Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Entwicklungspolitik der Reagan-Administration | APuZ 49/1984 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 49/1984 Artikel 1 Die Entwicklungspolitik der Reagan-Administration Der Außenhandel der Entwicklungsländer. Darstellung, Probleme und ein Lösungsansatz der EG Entwicklungspolitik als Aufgabe politischer Bildung. Reflexionen über Perspektiven, Theorien und Strategien

Die Entwicklungspolitik der Reagan-Administration

Bernhard May

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Vereinigten Staaten sind der größte Entwicklungshilfe-Geberstaat. Jede Änderung der amerikanischen Entwicklungspolitik führt deshalb zu spürbaren Auswirkungen bei den Empfängerstaaten und zum Teil auch bei den anderen Geberstaaten. Die Reagan-Administration trat im Januar 1981 ihr Amt an mit dem Vorsatz, eine neue Entwicklungspolitik zu verfolgen. Dieser Beitrag geht auf die Vorstellungen der Reagan-Administration von einer solchen neuen Entwicklungspolitik ein und analysiert dann die tatsächlich durchgeführte Entwicklungspolitik, wobei Kontinuität und Wandel sowie wichtige Veränderungen gegenüber der Carter-Administration besonders beleuchtet werden. Außerdem wird der entwicklungspolitische Entscheidungsprozeß im einzelnen untersucht: es werden die Akteure in der Administration und im Kongreß benannt, ihre Zuständigkeiten beschrieben und auf Konflikte zwischen ihnen eingegangen; die Frage der öffentlichen Unterstützung wird im Zusammenhang mit dem Carlucci-und dem Kissinger-Bericht behandelt. Schließlich werden die veränderte multilaterale Entwicklungspolitik und die europäische Einflußnahme untersucht.

I. Der Anspruch: Eine neue amerikanische Entwicklungspolitik

Die Reagan-Regierung trat im Januar 1981 mit dem Anspruch an, eine neue Entwicklungspolitik zu verfolgen. Die entwicklungspolitischen Ausgaben sollten um bis zu 30 Prozent gekürzt werden, auf keinen Fall aber weiter zunehmen. Weiterhin sollte die multilaterale Entwicklungshilfe zugunsten der bilateralen gekürzt und die Sicherheitshilfe zu Lasten der Wirtschaftshilfe erhöht werden. Entwicklungspolitik sollte nicht mehr als spezielle Außenpolitik betrieben, sondern der allgemeinen Außenpolitik nachgeordnet werden. Zudem sollten die neuen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Reagan-Regierung (Reaganomics) auch bei der Entwicklungspolitik beachtet werden.

Dies waren die wichtigsten Zielsetzungen für eine neue Entwicklungspolitik. Die Reagan-Regierung kam jedoch nicht mit einer ausgearbeiteten entwicklungspolitischen Vorlage nach Washington, sondern mit neuen Prioritäten, Vorstellungen und ideologischen Präferenzen. Im Herbst 1981 legte Präsident Reagan dann in zwei wichtigen Reden die Grundlagen der Entwicklungspolitik fest. In einer Ansprache beim Jahrestreffen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds am 29. September 1981 und in einem Vortrag vor dem World Affairs Council of Philadelphia am 15. Oktober 1981 betonte Reagan die Bedeutung eines free-market-Systems und führte aus, daß der größte Dienst, den seine Regierung der Weltwirtschaft im allgemeinen und den Entwicklungsländern im besonderen erweisen könne, eine wiedererstarkte amerikanische Wirtschaft sei: „No American contribution can do more for development than a growing, prosperous U. S. economy. And as the world's largest single market, a prosperous, growing U. S. economy will mean increased trading opportunities for other nations. Lower U. S. Inflation and interest rates will translate into increased availability of financial resources at affordable rates." Richard E. Feinberg hat dies als . America first'-Ansatz bezeichnet und als Begründung auf die wirtschaftspolitischen, budgetpolitischen und ideologischen Vorstellungen der Reagan-Regierung hingewiesen Reagan hat, ganz dieser Kennzeichnung entsprechend, in seiner Philadelphia-Rede die Entwicklungsländer aufgefordert, dem amerikanischen Beispiel zu folgen und die Auffassung zu akzeptieren: „free people build free markets that ignite dynamic development for everyone"

Insgesamt hat die amerikanische Entwicklungspolitik zum Ziel, einen Beitrag zur Schaffung einer sichereren und stabileren Welt zu leisten. Zur Erreichung dieses Ziels wird Wirtschafts-und Sicherheitshilfe eingesetzt. Da im amerikanischen Sprachgebrauch diese beiden Hilfen unter dem Begriff foreign assistance zusammengefaßt sind, wird in diesem Beitrag neben der Entwicklungshilfe (development assistance) auch die Sicherheitshilfe (security assistance) behandelt

II. Die Realität: Vier Jahre Entwicklungspolitik der Reagan-Administration

L Analyse der Reaganschen Entwicklungspolitik Bevor Präsident Carter im Januar 1981 das Weiße Haus verließ, leitete er noch dem Kon-greß den neuen Haushaltsplan für das Fiskaljahr 1982 (1. Oktober 1981 bis 30. September 1982) zu. Dieser sah für foreign assistance Ausgaben in Höhe von 10, 5 Mrd. Dollar vor, also eine Steigerung um 38 Prozent gegenüber dem vorhergehenden Jahr. Für die neue Administration unter Präsident Reagan hatten demgegenüber Ausgabenkürzungen Priorität. Schon Ende Januar 1981 legte der Direktor des Office of Management and Budget (OMB) einen korrigierten Haushaltsplan für die Reagan-Regierung vor, der bei der Wirtschaftshilfe ein Mrd. Dollar vor, also eine Steigerung um 38 Prozent gegenüber dem vorhergehenden Jahr. Für die neue Administration unter Präsident Reagan hatten demgegenüber Ausgabenkürzungen Priorität. Schon Ende Januar 1981 legte der Direktor des Office of Management and Budget (OMB) einen korrigierten Haushaltsplan für die Reagan-Regierung vor, der bei der Wirtschaftshilfe eine Kürzung um 2, Mrd. Dollar vorsah (Stockman-Haushalt). Nach Protesten von Außenminister Haig wurden diese Kürzungen auf 1, 6 Mrd. Dollar reduziert. Ein zweiter revidierter Haushaltsplan für das Fiskaljahr 1982 vom September 1981 kürzte die Auslandshilfe um weitere 1, 1 Mrd. Dollar. Dieser Haushalt der Reagan-Regierung beinhaltete 8, Mrd. Dollar für die Auslandshilfe; gegenüber dem Haushaltsvorschlag Carters bedeutete dies eine Kürzung von 17, 1 Prozent, gegenüber dem Vorjahr jedoch einen Zuwachs um 15, 6 Prozent 4).

Amerikanische Auslandshilfe wird von fünf Ministerien (departments) verwaltet und setzt sich im wesentlichen aus den im folgenden kurz skizzierten Programmen zusammen 5): Die bilaterale Entwicklungshilfe wird von der dem Außenministerium untergeordneten Agency for international Development (AID) durchgeführt, über 60 Länder in Lateinamerika, Afrika und Asien erhalten diese Art der Entwicklungshilfe, die gemäß den vom Kongreß im Jahre 1973 verabschiedeten „Neuen Direktiven" 6) der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse in diesen Ländern dienen muß.

Die amerikanischen Beiträge zu den multilateralen Entwicklungsbanken werden vom Finanzministerium verwaltet. Die Vereinigten Staaten sind Mitglied in der Weltbank-Gruppe, die sich aus der International Bank for Reconstruction and Development (IBRD), der International Development Association (IDA) und der International Finance Corporation (IFC) zusammensetzt, sowie der Asian Development Bank (ADB), der Inter-American Development Bank (IDB), der African Development Bank(AFDB) und dem African Development Fund (AEDF).

State Department und AID gemeinsam sind für die Beiträge an Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und UNESCO, um nur zwei zu nennen, zuständig. Weiterhin wird amerikanische Auslandshilfe zur Finanzierung des amerikanischen Peace Corps verwendet, das ausgebildete Mitarbeiter in fast 60 Länder schickt, um die entwicklungspolitischen Bemühungen in diesen Ländern zu unterstützen.

Das Landwirtschaftsministerium verwaltet die Nahrungsmittelhilfe (P. L. 480 Food Aid). Im Rahmen des P. L. 480 Programms werden überschüssige Agrarprodukte an bedürftige Länder verschenkt oder mit Hilfe zinsverbilligter Kredite verkauft. Die Nahrungsmittel-hilfe hat eine Unterstützung der amerikanischen Außenpolitik zum Ziel; sie soll die wirtschaftliche Entwicklung in den Empfänger-ländern voranbringen und humanitären Zielsetzungen dienen.

