sie beschimpft den Abgeordneten, wenn es zu einer Regierungskrise kommt, und verhöhnt ihn, wenn er getreulich die Fraktionsparole befolgt. Sie verkennt die notwendigerweise repräsentative Natur eines jeden funktionierenden Parlamentarismus und verfälscht seinen Charakter, indem sie ihn plebiszitär zu interpretieren versucht.“

Auf den ersten Blick scheint es, als ob Fraenkel dem statischen Repräsentationsbegriff des Liberalismus anhinge. Wogegen er sich hier jedoch nur wendet, ist die Vorstellung vom Parlament als Vollstrecker eines vorgegebenen einheitlichen Gemeinwillens — gegen das Identitätskonzept also. Keineswegs verfällt man dem Fehler plebiszitärer Uminterpretation, wenn man parlamentarische Regierung als enge Korrespondenz mit der öffentlichen Meinung begreift. Fraenkel sieht das selbst genau so. Politisch-parlamentarisches Ringen mit und gegen diese öffentliche Meinung, die periodisch ja durch Sanktion Rechenschaft einfordern kann, ist dadurch nicht ausgeschlossen, die Entscheidungsfreiheit und -Verantwortung des Abgeordneten keineswegs grundsätzlich in Frage gestellt. Aber es wäre ein unangemessenes Rollenverständnis, begriffe der Abgeordnete sich, wie ein Parlamentarier kritisch bemerkte, als Luftkissenfahrzeug, das sich einmal alle vier Jahre auf die Basis herabsenkt, um aufzutanken und dann wieder für vier Jahre zu entschwinden.

Repräsentation als Beziehung zwischen Regierenden und Regierten ist vielmehr ein dynamischer Prozeß. Mit Marek Sobolewski hat darauf in der Literatur jüngst Heinz Rausch in seiner Studie über Repräsentation und Repräsentativverfassung eindringlich aufmerksam gemacht Dabei wird die verfassungsrechtliche Definition des Status, der Rechte und Pflichten des Abgeordneten nicht beiseite geschoben. Es geht vielmehr um eine zeitgemäße Interpretation dieser gesetzlichen Prinzipien.

Repräsentation ist demnach „eine — auf Korrelation beruhende — Übereinstimmung zwischen politischen Entscheidungen der regierenden Elite und öffentlicher Meinung“. „Der zu dieser Übereinstimmung führende Prozeß wird Repräsentation genannt.“ Dieser Prozeß kann nur mit Hilfe öffentlicher Meinungsbildung und Meinungsäußerung von Regierenden und Regierten stattfinden und mit Hilfe der dafür zu Gebote stehenden Formen: Sobolewski nennt den ganzen Satz verfassungsmäßiger demokratischer Partizipationsrechte, insbesondere aber den Bereich der politischen Kommunikation: Presse, Funk, Fernsehen, aber auch Parteien und Verbände als Kommunikationskanäle.

Auch dies ist im Grunde nicht neu. Schon im emanzipatorischen Kampf des Bürgertums um seinen Anteil an der politischen Macht galten politische Kommunikation und politische Repräsentation als die Kehrseiten ein und derselben Münze. Daß das Parlaments-verständnis gerade in Deutschland lange Zeit auf die Artikulation, auf „Diskussion und Öffentlichkeit" fixiert blieb, hat hier seine Wurzel. Ich bin dem in anderem Zusammenhang nachgegangen und kann mich hier nicht wiederholen Nur soviel: Schon der vordemokratische Parlamentarismus, soziologisch ungeheuer eingegrenzt, ermöglichte und erstrebte äußerst direkten und intensiven kommunikativen Zusammenhang zwischen Bürgertum und Repräsentationsorgan. In der Theorie schlug sich dies nieder in der Idee der Einheit und Kontinuität der parlamentarischen und vorparlamentarischen politischen Kommunikation, aus der die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung ihre spezifische Funktion gewann. „Die Publizität der Parlamentsverhandlungen sichert der öffentlichen Meinung ihren Einfluß, sichert den Zusammenhang zwischen Abgeordneten und Wählern als Teilen ein und desselben Publikums"

