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Der „dritte Weg" als deutsche Gesellschaftsidee | APuZ 27/1984 | bpb.de

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APuZ 27/1984 Artikel 1 Kulturförderung zwischen Neuorientierung und Sparzwängen „Literaturgesellschaft" DDR Leseverhalten, Lektüreinteressen und Leseerfahrungen Der „dritte Weg" als deutsche Gesellschaftsidee

Der „dritte Weg" als deutsche Gesellschaftsidee

Helmut L. Müller

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Zusammenfassung

Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich seit 1949 als Bestandteil des westlichen Europas und der westlichen Welt „Westintegration“ war in den fünfziger Jahren ein Reiz-begriff, denn die SPD bekämpfte Adenauers Politik heftig, weil sie befürchtete, die Einbindung der Bundesrepublik in den Westen würde die Einheit der deutschen Nation aufs Spiel setzen. 1960 stimmte auch die SPD Adenauers außenpolitischem Kurs zu, die Bundesrepublik fand ihren endgültigen und unbestrittenen Ort im europäischen Konzept, im Kreis der westlichen Demokratien. Seit einigen Jahren aber wird die „Bündnisfrage" der Bundesrepublik erneut diskutiert. Dabei findet ein alter Gedanke neuen Anklang: die Vorstellung eines „dritten Weges“ zwischen Ost und West Der Beitrag stellt diese für Deutschland charakteristische Gesellschaftsidee an einigen Beispielen dar. In der bayerischen Revolution 1918/19 suchten die intellektuellen Schriftsteller Eisner, Toller, Mühsam und Landauer einen „dritten Weg" zwischen bolschewistischem Rätestaat und bürgerlich-parlamentarischer Demokratie. In der Weimarer Republik diskutierte man unter der Überschrift „Gemeinwirtschaft“ und „Wirtschaftsdemokratie“ über einen „dritten Weg“ im wirtschaftlichen Bereich. Beim deutschen Neubeginn nach 1945 hofften manche Intellektuelle auf ein wiedervereinigtes, neutrales, entmilitarisiertes Deutschland zwischen Ost und West In den späten sechziger Jahren stand die Formel vom „dritten Weg“ für die von Rätetheorien inspirierte Fundamentalkritik an der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. Heute stellen manche Gruppen die Heraus-lösung der Bundesrepublik aus der westlichen Allianz offen zur Diskussion. Der Beitrag kommt zu dem Befund, daß ein „deutscher Sonderweg" nicht mehr möglich ist, die historische Grundentscheidung der Bundesrepublik für die westliche Demokratie folglich nicht durch inhaltlich völlig unklare Propagierungen eines „dritten Weges" verwischt werden darf.

I. Einleitung

Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich seit 1949 als Bestandteil des westlichen Europas und der westlichen Welt. Dieses Prinzip westdeutscher Politik formulierte Bundeskanzler Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung wie folgt: „Es besteht für uns kein Zweifel, daß wir nach unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur westeuropäischen Welt gehören."

Konrad Adenauer stellte die Weichen in diese Richtung. Er setzte sich entschieden für die Eingliederung der Bundesrepublik in den Westen ein, da für ihn die Begründung einer dauerhaften Demokratie in Deutschland untrennbar mit der vorbehaltlosen Integration in die westliche Staatengemeinschaft verknüpft war. Diese Entscheidung verstand er als historische Absage an die Vorstellungen eines „deutschen Sonderweges" und einer unruhigen Schaukelpolitik zwischen Ost und West. „Westintegration" war jedoch in den fünfziger Jahren ein Reizbegriff. Die SPD bekämpfte Adenauers Politik heftig, weil sie befürchtete, daß die Einbindung der Bundesrepublik in den Westen die Einheit der deutschen Nation aufs Spiel setze. Unter den gegebenen Machtverhältnissen ließ sich ihrer Ansicht nach die Westintegration der Bundesrepublik nicht mit dem Ziel der deutschen Wiedervereinigung vereinbaren. 1960 stimmte schließlich auch die SPD Adenauers außenpolitischem Kurs zu. Die Bundesrepublik fand somit, getragen von dem Konsens der Regierungsparteien und der Opposition, ihren vorerst endgültigen und unbestrittenen Platz im europäischen Konzept, im Kreis der westlichen Demokratien. Seit einigen Jahren hingegen ist die „Bündnisfrage" der Bundesrepublik erneut im Gespräch, stellen manche Gruppen deren Her-auslösung aus der atlantischen Allianz offen zur Diskussion. Spätestens seit dem Nein vieler Bundesbürger zur „Nachrüstung" der NATO findet ein alter Gedanke neuen Anklang. Es ist die Vorstellung eines „dritten Weges" zwischen Ost und West. Gerade auf intellektuelle Schriftsteller hat diese für Deutschland wegen der geographischen Mittellage charakteristische Gesellschaftsidee stets eine besondere Faszinationskraft ausgeübt. Der folgende Beitrag stellt die Denkfigur an einigen Beispielen aus der politischen Literatur dar, die hier einer ideologiekritischen Betrachtung unterzogen werden.

II. Die Revolution 1918/19

In Thomas Manns Werk „Der Zauberberg" (1924) wird die Stellung Deutschlands in der Welt konfiguriert. Den Mittelpunkt des Romans bildet die große Auseinandersetzung zwischen dem Rationalisten Settembrini und dem Irrationalisten Naphta, seinem ideologischen Gegenspieler. Westliches und östliches Denken prallen in diesen Figuren aufeinander. Zwischen beiden Positionen steht nach der Deutung von Thomas Mann der Deutsche. In Hans Castorp ist die „deutsche Mitte" personifiziert, auf die die geistigen Prinzipien des Zeitalters einwirken. Thomas Mann wollte die Versöhnung der durch Settembrini und Naphta repräsentierten Geistesströmungen. Deren Synthese erblickte er in der politisehen Verfassung der Republik. Sie setzte er in seiner Rede „Von deutscher Republik" (1922) gleich mit der Idee der Humanität, der Einheit von Staat und Kultur, der „deutschen Mitte". Thomas Mann verteidigte die Weimarer Republik gegen ihre Verächter von links und rechts.

Die nationalistische Rechte hingegen sagte der Weimarer Republik den Kampf an. Sie suchte auf vielfältige Weise nach einem „dritten Weg“ zwischen Demokratie und Diktatur. Der Ständestaatstheoretiker Othmar Spann beispielsweise sah ihn in einem korporatistischen autoritären System

Die literarische Linke bezog ebenfalls häufig gegen die Weimarer Republik Stellung. Ihre Anti-Haltung war begründet in der gescheiterten Revolution von 1918/19, die unerfüllte Hoffnungen auf eine sozialistische Demokratie, auf einen „dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus, zurückgelassen hatte. Die enttäuschten Erwartungen vieler Schriftsteller und Intellektueller richteten sich nun gegen die Weimarer Republik. 1. Die Idee einer freien Rätedemokratie In der bayerischen Revolution 1918/19 griffen Schriftsteller zum ersten Mal aktiv in das politische Geschehen ein. Sie wirkten erstmals in der deutschen Geschichte bei der Gründung eines revolutionären Staates mit. Die Autoren Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Ernst Toller glaubten, durch die Revolution die traditionelle Trennung zwischen Geist und Macht, zwischen Gedanken und Tat aufgehoben zu haben. Als Dichterrevolutionäre strebten sie eine Gesellschaft an, die einen „dritten Weg" zwischen bolschewistischem Rätestaat und bürgerlich-parlamentarischer Demokratie suchte.

