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Raumfahrt und Dritte Welt | APuZ 19/1983 | bpb.de

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APuZ 19/1983 Artikel 1 Weltbevölkerung und Welternährung Entwicklungsstrategien und Satellitentechnologie Raumfahrt und Dritte Welt

Raumfahrt und Dritte Welt

Günter Paul

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Schon wenige Jahre nach dem Start von Sputnik 1 im Oktober 1957 gelangten die ersten Wetter-und Kommunikationssatelliten in den Weltraum. Seitdem ist die Bedeutung der Anwendungssatelliten ständig weiter gestiegen. Von Plattformen außerhalb der Erde werden Wirbelstürme überwacht, Fernsehsendungen von Kontinent zu Kontinent übertragen oder Wüsten-und Urwaldregionen zur Herstellung präziser Landkarten photographiert. Dies ist in einigen Ländern der Dritten Welt mit Besorgnis aufgenommen worden. Durch die neue Technologie, so heißt es, verschafften sich die Industrienationen auf Kosten der Armen einen Vorsprung, der nicht mehr aufzuholen sei. Andererseits aber sind auch die Entwicklungsländer selbst weitgehend am Nutzen der Technik beteiligt. Der Aufsatz beschreibt an Hand von Beispielen, inwieweit die Satellitensysteme unter anderem bei der Erschließung abgelegener und kaum besiedelter Landesteile in der Dritten Welt helfen können und bereits geholfen haben. Angesprochen werden die Erfassung von Waldbeständen, der Aufbau regionaler Telefonnetze, Fernsehlehrprogramme und Möglichkeiten internationaler Notrufsysteme. Die Vorteile der Raumfahrt sind unübersehbar — nicht nur für die Industrienationen.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten, Sputnik 1, ist die Raumfahrt längst ihren Kinderschuhen entwachsen. Die Forschungsprojekte sind in den Hintergrund getreten, der Weltraum steht zur zivilen und militärischen Anwendung offen. Da bleibt Skepsis nicht aus. Vor allem in den mündig gewordenen Ländern der Dritten Welt regt sich hier und da Besorgnis, die Industrienationen verschafften sich auf Kosten der Armen einen Vorsprung, der nicht mehr aufzuholen sei. Eine ähnliche Tendenz ist in den vergangenen Jahren vor allem auf den internationalen Seerechtskonferenzen deutlich geworden.

Die Kluft zwischen Nord und Süd trat unter anderem aber auch auf der zweiten UNO-Konferenz über die Erforschung und friedliche Nutzung des Weltraums zutage, die im letzten Sommer in Wien stattfand. Auf dieser Konferenz forderten Vertreter der Entwicklungsländer radikale internationale Vorschriften für die Handhabung der Weltraum-technologie, vor allem eine Regulierung der Satellitenkommunikation. Wenn ihre Länder technisch so weit seien, daß sie eigene Nachrichtensatelliten betreiben könnten, gäbe es für sie keinen Platz mehr auf der geostationären Parkbahn 36 000 Kilometer über dem Äquator, so ihr Argument. Sie forderten unbegrenzten Zugang zu den Daten der Erderkundungssatelliten und eine Garantie dafür, daß die Beobachtungsprogramme fortgesetzt würden. Diese Forderungen, an der Nutzung der Satellitentechnologie beteiligt zu werden, sind allerdings in Teilbereichen bereits verwirklicht worden. Zwar gibt es als Folge des Monopols der Industriestaaten unangenehme Begleiterscheinungen; denn so mancher Manager wird sich, wenn er seine Produkte verkaufen will, über die Interessen der Entwicklungsländer hinwegsetzen und — wenn er Erfolg hat — dem Kunden auch Nutzloses anbieten. Aber gibt es nicht auch in der Entwicklungshilfe fragwürdige Projekte, die den Sinn dieser Hilfe selbst nicht in Frage stellen können?

