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ASEAN: Entwicklungsmodell mit Hindernissen | APuZ 33/1984 | bpb.de

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APuZ 33/1984 Artikel 1 ASEAN: Entwicklungsmodell mit Hindernissen ASEAN: Regional-und Außenpolitik

ASEAN: Entwicklungsmodell mit Hindernissen

Rüdiger Machetzki

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach eineinhalb Jahrzehnten erfolgreicher Wirtschaftsentwicklung und hohen industriellen Wachstums sind die sechs nichtkommunistischen ASEAN-Staaten Südostasiens gleichsam zu einer „Modellregion" der Dritten Welt erklärt worden, die das zunehmende Interesse westlicher Wirtschaftswissenschaftler und -praktiker gewonnen hat. Angesichts des unbestreitbaren Erfolgsweges zeigen sich jedoch innerhalb und außerhalb der ASEAN Tendenzen, die Grenzen und Probleme einer weiteren ungebrochenen Entwicklung zu unterschätzen. Zum einen fehlt es den ASEAN-Mitgliedern — sogenannte Schwellenländer der zweiten Generation — immer noch an ausreichender innerer Entwicklungskraft, um zu einer selbsttragenden Konjunktur befähigt zu sein. Sie werden weiterhin von der Aufnahmefähigkeit und -Willigkeit der großen Industrieländermärkte, nicht zuletzt Westeuropas, abhängig sein. Zum anderen wird der Gemeinschaft auch in Zukunft ein verhältnismäßig enger Rahmen für tatsächliche wirtschaftliche Zusammenarbeit gezogen sein. Angesichts der großen Parallelität der einzelnen ASEAN-Wirtschaften und der sich daraus ergebenden Konkurrenzsituation können die zwangsläufig auftretenden Spannungserscheinungen nur durch ein hohes Maß an politischer Pragmatik und Flexibilität unter Kontrolle bleiben. Politische Flexibilität ist bisher eines der Hauptkennzeichen der Gemeinschaft gewesen. Drittens werden die ASEAN-Staaten angesichts ihrer beachtlichen Belastungen — hohes Bevölkerungswachstum, steigende beschäftigungspolitische Anforderungen, wachsende Kosten der ländlichen Modernisierung und der Grundversorgung — gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten nahe der 10 %-Grenze erzielen müssen. Die Aussichten hierfür haben sich gegenüber den siebziger Jahren vor allem auf der internationalen Ebene nicht verbessert. Trotz dieser Grundbelastungen scheinen die Chancen der ASEAN-Staaten, sich langfristig zu industrialisierten Wirtschafts-und Wohlstandsgesellschaften entwickeln zu können, günstiger als die der meisten Staaten der Dritten Welt zu sein.

I. ASEAN: Eine Gemeinschaft der Ungleichen

Bevölkerung in Mio. 1983 BSP in Mrd. US-$1982 Pro-Kopf-BSP 1982 BSP-Wachstum (%) 1970— 1981 Wachstum Pro-Kopf-BSP (%) 1960— 1981 Wachstum Landwirtschaft (%) 1970— 1981 Wachstum Industrie (%) 1970— 1981 — (nur verarb. Ind.) Wachstum Dienstleist. (%) 1970— 1981 Anteil am BSP 1960/1981 (%):

— Landwirtschaft — Industrie -------(nur verarb. Ind.) — Dienstleist.

Anteil Industriezweige an Industrie insgesamt (%) 1980:

— Nahrung und Agrarverarbeitung — Textil/Bekleidung — Masch. bau/Transp. — Chemie — R宅@

Während der letzten Jahre hat der „Verbund Südostasiatischer Nationen", nach seiner englischen Bezeichnung Association of South-East Asian Nations kurz ASEAN genannt, zunehmend die Aufmerksamkeit der westlichen Öffentlichkeit gewonnen. Zwei Gründe waren dafür maßgeblich, daß die ASEAN, die sich aus den sechs nichtkommunistischen Ländern Brunei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand zusammensetzt, zu einer der international bemerkenswertesten Staatengruppen heranwuchs. Zum einen bestand zumindest vorübergehend die reale Gefahr, daß der seit 1978/79 andauernde Macht-konflikt in der benachbarten Krisenregion Indochina auf den ASEAN-Teil Südostasiens, insbesondere auf Thailand, übergreifen könnte. Zum anderen haben sich die Volkswirtschaften der ASEAN-Staaten im letzten Jahrzehnt mit mehr als beachtlichem Erfolg entwickelt Singapur, Malaysia und Thailand werden nicht nur in der Fachwelt häufig als sogenannte Modellfälle nachholender Entwicklung zitiert. Begriffe wie „NICs" (Newly Industrialising Countries) oder „Schwellenländer der zweiten Generation" deuten auf diesen Sachverhalt hin. Auch Indonesien, dem bei weitem größten Staat Südostasiens, traut man diesen Erfolgsweg durchaus zu.

Die Richtung dieses Weges läßt sich aus der Kennzeichnung „zweite Generation" ablesen.

Handelt es sich doch bei den Schwellenländern der ersten Generation um politische Gemeinwesen wie Südkorea, Taiwan, Hongkong usw. Manche Beobachter möchten sogar Japan — gleichsam als „Urmodell" dieser Entwicklungsströmung — hinzugerechnet wissen. Sie sprechen von einer geschlossenen asiatisch-pazifischen Hochwachstumsregion.

Eine solche Charakterisierung mag mit Blick auf die Zukunft gerechtfertigt sein. Als Beschreibung des Gegenwartszustandes erscheint sie jedoch lückenhaft. Dies gilt insbesondere für die ASEAN, deren Länder einzeln und als Verbund durch das Spannungspotential von Hochwachstum, Modernisierung, Rückständigkeit und Traditionsverfall geprägt werden. Der Aufbruch, das sogenannte take-off, ist erfolgt. Ob das Ziel, die industrialisierte Wirtschafts-und Wohlstandsgesellschaft, erreicht wird, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit vorhersagen. Zumindest in diesem Jahrhundert dürfte die ASEAN eine „Gemeinschaft der Ungleichheit“ bleiben. Gleich, d. h.den politisch-wirtschaftlichen Führungen aller sechs Staaten gemeinsam ist nur der erklärte Wille, regionale und nationale Ungleichheiten, Leistungsgefälle und Gegensätze durch eine gemeinsam abgestimmte Entwicklungsstrategie zu überwinden.

Im Gegensatz zum indochinesischen Staaten-block Vietnam, Kambodscha und Laos, dessen Zukunft durch eine staatlich geplante, kollektiv gestaltete und marktausschaltende Entwicklungsordnung bestimmt werden soll, haben sich die ASEAN-Staaten bewußt und nachhaltig auf einen Entwicklungsweg festgelegt, der sich durch starke marktwirtschaftliche Züge und außenwirtschaftliche Orientierung kennzeichnen läßt. Ihre nationale und regionale Entwicklung beruht zu einem entscheidenden Teil auf der Einbettung in die bestehende Weltwirtschaftsordnung. Der Erfolg einer solchen auf Zusammenarbeit mit den westlichen Industrieländern ausgerichteten Strategie ist langfristig von der allgemeinen politischen Sicherheit und Stabilität der Region abhängig. Zwar ist die Gemeinschaft formal als Organisation wirtschaftlicher Art und nicht als ein sicherheitspolitisches Gremium gegründet worden, aber im Verlauf der letzten Jahre hat sich herausgestellt, daß die Gewährleistung politischer Stabilität in Südostasien ihr wichtigstes Ergebnis gewesen ist. Der gemeinschaftsinterne Verzicht auf politisch-militärische Gewaltanwendung zur Konfliktlösung ist erstaunlich, wenn man sich daran erinnert, daß sich noch 1966 drei der sechs ASEAN-Staaten — Indonesien, Malaysia, Philippinen — miteinander in einem kriegsähnlichen Spannungszustand befanden.