Mit seiner Konzeption einer „produktiven Demokratie" wollte Kurt Eisner ein völlig neues System schaffen, das den Interessen aller Gruppen der Gesellschaft entsprechen sollte. Dabei schien ihm weder das parlamentarische System in seiner bisherigen Form noch das Rätesystem nach bolschewistischem Vorbild geeignet, sondern nur die Verbindung von Räten und Parlament. Eisner wollte damit die Demokratisierung der Gesellschaft von unten nach oben bewirken und die Entfremdung zwischen Volksvertretern und Bürgern verhindern. Erich Mühsam und Gustav Landauer drängten über die Grenzen hinaus, die Eisner der revolutionären Politik gesetzt hatte. Sie forderten die volle exekutive und legislative Gewalt für die Räte und stellten dem Parlamentarismus, der „zur Ausschließung des eigenen Urteils und des eigenen Willens" führe, das Rätesystem als Verkörperung des Prinzips der „Selbstverahtwortung“ entgegen. Gleichzeitig aber grenzten sie sich vom Bolschewismus ab Das Rätesystem begriffen die Autoren als Konzept einer direkten Demokratie, das im Gegensatz zu Formen der repräsentativen Demokratie stand. Sie sahen in ihm die Möglichkeit, einen „freiheitlichen Sozialismus" zu verwirklichen, der sich vom kapitali-stischen Wirtschaftssystem und vom Staats-sozialismus abhob.

Die „anarchistische" Dichterrepublik scheiterte 1919. Den Revolutionären mangelte es an politischer Erfahrung. Ihre utopischen Entwürfe ließen sich mit der politischen Wirklichkeit nicht in Einklang bringen Ernst Toller, der in seinem Stück „Die Wandlung“ (1919) zu einer „Revolution der Gesinnung" aufgerufen hatte, rechnete in seinem Drama „Masse-Mensch“ (1920) mit den Ereignissen der Münchner Räterepublik ab. In den beiden Gegenspielern seines Dramas (der Namenlose und Sonja Irene L.) ist der geistige Grundkonflikt der Weimarer Republik konfiguriert, den Max Weber als Gegensatz von Gesinnungs-und Verantwortungsethik beschrieben hat. Der Namenlose in Töllers Stück erstrebt eine neue Gesellschaft durch Zerstörung und Gewalt. Er handelt nur nach seiner Weltanschauung und opfert im Dienst seiner Idee den anderen. Sonja Irene L. vertritt das Prinzip der Gewaltlosigkeit; sie opfert sich selbst und macht aus der irrationalen Masse durch ihr Beispiel denkende Individuen, die zur Gemeinschaft fähig sind, wobei sie die Freiheit des einzelnen über ihre Gesinnung stellt. In „Masse-Mensch" entscheidet sich Ernst Toller für die Verantwortungsethik, für einen ethischen Sozialismus.

Diese Position wird kontrapunktiert durch Bertolt Brechts Stück „Die Maßnahme" (1930). In dem Lehrstück werden vier Agitatoren nach China gesandt, um dort die Revolution zu verbreiten. Ein Genosse empfindet Mitleid mit den Unterdrückten; er will dem Unrecht abhelfen und schreitet sofort zur Aktion. Er trennt Gefühl und Verstand und „sündigt“ damit an der Revolution. Der Genosse wird mit seinem Einverständnis erschossen. Die Agitation für die Revolution siegt über die Menschlichkeit. Den Konflikt zwischen Gewalt und Barmherzigkeit, zwischen Dogmatismus und Verantwortung beantwortet Brecht im Sinne der Gesinnungsethik und eines inhumanen, doktrinären Kommunismus. 2. Die Chancen eines „dritten Weges“

1918/19 Die realen Möglichkeiten eines „dritten Weges" in der Revolution 1918/19 werden von den Historikern kontrovers beurteilt. Karl Dietrich Erdmann beispielsweise vertritt die These, daß es 1918/19 um ein Entweder-Oder gegangen sei: „um die soziale Revolution im Bund mit den auf eine proletarische Diktatur hindrängenden Kräften oder die parlamentarische Republik im Bund mit den konservativen Kräften wie dem alten Offizierskorps Von diesem Standpunkt aus wurde die Rolle der SPD 1918/19 positiv eingeschätzt: Die Sozialdemokratie habe eine realistische Politik betrieben und eine Diktatur nach sowjetrussischem Muster verhindert

Autoren wie Walter Tormin, Eberhard Kolb, Peter von Oertzen und Reinhard Rürup betonen dagegen, daß es 1918/19 durchaus die Möglichkeit eines „dritten Weges" gegeben habe, nämlich die Option für eine soziale Demokratie mit entschiedeneren Reformen — zusammen mit den Kräften der Rätebewegung Das Reformpotential der Räte habe sich, so die Position der „Revisionisten", sehr wohl mit der parlamentarischen Demokratie vereinbaren und für Veränderungen in Verwaltung, Justiz und Militär nutzen lassen, welche die Demokratie stärker hätten fundamentieren können. Unter diesem Aspekt wurde die Rolle der SPD 1918/19 eher kritisch gesehen: Die Sozialdemokratie habe die bolschewistischen Kräfte in den Räten über-und die Gefahr von rechts unterschätzt; die Sozialdemokraten hätten die Chance zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der Gesellschaft vertan.

Diese Position verkennt freilich, daß das Steckenbleiben der Revolution 1918/19 nicht nur dem Versagen der SPD-Führung zugeschrieben werden kann; es war vielmehr, wie Richard Löwenthal darstellt, Ausdruck einer strukturellen Schwierigkeit. Der Umbruch 1918/19 vollzog sich nämlich nicht in einer überwiegend agrarischen, sondern in einer hochindustrialisierten Gesellschaft. Mit dem Entwicklungsgrad einer Gesellschaft erhöht sich, so Löwenthal, die Bedeutung der öffentlichen Verwaltung, der Bedarf an administrativer Dienstleistung. Deshalb habe der Versuch der SPD, eine freiheitlich-demokratische Verfassung einzuführen, ohne zuvor gegen den vordemokratischen und im Effekt antidemokratischen Staatsapparat vorzugehen, durchaus den Bedürfnissen breiter Massen entsprochen; denn diese hätten sich zugleich nach neuer Freiheit und nach Kontinuität ihrer Lebensordnung und des sie sichernden administrativen Rahmens gesehnt

Auch der schon erreichte Grad der Demokratisierung stand einer revolutionären Totalumwälzung 1918/19 entgegen, denn auf Reichs-ebene bestand das allgemeine Wahlrecht schon seit 1871, und wenige Wochen vor dem Umsturz im November 1918 wurde in Deutschland die parlamentarische Demokratie eingeführt. Deshalb wäre eine Politik, die eine Phase der revolutionären Diktatur bewußt in Kauf genommen hätte, wohl auf den Widerspruch von vielen gestoßen, die darin eine Gefahr für die bereits bestehenden Möglichkeiten politischer Partizipation gesehen hätten.

Heinrich August Winkler zieht das Fazit: Die regierenden Sozialdemokraten kamen, wenn sie kein Chaos heraufbeschwören wollten, an einer begrenzten Zusammenarbeit mit den Trägern des alten Regimes nicht vorbei; das Ausmaß dieser Zusammenarbeit und damit der politischen und sozialen Kontinuität zwischen Monarchie und Republik war aber erheblich größer, als es die Situation erforderte; die Versäumnisse der ersten Stunde bedeuteten eine schwere Hypothek der Weimarer Republik, ohne daß sich daraus das Fiasko von 1933 direkt ableiten lassen würde

III. Ansätze in der Weimarer Republik

Zwar blieb 1918/19 eine revolutionäre Total-umwälzung der Gesellschaft aus, doch fand in der Zeit der Weimarer Republik eine intensive Diskussion über den „dritten Weg" statt. Diese berührte vor allem den wirtschaftspolitischen Bereich.