— schrieb Jeremy Bentham in einer damals gemeineuropäisch verbreiteten Schrift

Diese Einheit des Publikums und diese Verschränkung parlamentarischer und vorparlamentarischer Kommunikation ist nach der allgemeinen Demokratisierung einerseits schwieriger zu realisieren als zuvor, anderseits aber als Postulat demokratischer Repräsentation um so zwingender, weil in diesem Prozeß die Legitimität auf dem Spiel steht. Und Legitimation ist die Kardinalfunktion des Parlaments zumindest im parlamentarischen Regierungssystem

Meine These lautet daher: Repräsentative Demokratie muß kommunikative Demokratie sein. Meine Befürchtung: sie ist es zu wenig. Vor allem im Bewußtsein der Abgeordneten und in der routinemäßigen Parlamentsarbeit kommt dieses Verständnis zu kurz. Natürlich ist mir die zumeist intensive Wahlkreisarbeit unserer Abgeordneten nicht unbekannt; ebensowenig ein Netz von Teilöffentlichkeiten, innerhalb dessen oft ausgeprägte und die Kontinuität der Willensbildung sichernde Kommunikationsstrukturen bestehen. Aber derart sektorale Funktionsfähigkeit entläßt das Parlament noch nicht aus seiner demokratischen Öffentlichkeitspflicht. Die Einheit in der Vielfalt repräsentativer Beziehungen zu Wahlkreis, Partei, Experten und Interessen wird nicht sichtbar. Für diese differenzierte Repräsentation besteht kaum mehr allgemeine Transparenz. Auch in den Parlamenten müßte es aufhorchen lassen, wenn das Leitmotiv aller Kritik seit etwa zwanzig Jahren im Öffentlichkeitsdefizit zu finden ist Auch hier wiederholt sich in der Argumentation der Grünen und Alternativen gegenwärtig der Protest der Neuen Linken von damals. Ideologisch sollte man diese Kritik nicht nennen: immerhin hat Wilhelm Hennis sie aufgebracht, Gerhard Loewenberg sie mit seiner fundamentalen Analyse vertieft Winfried Steffani hat sie mit seiner Diagnose des „halböffentlichen Parlaments" ebenso fortgeführt wie der Verfasser mit einigen Arbeiten Das Selbstverständnis der Parlamentarier akzentuiert die Leistungsentfaltung, die Effizienz Diese hat entgegen landläufigen Urteilen zu relativ guter Positionsbehauptung zumindest des Bundestages geführt, aber auch zu einem Strukturwandel der Parlamentsarbeit, welcher die Kommunikation nach außen erschwert. Aber auch Leistung läuft leer, wenn es nicht gelingt, sie der Öffentlichkeit zu vermitteln. Wenn das Parlament aber sich selbst nur eingeschränkt zu vermitteln vermag, dann kann auch die ständige Verschränkung parlamentarischer und vorparlamentarischer Willensbildung, dann kann Repräsentation als Prozeß nicht nahtlos gelingen. Wir stehen heute — leider muß man sagen: wieder einmal — ziemlich ratlos vor dem Problem, die Bruchstücke politischer Öffentlichkeit zusammenzufügen. (Darauf ist gleich noch einmal zurückzukommen.) Das Problem hat sich allmählich zugespitzt. Paradox genug ist, daß das Parlament gerade durch seine hohe Leistungsentfaltung und Problemlösungskapazität dazu beigetragen hat, den Blick auf neue Probleme freizuräumen: Die neuen, die „postmaterialistischen" Werte — vielleicht sind sie übrigens gar nicht so neu — konnten ja erst in Mode kommen, weil der Aufbau der parlamentarischen Demokratie in der letzten Generation geglückt und ihr auch das durchaus nicht unwichtige „materialistische" Fundament wirtschaftlicher Prosperität unterbaut worden war. Aber, zur Leistungsentfaltung ständig herausgefordert, hat dieses Parlament in den letzten Jahren nicht deutlich genug gesehen, was starke Gruppen bewegte, geschweige denn, daß es dies zur rechten Zeit debattiert und mit bündigen Antworten bedacht hätte. Vielleicht haben Parteitage diese Aufgabe noch besser geleistet. Aber Parteitage sind keine Repräsentationsorgane und können den Funktionsbereich des Parlaments nicht Zeitgeschichte, B 21/1970, bes. S. 5ff.; Scheinpublizität oder Transparenz? Zur Öffentlichkeit von Parlamentsausschüssen, in: ZParl 6 (1975), S. 77— 92; Legitimität und Kommunikation, in: Kommunikation im Wandel der Gesellschaft, hrsg. v. E. Schreiber /W. Langenbucher /W. Homberg (= Festschrift für Otto B. Roegele), Düsseldorf 1980, S. 61 ff. ersetzen. Wo dies der Fall wäre, läge eine erhebliche Systemstörung vor. Jedenfalls sind wichtige Positionen und Themen „draußen“ artikuliert und besetzt worden. Im Vakuum haben sich Kräfte etabliert, die zum Teil mindestens ebenso stark wie an diesen Themen an der Überwindung des parlamentarischen Systems interessiert sind. Schaut man hinter die bis vor kurzem noch Beruhigung ausstrahlenden demoskopischen Befunde, so zeigen sich durchaus Spaltungstendenzen unserer politischen Kultur. So stellt sich derzeit deutlich die Frage, wie Minderheiten — zumeist Angehörige der jüngeren Generation, mit einem hohen Maß formaler Bildung und großer Bereitschaft zu politischem und sozialem Engagement ausgestattet — zurückgewonnen werden können. Anders als 1968, als der Staat als Gegner ernst genommen wurde, gibt es heute im weiten Spektrum der Alternativen Verweigerungstendenzen, welche ihn weder als Adressaten noch als Partner akzeptieren wollen. Hier liegt das Systemproblem: keineswegs dort, wo den klassisch gewordenen Parlamentsparteien Konkurrenz erwächst.