Die politische Kooperation ist eine der Voraussetzungen, nicht jedoch schon die Garantie für eine „umfassende Sicherheit", ohne die die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Grundprobleme nicht vorstellbar ist. Bei einer Beurteilung der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Entwicklungsleistung darf nicht übersehen werden, daß es sich bei den ASEAN-Ländern mit Ausnahme des Stadtstaates Singapur um Entwicklungsländer handelt. In absoluten Größenordnungen gemessen, ist die volkswirtschaftliche Basis der Region immer noch schmal. 1983 lag das gemeinsame Bruttosozialprodukt (BSP), die gebräuchlichste Kennziffer zur Messung des volkswirtschaftlichen Leistungsstandes, bei rund 220 Mrd. US-Dollar. Die drei Benelux-Länder erwirtschafteten zum Vergleich rund 290 Mrd. US-Dollar. Der Maßstab zur wirtschaftlichen Beurteilung der ASEAN-Länder kann also nicht die absolute Leistungsebene, sondern nur die Dauerhaftigkeit des hohen Wachstums sein. In dieser Hinsicht hebt sich die Region von den meisten Staaten der Dritten Welt deutlich ab. Neben Nordostasien und der Westküste des nordamerikanischen Halbkontinents bildet sie eine der drei großen Wachstumspole der Weltwirtschaft — eine Tatsache, die nicht nur zur Verbreitung der Zukunftsvision vom „Pazifischen Jahrhundert" beigetragen, sondern auch die internationale Entwicklungsländer-forschung der letzten Jahre beeinflußt hat.

Angesichts der Erfolge der ASEAN-Staaten und einiger anderer nichtasiatischer Entwicklungsländer wurden Einheitsbegriff und -betrachtung der Dritten Welt zunehmend fragwürdiger. Eine Interessen-und Problemgemeinsamkeit läßt sich allenfalls im Gegensatz zur Welt der Industrieländer noch inhaltlich sinnvoll definieren. Innerhalb der Dritten Welt selbst haben die extrem unterschiedlichen Entwicklungserfolge zu zunehmenden Gefällen zwischen einzelnen Ländern und Ländergruppen geführt, die eine klare Dreierabstufung erkennen lassen. Zur ersten Gruppe gehören insgesamt 27 Länder — unter ihnen auch die ASEAN-Staaten mit einer Bevölkerung von gut 500 Mio. Die meisten dieser Länder können bis zum Ende des Jahrhunderts möglicherweise den Schwellenlandbzw. Industrielandstatus erreichen, also ihre Entwicklungsproblematik erfolgreich lösen. Zur zweiten Stufe gehören 31 Länder, deren Erfolgschancen gemischt erscheinen. Die letzte Stufe umfaßt 34 Länder mit gut 5 Mrd. Menschen 1). Diese Ländergruppe erscheint im Rahmen der gegenwärtigen Entwicklungskonzepte kaum noch entwickelbar.

Aus dieser Dreierabstufung innerhalb der Dritten Welt hat sich eine Tendenz ergeben, die Suche nach Entwicklungsalternativen auf der Basis spezifischer „Regionalisierungskonzepte“ vorzunehmen. Als Musterfall einer solchen Regionalisierung der Entwicklungsproblematik wird dabei immer wieder die ASEAN angeführt. Dabei wird jedoch zumeist der bereits erwähnte Tatbestand übersehen, daß die bisherigen Erfolge der ASEAN-Länder nicht in erster Linie wegen der wirtschaftlichen Vorteile der Regionalisierung zustande gekommen sind, sondern, daß es vielmehr der günstige politische Rahmen war, der den einzelnen Ländern eine überdurchschnittlich hohe Wachstumsleistung ermöglichte. Die Gemeinschaft vermochte ein für den internationalen Wirtschaftsverkehr ausreichendes Sicherheits-und Stabilitätsklima zu gewährleisten, das sich in den westlichen Risikoanalysen und auch in der außen-wie binnenwirtschaftlichen Realentwicklung positiv auswirkte. Läßt man die westlichen Industriestaaten unberücksichtigt, so liegen die ASEAN-Länder mit Ausnahme der Philippinen alle im Bereich der international geringsten Risikogruppe. Aufgrund dieser Tatsache hat sich vor allem der Strom ausländischer Direktinvestitionen während des letzten Jahrzehnts in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß beschleunigt. Heute konzentriert sich mehr als ein Viertel des Gesamtbestandes ausländischer Direktinvestitionen in der Dritten Welt auf die ASEAN-Staaten. Vor zehn Jahren hatte der Anteil nicht einmal ein Zehntel betragen.

Andere positive Aspekte langfristigen ausländischen Engagements ließen sich ebenfalls erwähnen. Direktinvestitionen und sonstige Formen der Ressourcenübertragung sind jedoch insofern von übergeordneter Bedeutung, als eine erfolgreiche nationale Wirtschaftsentwicklung im Rahmen der heutigen Weltwirtschaftsstrukturen nur noch über eine massive ausländische Unterstützung, d. h. eine bewußte internationale Verschuldungsund Investitionsförderungspolitik möglich erscheint. Die einzige Alternative wäre der stalinistische Entwicklungstypus mit seinen Folgeerscheinungen. Anders gesagt, die ASEAN-Staaten sind angesichts ihrer immer noch verhältnismäßig geringen Entwicklungskraft nicht zu einer selbsttragenden Konjunktur fähig. Erfolg oder Mißerfolg ihres exportgeförderten Wachstums, d. h. ihrer gesamten Zukunftsentwicklung, werden weitgehend durch die Aufnah-B mefähigkeit und -Willigkeit der großen Industrieländermärkte Nordamerikas, Westeuropas und Japans bestimmt. Angesichts des raschen Bevölkerungswachstums und der damit verbundenen bevölkerungs-und beschäftigungspolitischen Problematik müssen die ASEAN-Länder im mittel-bis langfristigen Durchschnitt gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten in der Nähe zweistelliger Größen erzielen, wobei vor allem die verarbeitende Industrie mit ihrer Außenhandelsorientierung überdurchschnittlich expandieren muß. Dies macht, wie bereits erwähnt, die Aufrechterhaltung eines substantiellen Nettokapitalzustroms zu Bedingungen notwendig, die durch die eigene binnenwirtschaftliche Entwicklung tragbar sind. Es ist damit zu rechnen, daß der Nettobedarf an Kapital zu günstigen Marktbedingungen in Zukunft noch deutlich steigen wird. Die ASEAN-Staaten haben in dieser Hinsicht gegenüber anderen Schwellenländern, insbesondere Lateinamerika, den Vorteil, in der Vergangenheit eine verhältnismäßig moderate Verschuldungspolitik betrieben zu haben. Risiken und Kosten einer weiteren entwicklungsorientierten Verschuldung sind daher für sie relativ überschaubar. Eine Ausnahme bilden lediglich die Philippinen, deren Bonität sich während der letzten vier Jahre bedenklich verschlechtert hat Ein weiterer wichtiger Aspekt, der der Entwicklung der ASEAN-Staaten — wenn auch mit unterschiedlicher Intensität — gemeinsam ist, ist die aktive, keineswegs „unsichtbare Hand" des Staates in allen wichtigen Bereichen der Wirtschaft. Als Begründung hierfür ließen sich u. a. unzureichende private Kapitalbildung und fehlendes Privatunternehmertum — beides typische Merkmale von Entwicklungsländern — anführen. Allein ausschlaggebend sind diese beiden Aspekte jedoch nicht.

1981 hatte Malaysia eine sogenannte „Look East'-Politik propagiert, in deren Rahmen sowohl Japan als auch Südkorea bewußt als Vorbilder der eigenen Entwicklung empfohlen wurden. Mit dieser Politik sollte eine Abkehr vom Beispiel der westeuropäischen Industriestaaten einhergehen, denen ein zunehmender Verlust an wirtschaftlicher Dynamik und Arbeitsethik unterstellt wird. Ferner wird Japan im Gegensatz zu Westeuropa und Nordamerika von den politisch-wirtschaftlichen Eliten der ASEAN-Staaten als ein Land betrachtet, das ein deutlich positives Verständnis staatlicher Wirtschaftstätigkeit aufweist — eine Tatsache, die der stark nationalistischen Weitsicht der Führungsgruppen in den ASEAN-Staaten entgegenkommt. Die japanische Wirtschaft wird als Bestandteil eines Gesamtsystems gesehen, das „strukturell, politisch und kulturell“ begründet ist „Dieses Ineinandergreifen von Kräften verschiedenen Ursprungs ist ausschlaggebend für das Entstehen eines informellen, unsichtbaren und verdeckten . integrierten nationalen Systems'gewesen ... Die formalen und informellen Verbindungen, die zwischen der Geschäftswelt, der Politik, der Regierung und der bürokratischen Elite bestehen, haben immer für eine Atmosphäre gesorgt, in der die Regierung die Funktion des Initiators, Innovators und Unterstützers gemeinsam mit der Geschäftswelt, der Industrie und dem Bankensektör ausübt ... Dabei haben sich auch ein Sinn nationaler Mission und eine Art, Imperialmentalität'entwickelt, die entweder bewußt oder unbewußt die Spitzenführung der Wirtschaft und ihrer Manager beeinflußt haben.“

Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, daran zu erinnern, daß in Asien das Zeitalter des Nationalismus historisch gesehen gerade erst begonnen hat. Dies gilt für die ASEAN-Staaten, insbesondere für Indonesien, ebenso wie für China, Vietnam und andere. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Grenzen gesehen werden, die die ASEAN-Staaten ihrer eigenen grundlegenden Außenorientierung und internationalen Kooperationsbereitschaft setzen.

