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Wir brauchen Wachstum | APuZ 19/1984 | bpb.de

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APuZ 19/1984 Brauchen wir Wachstum? Wir brauchen Wachstum ökologische und soziale Folgekosten der Produktion. Zum Problem der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit der industriegesellschaftlichen Produktionsweise

Wir brauchen Wachstum

Werner Meißner /Dieter Glüder

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Thema „Wirtschaftswachstum" ist in den letzten Jahren heftig diskutiert worden. Nullwachstum und Wachstum um jeden Preis bilden die Extrempositionen in dieser Debatte. Die meisten Ökonomen weisen wirtschaftlichem Wachstum in unserer Gesellschaft auch für die Zukunft einen Platz zu. Gewöhnlich wird Wirtschaftswachstum als Zunahme des realen Bruttosozialprodukts (BSP) gemessen. Als reales BSP pro Kopf sollte es lange Zeit Auskunft über den Wohlstand des einzelnen oder einer Nation geben. Dieses Maß erlaubt eine Charakterisierung der Wachstumsdynamik seit Beginn der Industrialisierung. Damit verglichen stellen die hohen BSP-Zuwachsraten in den Jahren nach 1945 eine Ausnahme dar. Ihr abflachender Trend mündet Mitte der siebziger Jahre in die Stagnation. Wachstum wird aber gebraucht, um eine Reihe von Zielen leichter erreichen zu können (hoher materieller Wohlstand, mehr Arbeitsplätze, bessere Verteilungsmöglichkeiten, weniger Inflation u. a.). Nullwachstum gefährdet die Erreichung dieser Ziele. Allerdings gibt es ökonomische, natürliche und soziale Beschränkungen (vielleicht sogar Grenzen) des Wachstums.

Kaum ein anderes ökonomisches Thema ist in den letzten Jahren — und nicht nur von Ökonomen — so heftig diskutiert worden wie das Thema „Wirtschaftswachstum". Die Wachstumsgesellschaft in den Industriestaaten hat sich in verschiedene Lager gespalten: Es gibt strikte Wachstumsbefürworter und ebenso strikte Wachstumsgegner. Dabei gehen die Positionen quer durch alle hergebrachten Gruppierungen. Die Forderung nach hohem Wirtschaftswachstum wird von konservativen Handelskammerpräsidenten und von klassenbewußten Betriebsräten erhoben; die Anwälte des Nullwachstums finden sich bei traditionellen Naturfreunden und bei radikalen Sy-stemkritikern. Kaum ein anderes Thema ist aber auch von den Ökonomen lange Zeit dermaßen einseitig ökonomisch behandelt worden. Eine Kritik dieses Denkstils war abzusehen, als sich soziale und ökologische Nebenwirkungen anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums ausbreiteten und von der Bevölkerung zunehmend wahrgenommen wurden. Im Verlauf der Debatte haben die Ökonomen gelernt. Sie haben ihren Blickwinkel erweitert, sich von strikten Gegnern und Befürwortern zumeist abgesetzt und überwiegend eine Position gefunden, die wirtschaftlichem Wachstum auch in Zukunft in unserer Gesellschaft einen Platz zuweist.

I. Was ist Wachstum?

Abbildung 1

1. Definition Der Begriff Wachstum hat im täglichen Sprachgebrauch einen guten Klang. Meist hat er mit biologischen Erscheinungen zu tun: mit Wachstum von Pflanzen, Tieren, Menschen. Sie mögen wachsen und gedeihen. Andererseits lehrt uns das Sprichwort, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Wachstum bedeutet Zunahme, und das ist auch gut. Wirtschaftswachstum bedeutet Zunahme, und zwar die anhaltende Vermehrung des pro Periode in einer Volkswirtschaft erstellten Güterberges. Es bezeichnet eine dauerhaft bessere Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen und wird gewöhnlich als Zunahme der tatsächlichen Produktion über Jahre hinweg verstanden. Als Maß hierfür wird das Bruttosozialprodukt (BSP) herangezogen: Wirtschaftswachstum liegt bei einer (im Periodenvergleich) positiven Veränderungsrate des realen BSP vor.

Der Großteil der Güter und Dienstleistungen, die zusammengenommen das BSP bilden, wird mit Marktpreisen bewertet, wodurch die Addition zu einer einzigen Zahl (1982:

1 597, 70 Mrd. DM) erst möglich wird. Steigen diese Preise, ohne daß die Produktmengen zu-nehmen, erhöht sich zwar das nominale BSP, es stellt sich „real" gesehen jedoch keine Verbesserung ein. Deswegen wird Wachstum durch das reale BSP (d. h. zu konstanten Preisen) gemessen

Ohne Bezug zur Bevölkerungsentwicklung sagt das reale BSP noch nichts über eine bessere Versorgung des „Durchschnittsbürgers". Zum nationalen Wohlstandsvergleich über die Jahre und zur internationalen Positionsbestimmung wird deshalb das BSP pro Kopf herangezogen. Simon Kuznets hat über dieses Maß treffend das Wachstum in den Industriestaaten seit Beginn der Industrialisierung als „modern economic growth" bezeichnet. Trotz einer rapiden Bevölkerungszunahme stieg das reale BSP pro Kopf beständig, d. h. das Bevölkerungswachstum ist durch das Produktionswachstum noch übertroffen worden. Lange Zeit glaubte man daher auch, daß die Industriestaaten immer wohlhabender geworden seien. Noch heute ist das reale BSP pro Kopf für viele das wichtigste — manchmal sogar das einzige — Wohlstandsmaß. Wachstum ist die in einer Zahl verdichtete Periodenleistung einer sich entwickelnden Volkswirtschaft. Hinter dieser Zahl verbergen sich vielfältige Veränderungen, die das Wachstum der Wirtschaft produzieren. Beständig entstehen

— neue Güter, die das Verhalten von Produzenten und Konsumenten wandeln;

— Verschiebungen in den Produktionsbedingungen, die eine Tendenz zur Wanderung der Produktionsfaktoren und eine Änderung der Faktorkombination mit sich bringen;

— neue Marktstrukturen, die die Konzentration in der Wirtschaft ändern;

— menschliche und soziale Anpassungsprobleme. Wachstum und Strukturwandel gehen also immer einher; seit Beginn der Industrialisierung werden sie durch den technischen Fortschritt geprägt und beschleunigt. Ohne technischen Fortschritt sind hohe Steigerungsraten des BSP pro Kopf nicht denkbar. Innovationen bringen bessere Produkte und Produktionsverfahren, die das Wachstum vorantreiben und die Wirtschaftsstruktur tiefgreifend verändern. 2. Modernes ökonomisches Wachstum und Stagnation Vor der Zeit der Industrialisierung war die Wachstumsrate der jährlichen Güter-und Dienstleistungsproduktion langfristig weitgehend durch das Bevölkerungswachstum bestimmt. Es war der Zuwachs an Arbeitskräften, der eine größere Produktion ermöglichte. Erst mit dem Einsatz von Maschinen und mit neuen Formen der Arbeitsorganisation, die neues technisches Wissen auf breiter Front nutzbar machten, stieg die Arbeitsproduktivität (die pro Zeiteinheit von einer Einheit Arbeit geschaffene Gütermenge) sprunghaft an. Die Industrialisierung brachte ungewohnt hohe Wachstumsraten mit sich. Binnen eines Jahrhunderts konnten die Industriestaaten ihre Produktionen vervielfachen. Im Rückblick sind in jenen Tagen (bis hin zum Zweiten Weltkrieg) im langjährigen Durchschnitt um die zwei Prozent reales Wachstum jährlich die Regel gewesen

Vergleichen wir damit die ersten drei Nachkriegsjahrzehnte: In der Bundesrepublik brachte das Wirtschaftswunder eine nochmalige Steigerung; weltweit gilt: „Betrachtet man die langjährige Entwicklung der Produktionstätigkeit in den westlichen Industrieländern seit 1870, so zeigt sich, daß die Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts in der Nachkriegsphase 1950 bis 1970 (durchschnittlich 5 Prozent) deutlich über dem säkularen Trend lagen." Nicht nur in der Höhe, sondern auch in ihrer zeitlichen Entwicklung waren die Wachstumsraten der Nachkriegszeit anders als vorher. Wachstumseinbrüche, negative reale Wachstumsraten also, die früher häufiger auftraten, waren eine Seltenheit (in der Bundesrepublik erstmalig 1966/67, siehe Graphik). Die Zyklizität der wirtschaftlichen Entwicklung drückte sich in schwankenden positiven Raten aus. Man sprach von Wachstums-zyklen. Sie zeugen von der relativen Stabilität der Wirtschaft in diesem Zeitraum.

Die im Durchschnitt hohen Wachstumsraten haben das Niveau der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen rasch und kontinuierlich angehoben. Zwei berühmte Ökonomen haben dem Kapitalismus diese Prosperität vorausgesagt. Beide, Keynes und Schumpeter, haben diese Wachstumsphase vorausgeahnt Aber auch in den westlichen Industrie-ländern sind in der Nachkriegszeit die Bäume nicht in den Himmel gewachsen. Seit etwa Mitte der siebziger Jahre stagniert die Weltwirtschaft. Niedrige Wachstumsraten sind über mehrere Jahre hinweg die Regel in den Industrieländern. Kurze Erholungsphasen steigern das Produktionswachstum auf Werte, die sich höchstens dem säkularen Trend annähern (s. o.). Für die Bundesrepublik zeigte sich schon seit langem eine nachlassende Wirtschaftsdynamik im abwärts gerichteten Trend der Wachstumsraten (siehe Graphik).