In zweiter Linie von Bedeutung ist die Frage, ob der Wandel von der Protestbewegung zur Parlamentspartei stattfindet und die Berührungsängste mit Macht, Verantwortung und Kompromiß zu schwinden vermögen. Einer der interessantesten aktuellen Vorgänge ist die Auseinandersetzung zwischen Gesinnungsethikern und zaghaft sich vorwagenden Verantwortungsethikern in der grün-alternativen Bewegung Gesetzt, es gelingt ihr, sich dauerhaft in den Parlamenten zu etablieren, ist der Ausgang dieser Auseinandersetzung von großer Bedeutung für die künftige Gestalt unseres Parteiensystems; denn eine deutliche Ideologisierung und Verantwortungsflucht könnte für die unter Konkurrenzdruck geratenden anderen Parteien nicht folgenlos bleiben.

Erst in dritter Linie bedeutsam erscheint das Strategieproblem. Genauer: Die Frage der Verbindung parlamentarischer und außerparlamentarischer Strategien. Daß Parteien in den Institutionen und in der Gesellschaft ansetzen, daß sie Transmissionsriemen sein sollen, gehört zu ihrem Funktionsbereich und erst recht zum zeitgemäßen Verständnis parlamentarischer Repräsentation. Angesichts ihrer zentralen Rolle in der politischen Willensbildung ist demnach die kommunikative Verschränkung von Parlament und Öffentlichkeit sogar ihre wichtige Aufgabe. Diese Aufgabe ist keineswegs eine Neuentdeckung dieser Tage, wie mancher Neuparlamentarier zu glauben scheint Sie ist bisher nur nicht angemessen erfüllt worden.

Das Strategieproblem stellt sich folglich gar nicht grundsätzlich. Es stellt sich nur dort, wo es sich in der Tat nicht um eine integrierte, sondern um eine eigentlich genuin außerparlamentarische Strategie handelt, die in der Entschiedenheit ihrer Akzentsetzung im Grunde bereits eine antiparlamentarische ist.

