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Die Lebensqualität der Bundesbürger | APuZ 44/1984 | bpb.de

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APuZ 44/1984 Artikel 1 Die Lebensqualität der Bundesbürger Sozialpolitik als Wachstumsquelle Plädoyer für eine Neubesinnung über die Chancen der Sozialpolitik

Die Lebensqualität der Bundesbürger

Wolfgang Glatzer /Wolfgang Zapf

/ 41 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Lebensqualität ist ein zentraler Wert in modernen Wohlfahrtsstaaten. Sie wird in dieser Studie im Sinn individueller Wohlfahrt aufgefaßt, d. h. sie stellt die Konstellation der Lebensbedingungen und der subjektiven Bewertungen und Befindlichkeiten in den verschiedenen Lebensbereichen dar. Lebensqualität in diesem Sinn läßt sich nicht durch eine einzige Zahl charakterisieren wie die volkswirtschaftliche Wertschöpfung. Unsere Untersuchung stellt fünf charakteristische Elemente heraus: Ein markanter Aspekt der Lebensqualität ist die Ambivalenz subjektiven Wohlbefindens, das Nebeneinander positiver und negativer Komponenten. Ein zweiter markanter Aspekt ist die höhere Zufriedenheit in privaten Bereichen gegenüber den Bereichen, für die eher der Wohlfahrtsstaat zuständig ist. An der Spitze der Zufriedenheitsniveaus stehen Ehe, Familie und Haushaltsführung und am Ende die öffentliche Sicherheit sowie mit großem Abstand der Umweltschutz. Der dritte markante Aspekt der Lebensqualität ist, daß trotz der großen Bedeutung von sozialen Vergleichsprozessen bei der Bewertung von Lebensbedingungen ein deutlicher positiver Zusammenhang zwischen objektiven Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden besteht. Der vierte Aspekt ist das geringe Maß an Kumulationen, d. h. nahezu kein Individuum befindet sich in allen Lebensbereichen in einer guten bzw. schlechten Wohlfahrtsposition. Eine stärkere Häufung von Wohlfahrtsdefiziten ist aber bei den Problem-gruppen zu finden. Ein fünfter markanter Aspekt ist die Stabilität der Strukturen bei umfangreichen individuellen Veränderungen; vor allem stark privilegierte und stark benachteiligte Positionen sind oft nur Durchgangsstadien und keine dauerhaften Positionen.

I. Einleitung

Tabelle 1: Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen nach dem Einkommensniveau

1, Das Konzept der Lebensqualität Das Konzept der Lebensqualität hat eine lange Tradition. Sinngemäß ist es bereits bei den antiken Philosophen vorhanden, und in wörtlicher Form haben es schon die Wohlfahrtsökonomen gebraucht (erstmals Pigou 1920). Eine herausragende gesellschaftspolitische Bedeutung gewinnt das Konzept der Lebensqualität am Beginn der siebziger Jahre; es entwickelt sich zu der zum Wachstums-glauben kontrastierenden Zielvorstellung. Seitdem stellt das Konzept der Lebensqualität einen Maßstab für die Bewertung sozialen Fortschritts dar. Es wird teilweise quer zu den herkömmlichen politischen Fronten befürwortet bzw. abgelehnt. Sozialwissenschaftler haben in verschiedenen Ländern begonnen, die „Lebensqualität“ zu messen und zu beobachten, und internationale Organisationen wie die UN, die OECD und die EG haben sich ebenfalls dieser Aufgabe angenommen. Die Dauerbeobachtung der Lebensqualität ist Teil des Programms der Sozialberichterstattung; Replikation und Routinisierung der entwickelten Meßverfahren stehen auf der Tagesordnung. Die Vorstellungen von Lebensqualität sind freilich weder einheitlich, noch besteht Konsens darüber, wie sie gemessen werden kann. Wer Lebensqualität als rein theoretischen Begriff versteht, der sich der Meßbarkeit entzieht, wird allerdings mit dem Problem konfrontiert, daß sich über das Niveau an Lebensqualität in unserer Gesellschaft fast Beliebiges behaupten läßt. Erst eine sorgfältige Konkretisierung und Operationalisierung des Konzepts wird uns ermöglichen, Verteilungen und Veränderungen festzustellen und gesellschaftliche Änderungen anzustreben, die mehr Lebensqualität beinhalten.

Tabelle 5: Bewertungen von Ehe, Familie und Haushaltsführung nach Familienphasen

Im Sonderforschungsbereich 3 an den Universitäten Frankfurt und Mannheim ist ein Konzept zur Messung der Lebensqualität entwickelt worden. Es wurden Erhebungen und Analysen vorgenommen und die Ergebnisse in Büchern und Zeitschriften ausführlich vorgestellt. Lebensqualität präzisieren wir im Sinn individueller Wohlfahrt, d. h. die Lebensqualität ist hoch, wenn die Individuen gleichzeitig gute objektive Lebensbedingungen haben, diese positiv bewerten und ein gutes subjektives Wohlbefinden haben. Lebensqualität ist also die Konstellation objektiver und subjektiver Komponenten in den Lebensbereichen der Individuen. Die von uns intensiver betrachteten Lebens-und Problembereiche sind Einkommen, Wohnen, Erwerbstätigkeit, Ehe, Familie und Haushalt, Gesundheit und soziale Integration, politische und soziale Beteiligung. Darüber hinaus erfassen wir subjektive Bewertungen von Bereichen wie Umweltschutz und soziale Sicherung. Die Auswahl dieser Bereiche ist sicher unvollständig, ihre große Bedeutung im Alltagsleben aber unbestreitbar. Außerdem betrachten wir globale Beurteilungen des subjektiven Wohlbefindens als Indikatoren der Lebensqualität. Bei diesem Ansatz wird darauf verzichtet, einen einzigen hochaggregierten Index der Lebensqualität zu bilden. Angestrebt wird vielmehr, das charakteristische Muster der Strukturen, Zusammenhänge und Konstellationen der Komponenten der Lebensqualität herauszuarbeiten, z. B. die Verteilung und die Stabilität der Wohnzufriedenheit, die Korrelationen zwischen Wohnbedingungen und subjektiven Bewertungen der Wohnung, die Kumulation schlechter Lebensbedingungen in mehreren Lebensbereichen. Lebensqualität entsteht und verändert sich in einem komplexen Prozeß der Wohlfahrtsprodukti 6n, der hier nur angedeutet werden kann. Marktsystem, Wohlfahrtsstaat, Assoziationen und private Haushalte sind aufeinander bezogene Wohlfahrtsproduzenten, und sie verfügen über ein spezifisches Leistungspotential und haben spezifische Leistungsgrenzen.

Tabelle 6: Verteilung der Sozialbeziehungen nach Anzahl und Qualität

Dieser Beitrag faßt ausgewählte Ergebnisse des vor kurzem erschienenen Buches über Lebensqualität in der Bundesrepublik zusammen und ergänzt sie um einige aktuelle Befunde für 1984: Wolfgang Glätzer, Wolfgang Zapf (Hrsg.), Lebensqualität in der Bundesrepublik. Objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden, Frankfurt—New York 1984, mit Beiträgen von Regina Berger, Wolfgsng Brachtl, Martin Diewald, Wolfgang Glatzer, Roland Habich, Hermann Herget, Sabine Lang, oäns-Michael Mohr, Maria Müller-Andritzky, Heinz-Herbert Noll, Wolfgang Zapf. 2. Methoden der Messung Lebensqualität, wie wir sie definiert haben, kann adäquat nur mit repräsentativen Umfragen gemessen werden. Die Ergebnisse sollen nämlich verallgemeinerungsfähig für die Bundesrepublik sein und über die Lebensqualität aus der Sicht der Bundesbürger Aufschluß geben. In der Rolle des „Informanten" machen uns die Befragten Angaben über ihre Lebensbedingungen, und in der Rolle des bewertenden und beurteilenden Individuums machen sie Aussagen über ihr subjektives Wohlbefinden bzw. ihre wahrgenommene Lebensqualität. Unsere Bevölkerungsumfragen wurden 1978, 1980 und 1984 durchgeführt und umfaßten 2012, 2396 und 2067 nach dem Zufallsverfahren ermittelte Befragte. Diese für die deutsche Wohnbevölkerung ab 18 Jahre repräsentativen Stichproben haben wir um einige spezielle Stichproben ergänzt. Da in den üblichen Bevölkerungsstichproben der Umfrageforschung in der Bundesrepublik keine Ausländer einbezogen sind, haben wir 1982 eine spezielle Gastarbeiterstichprobe (N = 770 Befragte) zusätzlich gemacht. Wir betrachten die Lebensbedingungen und das Wohlbefinden von Minderheiten wie den Gastarbeitern als essentiellen Bestandteil der Wohlfahrtssituation in der Bundesrepublik. Schließlich haben wir 1980 auch 289 Ehepartner von Befragten der Hauptstichprobe interviewt. So können wir Übereinstimmungen und Unterschiede der Wohlfahrt von Ehepartnern analysieren. Wichtig erschien uns außerdem die individuelle Stabilität von Lebensbedingungen und Wohlbefinden. Um dazu Aussagen machen zu können, haben wir 304 Erwerbstätige der Hauptbefragung von 1978 im Jahr 1980 erneut interviewt.

Tabelle 7: Die Zufriedenheit mit dem Leben

Die Themen unserer Umfragen betreffen neben den üblichen Fragestellungen zur demographischen und sozioökonomischen „Verortung“ des Befragten hauptsächlich Fragen zu einigen objektiven Lebensbedingungen und insbesondere zur subjektiv wahrgenommenen

Tabelle 8: Emotionales Wohlbefinden

Lebensqualität Fragen und Skalen bauen auf eigenen Voruntersuchungen und die angel, sächsische und skandinavische Wohlfahrtsforschung auf. Die Replikation von identi.sehen Fragen ist bei den drei Wohlfahrtssur. veys von 1978, 1980 und 1984 ein wichtiger Gesichtspunkt gewesen, aber es wurden ebenso neue inhaltliche und methodische Fragestellungen aufgenommen.

Tabelle 9: Besorgnissymptome, Lebenszufriedenheit und Glück

Bei Umfrageergebnissen wird heute nachhaltig die Frage gestellt, inwieweit sie verläßliche Zahlen liefern. Fehlerquellen können bei der Ausschöpfung der angesetzten Stichprobe entstehen. Bei Umfragen unserer Art werden ungefähr zwei Drittel der angestrebten Ziel-personen erreicht. An den drei durchgeführten Umfragen zeigt sich, daß es zwischen 1978 und 1984 schwieriger geworden ist, hohe Ausschöpfungsraten zu erzielen. Schließlich ist der Zufallsfehlerspielraum zu beachten. Ein Ergebnis von 5% heißt z. B., daß der wahre Wert für die Grundpopulation, also die Bevölkerung der Bundesrepublik, bei 3, 6% oder 6, 4% liegen kann. Bei einem Wert von 50% kann der wahre Wert bei 53, 2% oder 46, 8% liegen. Diese Fehlerspannen muß man in Rechnung stellen. Aber jemand, der weiß, wie ungenau wir die Einwohnerzahl, die Wohnungszahl oder das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik kennen, wird nicht sagen, daß die Umfragedaten besonders unzuverlässig seien.