Dies zeigt sich zum einen in der Skepsis und Reserviertheit der ASEAN gegenüber Vorstellungen einer großen gesamtpazifischen Kooperationssphäre. Angesichts der unterschiedlichen Interessenkonstellationen der USA, Japans und anderer pazifischer Akteure sieht man wenig Aussichten für die Verwirklichung grundlegender eigener Vorstellungen und rechnet mit günstigeren Ergebnissen in bilateralen Verhandlungsformen. Außerdem wird befürchtet, daß der mühsame Prozeß der wirtschaftlichen Inner-ASEAN-Integration durch das Aufgehen in einer übergeordneten Organisation verzögert werden könnte.

Zum anderen zeigen sich die Grenzen zwischenstaatlicher Kooperationsbereitschaft auch untereinander, eine Tatsache, die bereits mit Formel beschrieben wurde, daß der die Erfolge der ASEAN trotz des formal wirt-schaftlichen Gründungszweckes vorrangig auf politischem Gebiet liegen. Im wirtschaftlichen Bereich sind Positionen gemeinsamen Verhandelns und Agierens bisher hauptsächlich gegenüber der Außenwelt verwirklicht worden, d. h. auf der Grundlage gemeinsamer Interessen. Im Mittelpunkt standen dabei vor allem gemeinsames Auftreten zur Verbesserung des Zugangs zu den westlichen Märkten für die eigene Rohstoff-und Fertigwarenproduktion sowie die Zusammenarbeit bei der Lösung von internationalen Handels-und Wirtschaftsproblemen, die alle ASEAN-Staaten gleichermaßen betreffen.

Gemeinschaftsintern ist man bisher nicht über Kooperations-und Integrationsansätze hinausgekommen, die vom Diktat des nationalen Vorteils unberührt bleiben. Vor allem auf dem wichtigen Gebiet des ASEAN-internen Handels sind Freihandelstendenzen bisher nur in wenig lebenswichtigen Randbereichen realisiert worden. Grundsätzlich existieren innerhalb der ASEAN trotz aller politischen Gemeinschaftsrhetorik und -bemühungen immer noch sechs abgegrenzte Volkswirtschaften und quasi-nationale Märkte, die alle einen unterschiedlichen Grad internationaler Offenheit aufweisen. Die Überwindung dieser gemeinschaftsinternen Schranken wird ein langfristiger, keineswegs geradliniger Prozeß sein.

Ein dritter Aspekt, an dem sich die Grenzen der Außenorientierung der ASEAN-Staaten verdeutlichen lassen, ist die „restriktionspolitische" Grundhaltung der jeweiligen nationalen Führungen. Mit Ausnahme Singapurs werden Restriktionsinstrumente wie teilweise Importbeschränkung, nationales Schiffstransportgebot, binnenwirtschaftliches Vertriebsmonopol, Exportbeschränkung für nichtverarbeitete Rohstoffe usw. je nach volkswirtschaftlicher Lage phasenweise oder dauerhaft gehandhabt. Auch die Investitionsförderungspolitik weist — wiederum mit Ausnahme Singapurs — deutliche nationale Züge auf. Auch hier geht es den ASEAN-Führungen nicht um eine prinzipielle Integration ihrer Länder in die Weltwirtschaft, sondern vielmehr um eine politisch begrenzte Nutzung internationaler Ressourcen zum Vorteil der nationalen Entwicklung. Ausländische Investoren werden in der Regel nur in jenen Teilbereichen der Wirtschaft zugelassen, in denen die einheimische Produktion sichtbar hinter dem Bedarf zurückbleibt. Eine Ausnahme bildet aus verständlichen Gründen die reine Exportproduktion.

II. Länderporträts: Grenzen der Kooperationsmöglichkeiten

Singapur Malaysia Indonesien Thailand Philippinen Anteil in % ca. 18 ca. 18 (ohne knapp 5)

14 (ohne knapp 3)

11 (ohne ca. 5)

9 (ohne 7) Singapur-Handel Singapur-Handel Singapur-Handel Singapur-Handel

«Im zwischenstaatlichen Vergleich steht auf der einen Seite der Stadtstaat Singapur mit einem Pro-Kopf-BSP von rund 5 500 US-Dollar (1983). Mit dieser Größenordnung hat Singapur praktisch einen Industrielandstatus erreicht. Es fällt schwer, die Stadt von ihrer wirtschaftlichen Leistungsebene her als ein Staat unter anderen südostasiatischen Staaten zu betrachten. Vielmehr ist sie wie Hongkong ein Wirtschaftszentrum, das sich beinahe als „internationales Arrangement" beschreiben ließe. Aus dieser Tatsache ergibt sich das dauerhafte Problem, innerhalb der ASEAN nicht als „Nord-Süd-Fremdkörper“ empfunden zu werden. Singapurs ASEAN-Politik ist verstärkt darauf konzentriert, seine Unentbehrlichkeit als regionales Verkehrs-, Industrie-, Handels-und Finanzzentrum zu verdeutlichen, um einen Ausgleich für die Rolle als Knotenpunkt der Weltwirtschaft („offshore economy") zu schaffen.

Am unteren Ende der ASEAN-Leistungsskala liegt Indonesien. Der Archipelstaat, dem aufgrund seiner Bevölkerungsgröße (1983 ca. 155 Millionen) und seines gewaltigen Rohstoffpotentials ein „natürliches Übergewicht“ in der Region zufällt, hat erst 1981 die Pro-Kopf-BSP-Schwelle von 500 US-Dollar überschritten und ist damit aus dem Bereich der untersten Entwicklungskategorie zu den so-genannten Entwicklungswirtschaften mittleren Einkommens aufgestiegen. 1983 lag das Pro-Kopf-Einkommen bereits bei gut 620 US-Dollar. Indonesien bildet nicht nur von der Einkommenshöhe her im Spannungsverhältnis der ASEAN den Gegenpol zu Singapur. Auch sein allgemeiner politisch-wirtschaftlicher Entwicklungsausblick hebt sich am deutlichsten ab. Während Singapur unter allen ASEAN-Staaten seinen Entwicklungsbedürfnissen gemäß das Höchstmaß an internationaler Offenheit aufweist, wird Indonesien häufig als „inward-looking giant" bezeichnet. Dieses „Nach-innen-Sehen" umschreibt zutreffend das wirtschaftsgeschichtliche Erbe Indonesiens. Dort wurde die Entwicklung der VerB gangenheit nicht in erster Linie durch äußere Wachstumseinflüsse und -grenzen, d. h. durch mangelnde materielle Voraussetzungen beeinträchtigt, sondern vorrangig durch wenig geeignete Entwicklungsstrategien. Der Primat der „Politik" und das hohe Maß an internationalem Prestigebedürfnis führten vor allem während der Sukarno-Ära bis Mitte der sechziger Jahre zu beachtlichen Fehlanpassungen an die gegebenen Rahmenbedingungen. In einer langfristigen OECD-Studie hieß es dazu: „Insgesamt ist Indonesien ein Beispiel eines Landes, in dem das Risiko besteht, daß Probleme der Armut trotz beachtlicher Naturressourcen und verhältnismäßig schnellen Wachstums andauern, falls die Entwicklungsstrategie, die verfolgt wird, nicht eine bessere Nutzung der Ressourcen gestattet und zu einer besseren Einkommensverteilung führt. Indonesien ist das perfekte Beispiel eines Entwicklungslandes, dessen Zukunft von den Strategien abhängt, die es übernimmt"

Die Gründe, die zu dieser wenig optimistischen Einschätzung der langfristigen Zukunftschancen Indonesiens geführt hatten, sind gegenwärtig nicht mehr bzw. nicht mehr im gleichen Ausmaß wirksam, wie noch vor zehn Jahren. Unter Führung des Präsidenten Suharto, dessen Regime sich bereits in seiner Selbstbezeichnung „Neue Ordnung" von der Vergangenheit abzuheben bemüht, hat sich allmählich eine Reorientierung der Entwicklungspolitik ergeben, die den Wachstumsprozeß widerspruchsfreier den Zwängen der nationalen Entwicklung angeglichen hat. Dennoch sind weiterhin ausgeprägte Tendenzen zur Importsubstitutionsstrategie wirksam. Dabei handelt es sich vor allem um eine Beschränkung des Imports von Konsumgütern — eine Politik, die zwangsläufig zu erhöhten Importen von Investitionsgütern führt, um die benötigten Konsumgüter innerhalb des Landes produzieren zu können.