Die AID verwaltet zugleich den Economic Support Fund (ESF); damit wird vor allem Wirtschaftshilfe an Länder mit besonderer politischer und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Vereinigten Staaten vergeben. Der ESF ist das flexibelste Element der Auslandshilfe. Mittel aus diesem Programm können für die verschiedensten Zwecke verwendet werden, zum Beispiel für Zahlungsbilanz-hilfe, zur Finanzierung entwicklungspolitischer Maßnahmen, aber auch z. B. für Barüberweisungen an Israel. Obwohl ESF-Mittel nicht für militärische Programme verwendet werden dürfen, handelt es sich bei einer ganzen Reihe von ESF-Zahlungen eindeutig um Sicherheitshilfe. Dies ergibt sich auch aus der Verteilung der ESF-Mittel: über 80 Prozent der Gelder gehen an die fünf Staaten Israel, Ägypten, Türkei, Pakistan und an den Sudan; die restlichen ESF-Mittel werden an weitere 29 Länder verteilt 7). Für die Administration stellt der ESF ein wichtiges Hilfsmittel der Außenpolitik dar; deshalb müssen die ESF-Zahlungen an die einzelnen Länder auch vom State Department genehmigt werden. Der ESF kann nicht generell der Wirtschafts-oder der Sicherheitshilfe zugeordnet werden, er kann auch beides zugleich sein. Deshalb muß jedes ESF-Länderprogramm gesondert untersucht werden, um den Zweck der ESF-Zahlungen festzustellen.

Bei der Aufzählung der Programme verbleibt schließlich noch die Sicherheitshilfe, die sich aus dem Military Assistance Program (MAP), dem International Military Education and Training Program (IMET), dem Foreign Military Sales Program (FMS) und je nach Einstufung dem Economic Support Fund (ESF) zusammensetzt Die Sicherheitshilfe — ausschließlich des ESF — wird von der Defense Security Assistance Agency (DSAA) verwaltet, die im Verteidigungsministerium angesiedelt und dem Assistant Secretary of Defense, International SecurityAffairs (ISA) unterstellt ist. Im Rahmen des MAP werden amerikanische Militärgüter an ausgewählte Länder kostenlos geliefert, vor allem an Staaten, in denen die Vereinigten Staaten Militärbasen unterhalten. Das IMET-Programm dient dazu, Militärpersonal aus befreundeten Staaten kostenlos auszubilden. Über 80 Staaten nehmen an dem Programm teil; an der Spitze der Empfängerländer stehen die Türkei, Spanien, Portugal, Indonesien, Thailand und Ägypten. Schließlich wird das FMS-Programm dazu verwendet, befreundeten Staaten eine Finanzierungshilfe beim Erwerb von Militärgütern anzubieten. Die größten Empfängerländer sind Israel, Ägypten, die Türkei, Griechenland und Spanien

Im ersten foreign assistance-Haushalt der Reagan-Regierung (FY 82) hatten diese Programme folgendes Gewicht: Auf die bilaterale Entwicklungshilfe entfielen 19, 2 Prozent der Gesamtausgaben. Die Beiträge an die multilateralen Entwicklungsbanken machten einen Anteil von 15, 0 Prozent aus und weitere 2, 2 Prozent wurden an internationale Organisationen abgeführt. Für die Nahrungsmittelhilfe wurden 11, 8 Prozent und für das Peace Corps 1, 0 Prozent ausgegeben. Damit entfielen auf die Wirtschaftshilfe 49, 2 Prozent der Auslandshilfeausgaben — ein Rückgang von 6, Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Anteil des ESF blieb mit 27, 2 Prozent nahezu konstant, während die Militärhilfe von 8, 9 Prozent (1981) auf 17, 0 Prozent (1982) anstieg. Gegenüber dem Haushaltsvoranschlag Carters für 1982 hat die Reagan-Regierung die Sicherheitshilfe um etwa 12 Prozent zu Lasten der Wirtschaftshilfe erhöht.

Ein besseres Bild ergibt sich, wenn man die vier Reagan-Budgets mit dem letzten Carter-Haushalt (FY 81) vergleicht. Von 1981 bis 1985 (Haushaltsvoranschlag) ist die Auslandshilfe von 10, 1 Mrd. Dollar auf 15, 8 Mrd; Dollar gestiegen — ein Zuwachs um 56 Prozent 9). Die einzelnen Programme sind jedoch recht unterschiedlich gewachsen: So hat sich die Wirtschaftshilfe um 23, 6 Prozent erhöht, während die ESF-Ausgaben um 63, 4 Prozent anstiegen und sich die Militärhilfe mit 99, 8 Prozent fast verdoppelte. Dementsprechend haben sich die Anteile der einzelnen Programme an der Auslandshilfe verändert: Der Anteil der Wirtschaftshilfe fiel von 45, 2 Prozent (1981) auf 35, 6 Prozent (1984) und stieg erstmals wieder 1985 auf 37, 5 Prozent. In den vier Reagan-Haushalten wurde der Anteil der ESF-Ausgaben zuerst von 19, 8 Prozent 1981 auf 24, 2 Prozent (1982) erhöht und dann wieder auf 21, 8 Prozent (1985) gesenkt. Die Militärhilfe stieg von 35, 0 Prozent (1981) auf 44, 1 Prozent (1984) und wurde erstmals wieder für 1985 zugunsten der Wirtschaftshilfe auf 40, 7 Prozent zurückgenommen.

Insgesamt kann somit festgestellt werden, daß die Ziele der Reagan-Regierung nur zum Teil in die Realität umgesetzt wurden: Die Auslandshilfe wurde jährlich um etwa 10 Prozent erhöht. Die Wirtschaftshilfe wurde nicht gekürzt, aber wesentlich weniger erhöht als die Sicherheitshilfe. Die bilaterale Entwicklungshilfe wurde zwar erhöht, die multilaterale Entwicklungshilfe jedoch gekürzt, aber weniger, als zu Beginn der Reagan-Regierung zu vermuten war. Die Carter-Regierung erhöhte die ESF-Länderprogramme von 14 auf 23; die Reagan-Regierung setzte diesen Trend mit einer weiteren Steigerung auf 38 Länder-programme fort. Die Reagan-Regierung veränderte die regionale Aufteilung der Auslandshilfe zugunsten Mittelamerikas. Dennoch blieben Israel und Ägypten mit zusammen rund 28 Prozent der gesamten Auslandshilfe die größten Empfängerländer, gefolgt von der Türkei, Pakistan, Griechenland, Spanien, El Salvador, Sudan, Süd-Korea und — an zehnter Stelle — Indien. Welches sind die Gründe für diese relative Kontinuität der Reaganschen Auslandshilfepolitik? 2. Gründe für Kontinuität und Wandel Alle amerikanischen Präsidenten treten ihr Amt mit neuen Zielen und dem Vorsatz an, wichtige Politikbereiche zu verändern. In einem zum Teil schwierigen Lernprozeß müssen sie dann feststellen, daß ihr Handlungsspielraum geringer als erwartet ist, daß verschiedene Beharrungskräfte gegen eine Politikänderung arbeiten und daß deshalb neue politische Initiativen viel schwieriger durchzusetzen sind, als ursprünglich angenommen wurde. Dies trifft auch auf die Reagan-Regierung zu. Für eine Kontinuität der Auslandshilfepolitik spricht, daß ein Großteil dieses Haushalts nicht von einem auf das andere Jahr verändert werden kann, weil es sich um Ausgaben für bereits eingegangene Verpflichtungen handelt. Eine neue Regierung braucht also einige Jahre, um eine wesentliche Veränderung bei den Ausgaben herbeiführen zu können.

Ein weiterer Punkt sind die Interessenunterschiede innerhalb der Administration. Dies läßt sich gut am Beispiel des bereits erwähnten . Stockman-Haushalts'veranschaulichen: David Stockman hatte den Auftrag, Haushaltskürzungen vorzunehmen und hat deshalb auch die Auslandshilfe wie andere Ausgabenprogramme gekürzt. State Department und Verteidigungsministerium argumentierten jedoch, daß es sich bei der Auslandshilfe um Ausgaben handele, die — wie die Verteidigungsausgaben — der Wahrung der amerikanischen Sicherheit dienen und deshalb nicht gekürzt werden dürften Beide Standpunkte lassen sich mit der Reaganschen Zielsetzung rechtfertigen, die etwa wie folgt lautet: weniger Staat und deshalb weniger Staatsausgaben und geringere Steuern, gleichzeitig höhere Verteidigungsausgaben und das Versprechen, in vier Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

Die Diskussionen innerhalb der Regierung führten dazu, daß schließlich die vorgenommenen Kürzungen wesentlich abgeändert wurden. Für das State Department war dabei jedoch auch eine grundsätzliche Frage angesprochen: Sollten für eine vorher festgelegte Politik die erforderlichen Finanzmittel bereitgestellt werden oder sollte die Politik an die vorher beschlossene Höhe der Finanzmittel angepaßt werden? Natürlich lehnte das State Department die zweite Sichtweise aus grundsätzlichen Überlegungen ab — und setzte sich damit auch durch. Nach dieser Auseinandersetzung in den ersten Monaten der Reagan-Regierung hat das OMB jährlich Budgetrichtlinien festgelegt, das State Department und AID mußten sich die erforderlichen Finanzmittel für ihre Politik erkämpfen und das Verteidigungsministerium hat ohne großen Aufwand stets mehr Mittel für die Sicherheitshilfe erhalten als unter der Carter-Regierung. Auf den Entscheidungsprozeß wird später ausführlicher eingegangen.