So prägte beispielsweise Wichard v. Moellendorf den Begriff der „Gemeinwirtschaft". Die Verfechter dieser Konzeption wollten weder den Kapitalismus mit seinem freien Spiel der Kräfte noch die Zentralverwaltungswirtschaft. Ihr Ziel war die bewußte Gestaltung der gesamten Wirtschaft, die demokratische Kontrolle der ökonomischen Entwicklung. Diese sollte durch planmäßige Wirtschafts-lenkung, Mitbestimmung der Arbeitnehmer sowie Vergesellschaftung bestimmter Betriebe und Industriezweige erreicht werden. Sozialismus bedeutete in diesem Konzept nicht Sozialisierung, sondern eine vom Gesamtinteresse der Gesellschaft bestimmte Wirtschaft.

Im Jahre 1928 legten die Freien Gewerkschaften durch ihren Sprecher Fritz Naphtali ihr Programm der „Wirtschaftsdemokratie" vor. Unter dem Motto: „Durch Demokratisierung der Wirtschaft zum Sozialismus" war die „Wirtschaftsdemokratie" als Durchgangsstufe zu einer sozialistischen Umgestaltung der Besitzverhältnisse, als „eine Ergänzung der sozialistischen Idee in der Richtung der Klärung des Weges zur Verwirklichung“ konzipiert. Sie richtete sich zum einen gegen private Entscheidungsgewalt in Fragen von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung und strebte daher einen wachsenden Einfluß des demokratischen Staates auf das Wirtschaftsleben an. Zum anderen begriff sie sich als Gegensatz zur wirtschaftlichen Autokratie und intendierte deshalb eine Neuordnung der inneren Struktur der Betriebe.

IV. Der deutsche Neubeginn nach 1945

Die Überlegungen zur Zeit der Weimarer Republik bildeten den Ausgangspunkt für die politischen Entwürfe nach dem Zweiten Weltkrieg, auch für die Diskussion über den „dritten Weg“. Im Gegensatz zur erkennbaren Entfremdung des Geistes von der politischen Realität nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich 1945 die Überzeugung von der politischen Verantwortung des Schriftstellers und Intellektuellen durch. Viele Autoren waren der Ansicht, daß Politik künftig nicht denkbar sei ohne einen erheblichen Beitrag des Geistes. Sie glaubten erkannt zu haben, daß die Distanz des Geistes zur Politik in die Katastrophe auch des „Sich-Bewahrenden“ führt. Die Politisierung des Bewußtseins war damit eine Schlußfolgerung der Autoren aus den Geschehnissen des „Dritten Reiches"

In seinem Roman „Doktor Faustus" (1947) machte Thomas Mann deutlich, daß der Nationalsozialismus das Schreckgespenst eines „deutschen Europas" heraufbeschworen und so des Dichters Lebensidee von einem „europäischen Deutschland“ überrollt hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand deshalb Deutschlands „Weg nach Europa" im Zentrum seiner politischen Wünsche und Hoff-nungen. Thomas Mann sprach stellvertretend für viele Schriftsteller, die einmütig der Auffassung waren, daß die neue politische Ordnung in Deutschland nur eine freiheitliche Demokratie sein konnte. Zwar neigten viele Autoren prinzipiell dem Gedankengut der westlichen Demokratien zu, doch waren keineswegs alle Schriftsteller und Intellektuelle auch davon überzeugt, daß Deutschlands Platz in der Weltgeschichte allein im Westen sein müsse. 1. „Der Ruf“

So traten Hans Werner Richter und Alfred Andersch, die Herausgeber der Zeitschrift „Der Ruf', aus der später die „Gruppe 47" hervorging, für einen demokratischen Sozialismus ein, in dem sich Freiheit und Planung konstruktiv verbinden sollten. Indem Deutschland die Idee der Demokratie und die Idee des Sozialismus zu vereinen suchte, war es in den Augen von Andersch und Richter in besonderem Maße dafür geeignet, eine „Brücke zwischen Ost und West" zu schlagen. Die Autoren des „Ruf“ dachten an eine ost-westliche Symbiose, an einen mittleren Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Sie faßten Deutschland als Experimentierfläche zweier Ideen-Räume, als Ferment zwischen zwei Ordnungen auf: Deutschland sollte den Sozialismus demokratisieren und die Demokratie sozialisieren

Im Mittelpunkt der politischen Konzeption des „Ruf“ stand die Verbindung von demokratischer Staatsform und sozialistischer Wirtschaftsordnung, die Verbindung von politischer und wirtschaftlicher Demokratie. Im Rückblick hat Hans Werner Richter die Grundidee folgendermaßen erläutert: „Wir* wollten unter gar keinen Umständen eine neue Diktatur von welcher Seite auch immer, sondern eine Demokratie mit einem freiheitlichen Parlament.. „ wir konnten uns die Vergesellschaftung der Produktionsmittel einerseits und den Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft, mit einer Parteienvielfalt und einem Parlament, wie es die bürgerliche Revolution hervorgebracht hat, andererseits, sehr gut vorstellen...

Die Autoren des „Ruf'machten deutlich, daß der „deutsche Sonderweg“ ein Irrweg gewesen war, der letztlich zur Gewaltherrschaft Hitlers geführt hatte. Deutschland sollte daher künftig als Machtfaktor in Europa und in der Welt ausscheiden und sich nun mit der Rolle des Vermittlers begnügen. Die Brückenfunktion, die Deutschland von den Autoren des „Ruf" zugedacht wurde, ließ freilich erkennen, daß dieses in ihren Augen immer noch eine besondere Berufung hatte. Interessant ist dabei der deutliche Widerspruch in den außen-politischen Vorstellungen von Andersch und Richter. Die Herausgeber des „Ruf" wollten einerseits die nationale Einheit bewahren, äußerten aber andererseits die Überzeugung, daß die nationalstaatliche Ära vorbei sei, und verfochten deshalb die Europa-Idee. Der „dritte Weg" von Andersch und Richter blieb ohne klare Konturen. Demgegenüber entwikkelten die Theoretiker des Neo-Liberalismus und die Praktiker der sozialen Marktwirtschaft bald ein konkretes und erfolgreiches Konzept für die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben im Nachkriegsdeutschland, das sie auch in die Praxis umsetzen konnten. 2. Die . Frankfurter Hefte“

Walter Dirks und Eugen Kogon, die Herausgeber der 1946 gegründeten linkskatholischen Zeitschrift „Frankfurter Hefte", traten dafür ein, aus der Vergangenheit zu lernen. Als einen entscheidenden Strukturfehler der Weimarer Republik glaubten sie den Widerspruch zwischen der demokratischen Verfassung und dem Einfluß wirtschaftlicher Machtgruppen erkannt zu haben. Walter Dirks kennzeichnete die Problematik der Weimarer Republik in der ersten Nummer der „Frankfurter Hefte" mit folgenden Worten: „Wir haben nicht vergessen, daß die Demokratie von 1918 auch deshalb machtlos war, weil sie nur den Staat, nicht aber die Wirtschaft zu demokratisieren unternahm."

Die Schlußfolgerung von Dirks und Kogon lautete: Man muß das 1918 Versäumte nachholen und nach 1945 nicht nur die politische, sondern auch die „wirtschaftliche" oder „soziale Demokratie" verwirklichen. Dementsprechend traten sie für einen „personalistischen Sozialismus aus christlicher Verantwortung" ein und glaubten, man könne Planung und individuelle Freiheit verbinden, indem man die Planung begrenze („Markt-Planwirtschaft"). Bevorzugt wurden indirekte Methoden der Wirtschaftssteuerung, insbesondere eine Investitionsplanung. „Sozialisieren heißt nicht verstaatlichen," schrieb Dirks, „sondern vergenossenschaften .. . Das bedeutet technisch-organisatorisch so etwas wie . Wirtschaftsdemokratie’.... Nicht der Staat, sondern das Volk, beispielsweise in Form von „Sozialgemeinschaften“, sollte Träger der „mit Freiheit durchsetzten Wirtschaftsplanung" sein 3. Ulrich Noack Im Gegensatz zu den Vorstellungen des „Ruf“ hing der Neutralismus, den der Würzburger Historiker Ulrich Noack in den späten vierziger Jahren vertrat, nicht mit sozialistischen Stimmungen zusammen. Noack wollte die politische Zugehörigkeit Deutschlands zur westlichen Welt nicht in Frage stellen. Als er seine leitende Idee, die Neutralisierung Deutschlands, vorstellte, dachte er nicht an Mischformen in der politischen und gesellschaftlichen Struktur des künftigen Deutschlands, sondern an einen geistigen Austausch zwischen Ost und West, den Deutschland bewirken sollte. Deutschland durfte sich nach seiner Überzeugung nicht abkapseln, sondern mußte sich im Gegenteil nach allen Seiten öffnen und als Vermittler zwischen Ost und West auftreten. In Noacks Konzeption diente Bismarck mit seiner Vorstellung des „ehrli-chen Maklers" als Vorbild. Erst die Umwandlung Deutschlands in eine entmilitarisierte, neutrale Zone konnte nach seiner Auffassung den weltpolitischen Gegensatz entschärfen und den Frieden sichern. Für seine Neutralisierungsidee hatte das pazifistische Motiv größeres Gewicht als das nationale Argument