Kritik hat es vor allem an dem amerikanischen LANDSAT-Programm gegeben. LAND-SAT-Satelliten überfliegen die Erde in einer Höhe von etwa 800 Kilometern und überqueren dabei alle 18 Tage dasselbe Gebiet; sie machen dabei Aufnahmen mit einer elektronischen „Kamera". Anfangs wurden die Bilder nur in die Vereinigten Staaten übertragen, dort in einer Zentrale gesammelt und dann den Interessenten zur Verfügung gestellt In den Entwicklungsländern hieß es zunächst — teils begründet—, größere westliche Industrieunternehmen würden sich diese Bilder mit der Absicht beschaffen, in der Dritten Welt noch unbekannte Rohstroffreserven zu ermitteln, um die in Frage kommenden Gelände billig zu erwerben. Ein anderes Argument lautete, die Auflösung der Bilder sei mit 80 Metern zu gering, kleinere Landanbauflächen zu überwachen und Ernteabschätzungen vorzunehmen; somit seien die Bilder für die Dritte Welt weniger geeignet, als die Amerikaner behaupteten. Tatsächlich trifft die-er Vorwurf auch für viele Länder zu, doch stecken im LANDSAT-Programm weit mehr Möglichkeiten als die hier genannten. Inzwischen profitieren viele Staaten Afrikas, Lateinamerikas und Asiens von diesen Möglichkeiten, für die es genügend Beispiele gibt. So ist es u. a. nur mit Hilfe von Satelliten möglich, größere, teils unzugängliche Regionen schnell, kostengünstig und vollständig zu kartographieren. Die Bestandsaufnahme des Geländes ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Erschließung abgelegener Gebiete. Eine solche Erschließung mag zwar auch Nachteile besitzen, wie etwa die Folgen der Landflucht zeigen, die mit Sicherheit unvermeidbar ist, wenn bislang naturnah lebende Menschen plötzlich Kontakt zu den „Segnungen" der sogenannten Zivilisation bekommen. Folgen sind verslumte Großstädte, Armut und Arbeitslosigkeit. Das allein ist aber kein Grund, an möglichem Anbauland oder großen Rohstoffreserven vorbeizugehen, zumal in Ländern, die dringend darauf angewiesen sind. Auch andere Aspekte sind zu nennen: Die Vertreibung von Indios und ihre kaltblütige Ermordung beispielsweise, über die aus dem unerschlossenen Amazonasgebiet unzulänglich berichtet wird, erhält wesentliche Förderung durch die Abgeschiedenheit der Region.

Zu den Ländern, die mit LANDSAT-Bildern erstmals vollständig kartographisch erfaßt wurden, gehört Bolivien. Von diesem Staat gab es zwar auch vor 1972 schon Luftaufnahmen, doch deckten sie nur etwa 80 Prozent der 1, 1 Millionen Quadratkilometer ab und stammten teils noch aus den zwanziger Jahren. In den Jahren von 1972 bis 1975 konnte man mit 28 LANDSAT-Aufnahmen eine moderne Bestandsaufnahme der Besiedlung von 650 000 Quadratkilometern machen, und zweieinhalb Jahre später lag dann eine vollständige LANDSAT-Karte des Landes vor. Im Bezirk Oruro hat man inzwischen einen Teil der Bilder systematisch nach möglichen neuen Siedlungs-und Bergbaugebieten untersuchen können. In Peru sind LANDSAT-Bilder zur Erforschung der tropischen Wälder im Amazonasgebiet ausgewertet worden. Dabei ließ sich nicht nur Wald von anderer Vegetation unterscheiden; auch Sumpfgebiete, kürzlich gerodetes Land und die meisten größeren zum Anbau genutzten Flächen wurden ermittelt. In vielen Fällen treten auf den Bildern auch die ökonomisch wertvollen Regionen im Tiefland hervor, in denen die Aguaje-Palme wächst. Wie wichtig solche Projekte sein können, zeigt ein Beispiel von den Philippinen. Dort offenbarte ein Vergleich von LANDSAT-Bildern aus den Jahren 1972 und 1976 auf der Insel Mindoro einen Rückgang des Waldgebietes um etwa 9 Prozent.