Die Reagan-Regierung wollte jedoch die Entwicklungshilfe nicht nur aus haushaltspolitischen Gründen, sondern auch aus grundsätzlichen Erwägungen kürzen. Sie verfolgt einen , free-market'-Ansatz und vertraut auf alte Wachstumskonzepte. Dabei stützt sie sich auf Fachleute wie beispielsweise P. T. Bauer, der in seinem letzten Buch das Problem so beschrieb: „Foreign aid is the source of the North-South conflict, not its solution ... It was foreign aid which produced the Third World." Daraus läßt sich schließen: je weniger Entwicklungshilfe, desto besser für die Entwicklungsländer. Da die Reagan-Regierung die Auslandshilfe aber auch als Hilfsmittel der Außenpolitik nutzen wollte, geriet sie sehr schnell in einen Konflikt. Für das State Department ist nämlich die Auslandshilfe in vielen Fällen das einzige verfügbare Instrument, um Einfluß auf bestimmte Länder auszuüben. Eine Kürzung der Auslandshilfe würde oft die Beziehungen belasten, amerikanischen politischen und sicherheitspolitischen Interessen schaden und den Vereinigten Staaten im Hinblick auf den Ost-West-Konflikt bestimmt keine Vorteile einbringen. Es kam also nur eine Reduzierung der Zuwächse und eine Verlagerung innerhalb der Auslandshilfe in Frage. Zudem konnte eine wesentliche Veränderung in diesem Bereich nur schrittweise erreicht werden. Wandel ja — aber mit einer beachtlichen Kontinuität.

Ein weiterer wichtiger Faktor, der für Kontinuität in der amerikanischen Entwicklungspolitik sorgt, ist der Kongreß. Die Reagan-Regierung hatte es im mehrheitlich .demokratischen'Repräsentantenhaus viel schwerer als im . republikanischen'Senat, die erforderlichen Finanzmittel für eine erhöhte Sicherheitshilfe zu bekommen. Zudem versucht eine Vielzahl von Interessengruppen über den Kongreß auf die Auslandshilfepolitik einzuwirken. Dies und weitere Sonderfaktoren — auf die später noch einzugehen sein wird — verhindern einen schnellen und wesentlichen Politikwandel.

Auf der anderen Seite ist die Reagan-Regierung mit einer neuen wirtschaftspolitischen und entwicklungspolitischen Konzeption angetreten und hat zumindest damit begonnen, diese in die Praxis umzusetzen. Ein Vergleich mit der Carter-Regierung läßt die wesentlichen Neuerungen besser erkennen. 3. Wichtige Veränderungen gegenüber der Carter-Administration Das entwicklungspolitische Konzept der Carter-Regierung war sehr idealistisch. Die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den Entwicklungsländern sollten eine neue Qualität der Gleichberechtigung erhalten und auf eine neue Grundlage gestellt werden. Den Menschenrechten sollte erste Priorität zukommen. Entwicklungshilfe sollte nur nach dem Grundbedürfniskonzept vergeben werden: mehr Wirtschaftshilfe, vor allem multilaterale Entwicklungshilfe, und weniger Militärhilfe, weniger Waffenlieferungen in Entwicklungsländer und gleichzeitig eine verschärfte Non-Proliferationspolitik.

Bei der Umsetzung dieser Politik geriet die Carter-Regierung immer mehr in Schwierigkeiten. In der zweiten Jahreshälfte 1978 wurden dann Überprüfungen und erste Anpassungen vorgenommen. Damit begann der Wandel von der „idealistischen" zu einer „bekehrten" Carter-Regierung. Die weiteren Ursachen für den Wandel waren die Auswirkungen der Revolution im Iran 1979/80 auf das amerikanische politische System, vor allem die Geiselnahme im November 1979, die zweite Ölpreisexplosion 1979/80 mit all ihren Folgen und schließlich die sowjetische Invasion in Afghanistan im Dezember 1979. Diese Ereignisse haben dazu geführt, daß die amerikanische Politik gegenüber den Staaten der Dritten Welt grundsätzlich neu überdacht und abgeändert wurde. Bei einem Vergleich dieser veränderten Politik gegenüber den Entwicklungsländern mit der Politik der Reagan-Regierung kommen manche Beobachter zu dem Ergebnis, daß es mehr Kontinuität als Wandel in der Entwicklungspolitik beim Übergang von Carter zu Reagan gegeben hätte. So kommt Lewis bei einem Vergleich der letzten beiden Carter-Jahre mit den ersten beiden Reagan-Jahren zu folgendem Ergebnis: „The trend established in 1979/80 was accentuated, not reversed, in the two succeeding years."

Bei einem Interview des Autors mit Mitarbeitern der beteiligten Departments haben mehrere Gesprächspartner sogar die Meinung vertreten, die Auslandshilfepolitik einer zweiten Carter-Regierung hätte sich nicht wesentlich von Reagans Politik unterschieden. Hingewiesen wurde dabei auf den bereits angesprochenen Trendumschwung in der zweiten Hälfte der Carter-Jahre, auf die größeren wirtschafts-und budgetpolitischen Probleme, auf die veränderte entwicklungspolitische Diskussion inner-und außerhalb der Vereinigten Staaten und schließlich auf die schwierige weltpolitische Lage in den achtziger Jahren

Dennoch kann festgestellt werden, daß die Reagan-Regierung in der Entwicklungspolitik einen klaren Wandel durchgeführt und verschiedene Neuerungen bewirkt hat. Der klarste und größte Wandel fand im Bereich der „Rhetorik" statt. Free market, private enterprise und economic freedom waren die politischen Begriffe und Leitlinien, die nun auch für die Entwicklungspolitik gelten sollten. AID wurde angewiesen, alle Programme daraufhin zu überprüfen, wie Privatunternehmen hier in verstärktem Maße beteiligt werden können. Sichtbaren Ausdruck fand dieser Wandel in einer neuen AID-Abteilung, dem Bureau for Private Enterprise, dessen Zielsetzung so definiert wurde: „The goal of the Agency’s new private sector initiative is to foster the growth of productive, self-sustaining, income and job producing private sectors in developing countries using the financial, technological, and management expertise of the U. S. private sector, indigenous resources, multilateral institutions and Agency resources where appropriate."

Es handelte sich jedoch nicht um eine völlig neue Initiative, denn schon im Foreign Assistance Act, Section 601 (Entwicklungshilfegesetz) war festgelegt worden, daß die Privat-wirtschaft im größtmöglichen Umfang bei Entwicklungsprojekten zu berücksichtigen sei. Die Reagan-Regierung hat also die Privat-wirtschaft nicht in die Entwicklungspolitik eingeführt, sie hat aber deren Stellenwert wesentlich erhöht. Interessant ist auch, daß für diese privatwirtschaftliche Initiative als Vorbild ein Zweig der Weltbank diente: die International Finance Corporation (IFC), die privatwirtschaftliche Projekte in der Dritten Welt finanziert.

Ein zweiter wesentlicher Wandel bestand darin, daß Entwicklungs-/Auslandshilfe noch viel stärker als unter Carter als Mittel der Außenpolitik gesehen und eingesetzt wird; die Carter-Regierung hatte sie mit gewissem Erfolg als Mittel ihrer Menschenrechtspolitik eingesetzt. Der Auslandshilfepolitik wurde kein eigenständiger Wert beigemessen; sie sollte vielmehr dazu dienen, amerikanische politische und sicherheitspolitische Ziele zu verfolgen. In ihren entwicklungspolitischen Richtlinien koppelte nun die Reagan-Regierung alle Auslandshilfe an amerikanische Sicherheitsinteressen Aber auch dies war grundsätzlich nichts Neues in der amerikanischen Politik gegenüber Entwicklungsländern; vielmehr kann man von einer gewissen Tradition sprechen, wenngleich unter Reagans Vorgängern diesem Aspekt ein geringeres Gewicht beigemessen wurde. Und es ist auch richtig, daß Entwicklungshilfe nicht nur von der amerikanischen Regierung im Interesse der eigenen politischen und sicherheitspolitischen Ziele eingesetzt wird.

Der Politikwandel unter Reagan fand weiterhin Ausdruck in einigen Neuerungen, wie zum Beispiel der Caribbean Basin Initiative, der Gründung der National Endowment for Democracy und der Economic Policy Initiative for Africa.