Tabelle 10: Verlaufsformen für die Lebenszufriedenheit

Die Lebensqualität der Bundesbürger wird im folgenden unter drei zentralen Gesichtspunkten behandelt: erstens der Zusammenhang zwischen Lebensbedingungen und wahrgenommener Lebensqualität in den verschiedenen Lebensbereichen; zweitens das subjektive Wohlbefinden der Bundesbürger, die positiven und negativen Aspekte, die Unterschiede zwischen Lebensbereichen und Bevölkerungsgruppen; drittens die Strukturen und Kumulationen der objektiven und subjektiven Wohlfahrtskomponenten, d. h. ihre Stabilität über die Zeit und ihre Häufung bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

II. Objektive Lebensbedingungen und ihre Bewertung

Tabelle 2; Einkommenszufriedenheit in Abhängigkeit vom Vergleich des eigenen Haushaltseinkommens mit dem Haushaltseinkommen eines durchschnittlichen Bundesbürgers

1. Der Zusammenhang zwischen Lebensbedingungen und ihrer Bewertung Die Hypothese, daß die Menschen unter besseren Lebensbedingungen auch zufriedener sind, klingt selbstverständlich. Um so überraschender waren die Ergebnisse früherer Untersuchungen, die fanden, daß der Zusammenhang zwischen Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden recht schwach ausgeprägt ist. Es wurden die verschiedensten Erklärungen entwickelt: z. B. daß die Bürger nur individuelle Verbesserungen gegenüber relevanten Vergleichsgruppen mit höherer Zufriedenheit honorieren, nicht aber, wenn es allen gleichmäßig besser geht; daß Individuen unter sozialem Druck stehen, Unzufriedenheit zu verleugnen; daß sich ihre Ansprüche resignativ an die Umstände anpassen; daß Unzufriedenheitsäußerungen kulturell gelernt und damit in gewisser Weise von den eigenen Erfahrungen unabhängig sind; daß gerade die Gutsituierten für neue Wertmaßstäbe offen sind und deshalb eher Kritik und Unzufriedenheit äußern, und daß unterschiedliche individuelle Vergleichsmaßstäbe gleiche Ausgangslagen in ganz unterschiedlichem Maß als befriedigend erscheinen lassen. Alle diese Effekte sind mehr oder weniger Teil der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit und mindern die Korrelationen zwischen Lebensbedingungen und ihrer Bewertung. Darüber hinaus sind methodische Argumente zu beachten: Objektive und subjektive Tatbestände sind mit Meßfehlern belastet; Befragte geben Antworten zu Problemen, über die sie vorher nicht nachgedacht haben; auch sind die Beziehungen zwischen objektiven und subjektiven Variablen möglicheiweise nicht linear, sondern verlaufen nach dem Muster von Schwellenwerten.

Tabelle 11: Zufriedenheit mit Lebensbereichen

Zugespitzt bedeutet dies, daß gute Lebensbedingungen durchaus mit einer als schlecht wahrgenommenen Lebensqualität einhergehen können und schlechte Lebensbedingungen mit positiven Bewertungen. Wir nennen die erste Konstellation das „Unzufriedenheitsdilemma" und die zweite das „Zufriedenheitsparadox“. Wenn wir die Dimensionen der Lebensbedingungen und des subjektiven Wohlbefindens kombinieren und lediglich nach „gut“ und „schlecht" dichotomisieren, dann erhalten wir eine Vier-Felder-Tafel und können vier „Wohlfahrtspositionen" bzw. Typen der Lebensqualität unterscheiden.

Tabelle 12: Subjektive Problemlagen und betroffene Bevölkerungsgruppen

Die Kombination von gut/gut nennen wir in Anlehnung an die OECD-Terminologie „Wellbeing", die Kombination schlecht/schlecht »Deprivation" und die beiden Mischtypen «Dissonanz" bzw. . Adaptation“. Die Lebensqualität ist in einem Lebensbereich um so höher, je mehr Bundesbürger sich in der Wohlfahrtsposition „Well-being" befinden. Die „Deprivierten" bilden die klassische Zielgruppe der Sozialpolitik. Die „Dissonanten" sind das Potential für Protest und Veränderung. Die . Adaptierten" repräsentieren häufig die Realität von Ohnmacht und gesellschaftlichem Rückzug. 2. Einkommensverteilung und Einkommenszufriedenheit Folgt man den Einschätzungen der Bundesbürger, so ist das Einkommen eine wichtige Grundlage des Wohlbefindens, freilich nicht die allerwichtigste. Darüber hinaus hängt die Lebenszufriedenheit stark von der Einkommenszufriedenheit ab. Die im internationalen Vergleich recht wohlhabenden Bundesbürger sind mit ihrem Haushaltseinkommen aber längst nicht völlig zufrieden. Verglichen mit anderen Lebensbereichen handelt es sich bei der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen lediglich um ein mittleres Zufriedenheitsniveau. Will man die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen untersuchen, so besteht das Problem, daß die Zahl der Personen, die von einem Haushaltseinkommen zu leben haben, natürlich berücksichtigt werden muß. Die von uns gebildete Einkommensschichtung unter-‘ stellt einen abnehmenden Einkommensbedarf für die weiteren Personen in Mehrpersonenhaushalten. Zwischen dem mit der Personenzahl gewichteten Haushaltseinkommen, das wir Einkommensniveau nennen, und der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen ist ein mittlerer Zusammenhang festzustellen. Anschaulich wird dieser Zusammenhang, wenn die Befragten nach der Höhe ihres gewichteten Haushaltseinkommens in Gruppen von 20% (Quintile) eingeteilt werden (vgl. Tab. 1). Im obersten Quintil sind 27% hochzu-frieden, im untersten sind 26% ziemlich unzufrieden. Dies sind die klar konsistenten Wohlfahrtspositionen. Die inkonsistenten Wohlfahrtspositionen, die „Dissonanten" (3% Unzufriedene im obersten Quintil) und die „Adaptierten" (6% Hochzufriedene im untersten Quintil) sind deutlich in der Minderheit. Die große Mehrheit der Befragten befindet sich in relativ konsistenten Wohlfahrtspositionen.

Tabelle 13: Ausgewählte Indikatoren der Lebensbedingungen und der wahrgenommenen Lebensqualität

Das Einkommensniveau kann die Einkommenszufriedenheit nur begrenzt erklären; damit bleibt die Frage offen, welche weiteren Determinanten sich feststellen lassen. Wir haben vor allem den Einfluß von Vergleichs-spannen auf die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen überprüft Als Vergleichs-spanne wird beispielsweise die wahrgenommene Differenz zwischen dem eigenen Haushaltseinkommen und dem Haushaltseinkommen eines durchschnittlichen Bundesbürgers bezeichnet Andere Vergleichsspannen betreffen die Differenz zwischen dem eigenen Haushaltseinkommen und dem Haushaltseinkommen von Freunden, dem Haushaltseinkommen vor fünf Jahren oder dem besten Haushaltseinkommen, das man noch erwartet. Die Ergebnisse darauf aufbauender multivariater Analysen stützen folgende Behauptungen: Die Einkommenshöhe beeinflußt die Einkommenszufriedenheit, aber die wahrgenommene relative Einkommensposition in der Einkommensschichtung ist für die Einkommenszufriedenheit von größerer Bedeutung. Der Abstand zwischen dem eigenen Haushaltseinkommen und dem Haushaltseinkommen eines durchschnittlichen Bundesbürgers ist die stärkste Determinante der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen. Je höher jemand das eigene Haushaltseinkommen über dem eines durchschnittlichen Bundesbürgers einstuft, desto zufriedener ist er (vgl. Tab. 2).

Die Einkommenszufriedenheit hängt darüber hinaus davon ab, wie man das eigene Haushaltseinkommen im Vergleich zum Einkommen von Freunden und Bekannten wahrnimmt. Dieses Ergebnis, daß die relative Einkommensposition einen starken Einfluß auf die Einkommenszufriedenheit hat, steht in Übereinstimmung mit soziologischen Theorien relativer Deprivation: Individuen fühlen sich depriviert, wenn sie sich im Vergleich zu ihren relevanten Bezugsgruppen schlechter gestellt sehen. Die Einkommenszufriedenheit hängt auch von der jeweiligen Erwartungsspanne ab. Je weiter entfernt das vorhandene Haushaltseinkommen von dem Haushaltseinkommen ist, das man noch zu erreichen glaubt, desto unzufriedener ist man mit dem Haushaltseinkommen. Hingegen ist der wahrgenommene Einkommensanstieg in den letzten fünf Jahren ohne Einfluß auf die Einkommenszufriedenheit Die Untersuchung des Einflusses von Einkommensänderungen in Wiederholungsbefragungen zeigt aber, daß Einkommenszuwächse nicht immer ohne Bedeutung sind: Der entscheidende Punkt ist daß sich eine Erhöhung der Einkommenszufriedenheit nicht einfach aus einem Einkommensanstieg, sondern aus einem überproportionalen Anstieg des eigenen Einkommens ergibt.

Aus den Determinanten der Einkommenszufriedenheit ergibt sich eine interessante Kon-sequenz. Es ist unmöglich, daß alle Bürger zugleich eine hohe Einkommenszufriedenheit erreichen; alle können sich nicht gleichzeitig überproportional verbessern, und jede relative Verbesserung des einen impliziert die relative Verschlechterung des anderen. Auch steigen die Einkommenserwartungen mit höherem Einkommen, was die Entstehung vollständiger Zufriedenheit verhindert.

Je unzufriedener die Bundesbürger mit ihrem Haushaltseinkommen sind, desto häufiger streben sie Verbesserungen an, sei es durch Überstunden, Nebentätigkeiten oder z. B. Untervermietung. In der wirtschaftlichen Stagnation sind solche Aktivitäten oft sehr begrenzt möglich. Die Folge davon wird sein, daß einerseits die nichtlegalen Aktivitäten zur Verbesserung des Einkommens zunehmen oder andererseits die Einkommensziele aufgegeben werden und Resignation eintritt. 3. Wohnbedingungen und Wohnzufriedenheit Die Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik hat, sieht man von der Wohnumwelt ab, nach einer langen Phase ständiger Verbesserungen ein hohes Niveau erreicht. Insgesamt liegt die Zufriedenheit mit der Wohnung viel höher als die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen; es ist aber bekannt, daß in mehreren Bereichen Spannungen zwischen Wohnungsbestand und Wohnungsbedarf bestehen. Festzustellen ist, daß die einkommensschwache Bevölkerungsgruppe mehrfache Wohnungsprobleme hat, doch ist kennzeichnend, daß verschiedene Gruppen von unterschiedlichen Wohnungsmängeln betroffen sind: Größere Haushalte haben oft keine ausreichende Raumzahl zur Verfügung, bei älteren Menschen fehlt häufig eine angemessene Wohnungsausstattung, verwitwete Rentnerfinnen) mit niedrigem Einkommen haben die höchste Wohnkostenbelastung. Beim Wohnungseigentum bestehen zwar zwischen Stadt und Land sehr große Unterschiede, aber erstaunlicherweise bestehen diese nicht zwischen den Berufsgruppen der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Hier haben vermutlich Vererbung und unterschiedliche Möglichkeiten der Selbsthilfe zu einer relativ gleichmäßigen Ausstattung beigetragen. Die Problem-gruppen, bei denen sich Wohnungsmängel kumulieren, sind Einkommensschwache, kinderreiche Familien, Rentner und die soge-nannten „neuen Nachfrager", junge Familien und junge Einpersonenhaushalte.

Die einzelnen Wohnbedingungen haben einen unterschiedlichen Einfluß auf die Wohnzufriedenheit Die stärksten Einflußfaktoren sind die Wohnungsausstattung und die Belegungsdichte der Wohnung; dann folgen das Eigentumsverhältnis und der Haustyp. Wer also im eigenen Haus wohnt, hat eine höhere Wohnzufriedenheit als jemand, der unter ähnlichen Bedingungen im gemieteten Haus wohnt; und die Bewohner von Einfamilienhäusern sind zufriedener als die Bewohner von Mehrfamilienhäusern (vgl. Tab. 3).