Diese Auswertung hat bewirkt, daß rund 78 000 Hektar Mangrovenwald zur Schutz-zone erklärt wurden. In Brasilien sind LAND-SAT-Bilder dazu benutzt worden, um im Staate Par die Entwicklung von Weideland zu verfolgen, das durch Rodung des Urwaldes entstanden war. In solchen Zonen nimmt die Fruchtbarkeit des Bodens beständig ab, der Bewuchs geht zurück; das Land muß aufgegeben werden, wenn nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Die Erschließung einer Region setzt im allgemeinen den Bau von Straßen voraus, dessen Kosten vor allem ärmere Länder oft nicht tragen können, zumal das anfangs zu erwartende Verkehrsaufkommen gering ist. Solche Kosten lassen sich senken, wenn zum Straßenbau Material verwendet wird, das nicht von weither herantransportiert werden muß. Für den Staat Botswana waren LANDSAT-Aufnahmen von großem Nutzen, als zur Planung eines Straßenbaus Bilder zur Verfügung standen, auf denen sich in unmittelbarer Nachbarschaft der geplanten Trassenführung mehrere Stellen mit geeignetem Baumaterial feststellen ließen.

Weit größeren Gewinn für ein Straßenbau-projekt hat der Staat Obervolta davongetragen. Hier ging es darum, ein 500 Kilometer langes Straßennetz zu modernisieren. Seit dem Bau der veralteten Straßen hatten einige Flüsse ihren Lauf geändert, so daß es notwendig war, auch neue Brücken zu planen. LANDSAT-Aufnahmen ließen nicht nur Stellen mit geeignetem Baumaterial erkennen, sondern auch die für die Arbeit dringend erforderlichen Wasserreservoirs. Zudem zeigten die Bilder Wasserläufe bis herab zu einem Meter Breite auf, die kaum Wasser führten. Diese Flüßchen, die in der Regenzeit jedoch zu großen Flüssen werden und daher den Bau von Brücken erfordern, wurden auf den LANDSAT-Bildern anhand der spärlichen Restvegetation im Ufersaum erkennbar.

Inzwischen verwerten mehr als hundert Länder die LANDSAT-Daten zur Ermittlung von Bodenschätzen und anderen Ressourcen. Bodenstationen, die den direkten Empfang der Bilder ermöglichen, stehen unter anderem in Kanada und Brasilien, in Indien, Australien, Argentinien und Südafrika. Von den Stationen aus können auch diejenigen Aufnahmen des eigenen Territoriums abgerufen werden, die vom Satelliten nicht an die großen Stationen der Vereinigten Staaten übermittelt werden. Zudem sind die bei der amerikanischen LANDSAT-Zentrale in Sioux Falls/South Dakota bestellten Bilder, die oft erst nach Monaten ausgeliefert werden, für viele Zwecke bereits veraltet; wenn sie beim Kunden ankommen. Dies wird am Beispiel der Wettersatelliten besonders deutlich; theoretisch sind diese in der Lage, mit Wirbelsturmwarnungen zur Verhütung von Schäden beizutragen; aber es hat auch genügend Fälle gegeben, in denen die Warnungen nicht rechtzeitig bei den Betroffenen ankamen. So ist der Fall überliefert, daß englische Wissenschaftler zwar auf einer Satellitenaufnahme Eisberge erkannten, die sich direkt auf eine größere technische Anlage im kanadischen Offshore-Gebiet zubewegten, allerdings keine Möglichkeit bestand, die dort arbeitenden Menschen rechtzeitig über die Gefahr zu informieren.