Seinen politischen Gegenentwurf zur Westintegration der Bundesrepublik stellte der Würzburger Historiker im „Nauheimer Kreis", einem privaten Diskussionszirkel, der Öffentlichkeit vor. Bei der ersten Tagung des Kreises am 31. Juli 1948 sagte Heinrich von Brentano, der spätere Bundesaußenminister, zu Noacks Plan:...... Ob wir dadurch im Herzen Europas ein machtpolitisches Vakuum schaffen, das ist die Frage, die offen bleibt. Ich fürchte es fast... Solange Sowjetrußland besteht, wird es dynamisch sein.... Eine solche Neutralisierung muß zwangsläufig dazu führen, daß Rußland dann wieder vorstößt in den schwächsten Raum .... Ulrich Noack versuchte dagegen, die Besorgnisse zu zerstreuen: „... Ich meine, ein Vakuum liegt nicht vor, wenn eine starke geistige Haltung da ist, und wenn die sozialistischen und christlichen und demokratischen Gruppen sich außenpolitisch einig sind .. .“

Ulrich Noack glaubte daran, daß Ideen eine entscheidende Rolle spielen könnten, und ignorierte demgegenüber die Faktoren der realen Politik, seien es ökonomische Interessen oder machtpolitische Differenzen. Ganz so wirklichkeitsfremd, wie es die zitierte Äußerung Noacks vermuten lassen würde, war die Haltung des Historikers indes nicht. Schließlich erwartete er von dem entstehenden atlantischen Zusammenschluß, daß die Sowjets in Schranken gehalten würden; -er rechnete also von vornherein mit der Existenz zweier großer Machtblöcke in Europa und in der Welt, und er sah in dem Zusammenschluß der westlichen Länder eine unerläßliche Voraussetzung für einen bündnisfreien, neutralen Status des gesamten Deutschlands.

Freilich verkannte Noack die Tragweite politischer und ideologischer Antagonismen zwischen Ost und West, angesichts derer Konrad Adenauer mit aller Konsequenz eine Politik der Westintegration betrieb, die von großen Mehrheiten getragen wurde. Schon in den fünfziger Jahren, doch insbesondere nach dem außenpolitischen Einlenken der SPD-Opposition 1960 gab es einen breiten pro-westlichen Konsensus, d. h. die Hinwendung der meisten Deutschen zu den Prinzipien und Institutionen der westlichen Demokratie und zu den Lebensformen der westlichen Industriegesellschaft.

Erst die studentische Protestbewegung in den späten sechziger Jahren stellte diese Orientierung in Frage. Sie wandte sich kritisch gegen die Verfassungsinstitutionen der repräsentativen Demokratie.

V. Die Protestbewegung von 1968

Hatten die Verfassungsväter der Bundesrepublik bei der Konstituierung des Grundgesetzes ein tiefes Mißtrauen gegen Formen unmittelbarer Demokratie gezeigt und auf das Prinzip der Repräsentation gesetzt so kennzeichnete die Protestbewegung der sechziger Jahre demgegenüber das bestehende Repräsentativsystem als „autoritär" und verwarf es zugunsten plebiszitärer und partizipatorischer Denkmodelle. Das Ideal eines wirklich demokratischen Sozialismus sollte die bürgerliche Demokratie des Westens ablösen. 1. Die Rätediskussion Rätedemokratische Vorstellungen hatten innerhalb der Studentenschaft Konjunktur, wobei Teile der Studentenbewegung auf Positionen der zwanziger Jahre zurückgriffen. Rudi Dutschke, einer der Wortführer der Studentenrevolte, nannte als Ziel der Bewegung „ein System von direkter Demokratie ..., und zwar von Rätedemokratie, die es den Menschen erlaubt, ihre zeitweiligen Vertreter direkt zu wählen und abzuwählen". Ein solches System diene dazu, die „Herrschaft von Menschen über Menschen auf das kleinstmögliche Maß" zu reduzieren In der Zeitschrift „Kursbuch" konkretisierten Hans Magnus Enzensberger, Rudi Dutschke, Bernd Rabehl und Christian Semler in einem „Gespräch über die Zukunft" 1968 ihr Modell einer Rätedemokratie. West-Berlin sollte sich, so der utopische Entwurf, in Kollektive von jeweils 3 000 bis 5 000 Menschen aufgliedern, die sich um eine Fabrik zentrieren sollten. Eine solche Assoziationsform würde die „Herrschaft der Produzenten über ihre Produktionsbedingungen, ihre Produkte und ihre ganzen Lebensbedingungen“ bedeuten. Die Zusammenarbeit zwischen den Kollektiven der Stadt würde in einem obersten Städterat organisiert werden, „in den die Vertreter der einzelnen Kommunen, die einzelnen Räte, jederzeit wählbar und abwählbar, ihre Vertreter hineinschicken. Sie werden den Wirtschaftsablauf kontrollieren, und zwar ohne disziplinierende Anweisungen zu geben.“

Hinter dieser Wiederbelebung rätedemokratischer Positionen in den späten sechziger Jahren stand eine fundamentaldemokratische Kritik am repräsentativen Regierungssystem: Man konstatierte eine Diskrepanz zwischen dem Gedanken der Repräsentation und der Idee der Volkssouveränität und argumentierte, daß Parlamente und Abgeordnete mit freiem Mandat der Identität von Regierenden und Regierten ä la Rousseau widersprächen und lediglich dazu dienten, die Volksherrschaft zugunsten der Herrschaft politischer Oligarchien auszuschließen.

Gegen die Vorstellung einer Rätedemokratie spricht freilich nicht nur die historische Erfahrung mit dieser Form der Partizipation; gegen sie stellen sich auch Erfahrungseinwände organisationstechnischer und sozialpsychologischer Art. In einem großen Flächenstaat mit arbeitsteiliger Industriegesellschaft erscheint es unmöglich, daß der Tendenz nach alle Bürger an allen Entscheidungen, die sie betreffen, unmittelbar beteiligt werden. Das Ideal einer Selbstregierung des Volkes setzt zudem einen kaum erreichbaren Grad an rationaler politischer Einsicht und an kontinuierlicher politischer Teilnahme des Bürgers voraus Die Erwartungen der Rätetheoretiker entsprechen der Wirklichkeit weder im Hinblick auf die Praktikabilität und die Effizienz des Systems noch im Hinblick auf die politische Mobilisierbarkeit der Bürger. Allerdings machten die Verfechter der Rätekonzeption mit ihrem fundamentalen Angriff auf das Repräsentativsystem — präziser als jede systemimmanente Kritik dies vermöchte — die Problem-punkte der parlamentarischen Demokratie deutlich und zeigten damit auch die Richtung der notwendigen gesellschaftlichen Reformen an.