Theoretisch spricht wenig gegen die Gangbarkeit eines solchen Weges. In der Praxis jedoch existiert bisher kein einziger „modellhafter" Erfolgsfall. Die gegenwärtig erfolgreichen Schwellenländer haben alle eine exportorientierte Entwicklungsstrategie verfolgt.

Dieser innere Zusammenhang scheint auch im Falle Indonesiens angezeigt zu sein. Das Land erreichte sein hohes Realwachstum von jährlich 7, 8% (1970/81) erst zu dem Zeitpunkt, da es verstärkt exportorientierte Elemente in seine Entwicklungsstrategie einbaute. Trotz dieses neuen „Realitätssinns“ der indonesischen Führung bleibt die „Oszilation" der Entwicklungspolitik zwischen den beiden Polen „außenwirtschaftliche Öffnung" und „Importbeschränkung" typisch für das Land.

Dem indonesischen Entwicklungsverständnis am nächsten kommen die Philippinen. In vereinfachter Form läßt sich die philippinische Volkswirtschaft dadurch kennzeichnen, daß sie in einem Zwischenstadium gleichzeitiger Exportorientierung und Importsubstitution „gefangen" ist. In ihr machen sich jene macht-und interessenpolitischen Widerstände besonders deutlich bemerkbar, die bei längerem Vorherrschen des Importsubstitutionsdenkens gegen grundlegende Veränderungen der Entwicklungspolitik regelmäßig auftreten. Es zeigt sich ein Trend zur „Selbstverewigung", da die nationale Führung angesichts der starken-wirtschaftlichen Schutzinteressen nur unzureichend zur Durchsetzung einer allgemeinen außenwirtschaftlichen Öffnung befähigt ist. Es ist nicht zuletzt diese Tatsache, die zu der verzögerten wirtschaftlichen Entwicklung der Philippinen und zu der hieraus resultierenden Verschuldungskrise geführt hat. Da die philippinische Volkswirtschaft trotz der leistungseinschränkenden Konstellationen bis 1983 ein Pro-Kopf-BSP von rund 750 US-Dollar erbracht hat, besteht jedoch die Möglichkeit, daß die gegenwärtige Krise überwunden wird. Voraussetzung hierfür wäre eine Bereinigung der allgemeinen politischen Stabilitätskrise. Malaysia und Thailand nehmen innerhalb der ASEAN in mehrerer Hinsicht eine Mittelposition ein. Zum einen bewegen sie sich hinsichtlich ihres Maßes an internationaler Offenheit und Marktbeschränkung etwa in der Mitte zwischen den Konzepten Singapurs und Indonesiens, obgleich Malaysia in jüngster Zeit eine leichte Zunahme der Restriktionskomponente verzeichnet. Für Thailand zeigt der Trend eher in die umgekehrte Richtung.

Diese Tatsache ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß Thailand als ein relativ ressourcenarmes Land seine Entwicklung verstärkt auf die internationale Exportfähigkeit konzentrieren muß, um seinen Importbedarf .decken zu können. Malaysia hingegen ist von seiner nationalen Rohstofflage her günstiger gestellt. Es fällt der Führung daher leichter, politisch-soziale Spannungen durch Zugeständnisse in der Wirtschaft zu dämpfen, selbst wenn letztere die gesamtwirtschaftliche Leistungssteigerung verzögern. Dies gilt um so mehr, als Malaysia 1983 ein Pro-Kopf-7 BSP von rund 1 900 US-Dollar erreichte. Es steht daher eher in einer Reihe von Ländern wie Südkorea und Taiwan als mit seinem ASEAN-Nachbam Thailand, dessen Pro-Kopf-Einkommen noch unterhalb von 800 US-Dollar liegt

Brunei, der sechste und jüngste ASEAN-Staat, kann aus dieser wirtschaftlichen Betrachtung herausfallen. Je Kopf seiner kleinen Bevölkerung von rund 200 000 Einwohnern verzeichnen die internationalen Statistiken ein BSP von gut 20 000 US-Dollar. Das „Geheimnis" dieses Reichtums liegt in Bruneis Rolle als südostasiatisches Kuweit. Politisch ein Sultanat, ist Brunei wirtschaftlich wenig mehr als eine erweiterte „Ölförderanlage“. Der Beitritt des Landes zur ASEAN ist in erster Linie durch sicherheitspolitische Motive begründet. Angesichts der unterschiedlichen Ausgangspositionen der einzelnen ASEAN-Staaten wird verständlich, weshalb die Gemeinschaft bisher nur geringe konkrete Fortschritte zu einer internen Verflechtung gemacht hat Selbst die Europäische Gemeinschaft, die auf der Stufe verhältnismäßig hochentwickelter Industrie-und Tertiärsektorwirtschaften sowie relativ ausgeglichener Einkommensstandards den Zusammenschluß zu einer Wirtschafts-und Handelseinheit anstrebt, bietet immer wieder Beispiele für die Mühseligkeit eines solchen Prozesses. Für die Entwicklungsländergemeinschaft der ASEAN sind die Hindernisse ungleich größer, weil sich die einzelnen Volkswirtschaften bisher wenig komplementär, d. h. einander ergänzend entwickelt haben. Vielmehr herrscht angesichts ähnlicher Produktions-und Entwicklungsstrukturen eine Parallel-und Konkurrenzsituation vor. Zusammenarbeit muß sich daher zuerst in den neu zu entwickelnden Wirtschaftsbereichen ergeben, nicht jedoch in den bereits bestehenden.

Die relativ geringe Verflechtung der ASEAN-Länder untereinander läßt sich u. a. an einem Vergleich des Gesamtaußenhandels der Einzelländer und der Anteile nach Regionalgesichtspunkten ablesen. Insgesamt beläuft sich der ASEAN-Anteil am Außenhandel der ASEAN-Länder nur auf knapp 17 %. Eine ähnliche Größenordnung hatte er bereits im Jahre 1968, d. h. im ersten Jahr der ASEAN zu verzeichnen. Unter Ausschluß des Singapur-Handels nimmt der ASEAN-Anteil am Handel der ASEAN-Länder insgesamt nur 11 % ein und ist damit leicht rückläufig. Demgegenüber beträgt z. B.der Anteil Japans am Handel dieser Länder rund 25 %, der der USA 20% und der der EG 14 %. Das bedeutet, daß der Regionalhandel der ASEAN-Länder allenfalls eine von vier Handelssäulen darstellt. Die Realität ist also noch nicht von wirtschaftlicher Integration, sondern von verschiedenen Ebenen wirtschaftlicher Austauschintensität bestimmt.

Tabelle 2: ASEAN-Anteil am Außenhandel der ASEAN-Länder 1980

Im Kernbereich dieser Entwicklung zeichnet Sich eine Achse Singapur-Malaysia ab. Eine sekundäre Intensitätsebene läßt sich zwischen Thailand, Indonesien und Malaysia feststellen. Die Philippinen nehmen regional-wirtschaftlich eine Außenseiterposition ein. Insbesondere Singapur hebt sich, wie bereits erwähnt, vom Rest der Region ab, da es auf mehreren Ebenen agiert. Es dürfte aufgrund seiner Funktion als internationales Wirtschaftszentrum am ehesten gegen regional exklusive Entwicklungskonzepte eingestellt sein. D. h., auch in Zukunft darf die Gemeinschaft nicht mit überzogenen Integrationsprogrammen belastet werden, wenn sie Bestand haben soll. Ihr bisheriger Erfolg, der sie von allen anderen regionalen Gemeinschaftsgründungen der Dritten Welt positiv abhebt, beruht auf einer pragmatischen Linie, die sich bisher vor allem mit der Schaffung ausreichender stabilitäts-und sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen begnügt, ohne die wirtschaftlichen Integrationshindernisse zu verharmlosen oder zu leugnen.

III. Entwicklung im Widerspruch -• Last der „Gefälle"

1. Nationale Integration, politisch-religiöse Divergenz und Anspruch der Eliten Die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen scheint für die weitere der Entwicklung ASEAN-Länder unerläßlich, weil die einzelnen Staaten zum Teil trotz und zu einem anderen Teil gerade wegen ihrer schnellen wirtschaftlichen Entwicklung vor einigen grundlegenden „Problemhürden“ stehen, die sich in Zukunft noch erhöhen können. Alle ASEAN-Länder haben bisher auf diese Problembereiche mit einer zunehmenden politischen Betonung der „inneren Ordnung und Stabilität“ reagiert. Von ihrer internen Verfassung her lassen sie sich mit unterschiedlichem Grad als halbautoritär kennzeichnen. Selbst Malaysia, das bisher dem Ideal einer demokratischen Gesellschaftsordnung am nächsten kam, ist in letzter Zeit nicht von repressionspolitischen Tendenzen freigeblieben. Die Bruchlinien und latenten wie sichtbaren Spannungen, die die einzelnen Staaten und Gesellschaften durchziehen, sind unterschiedlicher, oft sich gegenseitig verstärkender Natur.