II. Warum brauchen wir Wachstum?

Abbildung 2

Eine einfache und naheliegende Antwort auf die Frage wäre: Wir brauchen Wachstum, weil wir lange Zeit keines hatten. So selbstverständlich und unbestritten ist aber das Wachstumsziel heute nicht mehr. Man muß die wichtigsten Argumente schon ins Feld führen. 1. Mehr Wachstum = mehr Güter und Dienstleistungen = mehr Wohlstand Diese oben genannte Gleichung war lange Zeit gültig; heute setzt man dahinter ein Fragezeichen. Nach wie vor ist aber richtig: Mehr Güter und Dienstleistungen erlauben den Bürgern, ihre Bedürfnisse besser zu befriedigen. Steigerungen des realen BSP bieten nicht nur ein Mehr an Konsumgütern (entweder sofort oder über Investitionen später sogar in erhöhtem Umfang), sie weiten ebenfalls die Auswahlmöglichkeiten der Konsumenten aus. Neben einer breiten Palette bekannter Produkte stehen neue Produkte zur Verfügung. Das ist in den Industriestaaten von hoher Bedeutung. Hingegen geht es den Entwicklungsländern um die Deckung der elementarsten Bedürfnisse: ausreichende Nahrung, Kleidung, Unterkunft, ein Minimum an schulischer Bildung und ärztlicher Versorgung. Angesichts ihrer Not ist materieller Güterzuwachs ein Gebot. Aber auch in den Industriestaaten gibt es noch Armut im existentiellen Sinn. Allgemeines Wirtschaftswachstum kann auch in diesen Ländern den Ärmsten weiterhelfen, selbst wenn sie unterdurchschnittlich daran teilhaben.

In den Industrieländern ist die Befriedigung der Existenzbedürfnisse für breite Schichten erreicht. Sättigungserscheinungen sind spürbar. Immer stärker treten dafür kulturelle Bedürfnisse und das Bedürfnis nach einer sauberen Umwelt in den Vordergrund. Materielle Sättigung kann als Vorbedingung für diese Entwicklung gelten. Nullwachstum kann an ihr rütteln: Es bringt zunächst keine Verringerung der Umweltbelastungen aus Produktion und Konsum, da beide auf ihrem erreichten Niveau bleiben. Wird keine Erneuerung alter Produktionsverfahren und -anlagen vorgenommen, kann selbst ohne Wachstum die Umweltbelastung steigen. Der Strukturwandel kommt langsamer voran, weil es an ausreichenden Investitionen fehlt. Es werden daher die stärker verschmutzenden Altanlagen nur allmählich ersetzt werden. Soll in diesem Zustand eine Umweltpolitik betrieben werden, kann man ihr nur knappe Ressourcen einräumen. Der materielle Wohlstand nimmt ab, weil Altschäden behoben werden müssen und mit fortgesetztem Nullwachstum ein relativ hoher Bestand an Altanlagen bestehen bleibt, der die Durchsetzung einer kostengünstigen vorausschauenden Umweltpolitik verzögert. Zudem könnte der politische Konsens für eine Umweltpolitik gefährdet werden, wenn insbesondere niedrige Einkommens-gruppen von materiellen Einbußen betroffen werden. Ohne Wachstum, ohne Steueraufkommen wird eben auch die Umweltpolitik schwieriger. Insgesamt bleiben also teils trotz und teils wegen eines Nullwachstums — entgegen populärer Ansicht — erhebliche Gefahren für unsere Umwelt bestehen. 2. Mehr Wachstum = mehr Arbeitsplätze Eine wachsende Wirtschaft schafft neue Arbeitsplätze. Das stimmt solange, wie sich die Arbeitsproduktivität nicht erhöht. Können dieselben Arbeiter jedoch in der gleichen Zeit mehr Güter produzieren, entstehen neue Arbeitsplätze nur dann, wenn das Wirtschafts-B Wachstum den Produktivitätsfortschritt übersteigt. Der Rest des Wachstums dient der Sicherung der vorhandenen Beschäftigung.

Das hohe Niveau der Arbeitsproduktivität in den Industrieländern ist das Ergebnis einer immer kapitalintensiveren Produktionsweise. Zur Schaffung eines Arbeitsplatzes bedarf es heute im Durchschnitt einer erheblichen Kapitalausstattung Neue Arbeitsplätze verlangen hohe Nettoinvestitionen. An beidem fehlt es derzeit: Selbst bei voller Auslastung der vorhandenen Produktionskapazitäten wäre in den zurückliegenden drei Jahren für rund 1, 5 Millionen Personen kein Arbeitsplatz vorhanden gewesen Im gesamten OECD-Raum ist die Lage nicht viel anders; auch hier herrscht ein umfangreicher Arbeitsplatzmangel

Um in der Bundesrepublik bis 1990 die Arbeitslosigkeit abzubauen, müßte laut Gutachten des Sachverständigenrats 1981/82 der Unternehmenssektor von 1981 aus gesehen seine realen Bruttoanlageinvestitionen jährlich um 5 bis 6 Prozent steigern. Eine Erreichung des Ziels schon 1985 setzte Raten von 10 Prozent voraus Ein derartiger Investitionsboom ist bisher nicht eingetreten, noch nicht einmal sind die vorhandenen Kapazitäten bisher konjunkturell ausgelastet worden. Nach wie vor haben über zwei Millionen Menschen keine Erwerbsarbeit. Gleichzeitig befinden wir uns in einer Phase sehr schwachen Wachstums. Die Folgen liegen auf der Hand. Eine Strategie des Nullwachstums, auf Jahre hinaus, nimmt wachsende Arbeitslosigkeit in Kauf. Nicht einmal der Produktivitätsfortschritt würde aufgefangen werden.

Andererseits wäre auch ein Wachstum um jeden Preis keine Lösung. Ein vollständiger Abbau der Arbeitslosigkeit allein über mehr Wachstum verlangt extrem hohe Wachstumsraten. Um die Arbeitsmarktlücke bis 1990 zu schließen, rechnen die Arbeitsmarktforscher, daß die reale Wachstumsrate 6 Prozent jährlich betragen müßte. Der Sachverständigenrat (1983/84) rechnet eine etwas günstigere Konstellation zum Abbau der Arbeitslosigkeit aus: „Im ganzen halten wir dafür, daß durchaus ein mittleres Wirtschaftswachstum von 3 v. H. bis 31/2 v. H. und ein beachtlicher jährlicher Abbau der Arbeitslosigkeit beobachtet werden könnte — etwa in solcher Kombination: mittlerer Produktivitätszuwachs 2 v. H. bis 21/2 V. H., Erwerbsbeteiligung 1/2 V. H., effektive Arbeitszeitverkürzung 1/2V. H., jährlicher Abbau der Arbeitslosigkeit etwa 250 000."

Selbst wenn dies eintreten sollte, bliebe die Arbeitslosigkeit mittelfristig ein Problem. Vieles spricht jedoch gegen eine solche „Kombination": 1. Zwar entfernt sich der Sachverständigen-rat mit seiner Rechnung von extrem hohen Wachstumsraten; am säkularen Trend gemessen liegen diese dennoch hoch. Sie würden zudem nur dann wirken, wenn sie fünf bis sieben Jahre fortbestehen.

2. Zwei Annahmen können als wenig plausibel gelten: a) In Zeiten gewerkschaftlicher Bestrebungen zur Verkürzung der Arbeitszeit setzt der Rat die Entwicklung der effektiven Arbeitszeitverkürzung unter dem langfristigen Trend an. Eine höhere Wachstumsrate ist damit rechnerisch nötig, b) Ebenso besteht die Gefahr, daß der Fortschritt der Arbeitsproduktivität unterschätzt wird, d. h. ein zu geringes Wachstumserfordernis kalkuliert wird. In der Regel stimuliert Wachstum über mehr Investitionen den Produktivitätszuwachs; höhere Wachstumsraten werden von rascherem Produktivitätszuwachs begleitet werden Mit der angenommenen geringen Arbeitszeit-verkürzung dürften höhere Wachstumsraten als 3 bis 3, 5 Prozent notwendig werden.

Wir brauchen also Wachstum zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Aus der demographischen Entwicklung folgt ein weiteres Argu-ment für Wachstum, denn der Zugang von Berufsanfängern trägt enorm zur prekären Arbeitsmarktlage bis 1990 bei. Erst danach wird der aktive Anteil der Bevölkerung allmählich rückläufig sein. Allerdings müssen wir auch wissen, daß Wachstum allein die Arbeitslosigkeit nicht ganz beseitigen wird. 3. Bessere Verteilungsmöglichkeiten Eine andere Verteilung der weltweit vorhandenen Vermögen und Einkommen könnte alle Menschen satt machen und leben lassen. Ein Zuwachs an materieller Produktion erübrigte sich. Seit Jahrhunderten treten viele Religionen und Weltanschauungen für die Gleichverteilung ein, die sie als die plausibelste Form der Verteilungsgerechtigkeit ansehen. „But apart from primitive tribes, or small devoted communities, the practice of equal sharing has always lagged behind its lip Service."