Antiparlamentarisch zumindest in dem Sinn, daß der Verfassungstypus repräsentativer parlamentarischer Demokratie nur als Zwischen-und Durchlaufphase akzeptiert wird

Das Strategieproblem stellt sich also nur dort, wo „das Parlament kein Ziel, sondern Teil einer Strategie ist" zu deren Effektivierung es nur als Tribüne gebraucht wird, um am Ende überflüssig zu sein. Es stellt sich, wenn nicht die Verbindung „zur Straße", sondern ihre Mobilisierung gegen die legitime parlamentarische Entscheidung gemeint ist und wo der Versuch unternommen wird, die Demonstration von Basis und Straße — wie in Berlin geschehen — gleichsam in die Parlamentsverhandlungen aktiv miteinzubeziehen, um Druck auf die Institution und ihre Beratungen zu erzeugen.

Wenn die These zutrifft, daß repräsentative Demokratie kommunikative Demokratie sei, dann ist sie gewiß ein Merkposten für eine öffentlichkeitszugewandte Gestaltung der Arbeitsweise der Parlamente. Andererseits markiert sie dann aber auch eine deutliche Grenzlinie für Gestalt und Form politischer Verhaltensweisen im parlamentarischen System und gegenüber seinen Institutionen. Jedes andere als in der Methode kommunikatives Verhalten wäre ein fundamentales Mißverständnis parlamentarischer Demokratie. Die Fragen nach der Sicherung von Legitimität, nach Formalisierung oder Entformalisierung politischer Willensbildung und nach Eingrenzung oder Entgrenzung der Gewalt erweisen sich als die Fluchtpunkte der Diskussion.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ich beziehe mich hier auf den Vortrag von Wolf-Dieter Narr, „Zur . Formkrise'alter und neuer Politik“ auf dem Kongreß der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft in Berlin am 5. Oktober 1982.

  2. Dazu Kurt Sontheimer, Antidemokratisches

  3. Forschung, die sich auf das bestehende System Bemerkung von Gertrud Schilling gegenüber den einläßt, hat in den letzten Jahren wichtige Fragestellungen Staatsführer Gaddafi ist nicht mehr und aufgenommen, die auch die Parlamente nicht weniger als eine zutreffende Interpretation bewegen (z. B. Implementations-und Evaluationsforschung), Kernaussagen: „Die Grünen haben sich zun ohne daß sie viel erreicht hätte - praxisfern gesetzt, die Parlamente abzuschaffen, da und artifiziell, wie sie sich gibt. heißt, die direkte Demokratie zu praktizieren“ (vgl Stuttgart 1982.

  4. Wolf-Dieter Hasenclever, Die Grünen im Landtag in der Weimarer Republik, München 19682, 3 von Baden-Württemberg, in: Jörg Mettke S. 187 ff. Vgl. auch schon Hannah Arendt, Elemente (Hrsg.), Die Grünen. Regierungspartner von morgen?, Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt 1962, Hamburg 1982, S. 111.

  5. Vgl. für viele nur: Das Bundesprogramm und die Dietrich Bracher, Zeit der Ideologien. Eine Geschichte der Grünen von Hessen und politischen Denkens im 20. Jahrhundert, Bayern, sämtlich

  6. Landesprogramm Die Grünen Hessen, S. 98.

  7. Ernst Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 19746, S. 113— 151.

  8. So präsentierte etwa die Frankfurter Rundschau die im Kern antiparlamentarischen direkt-demokratischen Programmaussagen unter dem unkritischen Untertitel: „Hessens Grüne wehren sich gegen den Vorwurf, demokratische Institutionen abschaffen zu wollen" (FR v. 10. August 1982) und will hieraus offenbar noch einen grundsätzlichen Gegensatz zur libyschen Äußerung Gertrud Schillings interpretieren.