Vor allem folgende Hauptengpässe bzw. Problembereiche sind zu konstatieren:

a) Nationale Integrations-und Minderheiten-problematik, die oft durch regionalwirtschaftliche Gefälle zu separatistischen Bewegungen verschärft wird;

b) ideologisch-politische und politisch-religiöse Herrschaftskonkurrenz;

c) eliteninterne Widersprüche („soft statePhänomen"); d) der allgemeine Grundwiderspruch zwischen einer auf absehbare Zeit nur bedingt erweiterbaren Wirtschafts-und Ressourcen-basis einerseits und ständig wachsenden Bevölkerungen andererseits.

Durch diesen Grundwiderspruch wird nicht nur das allgemeine „Dualismusphänomen" einer Spaltung zwischen modernstädtischer Wirtschaft und dem ländlichen Wirtschaftsraum vertieft. Aus ihm ergeben sich auch besondere versorgungs-, beschäftigungs-und energiepolitische Probleme.

Die nationalstaatliche Existenz der einzelnen ASEAN-Länder, das sogenannte nation building, ist in verschiedener Hinsicht belastet. Zum einen beruht die heutige Grenzziehung auf kolonialen Abgrenzungen, die über ethni-sehe Großsiedlungsgebiete hinweg gehen. Zum anderen ist während der Kolonialzeit ein systematischer „Bevölkerungsimport" aus China und Indien betrieben worden.

In Singapur stellt die chinesische Bevölkerung heute einen Anteil von rund drei Viertel der Gesamtbevölkerung. In Malaysia macht sie rund ein Drittel aus und ist damit nur geringfügig schwächer als die malaysische Hauptbevölkerung. Der dritte große Bevölkerungsteil ist indischer Herkunft, während sich die vierte Teilbevölkerung, die sogenannte Eingeborenenbevölkerung, weitgehend auf die ostmalaysischen Bundesstaaten im Norden der Insel Kalimantan (Borneo) konzentriert. In Indonesien und auf den Philippinen stellt die Bevölkerung chinesischen Ursprungs zahlenmäßig nur einen geringen Anteil. Wegen des in ihrer Hand konzentrierten Wirtschaftspotentials existiert jedoch auch dort ein mehr oder weniger dauerhaftes Spannungsverhältnis. Die Staatsgrenzen Thailands sind zwar vorkolonialer Art, dennoch weist auch die thailändische Gesellschaft Minderheitenprobleme auf. Während die Auslands-chinesen weitgehend integriert zu sein scheinen, ergeben sich vor allem im Süden und Nordosten des Landes Spannungen. Dort siedeln Bevölkerungsgruppen, die sich in ihrem eigenen Bewußtsein von der Thai-Mehrheitsbevölkerung abheben.

Ethnische Unterschiede allein müssen zwar keineswegs destabilisierend wirken, sie können jedoch schwierige Situationen in einem unkontrollierbaren Ausmaß verschärfen, wenn sich andere Spannungsmomente überlagern. Streng genommen ist der ethnische Widerspruch in einem solchen Fall zwar nicht der Konfliktauslöser, aber ohne seine Existenz würde der Konflikt im Bewußtsein aller Betroffenen nicht den gleichen Stellenwert einnehmen. In diesem Sinn darf bei allen ASEAN-Ländern von der Existenz bzw. Gefahr ethnischer Konflikte gesprochen werden. In Singapur sind die ethnischen Spannungen, die dem Stadtstaat noch während der späten sechziger Jahre zu schaffen machten, durch wirtschaftliches Wachstum und breitgefächerte sozialpolitische Leistungen von der Oberfläche verdrängt worden, wirklich überwunden scheinen sie jedoch nicht. Darauf deutet auch die forcierte Politik zur Schaffung einer „Kunstnation" Singapur hin, die sich aus einer gemeinsamen wirtschaftlichen Leistungsideologie rechtfertigen soll. Dem steht zumindest in großen Teilen der malayischen Bevölkerung ein konkurrierender Bewußtseinsanspruch des Islam entgegen. Historisch gesehen hatte die vorübergehende Föderation zwischen dem heutigen Malaysia und Singapur während der frühen sechziger Jahre in der malaiisch-islamischen Bevölkerung Singapurs „große Erwartungen" geweckt. Damals war der Islam als Staatsreligion ebenso wie Malaiisch als Nationalsprache für die gesamte Föderation akzeptiert worden. Erst nach der Auflösung des Staatenbundes hatte sich die Regierung Singapurs in eine Position zurückgezogen, die die malaiisch-islamische Minderheitsbevölkerung nur in streng „privatreligiösen" Angelegenheiten stützt. Bemerkenswert an der besonderen Entwicklung Singapurs ist, daß nicht zunehmende Verarmung und/oder eine sogenannte Marginalisierung für die Rückbesinnung auf islamische Werte maßgeblich erscheinen. Vielmehr sind offensichtlich psychologische Faktoren für die Herausbildung einer neuen malaiischen Aufsteigerschicht sogenannter Islamo-Technokraten entscheidend. Wenn man diese Entwicklung abstrahieren kann, dann deutet das Beispiel Singapur an, daß der Überwindung von gesellschaftlichen Konflikten und Spannungen im Modernisierungsprozeß durch rein sozialpolitische, technisch-wohlfahrtsgerichtete Ansätze engere Grenzen gezogen sind, als man bisher vermutet hat. Dennoch ergibt sich das wirkliche ethnische „Risiko" Singapurs nicht so sehr. aus seiner inneren Verfaßtheit, sondern in erster Linie aus der Tatsache, daß der Stadtstaat ständig mit dem Mißtrauen der großen malaiischen Nachbar-staaten Indonesien und Malaysia rechnen muß, er sei letzten Endes doch nur ein „chinesischer Brückenkopf" inmitten der malaiischen Welt. Die malaiische Minderheitsbevölkerung innerhalb der Stadt ist jenseits der Grenzen die Mehrheitsbevölkerung.

In Malaysia sind die ethnischen Spannungen wesentlich stärker ausgeprägt als in Singapur. Dort bestimmt die latente Rivalität zwischen den Teilbevölkerungen, offiziell „communities" genannt, das gesamte politische System. Insbesondere die malaiische und chinesische „Community“ treten nach wie vor als verhältnismäßig geschlossene Gemeinschaften auf, die sich nicht nur durch ihr geschichtliches Bewußtsein voneinander unterscheiden, sondern auch in der Gegenwart unterschiedliche Bereiche von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft kontrollieren. So lebt die Mehrheit der malaiischen Bevölkerung immer noch in ländlichen Regionen, die zum großen Teil für Chinesen gesperrt sind („Reserved Areas”). Demgegenüber ist der malaiische Anteil an der modernen Wirtschaftsführung des Landes und an qualifizierten Fachkräften weiterhin niedrig. Sie stellen zumeist die industriellen Massenarbeitskräfte. Andererseits beherrschen die Malaien den „Staat", insbesondere die Sicherheitskräfte und das Militär.

Die Bemühungen um eine Überwindung des interkommunalen Spannungszustandes haben seit der großen „Rassenexplosion" 1969 zwar gewisse Erfolge gezeigt, vor allem die beschleunigte wirtschaftliche Entwicklung hat hierzu ihren Beitrag geleistet, aber eine endgültige Entschärfung wird durch die andauernde Existenz zweier in sich widersprüchlicher Linien verhindert.

Zum einen ist das gesamte Regierungssystem durch eine nationale Einheitskoalition malayisch-chinesisch-indischer Kommunalparteien gestaltet. Die Politik der Einheitskoalition ist langfristig darauf angelegt, im Rahmen der so-genannten New Economic Policy den bestehenden Zustand der „Identität der Rasse und der wirtschaftlichen Tätigkeit" durch gezielte entwicklungspolitische Programme aufzuheben. Diese „Korrekturpolitik" zugunsten der malayischen Bevölkerung wurde darüber hinaus auch verfassungsmäßig durch den „Seditions Act" von 1970 verankert. Vereinfacht gesagt unterbindet dieses Gesetz die öffentliche Diskussion aller ethnisch brisanten Probleme, um eine provokative „Wiedererhitzung" der Gegensätze zu verhindern. Kennzeichen der New Economic Policy ist letzten Endes der Versuch, den sphmalen Grat zwischen den wirtschaftlichen Anforderungen der nationalen Entwicklung und einer pro-malaiischen Umverteilung zu gehen, die zur Erhaltung der staatlich-gesellschaftlichen Existenz notwendig erscheint.