Hauptgegenstand der heutigen Verteilungskonflikte ist die Einkommensverteilung, über die indirekt die Vermögensverteilung mitbestimmt werden kann. Im Rückblick „muß man als erstes feststellen, daß sich die Einkommensverteilung — funktionell und personell — gegenüber der Zielsetzung einer . gerechteren Einkommensverteilung’ als erstaunlich resistent erwiesen hat" Wie hat Wachstum in diesem Verteilungskonflikt weitergeholfen?

Wachstum schafft zusätzliches Einkommen und damit einen neuen Verteilungsspielraum. Von den bestehenden Verteilungsrelationen kann man bei der Verteilung des Einkommenszuwachses abweichen, um derart die Einkommenschwächeren oder die weniger Vermögenden allmählich besser zu stellen. Solange alle weiterhin vom Zuwachs profitieren, besteht für diese Korrektur eine reelle Chance. Allerdings wird aber auch bei der Verteilung des alljährlichen Zuwachses genau auf die relativen Positionen der Interessengruppen geachtet Die Starrheit der (funktionellen) Einkommensverteilung wird ebenfalls durch Stabilitätsargumente gefördert, wie sie z. B. durch das Konzept der kostenniveauneutralen Lohnpolitik oder das Geldmengenziel der Bundesbank artikuliert werden. Bleiben in den Tarifverhandlungen die relativen Positionen weitgehend gewahrt, können sich Einkommensschwächere nur absolut verbessern durch Partizipation am allgemeinen Einkommensanstieg. Ohne Wachstum wäre ihnen nicht einmal das sicher. Nullwachstum erschwert einen Konsens in den Tarifverhandlungen. Denn lange hält der Selbstbetrug nicht, den die Tarifparteien begehen, wenn sie die Verteilungskonflikte in die Inflation auflösen. Schwindende Geldillusionen in dieser Hinsicht schließen diesen Lösungsweg. Es bleibt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf Wachstum. So kann die bloße Wachstumshoffnung den Verteilungskonflikt auch bei Nullwachstum für einige Zeit „entschärfen".

Auch die staatliche Einkommensumverteilung durch Steuern und Transferzahlungen vollzieht sich leichter über Einkommenszuwächse. Aufgrund einer progressiven Einkommensbesteuerung schafft Wachstum einen überproportionalen Zuwachs im Steueraufkommen. Zugleich wird mit abnehmender Arbeitslosenzahl und fortschreitender wirtschaftlicher Erholung die Zahl der Unterstützungsberechtigten sinken. Ohne Wachstum schwindet die staatliche Manövriermasse und muß auf eine größere Anzahl aufgeteilt werden. Höhere Steuer-und Sozialabgabenlasten und Leistungskürzungen können die Folge sein. Ganz zu schweigen davon, daß die fehlende wirtschaftliche Dynamik zum Argument für eine Umverteilung in die andere Richtung wird 4. Mehr öffentliche Aufgaben und Leistungen Heute bilden staatliche Leistungen und öffentliche Güter eine bedeutsame Komponente des Wohlstandes eines jeden Bürgers. In modernen Industriestaaten erfüllt der Staat viele wichtige Aufgaben: Sicherheit, Rechtspflege, Bildungswesen, Gesundheitswesen, soziale Sicherungssysteme und zahlreiche Vorleistungen für die Entfaltung privatwirtschaftlicher Aktivität (Infrastruktur-maßnahmen: Straßenbau, Fern-und Nahverkehrssysteme, Förderung von Forschung und Entwicklung etc.). Auch der Umweltschutz gehört dazu. Zur Erfüllung dieser Aufgaben muß der Staat Ausgaben tätigen, die er — sei es heute oder in Zukunft — durch Steuern finanzieren muß. Sein Steueraufkommen kann der Staat jedoch nicht beliebig bestimmen; es hängt von der Wirtschaftsentwicklung im privaten Sektor ab. Über sein Steuermonopol kann er sich aus den Einkommen der Privaten finanzieren, wirtschaftliche Anstrengungen und Einkommenserzielung können aber nicht befohlen werden. Der Staat ist folglich auf Wachstum angewiesen. Neue Aufgaben kann er in der Regel nur wahrnehmen, wenn sein Budget wächst und ihm Ausgaben ermöglicht, die nicht schon seit Jahren für andere Aufgaben eingeplant werden. 5. Voraussetzung für gesamtwirtschaftliche Stabilität Selbst Urväter der Marktwirtschaft hielten „die wirtschaftliche Stagnation für die wahrscheinlichste Zukunft" Heute ist die Stagnation Realität und auch für die nächste Zukunft als Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, zumindest aber scheint verlangsamtes Wachstum für die nächsten Jahre eine realistische Prognose. Ohne Wachstum gehe die Marktwirtschaft zugrunde lautet eine weitverbreitete Ansicht. Auf diesen Wachstumszwang hat mancher gesetzt und den Untergang der Marktwirtschaft trotz aller staat-liehen Korrekturbemühungen erwartet. Welche Erfahrungen haben wir mit der Stagnation in den letzten Jahren gemacht? Besteht die Gefahr, daß „bei fehlendem gesamtwirtschaftlichen Wachstum... die Unternehmen ihre Produktionstätigkeit allmählich einstellen"?

In Marktwirtschaften sind Investitionen die treibende Kraft. Über die Kapitalakkumulation entscheiden die Unternehmen, wobei ihr Verhalten in der Hauptsache vom erwarteten Gewinn bestimmt wird. Verlangsamtes Wirtschaftswachstum erzeugt Angebotsüberschüsse; in der Folge wird die Nettoinvestitionsquote sinken Bei unveränderter Ersparnis entsteht ein gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht. Greift der Staat in diese Situation nicht stabilisierend ein, könnte sich das Marktsystem über Verteilungsänderungen dennoch auf einem niedrigeren Wachstumspfad stabilisieren. Eine Abnahme der Nettoinvestitionsquote bewirkt allerdings (ceteris paribus) eine reduzierte Gewinnquote — das ist der springende Punkt.

Bis die Wirtschaft sich auf einem niedrigeren Pfad stabilisiert, treten zudem eine Reihe weiterer Probleme (Konzentrationstendenzen, Beschäftigungseinbrüche) auf. Der dauerhafte Verbleib auf dem niedrigeren Pfad steht zwar unter manchem Risiko — insbesondere ist es fraglich, ob die Einkommens-und Gewinnansprüche sowie die Sparneigung dauerhaft korrigiert werden —, er ist jedoch nicht auszuschließen. Nullwachstum auf längere Zeit rührt an die Grundbedingungen für das Funktionieren einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Auch bei Wachstum ist dieses Wirtschaftssystem nicht ohne Konflikte, ohne Wachstum aber bröckeln die Mauern.

III. Erhöht Wachstum den Wohlstand?

Es gibt also mehrere gute Gründe für Wirtschaftswachstum. Wächst die Wirtschaft, so sozialen Gründen niemand ausgeschlossen werden kann und deren Nutzung durch einen Bürger nicht die Nutzung durch andere behindert. Öffentliche Güter werden vom Markt nicht bereitgestellt, hierzu muß der Staat tätig werden. Sofern er diese Güter bereitstellt, gehen sie nicht mit ihrem Markt-preis in die BSP-Berechnung ein, sondern mit den Kosten ihrer Erstellung. Für öffentliche Güter existieren keine Marktpreise, so daß der staatliche Output nicht gemessen und auch nicht mit der privaten Gütererstellung verglichen werden kann. kann man eine ganze Reihe wichtiger Ziele leichter erreichen. Lange Zeit schien es, als ob Wachstum und allgemeiner Wohlstand Hand in Hand gingen. Das war das wichtigste Argument für Wirtschaftswachstum. An dieser Gleichung sind Zweifel aufgetaucht. Die kritischen Fragen beziehen sich insbesondere auf die Messung dieser Phänomene durch das Bruttosozialprodukt

Das BSP erfaßt zunächst die marktgängigen Güter und Dienstleistungen mit ihren Marktpreisen. Unberücksichtigt bleiben alle wohlstandsrelevanten Aktivitäten des informellen Sektors (Eigenleistungen der Haushalte, Nachbarschaftshilfe, alternative Produktionen) ebenso wie das Schaffen der Schwarzarbeiten Höchstens indirekt, über ihren markt-wirksamen Vorleistungsbedarf (Werkzeuge, Haushaltsgeräte) wirken sich diese vergessenen Produktionen auf das BSP aus. Ungenau erfaßt werden die in modernen Industriestaaten umfangreichen Staatsaufgaben, für die es zumeist keine Marktpreise gibt. Zu unrecht ausgewiesen werden Güter und Dienstleistungen, die oftmals gar nicht oder nur sehr kurz zum Konsumenten gelangen (künstliche Veralterung der Produkte), und auch die Kosten einer bloßen Reparatur der Schäden, die mit dem Wachstum selbst entstanden sind (z. B. Umweltschäden). „Mit zusätzlichen Wegekosten, wachsenden Werbeausgaben, häufigeren Verkehrsunfällen, steigendem spezifischen Rohstoffverbrauch nimmt das BSP zu." Kein Wunder, daß das BSP als Wohlstandsindikator an Überzeugungskraft verloren hat.