War man sich in der Diskussion über den „dritten Weg“ in der Revolution 1918/19 un-eins über die Frage, ob die Verbindung von Parlamentarismus und Rätewesen möglich ist, so gingen demgegenüber die Rätekonzeptionen in den späten sechziger Jahren durchweg von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit dieser beiden Prinzipien politischer Organisation aus Man begriff das Rätesystem als radikaldemokratische Alternative zur parlamentarischen Demokratie und zur kommunistischen Diktatur. 2. „Toller"

Entsprechend fanden in den späten sechziger Jahren jene intellektuellen Schriftsteller, die sich in der Revolution 1918/19 für einen „dritten Weg" engagiert hatten, wieder großes Interesse Das Schauspiel „Toller“ (1968) von Tankred Dorst hatte hierbei exemplarischen Stellenwert. Ernst Toller erscheint in diesem Drama — wie auch Erich Mühsam und Gustav Landauer — als „Idealist", dem es zwar an politischer Erfahrung mangelt, der aber auch weiß, daß er sich als Schriftsteller nicht mehr • allein mit ästhetischen Problemen befassen darf. Dieser Dichter wird nun mit der politischen Realität konfrontiert und dem politischen Praktiker gegenübergestellt, der als „Realist“ die Notwendigkeiten der Entwicklung zu erkennen glaubt. Der Verfechter einer freien Rätedemokratie wird kontrastiert mit dem Anhänger der kommunistischen Sache

In dem Drama von Dorst beschreibt Toller am Schluß seine Haltung folgendermaßen: „Blut ist geflossen. Unschuldige sind gefallen, er-mordet, zertreten worden. Ich habe es mit Entsetzen gesehen. Aber ich weiß heute: wer auf der Ebene der Politik, im Miteinander ökonomischer und menschlicher Interessen kämpft, muß die Erfahrung machen, daß Gesetz und Folgen seines Kampfes von anderen Mächten bestimmt werden als von seinen guten Absichten, daß ihm die Art der Wehr und Gegenwehr aufgezwungen wird. Und da dieses Blut geflossen ist in den Tagen, für die ich hier angeklagt bin, sage ich es Ihnen, die dort sitzen, als Zuschauer nur, als ewig Abwartende und ewig Unschuldige: Menschen haben dies getan und ich habe es mit ihnen getan."

Die Hauptfigur von Dorsts Drama kommt damit zu einem anderen Schluß als der Schriftsteller Ernst Toller nach dem Ende der Münchner Räterepublik. Toller schilderte in dem Stück , Masse-Mensch" sein Dilemma als Dichter, der sich der revolutionären Aktion verschrieben hatte, und verneinte letztlich die Frage, ob der politisch engagierte Humanist um der Revolution willen Menschen töten lassen dürfe. In Dorsts Drama sieht die Hauptfigur sehr deutlich, daß es wohl zwischen den politischen Mechanismen und den Ideen und Intentionen des Dichters einen großen Unterschied gibt. Der Schriftsteller Toller in Dorsts Stück erkennt, daß politisches Handeln anderen Gesetzmäßigkeiten folgt als utopisches Denken. Aber er begreift, daß der Handelnde zwangsläufig schuldig werden muß, und akzeptiert diese Schuld, denn er meint, daß die völlige Passivität in gewisser Hinsicht auch Schuld bedeutet. Der Schriftsteller Toller in Dorsts Drama sucht die Verbindung von moralischem Bewußtsein und politischer Tat

Tankred Dorst sieht Toller kritisch; er beschreibt ihn als Schauspieler, „der Revolution machen wollte, aber Literatur gemacht hat" Der Dichter tauge nicht zum Politiker. Aber Dorst demaskiert nicht nur Toller als Träumer, sondern er zeigt auch, daß die Fähigkeit des Schriftstellers zur Reflexion erst sein problematisches Verhältnis zum politischen Handeln bedingt. Toller sieht die Zusammenhänge, deshalb kann er nicht skrupellos handeln. Für den Diskussionszustand in der Bundesrepublik in den späten.sechziger Jahren kann Dorsts Drama als repräsentativ angesehen werden. Nach dem Regierungswechsel 1969 in Bonn versuchte die sozial-liberale Koalition den revolutionären Impetus der Protest-bewegung in die Bahnen der parlamentarischen Demokratie zu lenken und für Reformen zu nutzen. Auch außenpolitisch wurde die Kritik entschärft, indem man die Westintegration der Bundesrepublik durch die Normalisierung des Verhältnisses zu ihren östlichen Nachbarn ergänzte. Damit fand ein wichtiger Bestandteil neutralistischer'Konzeptionen Eingang in die amtliche Politik: Die Bundesrepublik verstand sich nunmehr als Element des Ausgleichs zwischen Ost und West. Allerdings betrieb Bonn seine Politik nicht von einer „dritten", neutralen Position aus, sondern hielt unverbrüchlich an der Verankerung der Bundesrepublik im Westen fest.

VI. Die Aktualität der „deutschen Frage"

Die Diskussion über den deutschen Standort flammte Ende der siebziger Jahre wieder auf. Zunächst beschäftigte das Thema vor allem intellektuelle Kreise, erst im Zusammenhang mit der Friedensdiskussion fand es Resonanz auch bei einer größeren Öffentlichkeit. Im Zuge einer Verschärfung des Ost-West-Verhältnisses stellte man die Frage, ob die allzu enge Bindung der Bonner Politik an die politischen Schachzüge der westlichen Führungsmacht USA mit den „besonderen deutschen Interessen“ wirklich vereinbar sei, und thematisierte damit die Bündnisfrage. Der politische Wert der Westintegration wurde zunehmend nach den Chancen und Risiken beurteilt, die sie für eine positive Entwicklung des Verhält-nisses zwischen den beiden deutschen Staaten mit sich brachte. 1. Deutsche Kulturnation Vor allem deutsche Schriftsteller setzten sich seit den späten siebziger Jahren entschieden für die Idee der deutschen Nation ein. Dabei lassen sich im wesentlichen drei Auffassungen unterscheiden:

a) Bei manchen Schriftstellern ist das Bewußtsein vom einen Deutschland sehr ausgeprägt. So notierte beispielsweise Martin Walser:..... Aus meinem historischen Bewußtsein ist Deutschland nicht zu tilgen ... Wir dürften, sage ich mir vor Kühnheit zitternd, die BRD so wenig anerkennen wie die DDR. Wir müssen die Wunde namens Deutschland offenhalten..." Diese Bezugnahme auf das ganze Deutschland erschwert offensichtlich die Identifikation der westdeutschen Autoren mit der Bundesrepublik.

b) Andere Schriftsteller verspüren die politische Spaltung Deutschlands stärker als Realität. Sie halten die Anerkennung zweier politischer Nationen, zweier „Vaterländer", für unausweichlich, und sehen in der „Muttersprache", in der Kultur-und Sprachnation, die einzige Klammer zwischen den Deutschen in Ost und West. Manche Autoren meinen sogar, daß nur die Literatursprache noch den Gedanken an Deutschland, an die Einheit der deutschen Kultur und Sprache bewahrt, weil sich die Literatursprache im westlichen und im östlichen Deutschland weniger verändert hat als die Sprache des Alltags und die Sprache der Politik. Bei vielen Autoren lebt somit das Bewußtsein vom gesamtdeutschen historisch-kulturellen Erbe fort Beispielhaft für diese heute dominierende Position ist der Hinweis Peter Härtlings:..... Aber die Wörter teilen wir noch in unsern Geschichten ... c) Manche Schriftsteller heben hervor, daß heute der Bezug auf eine deutsche Gesamtnation, auf „Deutschland“, nicht mehr in Frage kommt. Sie meinen auch, daß die gemeinsame Sprache und Kultur keine große Ausstrahlungskraft mehr hat, und stellen daher das Bewußtsein vom einen Deutschland in Frage. So nennt Dieter Wellershoff Deutschland das Land der Deutschen, „ein Wort ohne Anwendbarkeit", denn Deutschland existiere nicht mehr. Damit sei auch die deutsche Nation im Begriff zu verschwinden. Hinter dem „realitätsmächtigeren Leitbegriff" Bundesrepublik erscheint ihm Deutschland als „kaum hörbarer Nachhall". Wellershoff sieht in der Bundesrepublik einen „akzeptablen politischen Lebensrahmen", der ihm Ersatz ist für das „verlorene Ganze" Er findet, daß der Gedanke vom einen Deutschland die Realität nicht mehr abbilde, denn die Bundesrepublik sei inzwischen so real wie die DDR. Es gebe zwar Deutsche in einem westdeutschen und in einem ostdeutschen Staat, aber es gebe ei-gentlich keine einheitliche deutsche Nation mehr. Der Schriftsteller Günter Kunert zieht daraus den Schluß, daß den Deutschen bei ihrem Versuch, eine Identität zu finden, Europa eine „höhere Heimat" sein könnte