Die Caribbean Basin Initiative (CBI) wurde von der Reagan-Regierung im Februar 1982 vorgelegt und nach längerer Diskussion im Juli 1983 vom Kongreß verabschiedet. „The initiative emphasizes anticommunism, bilateralism, private Investment, and the free market“ Die CBI soll eine einseitige Freihandelszone mit zwölfjähriger Laufzeit zugunsten der Karibikstaaten errichten, eine zusätzliche Entwicklungshilfezahlung in Höhe von 350 Millionen Dollar für diese Region bringen und amerikanischen Unternehmen steuerliche Anreize für Investitionen in der Karibik gewähren; der Kongreß hat diesen letzten Punkt gestrichen. Motivation und Zielsetzung des Programms sind jedoch eindeutig politisch: Unruhen in dieser Region werden als eine Gefahr für die Vereinigten Staaten angesehen; es gilt deshalb, diesen Ländern zu helfen und sie gleichzeitig enger an die Vereinigten Staaten anzubinden. In das Karibik-Programm wurden deshalb auch die Mittelamerika-Staaten El Salvador, Costa Rica, Gua-temala, Belize und Honduras einbezogen. Die Caribbean Basin Initiative hat jedoch zu keiner wesentlichen Stabilisierung der politischen Lage in dieser Region geführt. Um einen Fehlschlag zu vermeiden und wachsender innenpolitischer Kritik Rechnung zu tragen, hat die Reagan-Regierung 1983 die National Bipartisan Commission on Central America mit Henry Kissinger als Vorsitzenden eingesetzt, auf die später noch eingegangen wird.

Im Jahre 1984 wurde das National Endowment for Democracy(NED) gegründet — eine private, gemeinnützige Organisation mit der Zielsetzung, „to encourage free and democratic institutions throughout the world through private sector initiatives, including activities which promote the individual rights and free-doms (including internationally recognized human rights) which are essential to the functioning of democratic institutions;... to strengthen democratic electoral processe abroad through timely measures in Cooperation with indigenous democratic forces."

Das NED wird über den Bundeshaushalt finanziert Millionen Dollar 1984 und 31, 3 Millionen Dollar 1985) und muß jährlich dem Präsidenten und dem Kongreß einen Rechenschaftsbericht vorlegen. Als Vorbild für das NED dienten die westdeutschen Parteienstiftungen. Unterschiede im politischen System und die Tatsache, daß es in den Vereinigten Staaten eigentlich gar keine Parteien im westeuropäischen Sinne gibt, ließen von Anfang an Zweifel daran aufkommen, ob das NED im amerikanischen politischen System arbeitsund überlebensfähig eingerichtet werden könne. Der Kongreß hat bisher nur sehr widerwillig die Gelder für das NED bewilligt. Es bleibt abzuwarten, ob sich dies ändert und wie vor allem die jährlichen Berichte aufgenommen werden, die mit Sicherheit Diskussionen auslösen werden.

Schließlich hat die Reagan-Regierung im Haushaltsplan für 1985 eine weitere Neuerung vorgestellt: die Economic Policy Initiative (EPI) for Africa, ein Fünf-Jahres-Programm mit einem Volumen von 500 Millionen Dollar. Mittel aus diesem Spezialfonds sollen an ausgewählte afrikanische Staaten südlich der Sahara gehen, die willens und in der Lage sind , (to) establish a suitable comprehensive economic policy framework. Such a framework would need to go beyond the immediate macroeconomic stabilization issues and include sectoral policies conducive to growth and longer run development. Monies from the special fund would, in essence, Support Implementation of reform package." 18)

Diese Reformen haben zum Ziel, Marktwirtschaft und Privatwirtschaft in diesen Ländern zu stärken und auch hier den Staatsanteil am Wirtschaftsgeschehen zu verringern. Weiterhin sieht die EPI eine verbesserte Koordination der Maßnahmen der einzelnen Geber-staaten unter wesentlicher Beteiligung der Weltbank vor. Die Administration hat bisher noch nicht umfassend über ihre Pläne berichtet, so daß eine Reihe von Fragen über den Spezialfonds noch ungeklärt sind. Die EPI basiert jedoch eindeutig auf dem „free-marketAnsatz der Reagan-Regierung und wird zu einer weiteren Konzentration der amerikanischen Entwicklungshilfe auf ausgewählte Länder führen. Andererseits sind 500 Millionen Dollar, auf fünf Jahre verteilt, angesichts der großen Probleme dieser Länder ein relativ bescheidener Betrag. Mit der Economic Policy Initiative for Africa könnte jedoch ein neues Kapitel in der Geschichte der Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den Entwicklungsländern aufgeschlagen werden. Die EPI ist im ersten Anlauf im Kongreß gestoppt worden, zum Teil, weil einige Ausschußmitglieder aus grundsätzlichen Gründen dagegen waren, andere wollten besser informiert sein, vor allem aber, weil die Abgeordneten an die bevorstehende Wahl im November 1984 dachten. In einem Wahljahr versucht der Kongreß, entwicklungspolitische Entscheidungen möglichst zu vermeiden.

Eine neue Entwicklungspolitik — dies war der Anspruch, mit dem die Reagan-Regierung im Januar 1981 angetreten ist. Die Realität nach vier Jahren: Es gab weniger Wandel als angekündigt und mehr Kontinuität als erwartet. Um diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität verstehen zu können, ist es wichtig, sich den entwicklungspolitischen Entscheidungsprozeß anzusehen und einige Besonderheiten im amerikanischen politischen System zu berücksichtigen.

III. Der entwicklungspolitische Entscheidungsprozeß

Die Komplexität des außen-und sicherheitspolitischen Entscheidungssystems der Vereinigten Staaten ist kaum zu überbieten Im folgenden wird daher nur der entwicklungspolitische Entscheidungsprozeß untersucht: deren Hauptakteure, Zuständigkeiten, die bürokratischen Prozesse und Konfliktstrukturen. Dabei sollen folgende Erklärungsmodelle herangezogen werden: das Rationale-Akteurs-Modell, das Organisationsprozeßmodell und der bureaucratic-politics-AnsatT. 70'). , 1. Die Administration als „entwicklungspolitischer Steuermann"

Der Präsident ist der wichtigste Akteur im außen-und sicherheitspolitischen Entscheidungssystem der Vereinigten Staaten. Er ist für die Formulierung und Durchführung seiner Politik zuständig. In der Praxis ist dies jedoch nicht so einfach, weil der Kongreß ein gewichtiges Wort mitzureden hat und weil die Exekutive kein homogener Block ist. So nehmen am entwicklungspolitischen Entscheidungsprozeß mehrere Ministerien mit zum Teil recht unterschiedlichen Zielsetzungen und Interessen teil. Dies wird deutlich sichtbar, wenn man sich den Entscheidungsprozeß zur Festsetzung eines Entwicklungshilfehaushalts genauer ansieht.

Der Präsident bestimmt die Richtlinien für seine Politik, die dann von den verschiedenen Ministerien gemäß deren Zuständigkeiten und Interessen in konkrete Maßnahmen umgesetzt wird. Für alle am Entscheidungsprozeß beteiligten Akteure gilt der neue entwicklungspolitische Ansatz der Reagan-Regierung; sie haben aber unterschiedliche Vorstellungen über dessen Realisierung. So sind für das Office of Management and Budget (OMB) Haushaltsgesichtspunkte vorrangig, wenn es Zuwachs und Gewicht der Entwicklungshilfeausgaben im neuen Haushalt festlegt und den anderen Ministerien als Vorgabe mitteilt. Für das OMB sind dabei zwei Kriterien besonders wichtig: der Zuwachs des Gesamthaushalts und die Entwicklungshilfeausgaben im vorherigen . Haushalt -Diese OMB-Vorgabe ist von großer Bedeutung, denn wenn sie einmal festgelegt ist, dann bedarf es des persönlichen Einsatzes des Ministers beim Präsidenten, um die Vorgabe abzuändern. Das ist in den vergangenen Jahren mehrmals geschehen; auch dies ein Grund dafür, weshalb sich das OMB mit seinen Kürzungsplänen nicht durchsetzen konnte.

Das OMB läßt die Haushaltsvorgabe den anderen Ministerien 18 Monate vor Beginn des entsprechenden Haushaltsjahres (also im Frühjahr 1983 für das Haushaltsjahr 1985) zukommen. Zu dieser Zeit besitzt das State Department bereits zum Großteil von den Botschaften und von AID Plandaten über die wünschenswerte Ausgabenhöhe in den verschiedenen Regionen oder einzelnen Ländern. Diese Angaben werden im State Department zuerst von den Regionalbüros überprüft In einem zweiten Durchgang kürzen das Bureau of Political-Military Affairs und das Office of the Undersecretary of State for Security Assistance diese Ausgabenvoranschläge. Es schließt sich eine interministerielle Über-prüfung an, an der das State Department, das Verteidigungsministerium, OMB und in einem gewissen Umfange auch Mitarbeiter des National Security Council (NSC) beteiligt sind. Das Ergebnis dieser Überprüfung wird dann vom Außen-und Verteidigungsminister begutachtet und über das OMB an den Präsidenten für dessen . Herbst-Haushaltsplan'weitergeleitet, der dann nach weiteren Überprüfungen im darauffolgenden Januar dem Kongreß zugeleitet wird und damit den Haushaltsprozeß im Kongreß startet.