IV. Gibt es Wachstumsgrenzen?

Im Jahre 1972 erschien ein Buch, das schnell weltweit Aufmerksamkeit erregte. Sein Titel: „Die Grenzen des Wachstums" In dieser Zeit war das Ende der langen Wachstums-welle der Nachkriegszeit noch nicht in Sicht. Das Buch verkündete eine unzeitgemäße Botschaft, die trotzdem Gehör fand. Dies lag daran, daß nicht die Dynamik des ökonomischen Systems selbst in Zweifel gezogen wurde, sondern gerade dessen Dynamik — so wurde argumentiert — würde an natürliche Grenzen stoßen. Die Erde ist endlich (ein „Raumschiff") mit begrenzten natürlichen Ressourcen und mit natürlichen Belastungsgrenzen; Wachstum kann deshalb nicht immer weiter gehen. Für Ökonomen war das nicht ganz neu, obwohl es lange Zeit kein Thema für sie gewesen war. Ende des 18. Jahrhunderts (genau 1798) hatte Thomas Robert Malthus in seiner Schrift „An Essay on the Principle of Population as it Affects the Future Improvement of Society" die Grenzen des Bevölkerungsund damit des Wirtschaftswachstums in der Nahrungsmittelproduktion gesehen. Das aber galt inzwischen durch die Fortschritte der Technik längst als überwunden. Viel mehr Gedanken wurden auf die Frage verwendet, ob es nicht Grenzen des Wachstums gibt, die sich aus dem ökonomischen System heraus einstellen müßten. Das ist das Thema der Stagnationstheorien, deren erste von David Ricardo aufgestellt wurde und die bis heute von Bedeutung sind. Schließlich ist neben die Theorien von den natürlichen und den ökonomischen Grenzen in jüngster Zeit die These von den sozialen Grenzen des Wachstums getreten.

1. ökonomische Grenzen

Das „moderne ökonomische Wachstum" (siehe oben) brachte ein ständig steigendes Bruttosozialprodukt pro Kopf. Fällt dieses für längere Zeit zurück oder bleibt es konstant, liegt Stagnation vor. Dementsprechend muß es Faktoren geben, die eine fortdauernde Wachstumsdynamik begrenzen. In vielen Entwicklungsländern stagniert das Pro-Kopf-Sozialprodukt aufgrund des enormen Bevölkerungswachstums; eigentlich kann von Stagnation in diesem Fall aber nicht die Rede sein, da „modernes Wachstum" niemals vorlag.

Seit Ricardo und den klassischen Ökonomen war die Stagnation lange kein Thema mehr für die Wirtschaftstheorie. Erst die langanhaltende Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre lenkte den Blick der Ökonomen wieder auf dieses Problem. Hervorzuheben ist hier Alvin Hansens Stagnationsthese Sie bezieht sich auf sogenannte reife Wirtschaften (mature economies). Eine säkulare Stagnation wurde von ihm auf folgende Faktoren zurückgeführt: 1. Ein abnehmender Bevölkerungszuwachs (!), 2. fehlende Territorien, die neu erschlossen werden können, 3. kapitalsparenden technischen Fortschritt, 4. ein hohes absolutes Sparvolumen. Reiche Wirtschaften geraten dennoch in die Stagnation, weil sie reich sind. Bei üppiger Kapitalausstattung und Infrastruktur, einem hohen Vermögensbestand in Händen der Privaten sowie hochproduktiven Technologien fehlt es an Investitionsgelegenheiten, die das hohe Sparvolumen ausschöpfen. Die Folge ist anhaltende Unterbeschäftigung. Einen Ausweg bilden kapitalbeanspruchende Investitionen, die ohne technischen Fortschritt aber zu einer immer niedrigeren marginalen Kapitalproduktivität führen. Bestehen institutionelle Untergrenzen für den Markt-zins, werden Investitionen bald ausbleiben. Nur technischer Fortschritt, der die Kapital-produktivität über den Zins hebt und attraktive Investitionsfelder schafft, kann Abhilfe bringen: Fehlende neue Technologien begrenzen das Wirtschaftswachstum.

Durch die Nachkriegszeit, in der ein umfangreiches Potential an Technologien zur Verwertung anstand, wurde Hansens pessimistische Sicht nicht bestätigt. Diese trifft eher auf die siebziger und frühen achtziger Jahre zu.

Allerdings fehlt es heute nicht an Möglichkeiten für neue Technologien und an Wachstumsfeldern auch für kapitalintensive Investitionen, denn selbst die Industriestaaten sind nicht in jeder Hinsicht reich: Eine zerstörte Umwelt, fehlender Wohnraum und verödete Städte bieten hinreichende Investitionsgelegenheiten. Es scheint an den sozioökonomischen Bedingungen zu liegen, daß diese Chancen nicht genutzt werden.

2. Natürliche Grenzen

„Die Theorie gründet auf einer definitiven Vorstellung des Menschen in der Natur. Der Mensch allein lebt, die Natur ist tot. Arbeit allein schafft Werte, die Natur ist passiv."

Ursprünglich betrachteten die Ökonomen drei Produktionsfaktoren: Arbeit, Boden, Kapital. Im Zuge der Entwicklung der ökonomischen Theorie wurde der Boden (der natürliche Faktor also) dem Kapital zugeschlagen, dann gänzlich vergessen. Die Natur erschien lange Zeit nicht mehr als Faktor in der Produktionsfunktion einer Wirtschaft. Spätestens die Studie des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums" hat diesen Mangel weltweit bewußt gemacht. Ihre Prophezeiung des globalen Kollapses in etwa hundert Jahren, wenn die Weltwirtschaft weiter gegen die Natur lebe wie bisher, hat schockiert. Erstmals schien wissenschaftlich untermauert, daß wir unserer Folgegeneration die Lebensgrundlagen rauben. Im Gegensatz zur Vorhersage der Zerstörung der Erde durch die Sonne in 12 Milliarden Jahren würde diese Katastrophe schon morgen eintreten. Die Argumentation der Studie ist recht einfach. Wächst eine Größe pro Periode mit kontinuierlicher Rate, entwickelt sie sich auf die Dauer exponentiell. Für das BSP und die Bevölkerung, die sogenannten Belastungsfaktoren, trifft das weltweit zu. Binnen weniger Jahre haben sich beide vervielfacht und werden (laut Annahme) in naher Zukunft auf ein Vielfaches dieses Vielfachen anwachsen. Diesen Belastungen können die natürlichen Grundlagen nicht standhalten. Sie sind begrenzt und nicht beliebig vermehrbar, weil es erschöpfbare Ressourcen gibt, die Umwelt nur begrenzt Schadstoffe aufnehmen kann und die Nahrungsmittelproduktion aufgrund des nicht vermehrbaren Bodens limitiert ist.

Die wirtschaftspolitische Schlußfolgerung daraus lautet: Nullwachstum. Ein Programm über den Zeitraum mindestens einer Generation, das nach Auffassung der Autoren der Studie des Club of Rome zu einem weltweiten Gleichgewicht führt, umfaßt darüber hinaus weitere Teile

— Geburtenkontrolle mit dem Ziel einer konstanten Weltbevölkerung (Geburtenrate = Sterberate);

— konstante Industrieproduktion pro Kopf; — Drosselung der industriellen zukünftigen Nahrungsmittelproduktion;