Jedoch sind die meisten Literaten der Über-zeugung, daß das Verbindende zwischen den beiden deutschen Staaten das Trennende überwiegt. Beide deutschen Staaten hätten aufgrund von Geschichte, Sprache und Kultur noch vieles gemeinsam, sie bildeten zusammen die „deutsche Kulturnation".

Angesichts fortschreitender Entfremdungserscheinungen stellt sich aber die Frage, ob es wirklich noch tragende kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen der Bundesrepublik und der DDR gibt, da die Entwicklung seit 1945 ja gerade dadurch bestimmt wurde, daß die nationalen Bande auch im Bereich der Kultur durch die ideologischen Gegensätze einem Erosionsprozeß ausgesetzt waren

In den achtziger Jahren wurde die Idee der „deutschen Kulturnation" eminent politisch „aufgeladen". Deutsche Schriftsteller aus Ost und West brachten in gemeinsamen Treffen ihre Sorge um den Frieden zum Ausdruck. Dabei war erkennbar, daß der Gedanke eines besonderen Weges für Deutschland wieder eine Rolle spielt. 2. Nationalneutralismus In einem offenen Brief an den sowjetischen Staats-und Parteichef Breschnjew forderten deutsche Schriftsteller und Intellektuelle zu Beginn der achtziger Jahre die Entmilitarisierung und Neutralisierung Deutschlands. Der Appell, von Ingeborg Drewitz, Wolf Bier-mann, Rolf Hochhuth, Walter Jens, Gerhard Zwerenz und anderen unterzeichnet, nannte die deutsche Teilung als Ursache der „tödlichsten Bedrohung", die es in Europa jemals gegeben habe. Daher gelte es, „die beiden Teile Deutschlands der Blockkonfrontation zu entziehen“

Auch Teile der deutschen Friedensbewegung distanzieren sich von der amerikanisch-atlantischen Allianz und stellen die Herauslösung der Bundesrepublik aus der NATO offen zur Diskussion. Diese Gruppen verfechten die Idee eines wiedervereinigten, neutralen, von den Blöcken losgelösten Deutschlands („Nationalneutralismus"). Sie argumentieren, im Ernstfall wäre Deutschland Kriegsschauplatz. Darum bildeten die beiden deutschen Staaten eine „Gefahrengemeinschaft". Die Deutschen müßten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und die beiden Teile Deutschlands aus der Konfrontation zwischen Ost und West heraushalten. Peter Brandt und Herbert Ammon, zwei Wortführer dieses „linken Nationalismus", äußern die Überzeugung:..... So wird die deutsche Frage ... zum Friedensinstrument für Europa: Ein Ausscheiden der beiden deutschen Staaten aus den Militärblöcken schafft eine reale Entspannungszone und erleichtert zugleich eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten ... Als Etappe auf dem Weg zur nationalen Einheit wäre eine Konföderation zwischen den beiden deutschen Staaten denkbar, welche aller Voraussicht nach die auf demokratische und sozialistische Reformen drängenden Kräfte stärkte... Und sollte nicht allen Europäern daran gelegen sein, im Zentrum des Kontinents ein friedliches Land zu haben, als Mittler zwischen Ost und West, dessen Bewohner befreit sind vom Trauma ihrer NS-Vergangenheit, der deutschen Teilung .. ,"

Dies würde eine fundamentale außenpolitische Kursrevision bedeuten. Freilich unterschätzen die Autoren des Konzepts in hohem Maße das politische Gewicht der Westintegration der Bundesrepublik, und sie lassen sich zudem von der illusionären Vorstellung leiten, die Sowjetunion werde die Einbeziehung der DDR in den Ostblock in Frage stellen lassen. Außerdem kehren sie ein wichtiges Prinzip westdeutscher Politik, nämlich dem Friedensgebot Vorrang zu geben vor dem Verlangen, Deutschland wieder zu vereinigen, um. Nicht die Nation, sondern der Frieden rangiert seither faktisch an erster Stelle in der westdeutschen Politik. In Teilen der Friedensbewegung zeigt sich nun die Bestrebung, die deutsche Einheit ohne Wenn und Aber zur politischen Priorität zu erheben, ohne die Frage nach friedensgefährdenden bzw.friedenssichernden Faktoren zu stellen. Friede und Nation, sagt Wolfgang Venohr, seien identisch. Das heißt: Ohne die Einheit Deutschlands werde es keinen dauerhaften Frieden in Europa geben; die Einheit Deutschlands anstreben bedeute also, den Frieden wollen

Symptomatisch für diese „nationalneutralistische" Literatur ist durchgängig das Fehlen eines konkreten Entwurfes für eine „dritte Form" des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die radikale Infragestellung des Status quo bleibt weitgehend auf die außenpolitische Orientierung Deutschlands beschränkt, während die Frage nach der politischen und gesellschaftlichen Struktur der an einem blockfreien Mitteleuropa beteiligten Staaten ausgeklammert wird. Symptomatisch ist auch, daß in der mehr polemischen Formel vom „beiderseits besetzten Deutschland", die in der Friedensbewegung die Runde macht, die Differenzierung zwischen der politischen Ordnung der DDR und der Bundesrepublik völlig aus dem Blickfeld verschwindet: Beide Systeme erscheinen ohne Unterschied als negativ, weil sie, so die These, „fremden Einflüssen" ausgesetzt seien 3. Die „Europäisierung Europas"

Eine andere Variante, zugleich eine andere Dimensionierung der „Idee des dritten Weges“ entwickelt Peter Bender. Er vertritt die These, Europa sei heute nicht mehr ideologisch, sondern nur noch politisch geteilt. Im Osten habe eine geistige Entideologisierung stattgefunden, die Staaten des Ostblocks seien zu „normalen" Staaten geworden, die nur noch diktatorisch regiert und ideologisch verklärt würden. Die Europäer in Ost und West sollten sich folglich auf lange Sicht von den Supermächten abkoppeln, „emanzipieren“ und sich politisch zwischen Moskau und Washington einrichten

Diese Konzeption ist mehr von Wunschdenken als von einer Analyse der überprüfbaren Realität geleitet. Der Gegensatz zwischen Ost und West erscheint tendenziell nur mehr als Konkurrenz zwischen den beiden Supermächten, der die Europäer gewissermaßen neutral zuschauen. Die Vision eines „europäischen Europas" über die Systemgrenzen hinweg kann Peter Bender nur entwerfen, weil er den grundlegenden Unterschied zwischen rechtsstaatlicher Demokratie und kommunistischer Diktatur für die Weltpolitik verwischt bzw. zum Interessengegensatz nivelliert sowie die wehrhafte Überzeugungsbindung zwischen den westeuropäischen Demokratien und der amerikanischen Demokratie als reines Interessenbündnis jenseits aller Moral und Ideologie deklariert

Das aktuelle Schlagwort eines „europäischen Europas" ist in der politischen Diskussion vage und vieldeutig. Die einen umschreiben damit schlicht den Sachverhalt, daß Westeuropa gegenüber den USA in der westlichen Allianz größeres Gewicht erhalten soll. Der „europäische Pfeiler" der NATO solle gestärkt werden, es gehe um die „Selbstbehauptung Europas" (Horst Ehmke). Andere hingegen füllen die Formel mit brisanterem Inhalt und suchen nach einem europäischen Weg zwischen den großen Machtblöcken in Ost und West. Die Tatsache, daß die westeuropäischen Demokratien und die amerikanische Demokratie eine politische Wertegemeinschaft bilden, tritt dabei in den Hintergrund. 4. Der „dritte Weg" der GRÜNEN Nach den Worten von Petra Kelly streben die deutschen GRÜNEN „eine Form von ökologisch selbstverwaltetem emanzipativen Sozialismus" an. Das jüngste Beispiel für einen „dritten Weg" in Politik und Wirtschaft ist dieser Entwurf der GRÜNEN, selbst wenn er nicht immer explizit so etikettiert wird.