Es liegt auf der Hand, daß bei einer mangelhaft ausgebildeten Infrastruktur in Entwicklungsregionen diese Kluft zwischen theoretischer Nutzungsmöglichkeit der Daten und ihrer praktischen Anwendung noch deutlicher hervortritt. Die Amerikaner haben die Schwierigkeiten erkannt und bieten deshalb für die Erderkundung einen besonderen Dienst an: Für eine Gebühr von 250 000 Dol-B lar jährlich können bestimmte Institute (wie etwa das Asiatische Institut für Technologie bei Bangkok) die LANDSAT-Bilder über eine amerikanische Antenne selbst empfangen. Allerdings müssen sie sich verpflichten, einzelne Bilder auf Anfrage auch Nachbarstaaten gegen Gebühren zur Verfügung zu stellen, die in der Regel nicht kostendeckend sind. Die Amerikaner bestehen insofern auf einen freien Zugang aller Interessenten zu den von den Erderkundungssatelliten gelieferten Informationen.

Dieses Verfahren wird in einigen Ländern der Dritten Welt allerdings mit Skepsis betrachtet; denn dort stellt man die Frage, warum hohe Beträge für Installationen bezahlt werden sollen, von denen andere Länder zu weitaus geringeren Kosten profitieren können. Bisher haben sich vor allem „reichere“ Entwicklungsländer zur Errichtung eigener Stationen entschlossen; aber auch diese sind in Anbetracht der Größenordnung insbesondere bei den Folgekosten oft finanziell überfordert Vielleicht werden Thailand und Chile die notwendigen Investitionen noch verkraften können, wahrscheinlich aber nicht mehr Zaire, Overvolta oder Kenia.

Immerhin veranschlagt die Volksrepublik China für den Bau ihrer Station rund 10 Millionen Dollar. 1977 schätzte die NASA die laufenden Kosten einer Bodenstation jährlich auf 750 000 Dollar bei minimalen Ansprüchen, bei voller Ausnutzung sogar auf 1, 7 Millionen Dollar. So mag das Gerücht zutreffen, daß eine entsprechende Einrichtung auf den Philippinen seit Jahren stilliegt, weil die Regierung die Kosten für notwendige Reparaturen nicht aufbringen kann. Aber auch andere Nachrichten stimmen bedenklich: Kenia beispielsweise hat sich vor einiger Zeit bei der amerikanischen Behörde für internationale Entwicklungsfragen (USAID) über das skrupellose Verhalten amerikanischer Verkäufer von Geräten zum Empfang und zur Verarbeitung von LANDSAT-Bildern beschwert.

Satellitenbilder der Erde sind erst dann ihr Geld wert, wenn sie auch interpretiert werden. Es gibt aber nur wenige Firmen und Behörden, die geeignetes Personal ausbilden. IBM hat zwar für einen symbolischen Betrag von einem Dollar Kurse angeboten, aber natürlich mit dem Hintergedanken, daß dann auch ihre Geräte gekauft werden. Die Landwirtschaftsabteilung der Weltbank hat von 1972 bis 1980 gerade 18 Personen in Erderkundungstechnik ausgebildet. Die Kurse der geologischen Bundesbehörde der Vereinigten Staaten (USGS) schließlich waren zumindest 1980 auf 30 Plätze beschränkt. Daß bei diesem Mangel weniger kompetente Beraterfirmen die Lücke füllen, ist eine bedauerliche, aber zwangsläufige Folge.

Auch die USAID schafft hier bislang keine Abhilfe. Sie hat zwar schon Trainingszentren, in denen allerdings nur Computertechnik gelehrt wird, in Ländern der Dritten Welt errichtet, so in Ouagadougou/Overvolta und Nairobi/Kenia. Doch weil die Nachfrage nach Trainingsplätzen größer ist als das Angebot, muß sie unter den Anwärtern noch eine Auswahl treffen. Im allgemeinen bevorzugt sie diejenigen, die an Programmen arbeiten wollen, die direkt der breiten Bevölkerung zugute kommen.