— weniger rohstoffintensive Produktionsverfahren; — Kontrolle der Umweltverschmutzung. Analyse und Therapievorschläge der Meadows-Studie gerieten schnell in die Kritik. Nur binnen fünf Jahren wurden von anderen Weltmodellen umgekehrte Schlußfolgerungen gezogen. So favorisierte Leontief (1977) weiteres Wachstum, dessen umwelt-schädigende Wirkungen mit möglichst geringem Aufwand zu beseitigen sind Im Zentrum stand aber der Streit um die angemessene Behandlung des technischen Fortschritts. Laut Weltuntergangsmodell kann technischer Fortschritt die natürlichen Grenzen des Wachstums nur kurzfristig verschieben. Dem wurde die Inkonsistenz entgegengehalten, im Modell zwar mit den heutigen Wachstumsraten die hohe Rate des technischen Fortschritts zu extrapolieren, einen entsprechenden Innovationsschub im Kampf gegen die Umweltverschmutzung aber zu leugnen Auch kann eine (annähernd) exponentielle Fortschrittsrate der Technik zur Vermeidung von Umweltschäden, der Erschließung neuer Rohstoffvorkommen, der Entwicklung von Rohstoffsubstituten und Rohstoffeinsparungen a priori nicht einfach ausgeschlossen werden. Ebenso könnte durch die Züchtung neuer Pflanzenarten, die synthetische Herstellung von Nahrungsmitteln und die Erschließung der Meere die Nahrungsmittelproduktion erheblich gesteigert werden. Auf eine entsprechende Ausrichtung und Förderung von Forschung und Entwicklung könnten Preissignale, die die Knappheiten anzeigen und denen durch eine staatliche Umweltpolitik nachgeholfen wird, sowie eine staatliche Technologiepolitik hinwirken. Ohne in den grenzenlosen Optimismus verfallen zu müssen, daß der technische Fortschritt schon alles wieder richten wird, zeigen die Gegenargumente daß die „Grenzen des Wachstums" nicht unüberwindbar sind. Aber man muß sie beachten, viel stärker als vorher, zumal Umweltschädigungen sich mit langer Verzögerung schlagartiger bemerkbar machen können. 3. Soziale Grenzen des Wachstums Wachstum, das die knappen natürlichen Ressourcen aufbrauchen würde, kann gleichwohl soziale Knappheiten in der Versorgung der Bevölkerung mit materiellen Gütern nicht aufheben. Von Fred Hirsch wurde erstmals begründet, daß Wirtschaftswachstum auf soziale Grenzen stößt Er stützt seine Thesen auf Ideen, wie sie ähnlich von Maslow (Bedürfnishierarchie), Galbraith (Keeping up with the Joneses) und Duesenberry (relative Einkommenshypothese) formuliert wurden. Hirsch unterteilt die Wirtschaft in eine materielle und eine positioneile Ökonomie. Die Grundbedürfnisse der Menschen werden dennoch von der materiellen Ökonomie gedeckt; durch Massenproduktion kommt es auch tatsächlich zu ihrer Deckung und anschließender Sättigung. In der positioneilen Ökonomie kann Wachstum dennoch aber die vorhandenen Knappheiten nicht beseitigen: Es ist schon immer „eine Täuschung gewesen zu meinen, das Volk, die vielen könnten in die Paläste der Reichen einziehen" Ähnlich verhält es sich z. B. für den Tourismus, die Bildung, das Wohnen im Grünen. Wollen viele Bürger die Güter erlangen, die eine kleine Minderheit konsumiert, kommt es zu sozialer Verstopfung. Der Reiz des Außergewöhnlichen schwindet: Wohnen viele im Grünen, wohnt schließlich keiner mehr allein, ruhig und sauber. Wachstum schafft neue Knappheiten, da sich der relative Abstand zwischen den Einkommensgruppen im Konsum anderer Güter wieder zeigen wird. Vom „Nachstoß" der anderen profitieren die „Neureichen", die ihr bisheriges Statussymbol teuer verkaufen können. Durch Wachstum kann das Spiel in eine neue Runde gehen. Immer mehr physische Güter füllen die Welt, die an sich selbst nicht interessieren und die die Statusfrage niemals lösen werden.

Hirschs Analyse mag in weiten Teilen zutreffen, da für viele Einkommensgruppen der Konsum der nächsthöheren Gruppe ein wesentliches Richtmaß darstellt. Konsum ist jedoch nicht allein das Richtmaß. Andere Bestimmungsfaktoren bleiben zu berücksichti-gen, so u. a., daß ein Konsumgut einen eigenständigen Nutzen hat und nicht nur Positionsgut ist Gleichfalls können technische Neuerungen in bestimmtem Maße soziale Knappheiten aufheben, z. B. können statt ei-nes Dieners Haushaltsgeräte Dienstleistungen erbringen. Damit wird die von Hirsch aufgezeigte Tendenz abgeschwächt; sie bleibt dennoch für die Frage nach dem Sinn des Wachstums ernst zu nehmen.

V. Qualitatives Wachstum

Die Frage nach dem Sinn des Wachstums führt zur Forderung nach qualifiziertem (qualitativem) Wachstum. Stärker als bisher hat unser Wirtschaften in Zukunft soziale und ökologische Restriktionen zu beachten, wobei es gleichzeitig die obengenannten Ziele (Schaffung von Arbeitsplätzen, von mehr Verteilungsgerechtigkeit, weniger Inflation) zu erfüllen gilt. Deswegen sind die folgenden Elemente charakteristisch für qualitatives Wachstum:

— Die Art und Weise der Produktion: Hier stehen Organisation des Produktionsprozesses und Rolle der Arbeit in Frage. Kürzere oder flexiblere Arbeitszeiten, bessere Gestaltung der Arbeitsplätze und weitere Formen der Mitbestimmung. Eine erhebliche Rolle wird aber auch ein geändertes Verhältnis von Eigenarbeit zu fremdbestimmter Erwerbsarbeit spielen. Fremdbestimmte Erwerbsarbeit dient der monetären Einkommenserzielung, ist „zum Leben" unumgänglich und wird in der Zukunft gerechter verteilt werden müssen. Hingegen schafft die Eigenarbeit Einkommen in Form selbsterstellter Güter und Dienstleistungen und wird mit wachsender Freizeit aufgewertet.

— Der Inhalt der Produktion und die Art der produzierten Güter: Eine ressourcensparende und umweltfreundliche Produktion verschafft Wohlstandssteigerung bei relativer (oder sogar absoluter) Senkung von Material-und Energieeinsatz je Produktionseinheit. Sozialproduktswachstum und Ressourcenverbrauch werden entkoppelt, wodurch ebenfalls die Kosten der Aufräumarbeiten (BSP-steigernd!) in Umwelt-und Gesundheitssektor möglichst gering gehalten werden.

— Die Art der Messung von Produktionsleistung: Das traditionelle Wohlstandsmaß BSP muß teilweise ersetzt und ergänzt werden, zum Beispiel durch ein System sozialer Indikatoren, dessen Verläßlichkeit, Aussagewert und Brauchbarkeit aber ebenfalls ständig zu überprüfen sind.

Qualitatives Wachstum als Ablösung des quantitativen Wachstums ist in -das Zielsystem der Wirtschaftspolitik einzupassen

Bei (annähernd) flexiblen Wechselkursen stellt das außenwirtschaftliche Gleichgewicht prinzipiell kein Problem mehr für die Wirtschaftspolitik dar. An seine Stelle tritt das neu gefaßte Ziel der Umweltstabilisierung Im Zielkranz verbleiben die alten Ziele Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität. Als alle Ziele umfassend wird das qualitative Wachstum einbezogen; es schließt ein „quantitatives Wachstum der Güterproduktion nicht aus, aber dies wird von einem Ziel zu einer möglichen Resultante“

Nicht ausdrücklich in diesem „magischen Dreieck" enthalten ist das Ziel einer gerechten Einkommens-und Vermögensverteilung. Auf seine Erfüllung (allerdings nur an der personellen Einkommensverteilung gemessen) kann jedoch die Erreichung der drei anderen Ziele hinwirken. Eine Verminderung der Inflation kann die in Inflationsphasen entstehenden Einkommensdisparitäten vermeiden helfen. Wichtigster Aspekt ist aber die gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeitsplätze, wodurch eine Umverteilung zwischen den Einkommensgruppen bewirkt wird. Dadurch kann man der Forderung nach möglichst gleichverteilter Zunahme des Wohlstands hinsichtlich seiner materiellen Komponente näherkommen und den fortgesetzten Druck auf Wachstum zwecks absoluter Einkommensverbesserung (siehe oben) abmildern Eine verbesserte Umwelt kommt letztlich allen zugute, selbst wenn die Vergangenheit zu zeigen scheint, daß die Verteilung der Kosten und Nutzen der Umweltpolitik insbesondere zugunsten der mittleren Einkommensschichten ausfällt

VI. Wege zum qualitativen Wachstum

Die Grundelemente qualitativen Wachstums sind umrissen. Es bleibt zu klären, wie wir zu qualitativem Wachstum kommen können. In der Diskussion der letzten Jahre haben sich verschiedene Wege angeboten. Sie blieben Entwürfe, da keiner auf theoretische Abgeschlossenheit und auf umfassende Umsetzung in konkrete Politik verweisen kann. Dennoch sind entscheidende graduelle Unterschiede hinsichtlich ihrer Praktikabilität feststellbar. Eine Einschätzung der eher utopischen Wege (Alternativökonomie, Dienstleistungsgesellschaft) zeigt, daß diese wichtige Denkanstöße und praktische Beiträge liefern können. Einen Königsweg zu qualitativem Wachstum bieten sie aber nicht 1. Konkrete Utopien a) Die Alternativökonomie Qualitatives Wachstum kann nur ansatzweise auf die bereits existierende Alternativökonomie bauen. Eine Rückkehr zu alten Produktions-und Lebensformen, zum nicht-monetär vermittelten Tausch ist für die wenigsten Bürger möglich, es sei denn um den Preis einer rapiden Verschlechterung ihrer Güterversorgung. Massenproduktion, Verstädterung und Geldwirtschaft prägen unsere Lebensform. Der Städter besitzt nicht die Mittel und Möglichkeiten (Maschinen, Gebäude, Land), sich rundherum selbst zu versorgen; er bleibt auf die industrielle Produktion und Distribution der lebenswichtigsten Güter angewiesen, zu deren Abwicklung der Gebrauch des Geldes nach wie vor das kostengünstigste Verfahren darstellt. Neben Kapital und Boden wird es vielen Menschen an den entsprechenden Fertigkeiten — aber auch vielleicht der hinreichenden Motivation — fehlen, ihre eigene Produktpalette zu produzieren. Eine Vernetzung der verschiedenen Kleinproduzenten kann für eine begrenzte Arbeitsteilung und einen Austausch zwischen den „Spezialisten" zwar sorgen, eine flächendeckende Vernetzung ist aber bisher nicht in Sicht. Zudem fehlt es an Ausagen seitens der Alternativökonomen, welcher Mechanismus die alternative Volkswirtschaft koordinieren soll oder wie der informelle Sektor mit der „Offizialwirtschaft" abgestimmt werden soll.