Dieser Linie des Ausgleichs läuft jedoch eine zweite der „Malaysierung" des Staates zuwider. Insbesondere außerhalb der Einheitskoalition fordern oppositionelle Strömungen eine verschärfte Durchsetzung der in der Verfassung verankerten Sonderstellung und Privilegien der malaiischen Bevölkerung. Hier geht es vor allem um den Islam als Staatsreligion und die malaiische Sprache als Staats-sprache. In diesem Zusammenhang sind in Malaysia deutliche Tendenzen zu einer ähnlichen Kombination von „linkem Nationalis11 mus" und orthodoxem islamischen Fundamentalismus zu erkennen, wie sie für den Iran kennzeichnend waren. Es bleibt daher die Frage, ob die bisher verfolgte New Economic Policy, die in erster Linie auf eine materielle Verbesserung des Lebensstandards der malayischen Bevölkerung ausgerichtet ist, eine endgültige Antwort auf die Problematik darstellt. Extreme Entwicklungen wie im Iran sind nicht wahrscheinlich, aber dennoch ist der Islam in Malaysia stärker „politisch besetzt 1'als in anderen südostasiatischen Staaten, d. h. er fördert zwangsläufig den Widerspruch zwischen dem notwendigen Ausgleich der verschiedenen „communities“ und der Forderung nach einem stetig „islamischeren" Gemeinwesen. Es besteht die reale Gefahr, daß als einziger Ausweg aus diesem Widerspruch der Rückgriff auf eine verstärkte Repressionspolitik bleibt. Selbst wenn sich der Islam nicht als ausschließliche Kraft Malaysias durchsetzen kann, hätte er dann zumindest entscheidend zur Zersetzung der gegenwärtig noch existenten politischen Demokratie beigetragen. Im Gegensatz zum islamischen Fundamentalismus stellt der Kommunismus in Malaysia zur Zeit keine ernsthafte Destabilisierungskraft dar. Auch in der Vergangenheit hatte die auf die Grenzgebiete des Landes beschränkte kommunistische Untergrundbewegung unter der Tatsache gelitten, daß sich ihre Mitglieder vornehmlich aus dem chinesischen Bevölkerungsteil rekrutierten und daher in den ländlich-malaiischen Räumen kaum Fuß fassen konnten.

Für Indonesien lassen sich ethnisch-kommunale Konflikte im malayischen Sinne nicht feststellen. Mehr als 90 % der Gesamtbevölkerung sind malaiischer Herkunft. Ausgesprochene Minderheiten leben nur in entfernten Grenzregionen des riesigen Inselstaates. Zwar existiert ein gewisses politisch-wirtschaftlich-kulturelles Gefälle zwischen der Bevölkerung der Hauptinsel Java und den Bevölkerungen der Außeninseln, aber destabilisierende Wirkungen könnten eher von islamischen Strömungen gegenüber dem Säkularstaat Indonesien ausgehen.

Garant dieses Säkularstaates und seiner nationalen Einheitsideologie (Pancasila) ist das Militär, das seine staatlich-politische Herrschaft mit der sogenannten Doppelfunktionslehre zu legitimieren versucht. Die Streitkräfte sind danach sowohl militärischer als auch allgemein politisch-administrativer Hüter der „nationalen Einheit und Sicherheit".

Sie rechtfertigen diesen Anspruch sowohl mit ihrer historischen Leistung der erkämpften nationalen Unabhängigkeit als auch mit der These, daß sie im Gegensatz zu den politischen Parteien und anderen Gruppierungen die einzige gesamtnationale, nichtpartikularistische Kraft darstellen. Diese Aussage entspricht nach den Erfahrungen der Vergangenheit weitgehend der Realität, wenngleich auch innerhalb des Militärs begrenzte Gegensätze zwischen der etablierten Generalität („Generation von 1945") und dem jüngeren Offizierskorps über die Beurteilung der zukünftigen Entwicklung des Landes erkennbar sind. Unter den jüngeren Offiziersgenerationen bildet sich allmählich ein stärker technokratisch ausgerichtetes Bewußtsein heraus, das einem Rückzug des Militärs auf seine eigentlichen Aufgaben entgegenkommt. Dennoch ist auf absehbare Zeit nicht mit einer Herrschaftsübertragung auf zivile Eliten des Landes zu rechnen.

Bisher ist es der Staats-und Militärführung gelungen, „politische Ansprüche" des Islam zu kontrollieren, so daß die Alternative eines „islamischen Staates" Indonesien nicht sehr realistisch erscheint. Zwar bekennen sich rd. neun Zehntel der indonesischen Bevölkerung (ca. 130 Mio.) offiziell zum Islam. Indonesien ist damit das Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt. Aber die besondere Erscheinungsform des Islams in Indonesien — Koexistenz islamischer und vorislamischer Lebens-und Verhaltensvorstellungen der großen Mehrheit der Bevölkerung — schwächt den islamisch-fundamentalistischen Ausschließlichkeitsanspruch. Letzterer findet allenfalls in einigen Teilgebieten des Landes eine Basis. Musterbeispiele sind u. a. die Region Aceh im Norden der Insel Sumatra und die Insel Sulawesi. Die eigentliche Gefahr für den Einheitsstaat Indonesien liegt also eher darin, daß islamische Bewegungen einen separatistischen Charakter annehmen könnten. Im Gegensatz zur Vergangenheit, als die Kommunistische Partei Indonesiens mit ihren Massenorganisationen zur großen Gegen-macht des Militärs aufgestiegen war, stellen kommunistische Untergrundströmungen keine besorgniserregende Gefährdung mehr dar. Seit Beginn der „Neuen Ordnung", d. h.seit der systematischen Vernichtung aller kommunistischen Strukturen 1965— 1967, ist eine nennenswerte Untergrundtätigkeit ausgeblieben. Ein Wiederaufleben erscheint höchstens im Falle extremer wirtschaftlicher Fehlentwicklungen denkbar. Thailand ist innerhalb der ASEAN der einzige Staat mit einer großen buddhistischen Mehrheitsbevölkerung. Eine malaiisch-islamische Minderheit konzentriert sich auf die vier südlichsten Landes.des Dort Provinzen hatte sich bereits nach dem Zweiten Weltkrieg eine Unabhängigkeitsbewegung herausgebildet, die jedoch unterdrückt werden konnte. Seit Ende der sechziger Jahre kam es zu einer Neuorganisation örtlicher Untergrundbewegungen, deren Kampf auf die Errichtung einer unabhängigen „islamischen Republik Pattani" abzielt. Zwar sind die Erfolge der islamischen Guerilla bisher bescheiden geblieben, dennoch könnte sich der örtliche Konflikt zu einem Problem größeren Ausmaßes für die Zentralregierung entwickeln.

Zum einen ist das politische Verhältnis zum Nachbarn Malaysia zu berücksichtigen. Dort haben in jüngster Zeit islamisch-fundamentalistische Kräfte verstärkten Druck auf die Regierung auszuüben versucht, den „Brüdern"

Unterstützung zu gewähren. Zum anderen besteht das latente Risiko einer Zusammenarbeit zwischen den islamischen Guerillas und kommunistischen Untergrundkräften, die sich sowohl auf der thailändischen als auch auf der malaysischen Seite der Grenze in dieses Gebiet zurückgezogen haben.

Dennoch liegt die eigentliche Gefahr einer kommunistischen Untergrundbewegung nicht im Süden des Landes, sondern im Nordosten, dem sogenannten Lao-Isan. Dort agierte die von China und Vietnam unterstützte kommunistische Bewegung bis Mitte der siebziger Jahre zunehmend erfolgreicher. Sie setzte dabei zwei Hebel an. Zum einen besteht die Bevölkerung vorwiegend aus Thai-Laoten, die sich von der Thai-Mehrheitsgesellschaft im Entwicklungsprozeß benachteiligt fühlen.

Zum anderen gilt der Nordosten als Armenhaus Thailands. Dort leben acht der insgesamt elf Millionen Thais, deren Existenz unterhalb der absoluten Armutslinie eingestuft wird

Seit 1978/79 hat der kommunistische Widerstand im Nordosten deutlich nachgelassen.

Dies ist jedoch nicht so sehr auf Erfolge des thailändischen Militärs zurückzuführen, als vielmehr auf die seither herrschende Rivalität Chinas und Vietnams um Einfluß auf die örtlichen Guerillagruppen und auf die von China erzwungene Unterordnung der thailändischen Kommunisten zugunsten des antivietnamesischen Kampfes in Kambodscha. Bei veränderter außenpolitischer Konstellation muß daher mit einem starken Wiederanwachsen des Konfliktes gerechnet werden.