Für das State Department ist die Auslandshilfe ein Mittel der Außenpolitik und wird zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Beziehungen der Vereinigten Staaten zu bestimmten Ländern als unverzichtbar angesehen. Das State Department ist deshalb daran interessiert, die erforderlichen Finanzmittel zur Durchführung der als richtig angesehenen Politik zu erhalten; Haushaltsgesichtspunkten wird eine geringe Bedeutung beigemessen. Dies gilt auch für das Verteidigungsministerium, das die Sicherheitshilfe als Ausgaben im Interesse der amerikanischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik ansieht Die NSC-Mitarbeiter teilen diese Auffassung. Schließlich versucht das AID, mehr an den Problemen und Interessen der Empfängerländer ausgerichtete Entwickungshilfe durchzusetzen, allerdings oft erfolglos. Insgesamt kann gesagt werden, daß dem Präsidenten auch in der Entwicklungspolitik die politische Führungsaufgabe zukommt. Ronald Reagan wollte eine neue Entwicklungspolitik durchsetzen und hat dies zum Teil auch erreicht. Dabei hat er sich auf die von ihm berufenen politischen Beamten gestützt. In den Vereinigten Staaten werden bei jedem Präsidentenwechsel zwischen 3 000 und 6 000 politische Beamtenstellen neu besetzt. Präsident Reagan hat im entwicklungspolitischen Bereich besonders viele Nicht-Fachleute zu politischen Beamten gemacht Diese brachten viel Reagansche Ideologie und Rhetorik mit nach Washington, aber wenig Fachwissen und mußten deshalb zum Teil einen schwierigen Lernprozeß durchmachen. Aufgabe der politischen Beamten ist es, die neue Politik des Präsidenten in der Administration durchzusetzen und die gewaltige Bürokratie zu kontrollieren. Die Bürokratie besitzt nämlich den Sachverstand und ein . institutionelles Gedächtnis'und kann somit Initiativen der politischen Führung stoppen, abschwächen oder gänzlich unberücksichtigt lassen. Unter Reagan ist es erstaunlich schnell gelungen, den bürokratischen Widerstand gegen die neue Entwicklungspolitik zu beseitigen und die Bürokratie auf die Reagansche Entwicklungsphilosophie einzustimmen. 2. Der Kongreß als entwicklungspolitischer Bremser Ende Januar jedes Jahres legt der Präsident dem Kongreß seinen Haushaltsplan für das am 1. Oktober beginnende Haushaltsjahr vor und leitet damit das parlamentarische Haushaltsverfahren ein Die entwicklungspolitischen Ausgaben werden im wesentlichen in einem zweistufigen Verfahren bestimmt. Zuerst befassen sich im Senat und im Repräsentantenhaus die authorization-Ausschüsse mit den Ausgabenanforderungen der Administration, und zwar mit der Zielsetzung, sachpolitische Richtlinien festzulegen und Obergrenzen für die Finanzierung der befürworteten Sachprogramme zu verabschieden. Im wesentlichen wird diese Arbeit von den beiden Auswärtigen Ausschüssen erledigt, dem House Foreign Affairs Committee und dem Senate Foreign Relations Committee, es sind jedoch auch noch andere Ausschüsse und eine Vielzahl von Unterausschüssen beteiligt. Das Ergebnis der Ausschußarbeit wird dann dem Repräsentantenhaus beziehungsweise dem Senat zur Diskussion und Abstimmung vorgelegt. Unterscheiden sich die beiden Gesetzesvorlagen — dies ist die Regel —, dann wird in einem Vermittlungsausschuß (confe- rence Committee) ein Kompromißvorschlag ausgearbeitet, über den Repräsentantenhaus und Senat erneut abstimmen. Anschließend wird die authorization act dem Präsidenten zugeleitet, der das Gesetz unterschreibt und damit in Kraft setzt

In einer zweiten Runde wird der ganze Prozeß noch einmal durchgespielt Diesmal jedoch von den Bewilligungsausschüssen (appropriation committees), die festlegen, wieviel Geld tatsächlich ausgegeben werden darf. Für das Bewilligungsverfahren sind die beiden Unterausschüsse für foreign operations und deren Vorsitzende von besonderer Bedeutung. Werden diese beiden Runden nicht vor Beginn des neuen Haushaltsjahres abgeschlossen, dann werden mit Hilfe einer soge-nannten continuing resolution der Regierung Haushaltsausgaben für einige Wochen, Monate oder das restliche Haushaltsjahr bewilligt. Dabei sind die Ausgaben des Vorjahres der wichtigste Anhaltspunkt.

Bei der parlamentarischen Überprüfung und Bewilligung der entwicklungspolitischen Ausgaben ist eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Eigentlich kann jeder Abgeordnete und Senator diesen Prozeß beeinflussen; jeder beteiligte Ausschuß und Unterausschuß kann den Haushaltsplan abändern oder zusätzliche Auflagen für die Administration in das Gesetz aufnehmen. Das Haushaltsverfahren wird weiterhin dadurch erschwert, daß es keine breite Unterstützung für Entwicklungshilfe gibt, daß es regelmäßig zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten über das Volumen der Auslandshilfe, deren Aufteilung zwischen Wirtschafts-und Sicherheitshilfe sowie bilateraler und multilateraler Entwicklungshilfe und über Programme für bestimmte Länder kommt und daß auch Lobbyisten versuchen, Einfluß auf den Entscheidungsprozeß auszuüben. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß der Kongreß seit 1979 nur einmal, nämlich 1981, ein ordentliches Bewilligungsgesetz verabschiedet hat. In den anderen Jahren wurden die Auslandshilfegelder in continuing resolutions bewilligt.

Der Kongreß hat sich seit der Marshall-Plan-Hilfe für Europa von 1948 bis 1952 stets als entwicklungspolitischer Bremser betätigt und die entwicklungspolitischen Mittelanforderungen der Administration fast regelmäßig gekürzt. Aufgrund der zahlreichen Wider-stände und des schwierigen parlamentarischen Bewilligungsverfahrens bedarf es jährlich einer großen Anstrengung der Administration, um vom Kongreß die Mittel für die Auslandshilfe zu bekommen. Im amerikanischen politischen System wird die Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Legislative dadurch wesentlich erschwert, daß der Präsident direkt von der Bevölkerung ins Amt gewählt wird und deshalb nicht automatisch über Mehrheiten im Kongreß verfügt. So haben im Repräsentantenhaus zwar die Demokraten die Mehrheit, im Senat dagegen seit 1980 die Republikaner. Zudem gibt es in den Vereinigten Staaten keine Parteien im westeuropäischen Sinne und deshalb auch keine Parteidisziplin und keinen . Fraktionszwang'. Schließlich müssen sich die 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses alle zwei Jahre zur Wiederwahl stellen; sie befinden sich fast in einem permanenten Wahlkampf und vermeiden deshalb unbeliebte Entscheidungen über den Entwicklungshilfe-Haushalt. Dennoch haben fast alle Präsidenten beim Kongreß ihre Ausgabenansätze für die Auslandshilfepolitik im wesentlichen durchgesetzt, wenn sie eindeutig die entwicklungspolitische Führungsaufgabe wahrgenommen und im Kongreß für die Mittel gekämpft haben. Die Reagan-Regierung hat dies nur zum Teil getan. Vor allem für Wirtschaftshilfe und insbesondere multilaterale Entwicklungshilfe hat die Administration keinen großen politischen Druck auf den Kongreß ausgeübt, nicht hart genug dafür gearbeitet. Dies brachte Kürzungen in diesen Bereichen — eine Zielsetzung der Reagan-Regierung. Zusätzliche Sicherheitshilfe war vom Kongreß in den letzten vier Jahren leichter zu bekommen, weil der Zuwachs der Sicherheitshilfe im Zusammenhang mit dem Anstieg der Verteidigungsausgaben gesehen und mit dem wiedererstarkten Ost-West-Konflikt begründet wurde. Die Reagan-Regierung hat insbesondere bei der multilateralen Entwicklungspolitik den Kongreß als Schutzschild gegen Kritik ihrer Politik benutzt. 3. Auf der Suche nach öffentlicher Unterstützung! die Carlucci Commission und der Kissinger Report Die amerikanische Bevölkerung hat recht bescheidene Kenntnisse über Entwicklungspolitik Der . Durchschnittsamerikaner'ist vor allem an innenpolitischen Fragen interessiert; entwicklungspolitische Zielsetzungen werden vom amerikanischen Wähler als am unwichtigsten eingestuft. Eine Mehrheit in der amerikanischen Bevölkerung lehnt die Auffassung ab, die Vereinigten Staaten hätten in der Dritten Welt wesentliche Interessen zu vertreten. Nur rund die Hälfte der Bevölkerung ist grundsätzlich positiv gegenüber Entwicklungshilfe eingestellt; sowohl Entwicklungsals auch Militärhilfe sollen nach dem Willen einer Mehrheit gekürzt werden. Im Jahre 1982 haben 50 Prozent der Bevölkerung Entwicklungshilfe allgemein unterstützt; die politische Führungselite hat sich jedoch zu 94 Prozent positiv für Entwicklungshilfe ausgesprochen. Diese Diskrepanz zwischen Bevölkerung und politischer Führungselite hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Unter der Reagan-Regierung hat sich das Problem der mangelnden Unterstützung in der Bevölkerung für Entwicklungshilfe sogar noch verstärkt, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist die Reagan-Regierung mit dem Argument angetreten, Entwicklungshilfe wäre zum Teil Verschwendung amerikanischer Steuergelder. Zweitens wurden im Rahmen der Reaganschen Haushaltskürzungen mehr und mehr Sozialprogramme gestrichen; deshalb nahm der politische Druck auf die Abgeordneten zu, auch . internationale Sozialprogramme'wie Entwicklungshilfe zu reduzieren. Gleichzeitig hat sich die Spaltung zwischen den Parteien in diesen Fragen noch verschärft. Um sich mit diesen Problemen zu befassen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten, hat die Reagan-Regierung im Jahre 1983 die Carlucci-Kommission sowie die Kissinger-Kommission berufen.