Die Belastung durch Wohnkosten hat erstaunlicherweise keine Bedeutung für die Wohnzufriedenheit. Dies besagt nicht unbedingt, daß hohe Belastungen durch Wohnkosten keine Unzufriedenheit hervorrufen, sondern nur, daß diese Unzufriedenheit sich nur sehr begrenzt auf die Wohnzufriedenheit auswirkt Von größerem Einfluß auf die Wohnzufriedenheit als die objektiven Wohnbedingungen sind wiederum die verschiedenen Vergleichsspannen. Etwas anders als bei der Einkommenszufriedenheit hängt die Wohnzufriedenheit vor allem davon ab, wie groß die Diskrepanz zwischen der zukünftig erwarTabelle teten und der jetzigen Wohnung ist. Aber auch die Vergleiche der eigenen Wohnung mit der Wohnung von Freunden und der eines durchschnittlichen Bundesbürgers sind relativ starke Determinanten der Wohnzufriedenheit. Wiederum stellt sich heraus, daß die wahrgenommene Verbesserung der Wohnung in den letzten fünf Jahren die Zufriedenheit mit der Wohnung nicht erhöht

Je unzufriedener nun jemand mit der Wohnung ist, desto häufiger hat er Veränderungsabsichten, aber auch bei hoher Zufriedenheit streben die Bundesbürger Verbesserungen der Wohnung an; Zufriedenheit bedeutet also nicht den Verzicht auf Veränderungsabsichten. Die häufigste Reaktion auf Wohnungsunzufriedenheit ist das Umziehen, was freilich ein entsprechendes Wohnungsangebot voraussetzt. 4. Erwerbstätigkeit und Qualität des Arbeitslebens Das Erwerbssystem steht in zweierlei Hinsicht im Zentrum gesellschaftspolitischer Kritik. Es ist einerseits zur Zeit nicht in der Lage, den Arbeitssuchenden in ausreichendem Umfang Arbeitsplätze anzubieten, und andererseits wird konstatiert, daß ein Bedeutungsverlust der Arbeit zu beobachten sei, die Erwerbstätigen weniger Leistungsbereitschaft zeigten und häufiger an ihrem Arbeitsplatz enttäuscht würden.

Die für das Individuum fatalen Konsequenzen der Arbeitslosigkeit kommen in einem sehr niedrigen Wohlbefinden der Arbeitslosen zum Ausdruck. Eine extrem niedrige Lebens-zufriedenheit, ein hoher Anteil unglücklicher Individuen, die häufig von Ängsten und Sorgen geplagt werden, sind ein Beleg für den Leidensdruck, der mit Arbeitslosigkeit verbunden ist. Die finanziellen Zuwendungen an die Arbeitslosen können nur die Einkommensprobleme mindern, nicht aber die subjektiven Wohlfahrtsdefizite, die durch Arbeitslosigkeit entstehen.

Für die Frage, was der Arbeitsplatz den Arbeitnehmern heute bedeutet, läßt sich zunächst anführen, welche Arbeitsplatzmerkmale ihnen wichtig sind (vgl. Tab. 4). Auf den ersten Plätzen der Prioritätenliste steht bei allen Berufsgruppen das gute Verhältnis zu den Kollegen. Dies ist zugleich eines von vielen Beispielen dafür, daß den Sozialbeziehungen der Individuen im allgemeinen eine überragende Bedeutung für ihr subjektives Wohlbefinden zukommt. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Verdienstmöglichkeiten sind die nächstwichtigen Arbeitsplatzmerkmale. Relativ gesehen weniger wichtig, aber bei einer großen Zahl der Bundesbürger immer noch sehr wichtig, sind die Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz, die Abwechslung bei der Arbeit und die Regelung der Arbeitszeit. Am Ende dessen, was die Bundesbürger aus unserer Liste an ihrem Arbeitsplatz für wichtig halten, stehen schließlich die Aufstiegschancen und das Prestige. Zwischen Arbeitnehmern unterschiedlicher beruflicher Stellungen bestehen teilweise starke Kontraste: Der Verdienst und die Sicherheit vor Entlassung ist den un-und angelernten Arbeitern, die Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz den höheren und gehobenen Beamten das wichtigste Anliegen. Ähnlich große Unterschiede zwischen den Berufsgruppen zeigen sich auch in der Zufriedenheit mit Arbeitsplatzmerkmalen. Die Beamten sind selbstverständlich mit der Sicherheit vor Entlassung am zufriedensten, aber mit den Aufstiegschancen ziemlich unzufrieden. Die größten Unterschiede zwischen den Berufsgruppen bestehen bei der Sicherheit vor Entlassung und der Abwechslung am Arbeitsplatz, und es sind erwartungsgemäß die un-und angelernten Arbeiter, die in beiden Dimensionen der beruflichen Tätigkeit die geringste Zufriedenheit haben. Auffallend ist, daß die gehobenen und höheren Beamten mit dem Prestige ihrer Tätigkeit am wenigsten zufrieden sind. Dies kann nur darauf beruhen, daß sie entsprechend der Theorie der relativen Deprivation ihre sozialen Vergleiche mit Personen vornehmen, die eine noch höhere Steilung als sie selbst einnehmen.

Die Frage, welches Gewicht der Zufriedenheit mit einzelnen Aspekten der Arbeitssituation für die Ausprägung der allgemeinen Arbeitszufriedenheit zukommt, läßt sich mit Hilfe einer multiplen Regressionsanalyse untersuchen. Daraus geht hevor, daß für die Arbeitnehmer insgesamt die Zufriedenheit mit den Möglichkeiten der selbständigen Gestaltung der Arbeit und die Zufriedenheit mit dem Verdienst die stärksten Determinanten der Arbeitszufriedenheit darstellen. Die extrinsische Belohnung des Verdienstes ist also offensichtlich genauso bedeutsam wie die intrinsische Belohnung durch mehr Selbstverwirklichung. Der Befund einer eher hohen Arbeitszufriedenheit spricht gegen die These, daß sich die Erwerbsarbeit in der Krise befindet. Es gibt allerdings in Teilbereichen Friktionen, beispielsweise daß der weitverbreiteten Aufstiegsorientierung nur begrenzte Aufstiegschancen gegenüberstehen. Durch die Arbeitsmarktlage sind zudem die Chancen, sich durch zwischenbetrieblichen Arbeitsplatzwechsel zu verbessern, stark eingeschränkt 5. Ehe, Familie und Haushalt Viele unserer Befunde bestätigen, daß der Zugehörigkeit zu kleinen Gruppen entscheidende Bedeutung für die Lebenszufriedenheit zukommt. Die Familie als der Bereich dauerhafter Sozialbeziehungen und des Zusammenlebens verwandtschaftlich verbundener Personen hat demnach einen besonderen Stellenwert. Familie und Haushalt sind zugleich Arbeitsbereich, und die produktiven Aktivitäten der Haushalte sind eine notwendige Ergänzung zum Erwerbssystem.

Zwar haben die Ehepartner zu einem großen -Teil partnerschaftliche Leitbilder für die Arbeitsteilung, aber die faktische Arbeitsteilung im Haushalt ist nach wie vor äußerst geschlechtsspezifisch. Die Männer übernehmen kaum traditionelle Hausarbeiten, leisten aber handwerkliche Arbeit bei Reparaturen und Renovierungen. Läßt man die Befragten ihre Leistung im Haushalt selbst benoten, so geben sich die Männer recht schlechte Noten, verglichen mit den Frauen; sie sind sich ihres Leistungsdefizits im Haushalt offensichtlich bewußt Männer bewerten ihre Leistung im Erwerbsleben viel besser als im Haushalt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Rede vom Verfall der Leistungsmoral im Arbeitsleben nicht sehr stichhaltig.

Die Zufriedenheit in Ehe und Familie ist, verglichen mit den anderen Lebensbereichen, am höchsten. Dies steht keinesfalls in Widerspruch zur Häufigkeit von Ehescheidungen. Es läßt sich vielmehr die Hypothese vertreten, daß gerade die hohen Anforderungen im Hinblick auf die Befriedigung von Bedürfnissen in Ehe und Familie dazu führen, daß die Scheidungshäufigkeit eher hoch liegt.

In mehreren Bereichen der Bewertung von Ehe, Familie und Haushaltsführung bestehen größere Differenzen zwischen Männern und Frauen; teilweise sind sie von den Familien-phasen abhängig (vgl. Tab. 5).

Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen bei der Zufriedenheit mit der Haushaltsführung; hier sind die Männer zufriedener als die Frauen. Noch größer sind die Zufriedenheitsunterschiede bei der Arbeitsteilung im Haushalt. Durchweg und angesichts der faktischen Arbeitsteilung nicht verwunderlich, sind die Männer weit zufriedener als die Frauen. Das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern wird insbesondere daran sichtbar, daß 32% der Frauen, aber nur 7% der Männer meinen, daß sie ihrer Familie mehr geben, als sie erhalten. Hier kommt die „Verzichtrolle" der Frau zum Ausdruck. Frauen berichten auch viel häufiger von Streit mit dem Ehepartner, und dieser Streit beeinträchtigt das individuelle Wohlbefinden sehr nachhaltig. Da wir diesen Unterschied zwischen Männern und Frauen auch im direkten Vergleich von Ehepartnern beobachten können, ist unsere Schlußfolgerung, daß Frauen Dissonanzen mit dem Partner sensibler wahrnehmen. Anders ist es beim Streit mit den Kindern; hier ist die Frau tatsächlich häufiger in Auseinandersetzungen einbezogen.

Die einseitige Bindung an den Haushalt wird durch die Erwerbstätigkeit der Frau überwunden. Einerseits bietet die Erwerbstätigkeit die Möglichkeit zu mehr sozialer Anerkennung und Selbstverwirklichung, andererseits ergibt sich daraus aber eine Doppelbelastung der Frau. Im Vergleich der Lebenszufriedenheit erwerbs-und nichterwerbstätiger Frauen zeigt sich zudem ein erstaunliches Ergebnis. Trotz der weitreichenden Veränderungen, die die Erwerbstätigkeit für die Frauen bedeutet, unterscheiden sich die ganztags erwerbstätigen, die zeitweise erwerbstätigen und die nichterwerbstätigen Frauen erstaunlich wenig; die Lebenszufriedenheit hat dasselbe Niveau. Die ganztags erwerbstätigen Frauen sind aber mit ihrer Freizeit klar unzufriedener. Dennoch scheint die Doppelbelastung bei den zeitweise erwerbstätigen Frauen ein größeres Problem darzustellen, weil sie weniger im Haushalt entlastet werden als die ganztags erwerbstätigen Frauen. Am unzufriedensten mit der Aufteilung der Arbeit im Haushalt sind aber die nichterwerbstätigen Frauen. In allen drei Kategorien erwerbstätiger und nichterwerbstätiger Frauen gibt es Frauen, die zufriedener und andere, die weniger zufrieden sind. Die Zufriedenheit hängt im wesentlichen davon ab, ob sich die Frauen mit ihrer jeweiligen Rolle identifizieren oder sie unter Druck ausüben.