Eine zweite stabilitätspolitische Schwäche Thai-Gesellschaft der widersprüchliche ist Willensbildungsprozeß der politischen Eliten des Landes. Thailand ist wesentlich stärker als die anderen ASEAN-Staaten von traditionellen Entscheidungsstrukturen (Cliquen-Prinzip mit personenbezogenen Loyalitätsmustern) bestimmt. Diese Tatsache hat bisher die langfristige Verwirklichung entwicklungspolitisch notwendiger Programme beeinträchtigt. Im Gegensatz zu Indonesien, dessen Militär insgesamt als verhältnismäßig geschlossen gelten kann, ist in Thailand auch die Armee kein einheitlicher Entscheidungsträger. Persönliche Abhängigkeiten und Teil-interessen haben zumindest eine ebenso große Bedeutung wie ein gemeinsames ordnungspolitisches Bewußtsein. In der Vergangenheit ist die innere Schwäche der thailändischen Elitegesellschaft durch die grundlegende Stabilität der dörflich-bäuerlichen Gesellschaft weitgehend ausgeglichen worden. Mit zunehmendem Aufbrechen der dörflichen Geschlossenheit und nachlassender Autorität des buddhistischen Mönchtums läßt die Kraft dieses dörflichen „Gegengewichts" in jüngster Zeit zunehmend nach. Trotzdem erscheint der Einfluß destabilisierender Faktoren auf die thailändische Gesamtentwicklung zur Zeit wesentlich geringer, als die internationale Fachwelt vor zehn Jahren zu Ende des Vietnamkriegs befürchtet hatte. Die heutige thailändische Führung steht in dieser Hinsicht in einer bewährten historischen Tradition. Sie hat sich die Gunst der außenpolitischen Konstellation zunutze gemacht, um interne Stabilitätsschwächen zu entschärfen.

Die Philippinen bieten zur Zeit das ungünstigste Bild unter allen ASEAN-Staaten. Sie sind das einzige Land, in dem das ernsthafte Risiko eines Scheiterns des bisherigen Entwicklungsweges besteht. Zum einen ist die wirtschaftliche Entwicklungskurve, wie bereits erwähnt, während der letzten fünf Jahre negativ verlaufen. Besorgniserregend ist in dieser Hinsicht nicht so sehr der absolute Negativstand, sondern vielmehr die ungewöhnliche Beschleunigung dieses Trends. Zum anderen scheint die Stabilität des politischen Systems ernsthaft erschüttert. Die Herrschaftsstrukturen sind auf die Person des Präsidenten Marcos zugeschnitten, ohne daß angemessene Nachfolgemechanismen erkennbar sind. Gleichzeitig sind die politische Macht und der Einfluß des Militärs auf die zivile Entwicklung des Landes seit Beginn der siebziger Jahre ständig gewachsen.

Wenn trotz dieser Erscheinungen die Aufrechterhaltung der Marcos-Ordnung gelungen ist, so ist dies vorrangig darauf zurückzuführen, daß die politische Opposition des Landes in sich nicht geschlossen ist, d. h. über eine bloße Stör-und Demonstrationspolitik nicht hinausgelangen konnte. Dennoch sind die militärischen und wirtschaftlichen Kosten der Aufrechterhaltung der alten Ordnung ständig gewachsen. Dies ist vor allem auf den deutlichen Anstieg der kommunistischen Untergrundbewegung und den Widerstand der islamischen Guerilla im Süden des Landes zurückzuführen. Die Kommunistische Partei der Philippinen und ihre sogenannte Neue Volksarmee haben nach offiziellen Angaben während der letzten fünf Jahre insgesamt „dreißig Fronten" in verschiedenen Regionen der Philippinen etabliert. Es ist der Partei gelungen, im Rahmen einer sogenannten Nationalen Demokratischen Front Teile der zuvor rein politischen Opposition für einen bewaffneten Untergrundkampf zu gewinnen, so u. a. sozialistische Gruppen, „Christen für die Nationale Befreiung", Anhänger linker Studentenorganisationen und Gewerkschaftsmitglieder.

Die Hauptkampfkraft hat der kommunistische Untergrund jedoch aus dem Zulauf verarmter Bauern und Landarbeiter gewonnen. Die Kampfstärke der Neuen Volksarmee wird in der Zwischenzeit auf 5 000— 7 000 Guerillas geschätzt. Schwerpunkte des Widerstandes liegen im Süden und Norden der Haupt-insel Luzon, auf Samar und auf Mindanao. Letztere Region ist insofern von besonderer Bedeutung, als hier der Widerstand durch eine begrenzte Zusammenarbeit mit der örtlichen islamischen „Befreiungsfront der Moros“ zusätzliche Stärke gewinnt. Die Moro-Bewegung hat ihr Maximalziel auf eine von der christlichen Mehrheitsbevölkerung der Philippinen unabhängige islamische Republik ausgerichtet. Aufgrund der harten „Befriedungspolitik" des Militärs und innerer Rivalitäten hat sie allerdings während der letzten Jahre an Kraft verloren.

Zieht man ein Fazit aus den verschiedenen negativen Entwicklungstendenzen der letzten Jahre, so bleibt für die Nach-Marcos-Zeit eigentlich nur die Alternative einer Militärherrschaft bzw. einer von den Streitkräften abhängigen Vollzugsgewalt 2. Bevölkerungswachstum — Im Dilemma der Versorgungs-und Beschäftigungspolitik Die ausführliche Aufzählung dieser für die meisten Entwicklungsländer typischen strukturellen Schwächen und Risikomerkmale kann leicht dazu führen, das Ausmaß der sicherheits-und stabilitätspolitischen Gefährdung der ASEAN-Länder zu überschätzen. Mit der möglichen Ausnahme der Philippinen scheinen die Probleme kontrollierbar. Zudem läßt sich seit 1973/75 ein positiver Stabilisierungstrend ausmachen. Kennzeichnend hierfür ist, daß die ASEAN-Länder seither eindeutig eine nationale Stabilitätsstrategie verfolgen, die in erster Linie auf wirtschaftlichem Wachstum (hohe Kapitalbildung) beruht und nur in zweiter Linie militärischer Natur (relativ geringe Militärausgaben) ist Angesichts des starken militärischen Einflusses im Entscheidungsprozeß der meisten ASEAN-Staaten erscheint dieser Vorrang wirtschaftlicher Erwägungen bemerkenswert.

Der langfristige Erfolg der wirtschaftlichen Entwicklung der ASEAN-Staaten wird wie in den meisten Entwicklungsländern maßgeblich von der Bewältigung der Bevölkerungsproblematik und Eingrenzung des Bevölkerungswachstums abhängen. Es ist damit zu rechnen, daß die Gesamtbevölkerung der ASEAN von gegenwärtig rd. 250 Mio. bis zum Ende des Jahrhunderts auf knapp 400 Mio. steigt. Allein Indonesien dürfte einen Zuwachs von rd. 70 Mio. auf 210— 220 Mio. Einwohner erleben. Diese Entwicklung wäre um so bedenklicher, als bereits gegenwärtig in Indonesien 80— 90 Mio. Menschen unterhalb des Grundbedarfsmihimums leben. In Thailand sind es, wie bereits erwähnt, rd. 11 Mio, und auf den Philippinen ergibt sich eine ähnliche Größenordnung. Singapur, Brunei und Malaysia sind von statistisch signifikanten „Armutserscheinungen" frei.

Zu Beginn der siebziger Jahre setzte die FAO, die Ernährungs-und Landwirtschaftsorganisation der UNO, für die Bevölkerung von Entwicklungsländern einen durchschnittlichen Mindestbedarf an Nahrungsenergie von 2 300 Kalorien pro Kopf an. Für die ASEAN-Länder ergaben sich zum gleichen Zeitpunkt folgende tatsächliche Werte: Singapur 2 787 kaL Malaysia 2 471 kal., Thailand 2 297 kaL, Indonesien 2 028 kal, Philippinen 1 927 kal. In der Zwischenzeit hat sich die Versorgungssituation in Indonesien und auf den Philippinen trotz des anhaltenden Bevölkerungswachstums leicht entspannt.