Unter den gegebenen Umständen ist es verständlich, daß die Entwicklungsländer die amerikanischen Pläne, das LANDSAT-Programm vollständig von der NASA in „private“ Hand übergehen zu lassen, mit Sorge betrachtet. Dies ist ein jetzt vor allem von Präsident Reagan verfochtener Gedanke, der aber auch einer zunehmenden Privatisierungstendenz in der Raumfahrt der Vereinigten Staaten entspricht. Die risikoreiche Pionierzeit im Weltraum ist vorbei, und nun beginnt das Geschäft; unseriöse Praktiken mögen dabei Ausnahmen sein, aber sie diskreditieren sowohl die Nutzanwendungsmöglichkeiten als auch jene Befürworter dieser Technologie, die ihr auch eine humanitäre Dimension zuschrieben.

Wie sich die Privatisierungspläne für die Raumfahrt auswirken werden, ist noch nicht abzusehen. Aber trotz zumindest teilweise berechtigten Pessimismus darf man hoffen, daß grundsätzlich Positives herauskommt Schließlich gibt es die „private" Raumfahrt bereits für die Satellitenkommunikation, und dort hat sie sich insgesamt gut bewährt. Schon 1962 hatte der damalige amerikanische Präsident Kennedy dem Kongreß seines Landes einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Schaffung eines rein kommerziellen Nachrichtensatellitensystems auf internationaler Ebene vorsah, und im August 1964 gründeten 14 Länder das internationale Nachrichtensatellitenkonsortium INTELSAT.

Von der anfänglichen Kritik an INTELSAT, die zunächst wesentlich von den Vereinigten Staaten dominiert wurde, ist kaum noch die Rede. Dem Konsortium gehören inzwischen 106 Länder an, und in mehr als 130 Ländern stehen etwa 300 Empfangsstationen. Der erste Satellit des Konsortiums, Early Bird oder INTELSATI, war mit einem Gewicht von 38 Kilogramm und 75 Telefonkanälen nach heutigen Maßstäben noch ein Zwerg. Die INTELSAT-Satelliten der letzten Generation (INTELSAT V) wiegen 1, 8 Tonnen, sind fast 16 Meter hoch und können außer zwei Fernsehprogrammen gleichzeitig 12 000 Telefongespräche übertragen. Infolge der wachsenden Kapazität sind die jährlichen Mietgebühren für einen Telefonkanal von 32 000 Dollar im Jahre 1965 auf 4 680 Dollar im Jahre 1981 gefallen. Für Fernsehübertragungen beträgt die Miete jetzt 8 Dollar je Minute.

Sicherlich ist das INTELSAT-System nicht auf die Bedürfnisse der Dritten Welt zugeschnitten, in denen Fernsehen und Telefonverkehr bislang nur eine untergeordnete Rolle spielen. Aber immerhin haben einige dieser Länder jetzt den Vorteil, direkter an die Industrienationen angeschlossen zu sein, was auf Dauer den Handelsbeziehungen zugute kommt. So gesehen ist auch der Preis einer Bodenstation, der für die nächsten Jahre mit weniger als 200 000 Dollar veranschlagt wird, nicht zu hoch.