Wichtigster Lebensbereich ist für den Bundesbürger die Familie. In multivariaten Analysen zeigt sich ein sehr starker Einfluß der Familienzufriedenheit auf die Lebenszufriedenheit. Beides belegt die herausragende Bedeutung der Familie für das subjektive Wohlbefinden. 6. Gesundheit und soziale Integration „Gesundheit ist ein Zustand vollständigen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen" — so lautet eine Definition der World Health Organisation, die sich unmittelbar in das Konzept der Lebensqualität einfügt. Dabei ist von einem Kontinuum des gesundheitlichen Befindens auszugehen, das von völligem Wohlbefinden bis hin zu massiven Gesundheitsproblemen und dauerhaften Beeinträchtigungen reicht: über allgemeine Erschöpfungssymptome klagt gut die Hälfte der Bundesbürger, häufige Kopfschmerzen haben immerhin ein Drittel, unter starkem Herzklopfen leiden 10% der Befragten; 15% haben eine andauernde Krankheit oder Behinderung, durch die sie gezwungen wurden, ihren Beruf zu wechseln oder ihr Leben ganz umzustellen; 2% der erwachsenen Bundesbürger sind gegenwärtig pflegebedürftig. Ein Drittel der Befragten nimmt regelmäßig Medikamente ein. Dies bestätigt eine weite Verbreitung von Gesundheitsproblemen; sie sind der Regelfall und nicht die Ausnahme. Für alle Symptome gilt, daß sie mit steigendem Alter viel häufiger auftreten und daß Frauen stärker davon betroffen sind als Männer. Die Krankheitssymptome haben — nicht überraschend — einen außerordentlich starken Einfluß auf die Gesundheitszufriedenheit; sie wirken sich zugleich stark auf die Lebenszufriedenheit aus. Die Voraussetzung dafür, daß grundlegende Bedürfnisse nach emotionaler Zuwendung und sozialer Bestätigung befriedigt werden können, ist soziale Integration. Soziale Beziehungen wie die zu einem Ehepartner, zu einem engen Freund, zu Nachbarn oder die Mitgliedschaft in einer Organisation sind jeweils bei mehr als der Hälfte der Bundesbürger vorhanden (vgl. Tab. 6); die große Mehrheit der Befragten hat mehrere dieser Sozial-beziehungen. Nur ein kleiner Anteil von 1 % der Befragten ist ohne einen einzigen dieser meist positiv bewerteten Sozialkontakte. Alter und Geschlecht erweisen sich auch hier als bedeutsame Einflußfaktoren: Der Mangel an Sozialbeziehungen ist vor allem im Alter ein Problem, und Männer sind stärker sozial integriert als Frauen.

Die Probleme, die durch weniger gute oder fehlende Einbindung in Sozialbeziehungen entstehen, spiegeln sich deutlich in den hohen Anteilen Unzufriedener, Unglücklicher und Einsamer unter den Personen ohne positive Sozialbeziehungen wider. Vor allem alleinlebende Personen, die außerdem auch ohne Freunde sind, haben ein niedriges subjektives Wohlbefinden. Die verschiedenen Maße des subjektiven Wohlbefindens hängen deutlich von der gesundheitlichen Situation und den vorhandenen Sozialbeziehungen ab. Es zeigt sich, daß die Freunde dann sehr große Bedeutung für das subjektive Wohlbefinden erhalten, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen. Der informellen Hilfe, dem „social Support", kommt insbesondere in Krankheitsphasen große Bedeutung zu. 7. Politische und soziale Beteiligung In der Bundesrepublik sind im Hinblick auf politische, kirchliche und Vereinsbeteiligung klare Trends festzustellen: Einer gesunkenen Beteiligung im kirchlichen Bereich stehen eine gestiegene Vereinsbeteiligung sowie neue Verhaltensweisen im Bereich der politischen Partizipation gegenüber. Indikatoren der politischen Beteiligung sind die Teilnahme an einer Unterschriftenaktion (39% der Bundesbürger taten dies), Kontaktaufnahme mit einem Politiker (18%) und Teilnahme an einer Demonstration (8%). Nicht wenige Befragte haben sich an mehreren dieser Arten beteiligt; aber über die Hälfte der Befragten hat keine dieser Formen politischer Partizipation ausgeübt. Die Häufigkeit politischer Beteiligung hängt vor allem mit dem Bildungsniveau zusammen; die politischen Beteiligungsformen sind aber teilweise auch geschlechts-und alterstypisch. An einer Unterschriftenaktion haben sich beispielsweise junge Menschen bald dreimal häufiger als alte Menschen beteiligt. Die Mitglieder von Gewerkschaften, beruflichen Vereinigungen, Parteien und Bürgerinitiativen sind dabei weitaus häufiger aktiv als die Nichtmitglieder. Ein auslösender Faktor für politische Beteiligung ist eine gewisse Unzufriedenheit mit dem eigenen Einfluß auf politische Entscheidungen; aber auch die sich wandelnden Wertvorstellungen tragen dazu bei, politisch aktiv zu werden. Die Aufgliederung der Bundesbürger unter dem Gesichtspunkt ihrer Wertorientierungen verwendet häufig die Kategorien „materialistische" (40%) und „postmaterialistische Werte“ (12%) sowie die „Mischtypen" (48%) („Inglehart-Index"). Die „Postmaterialisten” sind die Träger von Innovationen im Wertsystem, und sie sind um ein Vielfaches politisch aktiver als die „Materialisten“. Dies wird auf Dauer den neuen Werten zu einer stärkeren Verbreitung verhelfen. In den siebziger Jahren ist allerdings keine Zunahme des Anteils der Postmaterialisten in der Bundesrepublik zu beobachten gewesen. Die kirchliche Beteiligung in Form des Kirchgangs ist angesichts des hohen Organisationsgrades der Kirchen (92% sind Mitglieder einer Kirche) nicht besonders hoch. In beiden Kirchen ist der Kirchenbesuch zurückgegangen, die kirchlichen Bindungen haben sich gelockert. Daß Kirchennormen keine Verbindlichkeit mehr haben, zeigt sich beispielsweise daran, daß die generelle Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs, wie es die katholische Kirche verlangt, auch von den Katholiken, die regelmäßig zur Kirche gehen, mehrheitlich nicht geteilt wird. Der Glaube wird allgemein von der Bevölkerung nicht als sehr wichtig angesehen, und Glaubensdefizite, die von einem Teil der Befragten empfunden werden, beeinträchtigen kaum die Lebenszufriedenheit. Eine gestiegene Vereinsbeteiligung ist an der erreichten hohen Mitgliederzahl der Vereine ablesbar. 39% der Männer und 20% der Frauen sind Vereinsmitglieder. Unterrepräsentiert sind in den Vereinen in erster Linie alte Menschen und Hausfrauen. Die Zufriedenheit mit den Möglichkeiter, sich in Vereinen zu betätigen, ist allerdings insgesamt relativ niedrig, insbesondere bei den Nichtmitgliedern. Ein weiteres Indiz dafür, daß eine Diskrepanz zwischen dem Angebot der Vereine und den Ansprüchen älterer Bürger besteht, ist darin zu sehen, daß die Zufriedenheit mit den Möglichkeiten, sich in Vereinen zu beteiligen, mit steigendem Alter deutlich zurückgeht.

19% der Bundesbürger sind weder in einem Verein organisiert, noch gehen sie zur Kirche oder beteiligen sich politisch. Dies bedeutet eine gewisse soziale Isolation, die in einem niedrigen Wohlbefinden ihren Ausdruck findet. Vor allem für die Alleinlebenden erweist sich die politische und soziale Beteiligung als eine Möglichkeit, Isolation und Einsamkeit zu überwinden.

III. Subjektives Wohlbefinden

Tabelle 3: Wohnungszufriedenheit in Abhängigkeit von Wohnformen

1. Positive Konzepte subjektiven Wohlbefindens Von den vielen Möglichkeiten, individuelles Wohlbefinden zu beschreiben, werden die Begriffe „Zufriedenheit" und „Glück" sowohl umgangssprachlich als auch in sozialwissenschaftlichen Studien vorrangig verwendet. Zufriedenheitsangaben können sich auf zahlreiche Sachverhalte beziehen: auf spezifische Merkmale individueller Lebensbedingungen, wie z. B. Zufriedenheit mit der Wohnungsgröße, auf ganze Lebensbereiche, wie z. B. Zufriedenheit mit der Wohnung, und auf das subjektive Wohlbefinden insgesamt, wie z. B. Zufriedenheit mit dem Leben. „Zufriedensein“ ist im Vergleich zum „Glücklichsein“ eine eher kognitive Bewertung und hängt insbesondere von sozialen Vergleichen mit wichtigen Bezugsgruppen und davon ab, was jemand wünscht, erwartet, erhofft und anstrebt. „Glück" ist ein eher affektiver Zustand und scheint sich aus dem Verhältnis positiver und negativer Erfahrungen und Erlebnisse eines Individuums zu ergeben. Man kann davon ausgehen, daß die meisten Menschen nach Zufriedenheit und Glück streben und daß dauerhafte Unzufriedenheit und dauerhaftes Unglücklichsein eine extreme psychische Belastung darstellen. Individuen haben, um ihre Unzufriedenheit zu verringern, entweder die Möglichkeit, ihre Lebensumstände zu verändern oder ihre Anspruchshaltung anzupassen. Insofern sind die Ergebnisse der „Wohlfahrtssurveys vieler Länder nicht überraschend, nach denen eine Mehrheit der befragten Menschen mit ihrem Leben — alles in allem — eher zufrieden ist. Ebenso verhält es sich in der Bundesrepublik.

Im Durchschnitt liegt die Lebenszufriedenheit bei 7, 8 (1978) bzw. 7, 7 (1980, 1984) auf der Skala von 0 bis 10 (vgl. Tab. 7); sie ist damit erstaunlich stabil.

Für die Erfahrung von Glück gilt die gleiche Tendenz (vgl. Tab. 8).

Man könnte diesen Ergebnissen zufolge die Bevölkerung in der Bundesrepublik als weitgehend zufrieden und glücklich bezeichnen, weil sie sich mehrheitlich selbst so sieht. Dies erscheint aus einer manchmal anzutreffenden philosophischen und psychologischen Perspektive, die den Begriff des Glücks so hoch ansetzt, daß „alles menschliche Verlangen endgültig gestillt ist und keinerlei Unzulänglichkeit mehr besteht", nicht gerade stichhaltig. Aber der Glücksbegriff wird in solchen Ansätzen offensichtlich weit entfernt von den Glücksvorstellungen im Alltag der Menschen gebraucht. Zweifellos ist festzustellen, daß sich verschiedene Individuen im Vergleich und dasselbe Individuum im Zeitablauf unterschiedlich glücklich fühlen. Dieses Glück ist eine Frage persönlicher Erlebnisse und Maßstäbe und kann sich auch in schwierigen Lebenssituationen einstellen. 2. Negative Konzepte subjektiven Wohlbefindens Unter den Gesichtspunkten von „Lebenszufriedenheit“ und „Glück“ vermittelt die westdeutsche Bevölkerung den Eindruck eines eher hohen Wohlbefindens. Dieses Bild ändert sich, wenn die Fragestellung auf negative Aspekte des subjektiven Befindens gerichtet wird, auf „Besorgnis", . Anomie“, „Sorgen und Schwierigkeiten“. Unter „Besorgnis" verstehen wir negative mentale Erfahrungen der Individuen (vgl. Tab. 9).