Andererseits sind Berichte, nach denen die Philippinen neben Thailand zum zweiten großen Reis-Exporteur der ASEAN aufgestiegen sind und die ASEAN insgesamt seit Jahren eine Netto-Export-Region an Nahrungsmitteln bildet, insofern irreführend, als sich aus dieser Tatsache keineswegs eine grundlegende Lösung der Versorgungsproblematik ablesen läßt Vielmehr ist der Nahrungsmittelexport zu einem beachtlichen Teil auf die mangelnde Kaufkraft örtlicher Verbraucher zurückzuführen. Der einzig sichere Maßstab für eine allgemein ausreichende Nahrungsmittelversorgung wäre, wenn sich kein automatischer Parallelanstieg von Einkommen und Grundnahrungsmittelverbrauch mehr verzeichnen ließe. Dieser Zustand ist bisher nur in Singapur, Brunei und Malaysia erreicht worden.

Ohne eine zumindest langfristig wirksame Familienkontrollprogrammatik scheint das Versorgungsproblem der bevölkerungsreichen ASEAN-Staaten auch bei günstiger landwirtschaftlicher Entwicklung nur begrenzt lösbar. Selbst wenn nur das gegenwärtige Grundversorgungsniveau pro Kopf der wachsenden Bevölkerung stabilisiert werden soll, hätte dies einen beschleunigten Abfluß von knappen Ressourcen aus den Modernisierungsbereichen der Wirtschaft in den ländlichen Sektor zur Folge. Die Aussichten für Indonesien, Thailand und die Philippinen, Schwellen-oder Industrielandstatus zu erreichen, wären damit in eine unabsehbare Zukunft hinausgeschoben.

Das hohe Bevölkerungswachstum in den ASEAN-Staaten, das mit Ausnahme Singapurs (1, 2%) überall zwischen 2, 0% und 2, 8% liegt, stellt nicht nur aus versorgungspolitischer Sicht eine Belastung dar. Es trägt darüber hinaus wesentlich zu dem beschäftigungs-und wirtschaftspolitischen Widerspruch bei, der mit dem für Entwicklungsländer bekannten Gefälle zwischen städtisch-industriellen „Modernisierungsinseln" und der Rückständigkeit des ländlichen Hinterlandes eng verbunden ist. Stichwortartig läßt sich dieser Widerspruch wie folgt darstellen: Rückständigkeit der Landwirtschaft gleich Versorgungskrise, Versorgungskrise gleich Zwang zur Modernisierung der Landwirtschaft, Modernisierung der Landwirtschaft gleich Freisetzung und Abwanderung der ständig wachsenden Landbevölkerung, Abwanderung der Landbevölkerung gleich Verschärfung der Beschäftigungsproblematik im städtisch-industriellen Bereich, Ressourcen-konzentration im industriellen Bereich gleich Ressourcenmangel in der Landwirtschaft, Ressourcenmangel in der Landwirtschaft gleich Rückständigkeit.

Von diesem Teufelskreis sind vor allem die großen Flächenstaaten Indonesien, Thailand und die Philippinen betroffen. Die Sozial-und Eigentumsstrukturen wirken sich auf diesen Sachverhalt (häufigen Erklärungsversuchen zum Trotz) allenfalls verschärfend aus. Sie sind jedoch nicht die Ursache. Das „Steckenbleiben“ der Landreformen in den ASEAN-Ländern hat sicherlich zur Erhöhung des ländlichen Spannungspotentials beigetragen. Eine dauerhafte Lösung des Problems selbst hätten Reformerfolge nicht bewirken können, wie das Beispiel anderer Entwicklungsländer mit kollektivwirtschaftlichen Eigentums-und Produktionsstrukturen zeigt. Ein grundlegender Ausweg zeigt sich nur in der gleichzeitigen Begrenzung des Bevölkerungswachstums bei beschäftigungsintensiver Industrieentwicklung. In beschäftigungspolitischer Hinsicht sind die Erfolge der ASEAN-Länder während des letzten Jahrzehnts für die gesamte Dritte Welt beispielhaft Ob die Führungen mit den seit einigen Jahren eingeleiteten Familienplanungsprogrammen ähnliche Erfolge erzielen, bleibt abzuwarten. 3. Energiebasis als Prüfstein der ASEAN-Zukunft? Ein letzter potentieller Problembereich grundlegender Art, mit dem sich die ASEAN-Staaten einzeln und als Gemeinschaft in Zukunft verschärft konfrontiert sehen könnten, ist die Frage der Energieproduktion, -Versorgung und -Verteilung. Zwar verfügt die Gemeinschaft insgesamt über Energieressourcen, die ein Hochwachstum langfristig gewährleisten können, aber die geographische Verteilung dieser Ressourcen ist ausgesprochen ungleich. Während Indonesien und Malaysia in wachsendem Maß zu Energieexporteuren (Erdöl/Erdgas) geworden sind, sind Singapur, Thailand und auch die Philippinen trotz einiger Erfolge in der Offshore-Exploration extrem importabhängig. Soll die Gemeinschaft also ein auch nur annähernd abgestimmtes Wirtschaftswachstum aufrechterhalten, sind in Zukunft ASEAN-interne ener15 giepolitische Arrangements und Liefervereinbarungen unumgänglich. Trotz grundsätzlicher Einsicht in die Notwendigkeit solcher Mechanismen ist es bisher noch zu keiner einheitlichen Energiepolitik gekommen. Wenn, wie oben behauptet, der bisherige Erfolg der ASEAN vor allem in der Errichtung eines günstigen sicherheits-und stabilitätspolitischen Rahmens für die Entwicklung der Mitgliedsländer gelegen hat, so wird hier auch die zukünftige Bewährungsprobe liegen. Angesichts zunehmender Energieverknappung und Wachstumsbelastung gewinnen die ressourcenmäßig bisher nicht oder nur ansatzweise erschlossenen maritimen Zonen Südostasiens zunehmend an Bedeutung.

In erster Linie geht es um das Südchinesische Meer, insbesondere seine Schelfzonen. Aufgrund unterschiedlicher Forderungen, Ansprüche und Absichtserklärungen zur Aufteilung der Seefläche in exklusive nationale Wirtschaftszonen stellt heute paradoxerweise die See und nicht der Landgrenzenbereich das größte Konfliktpotential in Südostasien dar. Innerhalb der ASEAN haben sich Malaysia und Indonesien (1968) und auch Thailand (1972) vertraglich über die Aufteilung der jeweiligen Schelfgebiete und Ressourcenregimes geeinigt. Anders hingegen sieht die Situation zwischen Thailand und den indochinesischen Staaten Vietnam und Kambodscha einerseits sowie zwischen Vietnam und Indonesien, zwischen den Philippinen und Indonesien andererseits aus. Zusätzlich verschärft wird die Problematik dadurch, daß die VR China einen maritimen Hoheitsanspruch auf das gesamte Südchinesische Meer bis 50 Seemeilen vor die ostmalaysische Küste erhebt Hier muß sich erweisen, ob die ASEAN angesichts der geopolitischen Brisanz und der damit verbundenen negativen Auswirkungen auf das nationale, regionale und internationale Wirtschaftsklima als Gemeinschaft handlungsfähig bleibt und den bisher geschaffenen politischen Stabilitätsrahmen aufrechtzuerhalten vermag. Nur unter diesen Bedingungen dürfte die Zukunft der ASEAN-Staaten als entwicklungspolitische „Modellfälle“ gesichert sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe OECD, Interfutures, Final Report, Paris Juni 1979.

  2. J. Panglaykim, The Japanese Economic Strategy: Sg Shsha and ASEAN, in: The Indonesian Quaterly, (1983) 2, S. 80— 84.

  3. Siehe OECD (Anm. 1). S. 211.

  4. Eigene Berechnung nach Daten aus: Ostasiatischer Verein e. V. Hamburg, Ostasien, Südasien, Südostasien, Wirtschaft 1981, Hamburg Dezember 1981.

  5. Siehe J. Stirling, Thailand and ASEAN in a Dangerous World, in: Asian Affairs, (1980) 5, S. 317.

  6. Siehe S. Sudarmadji, Food Consumption Patterns and the ASEAN Food Dilemma, in: Contemporary Southeast Asia, (1979) 1, S. 100— 101.

  7. Far Eastern Economic Review, Asia 1984 Year-book, Regional Reformance Figures.

Weitere Inhalte

Rüdiger Machetzki, Dr. phil., geb. 1941; Studium der Sinologie, Politikwissenschaft und Japanologie in Hamburg und Taibei 1964 bis 1970; Forschungsaufenthalt am Contemporary China Institute, London 1971 bis 1972; seit 1973 wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Chronologie des innerparteilichen Linienkampfes der Kommunistischen Partei Chinas, 1974; Die Entwicklungshilfepolitik der VR China, 1975; Entwicklungsrnacht China, 1981; zahlreiche Aufsätze zu Problemen der VR China und Südostasiens.