Was kann von der Alternativökonomie übernommen werden? Auch qualitatives Wachstum wird auf einen Ausbau des informellen Sektors, den Bereich der Eigenproduktion und -arbeit abzielen. Mehrere Gründe sprechen dafür:

— In der alternativökonomischen Bewegung steckt ein innovatives Potential im Hinblick auf die Anregung für angemessene Größenordnungen (Small is beautiful) technischer Lösungen, ihre Umweltverträglichkeit und den sparsamen Einsatz von Energie und Rohstoffen.

— Hingewiesen hat die Alternativbewegung auf die oft mangelnde Qualität der sozialen Dienstleistungen, die durch Auslagerung aus den traditionellen Stätten ihrer Bereitstellung oftmals anonym und unmenschlich geworden sind. Viele dieser Dienste könnten wieder von den Haushalten erbracht werden. So könnten bei besserer Qualität die Budgets privater und öffentlicher Haushalte von einem Posten entlastet werden, der in den letz-ten Jahren überproportional (Kostenkrankheit im Dienstleistungssektor) angewachsen ist. Für den Staat stellt sich die Alternative, im Rahmen des Möglichen soziale Dienste in Regie zu subventionierender Selbsthilfegruppen billiger erstellen, zu lassen.

— Eigenproduktion schafft dort, wo sie möglich ist, außer Produkten auch eigene Werte, neue soziale Beziehungen, Autonomie und die Nähe von Arbeit und Produkt. In begrenztem Ausmaß kann sie bei wachsender Freizeit dem Leben Sinn geben, der nicht allein aus dem Konsum gezogen werden kann. Schon heute hilft sie soziale und psychische Langzeitschäden der Arbeitslosigkeit vermeiden. Morgen kann sie zur Attraktivität verkürzter Erwerbsarbeitszeit, die aufgrund einer wachsenden Arbeitsproduktivität wahrscheinlich ist, beitragen und damit den Druck auf mehr Wachstum mindern.

Die Strategie des qualitativen Wachstums umschließt zwecks Ergänzung und Abrundung die Förderung alternativer Produktionsund Lebensformen. Sie setzt jedoch nicht so sehr auf das Wachstum der Alternativökonomie an sich, sondern auf die sozialreformerische Ausstrahlung dieser Bewegung auf den industriellen Bereich unserer Wirtschaft. b) Wandel zur postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft Die Hoffnung auf den Ausgang des industriellen Zeitalters gründet auf Beobachtungen, daß der Dienstleistungssektor (der tertiäre Sektor) in Industriestaaten am BSP und der Beschäftigung gemessen ein steigendes Gewicht bekommt, während der Industriesektor (der sekundäre Sektor) relativ schrumpft. Von einigen Wissenschaftlern (Bell, Fourasti) wurde daraus eine Normalstruktur für reife Volkswirtschaften abgeleitet. Quasi automatisch würden sich dann Umwelt-und Arbeitslosenproblem lösen. Die Produktion von Dienstleistungen wird als relativ sauber angesehen, da ihr Ressourcen-und Energieverzehr wie auch ihre umweltschädigenden Belastungen naturgemäß gering sind. Zugleich bewirkt ihre hohe Arbeitsintensität eine Absorption von Arbeitskräften, die vom hochproduktiven sekundären Sektor freigesetzt werden. Durch die derart im Durchschnitt sinkende Arbeitsproduktivität ist zum Erhalt des Beschäftigungsstandes der Volkswirtschaft eine geringere Wachstumsrate des BSP erforderlich.

Für die OECD-Länder ist eine Tendenz zur Dienstleistungsgesellschaft unbestreitbar, wenn auch kein Land die Normalstruktur einer solchen Dienstleistungsgesellschaft erreicht. Z. B. weicht die außenhandelsorientierte Bundesrepublik durch einen „aufgeblähten" sekundären Sektor deutlich ab.

Gegen diese den Arbeitsmarkt entlastende Absorption sprechen die in der Vergangenheit im Dienstleistungssektor unternommenen Rationalisierungsanstrengungen. Auch für die Zukunft wird durch den Einsatz moderner Informations-und Kommunikationstechniken mit einer weiteren Anhebung der Produktivität zu rechnen sein. Die Nutzung der vorhandenen Rationalisierungsmöglichkeiten wird u. a. durch hohe Tarifabschlüsse, die sich bei niedrigerer Produktivität an den Vorgaben des industriellen Sektors orientieren, angereizt. Da diese Kosten in die Preise übergewälzt wurden, haben sich Dienstleistungen fortlaufend verteuert (Kostenkrankheit) und inflationäre Entwicklungen befördert.

Gleichfalls ist eine Umweltstabilisierung nicht zwangsläufig gesichert. Der Dienstleistungssektor ist mit dem Industriesektor über seinen Vorleistungsbedarf verflochten. Über die Abbildung der Verflechtungsstrukturen analog zur Input-Output-Technik kann deutlich gemacht werden, wie er anteilig an Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung beteiligt ist. Ein Schrumpfen des sekundären Sektors wird zudem durch das Wachstum des informellen Sektors verzögert (Gershuny); die Haushalte haben in den letzten Jahren wieder zunehmend Dienstleistungen durch Nutzung hochwertiger Haushaltsgeräte selbst übernommen Waschmaschinen, Spülmaschinen, Bügelautomaten ... werden vom sekundären Sektor hergestellt. Die kapitalintensive Haushaltsproduktion spricht nicht nur gegen die Normalstruktur, sie ist auch unter Umweltgesichtspunkten bedenklich. Weder darf die Verschmutzung durch den stabilisierten industriellen Sektor übersehen werden, noch die Verschmutzung durch die „produzierenden" Haushalte. Nur selten werden die Haushalte für eine ressourcensparende und umweltverträgliche Gestaltung ihrer Produktion über ein besseres technisches und organisatorisches Wissen verfügen als ein Unternehmen. Ihre in diesem Hinblick weniger effiziente Produktionsweise ist aber durch die Umweltpolitik weniger leicht korrigierbar, da es Millionen von Haushalten zu kontrollieren gilt. Auf den Wandel zur postindustriellen Gesellschaft kann nicht gewartet werden; er sollte auch nicht beschleunigt werden, denn er brächte nicht die erhofften Lösungen. Die Aufgabe der Umweltstabilisierung muß schon heute am industriellen Sektor ansetzen, ohne an der Erzeugung von Umweltproblemen im Haushalts-und Freizeitbereich vorbeizugehen. 2. Kombinierte Nachfrage-und Angebots-strategie für die Zukunft Einen Weg zu qualitativem Wachstum stellt eine kombinierte Nachfrage-und Angebots-strategie dar; sie beruht auf einer mittelfristig verstetigenden Finanzpolitik und einer strukturell wirkenden Forschungs-und Technologiepolitik, die zusammen vor allem eine Förderung der privaten Investitionstätigkeit bewirken sollen. a) Erschließung neuer Nachfragefelder Die Stagnationstendenzen der letzten Jahre verweisen auf Sättigungserscheinungen beim privaten Konsum. Eine hohe Sparquote hat sich durch die bei linearen Lohnerhöhungen hohen Zuwächse für die oberen Einkommens-schichten eingestellt Zugleich eröffnet aber die erhebliche Unterversorgung mit dem Gut Umweltqualität, die sich allein über den Markt nicht abbauen läßt, ein neu zu erschließendes Nachfragefeld. Neben den Markt muß eine verstärkte staatliche Organisation der Nachfrage nach einer besseren Umwelt treten. Das trifft ebenfalls auf eine Reihe anderer Güter zu, auf die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sich verlagern könnte. Investitionen in diese Wachstumsfelder müssen entweder öffentlich finanziert oder mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.

Welche neuen Nachfragefelder existieren? In der wissenschaftlichen Diskussion haben sich die folgenden als besonders vielversprechend herausgebildet

— Energieversorgung: Energieeinsparungen können durch den Ausbau des Fernwärmenetzes und die Entwicklung sowie Anwendung neuer Energiespartechnologien erreicht werden; ebenso steht noch die breite Nutzung alternativer Energien an. — Stadtentwicklung und Landschaftspflege:

Eine Verbesserung der Lebensqualität des Wohnumfeldes kann durch Reduzierung der Lärmbelästigung, Verkehrsberuhigung, Anlage von Grünflächen und Fußgängerzonen, Sanierung und Restaurierung der Innenstädte, Auslagerung von Gewerbebetrieben erreicht werden.

— Verkehrswesen: Ausbau von Schallschutzvorrichtungen an Straßen, die Auslagerung des Durchgangsverkehrs (Ortsumgehung, Tunnelbau), eine Modernisierung der Fern-strecken der Bundesbahn und ein Ausbau des Personennahverkehrs als energiesparendes und sauberes Transportmittel, eine energie-sparende Informationsübermittlung durch neue Informations-und Kommunikationstechnologien. — Verbesserung der Umweltqualität: Reinigung und Verhinderung der Verschmutzung der Umweltmedien (Luft, Wasser, Abfall, Lärm) durch den Bau von Kläranlagen und Kanalisationen, Abgasreinigung, Sanierung von Altanlagen, Sammlung und Deponierung von Müll u. a.