Indonesien hat sich in den siebziger Jahren als erstes Entwicklungsland dazu entschlossen, ein eigenes, den nationalen Bedürfnissen angepaßtes Satellitenkommunikationsnetz aufzubauen. In diesem Land leben auf über mehrere hundert Inseln verteilt etwa 130 Millionen Menschen. Vor der Errichtung des Satellitensystems waren nur elf der indonesischen Inseln dauerhaft mit Telefon-, Telegrafen-und Telexkanälen untereinander verbunden; einige andere waren über Hochfrequenz-Radio angeschlossen, soweit die Verhältnisse in der Atmosphäre dies zuließen. Die mangelhafte Kommunikation erschwerte die Entwicklung der abgelegenen Regionen. Wegen der unerträglichen Zustände gingen Behörden und private Institutionen dazu über, sich eigene Hochfrequenz-Radioverbindungen aufzubauen, die zu einer ineffektiven Nutzung der Möglichkeiten führten. Daraufhin wurden 1976 und 1977 die nationalen Nachrichtensatelliten Palapa 1 und 2 gestartet, der erste für den Eigenbedarf, der zweite als Ersatzsatellit, dessen Kanäle zur Zeit an die Philippinen, Thailand und Malaysia vermietet sind.

Mit Palapa 1 haben sich die Verhältnisse erheblich verbessert. Der Satellit mit einer Kapazität von je 500 Telefonkanälen oder einem Fernsehkanal gewährleistet die Verbindung der wichtigsten Städte und verbindet kleinere Bodenstationen in abgelegenen Regionen der Inselwelt. Im übrigen gibt es in Indonesien inzwischen 32 Fernsehempfangsstationen, die von Djarkarta und Surabaya ausgestrahlte Fernsehprogramme von Satelliten aufnehmen und an die Hausempfänger in der näheren Umgebung weiterleiten. Eine der Aufgaben dieses Systems ist es, der Bevölkerung in den abgeschiedenen Regionen eine bessere Erziehung zukommen zu lassen.

Solche Projekte sind gleichwohl umstritten, doch wer wollte den Ländern der Dritten Welt, die sich in vielem an den Industrienationen ausrichten, die Nachteile verständlich machen, zumal längst nicht feststeht, ob auf Dauer Vor-oder Nachteile dominieren? Sicher wird ein Teil der Bevölkerung, die durch die neue Technik neben einer besseren Erziehung auch zivilisatorische Anreize erhält, mit den gewohnten Lebensumständen unzufrieden werden und in die Städte drängen. Aber ist das ein ausreichendes Argument gegen Erziehungsprogramme auf diesem oft einzig möglichen Weg?

Ein anderes, sehr viel ernster zu bewertendes Argument gegen eine zentrale „Fernseherziehung" in Entwicklungsländern ist, daß gerade in den Vielvölkerstaaten, zu denen auch Indonesien gehört, die ethnische Vielfalt verloren-gehen kann. Die staatstragende Ethnie habe allein die Möglichkeit, ihre Wertvorstellungen politischer, religiöser, kultureller etc. Art auszubreiten. In Kanada, wo der Satellit Anik — das Eskimowort für „Bruder" — seit Anfang der siebziger Jahre ähnlichen Aufgaben dient wie Palapa in Indonesien, führte eine Abordnung der Stammesführer der Eskimos und Indianer des hohen Norden Kanadas bei den verantwortlichen Direktoren der Fernsehgesellschaften bewegt Klage: „Unsere Kinder besuchen die Schulen des weißen Mannes und lernen unnützes Wissen. Vollgestopft mit dem, was der weiße Mann als Kultur und Grundlage für Glück betrachtet, kommen sie zurück, sitzen faul in den Häusern herum und wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen ... Hat der weiße Mann nicht schon genug Unheil gestiftet? Muß er nun auch noch einen . Bruder'zu uns schicken, der unsere Probleme nicht kennt und dem wir nicht vertrauen, weil wir glauben, daß er nur unsern Untergang beschleunigen will?"