Die Commission on Security and Economic Assistance unter dem Vorsitz des früheren Deputy Secretary of Defense Frank Carlucci hatte die Aufgabe, alle Aspekte der amerikanischen Entwicklungs-und Sicherheitshilfe zu überprüfen, Vorschläge auszuarbeiten, wie diese Programme in den achtziger Jahren einen größeren Beitrag zur Erreichung nationaler Zielsetzungen leisten können, und Wege aufzuzeigen, wie in der Bevölkerung eine größere Unterstützung für Entwicklungs-und Sicherheitshilfe erreicht werden kann. In der 42 Mitglieder umfassenden Kommission waren auch mehrere Kongreßmitglieder vertreten. Im November 1983 legte die Kommission ihren Bericht vor, in dem sie die Entwicklungsund Sicherheitshilfe grundsätzlich positiv bewertete und höhere Ausgaben befürwortete, für mehr Programme zur Unterstützung von Wirtschaftsreformen in Entwicklungsländern eintrat, zusätzliche Vergünstigungen bei der Militärhilfe anregte, mehr Flexibilität für den Economic Support Fund und bei der Verwaltung der Entwicklungshilfe befürwortete und forderte, eine neue Organisation zu errichten, die zuständig für Wirtschafts-und Sicherheitshilfe sein soll

Der Schwerpunkt des Carlucci-Berichts liegt auf sicherheitspolitischen Fragestellungen. Die Kommission hat sich vor allem mit aktuellen Problemen beschäftigt, ohne eine längerfristige Perspektive aufzuzeigen. Der Bericht liest sich in manchen Teilen so, als sei er von der Reagan-Regierung verfaßt worden. Insgesamt hat die Carlucci-Kommission eine fast historische Chance vertan, eine amerikanische Entwicklungspolitik für die kommenden 10— 15 Jahre zu konzipieren; die letzte Überprüfung dieser Art war von der Peterson-Kommission im Jahre 1970 vorgenommen worden. Die Kommission hatte jedoch eine schwere Aufgabe — und aufgrund ihrer Zusammensetzung war nicht damit zu rechnen, daß sie dieser gerecht werden würde. Der Carlucci-Bericht wurde in der Öffentlichkeit kaum diskutiert und hatte einen relativ geringen Einfluß. Die Kommission war insgesamt auch darin erfolglos, neue Mehrheiten für die Entwicklungspolitik zu beschaffen. Für die von der Kommission vorgeschlagenen Lösungen gibt es keine Mehrheit in der Bevölkerung und auch keine im Kongreß.

Wachsende Probleme in Mittelamerika und größerer Widerstand gegen die eigene Mittelamerika-Politik zu Hause veranlaßten die Reagan-Regierung, im Juli 1983 die National Bipartisan Commission on Central America mit Henry Kissinger als Vorsitzendem einzusetzen. Die Kommission sollte die Bedrohung amerikanischer Interessen in Mittelamerika untersuchen, Vorschläge für eine langfristige Mittelamerika-Politik der Vereinigten Staaten ausarbeiten und Wege aufzeigen, wie man für diese Politik Mehrheiten bekommen kann. Die zwölf Mitglieder der Kommission haben am 11. Januar 1984 ihren Bericht an Präsident Reagan übergeben Im Kommissionsbericht wird die Krise in Mittelamerika als „real und akut" bezeichnet. Die Vereinigten Staaten müßten jetzt handeln, zumal für sie hier fundamentale Interessen auf dem Spiele stünden. Da eine schnelle Lösung der Krise nicht zu erwarten sei, müßten die Vereinigten Staaten eine langfristig angelegte, kohärente Mittelamerika-Politik verfolgen; es könnte und sollte eine . bipartisan'Politik sein.

Die Kommission fordert wesentlich mehr Hilfe für diese Region: für 1984 zusätzliche 400 Millionen Dollar und für die Jahre 1985 bis 1989 ein 8-Milliarden-Dollar-Programm. Weiterhin wird im Bericht eine wesentliche Erhöhung der Militärhilfe für El Salvador befürwortet, der Einsatz amerikanischer Streitkräfte nur als . letztes Mittel'gegenüber Nicaragua angeregt, falls es zu keiner Einigung in der Frage über die Aktivitäten Nicaraguas in Nachbarstaaten kommt; schließlich knüpft die Kommission die Militärhilfe an El Salvador und Guatemala an Fortschritte in der Menschenrechtsfrage und fordert die Abschaffung der Todeskommandos, verstärkte Demokratisierungsbemühungen und die Einführung einer unabhängigen Rechtsprechung. Der Bericht untersucht die historischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ursachen der Krise in Mittelamerika und behandelt diese Krise vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts. Insgesamt hat die Kissinger-Kommission der Auffassung der Reagan-Regierung zugestimmt, warum es eine Krise in Mittelamerika gibt, welche Bedrohung diese Krise für die Vereinigten Staaten darstellt und was deshalb zu tun sei. Fünf Wochen nach der Veröffentlichung des Kissinger-Berichts hat die Administration dem Kongreß ihr „Central America Demoracy, Peace and Development Initiative Act of 1984" zugeleitet, das viele Vorschläge des Berichts enthält. Obwohl der Kissinger-Bericht die Reagansche Mittelamerika-Politik generell unterstützte, hat der Kongreß zunächst einmal diese neue Initiative gestoppt und auch die beantragten Gelder für Mittelamerika im Nachtragshaushalt für 1984 stark gekürzt. Auch nach der Veröffentlichung und breiten Diskussion des Kissinger-Berichts mußte die Reagan-Regie-rung ein Höchstmaß an politischem Druck auf den Kongreß ausüben (und dennoch einige Niederlagen einstecken), bevor Präsident Reagan durch eine dramatische 212 zu 208-Abstimmung im Repräsentantenhaus am 10. Mai 1984 seinen wichtigsten Sieg in seinem dreijährigen Bemühen um die Unterstützung des Kongresses für seine Mittelamerika-Politik erzielte

Als der neugewählte Präsident von El Salvador, Napoleon Duarte, in der zweiten Mai-hälfte Washington einen sehr erfolgreichen viertägigen Besuch abstattete und dabei einen Tag lang den Kongreß . bearbeitete', stimmte das Repräsentantenhaus zwei Tage später mit 267 zu 154 für zusätzliche Militär-hilfe an El Salvador und brachte damit Reagan einen zweiten Sieg. Dies waren jedoch nur Teilerfolge für die Reagan-Regierung und kein grundsätzlicher Stimmungswandel im Kongreß. Für zusätzliche Gelder an andere mittelamerikanische Staaten im laufenden oder im nächsten Haushaltsjahr mußte die Administration weiterhin schwer arbeiten und auch Niederlagen einstecken.

Bei diesen Auseinandersetzungen war der Kissinger-Bericht für die Reagan-Regierung hilfreich; er hat jedoch nicht automatisch für Mehrheiten gesorgt und auch keine grundsätzliche, sondern nur eine graduelle Veränderung der Einstellung des Kongresses gegenüber der Reaganschen Mittelamerika-Politik bewirkt. Dies könnte sich ändern, wenn sich die Reagan-Regierung dazu entschließen sollte, einen weiteren Punkt des Kissinger-Berichts in ihre Politik aufzunehmen und die Contadora-Gruppe — eine Initiative mehrerer lateinamerikanischer Staaten zur Stabilisierung dieser Region — nicht nur rhetorisch, sondern auch aktiv unterstützen würde. In dem zunehmend schärferen Streit über die amerikanische Politik gegenüber Mittelamerika gibt es nur einen gemeinsamen Punkt: alle Seiten sind von der Nützlichkeit der Contadora-Verhandlungen überzeugt Eine sich dafür aktiv einsetzende Reagan-Regierung könnte sich innenpolitisch auf eine breite Mehrheit stützen und würde vielleicht doch noch eine friedliche Lösung der mittelamerikanischen Krise ermöglichen.