— Sozial-und Ausbildungsbereich: Aus-und Weiterbildung des Faktors Arbeit, insbesondere die Ausbildung der geburtenstarken Jahrgänge, aber auch der heranwachsenden Ausländergeneration.

Aufgaben aus diesen Bereichen, auf die man sich konzentrieren will und muß, können seitens des Staates gebündelt werden und im Rahmen eines mehrjährigen Sonderprogramms zu Investitionen führen. Damit wird zur notwendigen Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte zugunsten öffentlicher Investitionen, die einer ersten Erschließung der Nachfragefelder dienen und die über entsprechende Anreize private Investitionen nachziehen können, beigetragen. Allein kann der Staat trotz erheblicher Selbstfinanzierungseffekte diese Aufgaben nicht erfüllen. Derzeit wird eine wachsende Verschuldung, obwohl sie für Zukunftsinvestitionen ökonomisch sinnvoll wäre, von der Bevölkerung nicht getragen. Schon deswegen muß die Staatstätigkeit sich auf den Anstoß privater Initiativen bescheiden, aber auch, weil im abgesteckten Rahmen der Markt nach wir vor das effiziente Instrument zur Entdeckung und Realisierung kostengünstiger Verfahren ist. Daß Handlungsbedarf für diese Bereiche besteht, also Nachfrage vorhanden ist, zeigen Schätzungen des Investitionsbedarfs im Auf-B gabenbereich „Verbesserung der Umweltqualität"

Der Beitrag eines solchen Programms zur Umweltstabilisierung dürfte nicht strittig sein; über seine Beschäftigungseffekte geben Erfahrungen mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) von 1977 Hinweise. Das ZIP erstreckte sich zu rund 60% auf umweltverbessernde Maßnahmen und hat — alle Beschäftigungseffekte zusammengenommen — mehr Arbeitsplätze geschaffen als die meisten vergleichbaren fiskalpolitischen Maßnahmen. Umweltstabilisierung und Beschäftigungssicherung sind also miteinander verträglich.

Eine Herabsetzung des Material-und Energieeinsatzes sowie eine Schonung der Umweltmedien wirkt ebenfalls angebotsseitig günstig und gehört auch deshalb zu den Zukunftsinvestitionen. Ganz allgemein werden damit die natürlichen Grundlagen für weitere Produktionen gesichert; speziell für die Bundesrepublik reduziert sich die Abhängigkeit von überwiegend importierten Rohstoffen; die Material-und Energiekosten pro Produktionseinheit werden gesenkt; Industrieansiedlungen werden leichter (Bürgerprotest) möglich; eine bereits heute leistungsstarke Umweltschutzindustrie, die gute Chancen für den Export ihrer Produkte besitzt, wird gefördert. b) Staatliche Förderung privater Angebots-möglichkeiten Qualitatives Wachstum hängt in entscheidendem Maße von einer Umstrukturierung des industriellen Sektors ab, der sowohl für staatlich erschlossene Nachfragebereiche als auch für rein vom Markt erschlossene Nachfrage produziert. Seine Produktionsverfahren und Produkte müssen auf eine drastische Verringerung des Rohstoff-und Energieverbrauchs und geringere Emissionen ausgelegt werden. Bereinigungen in diesem Sinn vollziehen sich über neue Produkte und Verfahren, die die alten Produktionsanlagen entwerten. Das heute bekannte Potential an neuen Technologien scheint bereits ohne staatliche Nachhilfe für eine umweltverträgliche Umstrukturierung geschaffen.

Noch steht die wirtschaftliche Verwertung der Zukunftstechnologien zwar aus, dennoch kann versucht werden, ihren Beitrag zu qualitativem Wachstum abzuschätzen Es handelt sich im wesentlichen um vier Technologien, die tiefgreifende Strukturwandlungen hervorrufen können: die Mikroelektronik, die Informations-und Kommunikationstechnologie, die Industrieroboter, die Biotechnologie. Die Mikroelektronik ist die am weitesten wirtschaftlich eingeführte Technologie. Produkte der Mikroelektronik beanspruchen in ihrer Herstellung relativ wenig Luft, Wasser, Rohstoffe und Energie. Ihr Einsatz erlaubt eine bessere Erfassung der Umweltverschmutzung, eine bessere Kontrolle des Energieverbrauchs und eine bessere Steuerung und Regelung von Produktionsverfahren. Die neuen Informations-und Kommunikationstechnologien, die erst an der Schwelle ihrer Einführung stehen, sind ebenfalls energie-und rohstoffsparend; ihr Einsatz kann helfen, unnötige Transportwege einzusparen. Industrieroboter dürften neutral auf die Umwelt-und Ressourcensituation wirken; ihr qualitativer Beitrag liegt in der Entlastung des Menschen von monotonen und gesundheitsschädigenden Verrichtungen. Für die Biotechnologie ist weitgehend ungewiß, welche Umweltentlastungen ihren industriellen Einsatz begleiten werden.

Sie alle bieten der Privatwirtschaft enorme Wachstumspotentiale, die insgesamt verträglicher für die Umwelt sein werden als die heutigen Technologiekomplexe (Kohle-ÖlAtom-Stahl). Hinsichtlich ihrer Auswirkung auf den Bestand an Erwerbsarbeit kann eher ein negativer Effekt angenommen werden. Mithin verweisen auch diese Potentiale auf Anstrengungen zur produktiven Nutzung wachsender Freizeit und die Möglichkeit, die Arbeitszeit weiter zu verkürzen.

Kann ausschließlich vom Marktmechanismus die Entwicklung der innovativen Potentiale vorangetrieben werden? Oder braucht man eher mehr Strukturpolitik? Obwohl allenthalben praktiziert, ist Strukturpolitik in marktwirtschaftlichen Ordnungen unbeliebt. Allerdings lehnt sie sich in den seltensten Fällen an ein umfassendes Konzept an, sie wirkt zumeist verstreut und defensiv strukturerhaltend. Strukturerhaltung ist für qualitatives Wachstum kein Gebot. Im Gegenteil: Die möglichst schnelle Umgestaltung des Industriesektors wäre anzustreben. Für den strukturpolitischen Eingriff sprechen zunächst die sozialen Nutzen einer umweltkonformeren Industrieproduktion. Dafür spricht aber auch, daß die genannten Technologien (außer der Mikroelektronik) sich noch in einem Entwicklungsstadium befinden, das selbst für Großun31 ternehmen erhebliche Risiken birgt. Bis zu ihrer industriellen Einführung müßten Forschungs-und Entwicklungsausgaben getätigt werden, deren Amortisation am Markt noch höchst ungewiß ist. Von den vorherrschenden Stagnationstendenzen wird eine beschleunigte Einführung überdies nicht eben gefördert. Eine aktive staatliche Forschungs-und Technologiepolitik auf der Angebotsseite muß daher Bestandteil einer Politik des qualitativen Wachstums sein.

Fazit: Nullwachstum kann kein Programm sein. Wachstum um jeden Preis ist keine Alternative. Denn inzwischen ahnen wir, wie hoch der Preis für unsere natürlichen Lebensbedingungen sein könnte. Statt dessen benötigen wir ein Wachstum durch Wahrnehmung umweltwirksamer öffentlicher Aufgaben, die wir kennen, und durch neue industrielle Produkte, die wir noch nicht kennen, von denen wir aber wissen können, daß sie wegen der neuen technischen Möglichkeiten und damit neuer Produktionszweige umwelt-verträglicher sein werden — ein Wachstum, bei dem der Staat als Besorger und der Markt als Entdecker ihren Platz haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe zu diesem Begriff und zur Ausbreitung des Schlagworts „Wachstum" in der Bundesrepublik: K. Borchardt, Perspektiven der Wachstumsgesellschaft, in: K. von Beyme u. a. (Hrsg.), Wirtschaftliches Wachstum als gesellschaftliches Problem, Königstein/Ts. 1978, S. 157— 168.

  2. Der absolute Zuwachs des BSP von 1981 auf 1982 betrug nominal 54, 50 Mrd. DM, in Preisen von 1976 sank das BSP in diesem Periodenvergleich um 14, 50 Mrd. DM. Ebenfalls in Preisen von 1976 hat sich das BSP seit 1960 (614, 40 Mrd. DM) bis 1982 (1 246, 60 Mrd. DM) verdoppelt, 1982 liegt es aber nur auf dem schon 1979 (1 241, 60 Mrd. DM) erreichten Niveau; vgl. für die Zahlen SVR-Jahresgutachten 1983/84 (Bundestags-Drucksache), S. 302/3.

  3. Simon Kuznets ist der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1971. Er gilt als der Vater der empirischen und quantitativen Wachstumsforschung. Wichtige seiner Bücher sind: Six Lectures on Economic Growth, Glencoe (111.) 1959; Economic Growth and Structure, Selected Essays, New York 1965; Modern Economic Growth. Rate, Structure, and Spread, New Haven 1966; Economic Growth of Nations. Total Output and Production Structure, Cambridge (Mass.) 1971.