Es zeigt sich, daß ein großer Teil der Befragten von Beeinträchtigungen des Wohlbefindens berichtet. 1978 und 1984 waren die Größenordnungen ähnlich. Dies scheint schwer damit vereinbar, daß sich 90 % der Befragten als mit dem Leben weitgehend zufrieden bezeichnen. Die Schlußfolgerung, die sich daraus für das Zufriedenheitskonzept ergibt, ist daß Zufriedenheit nicht mit der Abwesenheit negativer individueller Erfahrungen und Empfindungen gleichgesetzt werden darf. Auch bei den Hochzufriedenen nennt ein nicht unerheblicher Anteil der Befragten Besorgnissymptome; zwischen den einzelnen Symptomen und der Lebenszufriedenheit besteht jedoch eine klare negative Beziehung. Zufriedenheit mit dem Leben tritt also auch auf, wenn ein im Einzelfall unterschiedliches Maß an subjektiven Belastungen wahrgenommen wird. Ähnliche Ergebnisse erhalten wir bei der Messung der Verbreitung von . Anomie", d. h. von Gefühlen der „Machtlosigkeit“, „Sinnlosigkeit" und „Einsamkeit“.

Besorgnis und Anomie geben relativ allgemeine Beeinträchtigungen individuellen Wohlbefindens wieder. Die konkreten Probleme in Haushalten und Familien werden deutlich, wenn die Befragten selbst zu Wort kommen. Ein Großteil der Bundesbürger (44 %) berichtet auf eine entsprechende offene Frage von „Sorgen und Schwierigkeiten in der Familie“. Am weitesten verbreitet sind „Sorgen und wegen Krankheiten, Behinderungen und Altersbeschwerden. Ein Drittel der Antworten betrifft solche Probleme. Beispiele für entsprechende Sorgen sind „meine angeschlagene Gesundheit“, „die Krankheiten der Kinder“, „mein Mann ist pflegebedürftig", „meine schwere Krankheit — daß ich ganz auf die Hilfe von Nachbarn angewiesen bin“. Nach der Häufigkeit der Nennungen folgen auf die „Gesundheitssorgen" „finanzielle Probleme“, „Ehe-/Familien-und Haushaltsprobleme“ und „Schul-und Ausbildungsprobleme“, die jeweils in elf bis dreizehn Prozent der Antworten genannt werden. Bei diesen Sorgen und Schwierigkeiten bedeutet es einen Unterschied für das subjektive Wohlbefinden, ob sie leicht überwindbar oder langfristig unabwendbar erscheinen. Der Belastungsdruck, der mit der Unüberwindlichkeit von Sorgen und Schwierigkeiten verbunden ist, macht sich in einer niedrigen Lebens-zufriedenheit bemerkbar. 3. Verlaufsmuster für die Lebenszufriedenheit Die späten siebziger Jahre sind durch eine Zunahme gesellschaftlicher Probleme gekennzeichnet, und es fragt sich, ob Änderungen des gesellschaftlichen Klimas sich im subjektiven Wohlbefinden niedergeschlagen haben. Das „Reformklima" zu Beginn der siebziger Jahre unterscheidet sich sicher erheblich vom „Problemklima" beim Übergang in die achtziger Jahre. Mit „Problemklima" ist die Zunahme von Problemen wie strukturelle Arbeitslosigkeit, Wachstumsschwäche der Wirtschaft, ökologische Belastung, Überbeanspruchung der öffentlichen Haushalte usw. gemeint. Die Frage ist, ob die Zunahme dieser Probleme, die doch in den Massenmedien ständig thematisiert werden, eine Entsprechung auf der Ebene individuellen Wohlbefindens hat. Die Lebenszufriedenheit hat sich, wie wir gesehen haben, zwischen 1978 und 1984 nicht verändert. Etwas anders verhält es sich mit den individuellen Zufriedenheitsverläufen. Die allgemeine Zufriedenheit mit dem Leben wurde dazu für drei Zeitpunkte mit Hilfe der sonst auch verwendeten Zufriedenheitsskala erfragt: für die Gegenwart, vor fünf Jahren und in fünf Jahren. Mit den Angaben auf den drei Zufriedenheitsskalen erhält man für jedes Individuum einen Zufriedenheitsverlauf, der eine subjektive Gesamtbeurteilung des Lebensverlaufs in einer Dekade darstellt. Die Befragten bringen damit zum Ausdruck, ob sie ihren vergangenen Lebensverlauf als Aufstieg, als Stagnation oder als Niedergang subjektiv wahrnehmen; sie zeigen auch an, ob sie optimistische oder pessimistische Zukunftserwartungen haben.

Von neun möglichen Verlaufsmustern der Lebenszufriedenheit dominiert 1978, 1980 und 1984 das Muster mit einer konstanten Zufriedenheit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (vgl. Tab. 10). Etwa ein Drittel der Befragten sieht die eigene Lebenszufriedenheit als langfristig gleichbleibend an. Die zweitstärkste Gruppe bilden in allen drei Jahren die Befragten mit einem in der Vergangenheit ansteigenden und dann gleichbleibenden Zufriedenheitsverlauf. Noch 1978 ist die Gruppe mit einem ständig steigenden Zufriedenheitsverlauf am drittgrößten. Ihr An-15 teil sinkt im Lauf der Jahre stark ab. Diejenigen, die eine ständige Verschlechterung sehen, nehmen zu. Der Anteil derjenigen, die eine Verringerung ihrer Lebenszufriedenheit in den vergangenen fünf Jahren wahrnehmen, steigt von 14% (1978) über 18% (1980) auf 21 % (1984). Noch stärker ist der Rückgang der erwarteten Zufriedenheit; der Anteil der Befragten, die in Zukunft eine niedrigere Lebenszufriedenheit erwarten als sie heute haben, hat sich verdoppelt; 1978 waren es 11 %, 1984 um 23 %. Beim Übergang in die achtziger Jahre verschlechtert sich zwar nicht die gegenwärtige Lebenszufriedenheit, es verstärkt sich aber ein pessimistischeres Erwartungsklima im Bereich der subjektiven Wohlfahrt, das sich 1980 bereits abzeichnet und 1984 weiter anhält. 4. Zufriedenheitsunterschiede nach Lebensbereichen Die Lebensverhältnisse von Individuen und Haushalten sind durch vertikale Ungleichheiten und horizontale Disparitäten gekennzeichnet. Im Vergleich zur Messung vertikaler Ungleichheit, etwa der Unterschiedlichkeit der Haushaltseinkommen, ist es viel schwieriger, horizontale Disparitäten zwischen Lebensbereichen zu messen. Wie etwa sollen das Einkommen mit der Gesundheit oder die Wohnverhältnisse mit der öffentlichen Sicherheit verglichen werden? Eine Lösung für dieses Problem besteht in der Verwendung von Zufriedenheitsskalen.

Im Wohlfahrtssurvey 1978 sind insgesamt 31 Zufriedenheitsfragen gestellt worden, die zum größten Teil von allen Befragten beantwortet werden konnten, wie etwa die Frage nach der Zufriedenheit mit der Gesundheit; zum kleineren Teil sind die Fragen nur für Teilgruppen der Bevölkerung zutreffend, wie die Frage nach der Zufriedenheit mit dem Beruf. Die Zufriedenheitsskalen enthalten einheitlich die Werte von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zufrieden). Für eine vereinfachende Darstellung wird das Zufriedenheitsniveau in einem Lebensbereich gekennzeichnet durch den Anteil der „eher Zufriedenen“ (Skalenwerte 6 bis 10), den Anteil der „Hochzufriedenen“ (Skalenwert 10), den Anteil der „eher Unzufriedenen" (Skalen-werte 0 bis 4) und den Durchschnittswert auf der Zufriedenheitsskala.

Die Unterschiedlichkeit der Zufriedenheitsniveaus im Vergleich der vielfältigen Lebensbereiche rückt die Behauptung zurecht, daß Zufriedenheitsmessungen stets zu einem hohen Zufriedenheitsniveau führen. Es stellt sich zwar heraus, daß es kaum Bereiche gibt, in denen der Anteil „eher Unzufriedener“ erheblich größer ist als der Anteil „eher Zufriedener". Aber der Anteil „eher Zufriedener“ variiert im Vergleich der Lebensbereiche 1978 zwischen 40% und 97 %, 1984 zwischen 22% und 95 % erheblich. Ein Anteil von 77 % „eher Zufriedener" (Zentralwert im Jahre 1978) kann als ein empirischer Anhaltspunkt für ein mittleres Zufriedenheitsniveau betrachtet werden. Gemessen am Durchschnittswert auf der Zufriedenheitsskala liegt dieses mittlere Zufriedenheitsniveau bei 7, 2; die Spannweite dieser Durchschnittswerte reicht 1978 immerhin von 5, 0 bis 9, 0; 1984 von 3, 8 bis 8, 8. Dem mittleren Zufriedenheitsniveau entspricht 1978 die Zufriedenheit mit den Möglichkeiten, eigenen „Neigungen, z. B. Hobbys, Sport, Musik, nachzugehen"; dicht darunter liegt das Zufriedenheitsniveau mit dem „Netz der sozialen Sicherung" und den „demokratischen Einrichtungen in unserem Land“, dicht darüber das Zufriedenheitsniveau mit der Gesundheit und den Arbeitsbedingungen. Die höchsten Zufriedenheitsniveaus finden sich bei der Zufriedenheit mit der Ehe bzw. Partnerschaft, bei der Zufriedenheit mit dem Familienleben und der Zufriedenheit damit, wie der eigene „Haushalt funktioniert"; die niedrigsten Zufriedenheitsquoten ergeben sich bei der Zufriedenheit mit der „öffentlichen Sicherung und der Bekämpfung von Kriminalität" sowie der Zufriedenheit „mit dem Umweltschutz in unserem Land“.