Kritik gibt es an der raschen Verbreitung der Technik in unterentwickelten Ländern auch deshalb, weil die Wartungsmöglichkeiten für die Geräte oft unzureichend sind. Bevor in Indien 1975/76 versuchsweise ein Jahr lang von Delhi und Ahmedabad aus Fernsehprogramme zur Erziehung der Bevölkerung über den amerikanischen Satelliten ATS 6 in 2 400 meist elektrifizierte Dörfer ausgestrahlt wurden, wiesen Gegner auf den mangelhaften Radioservice des Landes hin. Vor einigen Jahren hatte eine Abordnung die von All India Radio in den Dörfern verteilten Radioempfänger inspiziert. war herausgekommen, daß nur

etwa die Hälfte der Empfänger funktionierten. Doch trotz aller Skepsis erwies sich das indische Site-Projekt (Satellite Instructional Television Experiment) zumindest als ein technischer Erfolg. Die verhältnismäßig kleinen Bodenempfangsstationen — ATS 6 gilt im weiteren Sinne als Vorläufer der Nachrichtensatelliten für den Direktempfang — besaßen einen hohen Grad an Zuverlässigkeit, und während des Versuchs waren jederzeit mindestens 90% der angeschlossenen Fernsehgeräte empfangsbereit. Nachdem der Neuigkeitswert des Systems (bei einer Bevölkerung, die zum Teil aus Analphabeten bestand, andererseits teils auch vorher noch niemals mit Radio, Zeitungen oder Kino Berührung gehabt hatte) zurückgegangen war, scharten sich während der Sendungen immerhin noch rund 100 Zuschauer um jeden Fernsehempfänger. Ihr Hauptinteresse galt Sendungen, die praktische Hinweise für die verschiedensten Tätigkeiten enthielten; weniger beliebt waren die sozio-kulturellen Programme.

ATS 6 wurde nach dem Versuch entlang des Äquators in eine neue Position gebracht, von wo aus er die Vereinigten Staaten „bedienen" konnte. Auf seinem Weg dorthin machten 27 Entwicklungsländer vom Angebot der Amerikaner Gebrauch, den Satelliten für kurze Demonstrationszwecke selbst zu nutzen. In seiner endgültigen Position angekommen, wurde ATS 6 für das „Health Education Telecommunications Experiment“ (Het) verwendet; Lehrer und Studenten in entlegenen Gebieten der USA konnten auf diesem Weg medizinische Instruktionen von großen Universitäten bekommen. Für dieses Experiment, das im übrigen nicht ausschließlich medizinisch ausgerichtet war, standen auch ATS 1 und 3 zur Verfügung. Eine Folge der Versuche war die Errichtung des „Appalachian Community Service Network", mit dem jetzt regelmäßig Gemeindeprogramme in den Bergen der östlichen Vereinigten Staaten ausgestrahlt werden. Auch ein Gemeinde-Informationsdienst für kleine Ortschaften in Alaska geht auf diese Erfahrungen zurück.

Die Erfolgsbilanz der Kommunikationssatelli-(ten ist insgesamt positiv, sei es in Ländern wie Indonesien und Indien, sei es im Pazifik, wo es seit 1971 Peacesat gibt, einen pazifischen Erziehungs-und Nachrichtenversuch mit Satelliten, der mehr als ein Dutzend Inseln im Stillen Ozean über Sprechfunk regelmäßig mit Informationen aus den Gebieten Gesundheitswesen, Erziehung und Gemeindearbeit versorgt. (Auch die auf neun Inseln und Inselgruppen verteilten Institute der Universität des Südpazifik, USP, stehen dauernd über Satellit miteinander in Kontakt.) Bislang gibt es operationelle Satellitensysteme nur in den USA, in der Sowjetunion, in Kanada und Indonesien. In den nächsten Jahren aber werden vermutlich Indien und Europa, Frankreich und die Bundesrepublik, die nordeuropäischen Länder, Saudi-Arabien, die arabischen Länder, Japan, China und Lateinamerika folgen.