IV. Eine veränderte multilaterale Entwicklungspolitik: Probleme mit den europäischen Verbündeten

Die Reagan-Regierung wollte die multilaterale Entwicklungshilfe kürzen — und war insgesamt in ihrem Sinne erfolgreich. Von der gesamten Entwicklungshilfe für 1985 sollen 13, 1 Prozent an die Multilateralen Entwicklungsbanken und weitere 2, 6 Prozent an Internationale Organisationen fließen. Gerade in diesem Bereich hatten einige politische Beamte eiren besonders langen und schweren Lernprozeß durchzustehen. Es kann hier nur auf den Währungsfonds (IWF) und die Weltbank eingegangen werden.

In der amerikanischen öffentlichen Diskussion wird kaum zwischen IWF, Weltbank und Internationalen Organisationen unterschieden, sondern alle diese Organisationen unter der Rubrik . rausgeworfenes Geld'geführt. Der Wissensstand über die Arbeitsweise und Bedeutung des IWF und der Weltbank ist recht bescheiden. Dies ist wichtig zu wissen, um die Probleme bei den Verhandlungen über zusätzliche Finanzmittel für IWF und Weltbank verstehen zu können. Bei der Aufstockung der IWF-Mittel war die Reagan-Regierung zuerst sehr zurückhaltend bis ablehnend Der IWF wollte eine Aufstockung um 100 Prozent Einige europäische Länder unterstützten den IWF darin, andere bevorzugten 50 Prozent die amerikanische Regierung jedoch war sehr zurückhaltend. Die Europäer einigten sich dann auf 50 Prozent und versuchten gemeinsam mit dem IWF, die Amerikaner umzüstimmen. Nach langen und schwierigen Verhandlungen stimmte die Reagan-Regierung einer Aufstockung um 47, 5 Prozent zu und hatte dann in der zweiten Jahreshälfte 1983 einen sehr schweren Weg vor sich, die Gelder vom Kongreß bewilligt zu bekommen. Der Umschwung war jedoch nur zum Teil auf den europäischen Druck zurückzuführen. Wichtiger war die Befürchtung, daß es nach Ausbruch der mexikanischen Verschuldungskrise zu einem Zusammenbruch der internationalen Kapitalmärkte kommen könnte und ein Bankenkrach in den Vereinigten Staaten möglich sei.

Europäischer politischer Druck und wachsende Probleme in den Entwicklungsländern haben jedoch die Reagan-Regierung bei den Verhandlungen über ein neues Finanzprogramm für die International Development Association (IDA) nicht umstimmen können. Die IDA gehört zur Weltbank-Gruppe, wurde 1960 auf amerikanischen Vorschlag gegründet und vergibt langfristige Kredite an die ärmsten Länder mit einem Zinssatz von 0, 75 Prozent; in den vergangenen Jahren gingen rund 90 Prozent der IDA-Kredite an Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 410 Dollar im Jahr. Finanziert wird IDA über dreijährige Finanzzusagen der Geberländer. Für die Jahre 1981— 1983 waren dies 12 Milliarden Dollar, davon haben die Vereinigten Staaten 3, 2 Milliarden Dollar übernommen. Die Weltbank wollte für IDA (1984 bis 1986) eine Aufstockung auf 16 Milliarden Dollar. Die Europäer einigten sich auf 12 Milliarden Dollar und versuchten dann, die Amerikaner für diesen Betrag zu gewinnen.

In der amerikanischen Regierung werden Fragen dieser Art vom Finanzministerium vorentschieden, das schon zu Beginn der Reagan-Regierung für einige multilaterale Entwicklungsbanken einen klaren Politik-wandel ankündigte Alle Einflußnahmen von außen — zum Beispiel auch die Drohung Frankreichs und Großbritanniens, einen IDA-Sonderfonds ohne amerikanische Beteiligung zu errichten — haben beim Finanzministerium zu keinem Erfolg geführt, das für IDA VII insgesamt 9 Milliarden Dollar für richtig hielt-mit einem 25-Prozent-Anteil der Vereinigten Staaten (2, 25 Milliarden Dollar); dies würde zu einer jährlichen Zahlung von 750 Millionen Dollar führen. Als Begründung gab das Finanzministerium an, der Kongreß würde nicht mehr als 750 Millionen Dollar pro Jahr für IDA bewilligen, obwohl der Kongreß für 1983 und 1984 jeweils 945 Millionen genehmigt hatte. Das State Department versuchte dann noch, mehr Geld für IDA durchzusetzen, aber am Ende stellte sich das Weiße Haus eindeutig auf die Seite des Finanzministeriums. Für IDA VII bedeutet das eine Reduzierung um 40 Prozent gegenüber IDA VI. Es steht noch nicht fest, wie die Weltbank dieses Problem lösen wird.

V. Die amerikanische Entwicklungspolitik: Aussichten und Probleme in den achtziger Jahren

Die Vereinigten Staaten sind, in absoluten Zahlen, der größte Entwicklungshilfe-Geber-staat mit einem Anteil von 18, 8 Prozent an der Weltentwicklungshilfe, gefolgt von Saudi Arabien (15, 2 Prozent), der Bundesrepublik Deutschland (8, 5 Prozent) und Japan (8, 4 Prozent). Bei einem Vergleich der für die Entwicklungshilfe aufgewendeten Bruttosozialproduktsanteile unter den 17 OECD-Staaten nehmen die Vereinigten Staaten den 15. Platz ein, mit einem Anteil von 0, 24 Prozent. Wenn die Vereinigten Staaten ihre Finanzmittel zum Beispiel für IDA um eine Milliarde Dollar verringern, dann ist dies etwa der Betrag, den Schweden oder Belgien und Dänemark gemeinsam in einem Jahr für Entwicklungshilfe aufwenden. Eine Reduktion der amerikanischen Entwicklungshilfe kann deshalb von den anderen Geberstaaten kaum ausgeglichen werden — auch nicht, wenn sie es wollten. Die Reagan-Regierung wollte eine neue amerikanische Entwicklungspolitik — und hat dies zum Teil erreicht, zum Teil waren die erzielten Veränderungen geringer als erwartet. Das lag jedoch mehr an den erwähnten Hemmfaktoren und weniger an einer Abänderung des entwicklungspolitischen Konzepts. In den nächsten vier Jahren hat die Regierung deshalb viel größere Möglichkei-ten, eine Reagansche Entwicklungspolitik zu betreiben und wesentlichere Veränderungen durchzusetzen. Es spricht zur Zeit nichts dafür, daß die Reagan-Regierung ihren eingeschlagenen Weg korrigieren wird. Dies bedeutet dann auch eine weitere Reduzierung der Weltentwicklungshilfe. Aus der Sicht der Reagan-Regierung ist dies kein Problem, weil erstens ein Großteil der Entwicklungshilfe ohnehin verschwendet würde und deshalb mit weniger, aber effektiver eingesetzter Entwicklungshilfe bessere Ergebnisse erzielt werden könnten, und zweitens sich durch weniger Hilfe eine Reihe von Problemen abschwächen und nicht verschärfen würden. Dies ist ein Optimismus, der nur von wenigen außerhalb der Reagan-Regierung geteilt wird

In den achtziger Jahren wird sich die Lage der Entwicklungsländer nicht grundsätzlich verbessern; eine Stabilisierung wäre schon ein Erfolg, aber in vielen Fällen werden sich die Probleme weiter verschärfen Der Bedarf an Weltentwicklungshilfe wird deshalb nicht zurückgehen, sondern weiter steigen.

Wenn in dieser Situation die Vereinigten Staaten ihre Entwicklungshilfe — vor allem auch an die Multilateralen Entwicklungsbanken — kürzen, dann müssen die anderen Geberstaaten darauf entweder mit einer Erhöhung ihrer Entwicklungshilfe zum Ausgleich der amerikanischen Kürzungen reagieren oder versuchen, auf die amerikanische Regierung politischen Druck auszuüben, um sie umzustimmen und dazu zu bewegen, ihren . fairen'Anteil an der Weltentwicklungshilfe zu übernehmen.