In dieser Polarisierung vermitteln die Ergebnisse den Eindruck, daß Lebensbereiche, die der öffentlichen Sphäre zuzurechnen sind, der Tendenz nach ein niedrigeres Zufriedenheitsniveau haben als Lebensbereiche, die der privaten Sphäre zuzurechnen sind. Dafür sind freilich zwei Erklärungen denkbar. Einerseits besteht die Möglichkeit, daß die Befriedigung von Bedürfnissen und Ansprüchen im privaten Bereich tatsächlich höher ist als im öffentlichen Bereich. Dies stünde in Übereinstimmung mit der alten These von einem Un-gleichgewicht zwischen privater und öffentlicher Versorgung, pointiert gesagt, von privatem Reichtum und öffentlicher Armut. Es ist aber auch nicht auszuschließen, daß die Bereitschaft und Neigung, im Hinblick auf öffentliche Angelegenheiten Unzufriedenheit zu zeigen, höher ist als im Hinblick auf private Angelegenheiten. Zu beachten ist dabei jedoch, daß innerhalb verschiedener privater bzw. verschiedener öffentlicher Bereiche immer noch eine beträchtliche Streuung der Zufriedenheit besteht. Auch im öffentlichen Bereich finden sich relativ hohe Zufriedenheitsniveaus, wie die Zufriedenheit mit dem „Netz der sozialen Sicherung", und ganz niedrige Zufriedenheitsniveaus, wie die Zufriedenheit mit „dem Umweltschutz in unserem Land". 5. Vergleich 1978/1984 Einzelne Bereichszufriedenheiten ändern sich im Vergleich von 1978 mit 1984 stärker als die beinahe ultrastabile allgemeine Lebenszufriedenheit (vgl. Tab. 11). Die stärksten Veränderungen ergeben sich bei der Zufriedenheit mit dem Umweltschutz, die bereits 1978 am niedrigsten war; der Durchschnittswert fällt von 5, 0 auf 3, 8. 1984 ist dies der erste der von uns abgefragten Bereiche, in dem eine Mehrheit von „eher Unzufriedenen" einer Minder-heit von „eher Zufriedenen“ gegenübersteht. Die zunehmenden Umweltprobleme und deren Thematisierung in den Massenmedien sind der Hintergrund, auf dem sich diese Unzufriedenheit entwickelt hat. Verringert hat sich auch die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen; dies dürfte auf die Folgen der ökonomischen Stagnation und die Einschränkung der staatlichen Transfereinkommen zurückzuführen sein. Ein dritter Bereich mit leichten Verschlechterungen ist die Ehe-zufriedenheit; sie ist vor allem bei den Männern gesunken, die bisher eine deutlich höhere Ehezufriedenheit als die Frauen hatten. Höhere Zufriedenheitsniveaus finden wir in den Bereichen Wohnung, Ausbildung, Arbeitsplatz sowie öffentliche Sicherheit und Bekämpfung der Kriminalität; die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard und mit der sozialen Sicherung ist unverändert geblieben. Die Veränderungen zu geringerer und höherer Zufriedenheit zwischen 1978 und 1984 scheinen sich im großen und ganzen die Waage zu halten; weder erfolgte ein Umschwung zu mehr Zufriedenheit noch verschlechterte sich die Zufriedenheit in einer markanten Weise. 6. Zufriedenheitsunterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen Für die Hypothese, daß Einkommen, Bildung, Alter und Geschlecht die Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen beeinflussen, gibt es theoretisch plausible Begründungen: Eine höhere Zufriedenheit bei höherem Haushaltseinkommen wird darauf beruhen, daß ein hohes Einkommen nicht nur mehr Kaufkraft bringt, sondern auch mehr Ansehen und mehr Einfluß und insgesamt eine vielfach einsetzbare Ressource darstellt. Eine Zunahme der Unzufriedenheit bei höherer Bildung wäre damit zu erklären, daß ein höheres Bildungsniveau die Kenntnis von Alternativen erweitert und statusbedingte Erwartungen und Ansprüche erhöht, die leicht zu relativer Deprivation führen können. Die oft zitierte höhere Zufriedenheit alter Menschen kann darauf zurückzuführen sein, daß diese im Laufe ihres Lebens ihre Erwartungen und Lebensbedingungen aneinander angepaßt haben. Eine höhere Unzufriedenheit von Frauen läßt sich mit geschlechtsspezifischen Privilegien der Männer begründen.

Sollten diese Faktoren die Zufriedenheit in zahlreichen Lebensbereichen beeinflussen, dann würde die zukünftige Entwicklung der Zufriedenheit von zwei gegensätzlichen Trends bestimmt: Durch den zunehmenden Anteil alter Menschen würde das Zufriedenheitsniveau ansteigen und durch die anhaltende Bildungsexpansion würde es verringert Doch die Ergebnisse unserer Analysen sprechen nicht dafür, daß dies eintreten wird.

Der Einfluß des Alters ist bei der Zufriedenheit mit der Gesundheit — sie sinkt mit zunehmendem Alter — und der Zufriedenheit mit der Kirche — sie steigt mit zunehmendem Alter — am stärksten. Mit höherem Alter steigt auch die Zufriedenheit mit der Freizeit und sinkt die Zufriedenheit mit der öffentlichen Sicherheit. Im Einfluß des Faktors Geschlecht kommt zum Ausdruck, daß Frauen in vielen Leberisbereichen unzufriedener sind, insbesondere damit, „wie weit sie es im Leben gebracht haben". Vom Einkommens-niveau geht ein Einfluß auf zahlreiche Lebensbereiche aus; anders als bei Alter, Geschlecht und Bildung hängt von ihm auch die allgemeine Lebenszufriedenheit ab. Bildung beeinflußt im Vergleich zu den anderen Merkmalen die Zufriedenheit in relativ wenigen Lebensbereichen, und zwar häufiger positiv als negativ. Der Einfluß auf die Zufriedenheit geht bei den Merkmalen Alter, Geschlecht und Bildung allem Anschein nach nicht von den Merkmalen selbst aus, sondern von damit verbundenen Lebensbedingungen und Einstellungen.

Uber die Richtung der Zufriedenheitsunterschiede sind folgende Feststellungen zu machen: Ein hohes Einkommensniveau wirkt sich positiv auf die Zufriedenheit in zahlreichen Lebensbereichen aus. Im Kontrast von „armen“ und „reichen“ Haushalten kommt dies darin zum Ausdruck, daß Angehörige von armen Haushalten in fast der Hälfte der Lebensbereiche weniger zufrieden sind als Angehörige reicher Haushalte. Der Zufriedenheitsunterschied ist natürlich beim Haushaltseinkommen und beim Lebensstandard besonders groß.

Von Personen mit höheren Bildungsabschlüssen wird oft behauptet, daß sie kritikfreudiger und anspruchsvoller und deshalb eher unzufrieden seien als Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen. Werden Befragte mit Abitur und Befragte mit Hauptschulabschluß gegenübergestellt, so zeigt sich allerdings, daß in den meisten Lebensbereichen keine Unterschiede im Zufriedenheitsniveau bzw. Unzufriedenheitsniveau bestehen. In mehreren Bereichen trägt der höhere Bildungsabschluß auch zu einem höheren Zufriedenheitsniveau bei. Eine höhere Unzufriedenheit der Personen mit Abitur ist gegenwärtig nur in vier Bereichen anzutreffen: Dies sind Umweltschutz, Wohngegend, Kirche und Familienleben. Junge Menschen gelten oft als unzufriedener als alte Menschen; dies bestätigt sich auch in unseren Analysen. Es gilt zwar nicht generell, daß ein Befragter um so zufriedener ist, je älter er ist, aber bei Kontrastgruppen von jungen Befragten (25 Jahre und jünger) mit alten Befragten (65 Jahre und älter) findet man eindeutige Ergebnisse. Die Jungen sind in zwei Dritteln der untersuchten Lebensbereiche einschließlich der Lebenszufriedenheit unzufriedener als die Alten und nur in drei Bereichen zufriedener. Generationskonflikte und Jugendproteste haben vermutlich eine Wurzel in diesen unterschiedlichen Zufriedenheitsprofilen von Alten und Jungen.

Die Zufriedenheitsunterschiede zwischen Männern und Frauen sind eindeutiger, als die meisten erwarten werden: In zehn von 26 Bereichen besteht ein signifikanter Unterschied zuungunsten der Frauen. Nur in einem Bereich, der Kirche, sind Frauen zufriedener als Männer. Eine höhere Unzufriedenheit der Frauen findet sich sowohl im beruflichen Bereich (Ausbildung, Beruf, Aufstiegsmöglichkeiten), im öffentlichen Bereich (Betätigung in Vereinen, politische Betätigung, öffentliche Sicherheit), wie auch im familiären Bereich (Familie, Partnerschaft). Die geringere Zufriedenheit der Frauen zieht sich demnach durch sehr verschiedene Lebensbereiche.

Die relative Unzufriedenheit der Frauen stellt den Resonanzboden für die emanzipatorischen Forderungen der Frauenbewegung dar, die sich vor allem auf Gleichberechtigung im Berufsleben beziehen. Die Berufstätigkeit als solche trägt aber bisher nicht dazu bei, daß Frauen und Männer ein übereinstimmendes Zufriedenheitsniveau erreichen. Die ganztags berufstätigen Frauen sind nämlich unzufriedener als die ganztags berufstätigen Männer und haben die gleiche Lebenszufriedenheit wie die teilweise und nichterwerbstätigen Frauen. 7. Wichtigkeit, Zufriedenheit und Unzufriedenheit Grundlage der folgenden Befunde sind drei Fragen, in denen die Befragten aufgefordert wurden, unter 22 Lebensbereichen die drei auszuwählen, die für sie persönlich am wichtigsten sind; im gleichen Zusammenhang sollten die drei Lebensbereiche genannt werden, in denen die persönliche Zufriedenheit am höchsten ist, und die drei Lebensbereiche, in denen sie am unzufriedensten sind. Mit diesen Fragen wird erreicht, daß die Prioritäten der Befragten deutlicher hervortreten als bei einer Serie von Zufriedenheitsskalen, in der jeder Lebensbereich eingestuft wird.

Die Wichtigkeitsrangfolge der Lebensbereiche aus der Sicht der westdeutschen Bevölkerung hat eine eindeutige Struktur: Gesundheit steht ganz vorne, weit vor allen anderen Lebensbereichen; mehr als zwei Drittel der Befragten nennen die Gesundheit unter ihren drei wichtigsten Anliegen. Mit deutlichem Abstand folgen Familienleben und Ehe bzw. Partnerschaft; diese primären Sozialbeziehungen gehören zu den wichtigsten Anliegen von nahezu der Hälfte der Befragten. Auf den folgenden beiden Rangplätzen liegen materielle Anliegen, nämlich die soziale Sicherung und das Einkommen; etwa 20 % nennen diese beiden Bereiche unter ihren drei wichtigsten. Für etwa 15 % der Befragten sind Beruf und Wohnung besonders wichtig, danach folgen Lebensstandard und Freizeit in der Wichtigkeitsrangfolge. Alle übrigen Bereiche sind nur für Minderheiten von vorrangiger Wichtigkeit. Von eindeutiger Dominanz unter den Anliegen der westdeutschen Bevölkerung sind also Gesundheit, familiäre Sozialbeziehungen und materielle Existenzsicherung.