  9. Dazu ausführlich Emil Hübner/Heinrich Ober-reuter, Parlament und Regierung, München 1977,

  10. Willy Strzelewicz, Der Kampf um die Menschenrechte, Frankfurt erw. Neuausgabe 1968.

  11. Manfred Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, Köln und Opladen 1967.

  12. Zuletzt in seinem Beitrag: Autorität und Freiheit in Staat, Gesellschaft und Erziehung, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, 27. Jahrg. (1982), S. 77— 93, hier bes. S. 85 ff. Die wesentlichen Zusammenhänge sind im übrigen in wünschenswerter Klarheit dargestellt in den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes gegen die SRP und die KPD.

  13. So Thomas Ebermann in einem Spiegel-Gespräch. Vgl. „Kompromißfähigkeit ist kein Lernziel“, in: Der Spiegel 38/1982, S. 40ff. (S. 49).

  14. 1 Zuletzt etwa: „Kompromißlos in Lebens-und Uberlebensfragen", Offener Brief von Petra Kelly an Willy Brandt, Teil I und II, in: Frankfurter Rundschau vom 16. bzw. 18. November 1982. In Hessen hat die Landesversammlung beschlossen: „Die Grünen sind zur Zusammenarbeit in Sachfragen mit den etablierten Parteien oder einzelnen Abgeordneten bereit, wenn sie Forderungen und Prognmmpunkte des Landesprogramms der Grünen in Hessen akzeptieren können. " (Hessens Grüne ... in: FAZ v. 16. 8. 1982). Die Diskussion über Fundamentalopposition oder Politikfähigkeit ist freilich im Fluß. Minderheiten treten für Kompromißbereitschaft ein, Parlamentsfraktionen beginnen offensichtlich, ihre Position zu überdenken. Wolf-Dieter Hasenclevers Aussage, „vom Auftreten, von den äußeren Formen her" fundamental-oppositionelle und destruktive Haltung abzulehnen, kann nur ein Anfang sein, auch wenn er die Absolutheit ®r Inhalte zu verteidigen sucht Auch hier gehen rorm und Inhalt eine Symbiose ein, wie man am Bekenntnis zu grundsätzlicher Lernbereitschaft erKennen kann. Aber: Diese Auffassung ist heftig um-sritten. Vgl. Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, in: Jörg R. Mettke (Hrsg.), Die Grü-nen, Hamburg 1982, bes. S. 116 ff.

  15. Martin Jänicke, Parlamentarische Entwarnungseffekte? Zur Ortsbestimmung der Alternativbewegung, in: Mettke, Die Grünen, a. a. O., bes. S. 80f.

  16. Grundlegend: Ulrich Scheuner, Der Mehrheitsentscheid im Rahmen der demokratischen Grundordnung, in: Menschenrechte — Föderalismus — Demokratie, hrsg. v. Ulrich Häfelin/Walter Haller/Dietrich Schindler (Festschrift für Werner Kägi), Zürich 1979, S. 301-325. Unter historisch-genetischem Aspekt umfassend: Wolfgang Jäger, Mehrheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 1021— 1062.

  17. Wilhelm Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, in: ders., Politik als praktische Wissenschaft, München 1968, S. 48— 64.

  18. Willy Brandt, Was soll das Gerede vom Parteitagsstaat, in: Vorwärts vom 13. 10. 1977; Helmut Schmidt, „Einen Zwiespalt gibt es bei mir nicht", Spiegel-Gespräch, in: Der Spiegel 9/1981, S. 24.

  19. Wolfang Sternstein, Willensbildung und Entscheidungsprozesse der Ökologiebewegung, o. 0, 1981.

  20. Vgl. „Hessens Grüne ..", FAZ v. 16. 8. 1982.

  21. Ernst Hoplitschek, Partei, Avantgarde, Heimat — oder was? in: Jörg Mettke (Hrsg.), Die Grünen, a. a. O„ bes. S. 97f.

  22. Wolf-Dieter Hasenclever, Die Grünen im Landtag, ebd., S. 110f.

  23. Ders., Die Grünen und die Bürger — ein neues Selbstverständnis als politische Partei, in: Joachim Raschke (Hrsg.), Bürger und Parteien, Bonn 1981 S. 309— 321, schreibt: „Gelegentlich gibt es eine Diskussion solcher Probleme auch dann nicht, wenn sie zeitlich möglich wäre — einfach deshalb, weil an der Basis gerade andere Dinge aktueller und wichtiger sind als die Probleme der Mandatsträger.“ Z. B. gelinge es nicht, Probleme regionaler Wirtschaftsförderung zu diskutieren, weil sie für die Basis „oft nicht so interessant wie die Vorbereitung einer örtlichen Demonstration" sind (S. 321 fj-