Das 1983 in Sindelfingen beschlossene Wirtschaftsprogramm der GRÜNEN grenzt sich nach zwei Seiten ab: „Zur Verwirklichung einer ökologischen, sozialen und basisdemokratischen Wirtschaft haben sich sowohl die kapitalistischen als auch die sogenannten real-sozialistischen Gesellschaftssysteme als untauglich erwiesen: beide Systeme sind Varianten einer entfremdeten Fabrik-und Büro-gesellschaft, die sich an zerstörerischem industriellen Wachstum ausrichtet.. ." Die GRÜNEN wollen Grund und Boden, Produktionsmittel und Banken „in neue gesellschaftliche Formen des Eigentums" überführen, lehnen aber die „bekannten Formen der Verstaatlichung" ab, weil sie keine „basisdemokratische Kontrolle" ermöglichten. Zentraler Punkt des grünen Wirtschaftsprogramms ist die Forderung, „daß die Betroffenen selbst die Entscheidungen darüber treffen, was, wie und wo produziert wird“. Die GRÜNEN setzen auf Autonomie und Selbstbestimmung in den Betrieben. Damit die betrieblichen Entscheidungen den gesamtgesellschaftlichen Interessen in sozialer und ökologischer Hinsicht gerecht werden, sollen auf allen Ebenen Selbstverwaltungsgremien, z. B. Wirtschafts-und Sozialräte, geschaffen werden, in denen die Zusammenarbeit der Produzenten mit anderen Bevölkerungsgruppen, etwa den Verbrauchern, organisiert wird

Die GRÜNEN stellen das Konzept der „Basisdemokratie“ gegen die Institutionen der repräsentativen Demokratie. Petra Kelly versteht die GRÜNEN als . Antipartei-Partei", die in den Parlamenten nichts als „reine Opposition" machen solle. Die Parlamente würden von den GRÜNEN „mitbenutzt", um die außer-parlamentarische Bewegung auf ein „zweites Bein" zu stellen Der fundamentaloppositionelle Flügel der GRÜNEN liegt allerdings im Widerstreit mit einer „pragmatischen" Strömung in der Partei, die auf „Parlamentarisierung" drängt. Einig sind sich die GRÜNEN dagegen in der Forderung, die Bundesrepublik solle die westliche Allianz verlassen und einen Weg zwischen den Blöcken gehen.

VII. Schlußbemerkung

Der „Sonderweg", der Deutschland seit dem 19. Jahrhundert von der liberalen, demokratischen Entwicklung im Westen abschnitt, führte am Ende in die nationalsozialistische Barbarei. Dabei war der Preis für den Versuch, einen eigenen Weg abseits von den Werten des Westens zu gehen, die Teilung Deutschlands und die Einordnung der beiden Teile des gespaltenen Landes in die großen Machtsysteme in Ost und West. Die weltweite Polarisierung im Zuge des Ost-West-Konflikts hat nicht nur das europäische Gewicht, sondern auch die prekäre deutsche Rolle in Europa stark relativiert. Nach 1945 konnte es keinen „deutschen Sonderweg" mehr geben. Die Virulenz der Debatte über den „dritten Weg" hängt mit der Lage Deutschlands an der Nahtstelle zwischen Ost und West zusammen. Dabei verbindet sich die Einordnung der Deutschen in das west-östliche Kräftefeld häufig mit der Suche nach einer neuen politischen und gesellschaftlichen Ordnung, die alle Nachteile bestehender Systeme vermeiden und alle Vorzüge denkbarer Systeme vereinen soll. Ein „dritter Weg" müßte sich demnach in gleicher Weise von den beiden bestehenden Wegen unterscheiden. Ein gleicher Abstand (Äquidistanz") zur praktisch mit marktwirtschaftlichen Ordnungen verbundenen rechtsstaatlichen repräsentativen Demokratie des Westens und zur kommunistischen Diktatur des Ostens ist aber nicht möglich. Daher darf, so expliziert Gesine Schwan, die historische Grundentscheidung der Bundesrepublik für die westliche Demokratie nicht durch inhaltlich völlig unklare Propagierungen eines „dritten Weges" verwischt werden

Fussnoten

Fußnoten

  1. K. von Beyme (Hrsg.), Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt, München 1979, S. 71.

  2. Vgl. K. D. Bracher, Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1982.

  3. Vgl. U. Linse, Die Anarchisten und die Münchner Novemberrevolution, in: K. Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, München — Wien 1969, S. 37— 73.

  4. Das Utopisch-Illusionäre der Dichterrevolutionäre von 1918/19 schildert Oskar Maria Graf in seinem Buch „Wir sind Gefangene“. Zur Beteiligung deutscher Schriftsteller an der Revolution 1918/19 siehe ausführlich: W. Frühwald, Kunst als Leben und Tat. über den Anteil deutsche'-Schriftsteller an der Revolution in München 1918/19, in: W. Frühwald/G. Niggl (Hrsg.), Sprache und Bekenntnis, Berlin 1971, S. 361— 389.

  5. Vgl. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3(1955) 3, S. 6 ff.

  6. Vgl. K. D. Erdmann, Die Weimarer Republik, München 1980, S. 46— 49.

  7. R. Löwenthal, Die deutsche Sozialdemokratie in Weimar und heute. Zur Problematik der „versäumten“ demokratischen Revolution, in: ders., Gesellschaftswandel und Kulturkrise. Zukunftsprobleme der westlichen Demokratien, Frankfurt 1979, S. 201— 203.

  8. H. A. Winkler, Das Dilemma der Weimarer Sozialdemokratie, in: Merkur, 36 (1982) 12, S. 1174.

  9. H. Krüger, Der Staat und die Intellektuellen. Autobiographie eines Verhältnisses, in: Frankfurter Hefte, 27 (1972) 7, S. 489 f.; Hans Paeschke wies 1947 darauf hin, „daß die falsche Spaltung von Politik und Moral, von Macht und Geist, das mangelnde Verhältnis der deutschen Intelligenz zum öffentlichen Leben für die ... unheilvolle Entwicklung unserer Geschichte verantwortlich zu machen ist.", in: Merkur, 1 (1947) 1, S. 104; in den „Frankfurter Heften" sprach Eugen Kogon ebenfalls von der Trennung zwischen Geist und Politik, die sich in der deutschen Geschichte verhängnisvoll ausgewirkt habe; er hoffte nach 1945 auf die „Revolution der Wiederbegegnung von Geist und Politik in Deutschland", in: Frankfurter Hefte, (1946) 4, S. 17 u. 26.

  10. Th. Mann, Ansprache im Goethejahr 1949, Frankfurt 1949, S. 12.

  11. In: Der Ruf, (1946) 4.

  12. In: Der Ruf, (1946) 4 und Der Ruf, (1946) 6.

  13. H. W. Richter, Vorwort, in: H. A. Neunzig (Hrsg.), Der Ruf. Unabhängige Blätter für die junge Generation, München 1976, S. 8.