Der Zusammenhang zwischen Zufriedenheits-, Unzufriedenheits-und Wichtigkeitsrangfolge gibt zusätzliche Informationen zur Beurteilung des Zufriedenheitsniveaus. Zwischen der Zufriedenheits-und Wichtigkeitsrangfolge der Lebensbereiche besteht eine enge positive Korrelation, die in einem Rang-koeffizienten von . 85 zum Ausdruck kommt. Dies bedeutet, daß die Zufriedenheit der westdeutschen Bevölkerung in jenen Bereichen besonders hoch ist, die von ihr als wichtig angesehen werden. Es besteht also eine Koinzidenz von Zufriedenheit und Wichtigkeit der Lebensbereiche. Zwischen Wichtigkeit und Unzufriedenheit gibt es auf der Aggregatebene (Rangkorrelation . 13) keinen erwähnenswerten Zusammenhang. Eine solche Konstellation ist als Anzeichen gesellschaftlicher Stabilität zu werten, während die gegenteilige Konstellation, Unzufriedenheit in den wichtigen Lebensbereichen, Instabilität impliziert. 8. Die Erklärung der Lebenszufriedenheit Die Zufriedenheit mit dem Leben „alles in allem“ stellt eine übergreifende Bewertung des individuellen Wohlbefindens dar, die zu erklären die Wohlfahrtsforschung herausgefordert ist. Es ist naheliegend, die Lebenszufriedenheit als Zusammenfassung der Zufriedenheiten in den einzelnen Lebensbereichen aufzufassen; sie wäre demzufolge eine Art Bilanz der Zufriedenheit mit der Familie, dem Beruf, dem Lebensstandard und den anderen Bereichszufriedenheiten. Lebenszufriedenheit ist in statistischen Analysen, so lautet das Ergebnis multipler Regressionsanalysen in verschiedenen Untersuchungen, gut durch die Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen zu erklären. Damit ist das Problem einer Erklärung der Lebenszufriedenheit allerdings nicht gelöst, sondern auf die Frage verschoben, wovon die Zufriedenheit in den Lebensbereichen abhängt. Eine Antwort auf diese Frage wird mit unterschiedlichen Ansätzen versucht: Die einfachste Hypothese ist, daß die Zufriedenheit in einem Lebensbereich auf den dort vorhandenen Bedingungen beruht Es wird dann beispielsweise gezeigt, daß die Zufriedenheit mit der Wohnung auf die Merkmale der Wohnung zurückzuführen ist. Dieser strikte Einfluß der Lebensbedingungen auf die Zufriedenheit wird aber durch zahlreiche „Störgrößen" modifiziert Die Forschung hat inzwischen nachgewiesen, daß dafür methodische und theoretische Einflußfaktoren verantwortlich sind. Ein Einfluß geht auch von sozialdemographischen und sozioökonomischen Merkmalen aus, allerdings ist er nicht sehr stark. Die bisher erfolgreichste Erklärungsstrategie betrachtet Vergleichsprozesse, in denen die eigenen Lebensbedingungen mit denen von Bezugsgruppen und den eigenen Erwartungen verglichen werden, als die zentralen Determinanten von Zufriedenheit. 9. Die zufriedene Gesellschaft — eine unerreichbare Utopie Ob Zufriedenheit ein positiv zu bewertender Zustand ist, hängt zum Teil davon ab, ob man aus einer individuenbezogenen oder einer gesellschaftlichen Perspektive urteilt. Kaum jemand wird bestreiten, daß es besser wäre, wenn wir als Individuen zufriedener sein könnten, beispielsweise mit unserer Gesundheit, mit unseren Sozialbeziehungen, mit unserem Lebensstandard und mit dem Schutz unserer Umwelt. Die zufriedene Gesellschaft erscheint uns jedoch vornehmlich als eine negative Vision, als gesättigt, immobil und veränderungsfeindlich. Diese Vision einer zufriedenen Gesellschaft ist allem Anschein nach auch nicht zutreffend: Zwar muß man in der bestehenden Unzufriedenheit ein Potential für Veränderungen sehen, aber die Unterschiede zwischen Unzufriedenen und Zufriedenen sind relativ. Auch ein erheblicher Teil der Zufriedenen strebt, wie gesehen, Veränderungen an. Ob man eher Neuerungen zu wagen bereit ist oder eher am Alten und Bewährten festhalten will, ist nicht gleichbedeutend mit der Aufteilung in Unzufriedene und Zufriedene. Insofern scheint uns, daß mehr zufriedene Bürger keinesfalls gesellschaftliche Stagnation bedeuten.

Zudem ist die vollkommen zufriedene Gesellschäft eine unerreichbare Utopie. Die wichtig, sten Faktoren, welche individuelle Zufriedenheit hervorrufen, verhindern zugleich ein hohes Zufriedenheitsniveau der gesamten Bevölkerung: Individuen haben eine hohe Zufriedenheit, wenn sie die eigene Position im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen als besser definieren. Dies impliziert aber immer, daß die Position von jemand anderem vergleichsweise schlechter ist und vermutlich auch so wahrgenommen wird. Daraus ergibt sich aber eine niedrigere Zufriedenheit Die hohe Zufriedenheit des Bessergestellten impliziert die geringere Zufriedenheit des Schlechtergestellten, und daraus folgt, daß nicht alle ihre Zufriedenheit gleichzeitig maximieren können.

Derselbe Effekt ist bei dem Zufriedenheitsgewinn vorhanden, der auf überproportionalen Verbesserungen der eigenen Lebenssituation beruht. Dies impliziert stets, daß sich andere unterproportional verbessern und deshalb einen Zufriedenheitsverlust haben werden. Auch hier ist eine gleichzeitige Maximierung der Zufriedenheitsgewinne aller ausgeschlossen. Auch aus der Bedeutung der eigenen Erwartungen für die Zufriedenheit folgt, daß eine hohe Zufriedenheit instabil und schwer erreichbar ist, weil Erwartungen in Abhängigkeit von den erreichten Lebensbedingungen ansteigen. Die Dynamik von Erwartungen trägt dazu bei, stabile hohe Zufriedenheiten zu verhindern.

Wenn schließlich davon ausgegangen wird, daß es stets ein gewisses Maß an unterschiedlichen Wertorientierungen geben wird, die zumindest teilweise in Konkurrenz stehen, und außerdem ein gewisses Maß an Konflikten in kleinen und großen Sozialverbänden als unvermeidbar anzusehen ist, dann sind damit zwei weitere permanente Unzufriedenheitsquellen aufgezeigt. Die hochzufriedene Gesellschaft ist folglich als praktisch unerreichbar zu betrachten. Weniger auszuschließen ist auf der anderen Seite eine Eskalation von Unzufriedenheit, obwohl auch hier Wirkungszusammenhänge bestehen, die eine dauerhafte Unzufriedenheit verhindern. Die Möglichkeiten der Gesellschaftspolitik, zur Zufriedenheit der Bürger beizutragen, sind, wie gezeigt wurde, begrenzt. Sie kann aber darauf vertrauen, daß eine Verbesserung der Lebensbedingungen sich im allgemeinen, d. h. nicht bei allen Individuen und Gruppen, in einer höheren Zufriedenheit niederschlägt

IV. Strukturen und Konstellationen der individuellen Wohlfahrt

Tabelle 4: Wichtigkeit von und Zufriedenheit mit Arbeitsplatzmerkmalen nach Stellung im Beruf

1. Kumulationen von Privilegien und Deprivationen Im Hinblick auf die Frage, ob die Wohlfahrtsstruktur der Bundesrepublik eher dem Modell einer hierarchischen Schichtung entspricht oder ob es eher eine Vielfalt überlappender Wohlfahrtskonstellationen gibt, liegt die Antwort mehr in Richtung der zweiten Vorstellung. Man kann darin eine Bestätigung der These von der Disparität -Le der bensbereiche sehen, die besagt, das vertikale System der marktvermittelten Ungleichheit an Bedeutung verloren hat, weil wohlfahrtsstaatliche Umverteilungen und Interventionen den Zusammenhang zwischen ökonomischer Lage und der Gesamtheit der Lebenschancen abschwächen. Dementsprechend haben die Individuen, je nach Lebensbereich, unterschiedlich privilegierte und defizitäre Lebenssituationen. Kaum ein Individuum befindet sich in allen von uns untersuchten Lebensbereichen auf durchgehend guten bzw. schlechten Wohlfahrtspositionen. Die Position im Einkommensgefüge hat beispielsweise für die Anzahl guter und schlechter Plazierungen nur geringe Bedeutung. Eine Ausnahme allerdings ist die unterste Einkommensschicht, bei der eine Häufung schlechter Lebensbedingungen anzutreffen ist Dies verweist darauf, daß Problemgruppen, wie sie die Armen darstellen, vom allgemeinen Wohlfahrtsniveau weitgehend abgekoppelt sind. 2. Problemgruppen Unter Problemgruppen verstehen wir Bevölkerungsgruppen, die hinter den Standards der breiten Bevölkerung deutlich Zurückbleiben oder in ihrem subjektiven Wohlbefinden stark beeinträchtigt sind. Die Lage dieser Problemgruppen wird prekärer, wenn es der großen Mehrheit besser geht, weil sich die Wohlfahrtsdefizite relativ vergrößern.

Insgesamt haben wir fünf objektive und fünf, subjektive Problemgruppen genauer betrachtet: Zum einen sind dies die 10 % der Haushalte mit dem geringsten Einkommensniveau; es handelt sich vor allem um kinderreiche Familien, unvollständige Familien und um alleinlebende Frauen, sofern sie nicht erwerbstätig oder als Arbeiterin beschäftigt waren. Andere von uns untersuchte Problemgruppen sind Personen, deren Wohnungen heute üblichen Wohnstandards hinsichtlich Wohnungsgröße und -ausstattung nicht entsprechen, Personen ohne Berufsausbildung (24 % der erwerbsfähigen Bevölkerung) und die Behinderten und von dauerhaften Krankheitsfolgen Betroffenen (16%). Eine Problemgruppe sind auch die sozial Isolierten. Die Situation, allein zu leben und keinen engen Freund zu haben, ist bei 5 % der Bevölkerung gegeben. Sie tritt vorwiegend am Ende des Lebenszyklus auf und betrifft 30 % der über 65jährigen Frauen und 11 % der Männer dieser Alterskategorie. Da der Anteil älterer Menschen zukünftig erheblich wächst, ist zu erwarten, daß Probleme sozialer Isolation ein größeres gesellschaftspolitisches Gewicht erhalten.

Auf der Seite subjektiver Beeinträchtigungen des Wohlbefindens haben wir ebenfalls fünf Problemgruppen untersucht Es sind die Befragten, die mit ihrem Leben unzufrieden sind (4 %), die sich einsam fühlen (8 %), die sich gewöhnlich unglücklich oder niedergeschlagen fühlen (14 %), die immer wieder von Ängsten und Sorgen geplagt werden (19 %), die an ihrer obersten Belastungsgrenze stehen (13 %). Es zeigt sich, daß weitgehend dieselben Bevölkerungsgruppen von den subjektiven Wohlfahrtsdefiziten betroffen sind; sie können durch die Merkmale alt, geschieden bzw. getrennt lebend, verwitwet, alleinlebend, unvollständige Familie charakterisiert werden (vgl. Tabelle 12). Die Dimension der hohen Belastung betrifft ganz andere Gruppen. Hoch belastet sind die Erwerbstätigen in den mittleren Lebensjahren, insbesondere wenn Haushalts-und Berufssituation höhere Anforderungen stellen. Bei den objektiven Wohlfahrtskomponenten gibt es weniger, bei den subjektiven Wohlfahrtskomponenten gibt es mehr Überschneidungen. Z. B. wohnen die Angehörigen ärmerer Haushalte etwa doppelt so häufig in schlecht ausgestatteten Wohnungen und in beengten Wohnverhältnissen wie im Durchschnitt der Haushalte. Arme sind aber nicht in größerem Umfang als andere Personen von dauerhaften gesundheitlichen Schäden betroffen, und sie haben keine besonderen Defizite an engen Sozialbeziehungen.

Auffällig ist auch der starke Zusammenhang zwischen Armut und dem Auftreten von Ängsten und Sorgen. Insgesamt kann man sagen, daß es im objektiven Bereich relativ wenige Kumulationen schlechter Lebensbedingungen gibt. Aber wenn sie vorliegen, führen sie zu einem extrem niedrigen subjektiven Wohlbefinden. Die Bevölkerungsgruppe, die in fast allen Lebensbereichen am meisten benachteiligt erscheint, sind Witwen aus Arbeiterhaus21 halten. Alles in allem ist festzustellen, daß zwischen den Arbeiterschichten und den anderen Bevölkerungsschichten eine markante Wohlfahrtsgrenze besteht. 3. Gastarbeiter Die Untersuchung erstreckt sich auf die fünf größten Gastarbeiternationalitäten, also die Türken, Jugoslawen, Italiener, Griechen und Spanier. Der Vergleich ihrer Lebensbedingungen und ihres subjektiven Wohlbefindens wurde mit der gesamten deutschen Bevölkerung, aber auch mit der deutschen Arbeiter-schicht vorgenommen, da diese vom Erwerbs-status her am ähnlichsten sind (vgl. Tab. 13).