  24. Auf mittlere Sicht wird sich dies zur offenen Flanke der „neuen Bewegungen" entwickeln, keineswegs zur offenen Flanke der Herrschenden, wie Peter Willers („Wir waren da, aber nicht zu vereinnahmen.") zu meinen scheint. Vgl.seinen Beitrag: Den Tiefschlaf der Altparteien stören, in: Mettke HHrsg.), Die Grünen, a. a. O., bes. S. 167.

  25. Bernd Guggenberger, An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, in: PAZ vom 30. 10. 1982.

  26. Was soll es sonst bedeuten, wenn es bei Guggenberger heißt: „Die Mehrheitsregel vermag nur in der Situation des Normalzustandes, des . pouvoir constitu, ihre legitimitätsstiftende Kraft zu entfalten. In der Situation des . pouvoir constiuant’ in welcher der Friedensrahmen der Verfassung verblaßt, läuft sie leer." Im Klartext: Wem es gelingt, den Friedensrahmen der Verfassung zum Verblassen zu bringen, der ist souverän in seinen Entscheidungen. Carl Schmitt läßt grüßen.

  27. Martin Jänicke, a. a. O.

  28. Peter Graf Kielmansegg, Politikwissenschaft und Gewaltproblematik, in: Heiner Geissler (Hrsg.), Der Weg in die Gewalt, München 1978, S. 72f.

  29. Ulrich Matz, Politik und Gewalt Zur Theorie des demokratischen Verfassungsstaates und der Revolution, Freiburg u. München 1975, S. 15.

  30. Johan Galtung, Violence, Peace and Peace Research, in: Journal of Peace Research 6 (1969), S. 167 ff.

  31. Peter Cornelius Mayer-Tasch, Kernenergie und Bürgerprotest, in: Carl Amery u. a., Energiepolitik ohne Basis, Frankfurt 1978, S. 17.

  32. In diesem Zusammenhang auch Bernd Guggenberger, Bürgerinitiativen in der Parteiendemokratie, Stuttgart u. a. 1980.

  33. „Wir lassen sie nicht zur Ruhe kommen“. WestBerliner AL-Politiker über Gewalt und die Doppel-rolle der . Alternativen Liste“ im Parlament. Spiegel-Gespräch, in: Der Spiegel 31/1981, S. 50ff. (S. 51).

  34. „Die Täter sitzen in den Ministerien“. Spiegel-Interview. In: Der Spiegel 48/1981, S. 36.

  35. Nur als Beispiel: Widerstandsform ist für Vertreter der AL bereits ein „Bittgesuch" an Politiker. Vgl. Der Spiegel 31/1981, S. 51.

  36. Landesprogramm Die Grünen Hessen, S. 9. Ähnlich heißt es im Spiegel-Gespräch mit den Berliner AL-Vertretern: „Wir haben die Gewalt nicht erfunden, wir haben sie vorgefunden. Wir gehen davon aus, daß tatsächlich Verhältnisse bestehen, die auf Gewalt beruhen.“ (A a. O., S. 51)

  37. So die Fraktion der Grünen im Hessischen Landtag in der Diskussion um erneute Auseinandersetzungen um die Startbahn West. Vgl. „Notfalls auch Gewalt gegen Sachen", in: FAZ vom 12. 11. 1982. Zuvor hatten die Parlamentarier bereits ihren analytischen Ansatz auf die Krawalle angewendet: Ausdruck von Gewalt sind nicht Demonstrationen, sondern die gegen den Bürgerwillen errichtete Startbahn und die den Bau auch mit brutalen Mitteln schützende Polizei. Die Grünen im Landtag haben weder Mittel noch rechtliche Möglichkeiten, die Knüppel-und Tränengaseinsätze der Polizei zu verhindern." Zit. n.: „Nach den Krawallen um die Startbahn West sollen die hessischen Grünen Farbe bekennen", in: FAZ vom 4. 11. 1982. Vorausgegangen war ein Angriff auf die Polizei mit: Präzisionsschleudern für Metallgeschosse, Holzknüppeln, Eisenstangen, Steinen, Flaschen, Molotowcoctails und mehreren hundert Leuchtraketen. 22 Beamte waren z. T. schwer verletzt worden.