  14. Die Vertreter des Neo-Liberalismus wollten nach 1945 zwar den Kapitalismus in erneuerter Form fortsetzen. Gleichwohl gab es auch bei ihnen die Vorstellung eines „dritten Weges“. Alfred Müller-Armack beispielsweise betonte, daß ein extremer Liberalismus ebenso abzulehnen sei wie jede zentralistische Wirtschaftsordnung. Ein neuer Weg müsse gesucht werden, und dieser Weg sei der „Sozialhumanismus“ oder der „Staatshumanismus", der sich positiv abhebe vom herkömmlichen Liberalismus und Kollektivismus. Vgl. dazu: A. Müller-rmack, Diagnose unserer Gegenwart. Zur Bestimmung unseres geistesgeschichtlichen Standorts, Gütersloh 1949.

  15. W. Dirks, Die zweite Republik, in: Frankfurter Hefte, (1946) 1.

  16. Ebd.; vgl. dazu den Rückblick von E. Kogon, Dreißig Jahre — wohin?, in: A Eggebrecht (Hrsg.), Die zornigen alten Männer. Gedanken über Deutschland seit 1945, Reinbek 1979, S. 78.

  17. Vgl. H. -P. Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, Neuwied — Berlin 1966, sowie: R. Dohse, Der Dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955? Hamburg 1974, S. 41— 61.

  18. Zit. nach: H. -J. Stehle, Vakuum im Herzen Europas. Vor dreißig Jahren stand der geistige Vater des „Nationalneutralismus“ vor Gericht, in: Die Zeit vom 21. Mai 1982, S. 58.

  19. Vgl. H. -H. Hartwich, Zum Bedeutungswandel des Demokratiebegriffs in der Bundesrepublik, in: Gegenwartskunde, (1981) 1, S. 5— 22.

  20. In: Der Spiegel vom 10. Juli 1967.

  21. In: Kursbuch, (1968) 14, S. 147 u. 167.

  22. Eine realistischere Einschätzung der „menschlichen Natur in der Politik" formulierte Joseph A. Schumpeter. Weil sich der „typische Bürger", so erkannte Schumpeter, nur sehr am Rande für Politik interessiert, sind für ihn Unwissenheit, ein „reduzierter Wirklichkeitssinn" und mangelndes Urteilsvermögen in politischen Dingen kennzeichnend. „So fällt der typische Bürger auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung, sobald er das politische Gebiet betritt," schrieb Schumpeter. „Er argumentiert und analysiert auf eine Art und Weise, die er innerhalb der Sphäre seiner wirklichen Interessen bereitwillig als infantil anerkennen würde. Er wird wieder zum Primitiven. Sein Denken wird assoziativ und affektmäßig." — Vgl. dazu: J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, München 19805, S. 407— 420.

  23. Vgl. G. A. Ritter, „Direkte Demokratie" und Räte-wesen in Geschichte und Gegenwart, in: E. K. Scheuch (Hrsg.), Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, Köln 1968, S. 209 f.

  24. Vgl. W. Fritzsche, Die Intellektuellen der Bayerischen Revolution, in: Kürbiskern (1969) 2 und 4; P. Schütt, Novemberrevolution in der Bundesrepublik, in: Kürbiskern, (1969) 3, S. 553— 565.

  25. Vgl. W. Ismayr, Das politische Theater in Westdeutschland, Meisenheim 1977, S. 288f.

  26. T. Dorst, Toller, Frankfurt 1968, S. 104 f.

  27. V gl-R. Taeni, Die Rolle des „Dichters" in der revolutionären Politik, über „Toller" von Tankred Dorst, in: Akzente, (1968) 15, S. 493— 510.

  28. T. Dorst, Arbeit an einem Stück, in: Spektakulum, (1968) 11, S. 329.

  29. In: H. Walwei-Wiegelmann (Hrsg.), Die Wunde namens Deutschland. Ein Lesebuch zur deutschen Teilung, Freiburg — Heidelberg 1981, S. 317f.

  30. Ebd., S. 343.

  31. D. Wellershoff, Deutschland — ein Schwebezustand, in: J. Habermas (Hrsg.), Stichworte zur „Geistigen Situation der Zeit“, Bd. 1: Nation und Republik, Frankfurt 1979, S. 77— 79.

  32. Vgl. G. Kunert, Auf der Suche nach dem verlorenen Selbst, in: M. Menge /R. Meisel, Städte, die keiner mehr kennt, München 1979, S. 5— 9.

  33. Christian Graf von Krockow empfiehlt daher den Bundesdeutschen, verschiedene Teilidentitäten anzuerkennen und zu verbinden: Sie sollten bewußt Bürger der Bundesrepublik sein — und zugleich Deutsche, bezogen auf die Gemeinsamkeit, die die Menschen in der Bundesrepublik und in der DDR übergreife; sie sollten sich obendrein als Europäer, ja als Weltbürger engagieren. Statt des Entweder-Oder könnte das Sowohl-Als-auch Richtschnur sein: Die Bundesrepublik habe als freiheitlicher Verfassungsstaat wenig oder nichts gemein mit den politischen Verhältnissen in der DDR, aber die Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR teilten Geschichte, Sprache, Kultur, Literatur. Vgl. Chr. Graf von Krockow, Auf der Suche nach der verlorenen Identität, in: Merkur, 37 (1983) 1, S. 8— 15.

  34. Zit. nach: D. Hoffmann-Axthelm /E. Knödler-Bunte, Wie souverän ist die Bundesrepublik?, Berlin 1982, S. 121 f.

  35. P. Brandt /H. Ammon, Patriotismus von links, in: W. Venohr (Hrsg.), Die deutsche Einheit kommt bestimmt, Bergisch-Gladbach 1982, S. 159f.

  36. W. Venohr (Anm. 35), S. 13.

  37. Vgl. A. lönne. Links wie rechts — auf der Suche nach nationaler Identität?, in: Die Neue Gesellschaft, (1982) 8, S. 727— 731.

  38. P. Bender, Das Ende des ideologischen Zeitalters. Die Europäisierung Europas, Berlin 1981.

  39. Vgl. G. Schwan, Sozialismus in der Demokratie? Theorie einer konsequent sozialdemokratischen Politik, Stuttgart 1982, S. 168 ff.

  40. In: Der Spiegel vom 14. Juni 1982, S. 56.

  41. In: Frankfurter Rundschau (FR) vom 19. Febr. 1983, S. 14.

  42. In: FR vom 21. Febr. 1983, S. 14.

  43. In: Der Spiegel vom 14. Juni 1982, S. 52.

  44. G. Schwan, (Anm. 39), S. 175.

Weitere Inhalte

Helmut L. Müller, Dr. phil., geb. 1954; Studium der Politikwissenschaft, Germanistik, Geschichte und Soziologie an der Universität München; seit 1976 Stipendiat des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses (München); 1981— 1983 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München; seit 1983 außenpolitischer Redakteur der „Salzburger Nachrichten". Veröffentlichungen u. a.: Die literarische Republik. Westdeutsche Schriftsteller und die Politik, Weinheim-Basel 1982; Deutschland — ein literarischer Begriff?, in: Politik und Kultur, (1981) 4, S. 11— 26; Vaterland versus Muttersprache. Deutsche Schriftsteller und deutsche Nation, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/82, S. 17— 37; Deutscher Sonderweg — Mythos oder Realität?, in: Deutschland Archiv, (1982) 4, S. 378— 383; Die Divergenz von Geist und Macht. Tradition und Aktualität eines literarischen Topos, in: Die Mitarbeit, (1982) 2, S. 139— 167; Ein Koloß auf tönernen Füßen. Zum Amerikabild der deutschen Schriftsteller, in: L '80, (1983) 25, S. 137— 149; Viele kleine Netze im großen Netz. Die Kritik am Sozialetatismus, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1983) 3, S. 177— 187; Orwell war nicht allein. Eine literarische Totalitarismustheorie, in: Die politische Meinung, (1983) 210, S. 85— 95.