Beide Wege sollten beschritten werden, denn während die Vereinigten Staaten zur Zeit in einer guten wirtschaftlichen Verfassung sind, dürfte es für mehrere anders OECD-Staaten aufgrund ihrer Wirtschaftsprobleme schwer sein, ihre Entwicklungshilfe zu erhöhen. Nach den Vereinigten Staaten dürfte eine Erhöhung der Entwicklungshilfe auch für Japan kein wirtschaftliches Problem darstellen, das mit einem Bruttosozialproduktanteil von 0, 29 Prozent für Entwicklungshilfe nicht wesentlich besser dasteht als die USA Für fast alle OECD-Staaten würde es darüber hinaus eine Ausweitung ihres entwicklungspolitischen Handlungsspielraumes bedeuten, wenn es gelingen sollte, den Ost-West-Konflikt zu entschärfen und zumindest den Zuwachs der Verteidigungsausgaben zu vermindern. In den vergangenen sechs Jahren lag der Schwerpunkt der öffentlichen Diskussion auf sicherheits-und verteidigungspolitischen Fragen. Es wird Zeit, sich der entwicklungspolitischen Probleme zu erinnern und diese auch in ihrem Zusammenhang zu sehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ansprache beim Jahrestreffen der Weltbank und des IWF am 29. September 1981, abgedruckt in: Govern Printing Office, Ronald Reagan — Public aPermsent 1981, Washington D. C. 1982, S. 854— 856. 1 vgl. Richard E. Feinberg, Reaganomics and the

  2. Third World, in: Kenneth A Oye, Robert J. Lieber, Donald Rothchild (Eds.), Eagle Defiant. United States Foreign Policy in the 1980 s, Boston-Toronto 1983, S. 131— 165, hier S. 137 f.

  3. Sogenannte Cancun-Rede in Philadelphia am 15. Oktober 1981, abgedruckt in: Government Print-ing Office, Ronald Reagan — Public Papers 1981, Washington D. C. 1982, S. 937— 943.

  4. Siehe hierzu zum Beispiel die jährlichen Berichte „International Security and Development Co-operation Program"; der neueste Bericht ist vom April 1984, vom State Department als Special Report No. 116 veröffentlicht, ebenso: U. S. OMB, Major Themes and Additional Budget Details FY 1985, Washington D. C. 1984.

  5. Siehe hierzu: Franz Nuscheler, Strategiewandel der amerikanischen Entwicklungspolitik. Programm und Effekte der „neuen Richtlinien“ von 1973, München 1979.

  6. Vgl. hierzu zum Beispiel die Congressional Pre; sentation — Security Assistance Programs, FY 1985, Washington D. C. 1984.

  7. Vgl. auch hierzu die Congressional Presentation (Arun. 7).

  8. Zu den Zahlenangaben vgl. Larry Nowels, Foreign Aid Issues for Congress in 1984, CRS-Report, Washington D. C, March 1984.

  9. Ein Großteil dieser Informationen basiert auf , off-the-record'-Interviews mit Mitarbeitern in den verschiedenen Departments im Jahre 1984.

  10. P. T. Bauer, Reality and Rhetoric. Studies in the Economics of Development, Cambridge/Mass. 1984, S. 38 und 40; ein Aufsatz von ihm hat der Reagan-Regierung als . Blaupause'für die Entwicklungspolitik gedient: P. T. Bauer, Foreign Aid and the Third World, in: Peter Duignan and Alvin Rabushka (Eds.), The United States in the 1980s, Stanford/Ca. 1980, S. 559— 584.

  11. John P. Lewis, Can we escape the path of mutual injury?, in: John P. Lewis and Valeriana Kailab (Eds.), U. S. Foreign Policy and the Third World. Agenda 1983, New York 1983, S. 7— 48, hier S. 19.

  12. Diese , off-the-record'-Interviews mit Mitarbeitern im State Department, AID, OMB und Verteidigungsministerium wurden im Laufe des Jahres 1984 geführt.

  13. U. S. Agency for International Development, Bureau for Private Enterprise Policy Paper (AID Policy Paper), Washington D. C., May 1982, S. 1; siehe hierzu auch: AID Policy Paper: Private Enterprise Development, Washington D. C., May 1982.

  14. Siehe hierzu: Joseph Fitchett, U. S. said to issue guidelines tying foreign aid to security interests, in: International Herald Tribune vom 7. Mai 1982.

  15. Richard E. Feinberg and Richard Newfarmer, The Caribbean Basin Initiative: Bold Plan or Empty Promise?, in: Richard Newfarmer (Ed.), From Gunboat to Diplomacy, Baltimore-London 1984, S. 210 bis 227, hier S. 210.

  16. Public Law 98— 164, November 22, 1983, Title V: National Endowment for democracy; siehe hierzu auch den Report No. 98— 130 from the Committee on Foreign Affairs, House of Representatives.

  17. Statement of Alexander R. Love, Deputy Assistant Administrator for Africa, Agency for International Development, before the Subcommittee on Foreign Operations, Senate Appropriations Committee, March 8, 1984, Manuskript S. 16.

  18. Siehe hierzu z. B.: Peter Weilemann, Außen-und sicherheitspolitische Entscheidungen im Re-gierungssystem der Vereinigten Staaten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/83, S. 16— 30, und die dort angegebene Literatur.

  19. Der beste Überblick hierzu: Hayo Uthoff und Werner Deetz (Hrsg.), Bürokratische Politik, Stuttgart 1980.

  20. Diese Ausführungen basieren vor allem auf Informationen, die bei off-the-record'-Interviews mit Mitarbeitern im OMB, State Department, AID, Verteidigungsministerium und Finanzministerium gesammelt wurden.

  21. Siehe hierzu ausführlicher: Richard E. Feinberg, United States Financial and Investment Policies Toward Latin America: The Bureaucracy Copes with Crisis. Report für die SELA-Konferenz im Mai 1984 in Caracas, Venezuela (unveröffentlichtes Manuskript).

  22. Zum Kongreß siehe zum Beispiel: Randall B. Ripley, Coneress. Process and Policy, New York-London 1 9833, James L. Sundquist, The Decline and Resurgence of Congress, Washington D. C. 1981; Walter J. Oleszek, Congressional Procedures and the Policy Process, Washington D. C. 19842: Steven S. Smith and Christopher J. During, Committees in Congress, Washington D. C. 1984.

  23. Vgl. hierzu: Aaron Wildavsky, The Politics of the Budgetary Process, Boston 19793.

  24. Siehe hierzu die neueste Untersuchung des Chicago Council on Foreign Relations: John E. Reilly (Ed.), American Public Opinion and U. S. Foreign Policy, Chicago 1983.

  25. The Report of the President's National Bipartisan Commission on Central America, New York 1984 (158 S.).

  26. The Commission on Security and Economic Assistance. A Report to the Secretary of State, November 1983 (74 S.).

  27. Siehe hierzu: John Felton, Hill presses Reagan on Central America Policy, in: Congressional Quar-terly vom 14. 4. 1984, S. 831— 833; und ders., Reagan wins victory on Central American Plan, in: ebenda, 12. 5. 1984, S. 1086— 1093; ders., After El Salvador aid victory, Nicaragua question heats up, in: ebenda, 26. 5. 1984, S. 1231— 1232.

  28. Neun Länder bilden die Contadora-Gruppe: Kolumbien, Mexiko, Panama und Venezuela haben die Initiative im Januar 1983 begonnen und Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua eingeladen, sich daran zu beteiligen.

  29. Auch diese Ausführungen basieren auf Interviews mit Beteiligten.

  30. Siehe hierzu: U. S. Department of the Treasury, United States Participation in the Multilateral Development Banks in the 1980s, Washington 1982, und allgemein: Jonathan E. Sanford, U. S. Foreign Policy and the Multilateral Development Banks, Boulder/Col., 1982.

  31. Die Reagan-Regierung beruft sich gerne auf Prof. Julian L. Simon; siehe hierzu zum Beispiel: Julian L. Simon and Herman Kahn (Eds.), The Resourceful Earth: A Response to Global 2000, New York 1984.

  32. Siehe hierzu zum Beispiel die jährlichen Weltentwicklungsberichte der Weltbank, der neueste: World Bank, World Development Report 1984, Washington D. C. 1984; zum Bevölkerungsproblem siehe auch: Robert S. McNamara, Time Bomb or Myth: The Population Problem, in: Foreign Affairs, Sommer 1984, S. 1107— 1131.

Weitere Inhalte

Bernhard May, Dr. rer. pol., Dipl. -Volkswirt, geb. 1952; Studium der Volkswirtschaft und Politischen Wissenschaft an den Universitäten Mannheim, Köln und Pennsylvania, USA; seit 1978 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der Universität zu Köln; seit September 1983 zur Bearbeitung eines Forschungsprojektes als Guest Scholar bei The Brookings Institution in Washington, D. C. Veröffentlichungen u. a.: Kosten und Nutzen der deutschen EG-Mitgliedschaft (Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V„ Bonn), Bonn 1982; Das agrarpolitische Dilemma der Europäischen Gemeinschaft, in: Gegenwartskunde, 2/1983; Ein Revitalisierungsprogramm für die Europäische Gemeinschaft, in: Europa-Archiv, 6/1983.