  38. Vgl. FAZ vom 12. 11. 1982: „Notfalls auch Gewalt .." im Spiegel-Gespräch mit der AL hieß die eindeutige Antwort auf die Frage, ob Gewalt legitim werde, wenn parlamentarische Auseinandersetzung und friedliche Demonstration nicht zum Erfolg führen: . Jedenfalls wird es dann zwangsläufig zur Gewaltanwendung kommen. Ob sie legitim ist, muß jeweils konkret diskutiert werden." Nur: . Wenn Steine der Bewegung schaden, sind sie politisch nicht mehr sinnvoll." Der Spiegel 31/1981, S. 55.

  39. Diese Position bei Jörg Westerhoff, Gewaltfrei, in: Hans-Werner Lüdke/Olaf Dinn, Die Grünen. Personen — Projekte — Programme, Stuttgart 1980, S. 100—io 3 Die konkreten Fragen werden in diesem Beitrag überhaupt nicht berührt.

  40. Hoplitschek, a. a. O., S. 88, spricht selbst vom „Eiertanz" der AL um die Gewaltfrage. Vgl. auch Der spiegel 31/1981, S. 55; FAZ vom 4. 11. 1982, Nach den Krawallen .. FAZ vom 5. 11. 1982, CDU: Grünroter Flirt gescheitert; FAZ vom 12. 11. 1982, Notfalls auch Gewalt...

  41. Zur Empörung, die Petra Kelly, Kompromißlos... Teil I, in: FR vom 16. 11. 1982, gegenüber Willy Brandt äußert, besteht kein Anlaß; denn in gleichem Atemzug mit dem Bekenntnis zur Gewaltfreiheit folgt das Bekenntnis zu den bekannten Formen zivilen Ungehorsams und — an anderer Stelle — die Inkaufnahme von Gewalt gegen Sachen und die Option für symbolische (Gewalt-) Aktionen als „geplante Handlungen verantwortlicher gewaltfreier (1!) Bürger". Siehe Petra Kelly, Die vierte Partei — Eine wählbare ökologische, gewalt-freie, soziale und basisdemokratische Anti-Partei, in: Lüdke/Dinn, Die Grünen, a. a. O., S. 79 u. 67. Natürlich gibt es in der Bewegung auch glaubwürdige Distanzierungen. Vgl. etwa die kritische Position von Hans Verheyen, des nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden der Grünen (nach: Die Grünen bekennen sich zum Parlament und gegen Gewalt, in: FR vom 5. 11. 1982, S. 1). Insgesamt jedoch blieb die Gewaltfrage aus taktischen Motiven offengehalten.

  42. Robert L. Heilbroner, Die Zukunft der Menschheit, Frankfurt 1976, S. 78.

  43. Ebd.

  44. Ernst Fraenkel, Strukturdefekte der Demokratie und deren Überwindung, in: ders„ Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart u. a. erstm. 1964, S. 55.

  45. Marek Sobolewski, Politische Repräsentation im modernen Staat, in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 41911.

  46. Heinz Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, München 1979.

  47. Sobolewski, a. a. O., S. 422.

  48. Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 19262; Schmitt aufnehmend und heute fast so virulent wie 1968: Jürgen Habermas, Strukturwandel der Offentlichseit, Neuwied-Berlin 1962. Zur Kritik u. a.: Wolfgang Jäger, Öffentlichkeit und Parlamentarismus, Stuttgart u. a. 1973.