Dabei ist eine noch größere Vielfalt der Systeme, als sie heute bereits vorhanden ist, unausweichlich. Eine große Rolle werden Satelliten für den Geschäftsverkehr in der Wirtschaft spielen, die für einzelne Unternehmen unter anderem Telexverbindungen herstellen, aber auch Satelliten für den Fernseh-Direktempfang. In den Vereinigten Staaten, wo die Kommunikationssysteme nicht wie in der Bundesrepublik staatlich, sondern privat sind und die Konzerne AT & T, American Satellite, Western Union, RCA und Satellite Business Systems bereits eigene Satelliten besitzen, rechnet man damit schon in diesem Jahr. Zwei führende Hersteller von Zubehörgeräten für das Kabelfernsehen, die General Instrument Corporation und die Oak Industries Incorporated, wollen bereits jetzt von Satelliten ausgestrahltes Fernsehen auf „Pay TV" -oder Abonnentenbasis direkt in amerikanische Haushalte leiten. General Instrument hofft auf Einnahmen von nicht weniger als 1, 5 Milliarden Dollar, allerdings über einen Zeitraum von mehreren Jahren, bis das System voll in Betrieb ist.

Eine Sondersparte der Satellitenkommunikation ist auch der von INMARSAT betreute Seefunkverkehr. INMARSAT ist ein offiziell seit Anfang vergangenen Jahres bestehendes internationales Konsortium ähnlich INTELSAT, allerdings speziell für den Nachrichtenaustausch mit Schiffen eingerichtet. Zu den Zielen des Unternehmens, an dem sich inzwischen rund 40 Länder beteiligen, gehört es u. a., Telefongespräche und Fernschreiben weiterzuleiten. Speziell sollen aber auch für den Schiffsverkehr wichtige Warnmeldungen (Schlechtwetter und SOS-Rufe) übermittelt werden.

Ein anderes in diesem Zusammenhang erwähnenswertes Weltraumsystem ist SAR-SAT, das „Search and Rescue Satellite Projekt“ für die Suche nach havarierten Schiffen und Flugzeugen, an dem derzeit Kanada, Frankreich, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion sowie in bislang noch beschränktem Umfang Norwegen beteiligt sind. SARSAT geht auf erste, mehr als zehn Jahre zurückliegende Versuche zurück, Satelliten als Sammelstellen für Funkübertragungen aus abgelegenen Regionen zu verwenden. Damals begann man, Elefanten in Kenia und Schwarzbären und Elche in Nordamerika mit kleinen Radiosendern zu versehen, um deren Signale im Weltraum auffangen und so die Wanderung der Tiere verfolgen zu können. Man konnte die Herztöne und di Körpertemperatur dieser Tiere überwachen und ihren Standort jeweils auf etwa acht Kilometer genau bestimmen. Später wurden vor allem die Daten meteorologischer Meßbojen und Satelliten abgefragt. Seit kurzem können nun auch die Notsender von Schiffen und Flugzeugen aus dem Weltraum geortet werden.

Eine Anwendung des Systems bietet sich nicht nur auf dem Meer oder in den Weiten Nordamerikas und der Sowjetunion an, sondern gerade auch in den abgelegenen Berg-, Wüsten-und Urwaldregionen Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, wo etwa das Auffinden eines abgestürzten Flugzeuges oft kaum anders möglich wäre.

Manche der für den täglichen Bedarf nützlichen Satellitensysteme sind schon seit langem anwendungsreif, andere stehen noch in der Entwicklung. Die vielfältigen Möglichkeiten sind erst langsam überschaubar. Aber bei der sicherlich berechtigten Kritik im Detail dürfte der grundsätzliche Nutzen dieser neuen Technologie für die Verbindungen der Völker untereinander sowie als Instrument zur Weiterbildung, Katastrophenwarnung, Menschenrettung, Prospektionshilfe etc. außer Frage stehen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Günter Paul, Dr. rer. nat., geb. 1946 in Lüneburg; Studium der Physik und Astronomie in Bonn; seit 1979 Redakteur für Natur und Wissenschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Veröffentlichungen u. a.: Die dritte Entdeckung der Erde, 1974; Unsere Nachbarn im Weltall, 1976; Aufmarsch im Weltall, 1980.