In fast allen Dimensionen ist der Abstand der deutschen Arbeiterschicht zu den Deutschen insgesamt deutlich geringer als der Abstand zwischen Gastarbeiterbevölkerung und deutscher Arbeiterschicht. Insgesamt kann man diesen Befund durchaus als Illustration und Bestätigung der These von der „Unterschichtung''der deutschen Arbeiterbevölkerung durch die Gastarbeiter ansehen. Die Immigra-B tion hat, dazu geführt, daß sich am Boden der deutschen Schichtungspyramide eine neue Unterschicht etablierte und den deutschen Arbeitern eine relative Statusverbesserung ermöglichte. In der Tendenz waren unsere Ergebnisse bekannt; der durchgängige Vergleich der Abstände zwischen Gastarbeiterbevölkerung, deutscher Arbeiterschicht und der deutschen Bevölkerung insgesamt in objektiven und subjektiven Dimensionen war jedoch bisher nicht möglich.

Zwischen den Gastarbeiternationalitäten gibt es allerdings nicht unerhebliche Unterschiede. Die Spanier haben im Durchschnitt das höchste Wohlfahrtsniveau aufzuweisen, gefolgt von den Jugoslawen, den Griechen und den Italienern; den Schluß bilden die Türken. Diese Reihenfolge ist sowohl bei den meisten objektiven Lebensbedingungen wie beim subjektiven Wohlbefinden zu beobachten. Die Polarität zwischen Spaniern und Türken dürfte mit der unterschiedlichen Aufenthalts-dauer und den spezifischen Strategien kultureller Selbstbehauptung Zusammenhängen.

Trotz aller Wohlfahrtsdefizite sind die Gastarbeiter in der Bundesrepublik immer noch relativ zufrieden. Eine Erklärung dafür erhält man, wenn man die Zufriedenheit im Heimatland, wie sie in der Rückerinnerung der Gastarbeiter besteht, betrachtet. Sie liegt bei allen Nationalitäten weit unter der heutigen Lebenszufriedenheit. In dieser Unzufriedenheit im Heimatland kann eine Antriebskraft zur Auswanderung gesehen werden und auch ein Rückwanderungshemmnis, doch rechnen viele Gastarbeiter mit einer Statusverbesserung, wenn sie heute in ihr Heimatland zurückkehren würden. 4. Stabilität und Fluktuation:

Panelergebnisse Ein erstaunliches Phänomen und eine schlagkräftige Illustration für die Stabilität von Strukturen ist die Beobachtung, daß die Verteilung vieler Merkmale in unseren Umfragen konstant bleibt. So verhält es sich mit den meisten Aspekten der beobachtbaren Lebens-23 Bedingungen und der wahrgenommenen Lebensqualität. Das erklärungsbedürftige Phänomen besteht nun darin, daß diese Stabilität der Struktur — dies ist das Ergebnis unserer Panelerhebung, bei der die gleichen Individuen nach zwei Jahren erneut befragt wurden — trotz vieler individueller Veränderungen besteht Z. B. bleibt die Lebenszufriedenheit im Durchschnitt genau gleich, aber die überwiegende Zahl der Individuen hat ihre Lebenszufriedenheit geändert. Welche sozialen Kräfte sind dies, die aus der Vielfalt von Wechseln jeweils das typische Muster reproduzieren? Die Erklärung dafür kann nur angedeutet werden: Die Struktur objektiver wie subjektiver Wohlfahrtspositionen ergibt sich aus gesellschaftlichen Verteilungsregeln, aus Druck-und Sogfaktoren, aus Angebots-und Nachfragemustern, die sich nur langsam ändern. Diese führen dazu, daß ein nahezu gleicher Anteil von Individuen auf bestimmte Wohlfahrtspositionen kommt.

Die Wiederholungsbefragung zeigt uns auch, daß Änderungen vorwiegend in den Extrem-positionen stattfinden: Wer z. B. eine sehr hohe oder eine sehr niedrige Lebenszufriedenheit hatte, veränderte diese zum Mittelbereich hin. Auch hohe Erwartungsdiskrepanzen werden im Lauf der Zeit abgebaut. 5. Hauptaspekte der Lebensqualität in der Bundesrepublik Lebensqualität ist ein zentraler Wert in modernen, hochindustrialisierten und wohlfahrtsstaatlich organisierten Gesellschaften. Wie andere gesellschaftspolitische Zielbegriffe auch, wird das Konzept mit vielfältigen Bedeutungen gebraucht. Wir haben Lebensqualität im Sinn individueller Wohlfahrt aufgefaßt und gehen davon aus, daß diese die Konstellationen von Lebensbedingungen und von subjektiven Bewertungen und Befindlichkeiten in unterschiedlichen Lebensbereichen darstellt Lebensqualität in diesem Sinn ist mit der Umfragemethode adäquat zu untersuchen: Nur die Bürger selbst können über ihre wahrgenommene Lebensqualität Auskunft geben, und nur eine repräsentative Auswahl kann die Verteilungsinformationen liefern und die Veränderungen der Lebensqualität aufzeigen, die die gesamte Bevölkerung in der Bundesrepublik betreffen.

Die Lebensqualität läßt sich nicht durch eine einzige Zahl charakterisieren wie die wirtschaftliche Wertschöpfung, aber unsere Untersuchung führt auch nicht zu einer disparaten Vielfalt von Informationen, sondern weist auf einige charakteristische Elemente hin:

Ein markanter Aspekt der Lebensqualität ist die Ambivalenz subjektiven Wohlbefindens. Einerseits stellen wir ein recht hohes Maß an Zufriedenheit mit dem Leben (kognitives Wohlbefinden) fest und auch ein hohes Maß an Glück (affektives Wohlbefinden). Demgegenüber steht die weite Verbreitung von Besorgnissen (hohe Beanspruchung, Angst, Nervosität, Niedergeschlagenheit) und Anomiesymptomen (Gefühle der Machtlosigkeit, Sinnlosigkeit und Einsamkeit). Auch auf die offenen Fragen nach Sorgen und Problemen nennt die Bevölkerung eine Vielzahl oft schwerwiegender Beeinträchtigungen. Als besonders belastend erweist sich, daß nicht wenige Befragte ihre Sorgen für unüberwindbar halten. Alles in allem gibt es eine Widersprüchlichkeit des Wohlbefindens, die in einem Nebeneinander von Beeinträchtigungen und Zufriedenheit zum Ausdruck kommt Ein zweiter markanter Aspekt ist die höhere Zufriedenheit in privaten Bereichen und die geringere Zufriedenheit in Bereichen, für die eher der Wohlfahrtsstaat zuständig ist An der Spitze der Zufriedenheitsniveaus stehen Ehe, Familie und Haushaltsführung und am Ende die öffentliche Sicherheit und der Umweltschutz. Wir glauben dabei nicht, daß die Individuen die Bereiche, für die sie selbst verantwortlich sind, beschönigen: Sie scheuen sich schließlich auch nicht, über familiäre Sorgen und Konflikte, die in beträchtlichem Maß vorhanden sind, zu berichten. Vielmehr entstehen in Ehe, Familie und Haushalt — trotz gleichzeitig vorhandener Beeinträchtigungen — insgesamt positive Beiträge zum subjektiven Wohlbefinden. Reale Gefährdungen wie diffuse Bedrohungsgefühle liegen gerade bei den beiden Bereichen mit der geringsten Zufriedenheit — öffentliche Sicherheit und Umweltschutz — nahe beieinander. Die privaten Bereiche sind den Individuen für ihr Wohlbefinden allerdings viel wichtiger als die öffentlichen Bereiche, so daß das Protestpotential, das in der Unzufriedenheit steckt, bisher nicht zu weiterreichendem Protestverhalten geführt hat Der dritte markante Aspekt der Lebensqualität ist, daß trotz der großen Bedeutung von sozialen Vergleichsprozessen für die Bewertung der Lebensbedingungen ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden besteht Nicht im Einzelfall, aber im Durchschnitt aller Bundesbürger gilt, daß diejenigen, die bessere Lebensbedingungen haben, auch zufriedener damit sind, daß Schlechtergestellte unzufriedener sind und daß „Dissonante“ und „Adaptierte" Minderheiten darstellen. Die Gesell-B schaftspolitik kann also damit rechnen, daß sich eine Verbesserung der Lebensbedingungen in einer höheren Zufriedenheit der Bürger äußert.

Der vierte Aspekt ist , das eher geringe. Maß an Kumulationen, d. h. nahezu kein Individuum befindet sich in allen Lebensbereichen in einer sehr guten Wohlfahrtsposition. Und auch eine Kumulation sehr schlechter Wohlfahrtspositionen ist insgesamt selten vorhanden, aber bei den Problemgruppen ist sie doch öfter anzutreffen. Es zeichnet sich ab, daß die wirtschaftliche Stagnation in den achtziger Jahren von der großen Mehrheit der Bevölkerung mit den vorhandenen Ressourcen unschwer zu verkraften ist, daß aber benachteiligte kleinere Gruppen, denen ohnehin Ressourcen fehlen, besonders hart getroffen werden. Ein fünfter markanter Aspekt ist die Stabilität der Strukturen (z. B.der Randverteilungen) bei umfangreichen individuellen Veränderungen. Dies bedeutet, daß vor allem privilegierte Positionen und benachteiligte Positionen oft nur Durchgangsstadien sind. Von den Sozialwissenschaftlern ist die Frage bisher nicht ausreichend beantwortet, woher diese Stabilität der Strukturen rührt.

Will man auf der Grundlage unserer Befunde darüber spekulieren, wie sich die Lebensqualität weiterentwickeln wird, dann möchten wir auf zwei Punkte hinweisen: Der Werte-wandel zum „Postmaterialismus" schien in den siebziger Jahren gebremst und ist nun wieder feststellbar. Doch unseren Beobachtungen zufolge glauben wir eher an eine Wertedifferenzierung. Der Wohlstand wird nicht an „Wert" verlieren, aber neue Werte beispielsweise nach dem Schutz der Umwelt und nach Selbstverwirklichung werden weiter an Bedeutung gewinnen. Wir erwarten darüber hinaus einen Trend zur Pluralisierung der Lebensstile. Eine größere Vielfalt an Mustern der Haushaltsführung, der Freizeitgestaltung, der Erwerbsbeteiligung, der Eigenarbeit wird in Zukunft auftreten. Dementsprechend werden sich die Alternativen der individuellen Lebensgestaltung und auch die Anforderungen an das individuelle Entscheidungsverhalten erhöhen.

Fussnoten

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Wolfgang Glatzer, Dr. phil., geb. 1944; Professor für Soziologie an der Universität Frankfurt; Studium der Soziologie, Ökonomie und Sozialpolitik an den Universitäten Frankfurt und Mannheim; Promotion in Mannheim; im Anschluß an das Studium wissenschaftlicher. Mitarbeiter im SPES-Projekt, später Projektleiter im Sonderforschungsbereich 3 „Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik". Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit E. Ballerstedt), Soziologischer Almanach, Frankfurt—New York 1975; (zusammen mit H. -J. Krupp), Umverteilung im Sozialstaat, Frankfurt—New York 1978; Wohnungsversorgung im Wohlfahrtsstaat, Frankfurt—New York 1980; sowie Beiträge zur Sozialindikatorenforschung. Wolfgang Zapf, Dr. phil., geb. 1937; Professor für Soziologie an der Universität Mannheim seit 1972; Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Frankfurt, Hamburg und Köln; 1962— 1966 Assistent am Soziologischen Seminar der Universität Tübingen; 1966— 1967 Assistent an der Universität Konstanz, Habilitation 1967; 1968 German Kennedy Fellow an der Harvard University; 1968— 1972 Professor für Soziologie an der Universität Frankfurt. Veröffentlichungen: zahlreiche Publikationen zu Eliteforschung, Sozialem Wandel und Modernisierung, Sozialindikatoren und Gesellschaftspolitik; Herausgeber u. a. von: Lebensbedingungen in der Bundesrepublik, Frankfurt—New York 1977.