  49. Heinrich Oberreuter, Parlament und Öffentlichkeit, in: Rheinhold Bocklet (Hrsg.), Das Regierungssystem des Freistaats Bayern Bd. 1, München 1977, 8: 147— 180. Nachdruck in: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.), Politik und Kommunikation, München 1979, S. 62ff.

  50. Jeremy Bentham, Taktik und Theorie des Geschäftsgangs in deliberierenden Volksständever-Sammlungen, Erlangen 1817, S. 10.

  51. Heinrich Oberreuter, Kann der Parlamentarismus überleben? Bund-Länder-Europa, Zürich/Osnabrück 19782, S. 44ff.

  52. Wilhelm Hennis, Der Deutsche Bundestag 1949— 1965. Leistung und Reformaufgaben, in: Der Monat (215) 1966, S. 26— 36.

  53. Gerhard Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969, bes. S. 451 ff.

  54. Winfried Steffani, Das öffentliche Parlament, in: Mensch und Staat in NRW. 25 Jahre Landtag in Nordrhein-Westfalen, Köln/Berlin 1971, S. 259 bis 279. Vgl. auch: Heinrich Oberreuter, Die Öffentlichkeit des Bayerischen Landtages, in: Aus Politik und

  55. Dazu allgemein: Hans Maier u. a., Parlament und Parlamentsreform. Zum Selbstverständnis des fünften Deutschen Bundestages, München 19792.

  56. Ronald Inglehart, The Silent Revolution, Princeton 1977.

  57. Nur als Beispiele: „Wir sind die Antipartei-Partei“, Spiegel-Gespräch mit Petra Kelly, in: Der Spiegel 24/1982, 47ff., und Wolf-Dieter Hasenclever, Die Grünen und die Parlamente, in: ZParl 13 (1982), S. 417— 422.

  58. Vgl. etwa Hasenclever, ebd., und Martin Mombaur, Im Parlament und auf der Straße, in: Jörg Mettke (Hrsg.) Die Grünen, S. 135ff. Dazu auch Mettkes eigener Beitrag: Auf beiden Flügeln in die Höhe. Grüne, Bunte und Alternative zwischen Parlament und Straße, ebd. S. 7ff.; zu diesen und zu anderen Aspekten des Gesamtthemas auch der Sammelband: Alternative Stadtpolitik. Grüne, rote und bunte Arbeit in den Rathäusern, Hamburg 1981.

  59. „Die parlamentarische Demokratie ist sicher besser als gar keine Demokratie. Es ist aber gar kein Geheimnis, daß für uns die parlamentarische Demokratie nicht gerade das Erstrebenswerteste, Glücklichste, Schönste ist, das man sich vorstellen kann.“ Spiegel-Gespräch mit Berliner AL-Vertretern, in: Der Spiegel 31/1981, S. 56.

  60. Petra Kelly, Wir sind die Antipartei-Partei, a. a. O., S. 52.

  61. Vgl. Spiegel-Gespräch mit Berliner AL-Vertretern, a. a. O., S. 56.

Weitere Inhalte

Heinrich Oberreuter, Dr. phil., geb. 1942; Professor für Politikwissenschaft an der Universität Passau; 1978— 1980 Professor für Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin (Otto-Suhr-Institut); 1974 Preis des Bayerischen Land-tages; Mitglied des Vorstandes der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen und des Beirats der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Veröffentlichungen u. a: Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, Hamburg 1975 (Hrsg.); Parlament und Regierung. Ein Vergleich dreier Regierungssysteme, München 1977 (mit E. Hübner); Kann der Parlamentarismus überleben? Bund—Länder—Europa, Zürich 19782; Parlament und Parlamentsreform, München 19792 (mit Hans Maier u. a.); Freiheitliches Verfassungsdenken und politische Bildung, Stuttgart 1980 (Hrsg.); Pluralismus — Grundlegung und Diskussion, Opladen 1980 (Hrsg.); Parlamentsreform. Probleme und Perspektiven in westlichen Demokratien, Passau 1981 (Hrsg.); Übermacht der Medien, Zürich 1982.