  4. Siehe hierzu D. Blondel/J. -M. Parly, L'inflation de croissance, Paris 1977, S. 45— 75.

  5. Vgl. die Untersuchungen von Kuznets weiter oben. Für die Bundesrepublik insbesondere: W. G. Hoffmann/F. Grumbach/H. Hesse, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin-Heidelberg-New York 1965.

  6. B. Rohwer, Wirtschaftswachstum als Bedingung gesamtwirtschaftlicher Stabilität?, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 9 (1983) 2, S. 192.

  7. Vgl. J. M. Keynes, Economic perspectives for our grandchildren, in: Collected Writings of John Maynard Keynes, Bd. IX, S. 321— 332; und die biographischen Anmerkungen von E. März, Persönliche Erinnerungen an Joseph A. Schumpeter, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 9 (1983) 4, S. 477— 484. „In Retrospektive läßt sich sagen, daß die wirtschaftliche Entwicklung der ersten Dekaden der Nachkriegszeit, 1945— 1975, eher Schumpeter als seinen marxistisch-linkskeynesianischen Antagonisten recht gegeben hat." Ebd., S. 481.

  8. „Insgesamt ist der Investitionsbedarf für einen Arbeitsplatz (marginale Kapitalintensität) kräftig gestiegen. 1982 betrug er im Durchschnitt des Unternehmensbereichs 142 000 DM.“ Analyse der strukturellen Entwicklung der deutschen Wirtschaft, DIW-Wochenbericht, 51 (1984) 6, S. 64.

  9. Siehe Jahresgutachten des SVR für die Jahre 1981 bis 1983.

  10. Siehe OECD, Employment Outlook, Paris 1983.

  11. Das ist ein rechnerisches Ergebnis, das die Größenordnung des Problems hinsichtlich Umfang und zeitlichem Bedarf seiner Lösung aufzeigt. Viele Dinge bleiben ungewiß, so u. a.: 1. das Arbeitsplatz-angebot braucht nicht mit der Qualifikationsstruktur der Erwerbswilligen übereinzustimmen, 2. das Ergebnis hängt entscheidend davon ab, ob die Bruttoanlageinvestitionen mehr vom Rationalisierungsoder Erweiterungstyp sein werden.

  12. SVR-Jahresgutachten 1983/84 (Bundestags-Drucksache) Tz. 288. Siehe zum folgenden die Minderheitenmeinung in Tz. 289.

  13. „Für die Bundesrepublik zeigt sich sehr deutlich die als Okunsches Gesetz bekannte prozyklische Entwicklung der statistischen Arbeitsproduktivität." G. Bombach, Wachstumsstrategien für die achtziger Jahre, in: Modernisierung der Volkswirtschaft in den 80er Jahren, hrsg. vom Bundesminister für Forschung und Technologie, Düsseldorf-Wien 1981, S. 109.

  14. E. J. Mishan, The Economic Growth Debate, London 1977, S. 126. „Aber abgesehen von primitiven Völkern oder kleinen frommen Gemeinschaften ist die Praxis stets hinter dem Lippenbekenntnis zur Gleichverteilung zurückgeblieben."

  15. K. W. Rothschild, Verteilungspolitik: Krise oder Absenz?, in: Wirtschaftspolitik — kontrovers, hrsg. von D. B. Simmert, Bonn 1979, S. 495.

  16. Rothschild weist darauf hin, daß hieraus nicht auf ein Versagen der Gewerkschaftspolitik zu schließen sei. Es ist „durchaus möglich, daß eine aktive Gewerkschaftspolitik eine Verschlechterung der Einkommensverteilung verhindert hat, wie sie angesichts der bedeutenden Vermögenskonzentration, der Monopolisierungs-und Oligopolisierungstendenzen hätte erwartet werden können." K. W. Rothschild, a. a. O. (Anm. 15), S. 499.

  17. Diese Richtung verfolgen die supply-side Ökonomen in den USA, z. B. G. Gilder, Reichtum und Armut, Berlin 1981. In der Bundesrepublik zielen viele Argumente des Sachverständigenrates, der Angebotspolitik, ebenfalls in eine solche Richtung.

  18. Darunter versteht man meistens Güter, von deren Nutzung aus technischen, ökonomischen oder

  19. Vgl. K. Borchardt, a. a. Ö. (Anm. 1), S. 165.

  20. Oder in E. Preisers Worten: „Die kapitalistische Wirtschaft muß wachsen, sonst geht sie zugrunde; der bloße Stillstand bedeutet de facto Rückgang und Krise." E. Preiser, Politische Ökonomie im 20. Jahrhundert, München 1970, S. 79.

  21. Vgl. hierzu und im folgenden B. Rohwer, Wirtschaftswachstum als Bedingung gesamtwirtschaftlicher Stabilität?, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 9 (1983) 2, S. 179— 200.

  22. Es ist eher unwahrscheinlich, daß der Rückgang der Nettoinvestitionsquote durch einen steigenden Kapitalkoeffizienten verhindert wird.

  23. Vgl. dazu den Beitrag von C. Leipert in dieser Ausgabe.

  24. H. C. Binswanger, Arbeit ohne Umweltzerstörung: Strategien für eine neue Wirtschaftspolitik, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Frankfurt 1983, S. 143.

  25. D. Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 1972.

  26. Deutsch: Das Bevölkerungsgesetz, dtv-Bibliothek, München 1977.

  27. D. Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation. Works and Correspondence (Sraffa Ed.), Vol. I, Cambridge 1951.

  28. A. H. Hansen, Economic Progress and Declining Population Growth, American Economic Review, (1939) 29, S. 1— 15.

  29. G. Myrdal, The Political Element in Development of Economic Theory, London 1953, zitiert nach: J. Strasser/K. Traube, Die Zukunft des Fortschritts, Bonn 19813, S. 78. Myrdals Aussage bezieht sich auf die Arbeitswertlehre, kann von daher auch auf die ganze ökonomische Theorie bezogen werden.

  30. Vgl. L. Wicke, Umweltökonomie, München 1982, S. 347.

  31. F. Hirsch, Social Limits to Growth, Cambridge (Mass.) 1976, deutsch: Die sozialen Grenzen des Wachstums. Eine ökonomische Analyse der Wachstumskrise, Reinbek b. Hamburg 1980.

  32. J. Strasser/K. Traube, a. a. O. (Anm. 29), S. 82. Siehe dieses Buch auch für eine umfassende Darlegung der Frustration der Konsumenten in Wachstumsgesellschaften.

  33. Siehe hierzu und für bibliographische Angaben: B. Fritsch, Natürliche Grenzen des Wachstums?, in: K. von Beyme u. a„ Wirtschaftliches Wachstum als gesellschaftliches Problem, Frankfurt 1978, S. 47/48.

  34. G. Bombach, Planspiele zum Überleben — Prophezeiungen des Club of Rome, in Mitteilungen der List-Gesellschaft, Bd. 8, Düsseldorf 1973, S. 14.

  35. Siehe für den Verlauf der Diskussion, insbesondere eine kritische Würdigung der von Meadows später vorgebrachten Argumente: H. Meixner, Die Diskussion um natürliche und soziale Grenzen des Wachstums, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 9 (1983) 4, S. 515— 534.

  36. Siehe H. Meixner, a. a. O. (Anm. 33), S. 520.

  37. Vgl. hierzu und im folgenden H. -Chr. Binswanger/H. Bonus/M. Timmermann, Wirtschaft und Umwelt: Möglichkeiten einer ökologieverträglichen Wirtschaftspolitik, Stuttgart-Berlin-Mainz 1981.

  38. Für eine nähere Charakterisierung siehe ebenda.

  39. Ebd., S. 66.

  40. Wicke schließt diese Forderung in seine Definition des qualitativen Wachstums mit ein, L. Wicke, a. a. O. (Anm. 30), S. 365/4.

  41. H. Glatz /W. Meißner, Verteilungswirkungen der Umweltpolitik, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 8(1982) 4, S. 785— 800.

  42. Vgl. zum folgenden: W. Meißner, Ökonomie und Ökologie, Ifo-Schnelldienst, (1983) 18, S. 17— 23.

  43. J. Gershuny, After industrial society. The emerging selfservice economy, London 1978.

  44. H. -J. Krupp, Perspektiven der Arbeitsmarktentwicklung in den achtziger Jahren, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/1982 v. 25. September 1982, S. 10.

  45. Ebd., sowie W. Meißner/E. Hödl, Wachstumspolitik und Umweltinvestitionsprogramm, in: Wirtschaftsdienst, (1983) 1.

  46. Siehe hierzu und im folgenden ausführlich W. Meißner/E. Hödl, Umweltschutz in Konjunktur-und Wachstumsprogrammen, Berlin 1983.

  47. W. Meißner/K. G. Zinn, Der neue Wohlstand, München 1984 (erscheint im Sommer).

Weitere Inhalte

Werner Meißner, Dr. rer. pol., geb. 1937; seit 1970 Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main. Veröffentlichungen u. a.: Zwei Ansätze der Politischen Ökonomie, Frankfurt 1974; Investitionslenkung, Frankfurt 1974; Positive ökonomische Aspekte des Umweltschutzes, Berlin 1977; Die Lehre der Fünf Weisen, Köln 1980; Weiche Modelle und iterative Schätzung, Frankfurt-New York 1982; Umweltschutz in Konjunktur-und Wachstumsprogrammen, Berlin 1983.